LUISE M. SOMMER
DEIN GEDÄCHTNIS KANN MEHR!
fischer & gann
LUISE M. SOMMER
KREATIVE MERKTIPPS
FÜR DEN DIGITALEN ALLTAG
fischer & gann
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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© Verlag Fischer & Gann, Munderfing 2017
Umschlaggestaltung | Layout und Satz: Gesine Beran, Turin
Umschlagmotiv: © shutterstock/Thana Thanadechakul, © shutterstock/Alexey Pushkin
ISBN 978-3-903072-58-9
ISBN E-BOOK 978-3-903072-63-3
www.fischerundgann.com
MITTEN IN DIE SPANNENDE RECHERCHE für dieses Buch fiel meine spontane Entscheidung, nach zwölf Jahren Wettkampfpause wieder bei Gedächtnisweltmeisterschaften teilzunehmen – diesmal in der »Senior Category 60+«. Ich habe es nicht bereut – es war ein unbeschreiblicher, unvergesslicher Moment, als ich in Singapur den Titel des »Senior World Memory Champion« errang und mit der österreichischen Bundeshymne geehrt wurde.
Als ich mein erstes Buch Gutes Gedächtnis leicht gemacht vor mittlerweile 14 Jahren geschrieben habe, war es mein erklärtes Ziel, möglichst viele Menschen mit meiner Begeisterung für das Phänomen Gedächtnis anzustecken. Ich wollte (und will) zeigen, wie jeder von uns mit den richtigen »Werkzeugen« sein Gedächtnis vom unzuverlässigen zum verlässlichen Partner machen kann.
Meine Faszination ist nach wie vor ungebrochen – und ich stelle fest, dass auch mit zunehmendem Alter diese Werkzeuge hervorragend funktionieren. Laut gängigem Vorurteil »Alter = schlechteres Gedächtnis« müsste ich jetzt eigentlich da und dort schon Probleme haben, sei das nun beim Namensgedächtnis, beim Merken von Telefonnummern oder beim Einkaufen, wenn ich meine Liste daheim liegen gelassen habe. Soll ich Ihnen die Wahrheit verraten? Selbstverständlich gibt es auch für mich Situationen, wo mir ein Name partout nicht einfallen will oder ich mich ärgere, weil ich genau die entscheidende Zutat, die ich für mein Rezept gebraucht hätte, nicht gekauft habe. Das darf, kann und wird jedem passieren. Aber ich weiß, dass der Grund dafür nicht bei meinem möglicherweise nachlassenden Gedächtnis liegt. Wahrscheinlich war ich schlicht und ergreifend nicht aufmerksam genug.
Aufmerksamkeit – in ihrer achtsamen, ungeteilten Form – ist nämlich die wichtigste Grundlage für ein gutes Gedächtnis. Doch seit dem Einzug der digitalen Medien in unser Leben fällt es uns zunehmend schwerer, einer Person, einer Sache eben diese ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Und dennoch ist es genau das, was wir (wieder) lernen müssen.
Das Smartphone – in seiner gängigen Form – wurde im Januar 2007 erstmals präsentiert. Mit seiner Einführung und Verbreitung hat sich auch die Art und Weise, wie wir uns Dinge (nicht mehr) merken, entscheidend verändert. Wir befinden uns mitten in einem spannenden Lernprozess, was unseren Umgang damit betrifft. Was können wir getrost dem Gerät überlassen, welche Gedächtnisleistungen nicht? Und wie können wir frei gewordene Kapazitäten für ein verlässlicheres Gedächtnis nützen?
Meine Antworten darauf finden Sie in diesem Buch. Mich beim Schreiben so intensiv mit diesen Fragen zu befassen war auch für mich persönlich hilfreich. Sie kennen vielleicht den Spruch »You teach best what you most need to learn«. – Glauben Sie mir, bei Themen wie (ungeteilte!) Aufmerksamkeit, im Hier-und-Jetzt-Sein oder bewusste Offline-Zeiten brauche ich selbst meine Tipps mindestens ebenso wie Sie!
Doch keine Angst – dieses Buch ist kein schweißtreibender Gehirn-Jogging-Kurs. Das Trainings-Motto ist vielmehr an die Initialen meines Namens Luise Maria Sommer angelehnt:
LMS – das steht für »Lernen & Merken mit System«.
Oder noch einfacher:
LMS – (lebenslanges) »Lernen macht Spaß«.
Lassen Sie sich anstecken!
ICH STEHE AUF DEM BAHNSTEIG und freue mich auf eine gemütliche Zugfahrt in die Großstadt. Auf dem Programm stehen ein Geschäftstermin in der Innenstadt und anschließend ein Abendessen mit einer guten Freundin. In fünf Minuten wird der Zug einfahren … da kommt mir siedend heiß der Gedanke: Ich habe mein Handy zu Hause liegen lassen! Und selbstverständlich sind alle wichtigen Informationen für diese beiden Termine auf dem Handy gespeichert: Adresse und Anfahrtsweg für den Geschäftstermin, die Telefonnummern meiner Gesprächspartner. Was, wenn etwas dazwischenkommt und ich mich verspäte – ich könnte niemanden anrufen und mich entschuldigen.
Mein erster Impuls ist, sofort umzukehren. Doch den muss ich auch gleich wieder verwerfen, denn würde ich den Zug in einer Stunde nehmen, käme ich heillos zu spät. Wenigstens die Telefonnummer meiner Freundin habe ich im Kopf. Die Adresse des Geschäftstermins ebenso. Also atme ich tief durch. Ich werde auch ohne Handy überleben. Früher ging das schließlich auch.
Ein bisschen mulmig ist mir schon zumute, als ich einsteige.
WIE OFT GEHEN SIE OHNE IHR SMARTPHONE AUSSER HAUS? Was passiert, wenn Sie einmal nicht daran denken, es mitzunehmen? Sehr viele Menschen haben sich heutzutage an die Annehmlichkeiten neuer technischer Geräte gewöhnt. In der Geschäftswelt sind sie nicht mehr wegzudenken, doch auch im privaten Leben sind Handy, Tablet, Computer allgegenwärtig. Wenn Freunde in ihrer Freizeit gemütlich beisammensitzen, haben auch sie ihre Handys immer griffbereit. Sie plaudern und schielen dennoch mit einem Auge auf das Display – könnte ja sein, dass ihnen etwas entgeht. Tauchen im Gespräch Fragen auf, so scheint mancher geradezu erleichtert, dass er nun endlich einen guten Grund hat, das Handy in die Hand zu nehmen. Wie heißt noch gleich die Hauptdarstellerin in diesem grandiosen Film, der gerade läuft? Kein Problem, das Internet weiß Bescheid. Wann genau ist Österreich der EU beigetreten? Moment, ich google mal. Die Handynummern meiner Kinder? Nein, auswendig weiß ich die nicht. Sind ja ohnehin im Smartphone gespeichert.
Es ist noch nicht so lange her, da wäre dieses Verhalten höchst ungewöhnlich gewesen. Vor etwa zehn Jahren hatten zwar viele ein Mobiltelefon, doch das wurde hauptsächlich zum Telefonieren und zum Versenden von SMS verwendet. Auch schon damals klagte man über Vergesslichkeit, doch heute ist diese so weit verbreitet, dass dafür sogar schon ein eigener Name gefunden wurde: »digitale Demenz«. Und sie betrifft nicht nur alte, sondern alle Generationen.
Was bedeutet es für unser Gehirn, dass wir das Smartphone ständig in der Hosen- oder Handtasche mit dabeihaben? Mit dem Zugriff aufs Internet haben wir unser Gedächtnis gleichsam ausgelagert. Wir haben dennoch das unangenehme Gefühl, uns weniger denn je zu merken, und machen uns Sorgen, dass unser Gedächtnis nicht so leistungsfähig ist, wie wir das erwarten. Dabei müsste es doch umgekehrt sein: Wenn so viel Wissen im Computer gespeichert und unser Gehirn damit nicht länger belastet ist, müsste doch in unserem Kopf ganz viel Speicherplatz frei sein!
Nun, beides ist richtig. Die neuen Medien können tatsächlich unser Gehirn entlasten. Gleichzeitig ist es eine Tatsache, dass Menschen immer vergesslicher werden, auch junge. Der amerikanische Zukunftsforscher John Naisbitt brachte das einmal wunderbar auf den Punkt: »We are drowning in information, but starved for knowledge. – Wir ertrinken in Informationen, aber hungern nach Wissen.« Denn die neuen Technologien haben uns nicht nur Entlastungen für unser Gehirn gebracht. Sie haben unser Leben, unseren Alltag massiv verändert:
Das Tempo, in dem wir arbeiten, hat sich erhöht. Und wir müssen mitunter auf vielen verschiedenen Kommunikationskanälen aktiv sein. Wenn uns vor zehn oder 15 Jahren jemand etwas mitteilen wollte, tat er das über Telefon, Fax oder Brief. Heute erhalten wir Nachrichten über Telefon, Mail, SMS, WhatsApp, Messenger und noch viele andere Wege. Das überfordert uns.
Wir lassen uns bei jeder Tätigkeit gerne unterbrechen, weil ein »Pling!« uns auf neue Nachrichten aufmerksam macht – und wir reagieren darauf und verzetteln uns.
Weil es einfach ist, auf dem Computer Wissen zu speichern, lassen wir unser Langzeitgedächtnis verkümmern. Unser Gehirn wird stattdessen trainiert im Suchen und Finden von Informationen. Das führt natürlich langfristig zu Problemen beim Merken – wir haben zunehmend das Gefühl, vergesslich zu sein.
Das Gehirn ist ein Organ, das ständig trainiert und gefordert werden will. Wenn wir ihm diesen Dienst verweigern, weil wir so vieles an den Computer delegieren, dann verkümmert es und verlernt, wichtige Funktionen wahrzunehmen. Das ist nicht anders als bei Muskeln: Wenn wir selbst den kürzesten Weg zum Supermarkt mit dem Auto zurücklegen, wenn wir auch ins erste Stockwerk mit dem Lift fahren, anstatt die Treppen zu nehmen, dann werden unsere Muskeln und Sehnen und nicht zuletzt auch die Gelenke an Substanz abbauen und uns mit der Zeit ihren Dienst verweigern. Es ist erwiesen, dass Menschen, die unzureichend Bewegung machen, sich leichter verletzen und im Alter früher körperlich schwach werden.
Nicht anders ist es mit unserem Gehirn: Wenn wir es nicht in Schwung halten, verkümmert es, und die Gefahr ist heute größer denn je.
Doch die gute Nachricht lautet: Unser Gehirn ist immer bereit, Neues zu lernen. Es enthält sage und schreibe knapp 100 Billionen (10 hoch 14) Synapsen – das sind die Verbindungen zwischen den Nervenzellen – zu all unseren Erinnerungen und unserem Wissen, das in unserem Gedächtnis abgelegt ist. Jedes Mal, wenn Sie neues Wissen erwerben, werden Synapsen gebildet. Wenn Sie zum Beispiel nicht mehr wissen, wann Kaiserin Maria Theresia gelebt und regiert hat, dann haben Sie dieses Wissen wohl schon lange nicht mehr gebraucht – Ihr Gehirn hat die Synapsen, die zu diesem Speicherplatz führen, weggeräumt.1 Dafür schafft es möglicherweise gerade welche, weil Sie vorhaben, sich »100 Billionen Synapsen« zu merken.
Um ein gut funktionierendes Gehirn zu haben, sollte es Ihr Ziel sein, möglichst viele der unzähligen Synapsen aktiv zu halten und immer neue Verbindungen zwischen Ihren Nervenzellen zu knüpfen. Denn je besser Ihr Gehirn ausgelastet wird, desto länger bleibt es voll funktionsfähig und desto später machen sich altersbedingte Vergesslichkeit, Demenz und sogar Alzheimer bemerkbar.
Berühmt ist dazu eine Studie des amerikanischen Epidemiologen David A. Snowdon und seines Forscherteams2 mit 678 Nonnen eines katholischen Klosters. Er wollte herausfinden, was in der frühen, mittleren und späten Lebensphase das Risiko erhöht, an Alzheimer zu erkranken. Die durchwegs älteren Nonnen (sie waren zwischen 75 und 106 Jahre alt) wurden drei Mal täglich getestet. Nach ihrem Tod wurde das Gehirn nach den sogenannten »Plaques« untersucht, das sind eiweißhaltige Ablagerungen, wie sie für Alzheimer typisch sind.
Die Gehirnleistung der Nonnen war auffällig hoch, wie sich herausstellte. Sie waren deutlich weniger dement als andere Gleichaltrige. Eine Schwester, Maria, beispielsweise war Lehrerin an einem College. Sie übte diese anspruchsvolle Aufgabe bis zu ihrem 84. Lebensjahr aus und blieb bis zu ihrem Tod mit 101 Jahren geistig rege. Schwester Bernadette war ebenfalls eine kluge Frau und zeigte bis zu ihrem Tod mit 85 Jahren keinerlei Anzeichen von Demenz, im Gegenteil. Sie war körperlich und geistig völlig fit. Als man jedoch ihr Gehirn untersuchte, waren die Forscher verblüfft: Es war mit Plaques überzogen, und zwar in einem Ausmaß, wie es bei schwer kranken Patienten im Endstadium von Alzheimer üblich ist.
Generell stellte man fest: Jene Nonnen, die von Jugend an bis ins hohe Alter geistig anspruchsvolle Tätigkeiten ausübten, hatten bis zu ihrem Tod ein absolut funktionsfähiges Gehirn, selbst wenn dieses eindeutige Anzeichen von Demenz und Alzheimer aufwies, wie bei der Untersuchung nach ihrem Tod festgestellt wurde. Doch die Krankheit hatte einfach keine Chance, sich gegenüber einem aktiven und leistungsfähigen Gehirn zu behaupten.
Es wäre jedoch unangemessen, daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass rege geistige Aktivität bis ins hohe Alter jeden von uns davor schützen kann, Demenzsymptome zu entwickeln. Das wäre zu einfach! So war die deutsche Öffentlichkeit sehr erschüttert über das Schicksal des berühmten Literaturwissenschaftlers und Schriftstellers Walter Jens aus Tübingen. Er war sicherlich sein Leben lang geistig höchst aktiv, wurde 90 Jahre alt – und erkrankte in den letzten zehn Jahren seines Lebens an Alzheimer.
Trotzdem zeigen diese »Nonnenstudie« und zahlreiche weitere Untersuchungen: Je mehr wir unser Gehirn herausfordern, desto mehr Reserven hat es, um einen altersbedingten Abbau hinauszuzögern.
INTERNET UND NEUE MEDIEN sind Errungenschaften, die auch in Zukunft nicht mehr aus unserem Leben wegzudenken sein werden. Es ist höchste Zeit, dass wir lernen, gut damit umzugehen – und damit meine ich nicht das technische Know-how. Was ich vielmehr sagen möchte, ist, dass viel zu viele Menschen ihrem Handy viel zu viel Bedeutung einräumen und es nicht nur als hilfreiches Werkzeug betrachten. Sie verlassen sich viel zu sehr darauf, dass alles, was sie brauchen, ohnehin gespeichert ist und sie daher gar nicht erst ihr Oberstübchen bemühen müssen. Mit dem Effekt, dass sie vergesslich werden, weil ihr Gehirn träge und faul geworden ist.
Jedes technische Gerät ist immer nur so gut wie der Mensch, der es benutzt. Computer, Tablets, Handys sind nichts anderes als Werkzeuge, die vor einigen Jahren erfunden wurden. Es liegt an uns, sie so zu nutzen, dass sie uns wertvolle Helfer sind und uns nicht dominieren.
Wir Menschen sind so geschaffen, uns an unser Umfeld anzupassen. Nur auf diese Weise haben wir über die Jahrtausende überlebt – weil wir uns selbst und die Dinge, die wir zum Leben brauchten, weiterentwickelt haben. Und wir sind lernende Wesen, wir lernen kontinuierlich aus Erfahrungen. Daher wissen wir zum Beispiel, dass ein bisschen Kuchen uns nicht schadet, aber täglich ein Stück Torte mit viel Schlagobers uns dick und krank macht. Zu viel Wein ist schädlich, ein Gläschen täglich kann jedoch sogar gesund sein. Wer klug ist, genießt eben in Maßen.
So ähnlich sollten wir es auch mit unserem Computer halten: das richtige Maß finden, das uns guttut und für uns nützlich ist. Handy & Co. zu verweigern und gar nicht mehr zu nutzen wäre keine Lösung; wir würden zu Außenseitern der Gesellschaft.
Wenn Ihr Gehirn Ihre Schatzkammer, Ihr leistungsfähiges Wunderwerk bis ins hohe Alter sein soll, sind Sie gut beraten, zweierlei zu tun:
Lernen Sie erstens, Smartphone & Co. so zu nutzen, dass sie Ihnen wertvoller Helfer sind. Ihr Handy ist Ihr Diener, nicht Ihr Boss! Mehr darüber in Kapitel 2.
Trainieren Sie zweitens Ihr Gehirn kontinuierlich. Es ist wie ein Muskel, der erschlafft, wenn Sie ihn nicht nutzen. Je öfter Sie Ihr Gehirn herausfordern, desto verlässlicher wird es sein. Dass Gehirnjogging sehr viel Spaß machen und obendrein Ihren Horizont erweitern kann, davon möchte ich Sie in diesem Buch überzeugen.
Im Übrigen hat ein gut funktionierendes Gehirn direkte, positive Auswirkungen auf unsere Lebensqualität. Wer sich auf seine Gedächtnisleistung verlassen kann, gewinnt Selbstvertrauen. Nicht zuletzt ist vieles, das unserem Gehirn guttut, auch gut für unsere Wahrnehmung und die Art, wie wir mit anderen Menschen umgehen.
Im Folgenden lade ich Sie dazu ein, Ihr wohl erstaunlichstes Organ, Ihr Gehirn, zu einer wahren Schatzkammer zu machen. Wir gehen dabei vor wie ein Schatzsucher: Wir befreien zuerst den Weg vom Gestrüpp und wehren alle Ablenkungen auf die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns ab. Erst dann ist es frei und bereit für Denkübungen und Merkspiele, die es kontinuierlich auf Trab halten werden. Viel Freude beim Füllen Ihrer Schatzkammer!
VOR EINIGER ZEIT, es war kurz vor der Manuskriptabgabe dieses Buchs, sitze ich beim Frühstückskaffee, lese in meiner (digitalen) Zeitung und muss schmunzeln. Der Handyhersteller Nokia möchte das klassische Einfach-Handy Nokia 3310 wieder neu herausbringen – als hätte es die Smartphone-Revolution nicht gegeben. Es dient lediglich zum Telefonieren, SMS-Versenden und nur ein einziges Spiel (»Snake«) lässt sich darauf spielen. Von WLAN und Kamera keine Spur, kein WhatsApp, Facebook oder Instagram. Mit seinen 17 Jahren ist dieses legendäre Gerät älter als so mancher jugendliche Smartphone-Besitzer.
Angeblich bekam das wiederbelebte Modell beim Mobile World Congress in Barcelona viel Aufmerksamkeit. Genau solch ein Uralt-Handy hatte sich schließlich auch ein innovativer, »digitalaffiner« junger Unternehmer vor einiger Zeit (wieder) zugelegt, mit dem ich mich am Ende dieses Kapitels unterhalte. Könnte das ein erstes Anzeichen für eine Art Gegenbewegung sein …?
ALS ICH VOR 14 JAHREN mein erstes Buch mit dem Titel Gutes Gedächtnis leicht gemacht schrieb, ging es mir in erster Linie darum, Menschen für die verschiedenen Merk-Techniken zu begeistern. In der Zwischenzeit haben sich die Herausforderungen für unser Gehirn enorm verändert. Gedächtnistraining muss heute sehr viel mehr sein, als Mnemo- und andere Techniken anzuwenden. All die vielen Ablenkungen in unserem Alltag erfordern noch viel mehr Sorgsamkeit und auch ein Umdenken im Umgang mit unserem Gedächtnis. Die Frage, die wir uns zuerst stellen müssen, heißt meines Erachtens: Wie verteile ich meine Aufmerksamkeit? Denn unser Gehirn kann noch so gut in Schuss sein – wenn wir es verlernt haben, uns auf eine einzelne Sache länger zu konzentrieren, bis sie fertig gemacht oder gedacht ist, nützt uns das wenig. In diesem Kapitel geht es daher zunächst darum, wieder ein wenig Ruhe einkehren zu lassen in unserem Gehirn.
Wie nutzen wir unsere Computer, Smartphones und das Internet? Auch wenn wir uns über all diese technischen Errungenschaften freuen können, seien wir ehrlich: Ein praktikables Handbuch, wie wir sie sinnvoll und zu unserem Wohle nutzen, haben wir nicht mitgeliefert bekommen. Eigentlich müsste bei jedem Smartphone nicht nur eine Bedienungsanleitung beigelegt sein, sondern auch Hinweise für eine grundsätzliche Nutzung im Alltag.
Wenn ich mich sowohl bei jungen als auch älteren Menschen umschaue, wird mit der modernen Technik umgegangen, als gäbe es kein Morgen. So wie manche viel zu viel Junkfood in sich hineinstopfen, so überfordern sie mit Informationen über Informationen aus dem Internet ihr Gehirn. Und so wie jemand, der sich ständig ungesund ernährt, irgendwann einsehen muss, dass er auf eine vernünftige, ausgewogene Diät umstellen sollte, so gilt es auch, unseren Umgang mit neuen Medien zu überdenken und neu anzupassen.
Zum Glück sind wir Menschen ja Meister der Anpassung, andernfalls gäbe es uns als Menschheit schon lange nicht mehr. Neue Erfindungen sollten immer wieder unser Leben erleichtern, uns unterstützen. Doch das tun sie nur, wenn wir sie so in unser Leben integrieren, dass sie uns als Mensch weiterbringen. Im Moment scheint es eher so, als ob viele Menschen das Gefühl hätten, die neuen Geräte würden unsere Hirnleistung beeinträchtigen. Bei einer Blitzumfrage3, an der 100 Personen teilnahmen, waren nur 13 Prozent der Meinung, dass das Handy keinen Einfluss auf ihre Gedächtnisleistung habe. Etwas mehr als 60 Prozent jedoch stimmten folgender Aussage überwiegend oder völlig zu: »Ich habe das Gefühl, mein Gedächtnis leidet, weil mir mein Handy oder Smartphone Erinnerungsfunktionen und das Speichern von Wissen, Zahlen etc. abnimmt.«
Nicht, dass wir das Problem der Informationsüberflutung nicht schon gehabt hätten: Als im 15. Jahrhundert Johannes Gutenberg die Druckerpresse erfand, beschwerten sich die Menschen, dass sie bei so vielen Informationen das Wesentliche aus den Augen verlieren würden. Auch von den Bibliotheken hieß es: Es gäbe ja schon viel zu viele Bücher in den Regalen … Kommen Ihnen diese Beschwerden vertraut vor? Wir haben mit diesen Entwicklungen umzugehen gelernt, sodass sie unser Leben, unsere Kultur bereichern. Genau das sollte uns nun auch mit dem Internet und den Computern gelingen. Das Handy sollte unser Diener sein, nicht unser Boss, der uns am Gängelband führt. Unser oberstes Ziel heißt ab sofort:
Lernen wir, mit unserem Handy und unserem Computer so umzugehen, dass wir unser Gedächtnis nicht belasten, sondern befreien. Dann kann unser Gehirn wieder gut arbeiten. Nicht das Internet ist schuld an unserer Vergesslichkeit, sondern die fehlende Kompetenz, damit umzugehen.
ES IST BEINAHE SCHON EIN RITUAL, wenn man ins Kaffeehaus oder Restaurant geht: Man setzt sich an den Tisch, und noch bevor man sich umschaut oder einen Blick in die Speisekarte wirft – legt man das Handy auf den Tisch. Sie meinen, da wäre doch nichts dabei? Die beiden Forscher Andrew K. Przybylski und Netta Weinstein von der University of Essex4 sind da anderer Ansicht. Sie haben eine Studie vorgelegt, in der sie die Wirkung von Mobiltelefonen auf Vertrauen und Empathie anderen Menschen gegenüber untersucht haben.
Im Experiment wurden jeweils zwei Personen gebeten, ein Gespräch zu führen. Nach zehn Minuten sollten sie in einem Fragebogen die Beziehungsqualität, das Gefühl von Vertrauen und die Empathie des Gesprächspartners bewerten. Das Ergebnis der Studie war erstaunlich: Lag bei wichtigen Gesprächen das Smartphone griffbereit auf dem Tisch, war das gefühlte Vertrauen nur halb so groß, als wenn kein Smartphone in der Nähe lag. Man schrieb dem Gesprächspartner weniger Empathie zu. Bei unbedeutenden Gesprächen gab es kaum Unterschiede. Die Forscher schlossen daraus, dass das Handy unbewusst die Botschaft vermittelt: Ich bin bereit, unser Gespräch jederzeit zu unterbrechen.
Man kann hier noch weiterdenken. Das Smartphone auf dem Tisch suggeriert dem anderen: Du bist nicht so wichtig. Jede Nachricht, jeder Anruf könnte sofort die Aufmerksamkeit vom Gesprächspartner weglenken. Und so ist es doch auch, wenn wir ehrlich sind, nicht wahr? Wenn wir im Augenwinkel sehen, dass das Display aufleuchtet, wollen wir sehen, was es Neues gibt, es zieht uns magisch an! Und schon erfährt das Gespräch eine kleine Unterbrechung.
Wir haben nun einmal nur ein bestimmtes Maß an Aufmerksamkeit zur Verfügung. Ich vergleiche das gerne mit einem Topf voll goldener Taler. Für jeden Tag gibt es nur eine bestimmte Zahl davon, und es liegt an uns zu entscheiden, an wen oder für was wir sie verschenken. Wir möchten in einem wertvollen Gespräch ein paar »dieser Taler« unserem Gegenüber zukommen lassen, doch da sind noch so viele andere, die etwas davon wollen: unsere »Freunde« auf Facebook und WhatsApp, ach so interessante Videos auf YouTube, Informationen aus dem Internet … Ehe wir uns versehen, ist eine beträchtliche Menge unserer goldenen Taler in diesen gefräßigen Mäulern verschwunden. Für gute Gespräche, für die viel gepriesene »quality time« mit Freunden, der Familie oder mit uns selbst bleibt nicht mehr viel übrig.
Eines nach dem anderen, so die Devise. Lassen Sie bei wichtigen Gesprächen Ihr Handy in der Tasche und schenken Sie Ihrem Gesprächspartner einen Ihrer wertvollen Taler. Erst danach können Sie sich um die neuesten Nachrichten auf Ihrem Smartphone kümmern – oder auch nicht. Bedenken Sie: Jeder Taler steht auch für ein bestimmtes Quantum an Lebenszeit, und Sie entscheiden, ob Sie diese für das tausendste Katzenfoto auf Facebook oder vielleicht doch lieber für etwas anderes verwenden wollen.
Auch wenn Multitasking in unserer hektischen Welt von vielen Seiten gefordert wird: Es gibt zahlreiche Studien, die beweisen, dass wir schon zwei komplexe Aufgaben nicht gleichzeitig erledigen können. Wir können zwar Auto fahren und daneben reden, Wäsche bügeln und dabei einen Film ansehen. Doch das funktioniert nur, wenn es sich dabei um jeweils eine manuelle und eine kognitive Tätigkeit handelt. Die manuelle Tätigkeit erfolgt meist automatisiert, ohne dass wir unser Bewusstsein dafür einschalten müssen. Wir können jedoch nicht ein Telefonat führen und gleichzeitig eine E-Mail schreiben oder in einem wichtigen Meeting sitzen und heimlich am Laptop eine Präsentation vorbereiten. Wenn wir das versuchen, wird eine der beiden Aufgaben unweigerlich darunter leiden.