Ewa A.

1001 Dattelkeks

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Titel

Titelei

Impressum

Alles hat einen Anfang

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Ein paar Worte

Weitere Werke der Autorin

Impressum neobooks

Titelei


1001 Dattelkeks


von


Ewa A.

chapter1Image1.png











Impressum


Text:

Copyright © 2020 Ewa A.

Alle Rechte vorbehalten


Cover:

Copyright ©

Renee Rott,

Dream Design - Cover and Art

unter Verwendung von Bildmaterial

von stock.adobe.com


Lektorat:

Julia Feldbaum

https://www.redaktionsbuero-feldbaum.de



Verlag:

E. Altas

79423 Heitersheim

ewa.xy@web.de

https://www.facebook.com/EwaA.Autorin




Die Geschichte sowie die Personen und die Orte in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit Begebenheiten, Orten, lebenden oder toten Personen sind in keiner Weise beabsichtigt und wären purer Zufall.



Alles hat einen Anfang

Wie alle guten Märchen, so könnte auch dieses mit »Es war einmal« beginnen. Aber das tut es nicht. Warum? Ganz einfach, weil ich euch die Geschichte erzähle.

Vor langer, langer Zeit lebte in einem fernen, heißen Land eine junge Frau. Ihr Haar war so schwarz wie Ebenholz und ihre Haut …

Äh … nein, nicht so weiß wie Schnee, das ist ein anderes Märchen. Darf ich jetzt weitererzählen?

und ihre Haut war so golden und rein, wie teure Myrrhe.

Wie, ihr habt keine Ahnung, wie Myrrhe aussieht? Wie Bernstein, okay?!

Also, dann eben: Ihre Haut war so golden und klar wie Bernstein. Zufrieden?

Nein, sie war nicht die Schönste im ganzen Land …

Welcher Frosch?

Zwerge?

Nein, auch keine Hobbits!

Muggel? Nein! Mein Gott, euch kann man auch gar nichts recht machen …

Warum sollte sie denn eine Prinzessin sein? Hab ich das mit einem Wort erwähnt?

Nein, jetzt … wartet doch mal! Lasst mich doch …

Nein! Sie hatte auch keine böse Stiefmutter …

Welche Stiefschwestern, zum Teufel?

Nein, ihr Name war Shanli und hatte nichts mit Asche zu tun. Sie war die einzige Tochter eines Bäckers, Herrgott!

Naja, sie war nicht hässlich, aber …

Ach, wisst ihr was? Dann lest doch selbst!

Kapitel 1

Hamdi und Ramdi

Zwischen den weiß getünchten Häusern von Al Hurgha war es noch kühl zu dieser Morgenstunde. Noch vertrieb eine frische Brise die Hitze des Vorabends aus den Räumen. Doch schon bald, wenn die Sonne höher stieg, würden die Winde die Glut der Wüste mit sich bringen, und die Schatten würden kürzer werden. Sobald die grell leuchtende Scheibe den Zenit erreichte, würde einem die Luft vor Augen flimmern und der Sand jedem die Fußsohlen verbrennen, der es wagte, ohne Schuhwerk umherzulaufen. Es würde ein heißer Tag werden, so wie immer.

»Ah, Shanli ist schon dabei, den Karren zu beladen!« Der alte Taliman hatte gerade einen Fensterladen aufgestoßen und im Hof das wohlbeleibte Nachbarsmädchen bei seiner Arbeit entdeckt.

Sein Eheweib, Golroo, die bei einem Fenster nebenan die Läden öffnete, erwiderte: »Ja, heute ist doch Markt. Sie will dort, wie ihr Vater, die Ware verkaufen. Irgendwie muss sie schließlich Geld verdienen.«

Der grauhaarige Mann seufzte und stützte sich auf den Fenstersims. »Das wird nicht leicht werden für sie, nach Omids Tod.«

»Ja. Aber wir werden ihr helfen, wo wir können«, sagte die ältere Frau und eilte zur Tür, um sie aufzuschließen.

Taliman humpelte zu seiner Frau und beobachtete von dort aus, wie Shanli eine Kiste nach der anderen in den Handkarren lud.

»Schau mal, Golroo! Ich glaube, sie hat abgenommen. Ihr Kleid scheint nicht mehr so eng zu sitzen.«

Golroos Augen wurden schmal, als sie das Mädchen genauer inspizierte. »Ja. Sie wirkt nicht mehr ganz so dick wie an Omids Beisetzung.«

»Oder ist es nur ein neues Kleid?«, fragte Taliman und kratzte sich dabei sein graues Kinnbärtchen.

Golroo legte ihren Kopf schief. »Ja, das könnte natürlich auch sein.«

Plötzlich tönte die Stimme des jungen Mädchens zu ihnen hinüber. »Guten Morgen, ihr zwei. Ich kann euch übrigens hören, und nur, damit ihr es wisst: Es ist kein neues Kleid.«

Als Shanli die letzte Kiste auf dem Wagen abgestellt hatte, drehte sie sich zu dem älteren Ehepaar um. Sie schmunzelte, denn wieder einmal hatten Taliman und Golroo es geschafft, ihr ein fragwürdiges Kompliment zu machen, und das auf ihre ganz besondere Art. Sie wusste selbst, dass man sie nicht als Schönheit bezeichnen konnte. Dazu waren ihre Waden zu stark, die Schenkel zu voll und der Bauch zu rund. Über ihren breiten Hintern wollte sie lieber nicht nachdenken, denn der konnte es locker mit dem eines Kamels aufnehmen. Ihr einziger Trost war, dass ihr praller Busen ausladender war als ihr Bauch und sie eine schmalere Körpermitte besaß. Zwar hatte jene immer noch ein gewaltiges Ausmaß, aber immerhin war eine Taille auszumachen. Irgendwo, zwischen den Teigröllchen. Dies verlieh ihrer fülligen Figur zumindest einen Hauch von Weiblichkeit. Ihre runden Wangen und das kurze Kinn ließen ihre Nase noch kleiner erscheinen. Würde sie nicht frech in die Höhe ragen, würde sie vermutlich gar nicht auffallen in ihrem Gesicht. Ein Glück, dass sie ohne großen Buckel zwischen ihren dunkelbraunen Augen lag. Wenigstens diese vermochten, ein bisschen von ihren Pausbacken abzulenken.

Golroo lachte, und ihr Gesicht gewann zusätzliche Falten. »Guten Morgen, Shanli, meine Liebe. Das ist doch wunderbar. Und wenn du noch weniger isst, wirst du irgendwann richtig hübsch werden.«

Shanlis schwarze Augenbrauen hoben sich in entsetzter Überraschung.

»Jaha«, erwiderte sie mit einem säuerlichen Grinsen. Und gerade, als sie glaubte, es könne nicht noch schlimmer werden, nickte Taliman ihr aufmunternd zu.

»Dann kommen auch endlich die Männer und wollen dich alle heiraten. Du wirst sehen, die werden dir das Haus einrennen.«

Unglücklich lächelnd verzog das Mädchen sein Gesicht. »Ja, danke, Taliman. Da kann ich ja nur hoffen, dass du richtig liegst. Aber jetzt – muss ich erstmal auf den Markt.«

Mit einem genervten Aufstöhnen verschloss sie die Tür ihres bescheidenen Heims und packte danach den Handkarren. Entschlossen zog sie ihn hinter sich her, auf die Straße.

Shanli versuchte, die trüben Gedanken, die Golroo und Taliman geweckt hatten, aus ihrem Kopf zu verscheuchen. Aber das war gar nicht so leicht. Als wäre der Tod ihres Vaters nicht schrecklich genug, musste sie sich auch noch mit solchen Dingen auseinandersetzen. Gut, sie war ein wenig runder als die meisten Mädchen. Ja, vielleicht sogar auch um ein ganzes Stück runder. Na und? Warum sollte sie deshalb keinen Mann finden? Aber … sicher würde es doch irgendwo einen geben, der sich von ihrem Kamelhintern nicht abschrecken ließ, schließlich hatte ihr Kopf keine Ähnlichkeit mit dem eines Tieres. Es musste ein Mann sein, dem der Charakter wichtiger war als das Äußere. Und wenn der ihr nicht über den Weg laufen würde, dann blieb sie halt allein. Sie würde auch ohne einen männlichen Beschützer durchs Leben kommen.

Wie sehr sie doch ihren Vater vermisste!

Shanlis Traurigkeit verwandelte sich in Wut. Trotzig zerrte sie ihren Wagen durch die engen Gassen und kam nach einer Weile am Markt an. Die junge Frau wusste genau, wo ihr Vater all die Jahre seinen Stand aufgebaut und die süßen Backwaren feilgeboten hatte. Sie würde sein Handwerk weiterführen, denn nichts anderes hatte sie gelernt und konnte sie so gut wie dies. Sogar ihr Vater hatte stets behauptet, dass ihr Talent zum Backen seines bei Weitem überträfe. Ja, ihre Leckereien waren wirklich von besonderer Güte. Sie hatte genug Süßigkeiten von anderen Händlern gegessen, um das beurteilen zu können. Von irgendwoher mussten ihre Rundungen ja kommen. Dank der außergewöhnlichen Gewürze und des reinen Mehls, auf das sie großen Wert legte, schmeckten ihre Backwaren außerordentlich gut.

Sie verwendete auch nur die besten Mandelkerne und die süßesten Früchte, die sie auftreiben konnte. Es machte ihr Freude, die kleinen Köstlichkeiten zuzubereiten, und sie liebte es, neue zu erfinden.



Viele der anderen Kaufleute, Händler und Bauern waren schon da und bauten ihre Stände auf. Es herrschte reges Treiben. Die Luft war geschwängert von dem Geruch des reifen Schafskäses, der jungen Zwiebeln und der frisch gefangenen Fische. Das leise Gackern der Hühner, die zum Verkauf angeboten wurden, vermischte sich mit den Rufen der Händler und den dröhnenden Schreien der Esel, welche die Lasten schleppten.

Nach allen Richtungen grüßend bahnte sich Shanli einen Weg durch das Getümmel. Sie liebte den Markt, denn er sprühte vor fröhlicher Lebendigkeit. Eine Horde Kinder tobte lautstark an ihr vorüber und brachte sie zum Schmunzeln. Oft nahmen die Händler ihre ganze Familie mit, und während sie die Ware ausluden, kümmerten sich ihre Ehefrauen hinter den Ständen um den Nachwuchs.

Die Bäckerstochter kam an Tuchhändlern vorbei, die ihre bunten Stoffballen zu gefährlichen Türmen aufeinanderstapelten. Diesen folgten Verkaufsstände, an denen mit Holzgeschirr und Keramik gehandelt wurde. Danach kamen Bauern, die Eier, Käse und Honig unter die Leute bringen wollten. Die Fischer und Fleischer hatten ihre Stände hinter den Olivenbauern, welche ihre grüne und schwarze Ernte, Seifen und Öle feilboten. Dann kamen die Gewürzstände, die ebenso farbenfroh waren wie jene der Tuchhändler. Diese mochte Shanli besonders, denn die unzähligen Gewürzsäcke lagerten offen, vor und auf den Verkaufstischen, sodass man ungehindert einen Blick hineinwerfen konnte. Dunkelrotes Paprikapulver, gelbes Curry, braunes Piment, schwarzer Kümmel, grüne Kardamomkapseln und vieles mehr verströmten einen eigenen herrlichen Duft.

Vieles erinnerte sie, auf tröstliche Weise, an ihren Vater. Bald gelangte sie zu der Stelle, an der er gewöhnlich seinen Stand aufgebaut hatte.

Doch zu Shanlis Verblüffung hatte bereits ein anderer Händler diesen Platz bezogen. Es war ein Bäcker, der seine Fladenbrote verkaufen wollte.

»Seid gegrüßt, Fremder«, sagte Shanli und stellte ihren Karren vor dem Mann ab. »Bestimmt war es ein Versehen, aber Ihr steht hier auf Omids Platz.«

Der Bäcker warf ihr einen mürrischen Blick zu und verteilte nebenher seine Ware auf dem Tisch. »Nein, das war Omids Platz. Aber nun ist es meiner.«

»Nein. Ich bin Omids Tochter, das ist nun mein Verkaufsplatz«, herrschte Shanli den Mann an.

Dieser drehte sich zu ihr um, und unverhohlene Verachtung machte sich auf seiner Miene breit. »Marktplätze können nur von den Söhnen übernommen werden. Niemals von Töchtern.«

Mit großen Augen sah Shanli den Bäcker an. »Aber mein Vater hatte keinen Sohn, ich verkaufe nun die Backwaren.«

»Das kannst du von mir aus auch tun«, meinte der Mann hämisch. »Aber nicht auf dem Markt und schon gar nicht auf meinem Platz.« Er wandte ihr den Rücken zu und beschäftigte sich erneut mit dem Ordnen seiner Ware.

Entrüstet tippte Shanli gegen sein Schulterblatt. »Nein. Das hier ist mein Platz, und du wirst ihn jetzt räumen.«

Zornig drehte der Bäcker sich zu ihr um. »Falsch, du wirst hier verschwinden. Schlepp dein breiten Hintern und dein freches Maul von meinem Stand fort.«

Wütend schnaubte Shanli unter der Nase des Mannes: »Ich sag dir, wohin ich meinen breiten Hintern schleppe: vor den Marktaufseher. Der wird dir dann sagen, wo du dein dämliches Gesicht hinschleifen darfst.«

Mittlerweile hatten die anderen Händler, die um sie herumlagerten, aufgehört, ihre Verkaufsstände aufzubauen und schauten den Streitenden zu. Zu Shanlis Entsetzen kamen einige näher und mischten sich ein.

»Frauen haben auf dem Markt keinen Stand. Das gab es noch nie!«

»Soweit kommt es noch, dass Frauen Handel betreiben dürfen.«

»Als würde irgendjemand von einer wie dir etwas kaufen wollen.«

»Soll sie ihr Zeug doch lieber selbst fressen. So wie sie aussieht, macht sie das sowieso den ganzen Tag.«

Im Chor lachten die Männer Shanli aus, hielten sich die Bäuche und zeigten mit dem Finger auf sie.

Die Wut und der Ärger der jungen Frau wuchsen mit jedem Lacher, denn zu ihres Vaters Zeiten wäre man mit ihr nicht so umgesprungen.

»Nur, weil ich eine Frau bin, soll ich hier nicht verkaufen dürfen? Ihr habt doch nicht mehr alle Datteln an der Palme!«, schrie sie in die Runde. »Meine Ware ist genauso gut wie eure, wenn nicht noch besser.«

»Worte eines dummen, fetten Weibs!«

»Ist es das, wovon du nachts träumst, abgesehen vom Essen?«

»Verschwinde von hier!«

»Du hast hier nichts verloren, Weib!«, riefen die Händler durcheinander.

Doch Shanli wollte nicht klein beigeben und schüttelte störrisch den Kopf. »Ihr könnt mich mal gernhaben! Ich werde einfach stehen bleiben und hier meine Waren verkaufen.«

»Das wirst du nicht!«, bellte ein Verkäufer, packte Shanlis Wagen und schob ihn weg.

»Halt, du Dieb! Lass sofort meinen Karren los!« Shanli spurtete dem Mann hinterher und sprang ihm auf den Rücken.

Der Fladenbrotverkäufer eilte ihr ebenso nach und versuchte, sie von dem Dieb hinunterzureißen, der ging durch das wilde Gezerre schließlich zu Boden. Letztlich purzelten alle drei übereinander.

Zwischenzeitlich hatte einer der Händler den Marktaufseher geholt, der nun mit stolz geschwellter Brust angetrabt kam.

»Was ist denn hier los?«, brüllte er auf die Meute nieder, die sich im Staub zu seinen Füßen wälzte.

Aus den drei Streitenden waren mittlerweile sechs geworden. Während Shanli auf den vermeintlichen Karrendieb einschlug, versuchte einer, diesen außer ihrer Reichweite zubringen, was jener allerdings als Angriff wähnte und sich nun an zwei Fronten wehrte. Der Bäcker, der Shanli um die Taille gepackt hatte, wurde unterdessen von einem anderen zurückgehalten, da es als unsittlich galt, eine fremde Frau anzufassen, geschweige denn, auf ihr zu liegen. Ein anderer Verkäufer wollte Shanli ebenfalls aus dem Getümmel entfernen und zog entschlossen an einem ihrer Fußgelenke. Nichtsdestotrotz fing er sich dafür fortwährend saftige Tritte von ihr ein.

Da keiner der Balgenden dem Marktaufseher Beachtung schenkte, nickte der seinem Gehilfen zu, welcher umgehend einen Eimer Wasser besorgte.


Erst als die sechs Streithähne vor Nässe trieften und sich die Augen rieben, kehrte Ruhe ein.

Mit nassen, verstrubbelten Haaren und geröteten Wangen schaute Shanli grimmig zu dem Marktaufseher auf. »Da seid Ihr ja endlich, Marktaufseher.« Atemlos zeigte sie auf den Fladenbrotverkäufer neben sich. »Der Trottel will mir meinen Platz streitig machen.« Als Nächstes zeigte sie auf den Karrendieb. »Und der Esel hier wollte meine Ware stehlen.«

Doch sogleich wetterten die Männer dagegen.

»Sag ihr, dass du mir selbst diesen Platz zugeteilt hast, Marktaufseher.«

»Stimmt doch gar nicht. Dein Wagen stand im Weg, ich wollte ihn bloß zur Seite schieben«, schrie der andere Shanli an.

»Welcher Marktplatz? Der von Omid?«, fragte der Marktaufseher und verschaffte sich Gehör.

»Ja!«, schrie der Bäcker, und Shanli nickte selbstsicher.

»Ja, Omid war mein Vater. Also geht der Platz an mich über!«

Der Marktaufseher schüttelte den Kopf. »Nein. Auf dem Markt handeln keine Frauen. Verkauf deine Ware zum Küchenfenster hinaus, wie es die andern Weiber tun.«

Bestätigendes Gemurmel der Männer trieb Shanli die Zornesröte ins Gesicht. Davon hatte sie noch nie etwas gehört. »Seit wann ist das so? Überall sind hier Frauen hinter den Ständen.«

Mit stoischer Miene sprach der Marktaufseher: »Ja, aber sie verkaufen nicht. Das Recht auf einen Marktplatz liegt schon immer bei den Männern.«

Trotzig zogen Shanli ihre Augenbrauen zusammen. »Aber Ihr wisst genau, dass man in den Gassen nichts einnimmt. Die Käufer tummeln sich hier auf dem Markt, wo sie die Waren vergleichen können.«

»Dennoch bist du eine Frau und wirst, gemäß den Vorschriften, keinen Marktstand bekommen«, widersprach der Marktaufseher.

»Warum, überhaupt, dürfen Frauen keinen Handel auf dem Markt betreiben? Es ist höchste Zeit, dass diese altbackenen Vorschriften geändert werden.«

Laut gaben die Männer ihre Entrüstung über diese dreiste Forderung kund.

Die Brust des Marktaufsehers schwoll an, und in Rage brüllte er auf Shanli hinunter: »Was glaubst du, wer du bist? Meinst du, ein dahergelaufenes, feistes Weib kann die althergebrachten Vorschriften einfach so außer Kraft setzten? Aus gutem Grund wurden die Frauen aus dem Markthandel ausgeschlossen, weil nämlich genau immer das passiert, was jetzt auch geschehen ist. Streit und Zwietracht liegen euch im Blut. Tratsch und Ränkespinnerei sind nicht die Beschäftigungen der Männer, wohl aber die der Weiber. Vor langer Zeit, nachdem man teures Lehrgeld bezahlt hatte, beschloss man diese Vorschrift. Die wird nicht nur in Al Hurgha eingehalten, sondern auch in Hesch Tael, wo der Markt doppelt so groß ist. Sogar in Pallagur hält man daran fest.«

Plötzlich erklang Hufgetrappel, und das erregte Murmeln der umstehenden Zuschauer wurde stetig lauter. Es waren die riesigen Pferde der Leibgarde des Schahs, denen eine Gasse freigeräumt wurde und die vor ihnen stehen blieben.

Hastig stand Shanli auf und brachte ihre Kleider in Ordnung. Das fehlte ihr gerade noch, dass sie in diesem Aufzug Schah Parviz vor die Augen treten sollte. Sie hatte ihn hin und wieder aus großer Entfernung gesehen, wenn er durch Al Hurgha ritt, denn sein Palast lag am Ende der Stadt, auf einem Hügel. Wie oft hatte sie sich vorgestellt, er würde von seinem Rappen aufschauen, wenn er durch die Gassen ritt, und sie an ihrem Schlafzimmerfenster bemerken? Eindeutig zu oft. Denn auch jetzt spielte sich der Traum in ihrem Geiste ab.



Wie eh und je würde Parviz ihr von seinem Pferd aus ein strahlendes Lächeln schenken, das ihr Herz flattern ließ. Natürlich verliebte er sich auf den ersten Blick in sie. Sobald er sie bemerkte, würde er die Zügel seines Rappens anziehen und elegant aus seinem Sattel gleiten. Seine obsidianfarbenen Haare würden ganz langsam, bei jeder einzelnen seiner Bewegungen, im Wind schwingen. Ohne sie einen Moment aus den Augen zu lassen, würde er behände die Kisten hochklettern (die selbstverständlich immer rein zufällig unter ihrem Fenster herumstanden). Und dann, wenn er bei ihr auf dem Fenstersims angelangt war, dann würde er sie stürmisch in die Arme ziehen und …



»Nenne dem Schah jetzt endlich deinen Namen, du einfältiges Huhn!«, schrie der Marktaufseher in Shanlis Ohr.

Erschrocken fuhr die junge Frau zusammen und erwachte aus ihrem Tagtraum. Sie fand sich tatsächlich Schah Parviz gegenüber und stellte fest, dass er noch viel attraktiver war, als sie sich vorgestellt hatte. Aber eigentlich überraschte sie das nicht. Groß und stattlich stand er vor ihr.

Als Parviz Shanlis Geistesabwesenheit wahrnahm, verzogen sich seine vollen Lippen zu einem atemberaubenden Schmunzeln. Dieses verleitete das Mädchen wiederum zu einem leisen Seufzen. Die zimtbraunen Augen des Schahs waren nicht nur wunderschön, sondern strahlten auch wahre Güte aus.

Hatte er sie schon angesprochen? Wie lange hatte sie so weggetreten da gestanden? War ihr etwa der Sabber aus dem Mund gelaufen? Denn immer, wenn sie von ihm träumte, war am nächsten Morgen ihr Kopfkissen nass!

Gebannt stierte Shanli auf Parviz' Mund, und weil der Schah so groß war, musste sie den Kopf in den Nacken legen.

»Nun, verrätst du mir heute noch deinen Namen, oder soll ich morgen noch mal vorbeikommen?«

Ein hysterisches Kichern entwich Shanli, nachdem sie sich dazu überwinden konnte, dem Schah zu antworten. »Nein, ich verrate ihn Euch, aber Ihr könnt morgen gerne noch mal kommen.«

»Und?«, fragte Parviz, während seine Stirn sich in Erwartung kräuselte.

»Und was?«, erwiderte Shanli und beobachtet, wie der Schah zweifelnd zum Marktaufseher blickte.

Der schüttelte grummelnd den Kopf und schrie der jungen Frau abermals ins Ohr, die immer noch völlig in Parviz' Anblick versunken war.

»Deinen Namen, Weib!«

Auf ein Neues zuckte das Mädchen zusammen. »Oh, Shanli, Euer Hoheit. Ich heiße Shanli Farhad.«

Parviz nickte. »Gut. Und warum hast du hier eine Prügelei angezettelt?«

Enttäuscht über diese Unterstellung, die nicht richtig war (zumindest nicht ganz), zog Shanli beleidigt den Kopf ein.

»Ich habe keine Prügelei angezettelt, sondern nur den Idioten dort davon abgehalten, meine Ware zu stehlen. Und ich habe versucht, mein Recht auf den Marktplatz meines Vaters durchzusetzen.«

Erneut brach ein Streitgespräch aus, denn die Händler wollten die Anschuldigungen nicht auf sich sitzen lassen. Parviz hörte jedem der Männer aufmerksam zu, und erneut verfiel Shanli ins Träumen. Mit leerem Gesichtsausdruck verfolgte sie, wie Parviz von einem zum Nächsten schritt. Nachdem er mit dem Marktaufseher einige Worte gewechselt hatte, wandte er sich wieder ihr zu.

»Nun, Panli, so wie es aussieht …«

»Ich heiße Shanli, nicht Panli«, unterbrach das Mädchen den jungen Schah schüchtern.

Zerstreut schüttelte dieser den Kopf. »Ja, sagte ich doch. Wie dem auch sei, leider kannst du den Marktplatz nicht bekommen. Die Vorschriften dazu sind eindeutig: Keine Frau darf auf dem Markt ihre Ware verkaufen.«

Traurig schlug Shanli die Augen nieder, denn wenn der Schah ihr dies untersagte, gab es nichts daran zu rütteln. Sie musste dem Markt fernbleiben und auf anderem Wege ihre Backwaren verkaufen. Die Frage war nur, wie? Niemals würde sie genügend Geld einnehmen, um die Kosten decken und sich selbst versorgen zu können.

Sanft legte Parviz einen Finger unter Shanlis Kinn und hob es an. »Nun hadere nicht, Ramdi.«

»Shanli!«, flüsterte die junge Frau und war zu tiefst betrübt, dass der Schah sich nicht mal ihren Namen merken wollte.

»Ja, genau«, ging der Schah ungerührt über seinen Fauxpas hinweg. »Was willst du denn verkaufen?«

Shanli schniefte und zeigte hinter sich auf den Karren. »Süßwaren.«

Parviz ließ ihr Kinn los und linste an ihr vorbei auf die Kisten, die mit allerlei Backwaren gefüllt waren. Ein leichtes Grinsen legte sich auf seine Züge, als er Shanli wieder betrachtete. »Wenn ich dich so anschaue, dann können sie doch nur wunderbar schmecken.«

Die anderen Händler prusteten leise in die Hände, als hätte Parviz sie beleidigt, doch Shanli wusste es besser. In den Augen des jungen Schahs war nämlich kein Spott zu finden, sondern nur offene Freundlichkeit, die ihr Inneres erwärmte.

Auch Parviz ließ sich von dem leisen, hämischen Gelächter nicht beirren. »Komm heute Nachmittag in den Palast und bring mir von deinem Gebäck. Wenn es meine Mutter und mich begeistern kann, wirst du vielleicht der neue Hoflieferant.«

Das Gelächter der Männer verstummte abrupt, und Shanli bekam riesige Augen. »Ist das Euer Ernst, Hoheit?«

Parviz nickte mit einem Schmunzeln. »Natürlich.« Dann drehte er sich um und ging auf seinen Rappen zu. Ein Strahlen machte sich auf Shanlis Gesicht breit, und mit klopfendem Herzen sah sie zu, wie Parviz sich in den Sattel schwang. Er nahm die Zügel in die Hand, und bevor er davonritt, zwinkerte er ihr zu. »Nasche nicht zu viel von deinen Leckereien, Hamdi, das würde nur deiner Schönheit schaden.«

Voller Verlegenheit begann Shanli, zu kichern. Noch nie hatte ein Mann zu ihr gesagt, dass sie schön war. Selbst dass er ihren Namen schon wieder verunstaltet hatte, machte ihr nichts aus. Denn bald würde sie Hoflieferant werden und jeden Tag in den Palast gehen, um Parviz zu sehen. Ja, sie würde den Schah verwöhnen und ihn mit ihren Süßigkeiten in den Bann ziehen. Ob er sie dabei Hamdi oder Ramdi nannte, das war ihr völlig gleich.

Kapitel 2

Gefährliche Kekse

Shanli war noch nie zuvor in ihrem Leben im Palast gewesen. Schon von außen war das weiße Prachtgebäude mit seinen vier hohen Türmen, den Hunderten von Arkaden und den gewaltigen Zwiebeldächern beeindruckend. Aber von innen war der Palast schlichtweg atemberaubend. Immer wieder musste Shanli an die Decke starren, die in weiter Ferne zu thronen schien. Über und über war die Kuppel mit einem filigranen Muster verziert. Stuck in Ranken, Blüten und Schnörkel prunkte verschwenderisch an Decke und Wänden. Der Fußboden war eine spiegelnde Fläche aus wolkenweißem Marmor.

Um ihrer Aufregung Herr zu werden, atmete Shanli tief durch. Sie hatte eine kleine Auswahl an Leckereien eingepackt, von der sie glaubte, dass sie ihr am besten gelungen war. Dass eine Sorte davon Schah Parviz oder seiner Mutter Aazar besonders gut schmecken würde, konnte sie nur hoffen. Ungeduldig ruckelte sie auf ihrem Stuhl umher und sah sich eingeschüchtert um.

War ihr Backtalent wirklich so gut, um es mit dem derzeitigen Hoflieferanten aufnehmen zu können? Sicherlich benutzte er nur das teure Rosenwasser aus Apunqur. Sie dagegen bereitete es selbst zu und sammelte dafür die zarten, rosaroten Blütenblätter der kniehohen Buschrosen, die sie vor den Toren von Al Hurgha fand. Bestimmt war der Hoflieferant ein alter, erfahrener Bäcker, der nur doppelt gemahlenes Mehl verwenden würde. Oh, nein, sie würde sich nur blamieren.

Genau in diesem Moment, als die Angst Shanli zu überwältigen drohte, kam ein Diener daher.

»Folge mir. Schah Parviz und sein Mutter trinken nun ihren Mokka. Sie möchten deine Süßigkeiten kosten.«

Hastig erhob sich Shanli mit ihrem Korb und folgte dem Diener durch die Halle, einen langen Gang entlang, zu einem Iwan. Von dieser halb offenen Halle aus hatte man einen herrlichen Blick auf den gepflegten Garten des Palastes. Die gigantischen weißen Vorhänge schwebten wie rauschende Wasserfälle im warmen Wind und verliehen dem Raum etwas Unwirkliches. Der Schah und seine Mutter saßen halb liegen auf niedrigen Ottomanen. Auf zierlichen Tischen hatte man ihnen den Mokka griffbereit zur Seite gestellt.

Der Diener verbeugte sich. »Schah Parviz, die Bäckerstochter.«

Parviz hob erfreut den Kopf. »Ah, ja! Tritt näher – Bäckerstochter.«

Shanli ging langsam auf Mutter und Sohn zu. Sie schluckte und klammerte sich ängstlich an den Korb, der mit seinen Backwaren den Schlüssel ihrer Zukunft enthielt.

Während der Schah ihr entgegenlächelte, verzog seine Mutter, Aazar, keine Miene. Nicht nur der kalte Blick der älteren Frau ließ Shanli verzagen, sondern auch deren Erscheinung. Aazar war trotzt ihres Alters, das bei Anfang vierzig liegen musste, die schönste Frau, die Shanli je gesehen hatte. Sie hatte eine hohe, gewölbte Stirn, die in eine edle, schmale Nase überging. Ihre Augenbrauen waren feine Bögen, über eindrucksvollen Augen, welche eine leichte Schräglage hatten. Ihre wallenden Locken waren von einem fast durchsichtigen Schleier bedeckt. Trotz ihrer weiten, kostbaren Kleider war zu erkennen, dass sie gertenschlank war. Shanli schätzte, dass Aazar ihr mit Leichtigkeit auf den Kopf spucken könnte, wenn sie auf ihren schier endlosen Beinen stand und es darauf anlegen würde. Abgesehen davon hatte Parviz‘ Mutter ausgesprochen grazile Hände und nicht solche Dattelfinger wie sie.

Wie sollte diese Frau, die augenscheinlich sehr auf ihre Figur achtete, an ihren reichhaltigen Leckereien Gefallen finden? Aazar sah wahrlich nicht danach aus, als würde sie irgendetwas tun, was ihrem Aussehen schadete. Im Ganzen wirkte sie kühl und verbittert. Es war ein Wunder, das Parviz eine solche zuversichtliche und einnehmende Ausstrahlung hatte. Wahrscheinlich kam er mehr nach seinem Vater als nach seiner Mutter.

Der Schah winkte Shanli zu sich. »Komm, zeig uns deine Ware.«

Eilig wuselte das Mädchen zu dem jungen Herrscher und kniete vor ihm nieder. Shanli schlug die Tücher beiseite und holte die Süßigkeiten hervor, die sie sogleich Parviz darreichte.

Ein Schmunzeln floh über sein Gesicht. »Das sieht alles sehr lecker. Ähm, wie war noch gleich dein Name?«

»Shanli, Hoheit«, erwiderte die Bäckerstochter und blinzelte verwirrt.

»Genau, Shanli. Shanli, ja, welche deiner Köstlichkeiten würdest du denn empfehlen?«

Unruhig schaukelte das Mädchen auf ihren Knien. »Nun, es kommt darauf an, was Ihr bevorzugt. Wenn es eher etwas Frisches und Fruchtiges sein soll, solltet Ihr diese probieren.«

Ohne die Backwaren zu berühren, deutete Shanli auf kleine Halbmonde, welche mit hauchdünnen Orangenstreifen kunstvoll verziert waren. »Das sind Mandelkekse mit einem fruchtigen Orangenaroma. Falls Ihr jedoch einen herberen Geschmack bevorzugt, munden Euch jene vielleicht besonders gut. Das ist Mandelkonfekt, das winzige Knusperperlen aus kandierten, zerstoßenen Mokkabohnen enthält. Und wenn Ihr lieber Pikantes mögt, so habe ich hier Ziegenkäsekringel mit einem Hauch Honig und einer Prise Kreuzkümmel«

»Beeindruckend, nicht wahr, Mutter?«

Aazar legte den Kopf schief und unterzog Shanli einer strengen Musterung. »Ja, tatsächlich scheint sie wesentlich mehr Fantasie zu besitzen als unser bisheriger Bäcker.«

Ein Grinsen huschte über Shanlis Gesicht. »Danke, Euer Hoheit.« Anscheinend war diese herbe Schönheit doch keine Kostverächterin.

Mit einer Verneigung hielt sie Aazar das Gebäck vor die Nase und zeigte auf braune, kreisrunde Plätzchen. »Darf ich Euch noch diese Gewürzkekse ans Herz legen. Sie enthalten eine fein abgestimmte Mischung aus Muskatblüte, Piment und Kardamom. Sie schmecken nicht nur gut, sondern sind auch eine Wohltat für den Magen und eine schmackhafte Bereicherung zu Eurem Mokka.«

Aazar schaute Shanli tief in die Augen, bevor sie mit spitzen Fingern nach einem der Gewürzkekse angelte. In Mäuschen-Manier begann sie, an dem Keks herumzuknabbern. Gebannt warteten Parviz und Shanli auf Aazars Urteil. Schließlich nickte die Schah-Mutter, und nachdem sie hinuntergeschluckt hatte, meinte sie: »Wirklich vorzüglich. Du bist eine talentierte Bäckerin.«

Shanli stieg sofort die Röte ins Gesicht, und als sie bemerkte, wie Parviz sie voller Stolz anlächelte, senkte sie schüchtern ihren Blick.

»Nun, Fanli …«

»Shanli, Euer Hoheit«, berichtigte das Mädchen den Schah flüsternd.

Dieser erwiderte daraufhin: »Gesundheit!« Danach brachte er Shanli mit seinem Lächeln schier um den Verstand und fuhr fort: »Also, von welchen Keksen soll ich kosten? Ich mag es ausgesprochen süß, und du scheinst mir auf diesem Gebiet eine wahre Kennerin zu sein.«

Shanli schaffte es fast, sich das Kichern zu verdrücken. Allerdings wurde aus dem Lachen ein Grunzen, weshalb sie Parviz schnell mit den Leckereien ablenkte. »Diese Marzipankugeln sind dann genau das Richtige. Sie enthalten nicht nur Feigen- und Dattelstückchen, sondern sind auch von einem gezuckerten Rosenblatt umhüllt.«

»Mmmh! Was für eine Versuchung«, brummte Parviz und versank dabei in Shanlis Augen, während er sich gleichzeitig eine Marzipankugel griff.

Ein tonloses Hecheln entfloh der Bäckerstochter, denn kein Mann hat sie jemals mit dem gleichen Hunger betrachtet wie ihre Süßigkeiten.

Gemächlich schob der Schah die Leckerei in seinen Mund. Nicht einen Moment wich sein Blick von Shanli, die kurz vor einer Ohnmacht stand.

Wie war es möglich, dass sie innerlich schier verbrannte, nur weil sie ihm beim Essen zuschauen durfte?

Parviz ließ sich die Köstlichkeit erst im Munde zergehen. Doch dann biss er in mahlenden Bewegungen zu, was ein jähes Ende fand.

»Autsch!«, schrie er auf und verzog schmerzhaft das Gesicht.

Shanli stockte vor Schreck der Atem. Mit schreckensweiten Augen wurde sie Zeugin, wie er angewidert den Inhalt seines Mundes auf den Boden spuckte.

»Beim Barte des Propheten, was war das? Ich habe mir fast den Zahn ausgebissen.«

Entsetzt nahm die Bäckerstochter wahr, wie Parviz sich den Mund abwischte und Blut an seinen Händen fand.

»Das … Das tut mir entsetzlich leid. Das … das kann nur ein winziges Stückchen einer Mandelschale gewesen sein«, stammelte Shanli und warf sich mit bebender Brust vor dem Schah nieder.

Sie wusste genau: Keiner vergoss ungestraft das Blut des Herrschers. Ihre Stimme zitterte, als sie Parviz anflehte: »Verzeiht mir, oh gütiger Schah. Niemals wollte ich Euch verletzen. Was kann ich tun, um Euch die Schmerzen vergessen zu lassen? Ich werde alles tun, was Ihr verlangt.«

»Du blutest. Wie schlimm ist es, mein Sohn? Muss ich den Hakim rufen?«, fragte Aazar besorgt.

»Nein, ich denke nicht«, wehrte Parviz undeutlich ab, denn er prüfte mit seiner Zunge, ob seine Zähne Schaden davongetragen hatten.

Nach wie vor kauerte Shanli in unterwürfiger Haltung am Boden und traute sich gerade noch, Luft zu holen.

Lange nicht mehr so freundlich wie zuvor, hörte sie Parviz sprechen: »Ohne Zweifel sind deine Süßigkeiten die besten, die ich jemals gegessen habe. Allerdings sind sie auch die gefährlichsten. Es wird wohl besser sein, ich verschone meine Zähne vor deinem Backwerk.«

Shanlis Herz wollte aus ihrer Brust springen, so trommelte es. Wieso hatte sie dieses elende Schalenstückchen nicht in dem Mandelmehl entdeckt? Warum musste der Schah ausgerechnet diese Marzipankugel wählen? Sie hatte ihre einzige Chance verspielt, durch eine seltendämliche Unachtsamkeit.

Vorsichtig sah Shanli auf und musste Parviz mürrisches Gesicht ertragen. Und eh Shanli sich‘s versah, purzelten ihr die Worte aus dem Mund: »Bitte, Euer Hoheit, gewährt mir eine zweite Chance. Ich verspreche Euch, nie wieder, wird eine Nuss- oder Mandelschale in meinen Süßwaren zu finden sein. Beim Grab meines kürzlich verstorbenen Vaters schwöre ich Euch, dass ich Euch eine Delikatesse kredenzen werde, die Euch alles vergessen lassen wird.«

Heimlich sagte sich Shanli, dass sie diesen Schwur leichter erfüllen könnte, als vermutet, denn schließlich vergaß der schöne Parviz ja alle Nase lang ihren Namen.

Der Schah schnaufte resignierend. »Na gut. Du sollst deine zweite Chance haben. Komme wieder, wenn du diese Delikatesse zubereitet hast. Aber wehe dir, Shanli, sollte ich erneut mein Blut schmecken, dann will ich dich nie wieder in meinem Palast sehen.«

Betrübt verzog sich Shanlis Gesicht. »Ja, Schah, Parviz. Ich werde an nichts anderes mehr denken.«

Warum erinnerte er sich auf einmal an ihren Namen? Sie konnte nach ihrem Versprechen nur hoffen, dass der Schah einen Zufallstreffer gelandet hatte.

Shanli stand auf und rückwärts laufend entfernte sie sich von dem Herrscherpaar, in einer andauernden Verbeugung.

Erst als sie den Iwan verlassen hatte, richtete sie sich wieder auf und konnte frei atmen. Was hatte sie da nur angestellt?



Aazar betrachtete ihren Sohn, der der Bäckerstochter hinterherschaute. Parviz war ein stattlicher Mann geworden und erwies sich immer wieder als weiser und gütiger Herrscher. Was jedoch ein Ding der Unmöglichkeit war, war sein Vergnügen daran, jedem weiblichen Wesen den Kopf zu verdrehen. Wie er es eben wieder mit dieser unförmigen Bäckerstochter getan hatte. Parviz genoss in vollen Zügen die zum Teil kopflose Bewunderung der Frauen. Ja, er wusste sehr genau um sein Aussehen und seine Macht, die er über die Weiber hatte. Selbst die alten Dienerinnen fingen zu kichern an, wenn er sie in die Mangel nahm.

Oft genug hatte sie ihrem Sohn gesagt, dass diese Spielereien eines Schahs nicht würdig wären. Doch auf diesem Ohr schien Parviz taub zu sein. Sie war es leid, ihm Vorträge zu halten. Mit seinen fünfundzwanzig Jahren war er alt genug, bald selbst einen Sohn zu haben. Ja, sollte sich doch sein Eheweib um dieses Problem kümmern. Er bräuchte nur eine Frau, die ihm den Verstand raubt, sodass er nicht mehr das Bedürfnis hatte, andere Weiber in zerstreute Hühner zu verwandeln. Dennoch musste die Braut gewissen Anforderungen entsprechen und auf Leib und Seele geprüft werden. Nur, wo sollte sie diese eine spezielle Frau für ihren Sohn finden?

»Parviz, ich denke, es ist an der Zeit, dass du dir eine Braut suchst«, sprach Aazar unvermittelt das Thema an.

Verblüfft schaute der Schah auf. »Mutter, wie kommst du denn jetzt auf diese Idee?«

»Weil du dieser Bäckerstochter wie ein verliebter Gockel hinterherstarrst und langsam für einen Nachfolger sorgen solltest.«

Parviz setzte sich auf. Sein Gesicht zeigte grimmige Unentschlossenheit. »Und wen sollte ich deiner Meinung nach heiraten? Die Bäckerstochter?«

»Eine, die du liebst, die dir eine treu ergebene Ehefrau und zugleich eine pflichtbewussten Herrscherin sein kann. Sie muss mehreren Ansprüchen genügen.«

Hoffnungslos schüttelte der Schah den Kopf. »Und wo soll ich diese Frau finden?«

Aazar grinste hinterhältig. »Nicht du wirst sie finden, sondern sie dich. Wir werden im ganzen Land verkünden, dass du eine Braut suchst. Jede Frau kann um dich werben. Aber du wählst dann nur jene aus, die dir gefallen. Und ich werde diese Auswahl einigen Prüfungen unterziehen. Die Gewinnerin erfüllt dann, so Allah will, alle Anforderungen, die wir stellen.«

Parviz schmunzelte. »Eine großartige Idee, Mutter. Lass sofort die Nachricht verkünden: ›Schah Parviz sucht eine Braut!‹«

Kapitel 3

Walfänger gesucht

»Shanli, Shanli! Wach auf!«

Ein Poltern an der Haustür ließ die junge Bäckerstochter zu sich kommen. Verschlafen rieb sich Shanli die Augen. Bis spät in die Nacht hatte sie in der Küche gestanden und sich an der Zubereitung der neuen Süßigkeit versucht, die den Schah alles vergessen lassen sollte. Das lange Arbeiten hatte sich jedoch gelohnt, denn sie hatte ein süßes Konfekt hergestellt, welches einem im Munde sacht dahinschmolz, während sich die verschiedenen Aromen der Zutaten auf wunderbare Weise entfalteten. Mit Honig und Sesamsaat in den Haaren war sie schließlich vollkommen erledigt ins Bett gefallen, wo sie noch immer lag, obwohl die Sonne bereits fast ihren Höchststand erreicht hatte.

Gemächlich quälte sich Shanli aus ihrem Nachtlager und legte sich eine Decke um ihre Schultern. Mit einem herzhaften Gähnen öffnete sie ihre Fensterläden, um zu schauen, wer der Verursacher des Radaus war. Das gleißende Sonnenlicht ließ sie ihre Augen zusammenkneifen.

Es waren Golroo und Taliman, die vor ihrer Tür standen.

»Guten Morgen. Einen Moment, ich komme gleich hinunter«, rief sie dem älteren Ehepaar zu und machte sich auf den Weg ins Untergeschoss. Dies bestand nur aus einem Raum, der zugleich Backstube und Küche war. Die meiste Zeit des Tages verbrachte sie dort. Das Obergeschoss bestand aus zwei Zimmern, die ihren Eltern und ihr von jeher als Schlafzimmer gedient hatten.

Kaum hatte sie die Haustür geöffnet, fielen Golroo und Taliman aufgeregt über sie her.

»Shanli, hast du die Neuigkeit schon gehört? Du musst dich bewerben. Alle Mädchen sind bereits auf den Weg in den Palast.«

Verständnislos schüttelte Shanli den Kopf. »Wo muss ich mich bewerben? Warum gehen alle Mädchen in den Palast?«

Strahlend verkündete Golroo, was sie in Erfahrung gebracht hatte. »Heute Morgen verkündeten der Ausrufer des Palastes, dass der Schah eine Braut suche und alle unberührten Jungfern des Reiches um ihn werben könnten.«

»Was? Alle?«, fragte Shanli baff.

Begeistert nickte Taliman. »Ja, ja. Das ist deine Gelegenheit, Shanli. Nach dem gestrigen Zwischenfall auf dem Markt weiß jeder, dass der Schah einen Narren an dir gefressen hat. Du musst noch heute in den Palast und ihm deine Hand anbieten.«

Erschrocken schaute Shanli zwischen den alten Eheleuten hin und her. »Der Schah hat höchstens einen Narren an meinen Keksen gefressen, aber nicht an mir.« Leise nuschelte vor sich hin. »Und das hat ihn schon fast einen Zahn gekostet und mich meinen Kopf.«

»Unsinn. Die Männer erzählten, dass er dich eine Schönheit nannte und dir zuzwinkerte«, rief Golroo entzückt.

Taliman fuhr seine Frau an: »Was redest du da, Weib? Unser Schah ist ein feiner Mann, ein kluger Herrscher. Er hält nicht nach Vergänglichem wie Schönheit Ausschau, sondern nach viel wichtigeren Dingen. Die auserwählten Bewerberinnen müssen sich nämlich noch einer Prüfung unterziehen.« Mit einem liebevollen Lächeln wandte er sich an Shanli. »Er hat deinen Mut und dein goldenes Herz erkannt, Mädchen. Und deswegen wirst du sogleich auf den Hügel hinauflaufen und ihm deine Hand anbieten. Omid hätte darauf bestanden.«

Betrübt senkte Shanli den Blick. Ja, ihr Vater hätte wahrscheinlich das Gleiche gesagt. Dennoch konnte sie Talimans Worten nicht ernst nehmen. Wie hätte Parviz ihr »goldenes Herz« entdecken sollen? Welchen Mut? Vielmehr hatte sie ihm vorgeführt, dass sie sich in ihrer Verzweiflung mit Männern prügelte, im nassen Zustand erbärmlich aussah und mit ihren zahnzerschmetternden Süßwaren ein Attentat begehen konnte. Letzteren Eindruck sollte sie jedoch heute ändern können. Aber … vielleicht hatten Golroo und Taliman recht, und Parviz war ihr gegenüber gar nicht so abgeneigt, wie andere ledige Männer es waren? Schließlich hatte er sie angelächelt und nicht ausgelacht, wie es die Händler getan hatten. Während diese sie verhöhnt hatten, gewährte Parviz ihr eine zweite Chance. Er war tatsächlich der erste Mann gewesen, der mit ihr geturtelt hatte. Und das ohne Angstschweiß.

Hmm, sie wollte sowieso in den Palast, um ihm das Konfekt anzubieten, dabei könnte sie doch gleich ihre Bewerbung als Braut einreichen. Wenn Parviz sie nicht als Hoflieferanten wollte, dann möglicherweise als Braut. Oder umgekehrt. Mehr als ein »Nein!« konnte ihr nicht passieren. Doch, eigentlich schon, aber darüber wollte sie jetzt lieber nicht nachdenken, denn sonst würden sie keine zehn Pferde in die Nähe des Palastes bringen.

»Also gut. Ich wollte ihm heute eh eine Kostprobe meiner neuen Süßigkeit bringen. Dann kann ich mir das Spektakel ja mal anschauen.«

Die Nachbarsleute strahlten zufrieden.

»Braves Kind!«

»Tu das, Mädchen.«



Und so kam es, dass Shanli sich, mit ihrer neuen Süßigkeit, in die Schlange der Bewerberinnen einreihte, die vor den Toren des Palastes endete. Es schien, als hätten sich alle heiratsfähigen Mädchen der Stadt eingefunden, um die Braut des Schahs zu werden. Da war Bitu, die Tochter des Schneiders, die mit ihren achtzehn Jahren nicht nur in Shanlis Alter war, sondern auch die gleiche füllige Statur hatte. Zwei Mädchen weiter, vor Bitu, stand Nisra. Sie war das jüngste Kind des Metzgers, aber drei Jahre älter als Shanli. Die schlanke Nisra stach einem sofort ins Auge, da sie hochgewachsen war und die meisten Wartenden überragte. Viele beneideten Nisra um ihre wohlgestaltete Figur, allerdings nicht um den Höcker auf ihrem Nasenrücken und ihre etwas zu lang geratenen Zähne. Es waren jedoch auch viele fremde Gesichter unter den Bewerberinnen auszumachen.

Ein weiteres Mädchen kam angerannt und stellte sich hinter Shanli in der Reihe an. Sie war jedoch nicht aus dem Ort gekommen, sondern aus dem Palast. Augenscheinlich musste sie eine Bedienstete sein. Shanli begrüßte sie mit einem scheuen Lächeln, welches umgehend erwidert wurde.

»Du bist die Bäckerstochter, die gestern die Süßigkeiten in den Palast brachte, nicht wahr?«

»Ja. Woher weißt du das?«, fragte Shanli freudig erstaunt, bis ihr der Grund einfiel, weshalb das Mädchen wissen konnte, wer sie war. »Oh, nein. Es hat sich schon herumgesprochen, dass ich die kleine, dicke Shanli bin, die dem Schah mit einem einzigen Keks fast das Gebiss zerlegt hat?«

Angesichts Shanlis ängstlicher Grimasse musste die Bedienstete laut lachen. »Was? Nein, ich habe dich in der Halle mit dem Korb gesehen, und der Diener sagte mir, dass du vielleicht die neue Hoflieferantin werden würdest.«

Shanli pustete laut erleichtert ihren Atem aus. »Ich dachte schon …«

»War das dein Ernst? Hat dein Keks wirklich Schah Parviz‘ Zähne beschädigt?«, wollte das Mädchen wissen.

»Äh, nein. Nein, das war nur ein Scherz«, erwiderte Shanli mit einem unechten Grinsen. Sie war doch nicht so dumm und würde selbst für die Gerüchte über sich sorgen.

»Ich bin Simin, die Tochter des Wesirs. Außerdem arbeite ich als Aazars Zimmermädchen.«

Shanli betrachtet Simin genauer. »Dein Vater ist Ziar?«

»Ja, und das ist nicht immer ein Zuckerschlecken, glaub mir.«

Unglaublich, dass das hübsche Ding die Tochter des kahlköpfigen Wesirs sein sollte, dessen Gesicht einen in Angst und Schrecken versetzen konnte. Dies lösten entweder seine tiefen Narben oder sein gewaltiger Schnauzbart aus. Ja, es lag wohl eher an seinem gezwirbelten Schnauzer, denn dessen Ausmaße und Ebenmäßigkeit grenzten schon an Zauberei. Das haarige Teil war ihr einfach unheimlich. Simin dagegen zählte zu jenen Menschen, die man auf Anhieb gern haben musste. Sie war nicht außergewöhnlich schön, aber sie besaß eine Natürlichkeit, die sie von innen heraus strahlen ließ. Ihr Lächeln war herzerfrischend. Und all dies machte sie so einnehmend. Bestimmt auch für Parviz. Es war zum Heulen!

»Wieso denn das? Liegt es an seinem Schnauzer?«, fragte Shanli.

Simins Lachen klang glockenhell durch die Luft. »Shanli, du bist wirklich witzig. Nein, er wollte nicht, dass ich dem Schah meine Hand anbiete. Er ist davon überzeugt, dass Parviz mich ablehnt und diese Schmach ihn für immer und ewig verfolgen würde.«

»Oh!«

»Ja, du sagst es«, nickte Simin und rückte dichter an Shanli heran. »Dabei bin ich über beide Ohren in Parviz verliebt. So wie alle hier wahrscheinlich!«

Betroffen verzogen sich Shanlis Lippen, als sie stumm bejahte. Die Mädchen unterhielten sich und schwärmten über Parviz‘ Vorzüge, während Shanli in der Schlange langsam vorrückte. Stück um Stück wurde die Reihe vor ihr kürzer, und immer wieder liefen weinende Mädchen an ihnen vorbei, deren Bewerbung abgewiesen wurde. Irgendwann standen sie im Gang vor der Tür zum Iwan, wo Parviz die Audienzen abhielt. Nisra ging hinein, und Shanlis Magen beschloss spontan, sich zu verknoten. Würde Parviz die Metzgerstochter in die engere Auswahl nehmen?

Für Shanli fühlte es sich an, als wäre nur ein Augenblick vergangen, als Nisra wieder herauskam. Sie versuchte, ihr Gesicht hinter den Händen zu verbergen. Doch ihr lautes, herzzerreißendes Schluchzen war nicht zu überhören. Ohne sich umzuschauen, rannte das Mädchen aus dem Palast. Shanlis Knie wurden weich wie Reismehlpudding. Die arme Nisra!

Dann kamen die nächsten Mädchen an die Reihe. Mit ihren hellbraunen Mähnen hoben sich diese Bewerberinnen von den restlichen ab, die so gut wie alle schwarzhaarig waren. Seltsamerweise kamen diese mit einem euphorischen Lächeln wieder aus dem Saal heraus und verkündeten jedem, auch denen, die es nicht wissen wollten, dass sie der Schah in den engeren Bewerberinnenkreis gewählt hatte.

Simin sah Shanli herausfordernd an. Grimmig fragte sie: »Hast du auch den Verdacht, dass Parviz sich nur Frauen aussucht, die seinen Schönheitsvorstellungen entsprechen? Offensichtlich steht er auf helle Haare.«

»Ja«, erwiderte Shanli bitter. »Wie beinahe alle Männer in Al Hurgha.«

Dann war Bitu an der Reihe. Die Tochter des Schneiders zog laut die Luft ein, bevor sie die Audienzhalle betrat. Shanli glaubte, bereits zu ahnen, was passieren würde. Als einen Moment später Bitu wieder lautstark die Tür hinter sich schloss, war ihre Miene regungslos. Shanli hätte sie am liebsten geschüttelt, um von ihr einen Anhaltspunkt zu bekommen, wie die Audienz ausgegangen war. Aber Bitus energische Schritte und ihr wütendes Schnauben ließen bei Shanli den Verdacht aufkommen, dass sie nicht gut verlaufen sein konnte.

Schließlich wurde Shanli die Tür zur Audienzhalle geöffnet. Ein Engegefühl zog in ihre Brust ein, und sie bemühte sich, weiterzuatmen.

Als Simin ihr »Viel Glück!« zuflüsterte, drehte sie sich seufzend nach ihr um.

»Danke«, wisperte Shanli und schritt über die Schwelle.

Parviz und seine Mutter saßen in zwei üppig verzierten Thronsesseln. Während der Wesir und ein weiterer Mann, der augenscheinlich ein Schreiber war, mit gelangweilten Gesichtern neben ihnen ihre Plätze eingenommen hatten.

Die Miene des Schahs heiterte sich auf, als Shanli näher kam.

»Ah, die Bäckerstochter. Bringst du mir heute deine versprochene Leckerei, die mich alles vergessen lassen soll? Das ist aber nett.«

Shanli kniete nieder. »Ich möchte Euch nicht nur mein Gebäck anbieten, Schah Parviz, sondern auch meine Hand.«

»Was?«, lachte er ungläubig.

Trotz ihres galoppierenden Herzens sprach Shanli es erneut aus. Vielleicht hatte er sie nicht verstanden.

»Ich möchte mich als Eure Braut bewerben.«

Indessen der Wesir und Aazar sie mit stoischer Miene beäugten, prustete der Schreiber leicht vor sich hin.

Parviz jedoch lächelte sie gutmütig an. »Oh, Shari, wie kommst du denn dazu?«

Verwirrt blickte Shanli zu ihm auf. »Nun Ihr … ich dachte … Ihr wart so freundlich zu mir, und ich dachte, dass …«