Die Autoren

Volker  Klüpfel – Foto © Hans Scherhaufer
Altusried hat einen prominenten Sohn: Kommissar Kluftinger. Volker Klüpfel, Jahrgang 1971, kommt wenigstens aus dem gleichen Ort. Nach dem Abitur zog es ihn in die weite Welt – nach Franken: In Bamberg studierte er Politikwissenschaft und Geschichte. Danach arbeitete er bei einer Zeitung in den USA und stellte beim Bayerischen Rundfunk fest, dass ihm doch eher das Schreiben liegt. Seine letzte Station vor dem Dasein als Schriftsteller war die Feuilletonredaktion der Augsburger Allgemeinen. Die knappe Freizeit verbringt er am liebsten mit seiner Familie, mit der er im Allgäu lebt. Sollte noch etwas Zeit übrig sein, treibt er Sport, fotografiert und spielt Theater. Auf der gleichen Bühne wie Kommissar Kluftinger.
Michael Kobr – Foto © Hans Scherhaufer
Michael Kobr, geboren 1973 in Kempten im Allgäu, studierte in Erlangen ziemlich viele Fächer, aber nur zwei bis zum Schluss: Germanistik und Romanistik. Nach dem Staatsexamen arbeitete er als Realschullehrer. Momentan aber hat er schweren Herzens dem Klassenzimmer den Rücken gekehrt – die Schüler werden’s ihm danken –, um sich dem Schreiben, den ausgedehnten Lesetouren und natürlich seiner Familie widmen zu können. Kobr wohnt mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern im Unterallgäu – und in einem kleinen Häuschen mitten in den Bergen, wo die Kobrs im Winter häufig auf der Skipiste, im Sommer auf Rad- und Bergtouren unterwegs sind. Wenn nicht gerade mal wieder eine gemeinsame Reise ansteht ...

Das Buch

Ein Fehler aus der Vergangenheit lastet schwer auf Kluftinger. Vor über dreißig Jahren wurde eine junge Lehrerin am Funkensonntag an ein Kreuz gefesselt und verbrannt. Der Kommissar hat ihren damaligen Geliebten als Täter überführt – zu Unrecht, wie sich herausgestellt hat. Kluftinger gab ihm vor seinem Tod das Versprechen, den wahren Mörder zu finden. Doch seine Kollegen halten die Beschäftigung mit dem Cold Case für Zeitverschwendung. Nur die neue Mitarbeiterin Lucy Beer unterstützt ihn bei seiner Suche, auch wenn die Teamarbeit mit der selbstbewussten jungen Frau anfangs ziemlich holprig verläuft. Zu Hause steht Kluftinger dagegen erstmals alleine da, weil Doktor Langhammer die angeschlagene Erika von allen häuslichen Arbeiten freistellt – ausgerechnet jetzt, wo die Taufe des Enkelkindes unmittelbar bevorsteht. Der Kommissar muss also wohl oder übel beides machen: Hausmann spielen und einen Mörder finden …

Volker Klüpfel und Michael Kobr

Funkenmord

Kluftingers neuer Fall

Kriminalroman

Ullstein

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www.ullstein.de

ISBN 978-3-8437-2330-5

© 2020 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Autorenfoto: © Jens Oellermann
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- 1 -

»Gleich sind wir da.« Die Stimme der alten Frau hallte durch die klamme Herbstnacht. Mit starrer Miene blickte sie in die Dunkelheit, doch durch den zuckenden Feuerschein der Fackeln wirkte es, als wären ihre Gesichtszüge in ständiger Bewegung. Als kämpfte sie selbst mit den Dämonen, die bei dieser nächtlichen Wanderung heraufbeschworen wurden. »Da hinten ist es passiert. Seid jetzt vorsichtig.«

Angestrengt versuchten ihre Begleiter, in der Schwärze etwas auszumachen, irgendetwas, das ihnen verraten würde, wo genau sich ihr Ziel befand. Einer nahm allen Mut zusammen, holte Luft, doch bevor er etwas sagen konnte, legte die Alte ihren Finger an die Lippen. »Schhhhhhh …«, zischte sie, wobei ihre Spucke in alle Richtungen flog.

Keiner wagte mehr zu sprechen. Alle spürten, dass etwas Unheilvolles in der Luft lag. »Leise, wir wollen nicht, dass uns jemand bemerkt. Los jetzt«, flüsterte die Frau und winkte mit ihrer knochigen Hand. Dann ging sie weiter. Sie machte dabei keinen Laut, setzte ihre Schritte mit traumwandlerischer Sicherheit. Jedem war klar, dass sie nicht zum ersten Mal hier war. Für ihre Begleiter galt das nicht. Auch wenn sie sich Mühe gaben, sich ebenso geräuschlos zu bewegen, rutschten sie immer wieder im feuchten Gras weg und pressten die Lippen zusammen, um nicht aufzuschreien.

Nach einem anstrengenden Marsch bergauf über schmierige Wiesen und matschige Trampelpfade erreichten sie ein kleines Plateau. »Könnt ihr es schon sehen?«, fragte die Frau, und alle kniffen die Augen zusammen, suchten nach einer bestimmten Form, die sich vom Horizont abhob.

»Da!«, rief einer, streckte die Hand aus, nur um sie gleich wieder vor seinen Mund zu halten, erschrocken über seine eigene Lautstärke.

»Nicht so schlimm«, erwiderte die Frau, »hier oben ist niemand mehr, der uns hören könnte.«

Ihre Begleiter wirkten erleichtert und hielten die Fackeln von ihren Gesichtern weg, um besser sehen zu können. In diesem Moment gab eine Wolke den Mond frei, und sein Schein erhellte die Szenerie mit kaltem Licht. Da erblickten sie es. Es sah noch genauso aus wie damals, niemand hatte es seitdem angerührt. Ein Balken, der schwarz aus seinem gegossenen Fundament in die Höhe ragte, wie ein Finger, der anklagend in den Himmel ragte. Auf halber Höhe ging rechtwinklig ein Teil eines weiteren Balkens ab, ebenfalls verkohlt, links nur ein Stummel. Das Gebilde wirkte wie die Verhöhnung eines Kreuzes. Einst war es ein stolzes Fanal des Glaubens gewesen, das man von weit her sehen konnte. Bis zu dem verhängnisvollen Tag vor gut fünfunddreißig Jahren, an dem dieses Symbol christlicher Werte ins Gegenteil verkehrt wurde.

»Der Tag, an dem Karin Kruse starb …«, raunte die Stimme der Alten, während sie entschlossen auf das Kreuz zuschritt. Die anderen blickten sich unsicher an und folgten ihr zögernd. »… war der zwanzigste Februar 1985.«

»Funkensonntag«, keuchte eine Frau.

Die Alte nickte. »Ja. Das letzte Funkenfeuer, das jemals in Altusried gebrannt hat. Aus gutem Grund.« Mit einer ausladenden Geste zeigte sie auf das verbrannte Holz. Die Gruppe nickte eifrig. Deswegen waren sie alle hier. »Als Karin Kruse hier ihr Leben auf die schrecklichste Art und Weise aushauchte, ans Kreuz gebunden wie eine zum Tode verurteilte Sünderin, tobte unten im Ort das Leben, die Blaskapelle spielte, und das Funkenfeuer brannte. Das Feuer, mit dem man die Dämonen des Winters austreibt. Dabei waren sie längst hier oben zugange.« Sie sah einen nach dem anderen an und machte eine lange Pause, bevor sie fortfuhr: »Doch dann bemerkte einer der Besucher, dass der Funken nicht das einzige Feuer war. Sah, dass hier oben das Kreuz in Flammen stand. Und dieser Mann ist heute hier …«

Die Umstehenden sogen erschrocken die Luft ein, als sich aus dem Schatten hinter dem Kreuz eine Gestalt löste und auf sie zuschritt, bis sein Gesicht vom Schein der Fackeln erleuchtet wurde.

»Vatter?«

Kluftinger biss sich auf die Zunge. Er hatte nichts sagen, sich diskret im Hintergrund halten wollen und war ja auch unerkannt bis hier oben gekommen. Doch damit hatte er nicht gerechnet.

»Bub?«, entfuhr es der Gestalt.

»Nazi?«, zischte die Alte.

»Frau Rimmele, so nennt mich eigentlich niemand mehr«, protestierte Kluftinger. Nur die Alten, die mich noch von früher kennen, fügte er in Gedanken hinzu.

Die Frau wandte sich nun an den Mann, den sie gerade so wirkungsvoll hatte erscheinen lassen. »Hast du gewusst, dass dein Bub meine Führung hier stören will?«

»Stören? Aber ich wollt ja gar nicht …«

»Das ist alles legal hier, nur dass du’s weißt, Nazi.«

»Frau Rimmele, ich heiß nicht … sagen Sie wenigstens Bertel.«

»Ich hab das als Gewerbe angemeldet, und wir sind hier auf öffentlichem Grund.«

Kluftinger senior nickte. »Das stimmt, Adi, es waren sogar schon Gemeinderatsmitglieder mit dabei. Und dass wir ein bissle über die Felder von den Bauern hier schleichen, ist ja nur, weil es so ein Umweg wär, wenn wir hinten über die Straße müssten, und oft sind ja die Leut nicht so gut zu Fuß, und da …«

»Oft? Vatter, du willst sagen, du machst das nicht zum ersten Mal?«

»Ja, dein alter Herr ist unser Experte, schließlich hat er damals die ganze Sache entdeckt und war als Erster am Tatort«, mischte sich die Rimmele ein, deren Tonfall von geheimnisvoll zu angriffslustig wechselte.

»Du hast …?« Kluftinger hielt mitten im Satz inne, als er sah, wie die Blicke der übrigen Teilnehmer dieser Gruselnachtführung zum echten Mordschauplatz, wie sie Regine Rimmele annonciert hatte, zwischen den Kontrahenten hin und her flogen. »Egal jetzt, darüber reden wir später.«

»Wie hast du dich überhaupt hier reingeschlichen, Nazi? Hab dich nicht auf meiner Liste«, wollte die Führerin wissen.

»Doch, ich hab regulär gebucht. Nur nicht direkt unter meinem Namen«, erwiderte er kleinlaut. »Aber ich hab bezahlt.« Dieses Argument schien die Alte zu besänftigen.

»Dann passt’s ja. Können wir also weitermachen. Schadet ja nix, wenn dein Assistent von damals auch dabei ist«, sagte sie in Richtung von Kluftingers Vater.

Der Kommissar schluckte auch diese Verdrehung der Tatsachen unkommentiert hinunter. Zwar war er es gewesen, der damals das brennende Kreuz bemerkt hatte und gegen Anraten seines Vaters, des Dorfpolizisten, hierhergefahren war. Er hatte die Leiche entdeckt und den Tatort gesichert. Aber das war nichts, was er in diesem Kreis richtigstellen musste. Und nichts, worauf er stolz war. Denn auch wenn der Fall den Grundstein zu seiner Karriere bei der Kriminalpolizei gelegt hatte, auch wenn er als einfacher Streifenpolizist maßgeblich an der Aufklärung eines der spektakulärsten Verbrechen der letzten Jahrzehnte hier in Bayern beteiligt gewesen war: Inzwischen verfluchte er den Tag. Er war sich längst sicher, dass der Täter, der für diesen schrecklichen Mord lange hinter Gittern gesessen hatte und mittlerweile nicht mehr am Leben war, der Falsche gewesen war. Allerdings stand er mit seiner Meinung ziemlich allein da, wie unter anderem sein Vater bewies, der nun fortfuhr: »Also, wer hier was gesehen hat, ist ja wurscht, wichtig ist nur, dass wir den Mörder Harald Mendler innerhalb kürzester Zeit dingfest gemacht haben.«

Die Teilnehmer der Führung schauten Kluftinger senior enttäuscht an. Sie hatten offenbar mit einer etwas spannenderen Geschichte gerechnet. So wie Frau Rimmele: »Was soll das? Das ist doch nicht der vereinbarte Text«, zischte sie. »Was ist aus In der unheilvollen Nacht lag der Geruch verkohlten Fleisches wie eine teuflische Wolke über der Szenerie geworden, hm?«

Kluftingers Vater blickte unsicher zwischen Frau Rimmele und seinem Sohn hin und her. »Ja, mei, das ist vielleicht schon arg blumig ausgedrückt.«

»Das hast du dir doch überlegt«, unterbrach ihn die Rimmele, die nun kaum noch bemüht war, ihren Zorn über den Fortgang der Führung zu verbergen.

»Ja, aber …«

»Nix aber«, flüsterte sie noch, dann fuhr sie mit gespreizter Stimme fort: »Als Sie damals hierhergekommen sind, an den Ort des Verbrechens, als Sie die toten Augen der blutjungen Karin Kruse erblickt haben, erleuchtet vom alles verzehrenden Feuer, was ging da in Ihnen vor?«

Jetzt waren die Fackelträger um sie herum wieder ganz Ohr. Das war offenbar der Ton, der ihre Aufmerksamkeit erregte.

»Tote Augen? Mei, also die Augen hab ich jetzt gar nicht so genau …«

»Aber Sie waren doch der Leiter dieser bemerkenswerten Polizeiaktion«, raunte die Rimmele mit Blick auf ihre Kunden.

Jetzt fand langsam auch Kluftinger Gefallen an der Führung. Sosehr es ihm auch zuwider war, wie hier die Tragödie vom gewaltsamen Tod eines Menschen als Touristenattraktion verkauft wurde, sosehr es ihn auch schockierte, dass ausgerechnet sein Vater bei dieser Sache mitmachte – es bereitete ihm ein trotziges Vergnügen, dabei zuzusehen, wie er sich wand, wie er seine Rolle, die er normalerweise wohl stark überhöht darstellte, im Beisein seines Sohnes herunterspielen wollte.

»Leiter, na ja, ich war … wir waren … sind bei der Polizei eine Mannschaft, jeder ist wichtig, da kann sich keiner …«

»Das ist nur, weil du heut dabei bist«, giftete die Rimmele Richtung Kluftinger. »Dein Vater erzählt es sonst immer ganz anders.«

»Anders nicht direkt«, berichtigte sein Vater, »ich schildere sonst auch nur grob, wie ich es noch in Erinnerung hab. Ist ja schon sehr lang her.«

»Vielleicht übernehm ich heut besser mal«, beschloss die Alte und wandte sich nun wieder an ihre irritiert dreinblickenden Zuhörer. »Der Mordfall war zwar rätselhaft und von ungeheurer Grausamkeit, doch der meuchlerische Mörder konnte sich nicht lange unter der Dorfbevölkerung verstecken. Er wurde gefasst von …« Sie machte eine Pause, blickte zwischen Kluftinger senior und junior hin und her und fuhr fort: »… von der Polizei, weil er mehrere entscheidende Fehler begangen hat. Der schlimmste davon aber war, dass er sich überhaupt mit dem Opfer eingelassen hat. Intim, wenn Sie wissen, was ich meine. Obwohl er da nicht der Einzige war, wer wüsste das besser als ich. Karin Kruse hat nämlich bei mir gewohnt.«

Ein ehrfürchtiges Raunen ging durch die Menge.

»Aber dazu später mehr. Jedenfalls ist ihr Liebhaber und Mörder Harald Mendler, genannt Harry, weggesperrt worden und inzwischen sowieso tot, hat also seine gerechte Strafe gleich doppelt gekriegt. Und das alles dank diesem Mann.« Sie zeigte nun doch auf den Kommissar.

Alle Köpfe wandten sich ihm zu, er spürte die Blicke auf sich. Anerkennende, bewundernde, dankbare Blicke. Doch Kluftinger fühlte, wie die Wut in ihm hochkochte. »Frau Rimmele, Vatter … Sie alle hier, Sie haben keine Ahnung, was damals wirklich passiert ist. Und stapfen hier rum, als wäre das Ganze eine Jahrmarktsattraktion. Hier ist ein Mensch bestialisch ermordet worden. Wer weiß, vielleicht hat die junge Frau sogar noch gelebt, als das Feuer sie ergriffen hat. Hat gesehen, wie ihre Haut von der Hitze verschmurgelt wurde, wie sie aufgeplatzt ist. Unfassbare Schmerzen müssen das gewesen sein. Und wissen Sie was: Der Mendler, der für diese Tat ins Gefängnis gegangen ist, war, wie wir heute wissen, gar nicht der Täter. Der wahre Mörder ist nie gefasst worden. Er lebt wahrscheinlich noch, läuft frei rum. Womöglich hier im Ort. Vielleicht ist es einer von Ihnen? Vielleicht wartet er nur darauf, einen weiteren Menschen hier oben ans Kreuz binden zu können …«

»Bub, jetzt reiß dich mal zusammen!«

Der Schrei seines Vaters brachte Kluftinger wieder zur Besinnung. Er hatte die Kontrolle verloren. Hatte versucht, den Menschen Angst zu machen, auch wenn er dafür die Wahrheit ein bisschen ausgeschmückt hatte. Und das mit Erfolg. Die meisten machten auf dem Absatz kehrt und rannten den Abhang hinunter Richtung Dorf, einige stolperten, fielen hin, rappelten sich wieder auf und liefen weiter, bis nur noch der Schein ihrer wippenden Fackeln zu sehen war. Nur drei waren geblieben. Sie dachten offenbar, das Ganze gehöre zum Programm. Einer applaudierte sogar.

Der Kommissar keuchte verächtlich. Eine Weile sagte niemand etwas, dann ergriff die Rimmele wieder das Wort. »Ja, so war das damals also. Ich bringe Sie jetzt zurück. Wer möchte, kann noch mit zu mir kommen, gegen eine kleine Extra-Gebühr kann ich Ihnen ein paar persönliche Gegenstände des Mordopfers zeigen, die nicht einmal die Polizei zu sehen bekommen hat. Und Sie können sogar im Zimmer der toten Karin Kruse übernachten, wenn Sie möchten. In der Original-Einrichtung von damals.«

Kluftinger schüttelte den Kopf und wandte sich ab. Die Alte war nicht zu bekehren. Er ging in Richtung Straße, auch seinen Vater ließ er stehen.

Frau Rimmele rief ihm aufgeregt hinterher: »Wenn du mir das Geschäft versaust und bei TripAdvisor eine schlechte Bewertung schreibst, schmeiß ich deinen Vater raus.«

»Also bitte, Regine, das geht jetzt zu weit«, protestierte Kluftinger senior.

Der Kommissar hörte gar nicht mehr hin. Er wollte nur weg von hier. Wahrscheinlich war es doch keine so gute Idee gewesen, die Führung mitzumachen. Was hatte er sich überhaupt davon versprochen? Hatte er geglaubt, etwas Neues zu erfahren? Wohl kaum. Wahrscheinlich hatte er dasselbe gewollt wie die anderen Teilnehmer: die Atmosphäre hier oben spüren, noch einmal nachvollziehen, wie es damals gewesen war. Er hatte sich erhofft, der Sache so wieder näher zu kommen. Denn er musste ein Versprechen einlösen, das er Harald Mendler im Moment seines Todes gegeben hatte: das Versprechen, den wahren Mörder zu finden.

»Wart, Adi!«, rief sein Vater ihm zu.

Kluftinger drehte sich um und sah, wie er, erstaunlich behände für seine achtzig Jahre, über die matschige Wiese lief. Nun tat es ihm fast leid, dass er sich so aufgeregt hatte. Vielleicht suchte sein Vater einfach nach einer Beschäftigung, die seinen Seniorenalltag interessanter machte. Er hatte sich schon zu lange nicht mehr richtig mit ihm unterhalten. Das wollte er ändern. Wie schnell ging es manchmal im Leben, dass jemand, der einem nahestand, plötzlich nicht mehr da war. So wie sein Kollege Eugen Strobl. Kluftinger wollte sich, wenn es bei seinem Vater so weit war, nicht vorwerfen müssen, zu wenig Zeit mit ihm verbracht zu haben. Als Kluftinger senior zu ihm aufgeschlossen hatte, legte der Kommissar seinem Vater freundschaftlich die Hand auf die Schulter, wie es sein Vater früher immer bei ihm getan hatte. Er wollte gerade etwas Versöhnliches sagen, da rief die Rimmele vom Kreuz zu ihnen herunter: »Vergiss nicht übermorgen unseren Termin bei der Führung zum Milchgeld-Fall, gell?«

- 2 -

Kluftinger schob seinen Vater aus dem Wohnzimmer auf den Balkon. Auch wenn es zugig war an diesem Abend: Sie hatten etwas zu besprechen. Dringend. Allein. Seiner Frau ging es gerade nicht sonderlich gut, sie litt immer wieder unter starken Kopfschmerzen und hatte sich ein wenig auf die Couch gelegt. Und seine Mutter brauchte Kluftinger ebenfalls nicht als Zuhörerin. Schon in seiner Kindheit hatte sie mit ihrem übertriebenen Harmoniebedürfnis Auseinandersetzungen gerne verhindert. Aber das war genau, was er jetzt wollte: eine Auseinandersetzung. Er zog die Glastür hinter sich zu.

»Also ehrlich, Vatter, das geht zu weit! Du warst immerhin mal Polizist, vergiss das nicht.«

Kluftinger sah seinem alten Herrn das schlechte Gewissen an. Ob wegen seiner Beteiligung an der Führung oder weil er diese seinem Sohn bislang verheimlicht hatte, wusste er nicht. Wahrscheinlich hatte er sie ja gerade deshalb geheim gehalten, weil er kein gutes Gefühl dabei hatte. Eigentlich hatte der Kommissar einen versöhnlicheren Ton anschlagen wollen, doch nachdem er mitbekommen hatte, dass sein Vater weitere Stationen seiner Polizeikarriere gewinnbringend ausschlachtete, hatte er es sich anders überlegt.

»Vergiss du mal lieber nicht, dass du immer noch ein Polizist bist!«, blaffte der Senior jetzt zurück.

»Was soll denn das heißen, hm?« Sein Vater war der unangefochtene Retourkutschenkönig, eine Eigenschaft, die Diskussionen mit ihm ungeheuer schwer machte.

»Wenn du deinen Beruf ernst nehmen würdest, müsstest du dich nicht abends auf Krimi-Führungen rumschleichen und die Leute belauschen!«

Jetzt platzte dem Kommissar der Kragen. »Du lässt dich bei dieser Leichenfledderei vor den Karren spannen und willst mir vorwerfen, dass ich lausche?«, fragte er aufgebracht. Dabei hatte er sich fest vorgenommen, nicht laut zu werden.

»Die Leut sind zufrieden mit mir, es gibt jedes Mal ein gutes Trinkgeld.«

»Das rechtfertigt doch nicht, dass …«

»Schluss jetzt mit eurer Streiterei, ich kann das nimmer hören.« Hedwig Maria Kluftinger stand auf einmal im Türrahmen. »Kommt’s jetzt mal rein, das ist ja viel zu kalt heut. Der Vatter schnarcht wegen seiner Bronchitis eh schon jede Nacht wie ein ganzes Sägewerk.«

»Da redet die Richtige.«

»Wenn du für jede Retourkutsche fünf Euro an einen guten Zweck spenden würdest, wärst du schon längst Träger des Bundesverdienstkreuzes am Band«, ätzte Kluftinger.

»Aufhören, sag ich. Und reinkommen.«

»Mutter, ich bin extra raus, damit die Erika Ruhe hat und sich nicht noch zusätzlich aufregt. Außerdem geht das nur den Vatter und mich was an.«

Doch seine Mutter zuckte nur mit den Schultern. »Wenn man jetzt schon nicht mehr miteinander reden darf, bloß weil jemand mal ein bissle Kopfweh hat …«, murmelte sie.

»Die Mutter hat schon recht, wir gehen rein«, schloss sich sein Vater an und betrat das Wohnzimmer.

Der Kommissar folgte ihm und warf einen Blick auf Erika: Sie lag in eine Wolldecke eingerollt auf dem Sofa und ließ einen tiefen Seufzer vernehmen, als sie realisierte, dass das Gespräch nun in ihrem Beisein fortgesetzt werden würde.

»Warum hast du mir das mit den Führungen eigentlich immer verheimlicht, wenn du findest, dass nix dabei ist? Hm, Vatter?«

»Verheimlicht, was soll denn das heißen? Es kam halt nie direkt das Gespräch drauf. Und ich mach das ja erst seit fünf Jahren.«

»Fünf? Ich mein: Jahre?« Ein weiteres Stöhnen vom Sofa zeigte Kluftinger, dass er wieder zu laut geworden war.

»Meine Güte, lass doch dem Vatter seinen Spaß«, mischte sich Hedwig Maria ein. »War doch immer nett, wenn ich sonntagabends zu euch gekommen bin, oder?«

»Moment: Du warst bloß bei uns, weil der Vatter seinem zwielichtigen Hobby nachgegangen ist?«

»Von wegen Hobby, der bringt immer schönes Geld mit heim.«

»Und von wegen zwielichtig«, echauffierte sich sein Vater.

»Müsst ihr so brüllen?«, stöhnte Erika.

»’tschuldigung«, zischte Kluftinger, während seine Mutter demonstrativ mit den Augen rollte. »Also, Vatter, du als Polizist …«

»Bin doch gar keiner mehr!«

Kluftinger atmete tief ein. »Ex-Polizist, dreh mir nicht jedes Wort im Mund um.«

»Du musst grad reden.«

»Wenn du was über meine aktuellen Fälle wissen willst, betonst du auch immer, dass ich dir das schon sagen kann, weil du ja immer Polizist bleiben wirst.«

»Das ist was anderes.«

»Braucht ihr Geld? Könnt ihr doch uns fragen. Allerdings möcht ich schon wissen, wozu. Ihr gebt doch eh nix aus von der ganzen Pension.«

Hedwig Kluftinger stemmte die Hände in die Hüften: »Geht doch alles in dein Erbe. Und wir können dir hin und wieder was zustecken. Hast es schließlich auch nicht leicht. Als Alleinverdiener mit so einer großen Familie.«

Da meldete sich Erika zu Wort. »Große Familie? Seit wann jetzt das? Wir haben einen Sohn, der noch dazu erwachsen ist.«

Alle Blicke gingen zur Couch. »Schon, aber das Enkele …«, schob Hedwig Maria nach. Dann schaute sie ihren Mann auffordernd an.

»Jaja, gar nicht so einfach, mit einem Beamtengehalt«, erklärte der pflichtschuldig. »Ich kann ein Lied davon singen. Meine Frau hat schließlich auch keinen Pfennig mehr heimgebracht, seit du auf der Welt bist.«

»Der Adi war auch ein spezielles Kind, das sehr viel Fürsorge und Zuwendung gebraucht hat«, rechtfertigte sich seine Mutter.

»Die braucht er immer noch, euer Adi, da ist kein Platz mehr für einen Beruf«, brummte Erika und drehte sich weg.

»Ja, stimmt, die bräucht er eigentlich immer noch.« Hedwig Kluftinger betrachtete kopfschüttelnd ihre Schwiegertochter auf dem Sofa.

»Mutter, das hört sich ja an, als wär ich irgendwie minderbemittelt«, schimpfte der Kommissar.

Sein Vater sagte mit verschmitztem Lächeln: »Mei, die einen sagen so, die anderen so.«

»Mit so was macht man keinen Spaß«, konterte Hedwig Maria empört.

Erika seufzte. »Habt ihr’s dann?«

»Warum ist sie denn gar so empfindlich?«, flüsterte Hedwig Maria ihrem Sohn zu.

Um nicht noch mehr Staub aufzuwirbeln, drängte Kluftinger seine Eltern aus dem Wohnzimmer in den Hausgang.

»Jetzt sag schon, Bub, was hat sie denn? Depressionen? Da muss man aufpassen, gell? Magst mal unsere Therapieleuchte gegen Lichtmangel ausleihen? Die hilft deinem Vater auch immer, wenn er besonders grantig ist.«

Kluftinger senior zuckte mit den Achseln.

»Was sie hat?« Der Kommissar atmete tief ein. Natürlich konnte er sich zusammenreimen, warum es Erika nicht gut ging: Vor ein paar Wochen hatte sein bislang persönlichster Fall seine ganze Familie in ihren Grundfesten erschüttert. Man hatte Todesanzeigen und Sterbebildchen von ihm verbreitet, ein Grab mit seinem Namen aufgeschüttet, auf ihn geschossen – und dabei seinen langjährigen Freund und Kollegen Eugen Strobl tödlich getroffen.

Schließlich hatten ihn zwei Unbekannte im Wald überfallen und waren geflüchtet, was ihn und das gesamte Kommissariat noch immer auf Trab hielt.

»Muss doch einen Grund haben, dass sie so rumhängt«, bohrte seine Mutter nach.

»Jetzt überleg halt. Die Erika hat das Ganze mehr mitgenommen als uns alle.«

Hedwig Maria schaute ihn ungläubig an. »Wie bitte? Du bist doch überfallen worden, auf dich haben sie geschossen! Du hast immer noch Verletzungen.«

Er griff sich an die schmerzende Schulter, seine Mutter strich ihm über seine Kopfwunde. »Lass, Mama.« Er wischte ihre Hand weg. »Die Erika hat jetzt öfter Migräne, sagt sie.«

»Kopfweh hat doch jeder mal …«

Tatsächlich hatte sich Kluftinger das auch schon gedacht.

»Du müsstest das doch verstehen, Hedwig«, mischte sich sein Vater ein. »Hast doch auch immer Migräne, wenn ich mal …«

»Vatter, das möchte jetzt keiner so genau wissen«, unterbrach ihn sein Sohn. Über das Thema, das sein Vater da vermutlich anschnitt, wollte er mit seinen Eltern nun wirklich nicht reden. »Wir müssten uns noch mal über den Mordfall Karin Kruse unterhalten«, erklärte der Kommissar, um das unangenehme Thema ein für alle Mal vom Tisch zu haben.

»Ja, macht das mal, ihr zwei, und ich kümmer mich um die Spülmaschine. In der Küche schaut’s ja schlimm aus.«

»Mutter lass doch, das kann ich nachher einräumen.«

»So weit kommt’s noch, dass du dich um so was kümmern musst!«


Kurz darauf saßen Kluftinger und sein Vater am Esstisch. Beide hatten sich ein Bier eingeschenkt. Aus der Küche drang leises Geschirrklappern. Erika war auf dem Sofa eingeschlafen, weshalb der Kommissar sich bemühte, leise zu sprechen. »Also, Vatter, was den alten Fall angeht …«

»… da hab ich kaum was mitbekommen, mich hat man ja nicht in die Kripo berufen, seinerzeit. War ja immer bloß ein einfacher Dorfpolizist.«

»Und was posaunst du dann bei den Führungen so raus?«

Der Vater winkte ab. »Da wird nix posaunt. Sind nur Sachen, die man im Ort eh weiß.«

»So? Was denn?«

»Na ja, der Mord, das Kreuz, der Mendler – das ist dir doch alles bekannt.«

»Aber ich weiß nicht, warum die Leute mit einer Gruselführerin und einem abgehalfterten Polizisten immer wieder zum Tatort pilgern.«

»Dir geb ich gleich abgehalftert, Bürschle!« Kluftinger senior drohte seinem Sohn mit dem Zeigefinger. »Das war einfach eine spektakuläre Sache, damals. Der ganze Ort hat das brennende Kreuz gesehen – und dass es noch immer dasteht, sagt ja auch einiges. Traut sich keiner ran. Viele sehen das als Schandmal.«

»Mir wär lieber, sie würden es als Mahnmal sehen.«

Kluftinger senior zuckte mit den Achseln. »Die Leut können doch auch nix dafür. Brauchst übrigens nicht meinen, dass du bei den Führungen schlecht wegkommst. Ich erzähl immer, dass du den Mendler durch deine geschickte Befragung überführt hast.«

»Umso schlimmer!«

»Er hat seine gerechte Strafe bekommen.«

Kluftinger atmete tief ein. »Das glaub ich eben nicht. Ich bin überzeugt, dass der Mendler damals zu Unrecht verurteilt worden ist. Wegen mir.«

»Überschätz dich mal nicht. Nicht du hast ihn verurteilt, sondern ein ordentliches deutsches Gericht.«

»Ja, weil ich ihn in ein Geständnis getrieben hab, das er danach widerrufen hat.«

»Getrieben? Geständnis ist Geständnis! Sei doch stolz, das war dein erster großer Fall. Hat deine Karriere richtig zum Laufen gebracht.«

»Darauf bin ich nicht stolz, im Gegenteil. Und es ist nix, womit du jetzt auch noch angeben musst.«

»Also, über den Vatter kann man ja vieles sagen, aber dass er ein Angeber wär, wirklich nicht.« Kluftingers Mutter streckte ihren Kopf zur Tür herein. Sie schaute zum Sofa, um sicherzugehen, dass ihre Schwiegertochter noch schlief, dann fuhr sie fort: »Du hast noch gar nix gegessen heut Abend. Soll ich dir schnell was richten?«

»Danke, Mutter, ich mach mir dann schon was.«

Kopfschüttelnd zog sie die Tür wieder zu.

Sein Vater seufzte. »Meinst du wirklich, dass der Mendler nicht der Täter war?«

»Ja, mein ich. Er hat mir im Wald das Versprechen abgenommen, dass ich den oder die Schuldigen finde.«

»Ein Versprechen, das man einem Verbrecher gibt, zählt nicht.«

»Verbrecher vielleicht. Aber er war kein Mörder.«

»Der hat doch gelogen.«

»Warum hätte er das in seinen letzten Sekunden tun sollen?«

»Aus Rache. Hast du darüber mal nachgedacht?«

»Und wer sollte mich im Wald überfallen haben, wenn nicht die echten Täter von damals? Aus Angst, dass alles wieder aufgerollt wird?«

Kluftingers Vater hob beschwörend die Hand. »Mei, Bub, ich kann bloß sagen: Ich tät’s nicht.«

»Was?«

»Alles wieder aufrollen. Schau, das versetzt das ganze Dorf in Aufruhr. Und außerdem bringt es dich bloß in Verruf, wenn rauskommt, dass du damals … also … dass das mit dem Geständnis vielleicht doch nicht so gut war.«

»Aha, glaubst du es also auch.«

»Das hab ich nicht gesagt. Aber dein Ruf ist bisher tadellos, zumindest beruflich, und irgendwas bleibt doch immer hängen. Dann reden die Leut über dich.«

»Das tun sie so oder so.«

»Aber dann machen die dich schlecht. Unsere ganze Familie.«

»Drum will ich ja den richtigen Täter finden. Die Wahrheit muss ans Licht. Komm, das war doch auch immer dein Motto.«

»Motto, Motto! Man muss nicht immer in alten Sachen wühlen. Da wirbelt man bloß jede Menge Dreck auf. Dreck, der die Leut krank macht.«

Der Kommissar schüttelte den Kopf. »Was haben wir damals falsch gemacht? In was hab ich mich verrannt?«

»Verrannt? Das tust du jetzt, mit dieser fixen Idee! Schau, die Kruse macht niemand mehr lebendig, der Mendler ist tot …«

»Und der Täter läuft frei rum. Vielleicht verkauft er uns jeden Tag unsere Semmeln.«

»Der Dedler?« Kluftinger senior dachte kurz nach. »Meinst du … ach, Himmel, du machst mich auch schon ganz verrückt. Lass den Bäcker aus dem Spiel, Bub! Bei dem Schmarrn mit den alten Fällen, da ist noch nie was rausgekommen.«

»Das stimmt doch gar nicht. Aber egal. Also, überleg noch mal, wo könnt ich ansetzen? Was hab ich übersehen?«

»Mein Gott, frag doch deinen ehemaligen Chef und Vorgänger, den alten Hefele. Der hat doch eh immer so große Stücke auf dich gehalten.«

Kluftinger sah ihn mit großen Augen an. »Gute Idee, Vatter!«

»Brauchst mich nicht veräppeln, nur weil ich nicht bei der Kripo war.«

»Nein, ich mein’s ernst. Den Alten hab ich gar nicht mehr auf dem Zettel gehabt.« Er klopfte seinem Vater auf die Schulter.

»Ja, ja, manchmal haben wir doch noch einen Rat für euch Junge.«

»Erstens bin ich beileibe nicht mehr jung, zweitens kannst du einfach nichts unkommentiert lassen.«

»Von irgendjemandem musst du es ja geerbt haben.«

»Ich geb auf.«


»Sagst der Erika noch einen schönen Gruß, wenn sie schon nicht selber auf Wiedersehen sagen kann. Sie müsst doch allmählich ausgeruht sein.«

»Mutter, sie schläft halt. Und sie hat euch ja schon hunderttausendmal verabschiedet, da wird es auf dieses eine Mal nicht ankommen, oder?«

Während sein Vater sich noch anzog, stand seine Mutter bereits in der offenen Haustür. »Hast du das Geld von der Rimmele in den Geldbeutel gesteckt? Nicht dass es wieder ewig in der Manteltasche rumfährt.«

Reflexartig griff Kluftinger senior in seine Tasche. »Zefix, das Geld hab ich in der Eile ganz vergessen!«

Hedwig Maria Kluftinger schüttelte genervt den Kopf. »Wo bist bloß immer mit deinen Gedanken! So was vergisst man doch nicht.«

Der Vater zog die Schultern hoch. »Weil der Bub so einen Wind gemacht hat, hab ich …«

»Immer sind die anderen schuld«, fuhr ihm seine Frau in die Parade. »Denk bloß dran, beim nächsten Mal. Die Rimmele ist imstand und unterschlägt deinen Lohn.«

Kluftinger musste grinsen, was der Mutter nicht entging.

»Brauchst gar nicht so lachen, das Geld fehlt dann dir und dem Enkel. So, und jetzt machst schön Brotzeit, ich hab dir was zusammengerichtet, nicht dass du es am Ende noch selber machen musst.«


Fünf Minuten später hatte er die stattliche, mit Tomaten und Gürkchen verzierte Wurst- und Käseplatte, die seine Mutter angerichtet hatte, auf dem Esstisch drapiert, Brotzeitbrettchen und Besteck bereitgelegt und Gläser aus dem Schrank geholt.

»Erika, komm essen!«, flötete er zum Sofa hinüber.

Seine Frau schlug müde die Augen auf und drehte sich auf die andere Seite. »Ich bring glaub nix runter heut«, murmelte
sie.

»Aber ich hab extra ein bissle was gerichtet, schön auf der Platte, so wie du es magst. Setz dich doch wenigstens zu mir.«

»Lieb von dir, Butzele, aber es geht heut nicht. Morgen wieder. Versprochen.«

»Dann halt nicht.« Der Kommissar konnte seine Enttäuschung kaum verbergen. Zu gern hätte er mit der Brotzeitplatte seiner Mutter bei Erika gepunktet und vielleicht auch den Hauch eines schlechten Gewissens bei ihr erzeugt. Schließlich war er derjenige, der am meisten unter den Ereignissen der letzten Wochen zu leiden gehabt hatte, da hatte seine Mutter schon recht. »Erhol dich gescheit, ist die Hauptsache. Damit du morgen fit bist. Da ist ja Musikprobe, und danach machst du wieder Kässpatzen, oder? Erika?«

Als Antwort kam von seiner Frau nur ein leises Schnarchen.