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Aus dem Amerikanischen von Christina Kagerer
© Elle Kennedy 2019
Titel der amerikanischen Orginalausgabe:
»The Play«, Elle Kennedy Inc., 2019
Deutschsprachige Ausgabe:
© Piper Verlag GmbH, München 2020
Covergestaltung: zero-media.net, München
Covermotiv: FinePic®, München
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Die Party ist der Hammer.
Vielleicht hätte ich besser zu Hause bleiben sollen, aber zurzeit fühlt es sich dort so an wie am Set einer Realityshow der Kardashians. Dank meiner drei weiblichen Mitbewohnerinnen herrscht in unserem Apartment ein Östrogen-Überschuss.
Okay, hier im Verbindungshaus der Theta Beta Nu mangelt es auch nicht gerade an weiblichen Hormonen, aber zu den Frauen hier darf ich mich wenigstens hingezogen fühlen. Meine Mitbewohnerinnen sind alle in einer festen Beziehung, also darf ich sie nicht anfassen.
Du darfst auch diese Frauen hier nicht anfassen …
Das stimmt. Wegen meines selbst auferlegten Zölibats darf ich überhaupt keiner Frau näherkommen. Punkt.
Ich lege die Finger um das Bierglas, das mein Freund und Teamkollege Matt Anderson mir gerade in die Hand gedrückt hat. »Danke«, murmle ich.
Ich nehme einen Schluck und verziehe das Gesicht. Das Bier schmeckt wie Wasser, was allerdings vielleicht gar nicht so schlecht ist. Ein Ansporn, nicht mehr als eins zu trinken. Das Eishockeytraining fängt morgen zwar nicht vor zehn Uhr an, aber ich wollte ein paar Stunden früher in der Arena sein, um an meinem Slapshot zu arbeiten.
Nach dem katastrophalen Ende der letzten Saison habe ich mir geschworen, Eishockey zu meiner obersten Priorität zu machen. Am Montag fängt das neue Semester an, nächste Woche ist unser erstes Spiel, und ich bin motiviert. Briar hat es letztes Jahr nicht in die nationale Meisterschaft geschafft, und das geht auf meine Kappe. Diese Saison wird anders.
»Wie findest du sie?« Matt weist diskret mit dem Kopf in Richtung einer süßen Brünetten mit kurzen Boxershorts und einem hellrosa Satinhemdchen. Sie hat keinen BH an, und die Umrisse ihrer Nippel sind unter dem dünnen Stoff deutlich zu erkennen.
Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.
Habe ich erwähnt, dass das hier eine Pyjamaparty ist? Ja, genau, ich hatte seit fast fünf Monaten keinen Sex mehr, und ich beginne das Semester mit einer Party, auf der jede anwesende Frau praktisch nichts anhat. Ich habe nie behauptet, besonders schlau zu sein.
»Sie ist heiß«, sage ich zu Matt. »Sprich sie an.«
»Das würde ich ja, aber …« Er murmelt vor sich hin. »Sie hat ein Auge auf dich geworfen.«
»Tja, ich bin nicht verfügbar«, antworte ich achselzuckend. »Das kannst du ihr ruhig sagen.« Ich kneife ihn freundschaftlich in den Arm. »Ich bin mir sicher, sie wird dich als angemessenen Trostpreis anerkennen.«
»Ha! Vergiss es. Ich bin für niemanden die zweite Wahl. Wenn sie nicht sterben würde, um mit mir rumzumachen, dann suche ich mir eine andere, die das tut. Ich muss nicht um die Aufmerksamkeit einer Frau wetteifern.«
Deswegen mag ich Matt: Auf dem Eis tut er alles, um zu siegen, aber abseits davon ist er sehr anständig. Ich spiele bereits mein ganzes Leben lang Eishockey, und ich hatte Mannschaftskollegen, die, ohne mit der Wimper zu zucken, die Freundin eines anderen angemacht haben. Oder schlimmer noch, hinter seinem Rücken mit ihr rumgemacht haben. Ich habe mit Typen gespielt, die unsere Eishockey-Groupies wie den letzten Dreck behandelt und sich die Mädchen untereinander aufgeteilt haben. Typen ohne jeglichen Respekt und mit schrecklichem Urteilsvermögen.
Doch an der Briar spiele ich zum Glück mit sehr anständigen Kerlen zusammen. Klar gibt es kein Team ohne den einen oder anderen Idioten, aber die meisten meiner Teamkollegen sind total in Ordnung.
»Ja, das wird nicht allzu schwer für dich sein«, stimme ich ihm zu. »Die Brünette auf zwei Uhr hat dich in Gedanken schon ausgezogen.«
Voller Erwartung reißt er die Augen auf, als er das kurvige Mädchen mit dem kurzen weißen Nachthemd entdeckt. Sie wird rot, als sich ihre Blicke treffen, dann lächelt sie ihm schüchtern zu und hebt ihr Glas zu einem stillen Toast.
Ohne ein weiteres Wort lässt Matt mich stehen, was ich ihm nicht verübeln kann.
Das Wohnzimmer ist voll mit Mädchen in Nachtwäsche und Jungs in Hugh-Hefner-Pyjamas. Ich wusste nicht, dass das eine Mottoparty ist, also bin ich in Cargoshorts und einem ärmellosen weißen Hemd gekommen. Aber das ist vollkommen okay für mich. Die meisten Kerle um mich herum sehen in ihren Schlafanzügen ziemlich lächerlich aus.
»Hast du Spaß?« Die Musik ist laut, allerdings nicht laut genug, um das Mädchen zu übertönen. Das Mädchen, auf das Matt eigentlich ein Auge geworfen hatte.
»Ja. Nette Party.« Ich zucke mit den Schultern. »Der DJ ist ziemlich gut.«
Sie kommt näher. »Ich bin Gina.«
»Hunter.«
»Ich weiß, wer du bist.« Ihre Stimme nimmt einen mitfühlenden Tonfall an. »Ich war bei dem Finalspiel gegen Harvard dabei, als dir dieser Mistkerl das Handgelenk gebrochen hat. Ich kann nicht fassen, dass er das getan hat.«
Ich schon. Ich war mit seiner Freundin im Bett.
Doch das behalte ich besser für mich. Es war ja auch keine Absicht. Ich hatte keine Ahnung, wer das Mädchen war, als ich mit ihr geschlafen habe. Aber ganz offensichtlich wusste sie nur zu gut, wer ich war. Sie wollte sich an ihrem Freund rächen. Das habe ich allerdings erst mitbekommen, als er sich mitten im zweitwichtigsten Spiel der Saison auf mich gestürzt hat – in dem Spiel, bei dem sich entscheidet, wer in die Frozen Four kommt. Das wichtigste Spiel einer College-Saison. Das gebrochene Handgelenk war das Ergebnis einer Rangelei auf dem Eis. Das Harvard-Arschloch wollte es mir nicht brechen, doch es ist passiert. Und schon war das Spiel für mich gelaufen. Genau wie für unseren Captain, Nate Rhodes, der vom Eis musste, weil er mich verteidigen wollte.
Ich reiße mich aus meinen Gedanken. »Es war keine schöne Art, die Saison zu beenden«, sage ich.
Sie legt ihre Hand auf meinen rechten Bizeps. Meine Arme sehen zurzeit riesig aus, wenn ich das mal so sagen darf. Wenn man keinen Sex hat, ist Krafttraining das Einzige, was einen bei Verstand hält.
»Es tut mir leid«, schnurrt Gina. Ihre Finger gleiten über meine nackte Haut, was mich am ganzen Körper elektrisiert.
Ich stöhne fast laut auf. Mein Gott, ich bin so geil, dass ich bereits einen Ständer kriege, wenn eine Frau nur über meinen Arm streichelt.
Ich weiß, ich sollte ihre Hand wegschieben, doch es ist so lange her, dass ich auf eine nicht platonische Art und Weise berührt worden bin. Meine Mitbewohnerinnen zu Hause fassen mich ständig an, aber das ist nichts Sexuelles. Jedes Mal, wenn wir uns im Gang begegnen, gibt mir Brenna zum Beispiel einen Klaps auf den Po oder zwickt mich. Aber nicht, weil sie etwas von mir will – sie will mich bloß aufziehen.
»Willst du irgendwohin gehen, wo es ruhiger ist? Zum Reden oder so?«, schlägt Gina vor.
Ich habe schon genug Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gemacht, um zu wissen, was es bedeutet, wenn ein Mädchen »reden oder so« will.
1) Es wird nicht viel geredet.
2) Es passiert jede Menge »oder so«.
Gina hätte ihr Anliegen nicht deutlicher ausdrücken können, wenn sie ein Schild mit der Aufschrift Nimm mich! in den Händen gehalten hätte. Sie leckt sich sogar über die Lippen, als sie mir die Frage stellt.
Ich weiß, ich sollte ablehnen, aber die Vorstellung, jetzt nach Hause zu fahren und mir in meinem Zimmer einen runterzuholen, während meine Mitbewohnerinnen alte Folgen von The Hills anschauen, ist nicht besonders verlockend. Also sage ich: »Klar«, und folge Gina aus dem Zimmer.
Wir landen in einem kleinen Raum, in dem sich eine Couch, ein paar Bücherregale und ein Schreibtisch an der Wand unter dem Fenster befinden. Ansonsten ist er überraschend leer. Die Partygötter scheinen Mitleid mit mir enthaltsamem Idioten zu haben und haben uns die Art gefährliche Privatsphäre geschaffen, die ich eigentlich vermeiden sollte. Stattdessen sitze ich auf dem Sofa und lasse mich von Gina auf den Hals küssen.
Ihr Satinhemdchen reibt über meinen Arm, und es ist schon fast pornografisch, wie gut sich diese kaum vorhandene Berührung anfühlt. Zurzeit törnt mich einfach alles an. Ich habe einen Ständer bekommen, als ich eine YouTube-Werbung für Tupperware gesehen habe, in der eine MILF eine Banane geschält hat. Dann hat sie sie in kleine Stücke geschnitten und in einen Plastikbecher gegeben. Nicht einmal diese bildliche Metapher konnte mich davon abhalten, mir zur Bananenfrau einen runterzuholen. Noch ein paar Monate, und ich kann für gar nichts mehr garantieren.
»Du riechst so gut.« Gina atmet tief ein und dann wieder aus. Ihr warmer Atem kitzelt mich am Hals. Sie legt ihre heißen, feuchten Lippen wieder an meinen Hals.
Sie fühlt sich so gut an auf meinem Schoß. Ihre festen Oberschenkel umklammern meine, und ihr mit Satin bekleideter Körper ist warm und kurvig. Ich muss das beenden.
Ich habe mir selbst und meinem Team ein Versprechen gegeben, obwohl keiner von ihnen es von mir verlangt hat. Sie halten mich alle für vollkommen verrückt wegen meines selbst auferlegten Zölibats. Matt hat sogar geradeheraus gesagt, er glaube nicht, dass es unsere Spiele auch nur im Geringsten beeinflussen wird, wenn ich meine sexuellen Bedürfnisse unterdrücke. Aber ich denke, das wird es. Und mir geht es ums Prinzip. Die Jungs haben mich zu ihrem Captain gemacht, und ich nehme diese Verantwortung ernst. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass ich dazu tendiere, mir von Frauen den Kopf verdrehen zu lassen. Mit ihnen rumzumachen hat mir letztes Jahr ein gebrochenes Handgelenk eingebracht. Das wird mir nicht noch einmal passieren.
»Gina, ich …«
Sie schneidet mir das Wort ab, indem sie ihre Lippen auf meine presst. Dann küssen wir uns, und in meinem Kopf dreht sich alles. Sie schmeckt nach Bier und Kaugummi. Ihr Haar, das ihr in einem dicken rötlichen Vorhang über eine Schulter fällt, duftet nach Äpfeln. Mmm, ich würde sie am liebsten verschlingen.
Unsere Zungen tanzen miteinander, und der Kuss wird heißer und leidenschaftlicher. In meinem Kopf dreht sich weiter alles, während die Lust und der Widerstand in mir gegeneinander kämpfen. Ich kann nicht mehr klar denken. Ich bin so hart, dass es wehtut, und Gina macht es noch schlimmer, indem sie sich an meinem Schritt reibt.
Noch dreißig Sekunden, sage ich mir selbst. Noch dreißig Sekunden, dann werde ich nicht mehr weiter gehen.
»Ich will dich so sehr.« Ihre Lippen liegen jetzt wieder auf meinem Hals, dann schiebt sie ihre Hand zwischen uns – verdammt. Sie legt ihre Hand über der Hose auf meinen Penis, und ich winsle fast laut auf vor Lust. Es ist schon so lange her, dass eine Hand, die nicht mir gehört, meinen Penis berührt hat. Es fühlt sich verdammt gut an.
»Gina, nein«, stöhne ich, und ich muss all meine Willenskraft aufbringen, um ihre Hand zur Seite zu schieben. Mein Penis protestiert, und ich spüre, wie die ersten Tropfen meine Shorts befeuchten.
Ihre Wangen sind knallrot. Ihr Blick glüht. »Warum nicht?«
»Ich bin … ich nehme eine Auszeit von alldem.«
»Wovon?«
»Von Sex.«
»Was ist damit?«
»Ich tue es nicht.«
»Was tust du nicht?« Sie sieht so verwirrt aus, wie ich mich schlecht fühle.
»Mit einem Mädchen schlafen«, sage ich missmutig. »Ich habe eine Weile keinen Sex mehr.«
Sie runzelt die Stirn. »Aber … warum?«
»Das ist eine lange Geschichte.« Ich halte inne. »Nein, eigentlich ist es gar keine lange Geschichte. Ich will mich dieses Jahr aufs Eishockey konzentrieren, und Sex lenkt mich zu sehr ab. Das ist eigentlich schon alles.«
Sie schweigt eine Weile. Dann berührt sie meine Wange und reibt mit dem Daumen über die Bartstoppeln an meinem Kinn. Sie leckt sich über die Lippen, und ich komme fast in meiner Hose.
»Falls du dir Sorgen machst, dass ich mehr will – das musst du nicht. Ich will nur einen One-Night-Stand. Meine Kurse haben es dieses Semester ganz schön in sich, und ich habe auch gar keine Zeit für was Festes.«
»Um den Beziehungsstatus geht es mir gar nicht«, versuche ich zu erklären. »Es ist der Sex im Allgemeinen. Wenn ich Sex habe, dann will ich mehr davon. Ich lasse mich ablenken und …«
Sie unterbricht mich wieder. »Na gut, dann schlafen wir also nicht miteinander. Ich werde dir nur einen blasen.«
Ich verschlucke fast meine Zunge. »Gina …«
»Mach dir keine Sorgen, ich werde mich währenddessen selbst zum Höhepunkt bringen. Blowjobs törnen mich wahnsinnig an.«
Das ist Folter.
Die reinste Folter.
Ich schwöre, falls das Militär Ideen braucht, um jemanden zu brechen, dann braucht es nichts weiter als einen Collegestudenten mit Ständer und eine scharfe Braut auf seinem Schoß, die ihm erzählt, dass sie bloß unverbindlichen Sex will und ihm anbietet, ihm einen zu blasen, weil Blowjobs sie so wahnsinnig antörnen.
»Es tut mir leid«, presse ich hervor. Dann schaffe ich es sogar, sie von meinem Schoß zu schieben und aufzustehen. »Ich bin in keiner guten Verfassung für … irgendetwas davon.«
Sie bleibt sitzen und betrachtet mich mit in den Nacken gelegtem Kopf. Sie starrt mich ungläubig und auch … mitleidig an. Na toll, jetzt werde ich schon bemitleidet wegen meiner Enthaltsamkeit.
»Es tut mir leid«, sage ich wieder. »Und nur, damit du es weißt … du bist das heißeste Mädchen auf der Party, und meine Entscheidung hat nichts mit dir zu tun. Ich habe mir im April ein Versprechen gegeben, und das will ich auch halten.«
Gina beißt sich auf die Unterlippe. Danach sieht sie mich zu meiner Überraschung fast bewundernd an. »Ganz ehrlich«, sagt sie, »ich bin beeindruckt. Die meisten Kerle würden bei meinem tollen Aussehen schwach werden.«
»Die meisten Kerle sind auch nicht so dumm wie ich.«
Grinsend steht sie auf. »Na ja, man sieht sich, Hunter. Ich würde ja gerne sagen, ich warte auf dich, aber ein Mädchen hat Bedürfnisse. Und die stimmen offensichtlich nicht mit deinen überein.«
Lachend geht sie aus dem Zimmer und wackelt bei jedem Schritt mit ihrem sexy Hintern.
Ich fahre mir mit beiden Händen durchs Haar und stöhne dann laut auf. Ich weiß nicht, ob ich stolz auf mich sein oder mir in den Arsch treten soll, weil ich mich für diesen lächerlichen Weg entschieden habe.
Größtenteils hilft es mir wirklich dabei, mich aufs Eishockey zu konzentrieren. Ich lasse all meine angestaute sexuelle Frustration auf dem Eis aus. Ich bin schneller und stärker als letzte Saison, und in jedem Schuss, den ich ins Netz schlage, liegt so etwas wie schiere Verzweiflung. Die Pucks treffen ihr Ziel, als wollten sie meinem leidenden Penis Befriedigung verschaffen. So, als müsse mein Opfer belohnt werden.
Nur noch bis zum Ende der Saison, versichere ich mir. Noch sieben Monate, dann habe ich ein ganzes Jahr der Enthaltsamkeit hinter mir, wenn ich über die Zielgerade laufe. Und dann werde ich mich mit einem ganzen Sommer voller Sex belohnen. Ein Sex-Sommer.
Ein dreckiger, dekadenter, endloser Sex-Sommer…
O mein Gott, ich bin es so leid, mir selbst einen runterzuholen. Und ich tue mir selbst keinen Gefallen, wenn ich so idiotische Sachen mache, wie mich der Versuchung auszusetzen, indem ich auf Partys mit scharfen Verbindungsstudentinnen gehe.
Zum ersten Mal seit Langem freue ich mich auf den Semesterbeginn. Hoffentlich werde ich so viel zu tun haben, dass ich in Arbeit ersticke. Hausaufgaben, Extrazeit auf dem Eis, Training und Spiele – das ist alles, worauf ich mich konzentrieren darf. Und keine Studentenpartys mehr.
Die Versuchung zu meiden ist der einzige Weg, einen klaren Kopf und meinen Penis in der Hose zu behalten.
»Schließ ab«, befehle ich meinem Freund Nico, als er die Zimmertür hinter uns zumacht. Nur, weil in meinem Verbindungshaus heute Abend eine Party veranstaltet wird, heißt das nicht, dass mein Zimmer für alle zugänglich ist. Bei der letzten Party habe ich vergessen, abzusperren, und als ich nach oben gegangen bin, um mir einen Pulli zu holen, bin ich mitten in einen Dreier geplatzt. Einer der zwei Jungs hat sogar meinen einäugigen Stoffpanda Fernando unter den Po des Mädchens geschoben und ihn als Kissen benutzt – um die doppelte Penetration, die gerade im Gange war, zu vereinfachen und so.
Das passiert nie wieder, Fernando, versichere ich meinem Kindheitsfreund stumm, als ich ihn auf das Bettkästchen lege, um meinem Freund Platz zu machen.
Nico lässt sich rückwärts aufs Bett fallen, bedeckt sein Gesicht mit den Armen und atmet tief aus. Er war nicht auf der Party, weil er arbeiten musste, aber ich rechne es ihm hoch an, dass er nach seiner Schicht trotzdem noch hergekommen ist, anstatt in sein Apartment in Hastings zu fahren. Die kleine Stadt liegt nur eine zehnminütige Fahrt vom Briar-Campus entfernt, was nicht allzu weit ist, dennoch wäre es einfacher für ihn gewesen, bei sich zu Hause zu schlafen.
»Müde?« Ich schmunzle ihn mitfühlend an.
»Todmüde«, ist seine gemurmelte Antwort. Seine Arme schirmen seine Augen vor meinem Blick ab, was mir die Gelegenheit gibt, seinen Körper zu bewundern, ohne dafür aufgezogen zu werden.
Nico hat die große, schlanke Statur eines Basketballspielers. Obwohl er auf der Highschool Point Guard war, hat er fürs College kein Basketballstipendium bekommen und war nie gut genug für die NBA. Doch das machte ihm nie wirklich etwas aus. Basketballspielen war etwas, das er gerne mit seinen Freunden aus der Highschool getan hat – seine wirkliche Leidenschaft sind Autos. Aber obwohl er nicht mehr spielt, ist er immer noch in verdammt guter Form. Durch das Schleppen von Kisten und Möbeln bei seiner Arbeit für eine Umzugsfirma hat er genug Training.
»Du Armer«, flüstere ich, »ich kümmere mich um dich.«
Grinsend beginne ich am unteren Ende seines Körpers und arbeite mich hinauf. Ich ziehe ihm die Schuhe aus, öffne den Gürtel, schiebe seine Hose nach unten. Er setzt sich auf, um mir mit seinem Kapuzenpulli zu helfen, und lässt sich dann wieder zurückfallen. Jetzt trägt er bloß noch Boxershorts und Socken und schirmt seine Augen nach wie vor mit einem Arm vom Licht ab.
Weil ich Mitleid mit ihm habe, mache ich das Deckenlicht aus und stattdessen die Nachttischlampe an, die nur einen schwachen Schein abgibt.
Dann lege ich mich in dem schwarzen Seidennachthemd, das ich für die Party angezogen habe, neben ihn.
»Demi«, murmelt er, als ich beginne, seinen Hals zu küssen.
»Hm?«
»Ich bin zu müde dafür.«
Ich fahre mit dem Mund über sein Kinn, und die rauen Bartstoppeln kitzeln mich auf den Lippen. Ich komme an seinem Mund an und küsse ihn sanft. Er erwidert meinen Kuss nur flüchtig und gähnt vor Müdigkeit.
»Im Ernst, Baby, ich habe keine Energie mehr. Ich habe vierzehn Stunden am Stück geackert.«
»Ich werde die Arbeit übernehmen«, flüstere ich, aber als ich meine Hand zwischen seine Beine schiebe, erregt ihn das gar nicht. Sein Penis ist ganz weich.
»Ein andermal«, sagt er verschlafen. »Schau dir doch deine gruselige Serie an, hm?«
Ich schlucke meine Enttäuschung hinunter. Wir hatten über eine Woche keinen Sex mehr. Nico arbeitet an den Wochenenden und auch ein paar Abende unter der Woche. Aber morgen hat er frei, und es ist einer der seltenen Samstage, an denen wir lange aufbleiben und Spaß haben könnten.
Seit er sich hingelegt hat, hat er allerdings nicht einen Muskel bewegt.
»Na gut«, gebe ich nach und hole mir meinen Laptop. »Die letzte Folge war Kinder, die morden, aber ich weiß nicht, ob du die vorherige schon angeschaut hast – Clowns, die morden?«
Nico schnarcht leise.
Na toll. Es ist Samstagabend, unten ist eine Party in vollem Gange, und es ist noch nicht mal zehn Uhr. Mein heißer Freund schläft tief und fest in meinem Bett, und ich werde mir eine Serie über Mörder anschauen. Alleine.
Der Traum vom College-Leben. Juhu.
Um die Sache noch schlimmer zu machen – es ist das letzte stressfreie Wochenende, das wir für lange Zeit haben werden. Am Montag beginnt das Herbstsemester, und ich habe dieses Jahr einen vollen Stundenplan. In meinen letzten zwei Jahren an der Briar muss ich mich wirklich anstrengen, wenn ich Medizin studieren will. Ich werde lange nicht mehr so viel Zeit mit Nico verbringen können, wie mir lieb ist.
Ich werfe einen flüchtigen Blick auf meinen schnarchenden Freund. Ihm scheint unsere mangelnde Freizeit in Zukunft nichts auszumachen. Aber vielleicht hat er ja auch recht. Wir sind seit der achten Klasse zusammen. Unsere Beziehung hat im Laufe der Jahre schon viele Höhen und Tiefen erlebt – zwischendurch waren wir sogar mehrmals getrennt –, doch wir haben jede Hürde genommen und werden auch das meistern.
Ich krieche unter die Decke, was nicht ganz leicht ist, weil Nico die eine Hälfte davon mit seinem Körper bedeckt. Ich stelle den Laptop auf meinen Schoß und lade die nächste Folge meiner Lieblingsserie runter. Ich würde ja gerne sagen, dass ich die Serie nur aus psychologischem Interesse anschaue, aber … wem will ich etwas vormachen? Ich liebe diese kranke Serie einfach.
Geheimnisvolle Musik ertönt, und die vertraute Stimme des Sprechers mit dem monotonen britischen Akzent informiert mich darüber, dass ich sechzig wundervolle Minuten mit mordenden Kindern vor mir habe.
Der Rest des Wochenendes vergeht wie im Flug. Der Montagmorgen startet mit der ersten Lehrveranstaltung meines vorletzten Jahres am College. Dieser Kurs ist gleichzeitig auch der, auf den ich mich am meisten freue – Klinische Psychologie. Und zwei meiner besten Freunde sind ebenfalls in dem Kurs. Sie warten auf den Steinstufen des gewaltigen mit Efeu bewachsenen Gebäudes auf mich.
»Toll siehst du aus!« Pax Ling schlingt mir die Arme um den Hals, zieht sich zurück, um mir einen lauten Schmatzer auf die Wange zu geben, und kneift mir dann in den Po. Ich trage Jeans-Shorts und ein gestreiftes Tanktop, weil es heute brutal heiß ist. Nicht, dass ich mich über die Hitze im September beschweren möchte … »Deine Beine kommen so toll zur Geltung, Baby«, raunt mir Pax anerkennend zu.
Neben ihm rollt TJ Bukowski mit den Augen. Als ich die beiden einander vorgestellt habe, war TJ kein großer Fan von Pax’ forschem Auftreten. Aber letztendlich ist er mit ihm warm geworden, und jetzt verbindet die beiden eine Hass-Liebe, die mich immer wieder zum Lachen bringt.
»Du siehst auch ziemlich scharf aus«, sage ich zu Pax. »Dein Hemd ist der Wahnsinn.«
Er stellt den Kragen seines erbsengrünen Polohemds auf. »Das ist von Gucci, Leute. Meine Schwester und ich waren am Wochenende in Boston und haben vielleicht etwas zu viel Geld ausgegeben. Aber das war es wert, oder?« Er dreht sich schnell im Kreis, um uns sein neues Polohemd vorzuführen.
»Auf jeden Fall«, stimme ich ihm zu.
TJ zieht an den Riemen seines Rucksacks. »Lasst uns reingehen. Wir wollen doch nicht gleich beim ersten Kurs zu spät kommen. Ich habe gehört, Professorin Andrews soll ganz schön streng sein.«
Ich muss lachen. »Wir haben noch eine Viertelstunde, keine Sorge.«
»Hast du wirklich gerade zu Thomas Joseph gesagt, er soll sich keine Sorgen machen?«, fragt Pax. »Das ist seine Grundeinstellung.«
Da hat er recht. TJ macht sich ständig Sorgen.
Er sieht uns böse an, weil er überhaupt nicht darüber lachen kann, wenn wir uns darüber lustig machen. Ich greife nach seiner Hand und drücke sie liebevoll. »Jetzt schmoll nicht, Süßer. Ich finde es gut, dass du dir Sorgen machst. Das bedeutet, du kommst nie zu spät.«
Grinsend erwidert er meinen Händedruck. TJ und ich haben uns im ersten Jahr auf dem College kennengelernt, als wir im selben Wohnheim gelebt haben. Meine Mitbewohnerin war damals unerträglich, also wurde TJs Zimmer eine Art Zufluchtsort für mich. Es ist nicht immer leicht, mit ihm klarzukommen, aber wir haben uns gleich am ersten Tag angefreundet.
»Waaarte!«
Eine weibliche Stimme schrillt durch die Morgenluft. Ich drehe mich um und sehe ein zierliches Mädchen den von Bäumen gesäumten Pfad entlangrennen. Sie trägt ein knielanges schwarzes Kleid mit weißen Knöpfen in der Mitte. Einen Arm hält sie nach oben, und es sieht aus, als habe sie eine Lunchbox in der Hand.
Neben den Stufen dreht sich ein dunkelhaariger Kerl um. Er ist groß und sieht sehr fit aus, was man erkennen kann, obwohl er einen weiten grauen Kapuzenpulli mit dem Briar-Logo trägt. Als er bemerkt, dass er verfolgt wird, verfinstert sich seine Miene.
Das Mädchen bleibt vor ihm stehen. Ich kann nicht verstehen, was er zu ihr sagt, aber ihre Antwort ist laut und deutlich zu hören. Sie ist die lauteste Person, der ich je begegnet bin.
»Ich habe dir ein Sandwich gemacht!« Breit grinsend hält sie ihm eine Tupperdose unter die Nase, als wäre es der Heilige Gral.
Seine Körpersprache verrät, dass er genervt ist – als würde sie ihm eine Tüte mit Hundekacke hinhalten.
Im Ernst? Seine Freundin hat ihm etwas zu essen gemacht, und er nimmt sie nicht voller Dankbarkeit in die Arme? Idiot.
»Ich hasse diesen Typ«, murmelt TJ.
»Du kennst ihn?« Ich kann meinen zweifelnden Gesichtsausdruck nicht verbergen. TJ hängt eigentlich nicht mit Sportlertypen rum, und dieser Kerl ist mit Sicherheit einer. Die breiten Schultern sind ein eindeutiges Indiz.
»Das ist Hunter Davenport«, mischt sich Pax ein, und ich weiß sofort, was sein Tonfall bedeutet. Er bedeutet: O mein Gott, ich will diesen Kerl vernaschen.
Sein Blick verrät dasselbe. »Wer ist Hunter Davenport?«, frage ich.
»Er ist im Eishockey-Team.«
Na also, ich wusste, er ist Sportler. »Noch nie von ihm gehört«, sage ich schulterzuckend.
»Da hast du nichts verpasst. Er ist nur ein reicher, verwöhnter Sportler«, sagt TJ.
Ich runzle die Stirn. »Was hast du gegen ihn?« TJ redet normalerweise nicht schlecht über andere. Mal abgesehen von den gelegentlichen Seitenhieben gegen Pax.
»Nichts. Ich finde ihn nur eklig. Ich habe ihn letztes Jahr dabei erwischt, wie er in der Bibliothek mit irgend so einer Schlampe geschlafen hat. Er war voll bekleidet, nur die Hose war über seinen nackten Arsch geschoben. Er hat sie in einem der Lernzimmer an der Wand gebumst.« TJ schüttelt angewidert den Kopf.
Ich bin auch abgestoßen, aber aus dem Grund, weil mein Freund so schlecht über Davenports Begleitung spricht. »Ich mag es nicht, wenn du dieses Wort verwendest«, tadle ich ihn. »Du weißt, dass ich es nicht gut finde, wenn Frauen als Schlampen bezeichnet werden.«
TJ sieht mich sofort zerknirscht an. »Sorry, du hast recht, das war nicht cool. Davenport, dieser Aufreißer, kriegt schließlich jede rum.«
»Warum soll er denn jetzt gleich ein Aufreißer sein?«
»Ich würde mich gern von ihm aufreißen lassen«, sagt Pax abwesend. Sein Blick haftet immer noch auf dem dunkelhaarigen Eishockeyspieler, der weiterhin mit seiner Freundin diskutiert.
Das Mädchen will ihm die Tupperdose geben, und er schiebt sie immer wieder zurück. Ich glaube, er sagt, dass er keine Zeit haben wird, etwas zu essen, weil sie sofort kreischt: »Man hat immer Zeit zu essen, Hunter! Aber gut, dann bleib eben hungrig. Bitte entschuldige, dass ich dir ein Sandwich angeboten habe.«
Grinsend lege ich meine Hände um den Mund und rufe: »Jetzt nimm schon endlich die Lunchbox!«
Davenport dreht seinen Kopf in meine Richtung. Er sieht mich finster an.
Das Mädchen aber schenkt mir ein breites Grinsen. »Danke!« Sie schiebt ihm die Tupperdose ein letztes Mal in die Hand und rennt davon. Ihre dünnen Absätze klappern auf dem Kopfsteinpflaster, das auf dem historischen Campus größtenteils zu finden ist.
Eishockey-Boy geht grollend auf uns zu. »Du hast ja keine Ahnung, was du gerade angerichtet hast«, knurrt er mich an. Seine Stimme ist tiefer, als ich erwartet hätte, und klingt irgendwie heiser. Er hält die Lunchbox hoch. »Nun haben wir einen Präzedenzfall. Sie wird mir jetzt das ganze Semester lang Sandwiches machen.«
Ich verdrehe die Augen. »Wow, wie kann sie es nur wagen, dir was zu essen anzubieten?«
Seufzend dreht er sich um, hält aber dann inne. »Ach, wie geht es dir, Mann?«, sagt er zu Pax.
Meinem Freund klappt die Kinnlade bis zu seinen weißen Sportschuhen runter. Sie sehen auch neu aus, also nehme ich an, dass das Polohemd nicht der einzige Einkauf aus Boston ist. »Hi«, stammelt Pax anscheinend unfähig, etwas anderes zu sagen.
»Du warst letztes Jahr im Alternative-Medien-Kurs. Jax, stimmt’s?«
Zu meinem Erstaunen nickt Pax nur dämlich.
»Bist du auch in Klinischer Psychologie?«
»Ja«, keucht Pax.
»Cool, dann sehen wir uns ja.« Davenport klopft Pax auf die Schulter, bevor er zu den Stufen des Gebäudes geht.
Ich schaue meinen Freund vielsagend an, aber er ist zu beschäftigt damit, auf Davenports Hintern zu starren.
»Hey, Jax«, ziehe ich ihn auf. »Erde an Jax.«
TJ grinst.
Pax erwacht aus seiner Trance. Er wirft mir einen schüchternen Blick zu. »Er hat sich an mich erinnert, Demi. Ich wollte ihn nicht korrigieren, nachdem er sich allen Ernstes an mich erinnert hat.«
»Er hat sich an Jax erinnert!«
»Das bin ich! Ich bin Jax. Von jetzt an lebe ich mein Leben als Jax. Hunter Davenport hat es gesagt.«
Ich verkneife mir ein Grinsen und sehe TJ an. »Warum sind wir noch mal mit ihm befreundet?«
»Ich habe keine Ahnung«, antwortet er grinsend. »Komm schon, Jax, begleiten wir unsere Lady nach drinnen.«
Ich betrete den Vorlesungssaal zwischen den beiden Jungs. Der Großteil meiner Freunde ist männlich – eine Tatsache, die mein Freund erst akzeptieren musste. Auf der Highschool fand Nico es nicht so toll, aber mittlerweile kommt er damit klar, und ich denke, insgeheim findet er es gut, dass ich mich so gut mit seinen Kumpels verstehe.
Ich habe natürlich auch Freundinnen. Meine Verbindungsschwestern Pippa und Corinne, mit denen ich mich heute Abend zum Essen treffe. Aber aus irgendeinem Grund habe ich viel mehr männliche Freunde als weibliche.
In dem riesigen Raum finden wir drei Plätze nebeneinander in einer Reihe in der Mitte. Mir fällt auf, dass Hunter Davenport eine Reihe vor uns am Gang sitzt. Er ist mit seinem Handy beschäftigt.
»Mein Gott, er ist einfach perfekt«, stöhnt Pax. »Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie oft ich schon davon geträumt habe, ihn auf die andere Seite zu locken.«
Ich tätschle meinem Freund den Arm. »Vielleicht eines Tages. Ich glaube an dich.«
Der Raum füllt sich, aber als um Punkt neun Uhr unsere Professorin reinkommt, werden alle sofort still. Sie ist eine große, schlanke Frau mit kurzen Haaren und klugen braunen Augen, die hinter einer eckigen schwarzen Brille liegen. Sie begrüßt uns freundlich und beginnt damit, sich vorzustellen. Danach erzählt sie uns etwas über ihren Werdegang und erklärt uns, was wir dieses Semester lernen werden.
Ich bin beeindruckt. Mein Vater ist Chirurg, und meine Mutter war Kinderkrankenschwester, also war es wohl unvermeidbar, dass ich auch im medizinischen Bereich lande. Das liegt mir wahrscheinlich im Blut. Aber Chirurgie und Pflege haben mich nie interessiert. Schon als Kind hatte ich eine Affinität zu seelischen Vorgängen. Vor allem faszinieren mich Persönlichkeitsstörungen – die zerstörerische Kraft der Gedanken, und wie sie jedes Individuum beeinflusst, wenn es mit anderen interagiert.
Professorin Andrews redet über die speziellen Themen, die wir behandeln werden. »Wir werden uns anschauen, wie in der Vergangenheit mit der Klinischen Psychologie umgegangen wurde und welche modernen Denkansätze sich über die Jahre hinweg entwickelt haben. Klinische Gutachten und Diagnosen werden in unseren Studien eine große Rolle spielen. Außerdem halte ich viel von praktischen Übungen. Das bedeutet, dass ich nicht einfach nur dastehen und ein paar Fakten über Belastungsstörungen, Stimmungsschwankungen, sexuelle Störungen und so weiter runterleiern werde.«
Ich beuge mich vor. Ich bin jetzt schon begeistert. Ihr sachlicher Ton, und wie sie ihren Blick durch den Raum schweifen lässt, um jedem in die Augen zu schauen, gefallen mir. Ich hatte bereits viele Kurse, in denen die Professoren bloß monoton von ihrem Laptop abgelesen und ihre Studenten scheinbar gar nicht wahrgenommen haben.
Sie erklärt, dass wir Berichte zu den Fallstudien, über die sie in der Vorlesung redet, schreiben müssen, und dass es Multiple-Choice-Tests geben wird. »Alle Prüfungstermine stehen in dem Plan, den Sie per Mail bekommen haben. Das große Forschungsprojekt wird eine Partnerarbeit, die erst mit der Abschlussarbeit und einer ausführlichen Fallstudie vor den Ferien endet. Das ist ein Spaß …«
Ich bemerke, dass ein paar Studenten besorgt dreinschauen. Wahrscheinlich ist es ein rotes Tuch, wenn ein Professor das Wort »Spaß« verwendet. Aber ich mache mir keine Sorgen. Alles, was sie bisher gesagt hat, hört sich interessant für mich an.
»Sie können sich sicher noch an Doktorspiele in Ihrer Kindheit erinnern.« Professorin Andrews grinst in den Raum. »Das ist der wesentliche Bestandteil dieses Projekts. Ein Partner wird die Rolle des Psychologen übernehmen, der andere die des Patienten. Der Psychologe bekommt Hilfsmittel, um eine Diagnose zu stellen und eine detaillierte Fallstudie zu schreiben, der Patient wird mit einer Persönlichkeitsstörung belegt, die er dem Doktor vorspielen muss und die es zu untersuchen gilt.«
»Das gefällt mir«, sagt Pax zu mir. »Bitte, lass mich der Patient sein.«
»Wir kommst du darauf, dass du mit Demi zusammenarbeitest?«, mischt sich TJ ein.
»Jungs, streitet euch nicht.«
Aber Professorin Andrews nimmt uns die Entscheidung ab. »Ich werde die Partner anhand der alphabetischen Liste hier bestimmen.« Sie hält ein Blatt Papier hoch. »Wenn Sie Ihren Namen hören, heben Sie bitte die Hand, damit Ihr Partner weiß, mit wem er zusammenarbeitet. Also – Ames und Ardin.«
Zwei Arme schnellen nach oben. Ein Mädchen mit helllila Haaren und ein Mädchen mit einer Patriotskappe melden sich.
»Axelrod und Bailey.«
In dem Kurs sind ungefähr hundert Leute, doch Professorin Andrews ist effizient. Sie geht die Namen schnell durch, und schon sind wir bei D angekommen.
»Davenport und Davis.«
Ich melde mich gleichzeitig mit Hunter. Er sieht mich an und verzieht seinen Mund zu einem Grinsen.
Neben mir seufzt TJ unglücklich auf. Er flüstert mir zu: »Willst du, dass ich meinen Nachnamen offiziell in Davidson ändere, um dich vor diesem Eishockey-Arsch zu retten?«
Ich grinse ihn an. »Ist schon okay. Ich werd’s überleben.«
»Grey und Guthrie«, sagt Professorin Andrews.
»Bist du sicher?«, hakt TJ nach. »Du könntest bestimmt auch Partner tauschen.«
»Killington und Ladde.«
»Ist schon gut. Ich kenne den Kerl ja nicht einmal«, sage ich. »Du bist derjenige, der ihn nicht mag.«
»Ich liebe ihn«, schwärmt Pax. »Ich will mit ihm Doktorspiele machen.«
Aber dann verkündet Professorin Andrews: »Lawson und Ling«, und Pax’ Miene erhellt sich, als sein Partner die Hand hebt. Es ist ein Kerl mit lockigem braunen Haar und markantem Gesicht.
»Der tut’s auch«, murmelt Pax, und ich unterdrücke ein Lachen.
»In diesem Stapel«, sagt Professorin Andrews und deutet auf einen Stapel aus orangefarbenen Umschlägen auf ihrem Schreibtisch, »befinden sich detaillierte Informationen über die Gutachten. Ein Partner holt sich nach der Stunde bitte einen Umschlag. Es bleibt jedem Team selbst überlassen, wer welche Rolle übernimmt.«
Hunter dreht sich zu mir um und deutet mit dem Finger auf mich. Das soll mir wohl sagen, dass ich den Umschlag holen soll.
Ich verdrehe die Augen. Na toll, er lässt mich schon jetzt die ganze Arbeit machen.
Als jeder einen Partner hat, macht Professorin Andrews mit dem Kurs weiter, und ich mache so viele Notizen, dass mir das Handgelenk wehtut. Nächstes Mal muss ich unbedingt meinen Laptop mitnehmen. Ich bin zwar eigentlich ein Fan von handschriftlichen Aufzeichnungen, aber das sind einfach zu viele Infos in der kurzen Zeit.
Als die Stunde zu Ende ist, gehe ich nach vorne, um mir einen Umschlag zu holen. Er ist sehr schwer, was den einen oder anderen beunruhigen würde, doch ich freue mich auf dieses Projekt. Es klingt lustig und umfassend, auch wenn ich einen Sportler als Partner habe.
Besagter Sportler kommt nun mit seinem Rucksack über der breiten Schulter auf mich zu. »Davis«, begrüßt er mich.
»Davenport.«
»Nenn mich Hunter.« Er mustert mich von Kopf bis Fuß. Sein Blick bleibt ein bisschen zu lange an meinen nackten Beinen hängen, die immer noch schön gebräunt von meinen Sommerferien in Miami sind.
»Ich bin Demi.« Ich sehe, dass TJ und Pax am Ausgang auf mich warten.
»Demi …«, sagt er abwesend. Er schaut immer noch meine Beine an und muss sichtlich schlucken, ehe er mir wieder ins Gesicht blickt.
»Ja, das ist mein Name.« Warum tritt er von einem Fuß auf den anderen? Ich werfe einen fragenden Blick in seinen Schritt. Hat er eine Erektion?
»Demi«, wiederholt er.
»Äh, ja. Reimt sich auf semi.« Ich deute zwischen seine Beine.
Hunter schaut nach unten. Dann lacht er leise vor sich hin. »Mein Gott, ich habe keinen Ständer. Das ist nur meine Hose.«
»Alles klar.«
Er streicht mit der Hand über seinen Reißverschluss, und die Erhebung darunter scheint sich zu legen. »Neue Jeans«, murmelt er. »Sie ist noch ein bisschen steif.«
»Steif, ja?«
»Der Stoff, verstehst du? Fühl mal.«
Ich muss lachen. »O mein Gott, ich werde jetzt nicht deinen Schwanz berühren.«
»Da verpasst du aber was.« Hunter grinst mich an.
»Wenn du das sagst.« Ich halte den Umschlag hoch. »Wann sollen wir uns treffen und alles durchgehen?«
»Ich weiß nicht. Hast du heute Abend Zeit?«
Ich schüttle den Kopf. »Nein. Wie sieht es morgen aus?«
»Ja, das geht auch. Wann und wo?«
»Um acht im Theta-Beta-Nu-Haus?«
»Im Ernst? Ich hätte dich nicht für eine Verbindungsstudentin gehalten.«
Ich zucke mit den Schultern. »Tja.«
Um ehrlich zu sein, habe ich mich nur beworben, weil ich nicht im Wohnheim leben wollte. Außerdem hat meine Mutter am College der Theta-Verbindung angehört und mir schon oft erzählt, dass das die beste Zeit ihres Lebens war. Sie war damals eine richtige Party-Queen und ist es immer noch.
»Na gut, dann bis morgen Abend, Semi«, sagt er, bevor er geht.
»O Mann, ich vermisse diese Brüste.«
»Sie vermissen dich auch.«
»Ach wirklich? Was am meisten?«
»Deine Zunge.«
»Mmm. Zeig sie mir, Hottie. Nur ganz kurz.«
»Was, wenn einer deiner Teamkollegen reinkommt?«
»Dann wird er bis ans Ende seiner Tage neidisch sein, weil ich mit dem schärfsten Mädchen der Welt zusammen bin.«
»Na gut. Aber bloß, wenn du mir deinen Penis zeigst.«
»Abgemacht. Du zuerst … ach du Scheiße, Baby … warte. Vielleicht solltest du sie wieder verhüllen. Sagtest du nicht, Hunter ist zu Hause?«
»Ach, das spielt keine Rolle. Hunter ist jetzt unter die Mönche gegangen. Meine nackten Brüste interessieren ihn nicht.«
In der Küche gebe ich ein ersticktes Knurren von mir. Ich wollte mir hier unten eigentlich nur etwas zu essen holen, ehe ich zu Demi Davis zum Lernen fahre. Stattdessen musste ich in den letzten fünf Minuten die ekelhafteste Skype-Unterhaltung, die ich je gehört habe, über mich ergehen lassen.
»Hey, ich bin ein Mönch«, rufe ich durch den Türrahmen, »kein verdammter Eunuch!«
Ich marschiere ins Wohnzimmer, ohne Brenna die Chance zu geben, sich wieder anzuziehen. Das hat sie nicht verdient. Als Entschädigung dafür, dass ich mir Brennas und Jake Connellys Sexgespräch anhören musste, will ich wenigstens einen echten Busen sehen.
Aber Brenna zieht sich bereits das Oberteil wieder runter, und ich kann nur noch einen kurzen Blick auf rötlich braune Nippel erhaschen, bevor sie ganz verschwunden sind.
»Rutsch rüber, du Giftzwerg.« Ich setze mich neben sie auf die Couch und schiebe mir eine Gabel Wildreis in den Mund. Auf dem Wohnzimmertisch steht ein Laptop. »Hey, Connelly. Netter Schwanz.«
Der Mann auf dem Bildschirm stößt einen leisen Fluch aus. Sein Blick fällt auf seine rechte Hand, als würde es ihm erst jetzt kommen, dass er darin einen ziemlich steifen Penis hält. Man sieht eine rasche Bewegung und hört das Geräusch eines Reißverschlusses. Dann schaut mich Jake mit seinen dunkelgrünen Augen an.
»Spionierst du uns nach, Davenport?«
Ich schlucke mein Essen runter. »Kann man es als spionieren bezeichnen, wenn ihr nackt in meinem Wohnzimmer skypt?«
»Unserem Wohnzimmer«, sagt Brenna mit zuckersüßer Stimme und tätschelt mir die Schulter.
Stimmt. Wie könnte ich das je vergessen? Andere Typen wären begeistert, wenn sie mit drei Mädels zusammenwohnen würden, doch ich finde es nicht gerade ideal. Ich mag Brenna, Summer und Rupi einzeln sehr gerne. Aber zusammen sind sie einfach … laut. Außerdem verbünden sie sich ständig gegen mich.
Meine ehemaligen Mitbewohner Mike Hollis und Colin Fitzgerald wohnen hier theoretisch auch noch, sind allerdings nicht annähernd so oft zu Hause, wie ich mir das wünschen würde.
Hollis taucht bloß an den Wochenenden auf – unter der Woche ist er bei seinen Eltern in New Hampshire und arbeitet.
Fitz ist ein Videospiele-Entwickler und hat seit seinem Abschluss an der Briar jede Menge Aufträge. Manchmal muss er ins Hauptquartier des Studios fahren, und gerade ist er in New York und arbeitet an einem Sci-Fi-Rollenvideospiel. Für diesen Zeitraum wohnt er in Manhattan im Penthouse von Summers Familie. Der Glückliche. Der Heyward-DiLaurentis-Clan ist unheimlich reich, was bedeutet, dass er wahrscheinlich gerade im Luxus lebt.
»Connelly, komm endlich. Der Wagen wartet unten auf uns«, ertönt eine andere Stimme aus den Lautsprechern des Laptops. »Wir müssen dieses Charity-Fotoshooting machen.«
Jake wirft einen Blick über seine Schulter. »Ach verdammt, das habe ich total vergessen.«
»Was machst du denn – oh, hi, Brenna!« Das Gesicht, das jetzt auf dem Bildschirm erscheint, ist so nah, dass ich die Nasenhaare des Kerls erkennen kann.
Als der Typ etwas zurückgeht, stockt mir der Atem. Verdammte Scheiße, das ist Theo Nilsson, einer von Edmontons Starspielern. Ich fasse es nicht, dass Nilsson einfach so in Jakes Zimmer gekommen ist. Und einen Anflug von Neid, weil Jake nun mit ein paar richtigen Eishockey-Legenden zusammenspielt, kann ich nicht unterdrücken.
Als Kind war es mein Traum, Profispieler zu werden, aber als ich älter wurde, habe ich erkannt, dass das nicht das Richtige für mich wäre. Wenn ich ehrlich bin, macht mir dieser Lebensstil Angst. Also habe ich mich gar nicht erst draften lassen. Ich wollte eigentlich überhaupt nicht in der College-Mannschaft spielen. Ich bin an die Briar gekommen, um BWL zu studieren und später Unternehmer zu werden. Doch ein Freund und Teamkollege, der vor ein paar Jahren seinen Abschluss gemacht hat, hat mich überredet, und jetzt spiele ich für unser Team.
»Ich muss gehen, Baby«, sagt Jake zu Brenna.
»Viel Spaß beim Fotoshooting mit all den lüsternen Puck-Bunnys«, säuselt sie.
Nilsson lacht laut auf. »Es ist eine Charity-Veranstaltung für einen Senioren-Curlingverein«, verrät Jakes Mannschaftskollege.
Sie scheint unbeeindruckt. »Hast du Jake gesehen?«, fragt sie Theo. »Die alten Hühner werden über ihn herfallen. Puck-Bunnys sind zeitlos.«
Als sich Brenna ausloggt, schiebe ich mir ein Stück gebratenes Hühnchen in den Mund. »Das war Theo Nilsson«, sage ich fassungslos.
»Ja, er ist wirklich cool. Wir haben letzte Woche mit ihm zusammen zu Abend gegessen, als sie gegen die Bruins gespielt haben.«
»Streu kein Salz in die Wunde.«
Brenna verzieht ihre knallroten Lippen – ihr Markenzeichen – zu einem zuckersüßen Grinsen. Selbst wenn sie allein zu Hause ist, nimmt sie sich die Zeit, sich ihre Lippen anzumalen. Sie ist der Teufel in Person. »Wenn du brav bist, nehme ich dich nächstes Mal mit.«
»Ich bin immer brav«, erwidere ich. »Frag meinen Penis – der arme Kerl würde so gerne böse sein, aber ich lasse es nicht zu.«
Sie lacht. »Ich habe das Gefühl, diese ganze aufgestaute Lust ist nicht gut für deine Gesundheit. Was, wenn deine Eier explodieren und du stirbst?«
Ich denke darüber nach. »Vielleicht ist es dann, als kämen tausend aufgestaute Orgasmen in einer einzigen Explosion heraus. Wer würde danach schon weiterleben wollen? Ich glaube, wenn man eine Tausend-Orgasmen-Explosion erlebt hat, kann man nur noch sterben.«
»Da hast du recht.« Brenna sieht mich mit ihren dunklen Augen an, als ich aufstehe, um in die Küche zu gehen und meinen Teller abzuwaschen.
»Ich muss jetzt gehen«, sage ich zu ihr. »Bis später.«
»Wohin gehst du?«
»Zu einem Lerntreffen im Theta-Haus.«
»Ha! So viel zu deinem Zölibat.«
»Nein. Das steht immer noch. Ich arbeite dort mit einem Mädchen an einem Projekt.«
»So, so, an einem Projekt«, zieht sie mich auf.
»Ja, an einem Projekt. Es dreht sich nicht alles um Sex, Bee.«
»Natürlich tut es das.« Sie benetzt sich lasziv ihre Lippen, und mein Körper reagiert sofort darauf.
Sie hat recht. Sex ist allgegenwärtig. Eine Frau kann sich nicht einmal mehr über die Lippen lecken, ohne dass mein Gehirn sofort auf Sex umschaltet.
Bisher habe ich nur einen Weg gefunden, meine Libido zu kontrollieren: Marihuana. Aber selbst das kann ich nicht so oft machen, wie ich es gerne würde. Ab und zu mal einen Joint auf einer Party. Gras entspannt mich und zügelt meine sexuellen Bedürfnisse, doch es macht mich auch müde und langsam beim Training. Und auf keinen Fall will ich bei einem Drogentest auffliegen. Also ist kiffen – genau wie Sex – ein weiterer Spaß, den ich vermeiden sollte. Mein Leben ist schon toll.
»Wie dem auch sei, danach treffe ich mich mit ein paar Jungs im Malone’s zum Billardspielen. Warte nicht auf mich.«
»Du lädst mich nicht ein?« Sie macht einen Schmollmund.
»Nein«, antworte ich ohne jegliches schlechtes Gewissen. Ich wohne inmitten einer Östrogenzone, und manchmal muss ich der einfach entfliehen, auch wenn es bloß für einen Abend ist. »Kein Damenbesuch erwünscht. In diesem Haus gibt es schon genug Mädchen.«
»Ach komm schon, das gefällt dir doch. Rupi macht dir jeden Tag Lunch, Summer kocht dir Frühstück, und ich renne immer in Unterwäsche herum. Essen und sexy Bilder, Davenport. Du bist im Paradies.«
»Wenn ich im Paradies wäre, würde ich jeden Abend mit euch ins Bett gehen – mit euch allen zusammen.«
»Ha! Träum weiter. Viel Spaß mit …« Brenna malt Gänsefüßchen in die Luft. »… deinem Projekt.«
Ich zeige ihr den Stinkefinger und verlasse das Haus. Eine Viertelstunde später bin ich wieder auf dem Campus und parke meinen Land Rover in der von Bäumen gesäumten Greek Row. Es ist Dienstagabend und überraschend ruhig. Normalerweise findet hier immer irgendwo eine Party statt, aber heute höre ich nur gedämpfte Musik aus ein paar Verbindungshäusern.
Ich gehe den von Blumen eingerahmten Weg entlang, der zum Eingang des Theta-Hauses führt. Fast alle Fenster des zweistöckigen viktorianischen Gebäudes sind erleuchtet. Ich klingle, und ein großes, schlankes Mädchen öffnet die Tür.
Sie runzelt die Stirn. »Kann ich dir helfen?«
»Ich möchte zu Demi.« Ich ziehe die Schulter mit meinem Rucksack etwas nach oben. »Wir müssen lernen.«
Demis Verbindungsschwester zuckt mit den Schultern, dreht sich um und ruft: »Demi! Für dich!«
Ich betrete das Haus, das einer gewaltigen Verwandlung unterzogen wurde, seit ich am Wochenende hier war. Es ist jetzt blitzblank und duftet nach Zitronenreiniger. Keine Spur mehr von spärlich bekleideten Mädchen, betrunkenen Kerlen oder Bierpfützen überall auf dem Fußboden.
Schritte ertönen auf der Holztreppe, und das Mädchen aus dem Psychologiekurs kommt runter. Sie hat einen Lutscher im Mund. Reflexartig betrachte ich ihre Lippen, die rot glänzen von der Süßigkeit, an der sie leckt. Ihr dunkles Haar trägt sie zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden, und sie hat eine karierte Hose und ein dünnes weißes Tanktop über einem schwarzen Sport-BH an.
Sie ist wirklich verdammt süß, und ich muss mich dazu zwingen, sie nicht weiter anzustarren.
»Hi«, sagt sie und mustert mich eindringlich.
»Mel, wer hat geklingelt?«, ruft jemand.
Ich höre Geplapper, und plötzlich stehen etwa ein halbes Dutzend Mädchen im Gang. Sie halten alle abrupt inne, als sie mich sehen. Eine von ihnen zieht mich unverhohlen mit ihrem Blick aus, die anderen sind etwas diskreter.
»Hunter Davenport«, schnurrt die Gafferin. »Du siehst aus der Nähe noch viel besser aus.«
Normalerweise bin ich bei Frauen nicht schüchtern, aber sie stehen alle da und starren mich bewundernd an, was mich doch ein bisschen verlegen macht. »Vielleicht solltest du mir deine Nummer geben?«, murmle ich Demi zu.
»Warum das denn?«
»Damit ich nächstes Mal schreiben kann, wenn ich hier bin, und du mich still und heimlich reinlassen kannst, um … das hier zu vermeiden.« Ich deute auf unser Publikum.
»Was ist denn los? Machen dir ein paar Mädchen schon Angst?« Demi verdreht die Augen und führt mich zur Treppe.
»Nein.« Ich zwinkere ihr zu. »Ich mache mir Sorgen um dich.«
»Um mich?«
»Ja. Wenn ich mich hier ständig mit dir treffe, werden deine Verbindungsschwestern anfangen, unheimlich eifersüchtig auf dich zu werden. Sie werden gemein zu dir sein, und am Schluss wirst du keine Freundinnen mehr haben. Willst du das wirklich, Semi?«
Sie lacht. »O nein! Du hast recht. Von jetzt an solltest du durch mein Fenster klettern. Wie Romeo.« Sie schiebt ihren Lutscher mit der Zunge in den anderen Mundwinkel. »Spoiler-Alarm: Romeo stirbt.«
Sie schiebt mich in ein Zimmer im ersten Stock und schließt die Tür.