Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch die Berthold Leibinger Stiftung.

© 2015 Klöpfer und Meyer, Tübingen.

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-86351-510-2

Umschlaggestaltung: Christiane Hemmerich

Konzeption und Gestaltung, Tübingen.

Herstellung: Horst Schmid, Mössingen.

Satz: CompArt, Mössingen.

Gesetzt aus der Adobe Caslon Pro.

Mehr über das Verlagsprogramm von Klöpfer & Meyer finden Sie unter www.kloepfer-meyer.de

INHALT

EINFÜHRUNG

Burckhard Dücker: ›Wes Erbe bin ich?‹

Christian Wagner – Dichter der Moderne

FRÜHE GEDICHTE

»SONNTAGSGÄNGE«

»NEUER GLAUBE« (1894)

GEDICHTE

Aus »Sonntagsgänge« (1885, 1887, 1890)

Aus »Weihegeschenke« (1893)

Aus »Neue Dichtungen« (1897)

Aus »Späte Garben« (1909)

Gedichte aus der Heimat

ERZÄHLUNGEN

Eine Katzengeschichte (1901

Der Jerusalemsbruder (1909)

Eine Weihnachtslegende (1914)

ESSAYS

Eigentum (1902)

Seelische Fühlung (1910)

Grausamkeiten bei der Viehzucht (1911/12)

Philosophische Wahrheiten (o.D.)

AUTOBIOGRAPHISCHE AUFZEICHNUNGEN

Aus meinem Leben (1892, 1902, 1909)

Von Stuttgart nach Genua.

Eine kleine Reisegeschichte (1897)

Letzte Aufzeichnungen

FRÜHE KORRESPONDENZ (1878–1886)

AUSGEWÄHLTE BRIEFE (1890–1916)

ÜBER WAGNER UND SEIN WERK

VERZEICHNIS DER GEDICHTTITEL UND -ANFÄNGE

Christian Wagner

Ein Stück Ewigkeitsleben

Christian Wagner

Ein Stück Ewigkeitsleben

Ein Lesebuch, eine Werkauswahl

Herausgegeben von Axel Kuhn

Eingeleitet von Burckhard Dücker

KLÖPFER & MEYER

Einführung

BURCKHARD DÜCKER

›Wes Erbe bin ich?‹

Christian Wagner – Dichter der Moderne

1. Einleitung

Christian Wagner (1835–1918) hat sich während der langen, literarisch produktiven Phase seines Lebens von ca. 1860 bis kurz vor seinem Tod zu keiner der in diesen Jahren besonders zahlreichen literarischen Formationen und Dichtergruppen mit ästhetisch-sozialer Programmatik bekannt, deren Bezeichnungen von Literatur- und Kulturwissenschaft als Epochen- bzw. Richtungsbegriffe akzeptiert worden sind. Auch hat er sich diesen ›Bewegungen‹ durch seine literarischen Texte nicht zugeschrieben, so dass er nicht zu Mitarbeit oder Teilnahme aufgefordert worden ist. Daher sind als literaturgeschichtliche Verständigungsrahmen für Wagner und seine Werke weder Realismus noch Naturalismus, weder Impressionismus noch Symbolismus oder Fin de Siècle und Ästhetizismus legitimiert, ebenso wenig Jugendstil oder eine der zu seinen Lebzeiten in Erscheinung getretenen historischen Avantgarden (Expressionismus, Futurismus, Dadaismus) und auch nicht die Berliner oder Wiener Moderne. Desgleichen scheiden Konzepte wie Neoromantik oder Neoklassik als Referenzbegriffe für Wagner aus. Auch dem impliziten kunstreligiösen Anspruch mehrerer dieser Bewegungen folgt Wagner nicht. Ebenso bietet der Herausgeber einer Dokumentenbiographie Paul Ernsts (1866–1933), der von einer »um 1900 einsetzenden Stilwende […] als Übergang von einer Kunst der Einfühlung und der Impressionen zu einer Kunst der Abstraktion, der Konstruktion und des Ausdrucks« (Kutzbach 1972, 9) spricht, keine auf Wagner passende Rubrik.

Dennoch scheint die Diagnose zutreffend, dass der Dichter Christian Wagner zum ›literarischen Feld‹ (Pierre Bourdieu) der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert originär dazu gehört, weil er den konstitutiven Feldmerkmalen – freilich auf eine individuelle Art – durchaus entspricht.1 Nicht nur veröffentlicht er seine Werke vor allem in den beiden ›langen‹ Jahrzehnten vor und nach 1900, denen allgemein das Attribut der Herausbildung der literarischen Moderne zugeschrieben wird, sondern Moderne prägt sich für ihn in seinen Werken als Angebote neuer Lebensformen aus, deren Gemeinsamkeit die Absage an literarische und sozialprogrammatische Partikularismen im Namen eines elementaren ökologisch-naturgeschichtlichen und religionsphilosophischen Ansatzes ist. Zur Moderne gehört Wagner, weil er von der Basis seines Leitsatzes der »möglichsten Schonung des Lebendigen« die Einheit von Natur und Kultur im Begriff der ›Wiederverkörperung‹ begründet, einer komplexen Kategorie, die unterschiedliche literarische Positionen verbindet und auch in Aufzeichnungen psychisch Kranker eine Rolle spielt. Wagners Forderung nach Anerkennung des Lebensrechts alles Lebendigen, wozu er Menschen, Tiere, Pflanzen, wohl auch – scheinbar – unbelebte Naturphänomene wie Steine zählt, bildet Zentrum und systematischen Referenzpunkt seiner umfassenden lebensphilosophischen Programmatik. Im je einzelnen Lebewesen sieht Wagner ein Konglomerat aus Atomen nicht identifizierbarer anderer Wesen und deren Traditionen. Daher reflektiert er sich als Erbe, der etwas erhalten hat, dessen Zustand er nach Möglichkeit zu optimieren und weiterzugeben hat. Demnach ist der einzelne das Ergebnis eines nicht zu konkretisierenden Zusammenspiels je historischer (diachroner) und zeitgenössischer (synchroner) Koordinaten. Er tritt als einmalige Konfiguration von Erbetraditionen aus der ›anonymen Geschichte‹2 hervor, indem er seine Sicht der Dinge gestaltet und sich als Subjekt der Weltdeutung sichtbar macht, Teilhabe und Teilnahme gehören zusammen. Wagner koordiniert diese Voraussetzungen im Entwurf einer literarischen Erinnerungstheorie als Anleitung sozialer Praxis. Ob das am Beispiel Wagners generierte literatur- und kulturgeschichtliche Wissen eine Veränderung der Literaturgeschichte der Jahrhundertwende – Reduktion der Bedeutung der kanonisierten ›Bewegungen‹, angemessene Berücksichtigung der darin nicht vertretenen ›freien‹ Autoren – anregen kann, werden weitere Forschungen zu zeigen haben.

Versuchen wir, uns den Bauern Christian Wagner zu vergegenwärtigen, der in Feldern und Wäldern seiner dörflichen Umgebung unterwegs ist, der stehen bleibt, um Lebensprozesse auf Wiesen, Waldlichtungen oder in Bäumen wahrzunehmen, der sich der Detailbeobachtung bestimmter Pflanzen, Blumen und Insekten widmet und dann – plötzlich – Muster von Symbiosen und Ordnungen erkennt. Aus dieser Wahrnehmung der Natur als Ereignis- und Symbolraum folgt für den Dichter Wagner die Anforderung, das Beobachtete und dessen zweite, symbolische Bedeutung literarisch zu gestalten, in Sprache zu übersetzen. So transportieren Wagners Blumen- und Naturgedichte wie etwa ›Der blühende Kirsch- oder Apfelbaum‹ und ›Auf der Lichtung‹ als Gestaltungen natürlicher Welten einen symbolischen Mehrwert, der als neue Möglichkeit, Obstbäume, Blumen oder Waldlichtungen wahrzunehmen und zu deuten, definiert werden kann. Wer dieses Deutungsangebot akzeptiert, wird beim Anblick blühender Obstbäume nicht den wahrscheinlichen Ertrag berechnen, sondern diese Bäume als Zeichen einer anderen Welt sehen gemäß dem Diktum von Wilhelm Lehmann (1882– 1968), der von »Dichtung […] als der einzigen zweiten Welt der hiesigen« (Lehmann 1982, 7) spricht. Damit ist der grundsätzliche Bezug der zweiten literarisch-symbolischen Welt zur ›hiesigen‹, realen, ersten Welt immer schon definiert: Ein literarischer Text fügt den eingespielten Wahrnehmungsformen der Welt, den sozialen Beziehungen und Konflikten eine neue hinzu, er bereichert die Welt, wenn sein Deutungsangebot akzeptiert wird, weil es auf ein Defizit des Weltverstehens hinweist, indem es dieses zugleich ausfüllt. Wagner verbindet verschiedene Naturphänomene zu Szenen von Naturtheater, wobei er der zeitlichen und räumlichen Dynamik der Abläufe in der Statik des Aufgeschriebenen neue Lebendigkeit und Anspruch auf Akzeptanz als sozial verwendbare Auslegungsangebote verschaffen muss. So wie die Maler von Barbizon bei Paris von 1830 an die ›plein air Malerei‹ als moderne, sozial angemessene Form des Naturzugangs propagieren und praktizieren, weil mit der tatsächlichen Beobachtung realer Landschaften (autoptisches Verfahren) als Gegenstände der Malerei anstelle ›bloß‹ akademischer Ideallandschaften gleichsam Forderungen moderner Wissenschaft in die Kunst übertragen würden, gründet Wagner seine literarischen Hervorbringungen auf die Leitpraktiken moderner Experimentalwissenschaft wie Beobachtung, Analyse, Darstellung, was seine körperliche Präsenz bei der Informationsaufnahme voraussetzt. Das, was er gestaltet, hat er gesehen.

Wagner ist ein selbstreflexiver Autor, der seine literarischen Weltauslegungsangebote ideengeschichtlich fundiert und praxisorientiert kommentiert, der Gedichte in einen beschreibenden ersten und einen programmatisch reflexiven, anwendungsbezogenen zweiten Abschnitt einteilt (z.B. ›Syringen‹, ›Spätes Erwachen‹), der Suchbewegung, Möglichkeiten, das Unverfügbare durch die ausschließliche Verwendung von Fragesätzen ausdrückt wie im Gedicht ›Wiederverkörperung‹. Mit seinen Texten ist er in den Gattungen Lyrik, Prosa, Dramatik vertreten und hat darüber hinaus auch situationsbezogene Gelegenheitsarbeiten geschrieben. In seinen Texten ist nicht von Alkoholismus, Prostitution oder Degeneration die Rede, nicht von Milieu, Determination und Vererbung, wohl aber – womöglich als Wirkung des von Nietzsche geprägten Zeitgeistes der Jahrhundertwende – von neuer Ordnung, Authentizität und Entwicklung zu einer höheren Stufe ethisch fundierten Lebens, was er mit dem um die Jahrhundertwende verbreiteten Konzept der ›Veredelung‹ gestaltet.

Obwohl er – abgesehen von Reisen in die Schweiz, nach Italien, an den Rhein, in Württemberg – sein ganzes Leben im Dorf Warmbronn verbringt, lebt er keineswegs in einer Dorfidylle. Er zieht sich nicht zurück, sondern öffnet sich vielmehr für die Welt, indem er in Ereignissen im Dorf je aktuelle ›große‹ Themen und Problemstellungen erkennt. So setzt er sich für die gastliche Aufnahme von ›Zigeunern‹ ein (Wagner 2014, 21; Dücker 2013, 105), fordert die Verpflichtung zur Betreuung italienischer Gastarbeiter, auch nachdem diese ihren Arbeitsauftrag abgeschlossen haben (Wagner 2014, 32), kommentiert den Auftritt von Politikern im Wahlkampf, kritisiert »Knechtssinn und Bedientenhaftigkeit«, engagiert sich für Pazifismus gegen den Krieg, bekennt sich zur Notwendigkeit von Tierethik,3 plädiert für Vegetarismus und gegen Vivisektion. Allerdings nimmt er auch geschäftliche Konflikte mit jüdischen Händlern zum Anlass für antisemitische Äußerungen. Seine Zugehörigkeit zur Moderne und sein Aktualitätsbezug zeigen sich nicht als literarische Gestaltung je wechselnder Tendenzen oder Moden, sondern in der Reflexion auf die fundamentalen Zusammenhänge von Natur und Kultur sowie auf die Notwendigkeit von deren Einheit gegen Prozesse gesellschaftlicher Fragmentierung und Subjektivierung je nach speziellen Interessen. Auch fragt er in Notizen zum zweiten Teil von Neuer Glaube ähnlich wie Hofmannsthal im Chandos-Brief (1902) nach der Beschaffenheit der Sprache, all dies abzubilden. »Das Unvermögen der Sprache: Gott, wie empfinde ich so schwer die Armut der menschlichen Sprache […] Ach, nur ein Schwarzstift ist mir Armen einzig zu Handen« (CWG-Archiv). Wagner erfüllt die Funktion eines Zeitzeugen, seine literarischen Weltauslegungsangebote die zeitgeschichtlicher Kommentare.

Betrachtet man Wagners zu Lebzeiten veröffentlichte Werke, so überwiegen bezüglich Quantität und Kontinuität der Produktion lyrische Formate, wie sie in Märchenerzähler, Bramine und Seher (1885) vorliegen,4 das 1887 in Sonntagsgänge I und damit zum ersten Teil der gleichnamigen Trilogie umbenannt wird, dem im selben Jahr die Sonntagsgänge II und 1890 die Sonntagsgänge III folgen. Danach erscheinen die Gedichtbände Weihegeschenke (1893), Neue Dichtungen (1897), Späte Garben (1909) und Italien in Gesängen (1912). Seine fundamentale Programmatik der Gleichberechtigung alles ›Lebendigen‹ erscheint in der didaktischen Form des Katechismus unter dem Titel Neuer Glaube (1894).5 Als Erstlingswerk gilt der historische Roman Schloss Glemseck (ca. 1860 entstanden, 1877 als Fortsetzungsroman in dem ›Glems- und Filderboten‹); im Spätwerk Eigenbrötler (1915) nimmt Wagner die Prosaform in einer Reihe von Erzählungen über ›Originale‹ Warmbronns noch einmal auf.

Viele seiner Texte sind als Manuskripte erhalten und werden nach und nach veröffentlicht. Dies gilt für zwei seiner drei Schauspiele; Abi Melech (1865) und Die Raben des Sonntagskindes (1904) sind 1998 veröffentlicht worden, während das dritte Stück Der Meister. Bruchstücke zu einem Drama (wohl im Zusammenhang mit Neuer Glaube Anfang der 1890er Jahre entstanden) noch unveröffentlicht ist.6 Hinzu kommen autobiographische Aufzeichnungen Aus meinem Leben (Erstveröffentlichung [E] 1984/85), Texte von seinen Italienreisen (E 2010), essayistisch-feuilletonistische Gelegenheitsarbeiten Schonung alles Lebendigen (E 2014), schließlich mit den Haushaltsbüchern (E 2016) eine ökonomisch ausgerichtete Form des Tagebuchs, das Einnahmen und Ausgaben sowie deren Verwendungszwecke verzeichnet. Als ortsgeschichtliche Rarität darf die Chronik Häuser in Warmbronn (1887) gelten, die Lage, Besitzer und Mieter – häufig mit Angaben zu Beruf und Familienstand – sowie Wohnungsaufteilungen aller Häuser verzeichnet (E 2012).7

Des Weiteren liegen zahlreiche Ansichtskarten und z.T. umfangreiche Korrespondenzen vor, z.B. mit Richard Weltrich (E 2011), Magnus Schwantje (E 2002), Georg Finkbeiner (E 1980), Paul Dörr, Tony Schuhmacher (E 2015),8 Heinrich Vierordt, dem Ehepaar von Suttner (S. 368ff), Hermann Hesse (E 1977), der Kusine Sofie Weeber (Kuhn 2015), Karl Gerok, Otto Umfrid (S. 372f). Auch zahlreiche Fotografien sind erhalten, darunter repräsentative Porträtstudien, die Wagners ›Bild‹ als Dichter prägen, Familienfotos mit seinen Kindern, Fotos mit seinen Tieren, die seine individuelle Programmatik der ›Schonung des Lebendigen‹ dokumentieren, schließlich jene dichterspezifischen Aufnahmen mit Einzelbesuchern und Besuchergruppen im Dichterhaus.

Nimmt man die Berichte jener Schriftsteller und Intellektuellen hinzu, die Wagner in Warmbronn besucht oder seine persönliche Bekanntschaft gemacht haben wie z.B. Gustav Landauer, Heinrich Vierordt, Bruno Wille, Hermann Hesse, weiterhin die Rezensionen und systematisch angelegten wissenschaftlichen Arbeiten9 sowie Wagners Lesereisen, seine mäzenierten Italienreisen, die Stipendien der Schiller-Stiftung Weimar, der Stuttgarter Zweig Schiller-Stiftung und des württembergischen Königs sowie seine Auszeichnung mit dem Literaturpreis des Frauenbunds zur Ehrung rheinländischer Dichter (1912), dann scheint Wagner zielstrebig, wenn auch nicht mit dem erwünschten literarischen und literaturgeschichtlichen Erfolg, den Aufbau eines Netzwerks in der Absicht betrieben zu haben, sich als Dichter im literarischen Feld der Moderne zu positionieren. Zu dieser Strategie, sich einen Namen zu machen, gehört der Druck der ›Wagner-Postkarte‹, die um ein ovales Porträt Wagners in der Mitte oder am linken Rand kleinformatige Ansichten Warmbronns oder eine einzige Panoramafotografie des Dorfs zeigt. In seinen Haushaltsbüchern erwähnt Wagner häufig Nachbestellungen dieser Ansichtskarten (100 oder 200 Stück), mit denen er einen Großteil seiner Korrespondenz bestreitet. Zu dieser Strategie gehört auch die systematische Sammlung von Rezensionen10 und anderen Veröffentlichungen zu eigenen Texten.

Obwohl Christian Wagner bis heute zu den eher unbekannten Dichtern gehört, in zahlreichen Literaturgeschichten nicht erwähnt wird11 und seine Werke nur wenig beforscht worden sind, ist er seit seinem Tod 1918 niemals vollständig vergessen gewesen.12 Wie zu Lebzeiten so hat sich auch nach seinem Tod die komplementäre Opposition von Peripherie (Provinz, Dorf) und Zentrum (Metropole, Großstadt) publizitätsfördernd für seine Werke ausgewirkt. Immer wieder sind – nicht nur – in Württemberg Artikel und Aufsätze anlässlich Wagners Geburts- und Todestag erschienen,13 haben sich Schriftsteller und Politiker wie Theodor Heuss zu Wagner geäußert. Seit der Gründung der Christian-Wagner-Gesellschaft 1972 ist geradezu von einer zweiten Gegenwart Wagners zu sprechen.

Der vorliegende Auswahlband bringt einen Querschnitt durch das Werk Wagners und dazu eine Reihe unveröffentlichter und unbekannter Texte. Texte, die bisher verkürzt vorliegen, erscheinen hier ungekürzt bzw. ergänzt um die ausgesparten Abschnitte. Die Texte von Christian Wagner sind an den Handschriften (wenn vorhanden) überprüft worden; Transkriptionsfehler in früheren Veröffentlichungen wurden stillschweigend korrigiert.

2. Wagner und seine zweite Gegenwart

Dass Wagner zu Lebzeiten in keinen literarischen Kanon aufgenommen worden ist, hat weitgehende Deutungsoffenheit seiner Werke zur Folge, was wiederum seine intensive Teilnahme an kulturellen, intellektuellen, sozialen und literarischen Prozessen der Jahrhundertwende vom 20. zum 21. Jahrhundert mit begründet haben mag. Ausgelöst wird seine zunehmend produktive Zugehörigkeit zur Gegenwart dieser zweiten Jahrhundertwende durch die Geschichte der Rettung und Sanierung seines Eltern- und Wohnhauses wegen dessen »Gammelei vom Dachstock bis zum Keller« (Kunze 07.06.1973). So erfolgt seine Integration in die Literaturgeschichte der Gegenwart im literatur-, orts- und regionalgeschichtlichen Deutungsrahmen ›Dichterhaus‹ und motiviert zugleich die Gründung der Christian-Wagner-Gesellschaft (CWG) am 5. Februar 1972. Seit 1978 gibt die CWG die Jahresschriften als eigene Schriftenreihe heraus, die 1992 in Warmbronner Schriften (WS) umbenannt wird, ein neues Layout und aufwändigere Aufmachung erhält. Da das Archiv der CWG über umfangreiche und ständig wachsende Bestände an Korrespondenzen, Fotos und Dokumenten, an Büchern von und über Wagner verfügt, erscheint Wagner-Forschung ohne Benutzung des Archivs nicht aussichtsreich. Dieser institutionelle Rahmen verschafft dem Namen Wagner Referenzfunktion (Markenzeichen, Berufungsinstanz) für kulturelle, literarische und wissenschaftliche Bestrebungen. Wagners zunehmende Anerkennung spiegelt sich in der Bereitschaft bekannter Künstler und Spezialisten verschiedener Sachgebiete wider, Vorträge bei der CWG zu halten und diese dann als Warmbronner Schrift zu veröffentlichen.14 Weiterhin sind die regelmäßigen Autorinnen- und Autorenlesungen im Programm der CWG zu erwähnen wie überhaupt die vielfältigen Veranstaltungen im Wagner-Haus und an anderen Orten – hier vor allem die musikalischen Angebote – im Namen Christian Wagners. Zahlreiche Schriftsteller definieren ihr Verhältnis zur Bedeutung der literarisch-kulturellen und der zugehörigen materiellen Tradition als Verpflichtung für die Gegenwart über einen Beitrag zur Erhaltung des ›Dichterhauses‹ oder indem sie ihre Beziehung zu Wagners Lyrik und seinem Leitsatz der »Schonung des Lebendigen« reflektieren und kommentieren.15 Erwähnt wird er in Lebensgeschichten und Essaysammlungen, zu nennen ist das ›Geburtstagsbuch für Christian Wagner‹ zu seinem 150. Geburtstag 1985 mit der Gedichtzeile Es gibt Sonnen genug als Titel mit ehrenden Beiträgen zahlreicher Autoren.16

Prioritär für das Selbstverständnis literarischer Gesellschaften ist die Pflege von Werk und Andenken des Namenspatrons. So erscheinen Neuauflagen und Erstveröffentlichungen von Wagners Werken, darunter auch Gesammelte Werke (Keicher Hg. 2003); unbekannte literarische Texte, Archivbestände und Korrespondenzmaterial werden sukzessive auch in den Warmbronner Schriften veröffentlicht, seit 1992 wird alle zwei Jahre der Wagner-Literaturpreis verliehen, der von regionalen Unternehmen gesponsert und dessen Reden als Warmbronner Schrift dokumentiert werden.17 Seit 2007 findet in den Nichtpreisjahren eine wissenschaftliche Tagung zu Wagner-Themen im weiten Sinne statt.18 1995 wird der von Frei Otto (1925–2015) entworfene Wagner-Brunnen im Zentrum von Warmbronn eingeweiht, wo alljährlich zu Wagners Geburtstag (5. August) ein literarisches Dorffest, die ›Brunnenhocketse‹, gefeiert wird. Der ›Wagner-Pfad‹ (2003) erschließt die Landschaft des Dichters und macht an 12 Stationen mit seinen Gedichten bekannt. Literaturgeschichte muss immer auch Institutionengeschichte sein.

Überdies taucht Wagner zunehmend in aktuellen Diskurszusammenhängen auf (Dücker 2015, Vögele 2014, 2015); bisher unbekannte biographische Zusammenhänge werden aufgedeckt (Kuhn 2014, 2015; Weiser 2015). Insgesamt verfügt die zweite Gegenwart über erheblich mehr biographische Kenntnisse Wagners und breiteres Wissen seiner Texte als die lebensgeschichtliche erste Gegenwart. Differenzerfahrungen Wagners in seiner Zeit sind von Konsensmarkierungen und Integrationsprozessen zum ›Kosmos Wagner‹ abgelöst. Dass Wagner als Berufungsinstanz für lebensreformerische Positionen anerkannt ist, bestätigt ein Themenheft der Verbandszeitschrift Der Vegetarier (Nr. 1, Jan. 1976)19 das sich unter dem Aspekt der »Lebenserneuerung der Erinnerung an den von der weiten Öffentlichkeit vergessenen Christian Wagner« (3) widmet. Während Walter Helmut Fritz (1929–2010) 1978 seinen Artikel über Wagner mit dem Satz beginnt: »Man findet bei heute schreibenden Autoren selten Hinweise auf Christian Wagner« (Fritz 1978, 4), heißt es in aufstieg (Nr. 4, April 1978)20 zu Wagners 60. Todestag:

Christian Wagner hat es in den letzten Jahren wieder zu einiger Berühmtheit gebracht. Zeitungen und Rundfunk berichten fleißig vom Bauerndichter aus Warmbronn, das Schiller-Nationalmuseum in Marbach ehrte ihn durch eine Gedächtnisausstellung. […] Die Betrachtung Wagners ist nach wie vor zwiespältig: auf der einen Seite steht das halbgebildete Bauernmändle, […] auf der anderen Seite der Lyriker und Hohepriester, der […] krause und kunterbunte Seifenblasen fabrizierte. Hier soll der wirkliche Wagner gezeigt werden, wie er in seiner dörflichen Umwelt lebte und wirkte. (Schweier 1978, 1)

3. Aus meinem Leben: Vom Bauern zum Dichter

In seinem Lebensbericht erzählt Wagner, wie er den Übergang von der Lebensform Bauer als seinem Brotberuf zu der des Dichters als seiner Berufung vollzogen hat. Wagner wählt den schon von Goethe für dessen Lebensgeschichte verwendeten Titel Aus meinem Leben, der Untertitel ›Autobiographie des Bauern und Dichters zu Warmbronn‹ ist ein Zusatz des Herausgebers (E 1984/1985). Die Lebensgeschichte scheint eine Reaktion auf den Tod der zweiten Ehefrau am 25. April 1892 zu sein, um das Erbe des Gedächtnisspeichers zu sichern. Der Bericht besteht aus vier Teilen: 1. die Zeit bis zur zweiten Eheschließung (Manuskriptabschluss am 11.11.1892), 2. Jahre der zweiten Ehe (Manuskriptabschluss am 17.12.1892), 3. vom 10.12.1892 bis zum 19.12.1902, 4. vom 19.12.1902 bis zum 17.03.1909 (geplant).

Wagners Lebensbericht ist weder streng chronologisch aufgebaut noch systematisch auf zentrale Ereignisse oder Erfahrungen ausgerichtet. Erzählt werden vielmehr Einzelepisoden aus unterschiedlichen Lebensabschnitten, deren Rahmen und Referenzraum der Übergangsprozess von der Lebensform des Bauern zu jener des Dichters bildet. Am Anfang informiert Wagner über seine Herkunftswelt mit Geburtsdatum, Eltern, frühen Lebensereignissen wie den Revolutionsspielen (März 1848) und der Konfirmation (April 1849), über die Syringe im Garten, die Mitbewohner des Hauses, das ehemalige Gasthaus im ersten Stock und über den Geburtsort mit seiner waldreichen Umgebung, wobei die Wälder für das Kind das Ende der Warmbronner Welt markieren. Auch die Schule und Freizeitspiele werden erwähnt. Wagners schwächliche Konstitution lässt den Beruf des Lehrers nicht zu, auch ist die Finanzierung der Ausbildung durch die Eltern nicht möglich. Er berichtet von seinen Sonntagsgängen in den Wald, dem besonderen Interesse für Naturgeschichte und Pflanzenkunde. Des Weiteren erzählt er von seiner ersten Ehe (Hochzeit am 30. 11. 1865), dem Tod der vier Kinder und der Ehefrau (1870) sowie seiner Mitarbeit beim Eisenbahnbau.

Im ersten Teil der Lebensgeschichte dominieren eindeutig Berichte von Alltagsanforderungen und Erwerbsleben. Gleichwohl zeigt sich als Subtext, nach dem offenbar Auswahl, Umfang und Intensität der Inszenierung der einzelnen Szenen bestimmt sind, die Annäherung ans Dichten als Distanzierung von der landwirtschaftlichen Perspektive. Angezeigt wird die Entgrenzung zum Dichter, wenn er die Namen Berthold Auerbach (1812–1882)21 und Peter Rosegger (1843–1918)22 erwähnt und damit seine Kenntnis von deren Werken andeutet oder wenn er – zwar in negativer Form – feststellt: »Der Gedanke zu dichten, kam mir noch nicht in den Sinn« (Wagner 1992, 10) oder »Ans Dichten hatte ich damals noch nicht gedacht, allein, der erste Anstoß an die betreffende Seite meines Innern war doch schon früher geschehen« (15). Dann berichtet er von den abendlichen Erzählungen einer Nachbarin (Röckle), die ihm eine neue Welt eröffnen und denen er mit großer Aufmerksamkeit zuhört. Auch Erzählungen der Großmutter und anderer Dorfbewohner fördern seine literarischen Interessen und dichterischen Bemühungen. Schließlich schränkt er die Erwerbsarbeit zugunsten dichterischer Produktion ein. Ruinen auf einem Berggipfel regen ihn zur Bekörperung dieser Waldlandschaft an. Wagners erste literarische Arbeit entsteht:

Dieser Berg mit seiner Romantik hatte es mir angetan. Ich nahm mir vor, einen Roman über ihn zu schreiben, etwa wie Hauffs Lichtenstein, und schrieb wirklich eine etwa acht Bogen umfassende Erzählung: ›Schloss Glemseck, romantische Sage‹, worin ich den Zauber des Orts auf den Feldern von Tagliacozzo ausklingen, den letzten Ritter als Dienstmann der Hohenstaufen, Konradin begleiten, dessen Gefangenschaft teilen und endlich nach langer Zeit heimkehrend als Klausner, und zwar in der Mönchsklinge, etwa eine Viertelstunde vom Schlossberg, sterben ließ. […], nur war der Stil zu schwülstig und der Wortgebrauch nicht immer korrekt. (Wagner 1992, 15)

Wilhelm Hauff (1802–1827) gehört zu jenen Autoren, deren Texte Wagner kennt. Dessen Roman Lichtenstein. Romantische Sage aus der württembergischen Geschichte (1826) erzählt in freier Gestaltung vom Konflikt zwischen Herzog Ulrich von Württemberg und dem schwäbischen Bund (1519), gerahmt von einer fiktiven Liebesgeschichte, die die – zu Hauffs Lebzeiten – Ruine Lichtenstein zum wichtigen Handlungssubjekt macht. Vielleicht mag Wagner darauf gehofft haben, dass die Ruine Glemseck – ebenso wie der Lichtenstein 1841 als Wirkung von Hauffs Roman – als Folge seines Romans wieder aufgebaut oder zumindest gesichert werde.23 Auf jeden Fall bestätigt Wagners literarisches Debüt seine historischen und literarischen Kenntnisse württembergischer Geschichte. Auch erste Gedichte und das biblische Drama Abi Melech24 entstehen in dieser Zeit, haben aber nicht den gewünschten Erfolg. Erst nach dem Tod der Eltern findet Wagner offenbar die poetische Kraft, um »heilige Erinnerungen [an] eine besonders glückliche Stunde des Beisammenseins« (19) mit den Eltern in der Natur in Sonetten zu gestalten, die er z.T. in die Sonntagsgänge aufnimmt. In der Lebensgeschichte gibt Wagner den Naturort für jedes dieser Gedichte an, so dass deren Entstehung nachzuvollziehen ist.

Ebenfalls im ersten Teil seiner Lebensgeschichte erwähnt er, dass er von dem jüdischen Händler ›Maier Hilb von Haigerloch‹ beim Kauf eines Ackers »um mehr als 100 Mark« übervorteilt worden sei. Anlässlich dieser Einzelerfahrung kommt es zu Äußerungen über ›die Juden‹, die nach Form und Inhalt in Wagners Werk isoliert stehen, aber mehrfach variiert in seinen Texten begegnen und gerade deshalb besondere Aufmerksamkeit verdienen. »Ungeheurer Irrtum ist es zu wähnen, dass dem Judenvolk noch eine bedeutende Rolle in der Kultur-Entwicklung der Menschheit zugewiesen sei«. Unmittelbar danach folgt die Episode der Begegnung mit einem »Judenjüngling«, der ihn an antike Statuen erinnert habe; im Gespräch habe sich dann gezeigt, dass der junge Mann ausschließlich an Geschäften interessiert gewesen sei, womit er Wagners Erwartung enttäuscht habe. Während diese Passage in den vorliegenden Ausgaben unterdrückt ist,25 wird die ›Betrugsgeschichte‹ noch einmal in anderer Form erwähnt und ohne den antisemitischen Kommentar in WS 3 und Keicher (Hg.) abgedruckt.

Bemerken möchte ich hierbei, dass ich noch keinen ehrlichen Juden getroffen habe, und von allen, mit denen ich schon in Verkehr trat, einer so lügnerisch, habsüchtig, so erbarmungslos seinen Vorteil wahrend gewesen ist, wie der andere, wahrhaftig, ohne Unterschied. Ihre Moral vergiftet unser ganzes Volk und ist ein Hohn für das Edle und Ideale. – Nicht ihr Glaube, sondern ihre Denk- und Handlungsweise ists, die jedem Besserdenkenden Abscheu einflößen muss.26

Ein zweiter ›Fall‹, bei dem sich Wagner von dem Viehhändler Veit Kahn beim Verkauf eines Rindes betrogen glaubt, ist nur durch einen Brief des Viehhändlers überliefert, in dem dieser eine Rückzahlung ankündigt, um Wagners Vorurteil gegen Juden als nicht zugehörig zur westlichen Kultur zu widerlegen (vgl. S. 314f in diesem Band).

Für beide – auf den ersten Blick – geschäftlichen Konflikte Wagners mit jüdischen Händlern scheint der von Sebastian Haffner (1981, 91f.) geprägte Begriff des »Konkurrenzantisemitismus« zu passen, der von der Bereitschaft, sich an Pogromen oder Vernichtungsaktionen zu beteiligen, zu unterscheiden sei. Zwar scheint diese Variante des Antisemitismus sich auf situativ begrenzte Vorkommnisse zu beschränken, mag aber doch auf die Disposition zu kulturellem Antisemitismus verweisen, der bereit ist, die Einzelfallerfahrung zu verallgemeinern und in Stereotypen, Klischees und Vorurteilen zu befestigen. Dass Wagner sich der besonderen Bedeutung seiner antijüdischen Äußerungen als antisemitisch bewusst gewesen zu sein scheint, ist an seinem Vermerk abzulesen, die betreffende Passage nicht in die Druckfassung aufzunehmen. Gleichwohl hätte eine Reflexion auf den Zusammenhang seiner Programmatik von der »Schonung alles Lebendigen« mit seinen Äußerungen zu Mayer Hilb nahe gelegen.

Allerdings hat Antisemitismus bei Wagner keine faktorielle Funktion im Rahmen seines programmatischen Konzepts und wird auch nicht von einem dafür konstitutiven Begriff impliziert. Antisemitismus und ›Judenfrage‹ gehören zum gesellschaftlichen Diskursrahmen der Zeit, obwohl Juden in Deutschland seit der Reichsgründung 1871 die gleichen Rechte wie alle anderen Bürger haben, was aber nicht die gesellschaftliche Anerkennung garantiert.27 In literarischen Texten sind einseitig negative Gestaltungen jüdischer Protagonisten nicht selten.28 Besonders häufig wird das Motiv des Ewigen Juden gestaltet.29

Wagners Gedicht ›Der ewige Jude‹ wird im vorliegenden Band erstmals veröffentlicht. In der Figur des Ewigen Juden werden zwei polare Traditionen verbunden: Als bevorzugter Jünger Jesu werde Johannes mit dem Privileg des ewigen Lebens ausgezeichnet, der Kriegsknecht Malchus – dem Petrus das Ohr abschlägt – werde für Gewalt gegen Jesus mit dem ewigen Leben bestraft. Neben religions- und kirchenpolitischen Gründen hat sich literarisch nicht zuletzt wegen der narrativen Möglichkeiten die Deutung des ewigen Lebens als Strafe für unsolidarisches Verhalten gegenüber Jesus durchgesetzt und seine verbindliche, traditionsbildende Form im Text Kurtze Beschreibung und Erzählung von einem Juden mit Namen Ahasverus (Leyden 1602) gefunden. Bei seiner Lektüre klassischer und moderner Autoren kann Wagner entsprechende Gestaltungen bei Goethe,30 Lenau,31 Wilhelm Hauff,32 Ludwig Aurbacher kennengelernt haben.

Seine eigene Gestaltung geht von einer Alltagssituation aus. Zwei Personen begegnen sich, die eine ist in auffällig schnellem Gang wie auf der Flucht unterwegs und wird daher von der anderen angerufen. Als der Angerufene sich dem anderen zuwendet, ist dieser zutiefst erschrocken über das kränkliche Aussehen – ein irgendwie klischeehafter jüdischer Phänotyp wird nicht gezeigt – des Fremden und lädt diesen daher zu sich in seine Familie zum Essen ein. Dabei erzählt der Gast, dass auch er einmal Heimat und Familie hatte, aber schon seit langem allein lebe. Als die Familie des Gastgebers ihrem Mahlritual entsprechend ein Tischgebet spricht, zwingt dies den Gast, sich sichtbar zu machen als fremd, nicht zugehörig und ruhe- sowie heimatlos. Dass kein Mitgefühl mit dem Gast aufkommt, wird durch das Gebet als Auslöser der Differenzerfahrung33 erreicht.

Wagner erzählt eine Oberflächenhandlung: Treffen, gemeinsames Mahl, Gebet und fluchtartiger Aufbruch des Gastes. Nur Titel, Gebet und darauf folgende Reaktion des Gastes weisen auf den religiösen Horizont hin. Die christliche Familie lebt in Harmonie und ritueller Ordnung, der Fremde erweist sich als nicht integrationsfähig. In der Figur des Ewigen Juden werden Wiederholung und Ausschluss von Entwicklung sichtbar gemacht. Obwohl Ahasver während Jahrhunderten ständig in Bewegung ist, bietet sich ihm keine Möglichkeit einer Erlösungsperspektive. Keine Begegnung des Ewigen Juden mit Christen führt zur Dynamisierung – Aufhebung oder Modifikation – seiner Bestimmung; als Funktion des Christentums ist er an dieses gebunden und zugleich davon ausgeschlossen. Was bleibt, ist die Deutungsmacht christlicher Überlieferung.

In Ludwig Aurbachers (1784–1847)34 Erzählung vom ewigen Juden (1827) wird dieser ›gemacht‹, weil er Jesus bei dessen Gang nach Golgatha eine Ruhepause auf der Bank vor seinem Haus verweigert. Ahasver ist nun ›gezeichnet‹ und folgt dem Hinrichtungszug. Aurbacher erzählt eine Vielzahl vergeblicher Versuche Ahasvers, den Tod zu finden, bis er in der Zeit des Propheten Mohammed – für Aurbacher Gelegenheit zu Islamkritik – den »christlichen Tempel« (Aurbacher 1879, 28) anzünden will, um seine Zugehörigkeit zur neuen Religion zu zeigen, dabei die Vision Jesu erlebt, sich zu diesem bekennt und von Mönchen getauft wird. Diese ›Heilserfahrung‹ (vgl. 29) bewirkt inneren Frieden, Ahasverus bleibt im Kloster, seine Strafe kann aber nicht aufgehoben werden, er betreut Pilger zum heiligen Grab in Jerusalem und wartet so auf das Jüngste Gericht.

Obwohl keine weiteren Zeugnisse antisemitischer Orientierung Wagners vorzuliegen scheinen, hat Ulrich Linse (2008, 125ff) auf eine mögliche konstante antisemitische Einstellung Wagners hingewiesen, die durch Unterlassen sichtbar werde. So erwähne er in seiner Lebensgeschichte zwar den Besuch Bruno Willes, nicht aber die Besuche und Briefe der jüdischen Sozialisten Gustav Landauer (1870–1919) und seiner Frau Hedwig Lachmann (1865–1918),35 die sich beide für Wagners Publizität eingesetzt haben. Linse weist auf Bücher in Wagners Bibliothek und auf Kontakte Wagners hin, die in nationale Kreise führen. Arthur von Suttner, von dem im vorliegenden Band zwei Briefe erstmals veröffentlicht werden, bittet Wagner am 24.03.1895 für einen Band gegen Antisemitismus um einen Beitrag im Sinne der Liebe zu allem Lebendigen: »Die Judenfrage muss nicht gerade darin berührt sein; das überlasse ich ganz Ihrem Ermessen und persönlichen Empfinden über diese Angelegenheit.« Wagner schickt daraufhin lyrische »Stimmungsbildchen« (S. 369 in diesem Band).

Im zweiten Teil der Autobiographie geht es prioritär um Wagners zweite Ehe, Geburt und Kindheit der vier Kinder, die Ausbildung seiner Frau zur Hebamme und deren mehrjähriges Leiden bis zum Tod 1892, das Thema landwirtschaftliche Tätigkeit verliert an Bedeutung; literarisch geht es um die Herausbildung von Wagners Programmatik der »Rechtsanerkennung […] der gemißhandelten und zertretenen Tierwelt« (28) und – als deren Folge – um die Trilogie Sonntagsgänge, mit der Wagner sich als Dichter einen Namen macht und daraufhin Zuwendungen der Stuttgarter Zweig Schiller-Stiftung und des Württembergischen Königs erhält. Allerdings hat Wagner keine Auftragswerke als Form mäzenatischer Zuwendung ausgeführt. Er kommentiert sein Werk, berichtet von Verlagsverhandlungen, zustimmenden Reaktionen und Besuchen beim Dichter, einer ersten Wagnerfeier, vielfältigen Anerkennungen und Kontakten sowie seinen literarischen Kenntnissen. Man erfährt von seiner Karriere als Leser von Kalenderliteratur36 zu den »bedeutendsten Dichter[n] der Vergangenheit und auch Gegenwart« (30). Wenn er an dieser Stelle Schiller (»mir sympathischer als Goethe«, 30), Goethe, Lessing, Uhland (»einer meiner Lieblingsdichter«, 30), Geibel, Lenau, Lord Byron erwähnt, an anderer Stelle von Auerbach, Rosegger, Hauff, August Holder37 schreibt, wird deutlich, dass Wagner – entgegen einer verbreiteten Meinung vom unbelesenen Bauern, der nach einer populären Genievorstellung38 allein aus sich heraus schöpft – durchaus über literarische Bildung und Orientierung verfügt, auf die er bei seinen eigenen Arbeiten zurückgreifen kann.39 Römische Ruinen regen ihn zur Lektüre der Studie Kaiser Hadrian des Historikers Ferdinand Gregorovius (1821–1891) an (33).40 Der zweite Teil der Lebensgeschichte bilanziert, dass Wagner sich im literarischen Feld positioniert hat und ein Stück weit von seinen literarisch bedingten Einkünften (Honorare, Zuwendungen, Stipendien) leben kann. Obwohl diese Einkünfte Verluste des landwirtschaftlichen Betriebs und hohe Ausgaben für Krankheit und Bestattung seiner Frau kompensieren, »so freute mich doch die Anerkennung meines idealen Strebens noch weit mehr« (37).

Im dritten Teil wird fast ausschließlich von den Erfolgen und Aktivitäten des Dichters Wagner im literarischen Feld berichtet. Die neuen Veröffentlichungen werden erwähnt, er teilt ein Verzeichnis seiner Publikationen mit, »Leseabende der vornehmen Frauenwelt Stuttgarts brachten […] hohe Anerkennung« (40) außerdem eine mäzenatische Zuwendung, die ihm eine Italienreise erlaubt,41 sein von Emilie Weisser gefertigtes Porträtbild wird im Stuttgarter Kunstverein vom 21.10.– 10.11.1895 ausgestellt und für 150 Mark an Otto Güntter,42 den späteren Herausgeber seiner Werke und seit 1. April 1904 Leiter des Schillermuseums in Marbach und Stellvertretender Vorsitzender des Schwäbischen Schillervereins verkauft, die Künstlerin spendet Wagner die Summe.43 Ausführlich berichtet er von seinen ›Dichterreisen‹ mit zahlreichen Besuchen, die ihn im Sommer 1896 auf Einladung Ludwig Derleths (1870–1948) vom 8. Juni 1896 über Württemberg hinaus bis nach München in die Familie von dessen Eltern44 führen. Was für die meisten Besuche Wagners im nichtfamiliären Bereich gilt, dass sie durch literarisch-programmatische Gemeinsamkeiten motiviert sind, trifft auch hier zu. Denn unter dem Einfluss Nietzsches arbeitet Derleth im Umkreis von Autoren wie Karl Wolfskehl, Alfred Mombert, Stefan George, Harry Graf Kessler an der Vision einer erneuerten Welt, deren Ziel, die religiöse und kulturelle Einheit, durch die Gründung einer Geheimgesellschaft erreicht werden soll. Dominik Jost, der Biograph Derleths, zitiert aus einem Brief an Wagner vom Frühjahr 1896:

Herr und Meister (…) Unter allen Menschen der Gegenwart sehe ich zu Euch mit der größten Hoffnung und dem schönsten Zutrauen empor. Alle Gegenwart täuscht. Ich bin besser als ich Euch erscheinen konnte, auf jeden Fall will ich es werden. Schließt mich in Euer Gebet ein, d.h. begleitet mich mit Euerem großen reinen Denken, das macht mir auf dem Wege in eine kriegerische Zukunft Mut. Schickt mir Euere kühnen und besten Wünsche als Bundesgenossen. Wenn Ihr an mich schreibt so tut es niemals ohne mich zu ermahnen tapfer zu sein und standhaft auszuhalten im Glauben. (…) Wenn Ihr mir antwortet sollen Euere Worte mich umtönen mit heiliger kriegerischer Musik. Ludwig (Jost 1965, 26)

Offenbar unter dem Eindruck des Neue[n] Glaube[ns] (1894) erkennt Derleth im Gestus des Schülers – Anrede »Herr und Meister« – die Zukunftsorientierung, den Ernst und die Sicherheit von Wagners Programm an und bittet um Akzeptanz (»Bundesgenosse«). Allerdings distanziert Derleth seine Kriegs- und Kampfmetaphorik von Wagner. Zu Proklamationen (1919) verdichtet legt Derleth seine Programmatik eines kulturkritisch gewendeten Christentums mit Begriffen wie »Jünger« und »Herr« (15) bzw. »Führer« (89), »neue Menschheit« (95), »Brüder der Auslese« (95) vor.

Weiterhin berichtet Wagner von den zumeist sehr positiven Rezensionen und häufigen finanziellen Zuwendungen, von Richard Weltrichs Buch Christian Wagner, der Bauer und Dichter zu Warmbronn. Eine ästhetisch-kritische und sozialethische Studie (1898), vom Besuch Bruno Willes (1860–1928) 1901 in Warmbronn,45 der die Verbindung zum Friedrichshagener Kreis – bei Berlin – der Naturalisten und Sozialisten, zu Gustav Landauer und Hedwig Lachmann, zu den Brüdern Harth und der Zeitschrift Der Sozialist herstellt. Als Ausweis seiner Anerkennung als Dichter weist er auf das umfängliche Korrespondenzvolumen »meiner großen Briefsammlung« (42) hin. Gleichsam als Pflichtpensum, »da ich lange von meinem häuslichen Leben abgeirrt bin« (46), erzählt Wagner vom Werdegang seiner Kinder und stellt seine Enkelkinder vor. In diesem Zusammenhang wird der Schwiegersohn Heinrich Kühnle, der mehrfach Strafen wegen Wilderei erhalten hat, zum Anlass, den familiären Bereich zu verlassen und grundsätzliche Kritik am Untertanengeist der Jagdaufseher, ›Büttel‹ und Beamten zu üben. Wagner deutet die ›Verfolgung‹ seines Schwiegersohns als Bestätigung für sich, ihn wolle man treffen für seine außergewöhnliche Programmatik und Praxis der »Schonung des Lebendigen«, die von den »Kanzleimenschen« nicht verstanden werde, wohl aber überall sonst in der Welt.46 Er beklagt, »dass ein Landjäger oder Büttel mehr Recht hat als ich, ein Jagdbummler mehr Geltung als ein Dichter« (51). Im vierten Teil berichtet Wagner von Erfolgen hinsichtlich der Tierschonung, vom weiteren Aufbau seines literarischen Netzwerks und seiner jüngsten Italienreise.

Ein Topos des Formats Lebensbericht ist die Auseinandersetzung des Autors mit seinem Herkunfts- oder Heimatort. Nicht nur wegen »Pöbelhaftigkeit, Bedientenhaftigkeit und Knechtssinn« (Wagner 2014, 20f.) beklagt sich Wagner über Warmbronn, auch über das mangelnde Verständnis im Dorf für seine neuen Praktiken der Landwirtschaft auf der Basis der Schonung alles Lebendigen. Obwohl er Warmbronn in der Welt bekannt gemacht habe, behindere man ihn in seinen dichterischen Bestrebungen. (Vgl. das Gedicht ›Aus Warmbronn‹ in diesem Band S. 335) Allerdings verlässt Wagner auch angesichts dieser Probleme Warmbronn nicht; womöglich folgt er mit seiner Kritik einem impliziten Gestus der Textsorte. Zu seinem 70. Geburtstag 1905 richtet man ihm ein öffentliches Fest aus, zu seinem 80. Geburtstag 1915 erhält er die Ehrenbürgerrechte der Gemeinde. Seine Frau als Hebamme für Dorf und Kreis ist hoch angesehen.

Obwohl Wagner sich selbst in Veröffentlichungen mehrfach als »ungelehrten Landmann« bezeichnet und um Nachsicht für mögliche Fehler bittet, obwohl er in seiner Autobiographie seinen Lebensweg vom Bauern zum Dichter minutiös nachzeichnet und obwohl auch Weltrich (›Bauer und Dichter‹) – diese Reihenfolge dreht Wagner um – und Seillière (›Le Paysan Poète‹) ihre Titel entsprechend gewählt haben, scheint seine gängige Präsentation zu seinen Lebzeiten und darüber hinaus als ›Bauernpoet‹, ›Bauerndichter‹ oder ›Bauer und Dichter‹, der sich autodidaktisch gebildet habe, letztlich die Funktion einer Differenzmarkierung erfüllt zu haben. Demnach weckt die Berufsbezeichnung ›Bauer‹ im Zusammenhang mit literarischen Ambitionen für ›Bildungsbürger‹ offenbar den Anschein, die betreffende Person sei literarisch nicht seriös, aber biographisch interessant; diese Klassifikation scheint dann von ernsthafter Auseinandersetzung mit den Auslegungsangeboten und ihrer Programmatik zu entbinden. Statt eine fehlende formale Bildungsgeschichte zu konstatieren, wäre für Wagner, der auch angesichts der zahlreichen Formationen der Moderne nicht im Namen einer ›Bewegung‹, sondern im eigenen Namen schreibt, eher von sozialer Identität und Authentizität zu sprechen. Seine in landwirtschaftliche Praktiken umgesetzten Leitkategorien wie »Schonung alles Lebendigen« und »Wiederverkörperung« mit dem Verzicht auf Wort und ›Sache‹ Schädling, Ungeziefer, Unkraut und auf Mittel dagegen verschaffen ihm und seinem literarischen Kosmos im Kontext seiner Zeit ein Alleinstellungsmerkmal.47

Wegen der Deutungsfolie ›Bauernpoet‹ gerät Wagner häufig in den Kontext von Sonderling, Dilettantismus, Epigonalität und »sogenannten Natur- oder Volksdichtern« und wird mit der ostpreußischen Autorin Johanna Ambrosius (1854–1939) und dem österreichischen ›Bauernphilosophen‹ Konrad Deubler (1814–1884) verglichen. Der Entdecker von Ambrosius, der Literaturprofessor Karl Weiß-Schrattenthal (Universität Pressburg), gibt im Vorwort ihres Bandes Gedichte (311896) die klischeehafte Biographie der aus kleinbürgerlichen, ärmlichen Verhältnissen stammenden Dichterin, die auch als Ehefrau »in den elendesten Hütten und nur im Verkehr mit dem Volke« (Weiß-Schrattenthal 1896, VI)48 lebt und sich durch die Lektüre der Gartenlaube bildet, um dann – entsprechende – Natur-, Liebes- und Gelegenheitslyrik zu schreiben, die von 1894 bis 1896 zahlreiche Auflagen erlebt und auch finanziell außergewöhnlich erfolgreich ist. Ihrem Gedicht ›Mein Heimatland‹ (1884), das als ›Ostpreußenlied‹ vertont worden ist, hat Ambrosius eine stabile regionale Bekanntheit zu verdanken. Insgesamt geben ihre Gedichte Naturphänomene und Gefühle klischeehaft, ohne programmatische Perspektive wieder. Sie eröffnen keine neuen Erkenntnis- und Erfahrungsmöglichkeiten und verlangen auch keine Anschlusstexte.

Konrad Deubler ist vor allem bekannt geworden durch seine naturwissenschaftlich-monistisch fundierte Kritik an Kirche und Religion (»Gegner der Kirche«, Dodel 1909, 213) und seine dadurch möglich gewordenen Kontakte und Korrespondenzen mit Eugen Dühring, Ludwig Anzengruber, Eduard von Bauernfeld, Peter Rosegger, Minna Kautsky, Paul Heyse, Ernst Haeckel. Er lebt als Gastwirt und Bauer und erhält wegen Religionskritik eine Gefängnisstrafe. Deubler entwickelt keine eigene Programmatik, sondern folgt Haeckels Deutung Darwins.

Wegen des impliziten modernetheoretischen Rahmens von Wagners literarischen Hervorbringungen scheint sich ein Vergleich mit orts- oder regionalbedeutsamen Autoren wie mit Greta Bickelhaupt (1865–1919), einer Odenwälder Schriftstellerin und Lehrerin, die ihre Texte im regionalen Dialekt schreibt49 oder auch mit der niederdeutsch schreibenden Martha Müller-Grählert (1876–1939) in Zingst50 zu verbieten. »Ich bin kein Heimatdichter, kein Bauerndichter, kein Dialektdichter, ich dichte und schreibe deutsch!« (Aichele 1980, 63, Hervorh i.O.).

4. Wagners Programmatik

In Wagners literarischen Weltauslegungsangeboten findet man keine modernen – im Sinne von sozialgeschichtlich aktuellen – Themen wie Ausprägungen sozialer Not, Arbeitslosigkeit, keine Handlungsorte wie Warenhäuser, Fabriken oder Bahnhöfe, auch keine politischen Ereignisse wie die Gründung des Deutschen Reichs 1871, die Sozialistengesetze oder den Kulturkampf, Wagner gestaltet Naturräume als gemeinsame Lebensräume für Menschen, Tiere und Pflanzen, wobei Natur durch subjektive Rahmungen immer schon kulturspezifisch geformt und gedeutet ist. Wagners Beitrag zur literarischen Moderne besteht in Entfaltung und Konzeptualisierung einer literarischen Anthropologie (Riedel 1996, Neumann 2013), der es um Leben als einziger Referenzkategorie für sämtliche Formen des Lebendigen geht. Wagners Programmatik gehört zum breiten Strom lebensphilosophischer Entwürfe um 1900, in dem ihm aufgrund seines singulären Ansatzes der Einheit von Natur und Kultur eine geradezu prominente Position zukommt.

Welche Ideen, Perspektiven und Bilder gelungener Praxis sind es, die Wagner als verbindlich für sich und seine literarischen Weltauslegungsangebote gelten und die ihn von gängigen Tendenzen und Leitbegriffen seiner Zeit distanzieren, deren Diskursspektrum aber zugleich bereichern? Explizit reflektiert Wagner seine Programmatik in zwei Werken, in Märchenerzähler, Bramine und Seher (1885) und in Neuer Glaube (1894). Insgesamt aber scheinen die meisten Gedichte auf programmatischer Folie geschrieben zu sein, so dass – in Anlehnung an Goethe – von Wagner gesagt werden kann, dass alle seine Texte Bruchstücke eines einheitlichen Kosmos darstellen.

4.1 Märchenerzähler, Bramine und Seher (1885)

Wohl nicht zuletzt, weil seine Erstveröffentlichung Märchenerzähler, Bramine und Seher