Auf den Wegen der Seidenstrasse in Zentralasien. Die Geschichtsbücher berichten von Zerstörungen und erneuter Blüte. Heute sind die einst zerfallenen Monumente wieder aufgebaut. In diesem Buch lesen Sie über das heutige Leben in den Oasenstädten entlang der alten Seidenstrasse in Zentralasien. Die Situation mit der Währung und der Schrift. Wie haben sich die jungen Staaten nach ihrer Selbständigkeit von der Sowjetunion entwickelt.

Erlebnisse, Begegnungen und mit geschichtlichem Rahmen sowie Wissen über den Islam, das Araberpferd und das unersetzliche Kamel Asiens.

Aus der Edition Seeblick

Stationen: Von Urumqui (China) nach Taschkent – Samarkand – Buchara und Chiwa

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

An einem warmen Maiabend landet das Flugzeug vom chinesischen Urumqui herkommend in der usbekischen Hauptstadt Taschkent.

Zwei Monate bin ich nun auf der Reise entlang der Seidenstrasse. An der Seidenstrasse in Zentralasien möchte ich den alten Sagen nachspüren. Bei der Planung der Reise in Zentralasien besuche ich die historischen Städte Taschkent, Samarkand, Buchara und Chiwa. Ein Reisebüro in Taschkent hat für mich originelle Hotels ausgewählt und ein Zimmer reserviert. Ich möchte abseits des grossen Tourismus reisen und mich mit Einheimischen unterhalten können. An jedem Ort werde ich 4 bis 5 Tage Zeit haben.

Die Wunder des mittelalterlichen Islams und die Entwicklungen der jungen Länder im ehemals sowjetischen Zentralasien interessieren mich. Nach mehr als 100 Jahren lösten sich die zentralaisatischen Staaten im Jahre 1991 aus der russischen Föderation und wurden selbständig. Die ganze Verwaltung und Administration musste neu aufgebaut und organisiert werden. Auch die diplomatischen Vertretungen im Ausland mussten mit viel Geld neu eingerichtet werden. Vorher waren diese Staaten in der russischen Diplomatie integriert.

Usbekistan hat derzeit keine Vertretung in der Schweiz, Einreisevisa müssen in Berlin beantragt werden. Und so geht es: Versand des Passes und Einzahlung in Euro an einem deutschen Postamt an das Konsulat in Berlin mit Rücksendeadresse an Freunde in Deutschland.

Dieses Buch beschreibt eine individuelle Reise mit Eindrücken, die einer Reisegruppe normalerweise verborgen bleiben. Ein Einzelreisender kann die Ziele selber bestimmen und die Zeit selber einteilen. Er kann mit einem Museumswächter quatschen oder lange in einem ausserordentlichen Museum verweilen oder endlos ein Weltkulturerbe der UNESCO besichtigen.

Der geneigte Leser möge sich mit der historischen Zeittafel auf die Geschichte der Seidenstrasse in Zentralasien einstimmen.

Auf der ganzen Reise war ein Notebook dabei. Jeden Abend beschrieb ich Erlebnisse und Erkenntnisse aus den besuchten Museen. Der kleine PC hatte ein Kabel für den Internetanschluss sowie WLAN. Internet war in den kleinen Hotels nicht vorhanden, sie lagen mitten in der historischen Altstadt. Hin und wieder suchte ich doch ein Internet-Kaffee um Kontakt nach Hause herzustellen.

Einige Preise sind in der usbekischen Währung „Sum“ angegeben, um die Verhältnisse im Mai 2009 aufzuzeigen. Der offizielle Wechselkurs für 1000 Sum war in der Nähe von 1 USD. Während meiner Reise war der Kurs des Sum gegenüber dem USD eher steigend.

Zuerst versuchte ich, diesen Bericht in der Vergangenheitsform zu schreiben, aber dann hat sich die Ich-Form in der Gegenwart als einfacher erwiesen. In historischen Bezugnahmen verfällt der Text teilweise in die Form der Vergangenheit.

Zuletzt möchte ich meinen aufrichtigen Dank meiner Frau Regula aussprechen für ihre Unterstützung meiner Reise. Danken möchte ich auch allen die bei der Vorbereitung dieses Buches und seiner zweiten Auflage geholfen haben, besonders Herrn Prof. Dr. Khurram Rakhimov, Vorsitzender der Deutsch-Usbekischen Wissenschaftlichen Gesellschaft e.V., Taschkent.

Zeittafel zu Zentralasien

6. Jahrtausend v.Chr. Mittlere Steinzeit in der Steppe, Getreide, Tiere (Pferde) zähmen
4. Jahrtausend v.Chr. Jungsteinzeit, Arbeitsteilung, Serienfabrikation von Werkzeugen
2. Jahrtausend v.Chr. Bronzezeit, Kultur Andronowo am Aralsee
8.-7. Jh. v.Chr. Skythische Stämme besiedeln Zentralasien
430 v.Chr. Herodot berichtet von Reisen nach Zentralasien, über harte Tributzahlungen an die Perser
329 v. Chr. Alexander der Grosse überschreitet den Oxus (Amu Darja), die Griechen (Makedonen) erobern Zentralasien; erbitterter Widerstand der indogermanischen Sogdier und der skythischen Saken. Alexander heiratet die Prinzessin Roxane.
250 v. Chr. Parther erobern Persien, sie erheben Zölle auf den Transporten über die alte Seidenstrasse
260 v.- 130 n.Chr. Gräko-Baktrisches Reich, Hauptstadt Kone-Kale (heutiger Name Chiwa), Handel, Karawansereien, Basare
53 v.Chr. Die Parther besiegen die Römer (Kaiser Crassus) bei Carrhae, heute „Harran“ an der Grenze Syriens zur Türkei). Das parthische Reich erstreckt sich von Buchara über Persien und Irak bis in den Kaukasus.
1.-3. Jh.n.Chr. Das Reich der Kushan dehnt sich in Zentralasien aus
224-641 n.Chr. Sassaniden regieren in Zentralasien, Religion des Zarathustra. Die Hunnen ziehen durch
420 n.Chr. Attila vereinigt die Stämme der Hunnen und verheert Europa, Niederlage 451 auf den katalaunischen Feldern (Nordfrankreich), gegen die vereinten Römer, Goten und Germanen
476 n.Chr. Westrom geht unter
532 n.Chr. Ostrom: Kaiser Justinian lässt in Konstantinopel (heute Istanbul) das Hypodrom (80 x 400 Meter) und später die damals christlich-orthodoxe Kirche Hagia Sofia bauen (Kuppel 69 x 74 Meter, damals grösste der Welt)
570 n.Chr. Mohammed wird in Mekka geboren
622 Hedschra (Emigration: Mohammed begibt sich nach Medina): Beginn der islamischen Zeitrechnung
632 Mohammeds Tod in Medina
661 Spaltung des Islam in Schiiten (die Nachfolge Mohammeds wird vererbt) und Sunniten (Nachfolger Mohammeds wird gewählt)
670 Tibeter besiegen Chinesen in Xinjiang, China zieht sich aus Zentralasien zurück, Kleinstaaten wie Samarkand und Buchara sind schutzlos dem arabischen Ansturm ausgeliefert
671 Araber überschreiten den Oxus
674 Araber erobern Buchara und Samarkand
731 Karl Martell stoppt die Araber, die aus Spanien kommend in Frankreich einmarschieren, in Tours und Poitiers
751 Die Araber besiegen die Chinesen am Fluss Talas in Zentralasien, der Islam verdrängt in Zentralasien den Buddhismus
786 Harun ar-Rashid ist Kalif von Bagdad, er reist 798 über die Seidenstrasse in die chinesische Hauptstadt Changan (Xi’an)
827 Die muslimischen Sarazenen erobern Sizilien und Süditalien von den Byzantinern
1010 Normannen aus der Normandie (ehemals Vikinger) vertreiben die Araber aus Sizilien und Süditalien
1014 Basil II vergrössert sein oströmisches Reich von Konstantinopel aus. Gegen Festungen werden riesige „Trebaucher“ (Werfer) mit bis zu 200kg schweren Steinen eingesetzt
1037 der Usbeke Ibn Sina (Avicenna) stirbt, er gilt noch heute als grosser Mediziner und Philosoph
1076 Seldschuken erobern Damaskus
1095–1291 Kreuzzüge, europäische Ritter bauen Festungen in Palästina
1220 Die Mongolen unter Dschingis Khan erobern Zentralasien
1241 Schlacht bei Liegnitz (Schlesien), die Mongolen besiegen ein deutsches und polnisches Ritterheer. Sie kehren ungeschlagen zurück nach Südsibierien um ihren Khan Ogedai zu beerdigen
1245 Johann de Piano Carpini verfasst „Historum Mongolarum“
1250 Die Mameluken (ein türkischer Stamm) erreichten aus Südsibirien kommend unter dem Führer Baibar Zentralasien, sie ziehen weiter nach Südwesten nach Kairo
1258 Die Mongolen erobern Bagdad
1260 Die Mameluken stoppen die mongolische Expansion bei Ain Dschalut (Palästina), Baibar wird Kalif in Kairo
1291 Die Mameluken unter el-Ashraf Khalil erobern Akkon (Haifa), die letzte Bastion der Kreuzfahrer. (In diesem Jahr: Rudolf von Habsburg stirbt, Gründung der alten Eidgenossenschaft)
1295 Marko Polo zurück in Venedig nach 25 Jahren. Reiseberichte über die Seidenstrasse und China
1370 – 1507 Dynastie der Timuriden in Samarkand, sie bauen herausragende Bauwerke des Islams: Medresen, Moscheen, Mausoleen
1448 Ulugbek (Nachfolger Timurs) baut ein Observatorium in Samarkand
1450 Die Osmanen besiegen das mächtige, christliche Konstantinopel mit den neuen Waffen Pulver und Kanonen
1498 Vasco da Gama von Lissabon, entdeckt den Seeweg nach Indien, Europa will den Arabern das Handelsmonopol über die Seidenstrasse mit Schiffen streitig machen.
1521 Magellan segelt um die Welt
1526 Babur (Nachfolger Timurs) zieht nach Indien und gründet dort die Dynastie der Moghuln
1529 Die Türken (Osmanen) belagern Wien
1719 Peter der Grosse unterwirft die Wolgakosaken (ein skythischer Stamm), die Grenze Russlands rückt näher an Zentralasien. Die Kosaken werden die Speerspitze der Zaren.
1769 James Cook revolutioniert die Navigation; der Uhrmacher Harrison erfindet eine Uhr, die je nach Längengrad die richtige Zeit anzeigt
1786 Ludwig XVI sendet Le-Perouse aus um einen Weg von Kanada nach China zu finden., die Seidenstrasse zu Land verliert an Bedeutung
1825–1895 „Great Game“ in Zentralasien zwischen England und Russland
1842 Hinrichtung der Engländer Studdart und Conolly in Buchara
1860 Taschkent wird von Russland erobert
1906 Die neue transkaspische Eisenbahn führt von der Wolga (Astrachan) nach Urgench, Buchara, Samarkand und Taschkent
1991 Gründung der unabhängigen Republiken Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan
UNESCO Kulturerbe: 1990 Altstadt von Chiwa 1993 Altstadt von Buchara 2001 Altstadt von Samarkand

Die Anreise von Urumqui nach Taschkent

Eine Tupolev der Usbek Airlines kann sich wegen ihres Gewichtes kaum vom Boden in Urumqui (China) lösen. Ganz im Gegensatz zu den Fernsehberichten, wonach wegen der Wirtschaftskrise 08/09 die Flugzeuge um 30% weniger gefüllt seien als ein Jahr zuvor, ist dieses Flugzeug bis auf den letzten Platz besetzt. Alles ist ganz anders: bereits zwei Stunden vor Abflug stehe ich im Flugplatz Urumqui in einer langen Warteschlange. Beim Check-in findet der Desk für mich keinen Sitzplatz mehr. Den Sitz hatte ich vor drei Monaten im Internet über einen spanischen Vermittler reserviert. Vor drei Tagen habe ich doch von meinem Hotel aus angerufen und meine Sitzreservation bestätigt. Ob ich nicht verstanden wurde oder ob einfach der Computer streikte, weiss ich nicht. Heute ist die Dame am Bildschirm jedenfalls verwirrt und verweist mich an den Supervisor. Der liest mein Ticket, das ich zu Hause in der Schweiz ausgedruckt habe und sagt barsch: „Warum haben Sie sich nicht drei Tage vor dem Flug gemeldet? Jetzt sind alle Plätze vergeben“.

Der Mann versteht gut Englisch und ich versuche mich lautstark durchzusetzen: die Usbek Airline könne mich doch nicht hier sitzen lassen! Ich hätte ein festes Programm auf meiner Reise entlang der Seidenstrasse. Der Supervisor fängt an herumzutelefonieren, und schlussendlich findet er doch noch einen Platz im Flugzeug. Wie sich herausstellt, in der mittleren Reihe vorne an der Wand, wo ich die Beine nicht strecken kann. Die Abfertigungs-Einrichtungen in Urumqui sind übrigens ganz modern. Wegen des H1-Virus wird die Körpertemperatur aller Reisenden gemessen: jeder muss sich neben einen Apparat stellen, der aus etwa 30 Zentimeter Entfernung die Temperatur im Ohr misst. Zum Glück habe ich kein Fieber, nur höheren Puls vor Aufregung.

Mein kleiner Rollkoffer und ein Rucksack sind nichts gegen die Riesenpakete, die von anderen Reisenden mitgeschleppt werden. Es sind mehrheitlich korpulente usbekische Frauen im mittleren Alter mit Kopftüchern. In den Riesenpaketen sind günstige Einkäufe aus Urumqui, die sie nach Usbekistan ausführen. Mit breiten Klebstreifen sind die unförmigen Riesenpakete ringsum eingewickelt. Dem Zollpersonal wird es nur schon beim Anblick schlecht.

Zusätzlich rufen die Damen bei der Eingangskontrolle nervös herum und machen Wirbel. Sie wollen schnell durch und wenden die Taktik des Verwirrens an.

Mich erwischt es: an der Kontrolle piepst der Detektor bei meinem Rollkoffer. Die Toilettentasche wird von der chinesischen Kontrolleurin untersucht. Mir kommt in den Sinn, dass sich darin eine Nagelschere habe. Aber nein, sie wirft alle Medizinfläschen weg, die mir mein Hausarzt als Reiseapotheke mitgegeben hat: Augentropfen, Desinfektion, Nasenspray, Tropfen für den Magen und so weiter. Sie versteht kein Englisch und ich kann ihr nicht erklären, dass die Medizin für mich wichtig sei. Meine Reiseapotheke ist nachher nur noch halb so gross. Andere Fluggäste tragen derweil riesige Pakete als Passagiergut mit sich, darin enthalten sind mehrere kleinere Pakete in der Grösse von Handgepäck, die dann im Flugzeug irgendwo hin gestopft werden.

Ganz langsam gewinnt das überladene Flugzeug an Höhe, wir fliegen nach Westen über die unendliche Gebirgslandschaft des Tian-Shan. An der Grenze zu Kirgistan sehen wir den Gipfel des Berges „Zenis“ mit einer Höhe von 7400 Metern. Später fliegen wir über viele Schneegipfel mit Höhen von 4000 bis 5000 Metern. Nach etwa einer Stunde glänzt das Blau des Issykkul-Sees unter uns.

Weiter geht der Flug über Berge und Täler in Richtung des sagenumwobenen Taschkents. Die Stadt liegt an den Ausläufern der Tian-Shan Gebirges, in einer Ebene, die in die Kasachische Steppe übergeht. Eigenartigerweise liegt die Hauptstadt Usbekistans nur wenige Kilometer von der Kasachischen Grenze entfernt. Der Staat Usbekistan dehnt sich aber weit nach Westen aus, bis jenseits des Aralsees.

Unser Flugzeug kommt heute Abend als einziges im Flugplatz Taschkent herein. Gleich beim Eingang zum Flughafengebäude stehen Frauen in weissen Schürzen. Sie drücken jedem Reisenden einen Fieberthermometer in die Hand, alle müssen auf dem Weg zur Abfertigung die Körpertemperatur in der Achselhöhle messen. Einige Minuten später nimmt eine andere Gruppe Schwestern die Fiebermesser wieder in Empfang. Ich schwitze ein wenig vor Aufregung und befürchte, dass ich höhere Temperatur habe. Ein anderer Reisender hat zu hohe Temperatur und muss in Quarantäne, hätte er doch den Thermometer nicht unter den Arm geklemmt.

Beim Ausgang stauen sich Berge von Waren auf Transportrollis, Formulare müssen ausgefüllt werden. Ich bin in der Mitte der Kolonne, ein Beamter pickt mich heraus, als Tourist mit kleinem Gepäck kann ich rasch durch die Kontrollen und bin erleichtert, dass ich aus dem Schlammassel heraus bin. Ich atme auf, das überfüllte Flugzeug und das Gewimmel vor dem Zoll waren ein Alptraum.

Doch der Stress geht weiter: beim Ausgang des Flughafens findet ein regelrechtes Spiessrutenlaufen statt. Wie bei einer Hochzeit die Ehrenformation, stehen dutzendweise Taxifahrer beidseits bereit und bieten laut rufend ihre Dienste an. Ich weiss, die Ersten sind die Teuersten, und kämpfe ich mich durch und gerate schliesslich an einen Fahrer, der ein wenig weiter draussen unbeschäftigt herumsteht. Vermutlich fängt er die „outfalls“ ab.

Mein usbekisches Reisebüro hat mir das Hotel „Uzbekistan“ reserviert. Ich zeige mit dem Finger auf den Namen in meiner Reiseliste: endlich wieder ein Volk, das lateinische Buchstaben lesen kann! Usbekistan hat sich vom russischen Kyrillischen abgewendet und hat wieder die lateinische Schrift eingeführt.

Der Taxifahrer schaut abschätzig auf meine Kleider und die Ausrüstung: ein wenig verstaubt und abgescheuert von der langen Reise entlang der Seidenstrasse in China. Nach einigen Kilometern Fahrt kurvt er in einem heruntergekommenen Quartier herum und hält vor einem einfachen Hotel. Aber der Name des Hauses ist nicht „Uzbekistan“, er hat vermutlich gedacht: irgendein günstiges Hotel in Usbekistan.

Er schaut nochmals genauer auf meinen Zettel und merkt scheinbar erst jetzt, welches Hotel gemeint ist. Seine Mine hellt sich auf und er fährt wieder los, in Richtung Zentrum. Er schwatzt etwas, das ich nicht verstehe, in den Worten kommen „Dollar“ und „Sum“ vor. Aus meiner Reisevorbereitung weiss ich, dass “Sum“ die Währung von Usbekistan ist. Plötzlich klappt er während der Fahrt vor mir das Handschuhfach auf. Darin liegen mehrere, mit Gummibändern zusammengehaltene Banknoten-Bündel, sicher jeweils etwa 500 Noten (so dick wie ein Paket Druckerpapier). Er drückt mir einen Bund in die Hand und sagt „100 Dollar“. Ich bin natürlich nicht damit einverstanden und sage 50. Am Schluss einigen wir uns auf 70 und ich bin ein reicher Mann, jedenfalls an Banknoten. Später stellt sich heraus, dass der Bund 100‘000 Sum enthält und der normale Schwarzmarktkurs bei 65 USD liegt, der offizielle Kurs wäre 100 USD (1000 Sum = 1 USD).

Das Hotel, das wir nun im Zentrum erreichen, ist ein riesiger Kasten am Rande eines schönen, grünen Parks. Endlich wieder einmal vier Sterne. Der Bau stammt aus sowjetischer Zeit, original 60er Jahre und nostalgisch. Der Taxifahrer hat jetzt mehr Achtung vor mir, da ich in einem so wichtigen Hotel absteige. Er bringt mein Gepäck an den Empfang und gibt mir seine Visitenkarte, für den Fall, dass ich eine Rundfahrt machen wolle.

Die Leute am Empfang sind gebildete Russen, sie sprechen gut Englisch. Nach dem fremden China fühle ich mich hier fast wie zu Hause. Das Hotel hat schöne Zimmer mit Aussicht über die Stadt und ist sauber. Hier wird mich Regula, meine Frau aus der Schweiz besuchen kommen.

I. Taschkent vom 14. bis 18. Mai

Das Land Usbekistan zählt heute etwa 28 Millionen Einwohner, davon sind 90 Prozent islamische Sunniten. Der Präsident heisst Islom Karimov, er ist seit der Selbständigkeit des Landes im Jahre 1991 im Amt. Die ostwest Ausdehnung des Landes ist 1500 Kilometer, nord-süd 930 Kilometer. Die Währung heisst UZS (Sum).

Banknote 500 Sum, Wechselkurs: 1000 Sum sind 2009 um die 1 USD

Der Süden des Landes liegt in der Wüste Karakum (schwarzer Sand), der nördliche Teil in der Wüste Kizilkum (roter Sand).

Die Hauptstadt Usbekistans beherbergt um die 3 Millionen Einwohner. Die grösste Bevölkerungsgruppe sind die Usbeken, auch Russen, Tadschiken, Kirgisen, Turkmenen, Tunganen, Karakalpacken, Tataren und sogar Wolgadeutsche leben hier. Die einen tragen malerische Trachten mit Hut, die anderen sind westlich gekleidet. Der neue Teil der Stadt hat breite Strassen, grüne Parks und ausserordentlich viele Springbrunnen. Nach der Selbständigkeit musste der junge Staat in Taschkent mehrere neue Verwaltungsgebäude bauen.

Hier bin ich nicht mehr der einzige Europäer wie in China. In den Strassen sehe ich lange, schlanke Blondinen und hellhäutige Menschen.

Gemäss einer chinesischen Schrift aus dem Jahre 138 v.Chr. gab es bereits damals in Taschkent grosse Warenlager und Herbergen für die Reisenden der Seidenstrasse.

Bis im 7.Jh.n.Chr. verdrängte der Buddhismus von Indien her kommend den persischen Zoroastrismus. Ab dem 8.Jh.n.Chr. verbreiteten die Araber den Islam in Zentralasien.

Der Handelsverkehr mittels Karawanen zwischen den städtischen Basaren war die Basis des arabischen Erfolges. Handelsplätze wurden reich und über hunderte von Jahren entwickelte sich eine hohe islamische Kultur.

Durch die Feldzüge der Mongolen (1220/21) wurde dann fast alle Kultur wieder zerstört, die meisten Einwohner der Städte getötet oder sie flohen. Mehrere Jahrzehnte blieb Zentralasien danach arm und wenig besiedelt. Erst um 1390 begann der zum Islam bekehrte Timur von Zentralasien aus wieder ein mächtiges Reich aufzubauen. Er zog bis Moskau, Konstantinopel und Delhi. Er brachte die besten Arkhitekten, Baumeister und Handwerker in seine Hauptstadt Samarkand und liess die schönsten Bauwerke erstellen.

Die Dynastie Timurs bestand nur drei Generationen, danach wurde Zentralasien von verschiedenen Emiren aus usbekisch-moghulischen und dsungarischen Dynastien regiert. Nachdem die Russen die Stadt mit schwerem Geschütz beschiessen übergibt am 30. Juni 1860 der Stadtälteste Taschkents die Schlüssel der 12 Stadttore an den General des Zaren Tschernjajew.

Heute präsentiert sich Taschkent als grüne Stadt. In den weitläufigen, grünen Parks sprudeln an vielen Orten Wasserspiele und Springbrunnen. Das Wasser kommt aus dem Gebirge des Tian-Shan östlich der Stadt. Wasser bedeutet grosses Prestige der Hauptstadt gegenüber den trockenen Wüstenstädten des Landes.

Über Mittag und an Wochenenden wimmeln die grünen Parks von jungen Leuten aus mehreren Hochschulen, die in Taschkent angesiedelt sind. Der Staat macht grosse Anstrengungen, um die Jugend auszubilden. Das russische Schulsystem wurde beibehalten. Die Lehrmittel sind auf akademischem Niveau weitgehend noch in kyrillischer Sprache. Weitere Sprachen neben dem usbekischen Türkisch sind Russisch, Englisch und Deutsch, wie ich im Gespräch mit einem akademisch gebildeten Taxifahrer verstehe. Die Übersetzung der wissenschaftlichen Schulbücher in die lateinische Schrift ist für das Bildungsministerium eine grosse Aufgabe.

Meine Reise entlang der Seidenstrasse geht jetzt in den dritten Monat. Heute werde ich meine Frau nach mehr als zwei Monaten wieder sehen. Sie fliegt von Zürich aus mit Turkish Air über Istanbul nach Taschkent. Das Reisebüro in Taschkent (ich habe es zu Hause im Internet gefunden), organisiert für den Transfer vom Flughafen zum Hotel einen Taxifahrer des Vertrauens. Wie in meiner Beschreibung vorgesehen, erscheint er um 23:30 Uhr beim Hotelempfang. Wir fahren die 5 Kilometer zum Flugplatz, dort soll sie um Mitternacht ankommen. Ich möchte den Fahrpreis zum Voraus aushandeln. Der Preis gegenüber der Taxifahrt bei meiner Ankunft beträgt etwa das Dreifache. Der Fahrer lässt aber nicht mit sich reden. Vertrauen und Zuverlässigkeit haben einfach ihren Preis.

Vor dem Eingang des Flugplatzes warte ich mitten in der Allee der Taxifahrer. Die Einreisekontrollen des Flugplatzes müssen streng sein, erst eine halbe Stunde nach Ankunft erscheint meine Dame ganz verschwitzt am Ausgang. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen und die Freude ist gross. Auf dem Heimweg im Taxi erklärt sie den Grund für die Erhitzung: in einem flachen Beutel unter der Bluse bringt sie mir 1500 USD in bar. Doch vor der Personenkontrolle im Flugplatz hing eine grosse Tafel, auf der stand, dass maximal 200 USD eingeführt werden dürfen. Alle Reisenden mussten eine Deklaration der mitgeführten Währungen ausfüllen und dabei hat sie gemogelt. Usbekistan bewirtschaftet seine Währung den „Sum“ und will nicht zu viele ausländische Währungen im Land, mit denen ausserhalb des Systems Geld schwarz gewechselt wird.

Wir erreichen wohlbehalten das Hotel und versinken nach einer Dusche in die saubere, weisse Bettwäsche. Meine Frau wird vier Tage hier bleiben und mich dann weiter ziehen lassen, entlang der Seidenstrasse in Zentralasien. Am Morgen geniessen wir im luxuriösen Speisesaal ein grosszügiges Frühstück in Selbstbedienung. Regula meint: „Du lebst ja hier in Saus und Braus“. Sie will mir nicht glauben, dass das vier-Sterne Hotel das Beste ist, seit ich auf der Reise bin. Während der zwei Monate in China lebte ich in der zwei- und drei-Stern Klasse. Wir geniessen jetzt mehrere Tassen türkischen Kaffee und planen den Tag. In meinem DuMont Reiseführer finde ich einen Stadtplan und wir gehen auf Entdeckungstour.

Gleich vor dem Hotel steht in einem Park das Denkmal Timurs. Er wird heute als grosser Held und als Integrationsfigur des Usbekischen Staates dargestellt.

Ein paar hundert Meter weiter stehen wir vor dem neuen Museum der Timuriden. Eine weite Kuppel im Grün des Propheten zeigt, dass auch heute die Kunst des Kuppelbaus nicht vergessen ist. Für den Eintritt bezahlen wir als Touristen aus dem Westen 8000 Sum, etwa das Zehnfache der Einheimischen. Die Bewilligung zu Fotografieren kostet weitere 5000 Sum (5 USD). Die Eintrittspreise für Touristen werden also nach der Kaufkraft berechnet.

Neues Museum der Timuriden in Taschkent

Der neuere Kuppelbau besteht aus Marmor in verschiedenen Farben, grosse Leuchter hängen von den weitgespannten Decken. Auf drei Etagen ist auf Gemälden das Leben zur Zeit Timurs dargestellt. Die ebenso heldenhaften Nachkommen und die Waffen aus der Zeit beeindrucken. Die Innenansicht der Kuppel des Museums stellt den Himmel des Islams dar. Eisenrüstungen wie Helm, Schild, Schwert und Kettenhemd sind identisch mit denen die ich in Museen von Tunis bis Westchina gesehen habe (mongolisch/türkisch). Monumentale Darstellungen zelebrieren die Bauwerke aus der Zeit der Timuriden. Sogar am Bau des Taj-Mahal in Indien sollen Arkhitekten aus Samarkand und Buchara beteiligt gewesen sein.

Indiens Taj-Mahal: Arkhitekten aus Samarkand

Nach den vielen Eindrücken geniessen wir die kühlende Luft bei den vielen Springbrunnen in den grünen Parks. Alles wird bewässert und die Blumen blühen. Die Jugend ist übermütig und feiert den Frühling. Für mich sind es entspannende Zustände, nach den Monaten in den Wüstenoasen in Chinas Westen.

Zurück im Hotel treffen wir an der Rezeption unseren usbekischen Reiseorganisator Anvar Kodirov von der Firma Advantour. Wir müssen meinen Sitzplatz im Zug vom 19. Mai nach Samarkand reservieren. Wir fahren mit ihm an den Bahnhof, es ist bereits dunkel. Er weiss, wo sich der Reservierungs-Schalter befindet. Vor den Schaltern drängen sich bereits verschiedene Reiseleiter. Kodirov möchte, dass ich das Ticket über ihn in USD bezahle, natürlich zum offiziellen Kurs! (Er könnte dann etwa 40 Prozent mehr Sum lösen). Vom Taxifahrer am Ankunftstag besitze ich aber noch beinahe 100‘000 Sum und möchte damit bezahlen. Die 300 Kilometer lange Bahnfahrt nach Samarkand kostet 32‘634 Sum (32,6 USD, für mich 22,8).

Jetzt sehe ich, wie hier Geld gezählt wird. Diese Kunst muss ein spezielles Fach in der Schule sein: innert weniger Sekunden ist der 2 Zentimeter hohe Stapel Banknoten wie bei einem Zauberer durch die Finger geblättert und der Betrag wird der Schalterbeamtin ausgehändigt. Ich versuche gar nicht zu kontrollieren, es würde viel zu lange dauern. Wir fragen Kodirov noch nach einem guten Restaurant für das Abendessen. Er übergibt uns draussen einem Taxifahrer, er selber möchte jetzt nach Hause.

Das Taxi fährt vorbei an unserem Hotel „Uzbekistan“ in ein Quartier. Wir essen in dem Restaurant Rindfleisch und Pommes, wieder einmal wie zu Hause. Die Rückfahrt ist ein gefährliches Wagnis, wir müssen in der Nacht auf die Strasse stehen und ein Taxi heranwinken. Wird er verstehen, was wir wollen? Doch unser Taxifahrer ist gut ausgebildet, er verstehen gut Englisch: es funktioniert.

In Taschkent am 15. Mai

Heute wollen wir den Baukomplex von „Hazrati Imam“ besuchen. Die Anlage wurde erst vor kurzem neu renoviert. Die blaugrünen Kuppeln des Islams sind überwältigend. In der Anlage befinden sich Bauwerke im timuridischen Kuppelbaustil:

Mausoleum Kaffal Shashi

Medrese Barak-Khan

Medrese Muy Mubarak

Medrese Tilla Sheikh

Bereits im 10. Jh. wurde für den Schriftgelehrten Kaffal Sashi (Hazrati Imam) ein Mausoleum errichtet. Nach der Zerstörung durch die Mongolen, baute Timur die Anlagen im 14. Jh. wieder neu auf. Während der sowjetischen, atheistischen Zeit wurden die Hallen und Familienkrypten als Lagerhäuser verwendet und verfielen.

Die Medrese „Barak-Khan“ wurde im Jahre 1556 erstellt und 1917 in eine Herberge umgewandelt. Ab 1936 wohnten Blinde darin, seit 1950 kümmert sich die ISESCO um diese Gebäude.

Die heutige Regierung Usbekistans treibt mit Hilfe der ISESCO (Islamic Education, Science and Culture Organisation) die Restaurierungen voran.

Teil des Komplexes Hazrati Imam in Taschkent, rechts ein Mensch zum Grössenvergleich

Nicht weit von diesem Komplex steht die Medrese „Muy Mubarak“, sie wurde im 16. Jh. erstellt, mehrmals zerstört und im Jahr 2007 neu aufgebaut. Unter der Kuppel liegt auf einem Pult aus Marmor, als einziges Ausstellungsstück ein frühes Manuskript des Korans, geschrieben auf Hirschleder, im 7. Jh. von Kalif Osman. Der Eroberer Timur hat 1402 dieses Original, aus der Zeit kurz nach Mohammed aus Medina hierher geholt.

Eine weitere Moschee „Tilla Sheikh“ wurde im 19. Jh. errichtet. In der sowjetischen Periode war darin eine Autoreparaturwerkstatt untergebracht, heute ist sie renoviert und erstrahlt in neuem Glanz.

Wir sind überwältigt von der Weite des Vorplatzes, den türkisfarbenen Kuppeln und den filigranen Verzierungen, eine anderen Welt.