Einst überlebenswichtig, spielen Hände und Finger auch heute noch eine sehr wichtige Rolle – sei es für die unzähligen Tätigkeiten des Alltags oder für soziale Begegnungen. Wir verwenden sie, wenn wir jemandem zuwinken, die Hand geben und Freunde und Familie umarmen. Wir benötigen sie, um einkaufen zu gehen, den Haushalt zu erledigen, unseren Beruf auszuüben und uns zu versorgen. Rhetorikseminare betonen die Wichtigkeit der Gestik, da wir mit den Händen alles Gesagte unterstreichen oder abschwächen sowie im Alltagsleben unsere Gefühle und Gedanken ausdrücken können.
Dass einzelne Bereiche der Hände und Finger in enger Verbindung mit anderen Körperbereichen und Organen stehen, ist uns meist gar nicht so bewusst. Auch dass wir, wenn wir die Hände nach einem Sturz auf die schmerzende Stelle legen, hierdurch Energie in den betroffenen Körperbereich senden, ist vielen Menschen unbekannt. So legen beispielsweise Mütter ihren Kindern bei Blähungen die Hand auf den Bauch, um die Beschwerden durch Zufuhr von positiver Energie zu lindern. Wir handeln intuitiv auf die richtige Art und Weise, auch wenn uns die komplexen energetischen Zusammenhänge, die dahinterliegen, in dem Moment nicht klar sind.
Es ist schön zu sehen, wie das Interesse an einem ganzheitlichen Betrachtungsansatz des menschlichen Körpers und seiner Umgebung wächst - und auch das Verständnis für diese Zusammenhänge nimmt zu. Umfangreiches Wissen, dessen Wurzeln in alte Kulturen zurückreichen, verknüpft sich in den letzten Jahrzehnten immer stärker mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Erfahrungen und wird neu belebt. Es ist wundervoll, tiefer und tiefer in die Zusammenhänge unseres Körpers und der Welt einzutauchen und damit unser Leben viel umfassender begreifen zu können. Wir lernen wieder, uns selbst jederzeit und unkompliziert zu helfen. Mit dem vorgestellten Finger-Qigong ist das selbst in einer so kurzen Zeit wie dem Warten auf öffentliche Verkehrsmittel möglich. Es ergänzt dadurch andere Möglichkeiten der Selbstbehandlung perfekt.
Da ich mit traditioneller fernöstlicher Medizin aufgewachsen bin und von klein auf erfahren habe, dass jegliche Beschwerden leicht und ohne Nebenwirkungen mit einfachen Mitteln wie beispielsweise Kräutern oder Akupunktur und Akupressur gelindert werden können, freut es mich umso mehr zu sehen, dass immer mehr Menschen zu diesen natürlichen, jederzeit vorhandenen Mitteln greifen. Das Finger-Qigong bietet jedoch weitaus mehr – es lindert und verhindert nicht nur Beschwerden, es macht auch Spaß: Klein und Groß können sich selbst auf spielerische und unglaublich einfache Art damit etwas Gutes tun. Im Gegensatz zu anderen Übungssystemen, die mit der allumfassenden Lebensenergie (Qi) arbeiten, müssen Sie noch nicht einmal viel Zeit opfern – Sie können die Übungen einfach zwischendurch machen und sie damit perfekt in jeden Alltag integrieren, ohne an anderer Stelle Zeit einsparen zu müssen. Nehmen Sie sich einige Minuten Ihrer Mittagspause und unterstützen Sie innerhalb kürzester Zeit Ihre Gesundheit und Vitalität. Mit dem Finger-Qigong liegt Ihr Wohlbefinden sprichwörtlich in Ihrer eigenen Hand.
Ich hoffe, dass Ihnen die hier vorgestellten Übungen Freude bereiten und Sie möglichst lange geistig und körperlich fit halten.
Mit herzlichen Grüßen
Bernadett Gera
© 2016 by Irisiana Verlag, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH München
Projektleitung: Sarah Gast
Redaktion: Dr. Doortje Cramer-Scharnagl, Edewecht
Satz: Ute Fründt, München
Layout: Claudia Hautkappe, München
Umschlaggestaltung: Geviert, Grafik & Typografie
Umschlagmotiv: © Bernadett Gera
Lithografie: Helio Repro GmbH, München
E-Book Herstellung: JB
E-Book Produktion: Vera Hofer
ISBN: 978-3-641-17488-0
V002
Bildnachweis
Illustrationen: Bernadett Gera, Auswahl der chinesischen Zeichen durch Jumin Chen
Foto der Autorin: Irisiana Verlag/Christian M. Weiss
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KAPITEL 1
„Die Hand ist das
Wunderwerk aller Werkzeuge.
Sie ist ein Wunderwerk."
ARISTOTELES
Das Werk Huangdi Neijing Suwen (dt. Titel: Der innere Klassiker des gelben Kaisers) aus dem 2./3. Jahrhundert v. Chr. gilt als die älteste schriftliche Aufzeichnung, in der Qigong im heutigen Verständnis erstmals erwähnt wird, wobei eine Beschreibung bestimmter Qigong-Übungen bereits im 6. Jahrhundert v. Chr. niedergeschrieben wurde. Bei Qigong handelt es sich um eine Energiearbeit, die Zugang zu feinstofflichen Energien bietet und bei regelmäßiger Übung ein physisches, emotionales und mentales Wohlergehen herzustellen vermag. Hauptsächlich wurde es in taoistischen und buddhistischen Klöstern im alten China unter strikter Geheimhaltung weitergegeben.
Qigong offenbart ein umfangreiches und detailliertes Wissen über die zentrale Kraft allen Lebens, seine Aktivierung, Stärkung und ausgeglichene Verteilung im physischen Körper. Die Fähigkeit zur Selbstheilung wird dadurch unerschöpflich. Der freie Energiefluss im Körper wird gefördert und Yin- und Yang–Kräfte des Körpers in ein dynamisches Gleichgewicht gebracht. Hierauf weisen auch die Schriftzeichen hin, aus denen der Begriff Qigong besteht. Qigong bedeutet frei übersetzt die Fähigkeit, mit der Lebensenergie zu arbeiten. Beginnt man, ein sensibles Empfinden für feine Energien zu entwickeln, ist es möglich, Krankheiten und Beschwerden bereits entgegenzuwirken, wenn noch keine messbaren Symptome festgestellt werden können. Einen Zusammenhang zwischen erkrankten Organen und den jeweiligen Leitbahnen (siehe hier) wies unter anderem der Arzt Ioan Dumitrescu in seinen interessanten Forschungen nach. Einige dieser wichtigen Leitbahnen beginnen und enden an den Fingern. Daher verwundert es nicht, dass in verschiedenen Qigong-Arten stets Fingerübungen enthalten waren. Das Finger-Qigong selbst besteht aus einer Sammlung wichtiger bewegter Übungen aus verschiedenen traditionellen Quellen und beinhaltet zudem einige Massagetechniken, mit denen ebenfalls positiv auf die Gesundheit eingewirkt werden kann.
Während der politischen Unruhen des letzten Jahrtausends wurde Qigong in China immer weiter in den Hintergrund gedrängt und zeitweise sogar verboten. Die westliche Medizin gewann bis 1949 immer mehr an Bedeutung und erfuhr ihren Höhepunkt in der Guo-Ming-Dan-Regierung, die die traditionelle chinesische Medizin und damit auch Qigong als Aberglauben abtat und verbot. In der etwa zehnjährigen Kulturrevolution bis 1976 wurden viele Wissensträger in Arbeitslager gebracht oder getötet. Nach einem Aufruf Mao Zedongs, der 1950 auf der nationalen Gesundheitskonferenz die Meinung vertrat, man könne dem Volk besser dienen, wenn sich westliche und chinesische Medizin verbinden, lockerte sich die Situation ein wenig. Ab 1978 begann sich Qigong wieder zu etablieren.
Heutzutage existieren noch einige Hundert Qigong-Stile, und ihre Verbreitung im Westen nahm in den letzten Jahrzehnten sehr zu. Besonders die hier vorgestellten Übungen des Finger-Qigong erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Sie können entweder eigenständig praktiziert oder mit anderen Formen der Energiearbeit, wie beispielsweise Heilströmen, kombiniert werden.
Die Wirkungen, die man über die Finger auf den gesamten Organismus ausüben kann, sind äußerst vielfältig und wurden inzwischen durch viele wissenschaftliche Studien bestätigt. Obwohl die Übungen unglaublich einfach und sanft sind, ist ihre heilende Kraft bei regelmäßigem Üben enorm. Durch Stimulieren wichtiger Energiepunkte (Akupunkturpunkte) und Energieleitbahnen (Meridiane) ist es möglich, bei Beschwerden gezielt auf die entsprechenden Organe und Körperbereiche einzuwirken und schnell Linderung zu schaffen. Durch die Berührung unterschiedlicher Finger oder auch derselben einer jeden Hand verbindet man bestimmte Energiekreisläufe des Körpers miteinander und wirkt auf den Qi-Fluss, den Fluss der stärkenden Lebensenergie, ein. Auch die Durchlässigkeit der Handgelenke für einen freien Qi-Fluss von den Laogong-Punkten zum restlichen Teil des Körpers wird beim Finger-Qigong gefördert. Bei den sogenannten Laogong-Punkten (siehe hier) handelt es sich um wichtige Energiepunkte in den Handflächen, durch die der Körper verstärkt Energie aufnehmen und abgeben kann.
Weiter stärkt das Finger-Qigong die Koordinations-, Konzentrations- und Denkfähigkeit und fördert die Verbindungen zwischen rechter und linker Gehirnhälfte. Die Synchronisierung der linken und rechten Gehirnwellen, die hierbei unterstützt wird, ist ein Aspekt der positiven Wirkung bei Erkrankungen und Beschwerden. Der Grund liegt darin, dass erwiesenermaßen verstärkt Selbstheilungskräfte aktiviert werden, sobald die Gehirnzellen der rechten und linken Hälfte synchron in einer bestimmten Frequenz schwingen. Diese Synchronisierung kann mit dem Finger-Qigong gefördert werden - und nebenbei lassen sich auch ihre weiteren Auswirkungen, wie beispielsweise ein erhöhtes Bewusstsein, nutzen.
Durch Finger-Qigong werden Nerven- und Muskelzellen gestärkt, was unter anderem die Reaktions- und geistige sowie körperliche Leistungsfähigkeit fördert. Neben dem Gehirn wirkt sich das Finger-Qigong auch stärkend auf alle inneren Organe aus. Es ist möglich, den Körper allgemein und prophylaktisch zu stärken, oder aber mit bestimmten Übungen gezielt gesundheitlichen Beschwerden und Erkrankungen entgegenzuwirken und sie zu lindern. Neben Organbeschwerden eignet sich Finger-Qigong auch sehr gut bei psychosomatischen Problemen und Stress und sorgt für eine bessere Schlafqualität. Es belebt das gesamte Immun- und Kreislaufsystem, fördert die Durchblutung und entspannt unter anderem über die daraus resultierende Wärmeentwicklung. Zudem stärkt es den Stoffwechsel und aktiviert den Lymphfluss.
Menschen, die einer Bürotätigkeit nachgehen, loben die Übungen, weil sie Müdigkeit und Antriebslosigkeit entgegenwirken und „fitter im Kopf"machen. Anstehende Arbeiten können dadurch mit weniger Aufwand und Anstrengung in kürzerer Zeit erledigt werden.
Auch Symptome des sogenannten Karpaltunnelsyndroms können gemindert werden, das mit Schmerzen und Taubheit in den Fingern verbunden ist. Es entsteht, wenn der Mittelnerv am Handgelenk immer mehr eingeklemmt wird, und wird meist durch monotone Tätigkeiten wie Tippen – zum Beispiel am Computer – hervorgerufen.