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Like a Rolling Stone
Music & Lyrics: Bob Dylan
© Sony/ATV Music Publishing/Benzner Publishing

ISBN: 978-3-8437-0314-7

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© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2012
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Lektorat: Julia Kühn
Satz und eBook bei LVD GmbH, Berlin

Für Malene

Vorwort

Ursprünglich sollte dieses Buch ein Sängerhandbuch werden. Eine Anleitung für alle, die in einem Lied Trost, Ermutigung und Lebensfreude suchen. So, als ginge man pfeifend durch den Wald.

Nun ist es eine Autobiographie geworden. Erinnerungen aus meinem Leben. Lebensspuren, die mir halfen, die eigene Geschichte besser zu verstehen.

Der Weg war nicht immer freiwillig gewählt, oft holprig und steinig, manches Mal durch Zwänge und Ängste versperrt. Aber ich wollte unbedingt über den Zaun hinaus, und die Lieder halfen mir dabei. Sie retteten mir buchstäblich das Leben.

Wenn ich es heute bedenke, ist es doch eher ein Buch der Versöhnung geworden.

Eines, das von einem Jungen erzählt, der lebenslang auf der Flucht vor seiner eigenen Geschichte war und nach Hause fand.

Man vergisst eben nichts, gar nichts. Keine Stimme, kein Gesicht. Nicht die Kindheit, nicht die Fragen, man gewöhnt sich nur daran.

Klaus Hoffmann, 15. März 2012

September

Ich sitze an meinem Schreibtisch, einem spanischen Esstisch aus braunem Holz. Mein Blick folgt den Linien und Kreisen seiner Maserung. Seit Tagen hängt das Vorhaben, mein bisheriges Leben aufzuschreiben, wie eine Wolke über unserem Haus. Mal kommt das Wettermännchen mit dem Regenschirm heraus, mal die nette Frau im Sommerkleid.

Im Moment fühle ich mich wie früher als Schüler vor dem Verteilen der Aufgabenhefte für die bevorstehende Mathearbeit. Ich hoffte damals, das Glück käme und alles Erforderliche klärte sich von selbst, ohne dass ich etwas dazu tun müsste. Leider war es nicht so, ich war ein schlechter Schüler. Die Knef schrieb einmal in einem Lied: »Das Glück kennt nur Minuten.« Ich denke, sie hatte recht damit.

Noch heute glaube ich an das Glück und sehne es mit kindlichen Augen herbei. Als etwas Wunderbares, das irgendwie von selbst geschieht, aber sich auf Dauer nicht halten lässt. Meine Erfahrung lehrte mich, besser man ruft nicht nach ihm, sondern lässt sich überraschen.

Eben ist unten die Tür zugefallen, Malene ist zur Krankengymnastik gefahren, vielleicht auch zu einer Freundin. Ich will mir noch etwas Zeit geben und stöbere in den Dingen, die vor mir auf dem Tisch liegen und mich seit Jahren so freundschaftlich begleitet haben.

Die Manuskripte, Schreibstifte, die kleinen Figürchen, die meine Träume bewachen: der Clown mit dem blauen Akkordeon, der schwarze Diener, die Buddhas aus Sandstein, die auf jede Reise mitmüssen, und der kleine, dicke Mann aus Ton mit schütterem Haar und großen Augen, den Dimitri, der Sohn unserer Freunde aus Athen, für mich erfunden hat.

»Für die Träume, für die Wahrheit, mein Freund.«

Dann natürlich die Fotogalerie meiner Lieben: Mutter mit Hans, ihrem verstorbenen dritten Mann, Malene, auf einer Mauer in Lanzarote, und Laura, meine Tochter, als sie noch frei durch Spanien stromerte, fernab von jedem Leistungsdruck. Daneben zehn, zwölf kleine und große Steine, die mich an die Welt draußen erinnern sollen.

Alles steht hübsch angeordnet auf dem Schreibtisch, ein wenig zu geordnet, wie ich jetzt finde. Aber das gibt mir die Ruhe, die ich in den nächsten Tagen brauchen werde. Viele wichtige Entscheidungen in meinem Leben habe ich am Küchentisch oder an einem Schreibtisch wie diesem getroffen.

Vor meinem Fenster steht eine Linde. Noch ist Spätsommer, die Blätter bewegen sich im Wind. Vielleicht setzt sich ein Baumläufer in das Geäst und zeigt mir, wie man es macht. Ein Vogel, den man nur wahrnimmt, wenn man still bleibt und sich ganz und gar auf ihn einlässt. Ein fixer Vogel, in kurzen Schritten hetzt er den Stamm auf und ab, unermüdlich. Ein Glück, so einen Vogel vor dem Fenster zu erwischen. Heute muss ich allerdings auf ihn warten.

Noch vor ein paar Tagen hatten Malene und ich einem jungen Vogel in die Freiheit geholfen. Er hatte sich in mein Zimmer verirrt und auf allen Manuskripten und Blättern, auf den Stiften, sogar auf dem Bildschirm meines Computers seine Spuren hinterlassen. Ich war verwundert, was ein junger Vogel alles zumisten kann, wenn er in Panik gerät. Nach einer Stunde hatte es Malene geschafft, ihn, ohne ihn zu verletzen, aus dem Fenster zu stupsen. Er flog in die Freiheit hinaus, es war ein schönes Bild.

So wie der Baumläufer bin auch ich angetrieben von einer inneren Unruhe, die mich bewegt und gleichzeitig quält. Als hätte ich nicht genug Lebenszeit zur Verfügung. Vielleicht habe ich auch nichts anderes getan, als versucht, so meiner Einsamkeit zu entfliehen, selten stand ich still. Aber ich bereue es nicht. Die Arbeit auf der Bühne, an den Liedern, die Auftritte, die ganze Gaukelei hat mich bis heute enorm erfüllt und letzten Endes glücklich gemacht. Mit der anderen Welt ging ich da schon geiziger um, zum Glück holte sie mich immer wieder ein.

Vor mir auf dem Tisch liegt die neue CD »Das süße Leben«. Nach wie vor finde ich mich auf Coverfotos schrecklich lieb bis eigenartig fremd. Dabei wollte ich immer eigenartig sein. Das Eigenartige war mir näher als das Beliebige. Aber wenn es dann so weit war und wir mein Konterfei für die Außenwelt verabschiedet hatten, brauchte ich lange, bis ich mich an mein Gesicht gewöhnt hatte.

Als wir in München mit dieser Produktion fertig waren, hatte ich unsere Band in den Gockel geladen. Einen gemütlichen, bayerischen Biergarten, wo wir seit Tagen abendlich abhingen: Stephan Genze, Peter Keiser, Micha Brandt, Hawo Bleich und Berthold Weindorf, unser Toningenieur. Es war schon später Abend, wir tranken Bier aus Eimern und sprachen so wenig wie möglich über Musik. Als wir mit den Schnitzeln durch waren, bestellte ich für alle noch einmal dasselbe, und alle zogen mit. Der Druck ließ endlich nach. Dieser elende, furchtbare, über die Monate anhaltende Leistungsdruck, unbedingt das Beste aus uns herausholen zu wollen. Wir ließen den Kessel pfeifen, aßen und tranken, und alle waren nach ein paar Stunden befreit. Ich war begeistert von uns.

Gegen Mitternacht zogen wir in den Lechner Hof zurück, ein kleines Hotel. Dort feierten wir weiter, hängten sämtliche Bilder in der Lobby um, riefen unsere Freunde an, benahmen uns wie alternde Rockstars und konnten nicht voneinander lassen. Wie man es eben nach der Geburt eines Kindes macht. Stolz, verschwitzt, erschöpft, etwas wirr, aber glücklich.

Nun liegt die neue CD vor mir, und ich weiß nicht, was ich empfinde. Mit den Jahren habe ich widersprüchliche Gefühle unterscheiden gelernt, aber der innere Sensor ist geblieben. Und an diesem letzten Abend schlug er wie verrückt aus.

Es war nicht nur meine Begeisterung für die vollbrachte Arbeit, es war eher eine Mischung aus Traurigkeit und Erleichterung dar­über, die Lieder endlich in die Welt hinauszulassen. Wobei die Traurigkeit überwog. Sie legte sich wie eine große Melancholie auf mein Herz und erzählte von immerwährendem Abschied, diesen inneren Vorgängen, die mir schon als Kind so vertraut waren. Man glaubt als Musiker ohnehin jedes Mal, die letzte Platte zu machen, schon beim Einspielen der ersten Demos.

Wenn ich jetzt in mich hineinhorche, klopft da meine alte Angst an, von den Leuten nicht angenommen zu werden. Sie ist mir vertraut, sie ist immer da, gerade wenn mein Baby in die Welt ­hinaussoll.

Zwei Jahre hatten Hawo Bleich und ich die Lieder vorproduziert. Es fehlten nur noch die Streicher und die Bläser, ich würde noch einmal singen, und wir würden gemeinsam an den Tracks herumwerkeln, dann würden der Mix und die ganze Masterei losgehen, die Zusammenstellung der Lieder, und wir würden gemeinsam alle Titel immer wieder hören, bis endlich die innere Stimme sagt: Es ist genug, mehr geht nicht. Der Weg war ja nun da, wir mussten ihn nur weitergehen.

Dann war Schluss. Wir verabschiedeten uns voneinander. Stephan war der Erste, der auf sein Zimmer wollte, weil er am nächsten Tag einen Termin für seine Schlagzeugklasse in Berlin hatte. Er weckte Micha, der mit seinem Mandolinenkoffer im Arm in der Lobby eingeschlafen war. Peter wollte früh raus und deshalb längst im Bett sein. Er war innerlich bereits auf der Autobahn, zurück in die Schweiz. Seine Bässe hatte er schon am Nachmittag im Auto verstaut. Hawo wollte noch an den Partituren für den nächsten Tag arbeiten. Ich glaube, es war ein Vorwand. Um diese Zeit hing er gewöhnlich vor einer DVD ab, oder er sah sich eine Wiederholung seiner Lieblingssendung »Total daneben« an.

So waren plötzlich alle weg, und als ich das in meinem Hotelzimmer vor dem Fernseher realisierte, kam die Gewissheit: Ich bin allein. Meine Freunde und Vertrauten waren gegangen, die Stille zog ein und kroch mir ins innere Geäst.