PETER BERLING
Folge XVII des 17-bändigen Kreuzzug-Epos Die Kinder des Gral
Historischer Roman
Roger-Ramon-Bertrand Trencavel du Haut-Ségur, gen. ›Roç‹
Isabelle-Constance-Ramona Esclarmunde du Mont y Sion, gen. ›Yeza‹
Willem von Roebruk, gen. William, der Chronist (Franziskaner)
Jalal al Sufi, ein Derwisch
Joshua, gen. ›Josh der Zimmermann‹, jüdischer Kabbalist
David von Bosra, der Templer
Hulagu, der Il-Khan
Dokuz-Khatun, seine (christliche) Frau
Kitbogha, sein oberster Feldherr (nestorianischer Christ)
Dungai, dessen Vertrauter, Feldhauptmann
Sundchak, ein General
Khazar, ein Neffe Kitboghas, Unterführer
Baitschu, jüngster Sohn Kitboghas
Arslan, der Schamane
Bohemund VI, der Fürst
Sybille von Armenien, seine Frau
Guy de Muret, Beichtvater der Fürstin (Dominikaner)
Terèz de Fois, ein Vasall
Berenice de Tarascón, dessen Frau
Pons de Tarascón, deren jüngerer Bruder
Alais, muslimische Zofe der Fürstin
Qutuz, amtierender Mameluckensultan
Baibars (Emir Rukn ed-Din Bunduktari), sein wichtigster General, gen. ›Der Bogenschütze‹
Der Rote Falke, nom de guerre des Emirs Fassr ed-Din Octay, Sohn des letzten Großwesirs; als christlicher Ritter:›Prinz Konstanz von Selinunt‹
Madulain, dessen Frau, eine Prinzessin der Saratz
Ali, Sohn des ermordeten Sultans Aibek, des Vorgängers von Sultan Qutuz
Naiman, Geheimagent des Sultans
Gottfried von Sargines, Bailli des Königreiches von Jerusalem
Hugo de Revel, Großmeister des Johanniterordens
Hanno von Sangershausen, Großmeister des Deutschen Ritterordens
Yves der Bretone, Gesandter des Königs von Frankreich
Marie de Saint-Clair, ›La Grande Maîtresse‹
Karl von Gisors, ihr Bruder, Groß-Prior des Templerordens
Lorenz von Orta, ›Der Sekretär‹, (Franziskaner)
Marc de Montbard, Komtur der Templer zu Sidon
Julian von Sidon und Beaufort, Raubritter
Johanna von Armenien, seine Frau
Hethum, König von Armenien, Vater von Sybille und Johanna
Philipp de Montfort, Herr von Tyros
An-Nasir, Sultan von Damaskus
Clarion von Salentin, seine Favoritin
El-Aziz, sein Sohn
Der Baouab, sein Oberhofmeister
El-Kamil, Emir von Mayyafaraqin
Badr ed-Din Lulu, Atabeg von Mossul
Kaikaus, Sohn des Seldschukensultans
Alp-Kilidsch, dessen älterer Bruder
Walter Fritzsche für den Mut, sich auf Thema und Autor eingelassen zu haben, sowie für die ständige Ermutigung des Letzteren, Ersteres voll auszuschöpfen.
Dr. Helmut W. Pesch für die Aufopferung, ein Feld von über tausend Seiten Zeile für Zeile behutsam und (vollhumanistisch) verständig durchfurcht zu haben.
Last not least Michael Görden, der sich als Ansprechpartner von unschätzbarem Wert erwies und als sachkundiger Katalysator bei der Fülle des Materials und der Ideen seines Schutzbefohlenen.
Für das Erscheinen als E-Book danke ich hockebooks für die aufgewandte Mühe und Roman Hocke persönlich für das Eingehen des ungewöhnlichen Experiments eine erfolgreiche Pentalogie in 17 aufeinander folgenden Einzelbänden aufzulegen. Claudia von Hornstein und Julia Hocke für die hilfreiche Mitarbeit.
Bei aller Berücksichtigung von zeitgenössischen Chroniken und Dokumenten wie: Jean de Joinville, Chronicles of the Crusades, hg. The Estate of M.R.B. Shaw, 1963; Kaiser Friedrich II., hg. Klaus J. Heinisch, Winkler-dtv, 1977; Die Kreuzzüge aus arabischer Sicht, hg. Francesco Gabrieli, Winkler-dtv, 1973; ist für mich das Verfassen eines Romans, der im Hochmittelalter spielt, ohne: Steven Runciman, A History of the Crusades, Cambridge University Press, 1954; undenkbar – ich habe ihm immer wieder zu danken. Flankierend zu seinem opus magnum waren mir von Wert: Otto Rahn, Kreuzzug gegen den Gral, Urban Verlag, Freiburg i. Brsg., 1933; Eugen Roll, Die Katharer, J. Ch. Meilinger, Stuttgart, 1979; Jordi Costa i Roca, Xacbert de Barbera, Llibres del Trabucaire, Perpinya (Cat.), 1989; John Charpentier, L’Ordre des Templiers, Klett-Cotta, Stuttgart, 1959; Hans Prutz, Entweihung und Untergang des Tempelherrenordens, G. Grote’sche Verl., Berlin, 1888; Bernhard Lewis, The Assassins, Weidenfeld & Nicholson, London, 1967; Edward Burman, Gli Assassini, Convivio – Nardini edit., Florenz, 1987; Bertold Spuler, Geschichte der Mongolen, Artemis, Zürich, 1968; Gian Andri Bezzola, Die Mongolen in abendländischer Sicht, A. Francke, Bern, 1974; Friedrich Risch (Hg.), Johan de Piano Carpini, Reisebericht 1245–1247, Leipzig , 1930; Friedrich Risch (Hg.), Wilhelm Rubruk, Reise zu den Mongolen 1253–1255, Leipzig, 1934; und schließlich mein eigenes Buch samt Index und Anhang: Peter Berling, Franziskus oder Das zweite Memorandum, Goldmann, München, 1989 (2. Aufl. 1990).
Roma, den 1. Mai 2012
Peter Berling
[1] De facto: (lat.) faktisch, tatsächlich
[2] Karl von Gisors: Schwager der Grande Maîtresse Marie de Saint-Clair
[3] militiae templi Salomonis: Streiter des Tempels Salomo; Teil des offiziellen Eigennamens des Templerordens, der sich auf den Gründungsort bezieht, obgleich zu diesem Zeitpunkt der jüdische Tempel nicht mehr existierte und die ersten Templer Sitz im Wohntrakt der Al-Aqsa-Moschee nahmen.
[4] Folianten: Bücher im Format eines Papierblatts
[5] Lucerna: (lat.) Lampe, Leuchte
[6] Kustos: (lat.) Hüter, Wächter, Bibliotheksaufseher
[7] sigillum: (lat.) Siegel
[8] sine dubio: (lat.) ohne Zweifel
[9] Trigon: das Dreieck
[10] Transsubstantiation: Übergang eines Stoffes in einen anderen; in der katholischen Glaubenslehre die Umwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi
[11] Schia: (Shia, Shi'at Ali; arab.) Fährte, Spur, (Bluts-)Linie. Ihre Anhänger, die Schiiten, erkennen als Imame bzw. Kalifen nur Nachkommen der Fatima (Tochter des Propheten) und ihres Ehemannes Ali und die auf sie zurückgehende Überlieferung der Worte des Propheten an.
[12] caput mundi: (lat.) Haupt der Welt, Rom
[13] codex militaris: (lat.) militärische Vorschrift
[14] Rex Iudaeorum: (lat.) König der Juden
[15] Mare Nostrum: (lat.) wörtlich »Unser Meer« (zur Zeit des Römischen Reiches), Mittelmeer
[16] Imperium Romanum: (lat.) Römisches Reich
[17] Sacrum Imperium Romanum … : Heiliges Römisches Reich
[18] Schisma: Spaltung der katholischen Kirche in römisch-katholisch und griechisch-orthodox (1054)
[19] Investitur: Amtseinsetzung; hier geht es um die mittelalterliche Rechtsfrage, ob der Papst den Kaiser krönen muss (womit er höher gestellt als Letzterer gewesen wäre).
[20] Pontifex Maximus: (lat.) Oberster Priester, d.h. der Papst
[21] inter familiam: (lat.) in der Familie, im vertrauten Kreis
[22] Orbis Mundi: (lat.) der Erdkreis
[23] Colonia: (lat.) Kolonie; hier ist jedoch Köln gemeint (Colonia Agrippina)
[24] Carolus Magnus: Kaiser Karl der Große (747–814), König der Franken (768–814), seit 800 römischer Kaiser
[25] Gnosis: (griech.) Erkenntnis. Hauptzentrum der christlichen Glaubensrichtung der Gnostiker war Alexandria; die Strömung glaubte an einen transzendenten Gott, der barmherzig und gut, doch dem Kosmos fern ist.
[26] Mani: (242 ν. Chr.), Gründer der arianisch-gnostischen Religion, des Manichäismus, in Persien, basierend auf dem Dualismus des Zarathustra, wirksam bis ins Mittelalter mit starkem Einfluss auf die Katharer.
[27] Diaspora: (griech.) die Zerstreuung; im Neuen Testament die außerhalb von Judäa lebenden Juden
[28] Nobilität: der Adel
[29] Patrimonium Petri: (lat.) päpstlicher Besitz, die Regionen in Italien, die im Mittelalter den Kirchenstaat ausmachten: Latium, umstrittene Teile der Toskana und Umbriens sowie der »Marken« (Bologna, Ferrara, Ancona)
[30] Urban II.: 1088–1099 Papst; rief 1095 auf dem Konzil von Clermont zum I. Kreuzzug auf.
[31] Deus lo volt!: (vulgar-lat.) Gott will es!
[32] Schnappsäcke: Taschendiebe
[33] Pogrome: Verfolgung ganzer Volks- oder Glaubensgemeinschaften, insbesondere der Juden
[34] Hörner von Hattin: bei Tiberias; dort schlug Saladin 1187 vernichtend das Kreuzfahrerheer (führte zur Rückeroberung von Jerusalem für den Islam, 1187).
[35] despektierlich: abschätzig, respektlos
[36] Skriptum: (lat.) Geschriebenes, Schriftstück
[37] Innozenz III.: 1198–1216 Papst; war 1197 bis 1215 Vormund des jungen Friedrich II., danach dessen erbitterter Gegner wegen nicht eingehaltenen Kreuzzugsversprechens
[38] Dem großen Barbarossa: Kaiser Barbarossa (Rotbart), der Staufer-Kaiser Friedrich I. (um 1125–1190), Sohn des Herzogs Friedrich von Schwaben und der Welfin Judith. 1152 deutscher König, 1155 Kaiser. Zur Wiederherstellung der Reichsmacht zog Barbarossa fünfmal gegen den Papst und die oberitalienischen Städte; 1189 war er als Haupt der Christenheit Führer des III. Kreuzzuges mit 12–15000 Mann; am 10. Juni 1190 ertrank Barbarossa vor dem Erreichen seines Ziels im Saleph, einem kleinen kilikischen Fluss, und wurde in Tyros beigesetzt.
[39] Katharer: (aus dem griech. »hoi katharoi« = die Reinen) eine sich von der römisch-katholischen Amtskirche radikal lossagende religiöse Erneuerungsbewegung; im südfwestfranzösischen Languedoc fand die »Ketzerei« (der deutsche Begriff ist eine Ableitung aus dem griechischen »katharos«) ebenso Anhänger wie in der Provence, der Lombardei und in Deutschland. Die Lehre der »Reinen« hatte ihren Ursprung im persischen Manichäismus, einer dualistischen Glaubensrichtung, die zwischen dem guten, unsichtbaren Gott und dem »bösen Weltenschöpfer« unterscheidet, dem Demiurgen. Die Menschen sind Teil der dunklen Schöpfung des Demiurgen, tragen aber den Lichtkeim des wahren Gottes in sich. Da die Materie als »teuflisch« abgelehnt wird, soll der Mensch sich ganz von ihr befreien, um zu seinem göttlichen Ursprung zurückzukehren. Diese Einstellung brachte eine große Hinwendung zu den mitleidenden Geschöpfen hervor und eine Ablehnung aller weltlichen Versuchung, aber auch Asketentum bis zur Weltverachtung. Der Katharismus nahm auch Vorstellungen der frühchristlichen Gemeinden, der jüdischen Diaspora und des keltischen Druidentums auf und entwickelte sich im Laufe des 12. Jahrhunderts zur gefährlichen Gegenmacht Roms. Vor allem die Bedürfnislosigkeit der Priester verschaffte den »Ketzern« Zulauf beim Volk. Doch auch der lokale Adel hing dieser Lehre an, da sie im Unterschied zur römischen Kirche keine weltlichen Machtansprüche stellte. Die katharische Religion wurde von ihren Anhängern freudig getragen, verhieß sie doch jedem das Paradies, und mit dem Adel verband sie die gemeinsame Sehnsucht nach dem Heiligen Gral. Die Katharer verlangten die Armut des Einzelnen, ließen den Besitz der Gemeinschaft jedoch zu. Die Bekämpfung durch Kreuzzüge im beginnenden 13. Jahrhundert führte nicht zur Vernichtung der Katharer; entscheidend war vielmehr die »Gegenmission« durch die Dominikaner. Im Kampf gegen die Ketzer entwickelte die Kirche das Verfahren der Inquisition, das z. T. in »Handbüchern« niedergelegt wurde.
[40] Frankreich der Capets: (Kapetinger, vom lat. » cappa«, Mantel), französisches Königshaus, herrschte von 987 (Hugo Kurzmantel, 987–996) bis zur Französischen Revolution. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts verfügte es lediglich über die Ile de France mit Paris, die Grafschaften Flandern, Champagne und Blois sowie über das Herzogtum Burgund. Das gesamte Südfrankreich (die Provence, das Königreich Burgund, Arelat und Lothringen waren Teile des Römisch-Deutschen Reiches); die mächtige Grafschaft Toulouse (Tolosa) war unabhängig, das Languedoc samt Roussillon aragonischer Lehnsbesitz diesseits der Pyrenäen und somit ebenso wenig im Besitz der Capetinger wie das große Herzogtum Aquitanien (Guyenne, Poitou, Gascogne), das durch die Heirat Eleonores an das England der Plantagenets gefallen war, die ihre Stammlande Normandie, Bretagne und Anjou (mit Maine, Marché und Touraine) ohnehin beanspruchten.
[41] Albigenser: Die Albigenser, eine Gruppe der Katharer aus Albi in Südfrankreich, propagierten strengste Askese, Armut und Absage an die irdische Welt. Ihr Name wurde zum Sammelbegriff für alle Ketzer, ob Katharer oder Waldenser. Als am Anfang 1208 der Legat Peter von Castelnau von einem Pagen Raymonds VI. von Toulouse ermordet wurde, der die Häretiker heimlich zu begünstigen schien und vom Papst exkommuniziert wurde, rief Innozenz III. zum Kreuzzug gegen die Albigenser auf. Als Erstes eroberten die Kreuzfahrer 1209 Béziers, dann Carcassonne. Simon von Montfort nahm Raymond mit Ausnahme von Toulouse und Montauban dessen Besitzungen ab. König Peter II. von Aragon, der seinen Lehnsleuten zu Hilfe eilte, wurde 1213 in der Schlacht von Muret von Simon von Montfort geschlagen und fiel. Das 4. Laterankonzil sprach Raymond VI. seine Ländereien ab, worauf sich die Bevölkerung des Languedoc erhob. 1218 wurde Simon von Montfort bei der Belagerung von Toulouse getötet; die Entscheidung zugunsten der Kreuzfahrer jedoch fiel erst, als der französische König Ludwig VIII. in die Kämpfe eingriff (1226); die entscheidenden Erfolge wurden 1229 im Vertrag von Paris bekräftigt. Doch im Languedoc wurden noch lange militärische Feldzüge gegen die Ketzer geführt, die erst mit Einnahme des Montségur endeten (1244)
[42] Gregor IX: 1227–1241 Papst, geriet rasch in schwere Konflikte mit Kaiser Friedrich II.
[43] Innozenz IV.: Papst von 1243 bis 1254. Er erreichte, dass das Konzil von Lyon 1245 Kaiser Friedrich als abgesetzt erklärte.
[44] Castel Sant'Angelo: (ital.) Engelsburg, auf dem Grabmal des Kaisers Hadrian errichtet
[45] penis excillis: (lat.) hervorragender Penis
[46] der große Bernhard …: der heilige Bernhard von Clairvaux (1091–1153), aus dem Geschlecht der Chatillon, trat 1112 in den Zisterzienserorden ein und gründete 1115 das Reformkloster Claravallis, 1140 verurteilte er den berühmten Scholastiker Abelard, 1145 begleitete er den päpstlichen Legaten auf einer Mission gegen die albigensischen Ketzer. Sein Onkel André de Montbart gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Templerordens.
[47] Plantagenet: »Planta Ginestra«, der Ginsterzweig, war Helmzier der Herzöge von Anjou. Als Gottfried der Schöne und seine Frau Mathilde (Maud) den englischen Thron für ihren Sohn Henri II. eroberten, wurde der Zweig zum Stammesnamen des neuen Herrscherhauses erhoben.
[48] Stupor mundi: (lat.) das »Staunen der Welt«, Beiname des Stauferkaisers Friedrich II.
[49] die Mörder Dagoberts: gemeint ist der Merowingerkönig Dagobert III. (711–715), gen. »der Gute«
[50] arianische Herkunft: zur Glaubensrichtung der Arianer gehörig, die gemäß ihres Stifters Arius Jesus nicht für gottgleich hielten.
[51] Zoroastra: Zarathustra, Stifter einer der ältesten Religionen der Welt, lebte ca. zwischen 1700 und 1500 v. Chr., Einfluss auf die jüdischen Essener, als Parsismus 600 v. Chr. Persische Staatsreligion. Basierend auf Naturreligionen (Feuer und Wasser) formte Zarathustra Ahura Mazda, den Schöpfergott, und dessen Gegenspieler Ahriman, den Zerstörer. Dieser kosmische Gegensatz zweier in der Schöpfung enthaltener Kräfte führte zum »Spiel des Asha«, dem rituellen Schachspiel.
[52] Divina Hierosolyma: (lat.) Göttliches Jerusalem
[53] magistri templi Salomonis: (lat.) Lehrherren des Tempels Salomo, Teil des offiziellen Titels der Tempelritter
[54] Apotheose: Vergötterung, Versetzung unter die Götter, Himmelfahrt
[55] Berg Zion: Zion, die Burg im alten Jerusalem; im übertragenen Sinne der »echte« alte Glauben
[56] Konvolut: Bündel von Schriften
[57] Dschingis Khan: (Dschinggis-Qayan, 1167–1227); Einiger der mongolischen Völker um 1195, absoluter Herrscher ab 1206; verheiratet mit Börke, die ihm als junge Frau geraubt wurde, weswegen seinem Erstgeborenen die Thronfolge verweigert wurde.
[58] cingulum: (lat.) Gürtelbinde, Schärpe
[59] Malik: (arab.) König
[60] nebulös: undurchsichtig
[61] Aversion: Widerwillen
[62] Verdikt: Urteil
[63] Möngke: (Monka, Mangu, 1208–1259), Enkel des Dschingis Khan; wird 1251 auf dem mongolischen Reichstag (Kuriltay) als Nachfolger seines Vetters Guyuk zum Großkhan (Khagan) gewählt
[64] qamis: (arab.) Hemd
[65] Vasallen: in persönlichem Treueverhältnis an einen Schutzherrn gebundener freier Mann
[66] Allahu akbar: (arab.) Gott ist groß
[67] Ashadu an la …: (arab.) Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Gott.
[68] kasat shai nana: (arab.) Gläser von Tee mit frischer Minze
[69] incognito: (lat.) unerkannt, ohne sich zu erkennen zu geben
[70] Kürass: Brustharnisch, Brustpanzer
[71] Garde du corps: (frz.) Leibgarde, Leibwache
[72] Walstatt: Kampfplatz, Schlachtfeld
[73] Quo vadis, Chevalier?: Wohin gehst du, Ritter?
[74] Goldenes Vlies: im griechischen Mythos das Fell des goldenen Widders, der Phrixos nach Kolchis trug
[75] Copulatio a tergo: (lat.) Stellung beim Geschlechtsverkehr, bei welcher der Mann die Frau von hinten penetriert
[76] Et nunc ad memoriam!: (lat.) Und das zur Erinnerung!
[77] Ave: (lat.) Sei gegrüßt!
[78] Morituri te salutant!: (lat.) Die Todgeweihten grüßen dich!
[79] Musselin: leichtes Baumwollgewebe aus der Stadt Mossul
[80] albisa: (arab.) die Gewänder
[81] Mahmoud: Sohn Baibars des Bogenschützen
[82] amama: (arab.) Turban
[83] Griechisches Feuer: Kallinikos von Byzanz erfand 671 dieses Kampfmittel, das in seiner Wirkung an Phosphor herankommt. Es wurde in verschlossenen Töpfen von Katapulten geschleudert und brannte auch auf dem Wasser. Es bestand aus einer Mischung von Schwefel, Steinsalz, Harz, Erdöl, Asphalt und gebranntem Kalk, wurde 672 von den Byzantinern erfolgreich zur Verteidigung von Konstantinopel gegen die Araber eingesetzt.
[84] Phönix aus der Asche: im römischen Mythos verbrennt sich der Vogel Phönix in gewissen Zeitabständen selbst und steigt erneuert aus der Asche empor; dadurch entwickelte sich der Phönix im christlichen Glauben zum Sinnbild Jesu.
[85] Aer: (lat.) die Luft
[86] Sol invictus: (lat.) die unbesiegte Sonne, spätrömische Gottheit, vor allem Titel, den sich die Cäsaren gaben
[87] Mercurius: (lat.) Gott des Handels und der Diebe; lat. auch Bezeichnung für Quecksilber
[88] in personam: (lat.) persönlich, selbst
[89] kis: (arab.) der Beutel
[90] Diktat: Vorgabe, Befehl
[91] confraternitas: (lat.) Bruderschaft
[92] manifestieren: sichtbar, gegenständlich werden
[93] Requiem aeternam dona …: (lat.) Ewige Ruhe gib ihnen, Herr, und das Licht leuchte ihnen.
[94] Te decet hymnus … : (lat.) Dir gebühret Lobgesang, Gott in Zion, und Anbetung soll dir werden in Jerusalem;
[95] Exaudi orationem … : (lat.) Erhöre mein Gebet, zu dir komme alles Fleisch.
[96] Graduale: Messgebet oder Chorgesang, bestehend aus Psalmen-Stellen
[97] Huris: (arab.) Gespielinnen
[98] Che Diaus aduja …!: (okzit.) Dass Gott dieser Frau von so großem Mut helfe!
[99] bakshish: (arab.) Trink-, Bestechungsgeld
[100] Marginalie: Randerscheinung, Bedeutungslosigkeit
[101] egozentrisch: ichbezogen
Peter Berling wurde am 20. März 1934 in Meseritz geboren, in der ehemaligen Grenzmark Brandenburgs. Seine Eltern waren die Berliner Architekten und Poelzig-Schüler Max und Asta Berling. Jugend, Krieg und Gymnasium in Osnabrück (wohin die Familie 1938 umzog) und auf dem Internat Birklehof im Schwarzwald. 1954 Beginn eines Architektur-Studiums in München, Wechsel zur Akademie der Bildenden Künste, Tätigkeiten als Werbegrafiker, Reiseleiter, Konzertveranstalter, Musikverleger.
Angestoßen durch Alexander Kluge 1959 Einstieg in die Produktion von Filmen, beginnend mit Klaus Lemke, Werner Schroeter und schließlich Rainer Werner Fassbinder. In Folge zunehmender Co-Produktionen mit Italien übersiedelte Berling 1969 nach Rom. Gleichzeitig verstärktes Mitwirken als Charakterdarsteller in weit über 100 Filmen u.a. bei Werner Herzog, Jean-Jacques Annaud, Martin Scorsese, Volker Schlöndorff und R. W. Fassbinder. Sehr spät, erst 1989, begann Berling seine Karriere als Schriftsteller, als Verfasser historischer Romane. Bereits mit dem Zyklus ›Die Kinder des Gral‹ gelang ihm ein Bestseller, übersetzt in bislang 18 Sprachen.
Parallel zum Schreiben tritt Berling in der dtcp-Sendereihe ›facts & fakes‹ bei Alexander Kluge auf. In bis heute mehr als 200 Folgen verkörpert er als Interviewter erfolgreich die verschiedensten Rollen aus grauer Vorzeit, glaubwürdig bis tief in die Wirren des 20. Jahrhunderts, vom Geheimdienstler und Opernsänger bis zum Organhändler, Tiefseeforscher und glücklosen Militärstrategen.
2011 erschien sein autobiografisch angelegter Roman
›Hazard & Lieblos‹, Kaleidoskop eines Lebens, Hoffmann & Campe,
den er lieber ›Liebfeig & Chûzpe‹ getitelt hätte. Demnächst wird Peter Berling 80, kein Ende in Sicht.
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Peter Berling: Ein Teppich in der Wüste. Folge XVII des 17-bändigen Kreuzzug-Epos Die Kinder des Gral. Historischer Roman
Die Gral-Serie besteht aus 17 Bänden:
– Das Geheimnis des Montségur
– Der Häscher des Kardinals
– Im Lügengespinst von Byzanz
– Die Piratin der Ägäis
– Kreuzzug ins Verderben
– Schicksal am Nil
– Höhle der Muräne Christi
– Im Banne der Assassinen
– Geiseln des Großkhan
– Die Rose im Feuer
– Das Geheimnis der Templer
– Ein blutig Hauen und Stechen
– Die Braut von Palermo
– Die Spur des Kelches
– Das Brandsiegel
– Das Haupt des Drachens
– Ein Teppich in der Wüste
Copyright © 2013 by Peter Berling
vertreten durch AVA international GmbH, Germany
Covergestaltung: hockebooks gmbh
Covermotive: Andrey_Kuzmin/shutterstock.com, Nejron Photo/shutterstock.com, Maxx-Studio/shutterstock.com
Überarbeitete Neuausgabe © 2013 by hockebooks gmbh
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Erlaubnis des Verlags wiedergegeben werden.
Die Originalausgabe des Romans Der Kelim der Prinzessin ist 2005 im Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach, erschienen.
ISBN: 978-3-943824-17-9
www.peterberling.de
www.ava-international.de
Das Haupt des Drachens
Den Sultan von Damaskus befällt Sorge um Reich und Leben. Er schickt den größten und teuersten Teppich der Welt dem heranziehenden Mongolenheer entgegen, ein Geschenk für den Großkhan. In dieser Karawane ziehen auch Roç und Yeza mit. Ein ungebärdiger Emir Anatoliens überfällt brutal den Transport, nicht wegen des kostbaren Riesen-Kelims, sondern um Yeza in seine Gewalt zu bringen. Sie rettet das nackte Leben ihres Geliebten Roç, indem sie sich opfert.
Der Sohn des Sultans wird ausgeschickt, dafür zu sorgen, dass der Teppich als Geste der Unterwerfung sein Ziel erreicht. Er benutzt den Abtransport, um Yeza aus dem Harem des Emirs zu entführen. Von da ab gleicht ihre Reise einem blutigen Balzen um ihre Gunst, Königssöhne schlagen sich tot ihretwegen, bis sie endlich Ruhe und Frieden bei den Sufis in der Oase von Palmyra findet, doch den Teppich, der ihr nur Unglück gebracht hat, wird sie nicht los.
Roç vertändelt die Zeit, die Yeza seiner harrt, mit leichtlebigen Abenteuern. Die Mongolen suchen nach dem ›Königlichen Paar‹, ziehen weiter von Eroberung zu Eroberung, ein abstoßender Ruf von entsetzlichen Grausamkeiten eilt ihnen voraus. So verheeren sie auch Palmyra, Yeza ist entsetzt. Sie wartet nur noch auf Roç, um dann, gemeinsam mit ihm, dem Großkhan mitzuteilen, dass das ›Königliche Paar‹ nicht länger gewillt sei, den von den Mongolen angebotenen Thron über den ›Rest der Welt‹ zu besteigen …
Reitende Boten aus Karakorum: »Der Großkhan ist tot!«
Vor Roç Trencavel und seinem zusammengewürfelten Haufen dehnte sich das hügelige prächtige Damaskus. Der Baouab beschwor seinen neuen Herrn fast flehentlich, ihn vorauszuschicken, damit für einen würdevollen Empfang durch die noch ahnungslose Stadt gesorgt sei. Roç ließ dem eifrigen Hofbeamten seinen Willen, zumal mit ihm auch die Karawane ziehen und so der leidige Kelim aus seinen Augen verschwinden würde. Er gab ihm die fünf armenischen Ritter zur Seite. Josh der Zimmermann und David der Templer vergaßen auf der Stelle ihr Versprechen, zukünftig nicht länger sklavisch an ihrer Spielunterlage zu hängen. Ohne auch nur einen Augenblick der Scham oder Reue zu empfinden, folgten sie dem Tross wie zwei alte Straßenköter dem Knochen an der Schnur. Roç sah es, und es stimmte ihn traurig, aber er sagte nichts. Auch, dass Ali sich dem Zug anschloss, entging ihm nicht. Da er und seine Freunde den ägyptischen Sultansspross wie stinkende Luft behandelten, kam der Trencavel auch nicht auf die Idee, Ali etwa daran zu hindern.
»Ich traue diesem Mamelucken nicht!«, bemerkte Berenice besorgt, die neben ihm stand und der das verstohlene Sich-Davonschleichen nicht entgangen war. »Er hat Augen wie eine Viper!«
Roç schürzte verächtlich die Lippen. »Aber keinen Giftzahn!«
Ihr Blick hätte ihm gezeigt, dass sie anderer Meinung war, doch den fing der Trencavel nicht mehr auf.
Das Vorauskommando wurde bereits am Bab as-Saghir von herbeigeströmten Einwohnern der Stadt neugierig empfangen. Sie erkannten sofort in der Karawane diejenigen, die schmählich mit dem Sultan Damaskus verlassen hatten. Dass sie jetzt mit einer monströsen Teppichrolle beladen und als Vorboten eines fremden Königs heimkehrten, versetzte die Leute in Unruhe und Erstaunen. Von der Zitadelle war der Kommandant der dort ausharrenden Garnison herbeigeeilt. Während der Baouab mit dem Kelim sofort weiterzog zum Palast, Josh und David im Schlepptau, suchte Ali die Freundschaft des Kommandanten, indem er sich als treuer und loyaler Mitstreiter des Trencavel ausgab, den er sogleich als liebenswerten Träumer und schwachen König hinstellte, mit der Folge, dass alle notwendige Tatkraft zwangsläufig auf seinen Schultern laste. Aber er wäre der Mann, dem das Schicksal der Stadt mehr noch als alles andere am Herzen läge! Der Kommandant, der so viel an Zuspruch lange hatte vermissen müssen, war tief beeindruckt, er sah in Ali eine verwandte Seele, die große Verantwortung zu tragen hatte, doch nur wenig Dank empfing. Gerührt übergab er Ali den Kampfelefanten des An-Nasir, damit er das Tier dem neuen Herrscher andiene, wenn er in die Schlacht gegen den Feind auszöge, gegen die heranrückenden Mongolen. Ali versprach ihm, dafür zu sorgen, bestätigte den guten Mann in seinem Posten als Befehlshaber der Zitadelle und schickte die fünf Armenier, die von der Unterhaltung schon mangels Interesse wenig mitbekommen hatten, hinter dem Baouab her, damit sie den würdigen Empfang des Trencavel vorbereiten halfen. Er musste sie loswerden, denn es blieb ihm nicht mehr viel Zeit, wenn es ihm noch gelingen sollte, sich anstelle Roçs zum Herrscher von Damaskus aufzuwerfen.
Die Stallungen des Elefanten waren in den Gewölben des früheren römischen Theaters untergebracht, das an der Decumana lag, der großen Prunkstraße, die Damaskus von West nach Ost durchlief. Zerstreut ließ sich Ali von den Wärtern den Dickhäuter zeigen, denn seine Gedanken kreisten einzig und allein um einen Weg, der ihn seinem Ziel näher bringen sollte. Es fiel ihm nichts ein. Den gewöhnlichen Meuchelmord, einen raschen Dolchstoß, den konnte er selbst mit Sicherheit kaum überleben, die Okzitanier würden ihn auf der Stelle in Stücke hacken. Assassinen zu dingen, dazu fehlten ihm die Zeit und vor allem entsprechende Verbindungen, über die er in dieser fremden Stadt nicht verfügte. Es blieb nur noch musiba, ein »Unglück« von der sauberen Art, dass ihm keine Schuld nachzuweisen wäre!
Der Baouab hatte den Kelim auf dem Großen Platz zwischen Moschee und Palast ausrollen lassen. Dies schien ihm der geeignete Ort, den Damaszenern Gelegenheit zu bieten, der Inthronisierung beizuwohnen. Diese hatte für ihn selbstverständlich inmitten dieses prunkvollen Teppichs stattzufinden, bevor der dann im Innern der Omayyad-Moschee, vielleicht vor dem Schrein Johannes' des Täufers, in Erinnerung an das Ereignis seinen Ehrenplatz finden könnte. So hatte sich der Baouab das gedacht, und er fand es ausgesprochen unangebracht, dass sich Josh der Zimmermann und David der Templer ausgerechnet an der Stelle niederlassen wollten, wo er sich den noch zu errichtenden Thron vorstellte. Die beiden trollten sich, schließlich fehlte ihnen nicht nur der vierte, sondern schon der dritte Mann. Auf Ali würden sie notfalls zurückgreifen können, ansonsten müssten sie die Ankunft der Okzitanier abwarten, wenn sie bis dahin keine andere Lösung für ihren fehlenden Mitspieler gefunden hatten. Sie zogen los, durch die engen Gassen der Soukhs zum römischen Theater, wo sie Ali zum letzten Mal gesehen hatten, als der Kommandant der Zitadelle die in der Stadt eingetroffene Vorhut begrüßte. Während sie aufmerksam die überdachten Gänge des Basars durchstreiften, glaubte David plötzlich William von Roebruk in der Menge gesehen zu haben. Das war natürlich eine unerwartet glückliche Fügung, den Franziskaner möglicherweise als Mitspieler zu gewinnen. Sie trennten sich hastig, David, um Williams habhaft zu werden, Joshua, um jetzt umso energischer den vierten Platz mit Ali zu besetzen.
Aus dem Dunkel der Gewölbe löste sich eine hinkende Gestalt. Es war Naiman, der Agent des Sultans von Kairo, eine Figur, die Ali sofort einen gehörigen Schrecken einjagte, hatte sie doch beim gewaltsamen Tod seines Vaters die Finger mit im Spiel gehabt. Seine Hand zuckte zum Dolch, aber Naiman hob beschwichtigend beide Arme.
»Zerbrecht Ihr Euch das dunkel gelockte Haupt, Ali, wie es mit der Krone von Damaskus zu schmücken sei?« Naiman blieb höhnisch grinsend ob der gelungenen Überraschung im Schatten des nächsten Pfeilers und im gebührenden Abstand zum Dolch des erregten jungen Mannes. »Der Trencavel muss weg!«, raunte der Geheimagent dem jungen Manne zu. »Das königliche Pärchen, das die Mongolen der Welt ins warme Nest setzen wollen, muss gewürgt werden, bevor die Brut –« Naiman hielt inne, weil er glaubte, eine ihm verdächtige Gestalt hinter den Stallungen herumschleichen gesehen zu haben, doch Ali wischte seinen Argwohn beiseite.
»Die Leute hier sind wissbegierig auf alles, was wir im Schilde führen könnten.« Er betrachtete deprimiert den Elefanten, der ungerührt sein Grünzeug verschlang. »Dabei verfüge ich nicht einmal über den Ansatz eines Planes«, klagte er freimütig, »wie ich den vorgegebenen Lauf der Dinge verhindern könnte.«
»So ist das oft!«, spottete Naiman und deutete auf den mampfenden Dickhäuter. »Ihr steht viel zu dicht vor der genialen wie massiven Lösung unseres gemeinsamen Problems! Wisst Ihr eigentlich«, zog er seine Erklärung genüsslich in die Länge, »wie sich ein solch friedliches Tier in eine alles niederwalzende, wütend tobende Kampfmaschine verwandelt?« Er ergötzte sich an dem törichten Gesichtsausdruck des Ali, bevor er die Antwort preisgab: »Feuer!«, zischte er. »Feuer versetzt Elefanten in panische Angst, lässt sie blindwütig rasen!«
Ali – statt hinzuhören – riss seinen Dolch heraus und tat einen mächtigen Satz, an dem erschrockenen Naiman vorbei, hinter die nächste Säule. Er zerrte den ebenfalls überraschten Joshua hervor.
»Ich kam nur zu fragen«, stotterte der Zimmermann eher ärgerlich ob der Behandlung als eingeschüchtert, »ob Ihr einer neuen Runde unseres Wesen-Spiels die Ehre geben wollt!«
Aus den Schatten der sie umgebenden Pfeiler traten jetzt mehrere, wenig Vertrauen erweckende Gesellen. »Meine Leute!«, erklärte knapp der Agent. »Sollte der Kerl uns schon die ganze Zeit belauscht haben –« Er ließ den Satz unbeendet im Raum stehen. Joshua schwieg grimmig. »Schafft ihn zu den Kakerlaken!«, ordnete Naiman an und wandte sich wieder Ali zu. »Ihr habt noch viel zu lernen, junger Herr«, empfahl er mit ironischer Verbeugung. »Also überlasst das Präparieren des Elefanten mir und begebt Euch zum Baouab, mit der höflichen Bitte, der Bevölkerung von Damaskus heute Abend anlässlich der Thronbesteigung ein festliches Feuerwerk zu gestatten, weswegen er den Beginn der Feierlichkeiten tunlichst bis zum Anbruch der Dunkelheit verschieben soll!« Naiman war Herr der Situation.
Josh der Zimmermann wurde gefesselt und mit einem Sack über dem Kopf abgeführt. Ali machte sich auf den angegebenen Weg. Wenn er erst einmal Herrscher von Damaskus wäre, würde er diesem schielenden Hinker seinen Hochmut schon heimzahlen!
Es setzt mich immer wieder in Erstaunen, wie viele mir völlig unbekannte Pfade durch das Gebirge führen, auf denen ein eher kostbar anmutender Trupp wie der unsere von niemandem gesehen wird, ein paar Schafhirten mal ausgenommen. Ich trabte folgsam hinter der schwarzen Sänfte her, jenem bei mir immer noch eine starke Beklemmung auslösenden Gehäuse der Grande Maîtresse, das jetzt auf Reisen von acht Turkopolen getragen wurde, während je vier jener ebenfalls schwarz gewandeten Tempelritter die Vor- und die Nachhut bildeten. So erreichten wir eine mächtige Burg in den Bergen oberhalb des Jordan, die mir bei näherem Hinschauen plötzlich arg bekannt vorkam. Dies musste der Ort gewesen sein, an dem mich jener ältere – und unbestreitbar ranghohe Templer mit der krächzenden Stimme aus der vorausschauenden – wenn auch von mir nicht ganz freiwillig erduldeten – Obhut des Lorenz von Orta gerissen hatte. – Womit er mich de facto[1] dem Inquisitionstribunal des Patriarchen überantwortete, der mich dann zu ersäufen trachtete, wie einen überzähligen Wurf junger Katzen! Also keine ermutigende Erinnerung, doch jeder Zweifel wurde mir genommen, als wir in den Hof einritten und die Sänfte der Grande Maîtresse von eben diesem Tempeloberen mit dem gleichen unverwechselbaren Krächzen empfangen wurde. Ich bekam auch diesmal weder ihn noch die betagte Insassin zu sehen, denn ihr Gehäuse wurde sofort ins Innere der Burg getragen. Meiner Wenigkeit wurde hingegen so wenig Wert beigemessen, dass man mich erst mal im Burghof stehen ließ, in Gesellschaft der Sänftenträger, mir selbst überlassen. So brachte ich wenigstens in Erfahrung, dass es die Ordensburg Safed war, auf der ich mich befand, und dass sie dem nach Großmeister Thomas Bérard – im Rang am höchsten stehenden Groß-Prior Karl von Gisors[2] unterstünde, der auch noch das Ehrenamt eines Marschalls militiae templi Salomonis[3] bekleide. Das wurde mir nur zögerlich und flüsternd anvertraut, woraus ich entnehmen durfte, dass dieser hohe Herr recht gefürchtet war.
Kurz darauf erhielten die mich beaufsichtigenden Turkopolen Befehl, den Minoriten William von Roebruk ins »Archiv« zu bringen. Dies war ein fensterloses Gewölbe im ersten Stock der weitverzweigten Burg, hinter einer Tür aus dicken Eichenbalken, stark wie ein Rammbock. Vor ihr harrte meiner schon ein spindeldürres, schlohweißes Männlein, anscheinend der Herr über all die in Leder gebundenen Folianten[4] und von Wachs geschützten Manuskripte, kostbare illuminierte Bücher, die ich in hohen Regalen gestapelt bis unter die Decke erwartete. Doch in dem mir sich öffnenden Raum befand sich kein einziges Buch noch irgendeine Schriftrolle. Allein ein Schreibpult stand bereit, inmitten der völlig kahlen Wände, reichlich Pergament war zu seiner Seite gestapelt, und von der Kuppel des Gewölbes hing eine nicht nur strahlend helles Licht verbreitende fünfarmige lucerna[5], auch deren Öle verströmten köstlichen Duft von Zimt und Kardamom, Rosen und Lavendel.
»Die rechte Mixtur, um die Stirn zu befreien und das Hirn anzuregen«, erläuterte mir lächelnd mein Kustos, während er sich zufrieden vergewisserte, dass ich mein eigen Feder und Tintenfässchen mit mir führte. Dann schritt er tippelnd zur Wand, wo in Hüfthöhe eine Art Schranktür bündig zum Mauerwerk und kaum auffällig eingelassen war. Der zierliche Greis zog sein gewaltiges Schlüsselbund und öffnete einen zweiflügeligen Verschlag. Doch dahinter kam sofort ein weiteres Portal zum Vorschein, eine kostbare Intarsienarbeit aus edlen Hölzern mit Elfenbein versetzt. Für diese Tür benötigte er schon vier Schlüssel von seinem Bund, um sie vollends zu entriegeln und ihre Flügel rechts und links zusammenzufalten, sodass endlich die dritte Pforte sichtbar wurde, ganz aus Eisen, nur ihre Zierbeschläge schienen mir aus Messing aufgesetzt. Sie dienten auch nur, die Schlüssellöcher zu verbergen, und es schien mir, dass die Einhaltung eines bestimmten, kunstvollen Ritus eingefordert wurde, mit dem der geschickte und sehr behände Alte die verschiedenartigen Bärte zum Einsatz brachte, oft durch gegenläufiges Drehen. Schließlich öffnete sich der Berg Sesam zu einer kleinen dunklen Grotte. Der Kustos[6] streifte sich einen ledrigen Fäustling über die feingliedrige Hand, griff in die Höhlung des Tresors und zog einen unscheinbaren, verschnürten Packen ans Licht. Fast feierlich legte er ihn vor mir auf das Pult und löste die mehrfach versiegelten Schnüre.
»Dies umgehend und aufmerksam zu lesen, … bef… bittet Euch die ehrwürdige Meisterin Marie de Saint-Clair«, sprach mein Kustos mit aufmunterndem Lächeln.
Ich war mir im Unklaren, ob ich es erwidern sollte, doch überwog meine Neugier das grundsätzliche Misstrauen, das bei allem hochkam, das mit der Grande Maîtresse in Verbindung stand, ich nickte ihm mein Einverständnis und trat zum Pult. Der freundliche Greis zog sich unhörbar zurück, ich bemerkte es erst, als sich knirschend der Schlüssel von außen im Schloss der Bohlentür drehte, doch da hatte ich schon das Deckblatt beiseite geschoben und erkannte sofort das sigillum[7] der geheimen Bruderschaft, das über den ersten Zeilen prangte: Sine dubio![8]Vor mir lag – in Abschrift oder gar im Original – der Große Plan! Ob ich nun wollte oder nicht, ich geriet in den magischen Sog des ketzerischen Manifests:
Vielfältig verschlungen ist das Siegel des Geheimen Bundes, die Speerspitze des Glaubens stößt aus dem Kelch der Lilie, das Trigon[9] durchdringt den Kreis und schwebt über den Wassern. Wem es bestimmt ist zu wissen, der weiß, wer zu ihm spricht!
Wer die Wahrheit sucht, tut gut daran, sich in Gottes Wort zu vertiefen, wie es in der Bibel geschrieben steht. Er tut nicht gut daran, den Kirchenvätern zu vertrauen. Sie waren keine Suchenden wie er, sondern Deuter der Schrift, die sie nach Gutdünken auslegten zu ihrem eigenen Nutz und Frommen.
Wer die Wahrheit sucht, kann aber auch Gott bitten, ihm Einblick in das große Buch der Geschichte zu gewähren. Gott schreibt nicht mit der Tinte der ›scribentes‹, sondern mit dem Leben der Menschen und Völker.
Als es Gott gefiel, das Volk Israel aus seiner Auserwähltheit zu erlösen, es von der erdrückenden Last zu befreien, unter der es nicht die Kraft aufbrachte, andere Völker an dem einen Gott teilhaben zu lassen; als Er sah, dass sich die Seelen der Kinder Israel verhärteten wie Leder in der Sonne und brüchig wurden, sandte Er Propheten aus, von der Größe Seines Reiches zu zeugen.
Als Erster trat auf Johannes der Täufer. Er blieb ein Rufer in der Wüste; denn das Volk war verstockt, und seine Ohren waren taub.
Auf ihn folgte Jesus aus dem Hause David, der sein Leben hingab. Aber seine Jünger drehten ihm die Botschaft der Liebe im Munde um und verfälschten das Vermächtnis seines Opfers.
Sie zeigten sich weder fähig, das Mysterium der Transsubstantiation[10] noch das der Wiederauferstehung zu erfassen.
Und schließlich erschien Mohammed, der den irrenden Völkern den einfachen Weg wies, ohne Schuld und Vergebung, den geraden Weg ins Paradies durch ein frommes und gerechtes Leben auf Erden.
Wie Gott Israel straft seit dem Auszug aus Ägypten, so zürnt Er den Muslimen seit der Hedschra, dem Auszug aus Mekka.
Seitdem ist das Erbe Mohammeds zerrissen zwischen denen, die blind nur die Sunna, die Botschaft hören, und denen, die taub nur auf die Schia[11], die Blutslinie, starren. Gott allein weiß, welcher Weg der richtige ist. Die Muslime wissen es nicht.
Stumm vor Zorn aber ist der Herr, wenn er das Ungeheuer betrachtet, das die Nachfolger Christi in die Welt gesetzt haben. So wie sie sich selbst aus eigenen Gnaden ernannten, schufen sie die sich selbst fortpflanzende, sich selbst gebärende Kirche. Noch dient sie Ihm, die anderen zu strafen: die Juden mit Vertreibung ›zerstreut in alle Welt‹; den Islam mit Spaltung, die beide Glieder den Schlägen aussetzt, welche das Ungeheuer mit seinen Schwänzen austeilt, während seine Tentakel sie würgen, erpressen und berauben.
Aber die blutige Spur, die das Tier wie eine Schleppe hinter sich herzieht, ist auch ein Versprechen, dass Gott der Herr die Missetaten nicht vergessen wird. Gott allein weiß, wann der Tag des Gerichts kommen wird, aber er wird kommen! Denn die Gräuel der Nachfolger Christi schreien zum Himmel.
Als Erster leugneten sie die Leiblichkeit des Jesus von Nazareth. In ihrem Wahn und in ihrer Vermessenheit gingen sie so weit, ihn zu Gottes Sohn zu erklären, zum Nebengott. Und damit nicht genug: Sie erhoben auch seine Mutter zu einer die Mutterschaft verhöhnenden göttlichen Jungfer und füllten so den eben gereinigten Tempel – dem Einen Gott, nur Ihm allein geweiht – mit allerlei Nebenaltären.
Dann buhlten sie um die Gunst der Römer, denn in deren Hauptstadt, ›caput mundi‹[12], sollte das eitle Ungeheuer nisten, seine Arme ausstrecken, alle Menschen an seine Brust ziehen und die erwürgen, die es nicht anbeteten.
Diese Bedrohung wandte sich auch gegen jene, die dem Auftrag des Meisters gefolgt waren: ›Gehet hin in alle Welt‹, und sein Wort jene lehrte, die Ohren hatten zu hören. Es waren der Jünger ja zwölf gewesen, die so ausgesandt waren.
Saulus war keiner von ihnen und ward zu Damaskus auch nicht zum Apostel, sondern zu Paulus. Paulus dem Strategen. Paulus traf die schicksalsschwere Entscheidung für das Rom der Cäsaren – nicht für Bagdad, die Wiege der Menschheit, nicht für Alexandria, den Hort ihrer Geistigkeit, und schon gar nicht für das Jerusalem der Väter. Ihm verdanken wir die Krake, nicht dem braven Fischermann Petrus. Paulus brachte das Tier dorthin, wo es sich nur zum Ungeheuer entwickeln konnte.
Um sich bei Rom einzuschmeicheln, machten die Häupter der Kirche alsdann vergessen, dass es die Römer gewesen waren, die – in strikter Anwendung ihres ›codex militaris‹[13] – den Jesus von Nazareth, ›Rex Judaeorum‹[14], gekreuzigt hatten. Sie schoben es seinem eigenen Volk, den Juden, in die Schuhe, den Messias ermordet zu haben. So erhoben sie ihn zum Märtyrergott, ja, zu Gott selbst – und das Tier stieß die erste Giftwolke aus seinen Nüstern, die seitdem unheilschwanger über der Welt wabert, den Hass auf die Kinder Israel und ihre Kindeskinder. Nichts eint eine Gefolgschaft so sehr wie ein gemeinsamer Feind.
Das Tier hatte die Botschaft des Gekreuzigten an sich gerissen und aufgesogen, seinen Leib, und, wie es vermeinte, auch sein Blut. Nichts erboste das Tier in Rom so sehr wie die Erkenntnis, dass die Blutslinie des Hauses David nicht erloschen war, sein Samen sich fortpflanzte. Da Jesus jetzt ein Gott war, war seine Sippe – soweit nicht mit ihm zusammen vergöttlicht – dem Tier ein Dorn im Auge. Also wurde seine Frau als Hure verschrien; seine Söhne, Bar–Rabbi und die anderen, wurden Straßenräubern gleichgestellt. Wer sich vor der Kreuzigungsjustiz der Römer retten konnte, wurde totgeschwiegen.
Ein ähnliches Schicksal erlitten die Gemeinden der übrigen Apostel. Kaum war das Tier aus den Katakomben gekrochen, hinauf auf den Thron der römischen Staatskirche, begann eine grimme Verfolgung derer, die vom ›rechten Glauben‹ abwichen. Erst wurden sie als Sektierer verunglimpft, dann als Häretiker an den Pranger gestellt. Wer sich dem Anspruch der ›Ecclesia catolica‹ – so nannte sich das Ungeheuer jetzt –, allein die Schlüssel zum Himmelsreich zu besitzen, nicht beugte, verfiel dem Bann. Holz und Stroh wurden unter den Pranger gehäuft. Das Tier, in die Fußspuren des Imperiums getreten, spie nicht mehr nur Gift, sondern nun auch Feuer. Die ersten Scheiterhaufen loderten.
Und der Rest der Welt? Die Anhänger des Propheten Mohammed, den Gott nach Jesus entsandt hatte – und Gott wusste, was er tat –, sie wurden zum Heer der ›Ungläubigen‹, zu Heiden. Waren sie sanft und gutwillig und küssten das Kreuz, dann konnte man sie taufen. Ließen sie sich nicht bekehren, war es besser, sie gleich totzuschlagen.
Ich war unruhig, eigentlich musste ich pinkeln, aber mehr noch war ich von einer Unruhe erfasst, ich vermeinte Schritte auf der Treppe vor meiner Tür gehört zu haben, ein seltsames, tastendes Kratzen im Schloss. Ich hielt den Atem an und lauschte. Nichts! Es war wohl nur der Wind, der durch den Flur der Burg strich? Etwas raschelte tief im Innern des geöffneten Schranks, dessen eisenummanteltes Geheimfach sicher weit in das Hohlwerk der Mauern reichte. Mäuse wahrscheinlich – oder Vögel wisperten im Schlaf. Ich schalt mich einen Hasenfuß und las weiter –
Nun mussten die Menschen des Abendlandes wie des Morgenlandes in den letzten Jahren erfahren, dass weit hinten im Osten noch riesige Völkerscharen leben, für deren Herrscher wir, hier um das ›Mare Nostrum‹[15] gescharrt, mit unserem ›caput mundi‹ nur ›Rest der Welt‹ sind. Was soll, von unserer Seite aus, mit ihnen geschehen? Und wie werden sie ihrerseits mit uns verfahren?
Das Tier hatte sich auf einen bröckelnden Felsen gesetzt: Das Imperium Romanum[16] brach auseinander.
Ostrom, Byzanz, aufgrund seiner Lage zwischen Orient und Okzident anfangs das weitaus mächtigere Teilreich, hatte keine Schwierigkeiten, weltliche und geistliche Macht getrennt zu halten und dennoch am gleichen Ort zu vereinen. Man verstand sich als Bollwerk gegen die Völker der aufgehenden Sonne und als Mittler zugleich.
Das Tier hingegen saß in Westrom. Im Niedergang des Reiches ging die imperiale Macht erst an germanische Soldatenkaiser, dann an das ›Sacrum Imperium Romanum‹[17], fest in der Hand der Deutschen.
Doch die von ihren Anfängen an auf irdischen Erfolg abgerichtete Kirche war keineswegs gewillt, auf den Primat der Macht zu verzichten. Die ›Päpste‹, so nannten sich die obersten Priester des Ungeheuers, schmückten sich mit der Tiara, der dreifachen Krone, auf dem Haupt und zeigten ihren angehäuften Reichtum ohne Scham: Sie sahen sich als die wahren Nachfolger der Cäsaren. Diese ›vicarii Christi‹, Stellvertreter des Gottessohnes, heischten Gehorsam und befahlen Fürsten vor ihren Thron, ihnen zu huldigen. Dem Patriarchen von Byzanz wie auch dem deutschen Kaiser muteten sie zu, sich vor dem Tier zu verneigen. So beschwor Rom das Schisma[18] herauf und den Streit um die Investitur[19]: Wer setzt wen ein? Der Papst den Patriarchen? Der Kaiser dem Pontifex maximus[20]? Oder –
Ein leichtes Knacken in der Tür schreckte mich aus meinen Überlegungen auf, zu denen mich das Gelesene unweigerlich verleitete, auch wenn es mir ungeheuerlich stimmig erschien. Der weißhaarige Kustos betrat meine Zelle. Er trug eine Karaffe aus teurem geschliffenem Kristall in einem geflochtenen Korb nebst einem Silberpokal herein, schob die Pergamente des Großen Plans beiseite und stellte sein Mitbringsel auf das Pult.
»Dies sendet Euch Seine Eminenz, der Herr Groß-Prior, mit den besten Segenswünschen.« Der Alte schob sich näher heran und senkte seine Stimme. »Mein gütiger Herr ist der Meinung, Ihr, William von Roebruk, solltet dem Traktat, das Euch seine werte Schwester zu lesen hieß, nicht allzu viel Gewicht beimessen, sondern Euch bei einem guten Tropfen aus seinem eigenen Keller gelegentlich entspannen und den Kopf wieder freimachen von der schwer verdaulichen, höchst konspirativen Kost.« Der zierliche Kustos grinste dabei selbst recht verschwörerisch, während er mir aus dem kostbaren Gefäß den Pokal füllte.
»Karl von Gisors ist also der Bruder der Grande Maîtresse –?«
»Der leibliche sogar – und der jüngere«, lautete die freimütige Bestätigung. »Das erklärt auch die unterschiedlichen Standpunkte, die von beiden Geschwistern eingenommen werden.« Ich wusste nicht sofort, wie ich mit dieser Erkenntnis umgehen sollte, vor allem, welche Konsequenzen sie für mich zeitigen könnte. Doch ich sollte es sogleich erfahren. »Der Groß-Prior regt an, dass Ihr hingegen nun Euer Ohr schärfen sollt –« Ich muss den Alten ziemlich verständnislos angeglotzt haben, denn er führte mich wie ein Kind zu der offenen Schranktür in der Wand. »Durch diese Öffnung werdet Ihr binnen Kurzem jedes Wort vernehmen, das nebenan in der Bibliothek gesprochen wird –«
Ich bemühte mich jetzt, rasche Auffassungsgabe zu zeigen. »Das Gespräch, das ich belauschen soll, findet vertraulich inter familiam[21] statt?«
»Ihr sollt nicht spionieren, William«, korrigierte mich mein Kustos, »sondern das Gehörte protokollieren, um es in Eure dürftige Chronik aufzunehmen.« Er wies lächelnd, aber bestimmt auf die vorbereiteten Pergamente hin.
»Ich soll also alles niederschreiben?« Ein letzter schwacher Versuch meinerseits, der neuerlichen Fron, jetzt sogar in verschärfter Form, zu entgehen.
–