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© 2011 novum publishing gmbh

ISBN Printausgabe: 978-3-99003-326-5

ISBN e-book: 978-3-99026-357-0

Lektorat: Mag. Iris Mayr

Umschlagfotos: NASA, Cammeraydave | Dreamstime.com, 1971yes | Dreamstime.com

Gedruckt in der Europäischen Union auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem -Papier.

www.novumverlag.com

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Widmung

Meiner Oma in Liebe und Dankbarkeit gewidmet

Und immer wieder Muni,

für seine Begeisterung und Zuversicht

sowie Mitch, der alles erst möglich gemacht hat

und stets für positive Energie sorgt.

Gedicht

Er ist der Fürst im Land des Lichts

und seine Stirne steht

so steil am großen Glanz des Nichts,

dass er, versengten Angesichts,

nach Finsternissen fleht.

***

Und Gott befiehlt mir, dass ich baue:

Denn Königin bin ich von der Zeit.

Dir aber bin ich nur der graue

Mitwisser deiner Einsamkeit.

Und bin das Auge mit der Braue

Das über meine Schulter schaue

von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Das Stunden-Buch, Rainer Maria Rilke

Die Schläfer – Teil 2

Zone 4

Der Junge, er mochte so um die zwölf Jahre alt sein, wobei er sehr groß und kräftig für sein Alter war, schniefte laut hörbar, dann schnippte er seine Zigarettenkippe über die hohe Taxushecke in den gepflegten Garten dahinter.

Er wäre ein auffallend hübscher Bursche gewesen, wäre seine Haltung nicht so aggressiv, sein Gesichtsausdruck nicht so missmutig und seine äußere Erscheinung nicht so ungepflegt gewesen.

Sein Name war Dorian, benannt nach seinem Urgroßvater, was seine Großmutter aber wenig beeindruckt hatte, außerdem waren so altmodische Namen heute gar nicht mehr gebräuchlich.

Ihm war es egal, da er allgemein nur „Marquee“ gerufen wurde, eine Anspielung auf seine Herkunft, da er, obwohl sein Vater unbekannt war, eine große Ähnlichkeit mit einer längst verstorbenen Persönlichkeit hatte, die in der Hochglanzpresse eine Zeit lang sehr vertreten gewesen war und die dem englischen Hochadel angehört hatte.

Der Junge schlenderte betont lässig an der endlos erscheinenden Hecke entlang und versuchte, ein Loch im engen Maschendrahtzaun zu entdecken, durch das er hätte spähen können.

Aber da gab es keine Löcher, kein noch so kleines, keinen abgebrochenen oder verdorrten Zweig in der gewaltigen Taxuswand, nichts. Alles so wohl gepflegt und ordentlich, wie es typisch für seine Großmutter war.

Warum durfte er nicht bei ihr leben? In diesem wundervollen Haus mit dem traumhaften Garten und dem unglaublich großen Pool?

Marquee zündete sich wieder eine Zigarette an. Es hatte natürlich keinen Sinn, immer wieder hierherzukommen, denn seine Großmutter würde ebenso wenig zu ihm herauskommen, wie sie ihn hereinbitten würde.

Und einzubrechen, war zu riskant, da er schon wegen verschiedener kleinerer Delikte mit dem Gesetz in Konflikt geraten war.

Er warf einen letzten Blick auf die unüberwindliche Taxushecke, die ihn von dem Paradies seiner Kindheit trennte, einem Paradies, das ihm nie gehört hatte.

Marquee sah auf die billige Uhr an seinem Handgelenk. Noch wollte er nicht zurückkehren, in dieses Gefängnis. Es würde wieder Probleme geben, weil er zum wiederholten Male durchgebrannt war, aber das war ihm egal.

Die älteren Jungs hatten heute noch etwas vor. Denen würde er sich anschließen. Denn da gab es immer etwas zu trinken, nicht dieses selber gebraute Zeug, sondern richtigen Whisky, ein Getränk für Männer.

Marquee schniefte wieder, dann warf er die Zigarettenkippe weg. Sie hatten ihn wieder bestrafen wollen, weil er diese Ratte von Lehrer verprügelt hatte. Aber er ließ sich nichts sagen, von keinem.

In einer Besserungsanstalt für schwer erziehbare Jugendliche gelandet zu sein, war schon schlimm genug, aber er würde sich nicht brechen lassen, niemals …

Auch nicht von seiner verdammten Großmutter, die so tat, als hätte es ihn nie gegeben.

„Kind, warum hast du denn nicht verhütet?“

Immer wieder hörte er diese Worte, die ihn seine gesamte Kindheit begleitet hatten.

Als wäre er nur ein lebendes Ärgernis, das man lieber mit einer kleinen Spritze verhindern hätte sollen.

Marquee sah sich vorsichtig um. Er brauchte heute noch etwas Geld, denn die Älteren pflegten weder Alkohol noch Zigaretten zu verschenken. Er würde sich mit dem Stärksten und Ältesten unter ihnen schlagen müssen, da gab es immer gute Wetten und er konnte ordentlich absahnen, wenn er Glück hatte.

Er fuhr sich mit seinem schmutzigen Zeigefinger über seine, leicht gebogene Nase. Beim letzten Mal hatte er verloren und sich die Nase gebrochen – und zwei Finger, zwei Zähne waren locker gewesen, aber im Krankenhaus hatten sie das alles wieder hingekriegt. Aber Marquee wurde immer stärker und größer, bald konnte er es mit allen aufnehmen. Und diese geheimen nächtlichen Boxkämpfe, Nightfights wurden sie genannt, brachten viel mehr ein als diese kleinen Diebstähle, bei denen er so höllisch aufpassen musste, um nicht erwischt zu werden und doch noch Jugendknast auszufassen.

Marquee besuchte die Schule nur unter Protest und unter ständigen Problemen mit dem Lehrkörper. Immer wieder gab es Prügeleien, in die er verwickelt war, wenn er sich nicht gleich mit Lehrern anlegte, dann wieder erschien er betrunken zum Unterricht oder er brannte durch und blieb tagelang verschwunden. Er galt als schwierigster Fall der Anstalt und man überlegte ernsthaft, ihn doch einmal für eine Zeit lang ins Gefängnis zu stecken, um ihm mit Gewalt beizubringen, was im Guten einfach nicht möglich war.

Marquees Mutter war bei einem Unfall gestorben, als er gerade sechs Jahre alt gewesen war.

Sie hatte sich geweigert, den Namen seines Vaters preiszu­geben, und damit ihre vornehme Mutter so sehr verärgert, dass sie sich geweigert hatte, das verwaiste Kind zu sich zu nehmen, und es einer staatlichen Anstalt überlassen hatte.

Waisenhäuser waren in Zone 4 äußerst selten, da die meisten Kinder sofort adoptiert wurden. Wer übrig blieb, hatte es nicht sehr gut. Die wenigen staatlichen Einrichtungen waren mehr als einfach ausgestattet, hatten immer zu wenig Geld und kaum ausgebildetes Personal zur Verfügung.

Schwierige, aggressive Kinder wie Marquee hatten kaum eine Chance. Ihr Weg war zumeist vorgezeichnet, von kleineren zu größeren Verbrechen, bis sie endlich im Gefängnis landeten und dort versauerten.

Marquee zündete sich missmutig noch eine Zigarette an. Die Läden, die er im Auge gehabt hatte, hatten allesamt in der glühenden Mittagshitze von Sydney geschlossen und ein Einbruch war zurzeit etwas zu heikel.

Egal, er schüttelte selbstgefällig seine dunklen Locken, die ungeschnitten bis über seine Schultern fielen.

Die Heimleiterin war zumeist sehr spendabel, wenn er sie oral befriedigte. Es machte ihm nichts aus, er hatte schon weitaus Schlimmeres im Mund gehabt.

Als Kind war er schön wie ein Erzengel gewesen, das hatte mehrere seiner Pflegeväter auf abartige Gedanken gebracht. Aber Marquee war schließlich stark genug geworden, um sich zu wehren, und dann wurde er „wegen Gewalttätigkeit“ nicht mehr an Familien vermittelt, es war geradezu lachhaft.

Aber er dachte nicht mehr über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit nach, das Leben war ein einziger Kampf für ihn, den man nur mit harten Fäusten bestehen konnte.

Im Fachjargon der Heimleitung wurde er (trotz seiner geschickten Zunge!) als „Fall an der Kippe“ bezeichnet.

Dabei stürzte er längst tief und unaufhaltsam ab …

Shann

Shann war mehr tot als lebendig in Rhols freundschaftlichen Armen auf die Warbird II zurückgekehrt.

Sie fühlte noch Marks Wärme in sich, die langsam erkaltete, so wie er selbst …

Nun würde diese andere Frau über seinem Leichnam zusammenbrechen und weinen, es war seltsam, mit einer völlig Fremden das Schicksal zu teilen.

Eva hatte sie sofort mit in die Krankenstation genommen, um ihr zu helfen, und sie hatte ausnahmsweise keine Kraft gehabt, um sich zu wehren.

Eva war freundlich und mitfühlend gewesen, obwohl sie es ihr doch so übel genommen hatte, dass sie sich mit Mark eingelassen hatte.

Aber was hätte sie dagegen tun können?

Diese Liebe war mit einer wahren Urgewalt über ihr einsames Herz hereingebrochen und sie hatte sich von diesem Sturm mitreißen lassen und es so sehr genossen, so sehr …

Eva hatte ihre tränenschweren Augen mit Schmerz und Mitleid betrachtet, warum hatte er gerade sterben müssen?

Wenn er Shann schließlich wegen seiner Familie verlassen hätte, wäre die stolze Kämpferin verletzt und wütend gewesen, aber sie hätte es wohl viel leichter überwunden als diesen schreck­lichen Tod …

Shann sah sehr schlimm aus, bleich und zerstört, so schwach, wie Eva sie nie zuvor gesehen hatte, und bedingt dadurch führte sie einen Ganzkörperscan durch.

Das Ergebnis war für beide dann sehr überraschend:

„Du bist schwanger, Shann.“

„Aber wie …“

„Hast du denn nicht verhütet?“

„Nein, daran habe ich doch nicht gedacht, ich meine, wir stammen doch von verschiedenen Planeten. Ist mit dem Baby alles in Ordnung?“

„Ja, ich werde noch genauere Untersuchungen durchführen müssen, aber ich denke schon. Es sieht zumindest alles sehr gut aus.“

Eva wunderte sich nicht weiter über die Tatsache dieser interplanetaren Schwangerschaft. War Shanns Volk nicht immer irgendwie mit den Unsterblichen verbunden gewesen?

Und wenn sie es richtig verstanden hatte, dann war Mark einer davon gewesen. Das Leben war schon sehr kompliziert, vor allem, wenn man aus der Zukunft stammte und eine neue Vergangenheit erobern musste …

Es war ein Trost gewesen. Bei all dem Schmerz hatte es einen Grund gegeben, sich zu freuen, am Leben zu bleiben …

Die Schwangerschaft war komplikationslos und nahezu beschwerdefrei verlaufen.

Erst knapp, bevor man es ohnehin hätte sehen können, teilte Shann es Shee-Tan mit. Sie hatte Evas Vorschlag, das für sie zu übernehmen, abgelehnt. Da musste sie selber durch.

Seit dieser Episode hatten sie kaum ein Wort mehr gewechselt und sie war es ihm irgendwie schuldig, dass sie ihm diese Sache, dieses große Glück selbst mitteilte …

Shee-Tan war mehr als überrascht gewesen, als sie so plötzlich und unerwartet sein Büro betreten hatte, um ihn zu sprechen.

„Shann …, was kann ich für Sie tun?“

Shann stand am Fenster, hoch aufgerichtet und stark. Aber der Schmerz um sie war so greifbar, dass er Shee-Tans tief verborgenes Herz erfasste und peinvoll zusammenzog.

Und er verfluchte die Tatsache, dass ihm die Worte fehlten, wie so oft.

Wie gerne hätte er Trost gespendet, irgendeine Form von Wärme, irgendetwas, mit dem er Shann das Leben hätte erleichtern können, wenn das überhaupt möglich war …

Was wusste er schon von so tiefen Gefühlen?

Ein Klon, der nur dazu geschaffen worden war, ein Raumschiff zu Schrott zu fliegen?

Die bitterste Selbstironie, die diesen Gedanken zugrunde lag, wies ihm eine neue Ebene des Schmerzes und der Verwundbarkeit. Es gab keine noch so verborgenen Winkel, die Selbstzweifel und heimlicher Gram nicht zielsicher erreichen konnten. Wie sollte er je damit fertig werden?

Und wie nur konnte er Shann helfen?

Diese sah den Abglanz der Gefühle in seinen widersprüchlichen Zügen und fühlte sich seltsam davon berührt. Wie war es möglich, dass er noch immer wärmere Empfindungen für sie hatte? Sollte er sie nicht eigentlich hassen, für das, was sie ihm angetan hatte?

Auch wenn es nie eine wirkliche Beziehung zwischen ihnen gegeben hatte, sie hatte doch gewusst, dass er sie liebte.

Hatte sie nicht einmal alles darangesetzt, das zu erreichen, um den Unsterblichen zu quälen?

Und hatte sie dabei nicht selbst ein wenig den Kopf verloren?

Aber dann war Mark gekommen, wie ein Sturmwind, und hatte alles beiseitegefegt, was nicht ihm, ihm allein galt …

Shann sammelte sich:

„Lord Commander, ich werde einen Sohn haben …“

Shee-Tan erstarrte:

„Aber wie …“

„Es ist Marks Sohn und ich bin sehr glücklich, dass alles so gut verläuft.“

„Wie lange wissen Sie es schon?“

„Schon seit meiner Rückkehr von der Erde …“ Hier unterbrach sie sich, denn diese „Entführung“ durch Rhol stand noch immer zwischen ihnen und war nicht durch ein Gespräch bereinigt worden. Zwar wusste der Lord Commander um die Probleme, die es auf der Erde zu dem Zeitpunkt gegeben hatte, aber er hatte es noch nicht überwunden, dass man ihn so hintergangen hatte.

Shee-Tan nickte. Was sagte man bei so einer Gelegenheit? Wie hielten Menschen das aus, wenn ihnen eine Frau, die sie über alles liebten, mitteilte, dass sie von einem anderen ein Kind bekam?

Fühlten sie auch diesen bohrenden Schmerz oder war der ihm allein vorbehalten?

Er riss sich gewaltsam zusammen:

„Es ist gut, Shann. Ich werde …, ich meine, am besten besprechen Sie mit Eva, was zu tun ist. Wegen des Dienstes, ich fürchte, ich habe keine Erfahrung damit …“

Er lächelte ein wenig, hilflos und scheu.

Shann lächelte zurück.

Sie waren noch Welten voneinander entfernt, aber ein Anfang war gemacht.

Ein winziger Schritt in die richtige Richtung.

Sie konnten doch wenigstens wieder Freunde sein … Freunde, so sie das jemals wirklich gewesen waren …

Eine neue Zeit

Jim und Trance lebten in einem kleinen Cottage im Silberwald seit mehr als zwölf Jahren in schönster Eintracht zusammen. Es hatte sich sehr viel geändert inzwischen, die Warbird I war nie gestartet worden und die Zukunft hatte sich so weit verändert, dass es die Warbird II nicht gab, denn Doktor Lloyd hatte den Auftrag erhalten, weitere Forschungen anzustellen, bevor man sich per Trans-Antrieb ins Weltall wagen wollte.

Das befürchtete Paradoxon war ausgeblieben und Shee-Tan und seine Truppe bewegten sich nun etwas freier und kamen gelegentlich auf Pantaleon vorbei, um sich auszuruhen und unter anderen Menschen zu sein.

Trance war inzwischen sehr erwachsen geworden und mit jedem Jahr waren ihre Fähigkeiten des Teleportierens größer und besser geworden.

Schon nach dem ersten Jahr war sie imstande gewesen, mit Jim auf ein wartendes Raumschiff im Trans-Raum und somit nicht feststellbar für die starken Scanner der Erde zu gelangen und damit gut nach Pantaleon reisen zu können.

Sie waren ab diesem Zeitpunkt nicht mehr so isoliert von ihren Freunden und konnten sie einmal im Monat sehen. Aber mit der Fähigkeit, so weite Strecken teleportieren zu können, hatte Trance die Eigenschaft, mehr als eine Person mit sich transportieren zu können, verloren. Auch auf kurze Entfernungen war es ihr nicht mehr möglich.

General Harring suchte immer weiter nach neuen Bündnispartnern, aber die nächsten Jahre brachten nichts in dieser Richtung.

Es wurde weiter geforscht und mit diebischer Freude beobachtete Harring die Fehlschläge Doktor Lloyds auf der Erde, sie hatte sich nicht geändert.

Die Mitglieder des OGK lebten sich auf Pantaleon immer besser ein und der Gebäudekomplex, der für sie errichtet worden war, wurde weiter ausgebaut und verbessert. Nebenmenschen und Panta­leoten arbeiteten und lebten einträchtig zusammen und mit der Zeit fühlten sich die Gäste von der Erde immer mehr heimisch und die Sehnsucht nach der Erde wurde leiser. Es wurden Kinder geboren, teilweise von Menschen abstammend, die ihre wahre Heimat gar nicht mehr kannten. Ein neues Kapitel in der noch kurzen Geschichte der Nebenmenschen hatte begonnen …

Etwa ein Jahr nach dem Angriff der Schläfer waren Trance und Jim auf Pantaleon zu Besuch, um Shee-Tan und seine Leute zu treffen. Sie brachten fast immer Neuigkeiten und Jim wollte wissen, wie es Shann ging und Rhol. Sie hatten sich alle sehr lange nicht gesehen.

Ihre Beziehung war allgemein sehr gut aufgenommen worden, wenn man von General Harring absah, die nicht verstehen konnte, wie man seine Fähigkeiten mit so einem Unfug einschränken und womöglich sogar lahmlegen konnte …

Shee-Tan hatte sich nicht verändert, er war mit einer kleinen Abordnung auf Pantaleon, aber er war mit einem Gleiter gekommen, die Warbird II befand sich im Orbit und weder Shann noch Rhol waren dabei.

Jim ging auf ihn zu und ergriff seine Hand, zum ersten Mal seit einem Jahr, freundlich und entschuldigend zugleich.

Der Lord Commander betrachtete ihn wachsam, aber ohne eine Spur von Ablehnung, was der Captain mit Erleichterung zur Kenntnis nahm:

„Shee-Tan! Ich freue mich, dich nach so langer Zeit wohlbehalten und gesund wiederzusehen.“

Der Lord Commander gab das Kompliment zurück, schien aber noch etwas auf dem Herzen zu haben. Er zog Jim in eine ruhige Ecke, um etwas mit ihm zu besprechen, Jim sah ihn durch Johns kalte Augen freundlich an:

„Was hast du auf dem Herzen, mein Freund?“

Es tat gut, das nun aus tiefster Seele sagen zu können.

Shee-Tan lächelte ein wenig:

„Du kannst tatsächlich keine Gedanken mehr lesen, oder?“

„Nein, ich lese jetzt Empfindungen, das ist weitaus effektiver, wie ich festgestellt habe.“

„Wirklich? Ich weiß nicht, ich kann weder mit dem einen noch mit dem anderen etwas anfangen.“

Er machte eine Pause, dann fuhr er fort:

Rhol hat uns verlassen. Ich habe keine Ahnung, ob wir ihn jemals wiedersehen werden, er hat es uns nicht gesagt, wie du dir vorstellen kannst.“

Jim lächelte ein wenig traurig bei der Erinnerung an den Fremden, der ihnen, aus welchen Gründen auch immer, geholfen hatte, im Kampf gegen die Schläfer …

„Und Shann … Sie hat einen Sohn geboren … Seinen Sohn, er heißt Shannan Dar. Es geht ihr ganz gut, aber sie wollte noch niemanden sehen, du weißt schon …“

Jim war ziemlich überrascht, ließ es sich aber nicht anmerken. Aber natürlich war Shann ihnen sehr ähnlich, warum sollte sie Marks Sohn nicht empfangen haben, wenn sie kompatibel waren? Und ihr Volk war schließlich auch immer von den Unsterb­lichen heimgesucht worden, irgendwie wob das Schicksal schon sehr ver­wickelte Netze.

Aber Shee-Tan sprach auch schon weiter, schnell und ein wenig verlegen:

Rhol hat mir noch etwas gesagt, bevor er gegangen ist. Und ich habe das Gefühl, dass es irgendwie an dich gerichtet war. Er sagte, wenn ihr den Unsterblichen wiederfindet, wird eine andere Zeit kommen, für alle. Ich werde nicht ganz schlau daraus, aber ich habe eine Bitte. Wenn er wirklich wiederkommen sollte, bitte sagt es Shann nicht.“

Jim sah ihn an. Wärme strahlte aus Johns schwarzen Augen:

„Ich gebe dir mein Wort, sie wird es niemals erfahren.“

Danach hatten sie sich noch ein paar Mal wiedergesehen, aber niemand hatte Mark mehr erwähnt, wenn er auch durch seinen Sohn auf Pantaleon ständig gegenwärtig war.

Auch Shannan hatten sie schon gesehen, er war ein hübsches, freundliches Kind, seinem Vater so ähnlich, dass es den meisten fast wehtat, ihn anzusehen …

Das Leben ging weiter und Jim gewöhnte sich daran, dass sie Mark endgültig verloren hatten.

Rhols Worte waren ein Mysterium wie immer. Aber Jim hatte es aufgegeben, immer auf eine versteckte Wahrheit darin zu hoffen …

General Harring war noch immer sehr auf der Hut, sie beobachtete das Wurmloch ebenso wie den Rest des angrenzenden Universums, um nicht noch einmal auf so schreckliche Art überrascht zu werden. Auch fragte sie Jim oft, ob er und John denn nichts fühlen würden:

„Sie sind jetzt unser einziger Empath, Jim, ich muss es wissen, ob uns Gefahr droht.“

„Keine Sorge, General, wenn sich nur irgendetwas verändert, erfahren Sie es als Erste.“

„Seit Sie sich mit diesen Liebeständeleien abgeben, weiß ich nicht mehr, ob ich Ihnen auch trauen kann. Also wirklich, von Ihnen hätte ich das niemals erwartet.“

Jim schwieg gleichmütig zu diesen Anschuldigungen, die er schon so unzählige Male gehört hatte.

Ragnars Stimme schwieg seit Marks Tod endgültig und er war froh darüber. Froh, den Albtraum seines ersten Lebens endlich überwunden zu haben.

Die Gedanken an Mark schmerzten noch manchmal, aber die Wunden waren letztendlich doch geheilt, wie es der Lauf des Lebens war.

Harring betrachtete die Erde, ihre alte Heimat, auf dem Bildschirm:

„Wenn sie wiederkommen, werden wir da sein, wir werden auf sie aufpassen und nicht zulassen, dass sie zerstört wird.“

Jim betrachtete sie überrascht. Zum ersten Mal, seit er sie ­kannte, hatte sie etwas sehr Menschliches gesagt …

Rhols Worte gerieten langsam in Vergessenheit, so gut und glücklich waren die Zeiten des Friedens und der Ruhe.

Forschungen wurden betrieben, Cain arbeitete an einem neuen Raumschiff, das kleiner, schneller und wendiger sein sollte. Eine Art Transport-Shuttle für Jim und Trance, wenn sie Pantaleon besuchen wollten. Es stand knapp vor der Fertigstellung, auch auf der Erde war wieder ein bemannter Flug mit Trans-Geschwindigkeit geplant, aber er wurde immer wieder wegen verschiedener Mängel verschoben …

Trance hatte einen Job bei der ADAK angenommen, um General Harring immer genau Bescheid geben zu können, wie die Fortschritte dort liefen, aber vorläufig gab es für sie keinen Grund, um beunruhigt zu sein.

Jim konnte sich nicht anders beschäftigen, als seine Fähigkeiten zu nutzen, um auf sie alle aufzupassen, auch wenn er nicht chemisch infiziert war, war es für ihn zu riskant, sich zu oft blicken zu lassen …

Dann, es war exakt dreizehn Jahre nach dem Angriff der Schläfer, als Jim zum ersten Mal den Ruf vernahm.

Es war tief nachts und es war fremd und beunruhigend …