Text: Ingeborg Bauer
Fotos: Ingeborg und Siegfried Bauer
Layout: Martin Bauer
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©2010 Ingeborg Bauer
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7322-1083-1
Die Anfänge der Lebensgeschichte der Droste führen ins Münsterland, in einen Landstrich, der auf den ersten Blick flach und unspektakulär erscheinen mag, ein Land, wo die Felder direkt an den Himmel stoßen, der Himmel Geltung bekommt, die er zurückwirft auf das Land. Alleen säumen die schmalen Wege. Hoch gewachsen stehen im späten Sommer die Maisfelder, die Hecken bilden, Einsichten verwehren. Große Höfe aus rotem Backstein, halb verborgen hinter üppigen Gärten, die Gemüse und Blumen in Rabatten aus Buchs fassen, ein wucherndes Chaos lebendig gestalten, Farben aufflackern lassen, eine überbordende Pracht – bunte Fackeln eines Sommertages. Friedlich grasen die Kühe, die kleinen dunklen Ziegen, eleganter bewegen sich die Pferde auf ihren Koppeln.
Und dann der Wald der aufrechten Stämme, eine locker gefügte Festung, filigran eingefasst von tiefgrün gekerbtem Eichenlaub und roten Berberitzen, die aus einem Humus von Farn wachsen. Efeubewachsene Stämme werden zu Skulpturen, zu gestikulierenden Gestalten. Wie ein Schleier legt sich das Grün vor diesen dahindämmernden Märchenwald, der die Gespenster birgt aus den Schauergeschichten der Droste. Irgendwo steht ein Hinweisschild zu einem Ort mit Namen Dämmerwald – und man wundert sich nicht.
Und das Wasser, bewegungslos, bedeckt mit hellgrünen Algen, die direkt an den dunklen Spiegel der Laubkronen grenzen, um dann doch noch ein wenig himmelblaues Wasser in dieses abstrakte Bild hereinzulassen. Das Schilfrohr als dunkler Scherenschnitt vor dieser grüngelben Wasserwiese. Der Weiher, die mit Wasser gefüllten Gräben (Gräften) der Wasserschlösser mit ihren Spiegelungen von Architektur und Natur, die Nischen lassen für gespens tische Geister, die Schauer erzeugen im nebligen Dämmerlicht, wenn zwischen Tag und Nacht die Natur den Raum erfüllt mit Tönen, die der Tag übertönt, verschluckt.
Da ist der Heilige mit dem Kruzifix, und im Chorgestühl der kleinen Kirche von Marienthal sind die Miserikordien mit Mönchsporträts geschmückt, die sich an die vier Temperamente anlehnen, Charaktere, die sich wohl kaum von denen der Bauern unterschieden haben. Die Kirche hatte einen Pfarrer, der an der Sorbonne studiert und zum Kreis der „Renouveau Catholique“ Kontakte gehalten hatte, zu denen Paul Claudel und Georges Bernanos gehörten. Zeit seines Lebens war Pfarrer Winkelmann (1881-1954) mit Schriftstellern und Künstlern befreundet, und so ist der Kirchhof denn auch eine Art Freilichtpark für Grabskulpturen. Auch so kann sich Katholizismus im Münsterland äußern.
Das Münsterland ist seit Karl dem Großen reich an Wasserburgen. Die Gräften hatten eine notwendige Schutzfunktion in diesem flachen Land. Und Wasser gibt es genug. Nehmen wir als Paradebeispiel die Wasserburg Lembeck bei Dorsten. Der Name stammt aus dem Niederdeutschen: „beke“
bedeutet „fließendes Wasser“ und ist in dem Wort „Bach“ enthalten. Der erste Teil des Namens ist verwandt mit „Lehm“ und auch mit „Leim“. Somit kann Lembeck mit Lehmbach übersetzt werden, was auf den Standort des Schlosses in einem Sumpf- oder Moorgebiet schließen lässt. Ein Adolf von Lembeck, bzw. Lehembeke, wird 1177 zum erstenmal erwähnt als Ministeriale des Bistums von Münster. Der Familie oblag die Gerichtsbarkeit. Damals war der Besitz ein wehrhaftes Gut, ein sogenannter Oberhof. Im 16. Jahrhundert ging der Besitz an die Linie der „von Westerholt zu Lembeck“
über. Immer noch war Lembeck ein Lehen des Bischofs von Münster. Zwischen 1674 und 1692 wurde die Burg dann im Stil des Barock aus- und umgebaut. Seit 1 708 ist sie im Besitz der Grafen von Merveldt.
Im 18. Jahrhundert ist der Erbauer von Rüschhaus, Johann Conrad Schlaun, für Umbauten verantwortlich.
Ob die Droste auf Schloss Lembeck gewesen ist, ist nicht bekannt, aber dass die Familie von Merveldt zu den Besuchern auf Hülshoff gehörte, verzeichnet Gödden 1). Doch ist es eine ganz besonders eindrucksvolle Anlage. Durch das Tor der Vorburg führt eine Achse durch Burghof und Schloss direkt in den Park und leitet das Auge zu seinem Fluchtpunkt. Eine solche durchgehende Achse ist im Barock äußerst selten. Die Mauern der Burg, ihres Putzes weitgehend verlustig, haben den vielfarbigen Stein zum Klingen gebracht und lassen das Mauerwerk warm und herzlich schimmern. Grün und opak steht der Wasserring um die Burg mit silbernen Momenten des Aufleuchtens. Überproportional erscheinen die blauschimmernden Dächer und die gleichfarbigen Welschen Hauben, die die Ecktürme üppig kleiden. In hellen Fensterscheiben spiegeln sich Turm und Park. In der Mitte der Vorburg prunkt das prächtige Wappen, das auf geflügelten Putten ruht. Ein durchbrochener Dreiecksgiebel befindet sich über der Nische, die das barock und dekorativ gestaltete Adelsdokument enthält. Die bekrönenden Helme sind mit ebenfalls geflügelten Schwänen verziert: Flügel, die beflügeln, die wie die Niken der Frühe auch zum Siegeszeichen weltlicher Herren unter dem Krummstab werden.
Ein grauer Tag lässt den Rasen grüner, das Rot der Beete intensiver klingen. Zwergpalmen wollen den Süden heraufbeschwören, ohne dass unter diesem Himmel eine mediterrane Leichtigkeit gelingen kann. Die Jahreszeiten als eine Art von weiblichen Hermen aus Stein, adligen Fräuleins verwandt, mit Blumen des Frühlings in Händen, mit der Sichel und dem geschnittenen Korn des Sommers, mit dem Füllhorn des Herbstes und zuletzt das alt gewordene Fräulein mit einem tragbaren Öfchen, der Winter, unvermeidlich und schneereich in diesem nördlichen Landstrich. Keine dieser Damen mit vegetabilem Unterleib blickt den Betrachter an, immer schauen diese Wesen seitlich ins Nirgendwo oder verhalten sich doch so, als warteten sie auf etwas, das nicht eintreten würde, denn was sollte sie aus ihrer versteinerten Fassung befreien?
Am Zentralbau schmückt die Madonna mit Kind die Nische unter dem mit einer Krone versehenen Wappen, das von Löwen flankiert wird. Eine breite repräsentative Treppe führt seitlich zu den Empfangsräumen, geradeaus führt eine Brücke in einen verschlungenen, verwunschenen Park, in eine geordnete Pracht, eine gebändigte Wildheit, die das gelegentliche Wuchern erlaubt. Hier repräsentieren vier auf Wasserkrügen sitzende Steinfiguren Flüsse (Tiber, Nil, Indus und Rio de la Plata), die wiederum für die vier damals bekannten Erdteile stehen. Sie sind unregelmäßig im Park verteilt, gewissermaßen ihrer geographischen Anordnung nachempfunden, die kein Regelmaß kennt, also keine Darstellung, die antikem Denken gemäß an den vier Ecken der Welt orientiert wäre. Der Tiber ist ein alter Mann mit langem Bart. Zu seinen Füßen säugt die Wölfin Romulus und Remus. Das alte Europa muss mit jugendlicheren Figuren konkurrieren.
Irgendwie zwischen den Blumen weilt der Heilige mit dem Kruzifix, mitgenommen von Wind und Wetter, ist es Nepomuk oder ein anderer dieser heiligen Zunft? Hier lockert sich die gärtnerische Ordnung. Ein kleiner Wasserlauf, ein Bachbett, wild bewachsen, steht für die ungezähmte Natur. Der Park geht hier in Wald über, in eine weitgehend sich selbst überlassene Landschaft.
Im Seerosenteich reichen die Wurzeln in die Tiefe, werden eins mit den Spiegelungen. Lichte Funken spielen auf dem Wasser. Die Seerose in strahlendem Weiß, eine Verwandte der Lotosblume. Ihre klar gezogenen Umrisslinien, die der Symmetrie gehorchen, die gelbe Krone ihres Fruchtstocks: kein Wunder, dass sie zur Geburtsstätte von Göttern auserkoren wurde.
Hinter gelben Sonnen mit energiegeladener Mitte, die von lila Kerzen begleitet auftauchen, die die feurige Energie zügeln, breitet sich der grüne Teppich aus. Von Rosen umfriedet kreisen auf ewig Pan und die Nymphe um eine Vase aus Stein geschmückt mit prallen Trauben. Doch treffen sich ihre in sich gekehrten Blicke nie. Der Abstand zwischen ihnen bleibt, keine Erfüllung ist möglich, die Zukunft auf ewig angehalten. Löwen mit aufgesperrten Rachen tragen das Gefäß, auf dem sich zwischen pflanzlichen Elementen Elfen tummeln, Shakespeares muntere Geister.
Im späten Dämmerlicht steigt Dunst aus den Wiesen, der eine letzte Röte am Abendhimmel begleitet. Schlieren von Licht gleiten im Westen, fließender Marmor, in dem sich die Kronen der Bäume verfangen. Bald ruhen Himmel und Wasser im Dunkel. Bäume werden zu Schemen, die Burg konsolidiert sich als massiver Körper. Aus einem Fenster aber dringt goldenes Licht. Angestrahlt wachsen die Mauern in die Tiefe der Wasserarme.
Dunkel im Schatten liegt ein gotisches Fenster in der roten Backsteinwand, davor von Sonnenlicht durchleuchtet: Ahornblätter. So dringt die Gegenwart der Natur in die Vergangenheit der Geschichte. Später dann Efeu an einer lichten Stelle des Stamms - und die dicken Karpfen, unwirklich unter der fast opaken Wasseroberfläche: geflügelte Karpfen sind die Wappentiere der Droste-Vischering, enge Verwandte der Hülshoffer Linie.
Vischering war ehemals eine Rundburg aus dem späten 13. oder 14. Jahrhundert. Reste der Ringmauer sind noch zu entdecken. Auch heute noch gleicht die Wasserburg einer geschlossenen Festung. Die erste Burg wurde in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erbaut und war danach Stammsitz der Droste zu Vischering, des bedeutendsten Geschlechts des westfälischen Landadels, Erbdrosten (Truchsesse) des Fürstbischofs von Münster. Bis ins 16. Jahrhundert war die Burg Festung. Nach einem verheerenden Brand wurde sie auf den alten Fundamenten wieder aufgebaut. Durch den Einbau zahlreicher Fenster und eines Erkers im Stil der Renaissance verlor die Burg ihre militärische Funktion. Aber aus Gründen der Repräsentation wurden Zugbrücken, Torbauten und Gräften beibehalten, so dass die Anlage heute weitgehendst den Charakter einer mittelalterlichen Burg bewahrt. Ihr Mauerwerk aus blassgelbem und dunklem Sandstein kontrastiert mit rotem Backstein. Wie die Röcke der Damen in früheren Zeiten reichen die ebenfalls roten Dächer weit hinunter über die Mauern, als sollten sie zusätzlich vor jeglicher Gefahr bewahren. Auffallend sind hier die Fensterläden, die sehr viel jüngeren Datums sind, aber die sonst wenig strukturierten Mauern mit einer Musterung versehen, die an trommelnde, pfeifende Spielmannszüge denken lässt.
In das Mauerwerk eingelassen ist ein Mann, vermutlich ein Adliger, denn er ist bewaffnet, der vor einem Hirsch kniet. Und der trägt ein Kruzifix zwischen den Enden seines prächtigen Geweihs. Am Eingang der Vorburg unter dem Familienwappen kniet ebenfalls ein mittelalterlich gekleideter Adliger vor einer Madonna mit Kind, das den Knienden segnet. Eine Erinnerungstafel weist hier aber ins 20. Jahrhundert: „Zur Erinnerung an Max Ferdinand Graf Droste zu Vischering, Erbdroste – geboren am 9. Oktober 1924 – gestorben am 8. März 1945.“ Er war der älteste Sohn, der Erbdroste, der offenbar am Ende des 2. Weltkriegs ums Leben kam.
Der katholische Adel, einst unter dem Krummstab der Bischöfe von Münster, steht in der Tradition. Ein Verwandter der Droste, Clemens August II. von Droste zu Vischering (1 773-1845) war Erzbischof von Köln und wird, als Köln in den Napoleonischen Wirren zu Preußen kommt, wegen seiner unnachgiebigen Haltung in Glaubensfragen von den Preußen ins Gefängnis gesteckt, was im Münsterland mit ungeheurer Bestürzung aufgenommen wird.
Die Festung wird durch Wassergräben gesichert. Der massive Baukörper verdoppelt seine Massen in der Spiegelung. Oben und Unten fließen ineinander. Die umgebende Natur schafft Dunkelheiten, die durch das Blau des Himmels und das Weiß der Wolken ans Lichte grenzen. In den Spiegelungen lösen sich die Gegenstände auf wie in einem impressionistischen Gemälde. Manchmal erscheint diese Wasserwelt völlig abstrakt, losgelöst vom Gegenstand. Dann wieder ist die Spiegelung glasklar, - ein akkurates Abbild -, entsprechend der Vernunft des Tages, die die verworrenen Bilder der Nacht klärt. So ähnlich muss diese Umgebung auf die Fantasie der jungen Droste gewirkt haben, die - verstärkt durch ihre starke Kurzsichtigkeit - das Schemenhafte, Gespenstische ihrer Umgebung umso intensiver wahrgenommen haben mag.
Einem Violinschlüssel nicht ganz unähnlich sind die rostigen Mauerhaken, die die Wände wohl zusätzlich verankern. An einer prägnanten Stelle ist eine Sonnenuhr angebracht. Der schon erwähnte Renaissance-Erker erinnert an Lembeck, hier aber ziert ihn ein prunkvolles Wappen der Familien Droste und Raesveldt, verbunden mit der Jahreszahl 1622. Eine gewaltige Scheuer der Vorburg verweist auf die landwirtschaftliche Seite eines solchen Adelssitzes. Erst unter der Herrschaft Preußens kommt es zur Aufhebung der Dienstverpflichtung der Bauern. Danach muss der Adel die Landwirtschaft selbst betreiben. Die Droste fürchtet, dass ihr Bruder Werner auf Hülshoff dem nicht gewachsen sein könnte.
Auf dem Türmchen in der Mitte thront ein pittoresker Turmhelm mit filigraner Krone und ziselierter Wetterfahne, was so ungemein im Kontrast steht zu dem massiven Bau und dem verschwundenen mittelalterlichen Bergfried, der nach dem Brand nicht wieder errichtet wurde. Auf einem der Kamine ruht ein halbes Rad, in dessen Nabe ein Gesicht erkennbar ist, eigentlich mehr eine Fratze: sollte sie Unheil abwehren? Der Ahnherr sei präsent in der Wetterfahne auf Hülshoff: das ist eine Kinderangst der jungen Droste. Die Vergangenheit geistert an dunklen Tagen, in den Nächten, durch diese Burgen, jedenfalls für ein mit Fantasie begabtes Kind.
Außer den Karpfen tummeln sich in den Gräften die Wasservögel, Taucherenten, die untertauchen und so einen Wasserring produzieren, der sie wie ein Schutzwall umgibt und in die Spiegelung des Bauwerks einbindet. Man erinnert sich an Verse der Droste, die sich auf die Beobachtung dieser Vögel am Bodensee beziehen und mit deren Hilfe sie die eigene unterschiedliche Befindlichkeit mit der des 17 Jahre jüngeren Levin Schücking auf den Punkt bringt.
„Sieh drunten auf dem See im Abendrot Die Taucherente hin und wieder schlüpfend; Nun sinkt sie nieder wie des Netzes Lot, nun wieder aufrecht mit den Wellen hüpfend; Seltsames Spiel, recht wie ein Lebenslauf!
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