Kevin Brooks / Catherine Forde

I see you Baby …

Aus dem Englischen von
Uwe-Michael Gutzschhahn

Deutscher Taschenbuch Verlag

Über Kevin Brooks / Catherine Forde

© dtv/Beatrice Habersaat

Kevin Brooks, geboren 1959, wuchs in einem kleinen Ort namens Pinhoe in der Nähe von Exeter/Südengland auf. Er studierte in Birmingham und London. Sein Geld verdiente er lange Zeit mit Gelegenheitsjobs. Seit dem überwältigenden Erfolg seines Debütromans ›Martyn Pig‹ ist er freier Schriftsteller. Für seine Arbeiten wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

 

Catherine Forde, geboren und aufgewachsen in Glasgow, studierte Englische Literatur und Sprache. Nach Jobs als Lehrerin und Lexikografin arbeitet sie seit 2001 als Schriftstellerin. Seit 2008 schreibt sie vornehmlich Theaterstücke.

 

Uwe-Michael Gutzschhahn, geboren 1952, studierte deutsche und englische Literatur in Bochum und lebt als Übersetzer und Autor, Herausgeber und freier Lektor in München. Er hat alle auf Deutsch erschienenen Bücher von Kevin Brooks übersetzt.

Über das Buch



Zwei Fremde. Zwei VIP-Pässe. Und ein unglaubliches Wochenende.

Sally hat genug. Von ihrem Job, ihrer Chefin und ihrem Leben.

Keith stinkt es auch. Seine Freunde haben ihn versetzt und er ist auf dem Weg zum ROCK OUT Festival. Allein.

Da beschert das Schicksal sowohl Sally als auch Keith ROCK OUT Backstage-Pässe. Allerdings unter fremden Namen. Als sie sich treffen, passt einfach alles. Doch wie lange noch?

Impressum

Von Kevin Brooks sind bei dtv junior außerdem lieferbar:

Martyn Pig

Lucas

Candy

Kissing the Rain

The Road of the Dead

Being

Black Rabbit Summer

Killing God

iBoy

Live Fast, Play Dirty, Get Naked

Bunker Diary

Travis Delaney. Was geschah um 16:08?

Travis Delaney. Wem kannst du trauen?

Johnny Delgado. Im freien Fall

Johnny Delgado. Der Mörder meines Vaters

 

 

Weiterhin bei dtv:

Schlafende Geister

Bis es dunkel wird

Gefangen im Nichts

 

 

Deutsche Erstausgabe

2015 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

© 2005 Kevin Brooks und Catherine Forde

Titel der englischen Originalausgabe:»I See You Baby …«,

2005 erschienen bei Barrington Stoke Ltd, Edinburgh

© der deutschsprachigen Ausgabe:

2015 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Lektorat: Britt Arnold

Umschlagkonzept: Balk & Brumshagen

Umschlaggestaltung: Katharina Netolitzky

 

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

eBook-Herstellung im Verlag (01)

eBook ISBN 978-3-423-42882-8 (epub)

 

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher

finden Sie auf unserer Website

www.dtv.de/ebooks

ISBN (epub) 9783423428828






Für Anna

Sally Mack

Wieder so ein Samstag

Super. Wieder so ein Samstag.

Genau das war mein Gedanke.

Ich arbeite von acht Uhr früh bis fünf Uhr nachmittags im Imbiss von Tante Rena, dem Last Stop Caff.

Da dreh ich jedes Mal fast durch.

In meinem Nylon-Outfit komm ich mir so klebrig vor wie Tante Renas Doughnuts aussehen.

Ich koche Kaffee.

Tee.

Ich schneide Kuchen auf.

Ich versuche, mir nicht die Finger abzusäbeln.

Oder in aller Öffentlichkeit die Krümel aufzulecken.

Ich serviere Sandwiches.

Ich wische Tische ab.

Ich versuche, über keine Einkaufstüten zu stolpern.

Ich bringe Suppe.

Ich verschütte sie …

Ich bin so tollpatschig, dass ich dauernd irgendwas verschütte … über meine Hände oder den Rock einer Frau oder die Hose von irgend so einem Typen …

Sobald ich etwas Heißes über irgendwem verschütte, kommt Tante Rena angerannt und wischt das Unheil auf. Total hektisch und aufgeregt.

»Oje oje! Mach eine Pause, Sally«, sagt sie zu mir und scheucht mich nach hinten in die Küche.

Wenn man hört, wie freundlich Tante Renas Stimme klingen kann, denkt man glatt, sie wär:

  1. meine richtige Tante, nicht nur eine alte Freundin meiner Mum, oder

  2. nicht die Spur sauer auf Sally Mack, ihre kleine tollpatschige Sklavin.

Aber Tante Rena ist jedes Mal sauer, wenn ich Sachen verschütte. Sie brodelt geradezu. Wenn sie sagt: »Mach eine Pause, Sally«, heißt das im Klartext: »SALLY MACK! DU DÄMLICHER KLOSS AUF BEINEN! PASS GEFÄLLIGST AUF ODER DU BIST GEFEUERT

Sobald sich Tante Rena um ihren verbrühten Gast gekümmert und ihm zur Entschuldigung ein kostenloses Essen angeboten hat, kommt sie nach hinten in die Küche gestampft und macht mich zur Sau.

»Sally Mack, ich warne dich zum letzten Mal.« Keif, keif, keif.

Jeden Samstag.

Danach folgt die Strafe für die dämliche Sally Mack.

Tante Rena lässt mich die Imbiss-Toiletten putzen. Eine von den Toiletten ist immer verstopft. Und alle stinken.

Super. Wieder so ein Samstag.

Genau das dachte ich, als ich mit der Klobürste in der Schüssel der Herrentoilette rumputzte. Igitt! Ich versuchte nicht hinzugucken, an was ich da gerade herumschrubbte. Ich versuchte auch nicht zu atmen. Die Luft da drinnen war das reinste Gift.

Mann, wenn ich doch bloß den dämlichen Job bei Tante Rena hinschmeißen könnte.

Am liebsten würde ich jetzt sofort in ihren Imbiss marschieren. Ich würde Tante Rena das dreckige Ende der Klobürste in die Hände drücken und das rosa Nylon-Outfit ausziehen.

Und dann würde ich zur Abwechslung mal Tante Rena zur Sau machen.

»Du musst mich gar nicht feuern, ich geh freiwillig. Ich brauch deinen dämlichen Job nicht mehr«, würde ich sagen.

Und dann würde ich mit erhobenem Kopf rausmarschieren. In die Sonne. Oder noch besser: zum Busbahnhof nebenan. Und ich würde mir eine Fahrkarte zu was Besserem als dem hier kaufen.

Das würde ich machen. Auf der Stelle. Alles verändern. Verbessern. Wenn ich nur diesen dämlichen Job nicht so absolut dringend bräuchte.

Aber ich brauch ihn.

Ich spar, um mein eigenes Ding aufzuziehen. Punkige, funkige abgeschnittene T-Shirts aus alten Klamotten machen. Doch dafür brauch ich eine vernünftige Nähmaschine. Und Tante Renas dämlichen Job, um das Geld dafür zusammenzukriegen.

Das Leben ist echt unfair. So unfair wie Tante Rena.

Denn heute hab ich überhaupt nichts Heißes auf dieses dämliche Mädchen verschüttet.

Bloß ein paar Spritzer sind auf ihrem unförmigen Rucksack-Trumm gelandet.

Der sowieso wasserdicht war.

Ich hab sofort gesagt: »Tut mir leid. Tut mir leid, ich wisch es weg.«

Aber das Girlie hat so einen Aufstand gemacht …

»Dämliche Kuh«, hat sie gebrüllt, so überheblich und scheiß LAUT, dass ich wetten könnte, selbst Tante Renas taube Gruftis an den anderen Tischen konnten es hören. Denn alle im Imbiss drehten sich plötzlich um und starrten mich an. Und dann wurde die Stimme von diesem Girlie auf einmal super weinerlich.

»Mein Rucksack ist total durchnässt«, jammerte sie. »Ich kann doch nicht mit einer nassen Tasche in den Bus nach Manchester steigen! Das absolute DE-SAS-TER! Meine ganzen Klamotten fürs Wochenende sind da drin. Alles hin. Jetzt kann ich nicht aufs Rock Out. Ich hab eine Freikarte und alles. Die sollten dich feuern für deine Tollpatschigkeit.«

Sally Mack

Rucksack-Girlie

»Ach, Miss. Ihr wunderschöner Rucksack ist ja ganz durchnässt. Diese Sally ist wirklich die schlimmste Kellnerin, die ich je in meinem Bistro hatte …«

Tante Rena hampelte immer noch um das Mädchen herum. Ich war inzwischen mit dem Putzen der ekligen Toiletten fertig und wieder zurück im Imbiss hinter dem Tresen. Tante Rena meinte wahrscheinlich, das Girlie mit seinem Rucksack würde ihrem Laden Klasse verleihen. Sie versuchte auf einmal ganz vornehm zu klingen. Wie konnte sie ihren schäbigen Imbiss bloß Bistro nennen? Wenn der Last Stop ein Bistro ist, dann bin ich ein Klon von J. Lo!

Tante Rena, du machst dich lächerlich, dachte ich und wünschte, ich könnte mich aus dem Staub machen.

Ich wünschte, ich könnte mich irgendwie zum Rock out-Konzert schmuggeln. Den Job schmeißen. Dann würde ich für zwei Tage die ganze Scheiße hier auf dem größten Open-Air-Festival dieses Sommers vergessen …

Aber Tante Rena entdeckte mich. »Sal-liii!!!«, brüllte sie. Sie zwang mich, dem Rucksack-Girlie und ihren Freundinnen drei riesige Milchshakes aufzutischen. Diese Milchshakes werden mit Zuckerstreuseln, Schokoflocken, Kirschen und goldfarbenen Strohhalmen serviert. Es ist das, was in diesem schäbigen Imbiss dem Wort »vornehm« noch am nächsten kommt.

»Geht für die drei jungen Damen aufs Haus, Sally«, sagte Tante Rena immer noch in diesem aufgesetzt vornehmen Ton. Sie achtete darauf, dass das Rucksack-Girlie und ihre Freundinnen es auch ja hörten.

Das, was mir Tante Rena mit ihrer gewohnten Pitbull-Stimme entgegenknurrte, hörten die drei natürlich nicht. »Und ich zieh dir dafür neun Pfund von deinem Lohn ab, Sally Mack!«

Niemals! Die Scheißknete in diesem beschissenen Job war das Einzige, was mich hier durchhalten ließ. Jetzt musste ich mich wegen so einer hysterischen Zicke neun Stunden abschuften … fast für lau! Das war absurd. Ich schäumte Milch auf und starrte dabei das Rucksack-Girlie an, das mich voll reingeritten hatte, bloß wegen ein paar Tropfen Kaffee.

Es schien, als ob Rucksack-Girlie das absolute DE-SAS-TER längst vergessen hatte. Sie war jetzt viel zu sehr damit beschäftigt, mich zu beobachten. Ihre Augen folgten jeder Bewegung, die ich machte. Davon wurde ich noch tollpatschiger. Mit lautem Geklirr fiel mir ein Löffel runter. Mir schwappte die Milch über die Hände – und klatsch! auf den Boden.

Ich konnte sehen, wie Rucksack-Girlie ihre Freundinnen anstieß. Sie wollte, dass sie mich auch anstarrten. Ihr Gesicht hatte etwas Bösartiges, selbst dann, wenn sie lachte.

»Sal-liii!«, sang Rucksack-Girlie höher, lauter und lächerlicher als Tante Rena.

»Sal-liii

»Sal-liii! Sal-liii!«, fingen jetzt auch ihre Freundinnen an. Sie klangen wie drei durchgeknallte Katzen.

»Hey, wenn ich die Kellnerin wär, würde ich den Namen Sal-liii in Graue Maus ändern«, kicherte eine der Freundinnen. Sie wedelte mit ihrer Hand in meine Richtung, während ich die Milchshakes durch den Imbiss trug.

»Nee, Pippa. Ich würd mir ’nen Sack über den Kopf ziehen«, johlte die andere.

Inzwischen stand ich neben dem Ellenbogen von Rucksack-Girlie. Während ich das Tablett auf ihrem Tisch abstellte, schaute sie an mir hoch und runter. Hoch und runter.

»Wenn ich diese Kellnerin wär«, sagte sie, »würd ich's einfach sein lassen und sterben