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Text © 2019 + 2020 by Rolf Gänsrich

Bilder © by Rolf Gänsrich, bis auf (**) by Gerry Meyer

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN - 9783751925129

Inhalt

Kaufhallengeschichten
Prolog

Ich denke, es ist mal an der Zeit, lang genug ist es ja her, ein paar meiner Erlebnisse aus dem Lebensmitteleinzelhandel der DDR zum Besten zu geben. Zwei der Texte sind nicht ganz neu, alles andere sind Erinnerungen frisch aufgeschrieben (wann die neuen Texte entstanden sind, das ist ganz am Ende zu lesen). Die Texte sind nicht in sich chronologisch geordnet. Die Idee, das alles einmal aufzuschreiben, hatte ich, als meine gute Freundin Dr. Clara West (SPD) aus dem Berliner Abgeordnetenhaus im Bürgerbüro ihres Wahlkreises einen ihrer regelmäßigen Termine des „Seniorencafés“ hatte, der angekündigte Gast leider kurzfristig auf Grund anderer Termine absagte, ich als Freund des Hauses mit im Büro war und sich die Senioren plötzlich zwanglos über das Thema „Ratten“ unterhielten und ich daran dachte, was mir so alles mit Ratten im Einzelhandel passiert war.

Danke Clara, Du warst mal wieder sehr positiv inspirierend!

HO

Vom 1. September 1978 bis 15. Juli 1980 war ich Lehrling als Wirtschaftskaufmann in der „Wirtschaftsvereinigung Obst Gemüse Speisekartoffeln“ (WV OGS) in Berlin. Das war der Großhandel für alles, was mit Gewächsen zu tun hatte. Ich war dort nach der Lehre noch ein Jahr weiter beschäftigt. Kurz vor Ende meiner regulären Lehrzeit machte ich eine Extraausbildung zum „Obst und Gemüse Gutachter“, wobei man mir beibrachte, welches die Kriterien für welche Qualitätsstufe waren, wie man die verändern konnte, Proben nahm und welche Handels- oder Güteklassen es in der DDR überhaupt gab.

So war ich als Gutachter von ab Ende der Lehrzeit, also vom 16. Juli 1980, bis etwa 15. Oktober 1980 von Nachts 0.00 Uhr bis morgens um 7.00 Uhr, an sieben Tagen in der Woche, auf dem Wriezener Güterbahnhof (neben dem Ostbahnhof) beschäftigt. Dort mußte ich die Waren in den anlandenden Güterwagen aus Rumänien, Ungarn und Bulgarien, in denen Wassermelonen, Weintrauben, Pfirsiche und Aprikosen ankamen, auf ihre Handelsklasse hin einordnen. Das hieß ab Dienstbeginn mit einer Taschenlampe bewaffnet in die Waggons zu kriechen, das Obst zu begutachten und festzulegen, welche Einzelhandelsgeschäfte im Einzugsbereich unseres Betriebsteils, das waren die damaligen Bezirke Lichtenberg (mit Marzahn und Hellersdorf), Treptow und Köpenick welches Obst davon und wieviel erhielt. Woher die beiden anderen gleichartigen Betriebsteile dieses Obst bezogen, weiß ich nicht. Diese Arbeit war meist gegen 1.00 Uhr erledigt. Anschließend holte ich mir in der Kantine auf dem Gelände, die rund um die Uhr offen war, zwei Currywurst mit Kartoffelsalat. Das Büro an der LKW-Waage auf dem Gelände hatte zwei Räume. In dem einen waren die Mitarbeiter für die Waage, das andere hatte ich. Nach der Currywurst machte ich mich meist auf drei bis für Bürostühlen lang und ein Nickerchen, bis so gegen halb fünf Uhr die ersten unserer LKW anrollten. Um 7.00 Uhr übergab ich das Büro an die Tagesschicht, die dort bis 16.30 Uhr arbeitete und dann den Schlüssel nebenan bei den Waage-Mitarbeiter abgaben, wo ich ihn mir in der kommenden Nacht wiederum abholte.

Zum Feierabend nahm ich wie selbstverständlich täglich eine Melone, ein paar Hände Trauben, Pfirsiche oder Aprikosen, natürlich ohne dafür irgendwo irgendwas zu bezahlen, mit.

Ab 1. Juli 1981 wechselte ich die Seiten und ging in in den Einzelhandel zum damals noch eigenständigen „HO Kaufhallenverband Berlin“, der aber … ich bin mir da nicht mehr sicher, finde aber auch keine Zahlen mehr … zum Jahreswechsel 81/82 aufgelöst und in die normalen Bezirksbetriebsteile der HO WtB Berlin eingegliedert wurde. Die HO (Handels Organisation) wurde am 15.November 1948 in Berlin gegründet, war der staatliche Einzelhandel in der DDR und hatte damit den Status eines „VEB“ (Volks Eigener Betrieb).

Zur HO gehörten unter anderem der Bereich „WtB“ (Waren des täglichen Bedarfs), die „Exquisit-Läden“ (für hochpreisige Mode), „Delikat“-Läden (für hochpreisige Lebens- und Genussmittel), die HOG (HO-Gaststätten) und die Goldbroilergaststätten, die ein eigener Betriebsteil in der HOG waren, dazu die Jugendmodegeschäfte, und überhaupt gab es zu jedem Spezialartikelladen auch einen entsprechenden Betriebsteil der staatlichen HO. Selbst die „Centrum-Warenhäuser“ waren der HO hinzu zu rechnen. Auch die „Forum Handelsgesellschaft“, die die „Intershops“ betrieb (das waren Läden, in denen man nur gegen Devisen oder „Forum-Coupons“ … DDR-Bürger durften offiziell keine Devisen besitzen, bzw. wenn man Devisen geschenkt bekam, hatte man diese unverzüglich auf der nächsten Bank eins zu eins in diese Forum-Coupons einzutauschen … einkaufen konnte) und „Genex“, eine Firma, die in Westeuropa einen Katalog vertrieb, in dem der Westler für seine Freunde und Verwandtschaft in Ostdeutschland Waren für Devisen bestellen konnte, die dann in der DDR ausgeliefert wurden, gehörten dazu. Sehr beliebt waren da zum Beispiel Autos. Wartete man sonst auf den PKW Trabant etwa achtzehn Jahre ab Bestellung, so dauerte es von der Bestellung bei Genex bis zur Selbstabholung des Wagens ab Werk gerade einmal vier Wochen. Selbst die Farbe und eingebaute Extras konnte man da wählen, was sonst nicht der Fall war. Der Trabant kostete etwa 8.500,00 DDR-Mark, bei Genex etwa 4.500,00 D-Mark (Westmark). Aber dazu brauchte man halt Verwandschaft im Westen, die auch entsprechend flüssig war.

Am 1.September 1975 holten meine Eltern unseren Genex-Trabant in Zwickau ab. Mutterns Oma väterlichersseits (also meine West-Tick-Tack-Oma – Tick-Tack = U>h<r) war hoch betagt und wollte so einen Teil ihres Vermögens ihrer Enkelin im Osten zukommen lassen.

Bei der HO stieg ich ab dem 1. Juli 1981 als „1.Fachverkäufer Obst Gemüse“ ein und war damit der dritte Leitende der Gemüseabteilung in dieser Kaufhalle, damals Franz-Jacob-Straße, direkt am S-Bf. Storkower Straße (bis 1977 „Zentralviehhof“). Mitte 1984 wurde ich als „Leiter Waren-Annahme“ in eine Mini-Kaufhalle in der Rummelsburger Straße in Lichtenberg versetzt, aus der mich nach einem Vierteljahr der Chef der Kaufhalle „Leninallee 116“ (am Steuerhaus in Sichtweite des Ringbahnhofs – da ist heute ein russischer Supermarkt drin) von dort rettete, denn das eingeschworene Team in der Rummelsburger Straße bestand aus lauter Frauen, die doppelt so alt, wie ich damals, waren und die mich schlicht fertig machten. In der Leninallee 116 war ich nur noch normaler Warenannehmer. Vom 2.Mai 85 bis 31. Oktober 86 mußte ich zum Grundwehrdienst in die NVA (siehe mein Buch „Still gestanden, die Augen links“), kehrte anschließend in diese Kaufhalle zurück und war dann erst einmal nur wieder Warenannehmer. Ab März 87 wurde ich zum „Leiter der Warenannahme“ und ab Mai 87 kommissarisch zum stellvertretenden Filialleiter ernannt. Das machte ich bis zu meiner unehrenhaften Entlassung aus der SED im August 1989 (ich hatte auf Grund der politsichen Lage mein Parteibuch geworfen), nach der man „plötzlich“ feststellte, daß mir irgendeine Qualifizierung fehlte, die mich zum „Leiter“ machte und so wurde ich zur Aufpackkraft herab gestuft.

Mit der Deutschen Wiedervereinigung übernahm Kaiser's-Tengelmann die HO in weiten Teilen Ost-Berlins und beschäftigte mich weiter. Bereits 1991 wechselte ich die Filiale und ging in die Georgenkirchstraße im Friedrichshain, ab Januar 1994 in die Filiale am Hamburger Platz in Weißensee und als diese geschlossen wurde, weil man eine nagelneue Filiale in der Wigandstaler Straße eröffnete, ging ich dort ab Mai 1995 mit. Meist war ich da für den Getränkebereich zuständig, immer verbunden mit der Pfandflaschenrücknahme, meist gab es dann noch ein „Nebenbeisortiment“ dazu. Mal war das Tiernahrung, mal Waschmittel, mal Kaffee und Marmelade. Immer war das aber auch verbunden mit einigen Stunden Kassierertätigkeit. Bereits im April 94, noch am Hamburger Platz, hatte ich mich als „Springer“ in der Firma registrieren lassen, der alle paar Tage in andere Filialen im gesamten Berliner Stadtgebiet geschickt werden konnte. Das war eine freiwillige Entscheidung von mir, denn auf diese Weise wollte ich die Arbeitsweise und die Kunden vor allem in West-Berlin kennen lernen. Meine Rechnung ging auf. Die nettesten Kunden gab es damals in Schmargendorf, in Wannsee und in Steglitz, die anstrengendsten Kunden gab es hingegen in Hellersdorf, Hohenschönhausen und Marzahn. Ich lernte in der Zeit über die Stadt Berlin insgesamt sehr, sehr viel.

Mit Ankündigung einer achtwöchigen Kur ab Januar 98 wurde ich ab November 97 fest dem Supermarkt im Lindencenter in Hohenschönhausen, Hansastraße, zugeteilt. Bis zur Kur war ich dort für den Gemüsebereich zuständig, ab nach der Kur wurde ich zum Fleischfachverkäufer. Am 7.Mai 98 bekam ich meine „Betriebsbedingte Kündigung“ und noch ein halbes Jahr von Kaiser's-Tengelmann mein volles Gehalt ohne zu arbeiten.

Ende 98 half ich für ein Trinkgeld mal für ein paar Stunden in einem griechischen Gemüseladen in der Bötzowstraße / Hufelandstraße aus, aber die Chefin wollte mich nicht fest anstellen und schwarz arbeiten wollte ich nicht. Im Weihnachtsgeschäft half ich einem Kumpel, der einen Spar-Markt in Potsdam hatte, für ein Trinkgeld auf drei Tage aus, aber auch er wollte mich nicht fest anstellen. Das war auch der Punkt, an dem ich für mich feststellte: ich will Einzelhandel nicht mehr. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt alles schon mal gesehen, alles schon mal gemacht, alles verkauft, alles verarbeitet, alles erlebt, was man nur im Einzelhandel erleben kann und ich konnte mich da schlicht nicht mehr weiterentwickeln. Es geht mir selbst heute noch, über zwanzig Jahre, nachdem ich da raus bin, so, daß ich im Supermarkt oder beim Krauter um die Ecke sofort sehe, welche Arbeiten da als nächstes zu tun wären und ICH will es nicht mehr tun. Hab teilweise sogar noch Albträume davon.

Vielleicht braucht es noch dieses Buch zur Aufarbeitung.

Innerlich gelacht hab ich schon, als ich mitbekam, daß Kaiser's-Tengelmann ab nach einem halben Jahr nach meiner Entlassung damit begann, buchhalterisch rote Zahlen zu schreiben und nur noch Verluste einzufahren.

In den Handel bin ich seitdem nie wieder zurück gegangen.

Ratten in der Kantine

In meiner Lehre war es so, daß wir im ersten der beiden Lehrjahre als Wirtschaftskaufmann immer drei Wochen Berufsschule und eine Woche praktischer Einsatz im Ausbildungsbetrieb hatten. Ab dem zweiten Lehrjahr war das Verhältnis dann ein zu eins und es wechselte von Woche zu Woche. Wobei ich im Großhandel im halbjahreswechsel jeweils in andere Bereiche hinein schnuppern mußte. Zuerst war ich im Betriebsteil Konserven in der Eldenaer Straße auf dem Zentralviehhofsgelände, dann in der Firmenzentrale in der Jacobsohnstraße in Weißensee und dort speziell in der „Grundmittelbuchhaltung“, anschließend war ich in der Buchhaltung in der Chausseestraße in Mitte, wo die Lohn- und die Finanzbuchhaltung der WV OGS untergebracht war und schließlich landete ich im Handelsbetrieb 1 (für Frischware) in Karlshorst in der Verlängerten Waldowallee, direkt hinter der Trabrennbahn.

Der erste Tag im Betrieb ist mir noch gut in Erinnerung. Ich im Büro der Chefin der Buchhaltung des Betriebsteils an einem Schreibtisch, die Chefin im Wortsinne im Nacken und ich soll als erstes Rechnungen sortieren. Plötzlich klingelt das Telefon auf meinem Schreibtisch.

… Mh … Was tun?

Erstmal ignorieren. Ist wohl das Beste. Nach etwa fünfmal klingeln faucht mich die Chefin an: „Wollen sie nicht ran gehen?“ Ich frag schlotternd zurück: „Was soll ich denn sagen?“ „Na vielleicht erstmal, wer sie sind und wo sie sind.“ Der Telefonhörer flattert in meinen Händen und an meinem Ohr und ich stammel irgendwas von „Handelsbetrieb Konserven, der Herr Gänsrich am Apparat.“ „Hier ist der Udo! Gib mir mal die Chefin.“, krieg ich zu hören und reiche den Hörer weiter. „Geht doch.“, sagt die Chefin anschließend knapp.

Kantinen kannte ich bis dato nur aus der Produktiven Arbeit in der Schule, aber vom wenigen Taschengeld war da höchstens mal 'ne Bockwurst mit Schrippe drin. Meine Mutter war als Halbtagsschreibkraft in Heimarbeit tätig und kochte täglich. So bin ich nie in den Genuss von Schulspeisung und solch exotischer Gerichte wie „Tote Oma“ oder Graupensuppe gekommen. Auch in der Berufsschule in der Greifswalder Straße gab es keine Möglichkeit irgendwo eine warme Mahlzeit einzunehmen, weshalb es da bei belegten Broten blieb. Deshalb war ich auf die Kantine in der Eldenaer Straße neugierig und die mußte ich natürlich, auch um mich mit den anderen Lehrlingen aus meiner Berufsschulklasse auszutauschen, besuchen.

Dabei fielen mir auf dem Gelände recht große Tiere auf.

Endlich zu hause erzählte ich meiner Mutter von meinem Erlebten und von den Tieren. Ich so: „Ich weiß nicht, was das für Tiere waren. Die waren so groß, wie Opas Karnickel, hatten aber eher mit unseren Mäusen, die wir hier im Käfig halten, Ähnlichkeit. Nur ebend viel größer, auch mit dem nackten Schwanz.“ Muttern: „Junge, das waren Ratten.“ Und Vaddern ergänzte: „Die Ratten auf dem Zentralviehhof werden vermutlich richtig schön fett sein.“

Ich aß und trank fort an in dieser Kantine nichts mehr, was dort zubereitet war. Kopfkino! Ich sah ständig im Kaffee hängende Rattenschwänze und Wurst anknabbernde Ratten vor meinem inneren Auge.

Wollen sie auch Kaffee?

Im zweiten Lehrhalbjahr war ich in der Firmenzentrale. Üblich war, daß die „Lehrpiepse“ überwiegend mit Kaffee kochen beschäftigt waren. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt, es war bevor Kaffeemaschinen die Küchen der Welt eroberten, bereits ordentlich Kaffee kochen, denn wenn ich Sonntags meinen Eltern das Frühstück samt Kaffee ans Bett brachte, konnte ich um so ungestörter das „Sonntagsrätsel“ im RIAS mit Hans Rosenthal, „Onkel Tobias im RIAS“ und „7 – 10, Sonntagmorgen in Spreeathen“ auf dem Berliner Rundfunk ungestört in der Küche, in der das alte Röhrenradio stand, hören.

Meine Lehrkolleginnen mußten ständig für irgendwen Kaffee kochen.

Um so erstaunter war ich, als ich am ersten Tag an diesem Ausbildungsplatz in der Firmenzentrale von der Sekretärin des Chefs gefragt wurde: „Wollen sie auch Kaffee?“

Das hat sich dann bis zum Ende meiner Lehrzeit so durchgezogen. Trotz aller Gleichberechtigung brauchte ich in meiner Lehre nie Kaffee kochen.

*

Dieser Text ist älter. Er wurde von mir einst für ein Kunstprojekt in Köpenick 2009 geschrieben, von diesem aber leider nur in kleinen Auszügen benutzt, als (Vor-)Lesetext 2012 überarbeitet, war er hingegen für Kleinkunstveranstaltungen und offene Lesebühnen weitaus zu lang und landete schließlich als mehrteilige Folge in meiner Sendung auf Rockradio.de … und wurde für die Kaufhallengeschichten am 15.6.2019 erneut geschliffen.

Wie der Lebensmitteleinzelhandel in der DDR funktionierte

Rolf Gänsrich 1./8.3.09 + 29.4.2012

Über Jahrzehntausende in der Menschheitsgeschichte wurde mit Lebensmitteln eher selten gehandelt, da sie ganz einfach zu schnell verdarben. Der Mensch war überwiegend Selbstversorger und sammelte und jagte. Später als er sesshaft wurde, baute er Getreide an und hielt Vieh.

In den allmählich aufkommenden Städten bildeten sich erste Handwerksberufe heraus.

Märkte entstanden, auf denen Bauern ihre überschüssigen Erträge verkauften.

Bis noch vor knapp einhundert Jahren waren Wochenmärkte die wichtigste Quelle der Lebenmittelversorgung der Städter.

Gleichwohl versorgte sich der Stadtbewohner noch zum Teil selbst.

Es war darüber hinaus durchaus üblich, dass die Frauen in den Familien ihr eigenes Bier selbst brauten.

Die Wochenmärkte fanden auf dem zentralen Platz einer Ortschaft statt.

Der Marktplatz war eingerahmt von der weltlichen Obrigkeit, dem Rathaus und der geistlichen Obrigkeit, der Kirche. In großen Städten wie beispielsweise London gab es bereits seit dem frühen Mittelalter auf einzelne Waren spezialisierte Märkte.

Das geschah auch in anderen großen Städten der Welt, wie zum Beispiel in Berlin.

Auf dem Molkenmarkt wurden Molkereiprodukte verkauft, am Spittelmarkt, der Name abgeleitet von der Spindel mit der man Garn spann, …. wir kennen sie aus dem Volksmärchen “Dornröschen”, wo sich die Königstochter an einer Spindel, Spittel sticht und hundert Jahre lang schläft …. am Spittelmarkt verkaufte man alles was mit Kleidung und nähen zu tun hatte und der Alexanderplatz war nur ein Viehmarkt.

Im Sommer und Herbst stakten und treidelten die Werderaner Bauern ihre Lastkähne entlang von Havel, Spree und Teltowkanal nach Berlin und verkauften an Anlegestellen teilweise direkt vom Lastkahn ihr Obst und Gemüse. … Aus jener Zeit stammt der Begriff vom “ollen Äppel-Kahn”.

Für uns heute unvorstellbar, dass bis weit nach dem zweiten Weltkrieg die Versorgung der Bevölkerung fast ausschließlich in den Händen der kleinen, heute würde man sagen “Tante-Emma-Läden” lag.

Allein im Prenzlauer Berg gab damals dreimal mehr Menschen, als heute und alles kaufte in kleinen Läden ein! Allerdings hatten viele Städter damals irgendwo ihre Parzelle, auf der nicht nur Nahrungsmittel angebaut, sondern meist noch Kleintiere gehalten wurden.

Nach dem Krieg wurde obendrein in Blumenkästen Tabak angebaut und wurden Kaninchen auf Balkonen und Hühner in Küchen gehalten.

Supermärkte im heutigen Sinne gründete die King Kullen-Kette aus den USA, die ihren ersten Laden im August 1930 in einer ehemaligen Autowerkstatt in Queens (NY) eröffnete.

Der erste europäische Supermarkt überhaupt wurde 1948 in Zürich von der Migros-Genossenschaft eröffnet und fand alsbald regen Zulauf.

Der erste Supermarkt in Deutschland wurde ein Jahr später in Osnabrück eingerichtet, das Selbstbedienungsprinzip konnte sich zu dieser Zeit aber in Deutschland noch nicht durchsetzen und der Laden ging wieder ein.

So kam es, dass in Deutschland erst wieder beispielsweise der Edeka-Verbund um 1954 zum Selbstbedienungsprinzip überging, ab 1959 wurden dort auch Non-Food-Produkte neben den Lebensmitteln angeboten.

Mit dem Selbstbedienungsprinzip hielten fertig abgepackte Waren, sowie vermehrt Markennamen Einzug in den Betrieb.

In der DDR, die immer unter chronischem Arbeitskräftemangel litt, wurde das Prinzip der Selbstbedienung recht zügig ab mitte der 50er Jahre eingeführt.

Ich kann mich noch an die winzigen Läden erinnern, in denen Muttern bei uns in Hohenschönhausen kaufte. Im Lebensmittelfachgeschäft gab es zwar Selbstbedienung, aber kein Obst/Gemüse, kein Fleisch, kein Waschpulver und keine Brötchen, dafür aber Kaffee und Zigaretten, so dass Muttern uns quengelnde Bälger von einem Laden zum anderen und von einer Schlange zur nächsten schleifen musste.

Die ersten Kaufhallen gab es ab etwa 1956 in den Neubausiedlungen mit den berühmten “Q3A” Bauten. Diese Verkaufstellen boten auf ihren meist ca. 450 m2 Verkaufsfläche alle Waren des täglichen Bedarfs an. An Fleisch/Wurst-Theken wurde dazu noch einzeln bedient, aber gezahlt wurde wie heute insgesamt an der Kasse.

Grundsätzlich hatten alle Filialen, gleich welcher Größe, immer einen eigenen Tabak/Kaffeestand im Bereich vor den normalen Kassen, an dem bedient und sofort abkassiert wurde.

Die ersten dieser 450 m2 - Verkaufsstellen waren, ohne jetzt eine genaue zeitliche Zuordnung geben zu können und garantiert als Liste unvollständig, im Dammweg in Treptow, am Hamburger Platz in Weißenssee (noch bis 1995 von Kaiser’s betrieben), “Kaufhalle Strauchwiese” in der Blankenburger Straße in Niederschönhausen, die später innerhalb der HO einen äußerst schlechten Ruf wegen ihrer hygienischen Zustände hatte, “Leninallee 116” am “Steuerhaus”, Prenzlauer Allee Ecke Erich-Weinert-Straße (bis 2005), Kaufhalle Roelkestraße (1995 geschlossen und abgerissen), eine Kaufhalle in der Oberspreestraße in Spindlersfeld und wohl einige mehr.

Nun muss man sich den Einzelhandel in der DDR anders vorstellen, als heute, mal abgesehen von der Bezahlung der Angestellten, die damals wie heute einfach beschissen ist.

Heute würde es sich kein Lieferant wagen, seine Kunden zu betrügen und kein Einzelhändler wiederum seine Kunden, denn die kauften bei ihm nie wieder.

In der DDR war das dagegen normal. Offiziell gab es keine Kundendiebstähle, aber natürlich klauten die Kunden genauso viel, wie heute.

Das Gehalt eines Mitarbeiters im Einzelhandel setzte sich aus dem Grundlohn und dem Leistungslohn zusammen. Dieser Leistungslohn war auch abhänging von den Inventuren in den Filialen. Waren die halbjährlichen Inventuren o.k., stimmte auch das Geld so halbwegs.

Es war deshalb allgemeine Verrahrensweise, dass an den Fleisch-, Wurst-und Käsetheken und beim Gemüseverkauf, also überall da, wo man Waren für den Verkauf abwog, der Kunde ständig betrogen wurde.

Aber schon bei der Warenannahme lief das so.

Bei gut zwei dutzend Lieferanten, die so eine HO-Kaufhalle hatte, gab es gut zwei dutzend verschiedene Anweisungen der Waren-Annahme.

Mal wurden nur die Kistenanzahl insgesamt gezählt, mal mussten die Kisten aufgerissen und deren Inhalt gezählt werden, wie zum Beispiel bei der Anlieferung von Kaffee. Achtundvierzig Tüten Moccafix mussten in einer Kiste enthalten sein. Alle gerade im hinteren Bereich einer Kaufhalle Anwesenden wurden dazu verdonnert, bei Kaffee-Anlieferung mit zu zählen.

Wieder andere Waren mussten bei Anlieferung gewogen werden, weil die Kisteninhalte bei Obst, Gemüse, Fleisch und Wurst differierten.

Die angelieferten Paletten waren nicht fertig in Folie eingeschweißt, sondern oft wurde die Warenlieferung erst vom LKW herab zusammengestellt.

Schon beim Großhandel für die Filialen fertig kommissionierte Paletten wurden durch ein, manchmal auch durch zwei, einfache Hanfseile zusammengehalten. Keine Spur von „eingeschweißt in Folie“. Da „verrutschte“ auch schon mal was beim Transport auf der Ladefläche.

Tja und wenn man bei der Warenannahme nicht aufpasste, verschwanden halt wieder einige Kisten auf dem LKW, weil der Fahrer sie für sich klaute oder der LKW-Fahrer war abgelengt und man moppste selber für die Filiale noch die eine oder andere Kiste vom LKW herunter.

Es war ein ständiges: du bestielst mich, ich bestehl dich!

Das war so allgemeine Verfahrensweise.

Ich war selbst lang genug Leiter der Warenannahme von HO-Kaufhallen. Man musste darauf achten, vom Kraft- und dessen Beifahrer nicht betrogen zu werden, man versuchte hingegen selbst, den Kraftfahrer zu betrügen.

Alles immer im Sinne der Senkung der Inventurminusdifferenzen der eigenen Filiale.

Der Handel aus sich heraus funktionierte in der DDR grundsätzlich anders.

Für jedes Sortiment gab es einen eigenen Großhandel, der aber, so kurios es klingt, keine eigenen LKW hatte. Die LKW und dessen Fahrer stellten der “VEB Handelstransport” oder “VEB Autotrans”.

Bei der Auslieferung durch den Großhandel an den Einzelhandel waren entsprechend immer zwei Personen auf einem Wagen, der Fahrer der Spedition und als Beifahrer jemand aus dem Großhandelsbetrieb. Es waren aber fast ausnahmslos auf einander eingespielte Teams, die ihre Liefertouren oft über Jahre gemeinsam fuhren.

Nur in Ausnahmefällen wurde nicht vom Erzeuger zum Großhandelslager und von dort per umladen an den Einzelhandel geliefert, sondern der Einzelhandel, mittels staatlicher Spedition, mit nur einem Fahrer, vom Erzeuger direkt beliefert.

Das waren zum einen im Sommer Kirschen und Erdbeeren aus Werder, zum anderen ganzjährig und nur für große Kaufhallen Blumenkohl aus der Magdeburger Börde, Äpfel aus Werder und Gurken und Kohlrabi aus dem Oderbruch.

Dass es in Ost-Berlin gerade an den Sommer-Wochenenden Wassermelonen, Weintrauben und Pfirsiche gab, hing damit zusammen, dass der West-Berliner Fruchthof diese Waren am Wochenende nicht mehr abnahm und die DDR dann die teils überreifen Früchte billig bekam. Ausgeliefert wurde direkt ab Eisenbahnwaggon vom Wriezener Güterbahnhof.

Obwohl diese Waren recht gleichmäßig “gestreut” werden sollten, gab es beim Großhandel, meinem Lehrbetrieb, einen internen, staatlich verordnenten “Verteilschlüssel”.

Danach hatten die großen HO-Kaufhallen die höchste Priorität, beginnend ab der größten Verkaufsfläche, dann folgten die großen KONSUM-Kaufhallen, dann die kleinen HO- und KONSUM-Hallen, es folgten die normalen HO- und Konsumgeschäfte, dann die HO-Kommissionshändler und schließlich die privaten Läden ... 1980 gab es in ganz Köpenick noch einen davon, “Engelke” in Alt-Köpenick direkt am Rathaus.

Außerdem gab es Sonderzuteilungen für die Geschäfte an der “Protokollstrecke” entlang der Greifswalder Straße und für Betriebsverkaufsstellen innerhalb großer Firmen, wie zum Beispiel dem Kabelwerk Oberspree, Werk für Fernsehelektronik oder VEB Elektrokohle, in denen teilweise bis knapp zehntausend Menschen arbeiteten.

Noch bis etwa 1982 wurden in die großen HO-Kaufhallen neue Regalreihen eingebaut und die Gänge verschmalert, um das stetig wachsende Sortiment aufzunehmen. Ab 1983 kehrte sich dieser Prozess, aber bereits um und Regalreihen wurden wieder entfernt.

Alle Obst-Gemüse-Verkaufsstellen mussten das Obst von Kleingärtnern entgegennehmen und diesen abkaufen. Durch die staatlich gestützten Preise kam es dann zum Beispiel zu dem Kuriosum, dass der Kleingärtner für seine eigenen Walnüsse ca. 9,00 Mark erhielt, diese Nüsse aber vorn im Laden für nur 6,80 Mark verkauft wurden, so es denn welche gab.

Die kleineren Kaufhallen, halt die mit einer größe um 450m2 , arbeiteten im Zwei-Schicht-Wechsel-System. Erste Schicht 6.00 – 14.00, zweite Schicht 12.00 – 20.00 Uhr.

Vor Ladenöffnung waren ganze zwei Stunden für die Warenbearbeitung vorgesehen, nach Schließung nochmals eine Stunde.

Ich darf an dieser Stelle mal an die Samstagsöffnung von 8.00 bis 11.30 Uhr erinnern, die niemanden am Wochenende verhungern ließ.

Diese kleinen Filialen hatten eine eigene Warenschleuse, in der bei der Nachtanlieferung durch die Kraftfahrer Brot, Frischmilch und Zeitungen abgeliefert wurden. Zeitungen mussten morgens sofort gezählt werden. Während die Kolleginnen Kaffee kochten, zählte ich schon Zeitungen und überprüfte die tatsächlichen Milch- und Brotlieferungen mit den Zahlen auf den Lieferscheinen.

Schon an dieser Stelle landete vieles von den Zeitungen nicht mehr im Verkaufsraum.

Unsere Filiale erhielt beispielsweise nur zwei Exemplare der damals wöchentlich erscheinenden Satirezeitschrift “Eulenspiegel”, um die sich dann mein Chef und ich “prügelten”.

Von den dreißig Exemplaren der “Wochenpost” gingen allein fünfzehn unter den Kollegen weg.

Während in diesen Filialen um 450m2 Verkaufsfläche etwa dreißig Personen arbeiteten, waren beispielsweise in der Filiale am S-Bahnhof Storkower Straße, mit ca. 1200 m2 Verkaufsfläche etwa neunzig Personen beschäftigt, in der Bölschestraße in Friedrichshagen gab es über 120 Angestellte.

Diese Kaufhallen hatten obendrein individuelle Bedienung an einer Käsetheke, eine Kuchen- und Tortentheke und einen eigenen Kosmetikstand mit richtiger Kosmetikfachverkäuferin. Filialen dieser Größe hatten eine Warenannahme, die im rotierenden Vier-Schicht-System arbeitete und die entsprechend viele Waren Nachts annahm. Diese großen Filialen waren beim Personal recht beliebt. Mit ein Grund dafür dürfte darin liegen, dass es in ihnen eine eigene Kantine mit Kantinenbewirtschaftung gab, also ein oder zwei Köchinnen, die belegte Schrippen anboten und die zum Mittag selbst warm kochten und noch Bockwurst mit Salat und ähnliches im Sortiment hatten. Ja, es wurde dort täglich frisch gekocht!

Auch sonst lief so einiges anders, als heute. So war es üblich, dass das Personal den Verkaufsraum täglich selbst fegte, mit grünen Fettspänen, damit der Staub nicht aufwirbelte und einmal wöchentlich den Laden feucht mit Schrubber und Feudel wischte. Eigenständige Putzfirmen gab es dafür nicht.

Betrat man als Mitarbeiter zum Schichtbeginn die Filiale durch den Personaleingang, hatte man all sein Bargeld samt Portmonnaie beim Schichtleiter abzugeben. Heißt, man zählte sein Bar-Geld vor, dann wurde die Brieftasche in einen Tresor eingeschlossen und das Geld, das man im Portemonnaie, (hab als Schüler dieses Wort mal als „Portmoney“ geschrieben und dem Pauker erklärt, daß ich dachte, es käme aus dem englischen und hieße „Hafen für Geld“) in einem persönlichen “Verzehrheft” (A 6) vermerkt. “Verzehrheft” deshalb, weil alle Waren, die man sich für den persönlichen Verzehr aus dem Lager oder dem Laden entnahm, von einer anderen Person abgezeichnet und im Heft vermerkt wurden. Bezahlt wurde alles aus dem Verzehrheft, gemeinsam mit dem eigenen Einkauf, zum Feierabend an der Personalkasse am Personaleingang. Außerdem hatte jeder Mitarbeiter in einem Regal im Personaltrakt seinen eigenen, gekennzeichneten Einkaufskorb zu stehen, in dem die privaten Einkäufe landeten. So brauchte man nicht extra erst noch einkaufen zu gehen, sondern konnte bei Wegen innerhalb der Filiale immer mal das eine oder andere im Vorbeigehen mitnehmen und in diesem Korb bis zum Feierabend lagern. So machte man beispielsweise auf dem Weg von der Warenannahme zur Mittagspause in der Kantine einen Schlenker durch den Laden und nahm sich Brot und Margarine als Einkauf und noch eine Brause zum Sofortverzehr mit. Der Sofortverzehr wurde im Verzehrheft eingetragen, der Rest landete im eigenen Einkaufskorb. Durch die vorgeschriebenen Festpreise in der DDR für “Waren des täglichen Bedarfs” machte es für einen Mitarbeiter im Einzelhandel keinen Sinn, außerhalb der eigenen Filiale einkaufen zu gehen.

Tja ... und dann gab es da noch diesen einen Raum, der in jeder Filiale anders hieß. Bei uns war es “die Dreizehn”. In diesem speziellen Raum, der immer verschlossen und mit der Alarmanlage extra gesichert war und in den nur bestimmte Personen vom Personal hinein durften, lagerten eigentlich die wertintensiven Waren. Dieser extra verschlossene und gesicherte Lagerraum mitten im Lager war gedacht für Tabakwaren, Kaffee, teure Spirituosen und für die “Delikat-Erzeugnisse”, die am Kaffee-/Tabakstand mit verkauft wurden. In diesem Raum lagerte aber auch die “Bückware”. Wir hatten immer einige Kartons mit Papiertaschentüchern, Rosenthaler Kadarka (Wein), etliche Kollies Letscho und Kisten mit Sauerkirschsaft darin gelagert, für den Fall, dass einmal ein Kollege in Not geriet und einige dieser Waren benötigte, um andere Waren zu erhalten.

... äh? ...

Beispiel: Als ich einmal sehr schnell von meiner Wohnungsverwaltung einen Handwerker brauchte, bekam ich von diesem Handwerker schneller einen Termin, nachdem ich ihm einfach einmal zehn Gläser Letscho, die ich pro Glas natürlich in meiner Filiale käuflich für 1,60 M pro Stück erworben hatte, in seinem Büro “stehen gelassen” hatte. Bestechung zum kleinen Preis!

Wie gesagt, der Einzelhandel funktionierte in der DDR anders.

Dann gab es die “eiserne Reserve”, eine Zwangseinlagerung, die jede Filiale zu übernehmen hatte und die von ihrer Menge her von der Filialgröße abhängig war. Diese bestand aus ... kennen Sie noch diese Gitterboxen, von der Fläche her halb so groß, wie eine Euro-Palette aus Holz, ... mehreren dieser Gitterboxen mit Speisesalz, Mehl, Zucker und aus mehreren Paletten Bier, vorzugsweise dem haltbareren “Berliner Pilsner” und einigen Behältern Kartoffeln. Diese Waren wurden regelmäßig im Lager gewälzt bevor man sie nach einigen Wochen Lagerzeit in den Verkauf brachte.

Der eine oder andere wird sich sicher noch an den “Wechselkorb” der Kassierer erinnern. Es gab damals noch keine Förderbänder, auf denen die Waren am Kassierer vorbei glitten, statt dessen und das war Anweisung, musste jeder Artikel vom Kundenkorb in einen anderen, halt den Wechselkorb, vom Kassierer umgepackt werden. Der Kunde übernahm nach dem kassieren den Wechselkorb und sein bisheriger Einkaufswagen wurde zum Wechselkorb für den nächsten Kunden. Da es keine Einkaufswagenchips gab, mußten in großen Kaufhallen durch einen Mitarbeiter alle halbe Stunde die Einkaufskörbe im Eingangsbereich geordent und zusammengeschoben werden.

Die dauerhaften Einheitspreise hatte man als Kassierer, Sie merken, ich habe damals an allen Stellen gearbeitet, sehr schnell im Kopf.

So ich mich noch recht erinnere und damit möchte ich hier enden, mal eine kleine Preisliste:

1 l Frisch-Milch im Schlauch: 0,66 M

½ l H-Milch: 0,55 M

Stück Butter 250 g: 2,40 M

125 g Mocca-Fix (gemahlener Kaffee): 8,75 M

1 Fl. (0,7 l) Nordhäuser Doppelkorn: 17,60 M

Schachtel “Cabinett”, “Semper”, “F6” (Mittelklasse-Filterzigaretten): 3,20 M

Joghurt 250 g Becher: 0,40 M

0,33 l Bier (normales Pils): 0,61 M

0,5 l Berliner Pilsner: 1,28 M

Zitronen: 5,00 M je kg (wurden einzeln im Lager ausgewogen)

Salatgurken: 6,00 M je kg (gleichfalls gewogen und nicht als Stückware verkauft, wie heute)

Erdbeeren: 4,80 M je kg

Wassermelonen: 0,85 M je kg

Schrippe (die hieß in Berlin offiziell laut Lieferschein so!): 0,05 M

geschnittenes Toastbrot: 1,05 M

250 g Marella (gute Frühstücksmargarine), 250 g: 1,30 M

250 g Sonja (einfachste Backmargarine): 0,50 M

Schnitt-Käse allgemein: ca. 9,90 M je kg

Toilettenpapier einfachste Sorte: 0,30 M je Rolle

Pulax (Scheuermittel): 0,95 M pro 400g Dose

Packung Spee (Waschmittel): 4,65 M

Spee-Color: 4,95 M

... und an der Tankstelle: 1 l Normalbenzin: 1,50 M

Ein Pfund

Berlin-Prenzlauer Berg am 17. Juni 2019 auf einem Wochenmarkt.

Ein Facebookpost von mir.

Bin ich schon so weit aus der Zeit gefallen?

Wollte heute an einem Obststand "ein Pfund Erdbeeren".

Gibt mir der Verkäufer eine große Schale.

Ich erneut, geduldig: "Ich möchte bitte nur ein Pfund Erdbeeren."

Nimmt er drei Erdbeeren aus der Schale.

Ich jetzt weniger geduldig: "Ich möchte nur ein Pfund Erdbeeren! In dieser Schale ist aber mindestens ein Kilo!"

Offensichtliche Ratlosigkeit beim Verkäufer.

Ich nochmal: "Ich möchte nur ein Pfund Erdbeeren. Ein Pfund ist ein halbes Kilo oder 500 Gramm."

Darauf er: "Das hab ich aber in meiner Ausbildung nicht gelernt."

Jetzt Ratlosigkeit bei mir!

Was lernen die im Einzelhandel heute noch?

Lieferung aus West-Berlin

Ab Freitagmittag nahm der Fruchthof in der Beusselstraße bis zum Sonntagabend keine Lieferungen mehr an. Güterzüge aus Polen, Ungarn, Bulgarien und Rumänien, die Wassermelonen, Pfirsiche, Weintrauben, Tomaten oder Gurken geladen hatten, wurden oft noch vor Erreichen West-Berlins über den Außenring zum Wriezener Güterbahnhof (neben dem Ostbahnhof) umgeleitet.

War der Zug schon in West-Berlin und abzusehen, daß man diese Lieferung in der Beusselstraße nicht mehr los wurde, manchmal war der Beusselstraße das Obst auch schon zu reif, wenn es eintraf, dann wurden diese Güterzüge über die Stadtbahn (meist in den späten Abendstunden) zum Wriezener Bahnhof umgeleitet.

Direkt von diesem Bahnhof aus wurden dann die Lieferwagen zu den Kaufhallen und kleinen Geschäften geschickt. So kommt es, daß der Ost-Berliner wenn er sie bekam, dann nur sehr reife Früchte dieser Art erhielt.

Ein weiteres Phänomen waren die Senatsreserven an vor allem Schmalzfleisch. Diese wurden regelmäßig gewälzt und ausgetauscht. Die „alten“ kaufte Ost-Berlin dem Senat ab. Es waren diese goldenen Büchsen von Dreistern, die es z.T. noch heute gibt, nur hatten sie damals weder Aufdruck, noch Etikett und niemand wußte so ganz genau was darin war. So provitierte Ost-Berlin bis zum Ende der DDR von der West-Berlin-Blockade.

Das war meist unser Samstagessen: Spaghetti mit Schmalzfleisch und geriebenem Käse, der in Ermangelung von Parmesan oft alter, harter Gouda war.

Brokkoli

Brokkoli sollte ab 1980 in „Berlin – Hauptstadt der DDR“ eingeführt werden.

„Ist'n dit?“, fragte mich in meiner Ausbildung meine schon seit fünf Jahren im Berufsleben stehende Kollegin Susanne.

„Weeß ick och nich. … Soll jrün sein.“, erwiderte ich.

Fakt war, dadurch daß ich zu diesem Zeitpunkt immer ab nach der Mittagspause unterwegs war, um im Einzelhandel nach zu schauen, ob dieser auch das von uns als Großhandel verordnete Pflichtsortiment an Obst und Gemüse hatte, war ich näher dran an der Ware und hatte Brokkoli deshalb auch schon einmal auf einem unserer LKW gesehen. Daher wußte ich, Brokkoli ist grün. Susanne allerdings kam aus dem Büro, in dem jeden Tag von 7.00 – 19.00 Uhr im Zweischichtsystem die Telefondrähte heiß liefen, weil hier der Einzelhandel seine Warenreklamationen bei uns, innerhalb von sechs Stunden nach Anlieferung, los wurde, nie heraus. Ich war da fein raus.

Brokkoli ist grün!

Die kleine DDR wollte eigentlich ihren Bürgern etwas Gutes tun und so war es der staatlichen Plankommission gelungen, beim Ministerrat durchzusetzen, daß einige LPG rund um Berlin künftig Brokkoli anzubauen hätten. Brokkoli ist schließlich gesund, hat viele Mineralstoffe und gab es in West-Berlin schließlich schon eine Zeit lang.

Theoretisch war zwar alles was aus dem Osten und der Sowjetunion kam gut, hier hatten sich nun aber endlich einmal Prakmatiker durchgesetzt und sich einmal an Gutem aus Westeuropa orientiert.

Folglich wurden LPGen dazu verdonnert, das Zeugs anzubauen und wir es zu vertreiben.

Das Problem war, daß niemand so genau wußte, was er mit diesen grünen Stengeln anfangen sollte. War das grüner Blumenkohl? Aß man den mit Holländischer Soße oder mit in Butter braun gebratener Semmelbrösel und damit in beiden Fällen auch wie Blumenkohl? Kein Mensch wußte das und ein Internet zum Nachschauen gab es noch nicht.

Deshalb kam nach einigen Wochen die staatliche Plankommission zu dem Ergebnis, daß man Brokkoli der Bevölkerung anders nahe bringen müsse und so wurden die Kantinen der Berliner Betriebe dazu verdonnert, Gerichte aus Brokkoli anzubieten.

Auch in unserer Kantine gab es dann eine Woche lang Brokkoli in den verschiedensten Varianten. Wir brauchten diese Mahlzeiten nicht einmal zu bezahlen, denn nur so könnten wir ja im Einzelhandel, in der Familie und unter Freunden unvoreingenommen darüber berichten, wie lecker Brokkoli doch sei und auf welche Arten er zubereitet werden könne.

Aber irgendwie mochte der kleine, spießige, miefige DDR-Bürger dieses Gemüse nicht. Frei nach dem Motto: „Wat der Buer net kennt, frißt er nich.“ Und so kam es, daß Brokkoli nur ein sehr kurzes Intermezzo in der Versorgung der Berliner Bevölkerung hatte und nach zwei Jahren schon nicht mehr lieferbar war.

Bis heute ziehe ich im übrigen Blumenkohl dem Brokkoli vor.

Ein Faß Sauerkohl (*

Sauerkraut gab es, so wie heute, bei uns in der Kaufhalle als Dauerkonserve fertig im Glas, in der Dose, frisch, abgepackt im Beutel mit 500 Gramm Inhalt und lose. Was für den kleinen Krauter noch möglich war, auch das Muttchen zu bedienen, das nur achtzig Gramm wollte, war bei uns in der Kaufhalle mit der Selbstbedienung schlicht unmöglich. Dennoch bekamen auch wir noch dreiviertel des frischen Sauerkohls lose, also im Faß.

Fünfzig Liter Sauerkraut aus dem Plastik-Faß heraus je halbpfund weise in Cellophan-Beutel abzutüten war eine der Aufgaben in der Gemüseabteilung einer Kaufhalle. Und das wurde dann nicht hygienisch mit der Zange gemacht. Im Gegenteil war es eher so, daß diejenigen, die an diesem Tag bereits Rotkohl verputzt hatten und dabei war meist mehr, als nur das äußere Blatt zu entfernen, sich anschließend freiwillig dazu meldete, Sauerkraut abzutüten. Der frische Rotkohl ätzte seine rote Farbe so sehr in Haut, Nägel und Nagelbetten ein, daß man diese am besten durch Sauerkrautsaft wieder heraus ätzte. Deshalb war das Sauerkraut abtüten gar nicht so unbeliebt bei uns. Und außerdem, Sauerkraut direkt aus dem Faß schmeckt nochmal anders, besser, als jedes andere und so landete hin und wieder eine Hand voll im eigenen Mund.

Eines Tages tauchte es wieder auf. Hinter Kisten mit bereits moderndem Kohlrabi stand da dieses eine von uns vergessene Faß Sauerkraut. Oben auf dem Kraut hatte sich bereit eine ca. 10 cm dicke Schicht blauweißlichen Schimmels gebildet.

Das Faß einfach buchhalterisch abschreiben und den Inhalt wegwerfen (auf dem Faß selbst war nochmal ordentlich Pfand), ging nicht, denn das hätte Ärger gegeben. Das Faß bei der nächsten Lieferung von frischem Sauerkraut beim Großhandel, meinem Ex-Lehrbetrieb, als frisch angeliefert mit Schimmel zu reklamieren, ging auch nicht, denn auf dem Faß klebte ein Zettel mit dem Verfallsdatum und dieses war bereits seit vier Wochen abgelaufen.

Da erinnerte ich mich sogenannter „alter Techniken“, die mir während meiner Zeit im Großhandel der eine oder andere kleine Krauter mal bei einem Bier anvertraut hatte.

Zuerst stellten wir zehn Packungen à je ein Kilo kaputte Salzpackungen her, die die entsprechende Kollegin bei „ihrem“ Großhandel als „Bruch bei Anlieferung“ reklamierte. Diese zehn Kilo Salz und den Schimmel auf dem Sauerkraut vermengten wir mit dem restlichen Sauerkraut. Wobei das kaum noch Fasern enthielt, sondern mehr „Pampe“ war. Vier Bunde frischer Möhren, die wir morgens bekommen hatten, meldeten wir dem Großhandel als „schimmlig bei Anlieferung“. Ich wußte aus meiner Zeit im Großhandel: so lange man nicht mehr als zehn Prozent einer Lieferung dort wieder reklamierte, so lange gab es garantiert keinen Kontrollbesuch durch den Großhandel und sechs Stunden nach der telefonischen Durchgabe, konnte man das Zeugs dann auch offiziell wegwerfen. Darauf baute ich und gewann das Spiel. Diesen Möhren entfernten wir das Laub und rieben sie mit einer von der Käsetheke entliehenen sehr groben Käsereibe an das Sauerkraut. Vier Kilo Äpfel, die faulig waren und die wir bereits am Tag zuvor beim Großhandel reklamiert hatten, entfernten wir die faulen Stellen und rieben es ebenfalls ans Sauerkraut.

Dann vermengten wir alles. Es sah recht bunt aus und roch sogar lecker.

Mein Gott, dachte ich, was kann an Sauerkraut noch sauer werden?

Dann tüteten wir es ab.

Nach vier Tagen war es verkauft.

In der Woche drauf bestürmten uns die Kunden mit der Frage, ab wann wir denn wieder dieses leckere Delikatesssauerkraut bekämen, das wir in der letzten Woche hatten, denn es habe hervorragend geschmeckt.

(* Anspielung auf meinen Abenteuerroman, der irgenwann unter dem Titel „Zwanzig Fässer Sauerkraut“ erscheinen wird)

alte Techniken

Als ich 1981 begann, im Einzelhandel zu arbeiten, war bereits das Wissen um viele der sogenannten „alten Techniken“ fast verschwunden und vermutlich bin ich die letzte Generation, die diese noch gelernt und vor allem selbst gelehrt hat. In diesem einen Jahr nach der Lehre, die ich noch im Großhandel verbracht hatte, hab ich dem einen oder anderen kleinen Krauter über die Schulter gesehen und auch hin und wieder einmal ein paar Tipps bekommen. Als ich dann als „1.Fachverkäufer“ zur HO ging, war das mein Vorteil, wie man in dem vorherigen Abschnitt bereits lesen konnte.

Ich bin bereits in der Zeit des Taschenrechners aufgewachsen. Zur Jugendweihe bekam ich meinen vom Onkel aus Steglitz. Insofern hatte ich schon einiges an Kopfrechnen verlernt, was ich aber wieder auffrischen mußte, weil wir im Einzelhandel wirklich noch die Preise pro Gewicht im Kopf berechneten.

Aber das, was die kleinen, privaten Krauter noch konnten, lernte man als Einzelhandelsverkäufer in der DDR zu meiner Zeit in den Kaufhallen bereits nicht mehr. Das war teilweise Wissen aus den „schlechten Zeiten vor und nach dem Krieg“, das nur noch bestimmte Personengruppen hatten. Alles wurde noch irgendwie verarbeitet, so wenig wie möglich weg geworfen.

Zu den „alten Techniken“ bzw zu dem alten Wissen gehörte, daß Berlin beim Kohlrabi eine Ausnahme machte und nur in Berlin Groß- und Einzelhandel den Kohlrabi mit Laub anboten. Die Berlinerin kocht nämlich das Laub mit, egal ob der Kohlrabi zu Eintopf oder kurzgebraten als Beilage verarbeitet wird. Mir blutet innerlich immer das Herz, wenn ich sehe, daß die Leute im Supermarkt dem Kohlrabi das Laub abdrehen. Hey, das kann man mitessen!

Genauso braucht man Rhabarber nur kurz zu schälen und die Stangen dann in Zucker dippen und roh essen. Davon sollte man jetzt nicht, wegen der im Rhabarber enthaltenen, leicht giftigen Oxalsäure mehrere Kilo in sich hinein schaufeln, aber zwei, drei Stangen am Tag sind kein Problem.

Blumenkohl kam bei uns meist noch mit komplettem Laub an. Wollte man ihn einige Tage frisch halten, so mußte man den Blumenkohlkopf in sein eigenes Laub einflechten. Vor dem Verkauf mußte aber das Laub ab. Das konnte man entweder mit dem Messer machen, oder die Stengel nur abbrechen. Beim Laub abschneiden säbelten die Azubis leider oft in den Kopf hinein, beim Laub brechen geschah das erst gar nicht … und mit der richtigen Technik ging es sogar schneller.