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Textgrundlage: Werke, Band 1, herausgegeben von Christine Koschel, Inge von Weidenbaum, Clemens Münster, Piper Verlag, München 1982, 3. Auflage 1993.

ISBN 978-3-492-97451-6

Juni 2016

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 1956

Covergestaltung: semper smile, München

Covermotiv: Heinz Bachmann / Piper Archiv

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

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I

Das Spiel ist aus

Mein lieber Bruder, wann bauen wir uns ein Floß

und fahren den Himmel hinunter?

Mein lieber Bruder, bald ist die Fracht zu groß

und wir gehen unter.

Mein lieber Bruder, wir zeichnen aufs Papier

viele Länder und Schienen.

Gib acht, vor den schwarzen Linien hier

fliegst du hoch mit den Minen.

Mein lieber Bruder, dann will ich an den Pfahl

gebunden sein und schreien.

Doch du reitest schon aus dem Totental

und wir fliehen zu zweien.

Wach im Zigeunerlager und wach im Wüstenzelt,

es rinnt uns der Sand aus den Haaren,

dein und mein Alter und das Alter der Welt

mißt man nicht mit den Jahren.

Laß dich von listigen Raben, von klebriger Spinnenhand

und der Feder im Strauch nicht betrügen,

iß und trink auch nicht im Schlaraffenland,

es schäumt Schein in den Pfannen und Krügen.

Nur wer an der goldenen Brücke für die Karfunkelfee

das Wort noch weiß, hat gewonnen.

Ich muß dir sagen, es ist mit dem letzten Schnee

im Garten zerronnen.

Von vielen, vielen Steinen sind unsre Füße so wund.

Einer heilt. Mit dem wollen wir springen,

bis der Kinderkönig, mit dem Schlüssel zu seinem Reich

im Mund,

uns holt, und wir werden singen:

Es ist eine schöne Zeit, wenn der Dattelkern keimt!

Jeder, der fällt, hat Flügel.

Roter Fingerhut ist’s, der den Armen das Leichentuch säumt,

und dein Herzblatt sinkt auf mein Siegel.

Wir müssen schlafen gehn, Liebster, das Spiel ist aus.

Auf Zehenspitzen. Die weißen Hemden bauschen.

Vater und Mutter sagen, es geistert im Haus,

wenn wir den Atem tauschen.

Von einem Land, einem Fluß und den Seen

I

Von einem, der das Fürchten lernen wollte

und fortging aus dem Land, von Fluß und Seen,

zähl ich die Spuren und des Atems Wolken,

denn, so Gott will, wird sie der Wind verwehn!

Zähl und halt ein – sie werden vielen gleichen.

Die Lose ähneln sich, die Odysseen.

Doch er erfuhr, daß wo die Lämmer weiden,

schon Wölfe mit den Fixsternblicken stehn.

Er fühlte seine Welle ausgeschrieben,

eh sie ihn wegtrug und ihm Leid geschah;

sie sprang im See auf und sie schwang die Wiege,

in die sein Sternbild durch die Schleier sah.

Er schüttelte und trat die tauben Nüsse,

den Hummeln schlug er schärfre Töne vor,

und Sonntag war ihm mehr als Glockensüße –

Sonntag war jeder Tag, den er verlor.

Er zog den Karren aus verweichten Gleisen,

von keinem leichten Rädergang verführt,

beim Aufschrei, den die Wasser weiterreichten

an Seen, vom ersten Steinschlag aufgerührt.

Doch sieben Steine wurden sieben Brote,

als er im Zweifel in die Nacht entwich;

er tauchte durch den Duft und streute Krumen

im Gehn für den Verlornen hinter sich.

Erinnre dich! Du weißt jetzt allerlanden:

wer treu ist, wird im Frühlicht heimgeführt.

O Zeit gestundet, Zeit uns überlassen!

Was ich vergaß, hat glänzend mich berührt.

II

Im Frühlicht rücken Brunnen in die Mitte,

der Pfarrer, das Brevier, der Sonntagsstaat,

die kalten Pfeifen und die schwarzen Hüte,

Leib, Ehr und Gut vor allerhöchsten Rat.

Untätig steht der Fluß, die Weiden baden,

die Königskerzen leuchten bis ins Haus,

das schwere Essen ist schon aufgetragen,

und alle Sprüche gehn auf Amen aus.

Die Nachmittage, hell und ungeheuer –

die Nadel springt im Strumpf, Gewöll zerreißt,

und das Geschirr der Pferde wird gescheuert,

bis eins erklirrt, mit dem Fallada reist.

Die Alten liegen in den dumpfen Stuben,

das Testament im Arm, im zweiten Schlaf,

und ihre Söhne zeugen wortlos Söhne

mit Mägden, die der Gott als Regen traf.

Gestillte Lippen und gestillte Augen –

die Raupen hängen eingepuppt im Schrein,

und Dunggeruch steigt mit den Fliegentrauben

bei früher Dämmrung durch die Fenster ein.

Am Abend Stimmenauflauf an den Zäunen,

Andacht und Rosen werden laut zerpflückt,

die Katzen scheuchen auf aus ihren Träumen,

und rote Mieder hat der Wind verrückt.

Die Zöpfe lösen sich, die Schattenpaare

im Nebel auf, vom nahen Hügel rollt

der unfruchtbare Mond, besetzt die Äcker

und nimmt das Land für eine Nacht in Sold.

III

Dem Hügelzug ist eine Burg geblieben,

vom Berg geschützt, der Felsen um sie stellt,

den Geier ausschickt mit dem Krallensiegel,

dem Königswappen, eh sie ganz verfällt.

Es sind drei Tote hinterm Wall verborgen;

von einem weht vom Wachtturm noch das Haar,

von einem heißt es, daß er Steine schleudert,

von einem, daß er doppelköpfig war.

Der stiftet Brand, dem sie zu dritt befehlen,

der mordet, den ein schwarzes Haar umschlingt,

und wer den Stein aufhebt, wird selber sterben,

noch diesen Abend, eh die Amsel singt.

Die unbeschuhten Geister auf den Zinnen,

der unbewehrte Leichnam im Verlies,

im Gästebuch die Namen der Beschauer –

die Nacht vertuscht sie, die uns kommen hieß.

Sie schlägt den Erdplan auf, verschweigt die Ziele;

sie trägt die Zeit als eine Eiszeit ein,

die Schotterstege über die Moränen,

den Weg zu Grauwack und zu Kreidestein.

Die Drachenzeichnung lobt sie und die Festung,

vom Faltenwurf der frühen Welt umwallt,

wo oben unten war und unten oben.

Die Scholle tanzt noch überm blauen Spalt.

Ins Schwemmland führt die Nacht. Es schwemmt uns wieder

ins Kellerland der kalten neuen Zeit.

So such im Höhlenbild den Traum vom Menschen!

Die Schneehuhnfeder steck dir an das Kleid.

IV

In andren Hüllen gingen wir vorzeiten,

du gingst im Fuchspelz, ich im Iltiskleid;

noch früher waren wir die Marmelblumen,

in einer tiefen Tibetschlucht verschneit.

Wir standen zeitlos, lichtlos in Kristallen

und schmolzen in der ersten Stunde hin,

uns überrann der Schauer alles Lebens,

wir blühten auf, bestäubt vom ersten Sinn.

Wir wanderten im Wunder und wir streiften

die alten Kleider ab und neue an.

Wir sogen Kraft aus jedem neuen Boden

und hielten nie mehr unsren Atem an.

Wir waren leicht als Vögel, schwer als Bäume,

kühn als Delphin und still als Vogelei.

Wir waren tot, lebendig, bald ein Wesen

und bald ein Ding. (Wir werden niemals frei!)

Wir konnten uns nicht halten und wir zogen

in jeden Körper voller Freude ein.

(Und niemand sag ich, was du mir bedeutest –

die sanfte Taube einem rauhen Stein!)

Du liebtest mich. Ich liebte deine Schleier,

die lichten Stoffe, die den Stoff umwehn,