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Berlin, 14. Mai 2015
Edition Graugans, Berlin
Herstellung und Verlag: Bod - Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7392-7166-8
GG Wissenschaft ist ein Imprint der Edition Graugans, Berlin
Während der Gotik sind viele der weltweit bekanntesten Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem entstanden, die die abendländische Kunst für Jahrhunderte beeinflussen sollten. Zurecht denkt man zunächst an die beeindruckenden Fresken von San Francesco in Assisi von der Hand des Malers Cenni di Peppo, bekannt auch als Cimabue. Niccolo Polani ist ein anderer Meister aus Italien, der eine Ausgabe der „Civitate Dei“ des Kirchenlehrers Augustinus mit einem Neuem Jerusalem verzierte. Oder man erinnert sich an das Westportal der Kathedrale von Amiens, die in der Kunstwissenschaft als eine der zentralen Sakralbauten der Gotik gilt. Nicht zu vergessen natürlich die Hamilton-Bibel aus dem Berliner Kupferstichkabinett mit gleich zwei Repräsentationen des Neuen Jerusalem, und dann die französischen Stundenbücher, in denen sich das Neue Jerusalem auf sogar zwölf einzelne Miniaturen verteilt, sowie ein späteres Stundenbuch vom Meister der Yolande de Lalaing (1422-1497).
Das „Bréviaire de Martin d’Aragon“ gehört zu den kostbarsten Handschriften des Mittelalters überhaupt, und sein Bezug zum Himmlischen Jerusalem ist bislang selbst in Fachpublikationen kaum einmal hervorgehoben worden. Ausdrücklich erwähnt werden soll auch die Krypta des Kollegiums von Saint-Bonnet-le-Château (Loire), von deren prächtigen Wandmalereien vom Beginn des 15. Jahrhunderts der Maler bekannt ist: Louis Vobis. Ein anderer ist Claes Brouwer, der kurz danach in den Niederlanden eine Historienbibel bebilderte. In Spanien arbeiteten Jean Bapteur, Peronet Lamy und Jean Colombe an einer Apokalypseausgabe für den Herzog von Savoyen, die heute als eine der Schätze der Bibliothek des Escorial nur ausgewählten Besuchern gezeigt wird.
Darüber hinaus erscheint das Neue Jerusalem in zahlreichen gotischen Handschriften: in der Tanner-Apokalypse (1250 bis 1255), in der Bodleian-Apokalypse (1250-1260), in der Trinity College Apokalypse (um 1255-1260), in der Lambeth-Apokalypse (1260-1280), in der Apokalypse von Abingdon (um/vor 1262), in der Burckhardt-Wildt-Apokalypse (1280-1295), in der Greenfield-Apokalypse (um 1320), in der Corpus-Apokalypse (1329-1339) und auch in der Lincoln-Apokalypse (um 1360).
In ganz Europa waren es aber die Wandfresken, die den gläubigen Massen das Neue Jerusalem vor Augen führten. Besonders schöne Beispiele findet man in Deutschland in der Dorfkirche Kalkwitz oder in St. Johann Baptist in Brechten (Dortmund), in England in Oddingtons St Nicholas oder in der Guild-Chapel of the Holy Cross zu Stratford, in Frankreich in Sainte-Anne in Cazeaux de Larboust oder in der Kapelle Sant Antonio Abate im Ort Jouvencieaux im piemontesischen Sauze d’Oulx, in Italien in der Kirche der Franziskanerabtei Pomposa oder in Santa Maria Novella (Florenz). In der Gotik hatte fast jede Kirche eine Darstellung dieses Themas, aber nur wenige Arbeiten haben die Kriegszüge, die Umwelteinflüsse, die veränderten Moden, die Abriss- und Neubauwut und schließlich den natürlichen Verfall, dem alles unterliegt, bis heute überstehen können.
Aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammt eine anglonormannische Apokalypsehandschrift, die unter der Signatur Gg. 1.1 in der Universitätsbibliothek Cambridge liegt. Drei (fol. 435v, 436v und 438) der 53 Illustrationen zeigen das Neue Jerusalem als zeitgenössische Burg in malerischer Erzählweise, die für die folgenden englischen Apokalypsen aber erst einmal nicht prägend sein sollte. Die Handschrift ist zusammen mit weiterem geistlichen Lehrmaterial gebunden worden, darunter auch moralische Traktate und eine mittelalterliche Enzyklopädie. Alle diese Arbeiten entstanden in West Midlands (England).
Die Kathedrale besitzt ein Neues Jerusalem aus ihrer Entstehungszeit um 1230. Man findet es an der Westfassade am Tympanon mit dem Letzten Gericht. Über einen Doppeltüreingang sind mehrere Ebenen gesetzt, in denen sich links Darstellungen der Geretteten, rechts der Verworfenen befinden. Während die Hölle rechts wie üblich als Drachenschlund visualisiert wurde, hat man das Neue Jerusalem einmal als kleines Kirchlein dargestellt, vermutlich in Anlehnung an zeitgenössische Miniaturen. Aus einem Fenster hält ein Engel oder Heiliger eine Kerze, darüber schwenkt eine weitere Figur ein Ziborium. In die übergroße, nach oben gezogene Tür, deren Rahmen kaum zu erkennen ist, krönt ein weiterer Engel eine gerade eintretende Person.
Wolfgang Medding: Die Westportale der Kathedrale von Amiens und ihre Meister, Augsburg 1930.
Iliana Kasarska u.a. (Hrsg.): Mise en oeuvre des portails gothiques: architecture et sculpture, Paris 2011.
Jean-Luc Bouilleret: Amiens, Strasbourg 2012.
Der genaue Entstehungszeitpunkt der Apokalypse MS 434 ist nicht bekannt. Es handelt sich um eine illuminierte Handschrift in anglonormannischer Sprache aus der Londoner Lambeth Palace Library, die sich ursprünglich in einem Frauenkloster befand. Bislang wurde sie auf die Mitte des 13. Jahrhundert datiert. Einmal wird auf fol. 43v das Himmlische Jerusalem als mittelalterliches Stadttor gezeigt, ein andermal auf fol. 44r in einer Kombination aus Frontsicht und Grundriss. In diesen sind zwölf Namen von Edelsteinen geschrieben, die die Stadt schmücken. Auch die Steine selbst sind in ihren natürlichen Farben aufgemalt. Im Quadrat der Stadtmitte steht das Christuslamm, um das sich konzentrisch weitere Quadrate legen. Oben schiebt sich eine Dachzone mit sechs Türmen bis an den Bildrand.
Die Darstellung war Vorlage oder Nachahmung für eine andere englische Apokalypsehandschrift aus dem 13. Jahrhundert, von der ebenfalls wenig bekannt ist. Gesichert ist lediglich, dass auch dieses Exemplar aus einem Frauenkloster stammt. Es wird, für die Öffentlichkeit kaum zugänglich, in der Bibliothek des sich vornehm gebenden Eton College unter MS 177 (hier fol. 55v und 56r) aufbewahrt.
Avril Henry: The Eton roundels: Eton College, MS 177 (Figurae bibliorum), Aldershot 1990.
Karsten Falkenau: Eton College MS 177. Ein englischer typologischer Zyklus des 13. Jahrhunderts, Berlin 1990.
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