Borgia

 

Prolog

Diese Buchstaben zeichne ich zur Erinnerung auf, diese Worte schreibe ich zum Gedächtnis, diese Gedanken denke ich zum Nach-denken, diese Handlungen male ich zum Danach-handeln.

Mein Name ist Johannes Goritz, geboren bin ich in Luxemburg im Deutschen Reich. Meines Standes bin ich Supplikenreferent. Mein Haus am Forum Trajanum in Rom steht allen Menschen von Kultur und Bildung offen. Vorzüglich die Deutschen, welche nach Rom kommen, pflegen mir die Ehre ihres Besuches zu erweisen. So hatte ich die Freude, Reuchlin, Copernicus, Erasmus, Ulrich von Hutten und jenen nachgerade berühmt oder berüchtigt gewordenen Mönch Martin Luther in meiner Häuslichkeit willkommen zu heißen und zu bewirten. Letzterer war, wenn ich mich recht erinnere, ein starker Esser vor dem Herrn, einem üppigen Kapaun oder feisten Schweinebraten barbarisch zugetan. Wie überhaupt Mönchisches und Barbarisches, Deutsches und Skythisches sich bei ihm wunderlich vermengten und so eine Erklärung geben für die übertriebene Ablehnung der Zustände im 'Sündenbabel' Rom. Die Erde drehte sich damals schneller um ihre Achse. Die Menschen verloren leicht die Balance. Kometen zogen ihre Schweife über den nächtlichen Horizont. Der Saturn zeigte sein böses Licht. Vesuv und Stromboli spien Feuer. Der Kriegsgreuel, der Revolutions- und Religionskämpfe war kein Ende und der Humanität kein Anfang, obwohl jedermann von Humanismus sprach. Wie sollte ausgerechnet Rom in diesem Chaos unverrückbar sein moralisches Gleichgewicht behalten? War es ein Wunder, dass Sankt Petri Felsen zu wanken begann und die heilige Kirche in ihren Grundfesten erschüttert wurde? Mit eigener Hand habe ich dieses Diarium der römischen Begebenheiten zurzeit der Borgia in lateinischer Sprache niedergeschrieben, in der freien Zeit, die mir meine ausgedehnten Amtsgeschäfte ließen. Als einziges Besitztum habe ich dieses Manuskript aus der Plünderung Roms anno Domini 1527 gerettet, jenes Jahres unseliger Erinnerung, in dem ich all mein Hab und Gut verlor bis auf die Kraft meines Herzens und die Unversehrtheit meines Verstandes. Das Schicksal führte mich in die nächste Nähe jenes denkwürdigen Giganten, Alexander Borgia genannt. Ich hatte oft die Gelegenheit, seine überaus schöne und anmutige Tochter Lucrezia sowie Seine Hoheit, den Herzog der Romagna, Cesare Borgia, persönlich und im vertrautesten Kreise zu sprechen und mir meine eigene Meinung über drei Menschen zu bilden, die zugleich hold und unhold waren und in deren Seelen sich die größten Gegensätze vereinigten.

Wohl jeder, der beispielsweise Cesare Borgia nur nach seinen Taten und den Pamphleten seiner Feinde, deren er unzählige besaß, beurteilt, macht sich ein völlig falsches Bild seiner äußeren Erscheinung und seines 'öffentlichen Charakters' Cesare Borgia war immer ein Mann von besonderer Höflichkeit, Zurückhaltung und seltener Bescheidenheit, kurz, das Idealbild dessen, was man einen Virtuoso und Cortegiano nennt. Seine Taten und Pläne stehen auf einem anderen Blatt. Sein persönlicher Charme, ja seine Sanftmut vertrug sich durchaus mit einer sachlichen Härte und Grausamkeit. Ohne je lieben zu können, war er stets liebenswürdig, und ich weiß noch, wie entzückt mir Machiavelli von seiner Begegnung mit ihm erzählte, die ihm die Idee seines Traktates über den 'Fürsten' einflößte. Und dies zu einer Zeit, als Cesare Borgia nur noch eine Ruine seiner selbst war, denn die Franzosenkrankheit hatte ihm furchtbar zugesetzt. Auch über Alexander VI., den gewaltigen Schöpfer der Dynastie Borgia – denn um eine solche handelt es sich – , sind völlig unrichtige Legenden im Umlaufe, soweit sie seine sichtbare Erscheinung betreffen (jede geschichtliche Persönlichkeit hat viele Gestalten, und oft täuscht eine Facette, die aufleuchtet, über das Gesamtbild hinweg). In ihm tobte wohl ein Teufel – aber er wurde nie äußerlich erkennbar. Alexander Borgia war einer der schönsten Menschen seiner Zeit, kraftvoll bis in sein spätestes Alter, voll heiterer, harmonischer Gemütsart und allen Dämonen der Finsternis abhold. Er liebte seine Kinder abgöttisch und war einzig bedacht, die Macht der Borgia voll Umsicht und ohne jede Rücksicht auf moralische Vorurteile zu mehren. Er tat alles, was er tat, im Angesicht der Leute, verheimlichte nichts, und ich habe nie einen Menschen gesehen, der so wie er das Urteil der Welt verachtete. Es liegt mir fern, eine Apologie der Borgia zu schreiben, ich wäge die Waage der Gerechtigkeit in meiner Hand; mag Gott die Gewichte verteilen, es ist nicht meines Amtes, das Urteil zu sprechen. Ich bin Supplikenreferent: ich – referiere.

I.

In jenen Zeiten, als es noch keine Zeit gab, als ein ewiger Himmel, der Himmel der Ewigkeit, über Hellas brannte, lebte Ixion, ein Mensch.

Smaragdeidechsen, Zornnattern, Heuschrecken, Grillen, Schildkäfer, Schafe, Hirsche, Pferde lebten mit ihm. Ringel- und Äskulapnattern hingen wie kostbare Ketten um seinen Hals, die Eidechsen leckten mit ihren kleinen Zungen seine spitzen Finger.

Er aber liebte am meisten eine junge Wildstute, der er keinen Namen gab. Denn, wer einen Namen trägt, der besitzt schon ein Eigentum, das zur Gaff- und Raffgier reizt.

Da er der Stute keinen Namen gab, verbarg er sie vor Göttern und Menschen.

Denn niemand vermochte sie zu rufen.

Eines Tages aber sah vom hohen Olymp Zeus, der Gott der Götter, die Stute an einer Tränke in einer Waldlichtung.

Er schwang sich in Gestalt eines Adlers zur Erde herab. Kaum auf der Erde angekommen, nahm er den Leib eines Hengstes an.

Die Stute erschrak und floh vor dem brünstigen Gott. Die Nüstern schnoben, sie stürmte scheu durch Wälder und Felder,

sie kam an einen Berg,

sie kletterte wie eine Gämse die Felsen empor, durch Schlünde und Schluchten, dicht hinter ihr der schnaubende Hengst. So galoppierte sie geradewegs auf den Olymp. Auf der Spitze des Berges übermannte sie der Gott.

Ixion lief wehklagend vom frühen Morgen bis in die späte Nacht durch die Haine und Auen.

Er wurde seiner geliebten Stute nicht ansichtig.

Und da er ihr keinen Namen gegeben hatte, so schrie er nur:

Ai! Ai! Ai!

Als er die Stute nach einer Woche nicht gefunden hatte, wurde er wahnsinnig.

Er lief auf allen vieren, fraß Gras, zertrat und zertrampelte Heuschrecken, Grillen, Käfer, Eidechsen und wieherte wie ein Pferd.

Sein Wiehern vernahm Zeus.

Er hob ihn mit einem Wind zu sich auf den Olymp empor, zog ihn an die Tafel der Götter und nahm die Qual des Wahnsinns von ihm.

Er machte ihn zu seinem Mundschenk. – Als Ixion den Pokal seines Herrn am Brunnen im Hof des Götterpalastes ausschwenkte und spülte, hörte er plötzlich ein vertrautes Wiehern aus einem Stall.

Er ging dem Wiehern nach und entdeckte seine Stute, die voller Freude an ihm emporsprang wie ein Hund und beide Vorderhufe auf seine Schultern legte.

Voller Ingrimm, dass Zeus ihm die Stute entführt hatte, beschloss er, sich an dem Gott zu rächen, und warf ein Auge auf Hera, die schöne Gattin des Gottes.

Eines Nachts schlich er zu ihr.

Aber Zeus, der Allwissende, schickte ihm eine Wolke entgegen, der er die Gestalt der Hera gab. So vermischte sich Ixion liebend mit der Wolke.

Am nächsten Mittag trat Ixion, der vermeinte, Hera umarmt zu haben, an die Tafel der speisenden Götter und schrie frohlockend:

Ich habe Hera, die Gattin des Zeus, besessen!

Entsetzt sprangen die Götter auf.

Zeus erbleichte und winkte zwei Dienern. Sie fesselten Ixion und banden ihn auf der Nordseite des Olymps an ein ewig rollendes feuriges Rad.

II.

Nephele, die Wolke, gebar nach neun Monaten von Ixion einen Sohn, der den Namen Kentauros erhielt.

Schon früh zog es ihn, wie seinen Vater, zu Pferden.

Er spielte mit der namenlosen Stute im Stall des Zeus und lernte bald auf ihr nach allen vier Himmelsrichtungen reiten.

Er floh eines Tages auf der Stute aus dem Bereich der Götter und gelangte zu den Reichen der Menschen. Er gewann ein Weib und zeugte sieben Söhne mit ihr. Seine Söhne vermischten sich, da sie in den Waldgebirgen Thessaliens nicht genug Weiber fanden, mit wilden Stuten.

In Steinbrüchen und feuchten Schluchten warfen die Stuten Kinder: halb Mensch, halb Pferd. Der Oberleib war der eines Menschen, der Unterleib der eines Pferdes. Die Hippokentauren wuchsen heran zu wilden, lüsternen Geschöpfen.

Sie kämpften mit Tieren, Menschen, Halbgöttern. Selbst ein Herakles hatte in Arkadien sich mit ihnen zu messen.

In ihrem Trotz und Übermut versuchten sie auch den Götterberg Olympos zu stürmen. Die namenlose Stute zeigte ihnen den Weg. Sie galoppierten im Schutz des Morgennebels die Berghänge empor. Aber Zeus, von einer aufgescheuchten Eule benachrichtigt, warf Blitze unter sie, dass sie bestürzt flüchteten. Sie sprangen die Felsen hinab, und der Steinschlag donnerte hinter ihnen her. Viele brachen sich Genick und Rückgrat, und die Adler und Geier fraßen ihre Herzen und Gedärme.

Einige aber kamen ans Mittelländische Meer, stürzten sich in die Wogen und schwammen zu den anderen Festländern:

nach Afrika,

nach Sizilien.

Zwei gelangten voller Mühsal nach Spanien. Und von ihnen, so heißt es, stammen die Borgia ab.

Die Borgia melden ihre historische Herkunft aus der spanischen Stadt Borja, nicht weit von Huecha in der Provinz Saragossa gelegen. Acht Ritter Borgia kämpften unter Don Jayme gegen die Mauren, und 1238 erscholl zum ersten Mal der Schlachtruf: Borgia! Borgia!

In der Zisterzienserabtei Veruela, am Fuß des Moncayo westlich von Borja gelegen, weihten die Borgia ihre Trophäen aus dem Maurenkriege der Heiligen Jungfrau: krumme Säbel, Turbane, Gürtel, Dolche, Spangen. An einer dieser Spangen hatte die Maurin Noa gehangen.

Alle acht Borgia liebten sie im winddurchwehten Zelt am heißen Tajo, bis sie der letzte, voll Eifersucht, dass sieben andere Borgia sie vor ihm gehabt, in der Umarmung erwürgte.

Ein letztes Röcheln aus ihrer Kehle seufzte: Borgia! Borgia!

III.

Im Jahre des Unheils 1455 bestieg der Spanier Alfonso Borgia, ehemaliger Geheimsekretär des Königs Alfonso von Neapel, unter dem Namen Calixtus III. den Heiligen Apostolischen Stuhl. Er war siebenundsiebzig Jahre alt, laborierte an einem chronischen Magenleiden und war, wie alle Magenkranken, von grämlicher, misstrauischer Gemütsart, aus der nur für Momente ein kauzischer Humor wie der grüne Mond hinter schwarzen Wolken hervorblitzte. Mehr als der Theologie war er der Juristerei ergeben und studierte Pandekten und Decretalia eifriger als die beiden Testamente. Es machte ihm Vergnügen, spitzfindige juristische Fragen zu stellen und sie noch spitzfindiger zu beantworten.

Wie der Komet seinen Schweif, so zog Alfonso Borgia einen ganzen Tross von Spaniern hinter sich her nach Rom.

In allen Straßen, Palästen, Schenken begannen sie sich breit und wichtig zu machen, spanisch zu sprechen und italienisch zu radebrechen. Und bei den Weibern und Frauen stachen die Senores nur gar zu oft die Signors aus. Es gab böse Mienen, böses Blut, Florettkämpfe unter dunklen Arkaden, und eines Tages warf die empörte Menge einen jungen Spanier, den sie bei einer vierzehnjährigen Schönheit des Stadtviertels Ponte erwischt hatte, kurz entschlossen über die Brücke in den Tiber. Es gelang ihm, sich ans andere Ufer zu retten. Es war der vierundzwanzigjährige Rodrigo Borgia, ein Neffe des Papstes, ein auffallend schöner junger Mensch, der, wie es hieß, die Frauen anzog wie der Magnet das Eisen. Er war ein paar Tage zuvor von Bologna gekommen, wo er zum Doktor des kanonischen Rechts promoviert hatte. Noch triefend vor Nässe, mit zusammengebissenen Zähnen, ging Rodrigo Borgia zum Vatikan, schob die Hellebarden der wachthabenden Schweizer auseinander und gelangte in das Arbeitszimmer des Papstes, der gerade damit beschäftigt war, sich über die juristische Möglichkeit eines Ehedispenses für den dritten Grad der Blutsverwandtschaft zu orientieren.

Er sah ärgerlich von seinen Pergamenten auf.

Höre, Oheim, begann Rodrigo, noch immer triefend, deine Römerinnen sind sehr hübsch, aber deine Römer verstehen keinen Spaß. –

Sie haben dir Wasser über den Kopf gegossen, wie? meckerte der Alte.

Scherz beiseite, Don Alfonso – Ihr seid ein Borgia, und ich bin ein Borgia. Alles andere ist Lumpenpack. Es ziemt uns, zusammenzuhalten. Ich habe Euch einen Vorschlag zu unterbreiten, der mir, als ich durch den Tiber schwamm, aufstieß – mit dem Dreckwasser, das ich aus Mund und Nase spuckte. Wie wäre es, wenn Ihr mir den Purpur der Kardinale verleihen würdet?

Der Papst weitete seine wasserblauen Augen –

Was, kreischte er, du willst Kardinal werden? Unter dem Tisch bewegte sich sein Bauch in lautlosem Gelächter. Aber es schien doch, als hätte er Angst, sein Hohngelächter über den Tisch hinausgelangen zu lassen. Denn dort stand, ehern, keine Miene in dem schönen Antlitz verzogen: Rodrigo Borgia, ein Borgia wie er, aber ein Mann, ein Wunsch, ein Wille.

Man muss dem Pöbel die eiserne Stirn zeigen, sagte Rodrigo Borgia. Wer nachgibt, hat schon verloren. Wer ihm die Faust ins Gesicht schmettert – gewinnt.

Dem Papst kamen allerlei juristische Bedenken – er wolle seine Kommentare, Decretalia etc. befragen, ob Blutsverwandtschaft –

Rodrigo schlug mit der kleinen, zierlichen, aber steinharten Faust auf den Tisch, dass der in Holz geschnitzte Gekreuzigte wie eine Puppe auf und nieder sprang:

Nur Blutsverwandtschaft, Oheim, rechtfertigt das – und alles andere. Die Verwandtschaft des Blutes ist das heiligste Band, das Menschen binden kann. Das gleiche Blut wallt in deinen und meinen Adern, Alfonso Borgia. So hör es doch rauschen –

Und er riss sich sein nasses Hemd auf und presste den Greisenkopf an seine Brust, der in die Tiefe lauschte, das Herz der Borgia schlagen zu hören.

IV.

Calixtus III. berief das Heilige Kollegium zusammen. Die Kardinale Estruteville, Capranica, Bessarione versuchten, sich der Ernennung Rodrigos zum Kardinal zu widersetzen.

Es half ihnen nichts. Calixtus bestach den Rest mit einträglichen Pfründen und Abteien.

Kaum saß Rodrigo Borgia im Kollegium, als er den schwächlichen und kränklichen Oheim und alle schwachen Charaktere des Kollegiums zu beherrschen begann. Er veranlasste als erstes, dass sofort zwei weitere Borgia hohe Kirchenämter empfingen: Don Luis Borgia wurde Bischof von Segovia und Lea; Pedro Borgia wurde Präfekt der Stadt Rom und machte alsbald den Orsini und Colonna zu schaffen.

Männer und Frauen zitterten in Rodrigos Gegenwart, und es hieß, es schlügen selbst die Heiligen auf den Gemälden des Vatikans die Augen nieder, wenn er heiter an ihnen vorüberschritt und guten Mutes über sie das Kreuz schlug.

Er las die erste Messe, noch kaum der frommen Bräuche kundig. Aber wo ihm ein lateinisches Wort mangelte, da setzte er ein: Borgia! Borgia! an seiner Statt. Die Hostie brach er zu früh entzwei und ließ auch zuweilen lässig ein Stück fallen. In seinem ganzen Leben zelebrierte er höchst ungern und nahm es mit der Hostie nicht genau. Auch stimmte es bei seiner Messe nie: bald waren die Kerzen, bald die Sänger, bald Baldachin oder Weihrauchkessel und bald er selbst nicht zur Stelle.

Höre, Oheim, sprach er zu Calixtus, es ist recht gescheit von dir, den Kreuzzug gegen die Türken, die uns im übrigen ja nichts getan haben, zu unterstützen – denn du machst dich und damit den Namen Borgia populär bei der Christenheit – , aber vergiss nicht, das Fundament für die Dynastie der Borgia unverrückbar festzulegen. Du hast mich mit den Pfründen von Benevent und Terracina belehnt. Schön. Ich trage das rote Gewand. Gut. Aber ich habe nunmehr Ambitionen auf das Amt des Vizekanzlers. Es ist das höchste Amt nach deinem – du bist alt, verzeihe, wenn ich dich daran erinnere, aber es kann dir etwas zustoßen –, du musst unsere Stellung und unseren Einfluss für alle Fälle sicheren.

Der Papst, der ein Glas mit einer grünen Magentinktur vor sich stehen hatte, die er verabscheute, schloss die wimperlosen Lider und dachte über seinen Neffen nach. Dann öffnete er sie.

Du hast recht. Ich werde das Nennungsdekret morgen unterzeichnen.

Rodrigo Borgia ging einen Schritt auf ihn zu, dass jener sich fast zu fürchten begann: Morgen? Heute, Oheim, heute, jetzt, in diesem Augenblicke werdet Ihr das Dekret unterzeichnen, das ich selbst, um Euch die Mühe des Schreibens zu ersparen, aufsetzen werde. – 'Wir, Calixtus III.....'

V.

Auf der Falkenjagd trafen der Kardinal Rodrigo Borgia und der Graf Jean d'Armagnac zusammen. Sie zogen die Hüte und beschlossen, die Jagd gemeinsam fortzusetzen.

Beim Picknick, als die Korke von den Weinflaschen gesprungen, ergab es sich, dass der vom Weine sehr erhitzte Graf d'Armagnac den jungen Kardinal, der ebenfalls dem Weine reichlich zugesprochen hatte, aber völlig nüchtern geblieben war, um eine Unterredung unter vier Augen bat. Sie gingen abseits, und an zwei Bäume gelehnt, schwiegen sie sich zuerst eine Zeitlang an, ehe der Graf den Mut zu den ersten Worten fand.

Er schlug mit seiner Reitgerte in das Laub der Bäume.

Ob der hochwürdige Herr Kardinal sich irgendwie mit dem Wesen der Liebe beschäftigt habe – in der freien Zeit, die seine geistlichen Exerzitien ihm ließen –? Der Kardinal lächelte höflich:

Gewiss, mehr theoretisch allerdings, mehr platonisch, wie es einem Kirchenfürsten gezieme.

Gewiss, gewiss. Der Graf pflichtete ihm bei. Aber gerade auf die Theorie, auf das Prinzipielle komme es ihm an. Nämlich, inwieweit Heirat zwischen Blutsverwandten kirchlich gestattet oder – so wolle er sich ausdrücken – möglicherweise geduldet würde?

Die Iris in den Augen des Kardinals begann aufzuleuchten. Dürfe er den Herrn Grafen fragen, wen der Herr Graf zu heiraten wünsche?

Der Graf war vor Aufregung fast nüchtern geworden. Er bereute seine Offenherzigkeit dem undurchdringlichen Borgia gegenüber. Aber es war zu spät, das Geheimnis zu behalten. Er senkte den Kopf wie ein auf unrechtem Pfade ertappter Schüler. Ich liebe – meine Schwester.

Der Kardinal schwieg.

Oben in den Bäumen sauste der Wind.

Und im Wind schrie ein Merlan, ein Raubvogel.

Hören Sie, sagte der Kardinal, wie schön, wie stark, wie ehrlich dieser Vogel schreit! Wir Menschen sind erbärmliche Lügner gegen ihn.

Der Graf blieb stumm. Er meinte sich von diesen glühenden, schwarzen Augen, die er kaum ertragen konnte, abgeblitzt.

Der Kardinal drehte den Ring mit dem Mondstein an seiner linken Hand.

Ein Halbedelstein – aber ein Glücksstein. Sie sollten sich und Ihrer Schwester – Ihrer Geliebten und bald ihrer Gattin – einen Mondstein schenken.

Der Graf fühlte sein Antlitz von Purpurröte übergössen.

So beschimpft und verachtet Ihr mich nicht wegen meiner unnatürlichen Liebe und Leidenschaft?

Der Kardinal lächelte:

Wie kann, was in der Natur ist, wider die Natur sein?

Und Ihr meint, Ihr könntet bei Seiner Heiligkeit, Eurem erhabenen Herrn Oheim, ein gutes Wort für einen Dispens einlegen?

Er senkte wieder die Stirn:

Yvonne erwartet in sieben Monaten ein Kind.

Der Kardinal löste sich vom Baum, als ob er wie ein Waldgott aus dem Stamm heraustrete:

Seid unbesorgt. Ich selbst werde die Bulle mit dem Ehedispens für Euch ausfertigen. Ihr werdet die Gewogenheit haben, meinem Bankier 25.000 Dukaten zu überweisen, wovon ein nicht unbeträchtlicher Teil für den Sekretär Seiner Heiligkeit, Herrn Giovanni di Volterra, und einen zweiten gegenzeichnenden Kardinal bestimmt ist.

Und die Unterschrift des Heiligen Vaters?

Der Kardinal lachte schallend.

Der Heilige Vater gibt seine Unterschrift umsonst! Kommen Sie, Graf, unser Gefolge vermisst uns schon.

VI.

Calixtus stirbt im Alter von achtzig Jahren.

Die Feinde der Borgia, dieser verfluchten katalanischen Eindringlinge, atmen und leben auf.

Im Palast der Orsini, die sich die Bekämpfung der spanischen Nepotenwirtschaft zum besonderen Ziel gesetzt, findet ein Fest- und Freudenmahl statt, dem Rodolfo Orsini hager und hochmütig präsidiert und an dem auch Mitglieder der Familie Colonna teilnehmen. Noch nachts empfängt der Orsini einen seiner vertrautesten Diener, einen Franzosen namens Briconnet.

Briconnet wird am nächsten Morgen in der Via Giudea erstochen aufgefunden.

Das Attentat auf Rodrigo Borgia war missglückt. Rodrigo Borgia selbst war ihm zuvorgekommen.

Auf die Kunde des Attentats flohen viele Borgia und Spanier aus Rom und ließen ihre Häuser im Stich, die der Pöbel plünderte. Nur Rodrigo Borgia wich nicht. Mit einer Leibwache von zehn schwerbewaffneten Katalanen ging er aus und besuchte Rodolfo Orsini, sich mit ihm sehr artig über die griechischen Handschriften der vatikanischen Bibliothek zu unterhalten.

Pius II. besteigt den päpstlichen Stuhl.

Der Kardinal Rodrigo Borgia lag noch zu Bett, als man ihm die Ankunft eines päpstlichen Kuriers meldete. Julietta, völlig nackt, servierte ihm die Schokolade. Corinna, nur mit einem silbernen Schleier bekleidet, saß auf dem Bettrand.

Der päpstliche Kurier, ein achtzehnjähriger hübscher Junge aus Piemont, trat über die Schwelle des Schlafzimmers und stutzte. Er versuchte die Augen zuzukneifen.

Dann sah er angestrengt zur Decke empor. Aber auch dort fand er nackte weibliche Gestalten sich zu einem sinnlich aufreizenden Reigen schlingen, der ihn erröten ließ. Tritt näher, mein Sohn, sprach der Kardinal.

Julietta lachte.

Corinna lächelte.

Der Kurier errötete.