2
Die Sirenen heulen. Moss versucht, in seinen Traum zurückzukehren, doch schwere Stiefel poltern über die Metalltreppen, Fäuste packen die Eisengeländer, Staub zittert auf den Stufen. Es ist zu früh. Normalerweise ist der morgendliche Zählappell erst um acht. Und weshalb die Sirenen? Die Zellentür schwingt mit einem metallischen Scheppern auf.
Moss öffnet stöhnend die Augen. Er hat von seiner Frau Crystal geträumt, und seine Boxershorts beulen sich mit einer Morgenlatte. Ich hab es immer noch drauf, denkt er und weiß auch, was Crystal sagen würde: »Willst du damit was anfangen oder sie dir bloß den ganzen Tag angucken?«
Gefangene werden aus ihren Zellen beordert, kratzen sich am Bauchnabel, greifen sich in den Schritt, wischen sich den Schlaf aus den Augen. Einige treten bereitwillig heraus, andere müssen mit einem geschwungenen Knüppel ermuntert werden. Die Zellen umschließen auf drei Etagen einen rechteckigen Hof, über den Sicherheitsnetze gespannt sind, damit niemand von den Laufgängen geworfen wird oder versucht, sich umzubringen. An der Decke verläuft ein Gewirr von Rohren, die gurgeln und klopfen, als würde in ihnen ein finsteres Wesen hausen.
Moss rappelt sich auf und trottet aus der Zelle. Er steht mit dem Gesicht zur Wand auf dem Gang, grunzt und furzt. Er ist ein großer Mann, in der Mitte ein bisschen schwabbelig, aber mit festen Schultern dank der Liegestütze und Klimmzüge, die er ein Dutzend Mal am Tag macht. Er hat milchschokoladenfarbene Haut und Augen, die für sein Gesicht zu groß wirken und ihn jünger aussehen lassen als achtundvierzig.
Moss blickt nach links. Junebug lehnt mit dem Kopf an der Wand und versucht, im Stehen weiterzuschlafen. Seine Tattoos winden und schlängeln sich um seine Unterarme und auf seiner Brust. Er war früher Meth-abhängig, hat ein schmales Gesicht und einen Schnurrbart mit gezwirbelten Spitzen, die sich halb über seine Wangen strecken.
»Was ist los?«
Junebug öffnet die Augen. »Klingt wie ein Fluchtversuch.«
Moss blickt in die andere Richtung. Auf dem Gang sieht er Dutzende von Gefangenen vor ihren Zellen stehen. Mittlerweile sind alle draußen. Nicht alle. Moss beugt sich nach rechts und versucht, in die Nachbarzelle zu spähen. Die Wärter kommen.
»Hey, Audie, steh auf, Mann«, murmelt er.
Stille.
Auf der oberen Ebene werden Stimmen laut. Es gibt ein Gedränge, bis die Ninja Turtles die Treppe hochstürmen und Schläge verteilen. Moss tritt einen Schritt näher an Audies Zelle. »Wach auf, Mann.«
Nichts.
Er wendet sich an Junebug. Sie sehen sich an, zucken die Achseln.
Moss macht zwei Schritte nach rechts, obwohl er weiß, dass die Wärter ihn beobachten könnten, dreht den Kopf und blickt in die dunkle Zelle. Er kann das in die Wand gedübelte Regal erkennen. Das Waschbecken, die Toilette. Aber weder einen warmen noch einen kalten Körper.
Ein Stockwerk höher ruft ein Wärter: »Alle vollzählig angetreten.«
Von unten ertönt eine zweite Stimme. »Alle vollzählig angetreten.«
Die Helme und Knüppel kommen. Die Insassen drücken ihre Körper an die Wand.
»Hier oben!«, ruft ein Wärter.
Stiefel folgen.
Zwei der Uniformierten durchsuchen Audies Zelle, als könnte er sich irgendwo versteckt haben – unter einem Kissen oder hinter dem Deostift. Moss wendet den Kopf und sieht den stellvertretenden Gefängnisdirektor Grayson keuchend und schwitzend die oberste Stufe erklimmen. Er ist fett wie ein Schwein, seine Wampe hängt über seinen glänzenden Ledergürtel, und Speckrollen versuchen seinen Kragen zu glätten.
Grayson erreicht Audies Zelle. Er blickt hinein, atmet durch und macht ein schmatzendes Geräusch. Er hakt seinen Schlagstock vom Gürtel, schlägt damit in seine offene Hand und wendet sich Moss zu.
»Wo ist Palmer?«
»Ich weiß nicht, Sir.«
Der Stock trifft Moss in den Kniekehlen, sodass er zu Boden sinkt wie ein gefällter Baum. Grayson steht über ihm.
»Wann hast du ihn zuletzt gesehen?«
Moss zögert, versucht sich zu erinnern. Das Ende des Stocks wird direkt unterhalb der Rippen in seine rechte Seite gestoßen. Die Welt vor seinen Augen schwillt kurz an und wieder ab.
»Beim Essen«, stöhnt er.
»Wo ist er jetzt?«
»Ich weiß nicht.«
Ein Schimmer scheint von Graysons Gesicht aufzusteigen. »Alles verriegeln. Ich will, dass er gefunden wird.«
»Was ist mit dem Frühstück?«, fragt einer der Beamten.
»Das kann warten.«
Moss wird in seine Zelle geschleift. Die Türen werden geschlossen. Die nächsten zwei Stunden liegt er auf seiner Pritsche und lauscht dem Beben und Ächzen des Gebäudes. Jetzt sind sie in der Werkstatt. Vorher waren sie in der Wäscherei.
Er hört, wie Junebug in der Nachbarzelle an die Wand klopft.
»Hey, Moss!«
»Was?«
»Glaubst du, er ist rausgekommen?«
Moss antwortet nicht.
»Warum sollte er in seiner letzten Nacht so was Bescheuertes machen?«
Moss schweigt weiter.
»Ich hab immer gesagt, der Kerl ist verrückt.«
Die Wärter kommen zurück. Junebug legt sich wieder auf seine Pritsche. Moss lauscht und spürt, wie sein Schließmuskel arbeitet. Vor seiner Zelle bleiben die Stiefel stehen.
»Aufstehen! An die Rückwand! Beine gespreizt!«
Drei Mann betreten die Zelle. Moss’ Hände werden mit Handschellen gefesselt und mit einer Kette um seine Taille gesichert, eine zweite Kette wird um seine Füße gelegt, sodass er nur schlurfen kann. Ihm bleibt keine Zeit, seine offene Hose zuzuknöpfen, sodass er sie mit einer Hand festhalten muss. Die Gefangenen in ihren Zellen johlen und brüllen ihm alles Mögliche zu. Moss geht durch die Sonnenstrahlen und sieht mehrere Polizeiwagen vor dem Haupttor stehen. In ihren glänzenden Karossen spiegelt sich glitzernd das Licht.
Im Verwaltungstrakt befiehlt man ihm, in einem Zimmer Platz zu nehmen. Die Wärter links und rechts von ihm sagen nichts. Er wendet den Kopf und betrachtet ihr Profil, hohe Schirmmütze, Sonnenbrille, braunes Hemd mit dunkelbraunen Schulterstücken. Aus einem Besprechungszimmer dringen Stimmen. Hin und wieder erhebt sich eine über die anderen. Schuld wird zugewiesen.
Essen kommt. Moss spürt, wie sich sein Magen zusammenzieht und ihm das Wasser im Mund zusammenläuft. Eine weitere Stunde verstreicht. Leute gehen. Schließlich ist Moss an der Reihe. Mit kleinen Trippelschritten und gesenktem Blick schlurft er in das Zimmer. Direktor Sparkes trägt einen dunklen Anzug, der vom Sitzen schon zerknittert aussieht. Er ist ein großer Mann mit silberner Mähne und einer langen schmalen Nase, und er geht, als würde er ein Buch auf dem Kopf balancieren. Er macht den Beamten ein Zeichen zurückzutreten, und sie beziehen Posten links und rechts der Tür.
An einer Wand steht ein Tisch voll mit einem halb gegessenen Büfett, frittierte Krebse, Spareribs, Brathähnchen, Kartoffelbrei und Salat. Die Maiskolben haben schwarze Grillabdrücke und sind mit glänzender Butter überzogen. Der Direktor nimmt ein Rippchen, lutscht das Fleisch vom Knochen und wischt sich die Hände mit einem Erfrischungstuch ab.
»Wie heißen Sie, mein Sohn?«
»Moss Jeremiah Webster.«
»Was für ein Name ist das denn? Moss?«
»Na ja, auf der Geburtsurkunde wusste meine Mama wohl nicht, wie man Moses schreibt, Sir.«
Einer der Wärter lacht. Der Direktor kneift sich in die Nasenwurzel.
»Haben Sie Hunger, Mr Webster? Nehmen Sie sich einen Teller.«
Moss blickt mit knurrendem Magen auf das Festmahl. »Werden Sie mich hinrichten, Sir?«
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»So ein Essen könnte gut eine Henkersmahlzeit sein.«
Der Direktor lacht. »Niemand wird Sie hinrichten … nicht an einem Freitag.«
Das findet Moss nicht komisch. Er hat sich nicht gerührt.
»Nehmen Sie sich einen Teller. Packen Sie ihn ordentlich voll.«
Es ist womöglich vergiftet. Der Direktor isst es auch. Vielleicht weiß er, welche Stücke er nehmen muss. Verdammt! Das ist mir egal!
Moss schlurft ans Büfett und belädt einen Plastikteller mit Spareribs, Krebsscheren und Kartoffelbrei und packt noch einen Maiskolben obendrauf. Er isst über den Teller gebeugt mit beiden Händen, Flüssigkeit verschmiert seine Wangen und tropft von seinem Kinn. Auch Direktor Sparkes nimmt noch ein Rippchen und setzt sich ihm mit vage angewiderter Miene gegenüber.
»Erpressung, Betrug, Drogenhandel – man hat sie mit Marihuana im Wert von zwei Millionen Dollar erwischt.«
»Es war bloß Gras.«
»Dann haben Sie im Gefängnis einen Mann erschlagen. Hatte er es verdient?«
»Das hab ich damals gedacht.«
»Und heute?«
»Würde ich vieles anders machen.«
»Wie lange sind Sie schon drin?«
»Fünfzehn Jahre.«
Moss hat zu schnell gegessen. Ein Stück Fleisch sitzt ihm quer im Hals. Als er sich auf die Brust schlägt, klappern seine Handschellen. Der Direktor bietet ihm etwas zu trinken an. Aus Angst, man könnte sie ihm wieder abnehmen, trinkt Moss die ganze Dose leer, wischt sich den Mund ab, rülpst und isst weiter.
Direktor Sparkes hat den Knochen abgelutscht. Er beugt sich vor und pflanzt ihn in Moss’ Kartoffelbrei, wo er aufrecht stehen bleibt, wie ein Flaggenmast.
»Fangen wir ganz vorne an. Sie sind mit Audie Palmer befreundet, ist das zutreffend?«
»Ich kenne ihn.«
»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
»Gestern Abend beim Essen.«
»Sie haben neben ihm gesessen.«
»Ja, Sir.«
»Worüber hat er geredet?«
»Das Übliche.«
Der Direktor wartet, sein Blick bleibt ausdruckslos. Moss spürt, wie die Butter von dem gegrillten Mais sich wie ein Film über seine Zunge legt.
»Kakerlaken.«
»Was?«
»Wir haben darüber geredet, wie man Kakerlaken loswird. Audie hat mir erklärt, ich soll AmerFresh-Zahnpasta in die Mauerritzen schmieren. Kakerlaken mögen keine Zahnpasta. Fragen Sie mich nicht, warum, aber so ist es.«
»Kakerlaken.«
Moss spricht mit dem Mund voller Kartoffelbrei. »Ich hab mal eine Geschichte von einer Frau gehört, der eine Kakerlake ins Ohr gekrabbelt ist, während sie geschlafen hat. Die hatte Babys, die sich bis ins Gehirn der Frau gegraben haben. Eines Tages hat man sie tot aufgefunden, und aus ihrer Nase krochen Kakerlaken. Wir führen einen Krieg gegen sie. Es gibt Idioten, die einem sagen, man soll Rasierschaum nehmen, doch mit dem Dreck kommt man nicht durch die Nacht. AmerFresh ist am besten.«
Direktor Sparkes starrt ihn an. »In meinem Gefängnis gibt es kein Schädlingsproblem.«
»Ich weiß nicht, ob die Kakerlaken das schon mitgekriegt haben, Sir.«
»Wir lassen zwei Mal im Jahr alles ausräuchern.«
Moss kennt die Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen. Die Wärter erscheinen und befehlen den Gefangenen, sich auf ihre Pritschen zu legen, während in ihren Zellen eine toxisch riechende Chemikalie versprüht wird, von der allen übel wird, die jedoch keinen Effekt auf die Kakerlaken hat.
»Was ist nach dem Essen passiert?«, fragt Sparkes.
»Ich bin zurück in meine Zelle gegangen.«
»Haben Sie Palmer gesehen?«
»Er hat gelesen.«
»Gelesen?«
»Ein Buch«, sagt Moss für den Fall, dass weitere Erklärungen erforderlich sind.
»Was für ein Buch?«
»Ein dickes ohne Bilder.«
Sparkes kann an der Situation nichts komisch finden. »Wussten Sie, dass Palmer heute entlassen werden sollte?«
»Ja, Sir.«
»Warum bricht jemand in der Nacht vor seiner Entlassung aus dem Gefängnis aus?«
Moss wischt sich das Fett von den Lippen. »Ich hab keinen Schimmer.«
»Irgendeine Ahnung müssen Sie doch haben. Der Mann hat zehn Jahre gesessen. Einen Tag länger, und er wäre ein freier Mann, doch stattdessen bricht er aus. Damit ist er ein entflohener Häftling. Man wird ihn vor Gericht stellen und verurteilen. Und beim nächsten Mal könnte er leicht lebenslänglich kassieren. Also, warum macht er das?«
Moss weiß nicht, was er sagen soll.
»Haben Sie mich gehört, mein Sohn?«
»Ja, Sir.«
»Erzählen Sie mir nicht, dass Sie Audie Palmer nicht nahestanden. Das brauchen Sie gar nicht erst zu versuchen. Das hier ist nicht mein erstes Rodeo, also behandeln Sie mich nicht, als wäre ich noch grün hinter den Ohren.«
»Viele Typen kannten ihn.«
»Sie haben – wie lange? – sieben Jahre die Zelle neben Palmer bewohnt. Er muss Ihnen doch irgendwas gesagt haben.«
Moss stößt die Magensäure auf. Er hat zu schnell gegessen.
Der Direktor redet immer noch. »Meine Aufgabe ist es, Gefangene inhaftiert zu halten, bis die Bundesregierung ihre Entlassung genehmigt. Mr Palmers Entlassung war für heute vorgesehen, doch er hat beschlossen, früher zu gehen. Wieso?«
Moss hebt und senkt seine Schultern.
»Wagen Sie eine Hypothese.«
»Ich weiß nicht, was das Wort bedeutet, Sir.«
»Sagen Sie mir, was Sie davon halten.«
»Sie wollen wissen, was ich davon halte? Ich würde sagen, um so was zu machen, muss Audie Palmer dümmer sein als Scheiße auf einem Keks.« Moss verstummt und betrachtet die ungegessenen Reste auf seinem Teller.
Direktor Sparkes zieht ein Foto aus der Jackentasche und legt es auf den Tisch. Es ist ein Bild von Audie Palmer mit seinem Hundeblick und dem fransigen Pony, gesund wie ein Glas Milch.
»Was wissen Sie über den Überfall auf den gepanzerten Geldtransporter in Dreyfus County?«
»Nur, was ich gelesen habe.«
»Audie Palmer muss ihn doch erwähnt haben.«
»Nein, Sir.«
»Und Sie haben nicht gefragt?«
»Klar, hab ich gefragt. Jeder hat gefragt. Jeder Wärter. Jeder Wichser. Jeder Besucher. Verwandte. Freunde. Jeder Mistkerl in diesem Laden wollte wissen, was mit dem Geld passiert ist.«
Moss musste nicht lügen. Es gab niemanden, der die Geschichte von dem Raubüberfall nicht kannte – nicht nur wegen des fehlenden Geldes, sondern auch, weil an dem Tag vier Menschen gestorben waren. Ein Täter konnte entkommen. Einer wurde gefasst.
»Und was hat Audie gesagt?«
»Kein verdammtes Wort.«
Direktor Sparkes bläst die Backen auf wie einen Ballon und atmet langsam wieder aus. »Haben Sie dem Jungen deshalb zur Flucht verholfen? Hat er Ihnen was von dem Geld versprochen?«
»Ich hab niemandem zur Flucht geholfen.«
»Willst du mich verarschen, mein Sohn?«
»Nein, Sir.«
»Ich soll also glauben, dass Ihr bester Freund aus dem Gefängnis geflohen ist, ohne Ihnen ein Wort zu sagen?«
Moss nickt, seine Blicke suchen den leeren Raum über dem Kopf des Direktors.
»Hatte Audie Palmer eine Freundin?«
»Er hat manchmal im Schlaf über ein Mädchen geredet, aber ich glaube, sie war schon lange weg.«
»Verwandte?«
»Er hat eine Mutter und eine Schwester.«
»Wir haben alle eine Mutter.«
»Sie schreibt ihm jede Woche.«
»Sonst noch jemand?«
Moss zuckt mit den Schultern. Er gibt nichts preis, was der Direktor nicht auch in Audies Akte nachlesen könnte. Beide Männer wissen, dass bei dieser Befragung nicht viel herauskommen wird.
Sparkes erhebt sich und beginnt, auf und ab zu gehen, seine Schuhe quietschen auf dem Linoleum. Moss muss den Kopf von links nach rechts drehen, um ihn im Blick zu behalten.
»Ich möchte, dass Sie mir gut zuhören, Mr Webster. Nach Ihrer Ankunft hier hatten Sie Probleme mit der Disziplin, aber das waren nur Marotten, die Sie inzwischen ausgebügelt haben. Sie haben sich Privilegien erworben, hart erarbeitet. Deswegen weiß ich, dass Sie ein schlechtes Gewissen haben, und deshalb werden Sie mir erzählen, wo er verdammt noch mal hin ist.«
Moss starrt ihn mit leerem Blick an.
Der Direktor bleibt stehen und stemmt beide Hände auf den Tisch. »Erklären Sie mir mal was, Mr Webster. Dieser Code des Schweigens, der an einem Ort wie diesem unter Leuten wie Ihnen herrscht, was glauben Sie damit zu erreichen? Sie leben wie die Tiere, Sie denken wie die Tiere, Sie benehmen sich wie die Tiere. Gerissen. Gewalttätig. Sie bilden Banden. Welchen Sinn hat dieser Code?«
»Es ist das Zweite, was uns verbindet«, sagt Moss und ermahnt sich noch im selben Moment, den Mund zu halten.
»Und was ist das Erste?«
»Leute wie Sie zu hassen.«
Der Direktor kippt den Tisch um, sodass Teller und Speisen klappernd zu Boden fallen. Sauce und Kartoffelbrei fließen an der Wand herunter. Die Wärter haben auf ihr Zeichen gewartet. Moss wird hochgerissen und durch die Tür gestoßen. Er muss hastig trippeln, um nicht zu stolpern. Halb tragen sie ihn zwei Treppenabsätze hinunter und durch ein halbes Dutzend Türen, die von der anderen Seite aufgeschlossen werden. Er kehrt nicht in seine Zelle zurück. Sie bringen ihn in die Spezialverwahrung. Einzelhaft. Das Loch.
Ein weiterer Schlüssel wird ins Schloss geschoben. Die Tür quietscht kaum. Zwei neue Wärter übernehmen ihn. Man befiehlt Moss, sich auszuziehen. Schuhe, Hose, Hemd.
»Warum bist du hier drinnen, Arschloch?«
Moss antwortet nicht.
»Er hat bei einem Ausbruch geholfen«, sagt der andere Wärter.
»Das habe ich nicht getan, Sir.«
Der erste Wärter zeigt auf Moss’ Ehering. »Abnehmen.«
Moss sieht ihn blinzelnd an. »Die Bestimmungen sagen, dass ich ihn anbehalten darf.«
»Abziehen, oder ich brech dir die Finger.«
»Das ist alles, was ich habe.« Moss ballt die Faust.
Der Wärter schlägt ihn zwei Mal mit dem Schlagstock. Hilfe wird gerufen. Sie drücken Moss zu Boden und prügeln weiter auf ihn ein; die Schläge klingen eigenartig gedämpft, und auf seinem feuchten, langsam anschwellenden Gesicht liegt ein Ausdruck von Verwunderung. Er sackt zusammen, stöhnt und spuckt Blut, als ein Stiefel sein Gesicht auf den Boden drückt, wo er Schichten von Politur und Schweiß riechen kann. Ihm dreht sich der Magen um, doch die Rippchen mit Kartoffelbrei bleiben drinnen.
Nachdem es vorbei ist, werfen sie ihn in einen kleinen Käfig aus geflochtenem Stahlnetz. Reglos auf dem Betonboden liegend, macht Moss ein gurgelndes Geräusch, wischt sich Blut von der Nase und reibt es zwischen seinen Fingerkuppen, wo es sich anfühlt wie Öl. Er fragt sich, welche Lektion er lernen soll.
Er denkt an Audie Palmer und die vermissten sieben Millionen. Er hofft, dass Audie sich das Geld geholt hat. Er hofft, dass er für den Rest seines Lebens Piña Coladas in Cancún oder Cocktails in Monte Carlo schlürft. Zeig’s den Schweinen! Die beste Rache ist gut zu leben.