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Deutsche Ausgabe:
© 2019 HEEL Verlag GmbH

Originalausgabe:
© 2017 by Jackson Galaxy

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.
This edition published by arrangement with TarcherPerigee, an imprint of Penguin Publishing Group,a division of Penguin Random House LLC
375 Hudson Street
New York, New York 10014

Originaltitel: Total Cat Mojo. The Ultimate Guide to Life With Your Cat
Original-ISBN 978-0-14-313161-8

Bildnachweis: siehe Schluss
Layout: Katy Riegel

Deutsche Ausgabe:
Übersetzung aus dem Englischen: Frederik Kugler, Berlin
Layout: Noch & Noch, Datteln
Covergestaltung: Axel Mertens, HEEL Verlag GmbH
Projektleitung: Ulrike Reihn-Hamburger

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks, der Wiedergabe in jeder Form und der Übersetzung in andere Sprachen, behält sich der Herausgeber vor. Es ist ohne schriftliche Genehmigung des Verlages nicht erlaubt, das Buch und Teile daraus auf fotomechanischem Weg zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer bzw. mechanischer Systeme zu speichern, systematisch auszuwerten oder zu verbreiten.

– Alle Rechte vorbehalten –

Printed in Czech Republic

ISBN 978-3-95843-882-8
eISBN 978-3-95843-882-8

Dieses Buch widme ich Barry:

Lehrmeister, Empath, Heiler, Spaßvogel, Ausnahme der Regel

Allererste Katze, aller Lebewesen bester Freund

Geliebt und über alle Maßen vermisst

Mögen dich deine Reisen zu uns zurückführen.

Inhalt

Danksagung

Einleitung
¿Qué es mojo?

Teil 1: Kurzer Abriss einer mojofizierten Welt. Von der Ur-Katze zu Ihrer Katze

1. Wer ist die Ur-Katze?

2. Der viktorianische Wendepunkt

Teil 2: Der Katzen-Crashkurs

3. Im Ur-Katzen-Rhythmus

4. Kommunikation
Den Katzencode knacken

5. Die Mojo-Archetypen und ihre Komfortzone

Teil 3: Der Katzen-Mojo-Werkzeugkasten

6. Willkommen im Werkzeugkasten

7. Das kleine Ur-Katzen-1×1 und die Drei Rs

8. Katzifizierung und Territorium: Mojofizierung der häuslichen Umgebung

9. Die Kunst der Katzenerziehung

10. Mojo in Katze-Tier-Beziehungen
Einführungen, Ergänzungen und fortlaufendes Verhandeln

11. Mojo in Katze-Mensch-Beziehungen
Einführung, Kommunikation und Ihr Anteil am Mojo

12. Wessen Linie ist das überhaupt?
Katzenerziehung und die Herausforderungslinie

Teil 4: Das Katzen-Mojo-Kochbuch – Katzen-Daddys Anleitung zur Stärkung fragiler Katzenseelen

13. Wenn exzessives Kratzen zum Problem wird

14. Wenn Ihre Katzen sich nicht verstehen

15. Wenn Ihre Katze Menschen beißt oder kratzt

16. Wenn Ihre Katze nervt oder Aufmerksamkeit braucht

17. Wenn Ihre Katze zu Angstverhalten neigt

18. Wenn Ihre Katze ein Problem mit Freigängerkatzen hat

19. Wenn Ihre Katze
ein Mauerblümchen ist

20. Wenn Ihre Katze um die Ecke (ihres Katzenklos) denkt

21. Eso es mojo

Danksagung

Ich weiss noch genau, wie ich Mikel Delgado aufsuchte, die selbst vielbeschäftigt ist (sie arbeitet sowohl als selbstständige Tierberaterin als auch an ihrem Doktor), um mir bei meinem neuen Buch zu helfen, und ihr erklärte, dass es lediglich ums Organisieren und Kompilieren gehen würde – trag einfach alles zusammen, was ich in den letzten Jahren über Katzen und ihre Welt gesagt, gefilmt, aufgezeichnet und geschrieben habe. Ehrlich, wie schwer kann das sein? Neuerdings verbringe ich meine freie Zeit mit einem neuen Hobby: Mikel auf ungewöhnlichen Wegen um Verzeihung zu bitten. „Der Katzenflüsterer“ hat sich zu einem echten Herzensprojekt entwickelt, zu einer leidenschaftlichen Affäre, die fast 18 Monate währte, während der ich parallel an zwei TV-Shows arbeitete, die Jackson Galaxy Foundation durch ein atemloses erstes Jahr steuerte und schwere persönliche Schicksalsschläge erlitt.

Katzilla alleine niederzuringen, hätte ich nie geschafft. Daher möchte ich folgenden Personen meinen Dank aussprechen, von denen einige am Buch mitgearbeitet, andere es aktiv unterstützt und wiederum andere mir den nötigen Raum gegeben haben, komplett am (Katzen-)Rad zu drehen. Als Einzelpersonen erinnern sie mich daran, wie erfüllend es ist, für Tiere einzustehen, und als Gruppe sind sie der Kleber, der dieses Buch zusammenhält, und die Tinte auf dem Papier. Ein einfaches „Danke“ kann also niemals ausreichen – aber es ist zumindest ein Anfang!

In erster Linie danke ich dem Katzen-Mojo-Team – Mikel Delgado, Bobby Rock und Jessica Marttila: Eine der vielen Lektionen, die ich auf dieser abenteuerlichen Reise gelernt habe, ist, dass eine Vision nur bis zum Fuß des Berges führt – und Glaube, schierer Wille und Aufopferung den Rest des Weges. Gemeinsam haben wir unser Basislager jeden Tag ein kleines Stückchen höher aufgebaut, und ob wir nun wie College-Frischlinge die Nächte durchgemacht (und physisch wie psychisch unsanft daran erinnert wurden, dass wir das definitiv nicht mehr waren), über jedem Wort und jedem Bild gebrütet oder Bögen gespannt haben, die wir aus Zeitmangel, wegen der Zweifel anderer oder meiner hochfliegenden Ambitionen (oder der Logik wegen) auf keinen Fall wieder einstürzen lassen wollten – wir haben keine Mühen gescheut.

Eure absolute Bereitschaft, den Weg bis zum Ende zu gehen, hat das Monster unter meinem Bett hervorgezerrt. Ihr seid der Grund, aus dem dieses Buch das Licht der Welt erblicken konnte. Eure Fähigkeiten sind unglaublich, eure Hingabe lässt mich demütig zurück und eure Liebe für die Tiere, denen wir dienen, wird die Zeiten überdauern.

Ebenso gilt mein Dank:

Joy Tutela, die mich nie als verrückten Katzentypen, Musiker oder TV-Persönlichkeit gesehen hat, sondern als Autor, an den sie glaubte. Danke, dass du (und David Black) vier Bücher später immer noch an mich glaubst – und das nach dieser Keule. Ich verspreche dir für jedes Mal, dass du ein Feuer löschen, mir neue Kraft schenken oder mich darin bestärken musstest, dass diese Worte Katzen und ihren Menschen helfen werden: Wenn ich das nächste Mal „Ich hab da ein Buch für dich“ sage, darfst du mir mit einem Louisville Slugger die Kniescheiben zertrümmern … und dann legen wir wieder los, okay?

Dem TarcherPerigee-Team und Penguin Random House – Joanna Ng, Brianna Yamashita, Sabrina Bowers und Katy Riegel: von der Einleitung bis zum Schlusswort, vom fantastischen Design bis zur Art, wie die Welt mehr über das Mojo unserer Katzen erfährt – ich fühle mich immer geehrt, euch meine Gedanken anzuvertrauen.

Sara Carder – das Buch war eine Zitterpartie und eine echte Bewährungsprobe für uns beide, ich weiß. Danke, dass du mir wie immer zur Seite gestanden hast.

Unseren wunderbaren Künstlern, die auf der ganzen Welt verstreut leben – Osnat Feitelson, Emi Lenox, Franzi Paetzold, Sayako Itoh, Omaka Schultz, Brandon Page, Kyle Puttkammer und Scott Bradley. Danke, dass ihr eure Talente zur Verfügung gestellt habt, um ein schlüssiges Porträt einer mojofizierten Welt zu zeichnen.

Lori Fusaro – deine Fotos fangen immer die stillen, kostbarsten Momente in unseren Beziehungen zu unseren Tieren ein. Egal, wie oft ich es betrachte, dein Foto von Velouria und mir wird auch dann noch ein Zeugnis unserer Liebe sein, wenn wir längst nicht mehr sind. Ich kann dir nicht genug dafür danken.

Minoo, meine Liebe in diesem und in vielen anderen Leben, Hüterin meines Herzens und meines Verstands, Glaubensgenossin und Partnerin in einer gemeinsamen Mission – danke, dass du mir auch dann zur Seite stehst, wenn ich nicht da bin. Und was den Baseballschläger angeht, den ich Joy versprochen habe? Wenn ich das nächste Mal sage, dass ich ein Buch schreiben möchte … darfst du ihn auch schwingen.

Meinem Bruder Marc, der in einer Zeit unvorstellbarer Verluste an Bord kam, um das Mojo-Schiff zu steuern – gerade rechtzeitig, um eine Reihe besonders zerstörerischer Wellen zu überstehen. Dir gelten meine Dankbarkeit, weil du dich ans Steuerrad gefesselt und am Kurs festgehalten hast, und meine Liebe, weil du an mich glaubst und mich vor dem Sturm beschützt.

Meiner Tierfamilie – Mooshka, Audrey, Pasha, Velouria, Caroline, Pishi, Lily, Grabby, Sammy, Eddie, Ernie, Oliver und Sophie (ungeordnet!) – für die tägliche Erinnerung, warum wir tun, was wir tun, und für die tägliche Dosis reiner Liebe, die meine Batterien lädt.

Meinem Vater und meiner gesamten erweiterten menschlichen Familie. Danke, dass ihr mich trotz meiner scheinbar nie enden wollenden Abwesenheiten liebt. Euer Licht ist mir immer ein Trost.

Stephanie Rasband, die mich nicht abheben lasst und mich im Hier und Jetzt verankert.

RDJ und The Fam dafür, dass ihr mich daran erinnert, dass ich nicht am Steuerrad stehe, und mich, den hilflosen und durchgeknallten Reisenden, liebt.

Meiner Discovery-/Animal-Planet-Familie für ihre kontinuierliche Unterstützung und den Wunsch, das Konzept Mojo in die Welt zu tragen. Ich kann nicht aufhören, euch dafür von Herzen zu danken.

Sandy Monterose, Christie Rogero und dem wachsenden Team von Mitarbeitern und Freiwilligen der Jackson Galaxy Foundation, für euer Engagement und dass ihr jeder Katze und jedem Menschen, der für diese Katze da sein möchte, zu ihrem Mojo verhelft.

Ivo Fischer, Carolyn Conrad, Josephine Tan und ihren Teams bei WME Entertainment, Schreck, Rose, Dapello & Adams und Tan Managment dafür, dass ihr euch immer ins Zeug legt und die Barbaren vom Gartenzaun fernhaltet.

Siena Lee-Tajiri und Toast Tajiri dafür, dass es euch gibt und dass ihr unser Team, unsere Vision und mich unterstützt.

Weiterer Dank gilt dem wundervollen und wachsenden Team von Jackson Galaxy Enterprises für seine Begeisterung und Hingabe, Susie Kaufman für ihre brillanten Transkriptionen und Julie Hecht für ihr aufmerksames, Hunde-zentrisches Feedback.

Normalerweise würde ich jetzt meine Mutter anrufen und ihr diese Liste vorlesen. Ob aus Gewohnheit oder Aberglaube – auch wenn ich weiß, dass sie vollständig ist und eingereicht werden kann, sind meine Bücher ohne die explizite (und immer erfolgte) Freigabe meiner Mutter und ihre abschließende Frage, ob mir bewusst ist, wie viel Glück ich habe, und dass ich es verdiene, von all diesen wunderbaren Menschen umgeben zu sein, niemals fertig.

Ja, ich lerne – dass du immer da sein wirst, wenn ich nur hinhöre, dass das Universum voller Liebe ist und dass ich dafür dankbar sein sollte. Und ich lerne, mit deinem Verlust umzugehen, damit mein Herz nicht jeden Tag aufs Neue bricht. Aber all das lernt man nicht an einem Tag, und so wird mein Buch immer unvollendet bleiben. Aber ich werde lernen, auch das zu akzeptieren.

Ich vermisse dich, liebe dich und danke dir dafür, dass du mich zu dem gemacht hast, der ich heute bin.

Einleitung
¿Qué es mojo?

Ich stehe vor einem großen, sehr begeisterten Publikum in Buenos Aires. Ich bin auf Lateinamerika-Tour. In diesem Jahr habe ich mich daran gewöhnt, in Ländern wie Malaysia oder Indonesien mit einem Übersetzer auf der Bühne zu stehen, und war gerade in Bogotá und Mexiko-Stadt. Simultanübersetzungen sind ein wahrer Segen, weil das Publikum Kopfhörer trägt und mir unmittelbar folgen kann. Das Lachen, Applaudieren und nach Luft schnappen ist (wenn alles klappt) nur um zwei, drei Sekunden versetzt. So gesehen, ist eine Sprachbarriere nur eine kleine Unannehmlichkeit.

Wenn ich und mein Übersetzer allerdings „abkoppeln“ (wenn ich einen Gedankengang beende, den er gerade beginnt) … tja, dann führt das bestenfalls zu Kopfschmerzen oder wird zum Himmelfahrtskommando. Mein Übersetzer steht dann neben mir wie ein Geist, der sich unter meinem wilden Gefuchtel und meinem Wortschwall wegduckt, und je mehr ich mich in Rage rede, desto weiter hänge ich diesen „Geist“ ab. Es gibt aber auch Dolmetscher, und damit meine ich vor allem diejenigen, die sich als Sprachkünstler verstehen, die mich quasi einen ganzen Absatz lang reden lassen, bevor sie mir auf die Schulter tippen oder mir diesen bestimmten Seitenblick zuwerfen, um das Publikum dann mit derselben Vehemenz auf Stand zu bringen.

Meine Übersetzerin an diesem Abend gehört jedoch nicht zu dieser Kategorie. Sie ist Nachrichtensprecherin und zufällig zweisprachig. Nicht gerade die beste Kombination für ein Tänzchen, bei dem man sich nicht ständig gegenseitig auf die Fuße tritt, so viel steht fest.

Vom Improvisieren abgesehen, führe ich relativ zu Beginn der Show mein Konzept des Katzen-Mojos ein, das Herzstück meiner Vorstellung. An diesem Abend feuere ich aus allen Rohren und fühle mich in meiner Rolle als Katzentyp und Prediger pudelwohl. Atemlos führe ich vor, wie eine mojofizierte Katze aussieht, putze mich heraus, ahme den aufgerichteten Schwanz, die gespitzten Ohren, den vor Selbstvertrauen strotzenden Gang nach, bis ich herausplatze: „Und wie nennen wir das? Katzen-Mojo nennen wir das! Ihre. Katze. Hat. MOJO.“ Ich lasse meinen Satz nachhallen. Und er hallt nach. So lange, bis von meinem dramaturgischen Peitschenschlag nur noch peinliches Schweigen übrig ist. Diesmal werfe ich meiner Übersetzerin diesen Seitenblick zu, doch die starrt mich nur sprachlos und mit leiser Panik in den Augen an.

In diesem Moment gibt sie ihre Nachrichtensprecher-Attitüde auf, lehnt sich zu mir rüber und flüstert: „Qué es mojo?“, worauf ich, im Rückblick vielleicht etwas zu laut, antworte: „Was soll das heißen, ‚Was ist Mojo?‘ Sie wissen nicht, was Mojo ist?“ Schon führen wir eine Konversation auf der Bühne, und mit jeder Sekunde, die nachhallt, entgleitet mir mein Publikum mehr. Ungläubig wende ich mich der Menge zu, spüre, wie mich das Grauen überkommt, und blöke Bestätigung heischend in die Menge: „Leute, ihr wisst doch, was Mojo ist, oder? Habt ihr Mojo? Ist euer Mojo an? Wie viele von euch wissen, was Mojo ist?“

Es ist so still im Saal, dass man eine Stecknadel auf den Boden fallen hören könnte. Das Grauen entwickelt sich zu einem Alptraum, und ich beginne, aus allen Poren zu schwitzen. Zum ersten Mal, seit ich zwölf Jahre alt war und bei einer Talentshow eine Gitarre mit einer gerissenen Saite in der Hand hielt, stehe ich wieder kurz davor, vor einem Live-Publikum zu versagen. Und ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie ich da wieder rauskommen soll.

Mir fällt ein, wie ich 2002 in Boulder, Colorado hinter meinem Schreibtisch saß, der aus einer großen Spanplatte und zwei Sägeböcken bestand. Damals fühlte ich mich inspiriert, oder sagen wir lieber motiviert, mein Wissen über Katzen in eine Art Manifest zu verwandeln. Ich hatte bereits einige Jahre als selbstständiger Tierberater gearbeitet und wollte mein Wissen über Katzen unbedingt in kleine Häppchen verarbeiten, damit wir schneller zu dem Punkt kamen, an dem meine Kunden dieses Wissen auf ihre Katzen anwenden konnten. Warum? Weil Katzen bis heute, und damals noch viel mehr, als undurchschaubar gelten – so weit außerhalb unserer Gefühls- und Erfahrungswelt, dass uns ein verlässlicher Anker zum Einhaken fehlt. Und ich war fest entschlossen, diesen Haken zu finden

Es ging mir nicht darum, es mir einfach zu machen. Ich hatte bereits zehn Jahre in einem Tierheim gearbeitet und war absolut motiviert. In US-Tierheimen wurden und werden jedes Jahr Millionen Katzen getötet, und ich war immer wieder Zeuge dieser Sprachbarriere geworden, dieses Stacheldrahts, an dem zarte, dünn gesponnene Beziehungen zerrissen. Es war das „mysteriöse“ Verhalten der Katzen – ihre unergründliche Natur, an der wir uns die Zähne ausbeißen, bis wir es persönlich nehmen –, das diese frustrierten Menschen dazu brachte, ihre Katzen abzugeben oder gar auszusetzen, und ich hatte mir zum Ziel gesetzt, zumindest diesen Stacheldraht vom Zaun zu reißen, damit sich Mensch und Tier wieder sicher begegnen und beginnen konnten, ihre Bindung zu vertiefen statt sie zu zerstören.

Ein Haken, den ich bereits bei meinen Schülern und Kunden einsetzte, war das Konzept der „Ur-Katze“ – die Überlegung, dass sich die Katze auf unserem Schoß in ihrer Entwicklungsgeschichte kaum von ihren Vorfahren entfernt hatte (mehr hierzu in Kapitel 1). Die Ur-Katze steht für die angeborenen Triebe, die das Verhalten von Katzen beeinflussen, seit sie auf der Erde wandeln: ihr Bedürfnis zu jagen, die Erkenntnis, dass sie sich in der Mitte der Nahrungskette befindet, und das Bedürfnis, über ihr Territorium zu herrschen und es zu verteidigen.

Ich war überzeugt, dass viele, wenn nicht gar alle Probleme meiner Kunden (von Krankheiten einmal abgesehen) auf territoriale Ängste zurückzuführen waren, da sich die Ur-Katze meist damit begnügt, im Hintergrund zu bleiben, und erst dann schreiend nach vorne drängt, wenn sie ihre territoriale Sicherheit bedroht sieht. Ob die Bedrohung real ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle; Tatsache ist, dass sie glaubt, reagieren zu müssen. Es reicht also nicht aus, die Symptome zu bekämpfen, die uns so belasten, sondern die Ängste zu lokalisieren und die Ur-Katze in unserer Katze so weit zu besänftigen, dass sie ihre Angst zu dominieren und am Ende zu besiegen lernt.

Aber zurück zu meinem behelfsmäßigen Schreibtisch: Es war schon spät und ich versuchte, diesen eindringlichen, bewusstseinserweiternden Moment durchzustehen, kurz bevor einen der Schlaf übermannt. Die Chancen, mit dem Gesicht auf die Tastatur zu fallen, standen fifty-fifty. Ich tippte wie ein Zombie, las alles quer, löschte das meiste wieder und tippte weiter.

Ich war total am Ende, also stand ich auf und versuchte, mich darauf zu konzentrieren, wie Selbstvertrauen aussieht statt es zu beschreiben. Ich stand mit erhobenem, an der Spitze leicht gebogenem (Fragezeichen-)Schwanz da, Ohren entspannt, Pupillen nicht geweitet, Schnurrhaare neutral. Keine Bedrohung in Sicht, Kampf-oder-Flucht-Modus inaktiv, Bewaffnung und Radar auf off. Kein Grund, das Katzen-Alarmsystem DEFCON 1 zu aktivieren oder den roten Knopf zu drücken. Ich spürte tief in mir, dass die Welt in Ordnung war. Der stolze Gang hatte rein gar nichts Künstliches. Katzen projizieren damit kein Bild von sich in die Welt; er ist weder anmaßend noch keck, sondern einfach nur selbstbewusst und gründet auf dem Gefühl, seinen Platz in der Welt genau zu kennen, sich ohne Augen im Hinterkopf haben zu müssen in ihr bewegen zu können und auch nicht befürchten zu müssen, dass man ihn streitig gemacht bekommt. Dieser Instinkt sitzt so tief, dass er alles Körperliche transzendiert. Er ist ein Widerhall der Geschichte – Quantenkommunikation –, die Katzen durch die Zeit miteinander verbindet. Und der Haken, nach dem ich suchte, den ich so dringend vermitteln wollte, war, wie sich dieser selbstbewusste Herrschaftsanspruch über das eigene Territorium anfühlte.

Ich dachte, dass wenn Halter dieses Selbstvertrauen erkennen und fördern könnten (so vereinfachend das auch klingt), es ihnen helfen würde, die meisten „Symptome“ zu unterbinden, über die sie sich so bitter beschwerten. Und als ich so durch den Raum schritt und diesen Gang, dieses selbstbewusste Stolzieren imitierte, kamen mir zum ersten Mal die Worte über die Lippen, die dieses Körpergefühl auf den Punkt brachten – es war der Refrain eines Songs eines meiner musikalischen Vorbilder, Muddy Waters: „Got my mojo workin’!“

Da war er, der Haken, und ich würde ihn nicht wieder loslassen. Ich brauchte einen klaren Kopf. Ich spritzte mir Wasser ins Gesicht und schlug mir mit der flachen Hand in den Nacken, wie ich es, glaube ich, von einem Freund aus der Highschool gelernt hatte, damit ich nicht im Unterricht ­einschlief. Ich trat sogar im Schlafanzug in die eiskalte Nacht, teils, um mein Mojo in Gang zu bringen, und teils, um mir diesen Moment zu vergegenwärtigen, weil ich mir sicher war, dass ich mich an ihn erinnern wollte. Und so war es auch. Seitdem ist viel Zeit vergangen, und ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass fast alles, was ich seitdem getan habe, um Katzen zu helfen, damit zu tun hatte, ihren Menschen beizubringen, was Katzen-Mojo ist.

Und jetzt zurück nach Buenos Aires, in den Moment der Stille und des Grauens. Ich stehe auf der Bühne und stelle meinem Publikum eine ganz einfache Frage: „Wie viele von euch wissen, was Mojo ist?“ Zwei, vielleicht drei – von fünfhundert – heben die Hand. Ich habe meine Karriere auf ein Wort aufgebaut, das nicht nur auf taube Ohren stößt, sondern auf sehr verwirrte.

Aufgrund der Sprachbarriere (und weil ich panisch und sprachlos bin), habe ich keine andere Wahl, als es zu demonstrieren. Ich bin gezwungen, zurück nach Boulder zu reisen und den Haken wiederzufinden, damit a) mein Publikum versteht, um was es mir geht, und b) meine Übersetzerin übersetzen kann. Das einzige, was mir einfällt, ist Saturday Night Fever. Und das macht mir Angst.

Ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken, wie schlecht das ist und ob es dem Abend den Todesstoß versetzen wird, also lege ich los und schildere die Anfangssequenz des Films, wie sie sich in meiner Erinnerung abspielt.

„Stayin’ alive“ von den Bee Gees dröhnt, eine Kamera fährt über einen Bürgersteig in Brooklyn, erfasst ein todschickes Paar 70er-Jahre-Schuhe und wandert über genauso schicke Schlaghosen und ein an der Brust aufgeknöpftes Seidenhemd, bevor sie uns John Travolta alias Tony Manero offenbart, der einen Blecheimer Farbe in der einen und ein Stück Pizza in der anderen trägt. Wir erleben mustergültiges Stolzieren, und zwar von den schicken Sohlen bis zum perfekt gestylten Scheitel; Muddy Waters würde jetzt sicher von irgendwo da oben anerkennend mit den Kopf nicken. Kein Zweifel, Tony’s got his mojo workin’!

Ich halte einen Moment inne und prüfe die Reaktionen. Zwischen meiner immer frenetischer klingenden Übersetzerin und dem hier und da aufblitzenden Grinsen spüre ich, dass ich mein Publikum am Haken habe. Also fange ich an, den Manero-Gang zu imitieren.

Tony hat es drauf. Er weiß es. So ist das, wenn man Mojo hat. Man hinterfragt sich nicht. Man. Weiß. Es. Einfach. Die Mädels wollen ihm gehören, und die Jungs er sein. Noch wichtiger ist aber, dass Tony weiß, dass ihm Brooklyn gehört, zumindest seine paar Blocks. Um das zu verstehen, bedarf es keiner Worte – die mojofizierte Sprache des Stolzierens reicht völlig aus. Der Manero-Gang demonstriert nichts, will nichts beweisen; er ist einfach nur die Manifestation eines tief wurzelnden Gefühls von Besitz und Zugehörigkeit. Das von der Pizza ölige Kinn, der Farbeimer, der auf seinen sozialen Status verweist, sogar die abweisenden Blicke der Frauen, denen er auf seinem Weg begegnet – nichts davon spielt eine Rolle.

Das Hin- und Herstolzieren auf der weiten Bühne hat mich aus der Puste gebracht. Die Hände auf den Knien starre ich in die Menge und blicke in aufgeregt murmelnde, nickende Gesichter. Ich bin gerade nochmal so davongekommen. Dass ich mich dabei aber fast an der Sprachbarriere verbrannt habe, ist das Beste, das mir passieren konnte. Dieser Abend in Buenos Aires markiert einen Wendepunkt im Katzen-Mojo – nicht nur, weil ich es jetzt darstellen kann, wenn es sein muss, sondern weil ich jetzt weiß, dass ich über alle kulturellen Unterschiede hinweg jedem zeigen kann, was Mojo ist, und dass unser Mojo denselben Ursprung hat wie das unserer Katze.

Von meiner nächtlichen Erleuchtung in Boulder, Colorado bis zu diesem Abend in Buenos Aires 17 Jahre später, aber auch bis zu jedem Auftritt, jeder Konsultation, jeder Klasse, die ich seitdem unterrichtet habe, und jeder Episode von „My Cat from Hell“ – alles führt uns hierher, zu diesem Buch: „Der Katzenflüsterer“. In all den Jahren ging es mir aber nicht darum, mit Ihren Katzen zu flüstern, sondern Ihnen zu helfen, ihr (oder Ihr?) Mojo zu finden und zu kultivieren. Tja, wen meine ich jetzt wohl? Na, Sie beide natürlich. Denn wenn es mit Ihrem Mojo klappt, klappt es auch mit dem Ihrer Katze, und dann wird garantiert jedem das Grinsen aus dem Gesicht fallen … sogar Tony Manero.

Kurzer Abriss einer mojofizierten Welt. Von der Ur-Katze zu Ihrer Katze

Katzen-Daddy-Wörterbuch: Katzen-Mojo
Mojo bedeutet Selbstvertrauen. Mojo ist proaktiv, nicht reaktiv. Das Mojo von Katzen gründet im absoluten Herrschaftsanspruch über ihr Territorium, in dem sie eine wichtige Aufgabe zu erfüllen haben. Diese Aufgabe ist ein biologischer Imperativ, den sie von ihrer Vorfahrin, der Wildkatze, geerbt haben, und der aus Jagen, Fangen, Töten, Fressen, Putzen und Schlafen besteht. Wenn wir einen Rhythmus finden, der dem der Ur-Katze gleicht – haben wir es geschafft. Denn erst wenn sich Katzen in ihrem Körper wohl fühlen, können sie auch den Raum außerhalb ihres Körpers zu ihrem Zuhause machen.

1. Wer ist die Ur-Katze?

In ihrer Katze lebt eine andere Katze. Ziehen Sie allen „Komfort“ ab – die Katzenbetten, die Spielsachen, ein Leben lang aus dem Fenster schauen, gemütlich auf dem Sofa herumliegen –, und vielleicht erhaschen Sie einen Blick auf diese andere Katze, wenn sie Sie mitten in der Nacht weckt oder unter der Decke Ihre Zehen jagt – das ist sie, die „Andere“, die ich Ur-Katze nenne, der frühe Zwilling Ihrer Katze. Äonen trennen sie, und trotzdem stehen sie in engem Kontakt, als wären ihre DNA-Stränge per Dosentelefon miteinander verbunden. Und über diese direkte, unverfälschte Verbindung fordert die Ur-Katze Ihren Gefährten ständig dazu auf, sein Territorium zu sichern, zu jagen, zu töten, zu fressen und stets wachsam zu sein, denn Katzen jagen nicht nur, sondern werden auch selbst gejagt.

Alles an unserer Katze, von ihren Territorialansprüchen und Ernährungsbedürfnissen bis hin zu der Art, wie sie spielt und sich verhält, lässt sich auf ihren Ur-Zwilling zurückführen. Diese Eigenschaften verfolgen ein primäres Ziel und wurden über die Jahrtausende quasi 1:1 weitergegeben. Berücksichtigt man, wie viele Merkmale – in Aussehen und Verhalten – unsere Katze noch mit der Ur-Katze gemein hat, lässt sich von einem entwicklungsgeschichtlichen Standpunkt aus ohne Weiteres behaupten, dass sie fast identisch sind.

Ich werde Sie im weiteren Verlauf immer wieder bitten, sich die Ur-Katze vor Augen zu führen, da Ihre Katze durch sie ihr Mojo bezieht. Sie werden lernen zu erkennen, wenn sie die Ur-Katze anzapft, und wie wichtig es ist zu wissen, wie und wann sie das macht. Ebenso werde ich Sie bitten, alle Verhaltensweisen Ihrer Katze gesamtheitlich zu betrachten – doch damit das gelingt, müssen Sie erst verstehen, warum die Ur-Katze noch so dicht an der Oberfläche ist.

DIE WURZELN DER UR-KATZE

Es war einmal vor ewig langer Zeit … ein Aufblitzen von etwas katzenartigem, als vor etwa 42 Millionen Jahren die ersten Raubtiere auf der Erde auftauchten, die sich aus kleineren Säugetieren entwickelt hatten. Angehörige dieser Ordnung (zu denen Katzen, Hunde, Bären, Waschbären und viele andere Arten zählen) definieren sich über ihre Zahnstruktur – die sich speziell zum Reißen von Fleisch eignet – und nicht über ihre Ernährungsgewohnheiten. (Auch wenn die Ordnung ebenso Allesfresser und sogar einige Vegetarier umfasst.)

Raubtiere (Carnivora) teilen sich in zwei Gruppen oder „Unterordnungen“ auf: die Hundeartigen (Canoidea) und die Katzenartigen (Feloidea). Aber was genau macht letztere Gruppe so „katzenartig“? Naja, wie würden Sie einen Jäger nennen, der aus dem Hinterhalt angreift und etwas fleischfressender veranlagt ist, als andere Fleischfresser? Die Ur-Katze schlechthin natürlich!

Katzen-Daddy-Info
Das Erbgut von Tigern und Hauskatzen ist zu 96 Prozent identisch – was bedeutet, dass die Proteine, die den „Bauplan“ von Katzen ausmachen, bei vielen Katzenarten ähnlich aufgebaut sind.

EINE WUNDERSCHÖNE MUTATION WIRD GEBOREN! ÜBER DIE ENTSTEHUNG NEUER RASSEN.

Wenn man sich die Evolution der Katzen auf unserer Zeitleiste ansieht, könnte man sich fragen, was dieses ganze Geteile und Gespalte eigentlich soll. Ganz einfach, es markiert den jeweiligen Moment in der Geschichte, in dem die Vorfahren einer Spezies – sozusagen die Großeltern all dieser Katzen – sich abgespalten und quasi ihr eigenes Katzending gemacht haben.

Oder, um es etwas wissenschaftlicher zu formulieren: Neue Spezies entstehen, wenn es zu genetischen Veränderungen kommt, die dazu führen, dass Populationen mutieren. Dazu kommt es immer dann, wenn Tiere von anderen Tieren derselben Rasse isoliert werden. Das kann mit der Umgebung zu tun haben, vielleicht weil ein Gebiet stärker verteidigt wird oder sich das Beuteaufkommen verändert hat, sodass einzelne Tiere abwandern mussten, oder weil sich natürliche Barrieren in Form von Inseln oder Flüsse gebildet haben und einzelne Gruppen voneinander getrennt wurden. Es können aber auch verhaltensspezifische Faktoren eine Rolle spielen – zum Beispiel, weil es eher unwahrscheinlich ist, dass sich nachtaktive Tiere mit tagaktiven Tieren paaren.

Nerd-Katzen-Ecke
Weit entfernt im Osten.
Die Ursprünge der Siamkatze
Als sich Katzen vor etwa 2000 Jahren im Fernen Osten ausbreiteten, gab es dort keine Wildkatzen, mit denen sie sich kreuzen konnten. Diese genetische Isolation führte zu verschiedenen Mutationen, die heute charakteristisch für orientalische Katzenrassen sind – zum Beispiel die Siamkatze, die Tonkanese oder die Burma-Katze. Aktuelle DNA-Studien gehen von etwa 700 Jahren isolierter Fortpflanzung aus, und auch wenn sie zur selben Spezies wie andere Hauskatzen gehören, weist ihr genetisches Profil eindeutig auf einen einzigen Vorfahren aus Südostasien hin.

Genetische Veränderungen sind üblicherweise physischer (wenn Spezies unterschiedliche Merkmale aufweisen) oder reproduktiver Natur (wenn sich Spezies nicht paaren können), können aber auch etwas verschwimmen, wie man an den ganzen Hybridkatzen sehen kann, die mittlerweile gezüchtet werden. Wie auch immer, je schneller sich Tiere reproduzieren, desto schneller können diese Veränderungen in Kraft treten (entwicklungsgeschichtlich gesehen, natürlich) und neue Arten entstehen.

KLEINKATZEN

Kleinkatzen können ferner in Altweltkatzen (aus Afrika, Asien oder Europa) oder Neuweltkatzen (aus Zentral- und Südamerika) unterteilt werden. Zu den Arten der Alten Welt zählen Hauskatzen, Wildkatzen, Fischkatzen, Luchse, Rotluchse, Karakale, Servale und Geparden, und zu den Arten der Neuen Welt Ozelote, Kleinfleckkatzen und Pumas.

Die Unterscheidung zwischen Katzen aus der Alten und Neuen Welt ist jedoch nicht so einfach wie bei anderen Rassen, da Katzen entwicklungs­geschichtlich eng miteinander verbunden sind. Teilweise verhalten sie sich jedoch recht unterschiedlich. Zum Beispiel:

Katzen-Daddy-Info
Großkatzen brüllen (abgesehen von Schneeleoparden), schnurren aber nicht (abgesehen von Geparden), und Kleinkatzen schnurren, brüllen aber nicht. Das liegt zum Teil an einem kleinen Knochen, dem ­Zungenbein, der bei Großkatzen elastisch ist. Davon abgesehen haben Großkatzen lange, flache, viereckige Stimmlippen und einen längeren Vokaltrakt, was es ihnen erlaubt, mühelos lauter und dunkler zu ­brüllen, während sich das verknöcherte Zungenbein von Kleinkatzen in Kombination mit den Stimmbändern „nur“ zum Schnurren eignet.
Großkatzen brüllen, um zum Beispiel ihr Revier zu verteidigen, ohne sich in einen direkten Machtkampf begeben zu müssen. Das Gebrüll ist über weite Strecken zu hören und besagt so viel wie: „Ich bin hier, also haltet euch fern!“ (Mehr über das Schnurren in Kapitel 4.)

Nach all dem Gerede, was Katzen aus der Alten Welt von Katzen aus der Neuen Welt, was Groß- von Kleinkatzen und was Kleinkatzen voneinander unterscheidet, sollten wir eines jedoch nicht vergessen: alle existierenden Katzenrassen (aktuell sollen es 41 sein) haben denselben Vorfahren, was bedeutet, dass alle Katzen zwangsläufig Raubtiere sind, große Augen und Ohren haben, kraftvolle Kiefer und einen Körper, der aufs Töten programmiert ist. Alle Katzen schleichen sich auf leisen Sohlen an und haben ausfahrbare Krallen, was leise, blitzartige Angriffe begünstigt. Und zu guter Letzt eint alle Katzen, vom Tiger bis zur getigerten Katze, der Trieb, ein Territorium nicht nur zu erobern, sondern es auch zu behalten.

ETWAS WENIGER WILD, BITTE:
DIE GESCHICHTE DER DOMESTIZIERUNG

Wissenschaftlich gesehen, gestaltet es sich als schwierig, eine eindeutige Zeitleiste der Domestizierung zu erstellen, da Katzen genetisch, physisch und in ihrem Verhalten ihren wilden Verwandten extrem ähnlich sind (so sehr, dass es schon zu vielen Kreuzungen zwischen Hauskatzen und Wildkatzen gekommen ist). Im Übrigen scheint es mir auch grundsätzlich falsch, von Hauskatzen zu sprechen, da ich glaube, dass Katzen nie vollständig domestiziert wurden. Warum sollte ich mit Nachdruck auf die Ur-Katze in unserer Katze verweisen, wenn dem so wäre? Ich sehe das so: Jedes Mal, wenn Sie die Ur-Katze in Ihrer Katze erkennen, wird die bloße Vorstellung einer Domestizierung Lügen gestraft. So viel dazu … Aber lassen Sie uns nun einen Blick auf das werfen, was wir tatsächlich wissen – und zwar, wie sich die Ur-Katze Schritt für Schritt in das verwandeln konnte, was wir heute „Hauskatze“ nennen.

Katzen haben Tausende von Jahren mit und in der unmittelbaren Nähe von Menschen, gelebt, ohne sich je vollständig von ihnen abhängig zu machen. F. s. lybica – die Ur-Rasse – scheint dabei leichter zu zähmen gewesen zu sein, als alle anderen, eng miteinander verwandten Wildkatzen, doch letzten Endes gründete ihre Entwicklung in den Vorteilen, die das Zusammenleben brachte. Als der Mensch sesshaft wurde und begann, Ackerbau zu betreiben, nahmen die Populationen an Nagetieren schlagartig zu, sodass für Katzen die Nähe zum Menschen attraktiv wurde, und für den Menschen die Nähe zu Katzen als natürliche Schädlingsbekämpfer – was zu einer Win-Win-Situation führte, die sich als roter Faden durch die Geschichte ziehen würde.

GÖTTER UND MUMIEN

Die Kehrseite einer jeden längeren Beziehung zwischen Menschen und Tieren ist, dass sie nie auf Gleichberechtigung basiert. Leider hatte der Mensch durch die Jahrhunderte immer alle Trümpfe in der Hand und spielte sie auch gnadenlos aus. Katzen wurden mal mehr, mal weniger ­verehrt – je nachdem, wie sehr ihre Talente als Kammerjäger gefragt waren. Die eigentliche Liebesbeziehung zwischen Menschen und Katzen mit allen Höhen und Tiefen begann erst, als der Mensch die einzigartige Persönlichkeit und die Gesellschaft von Katzen zu schätzen lernte. Von da an ent­wickelte sich die Beziehung ziemlich schnell … und mitunter ziemlich extrem.

Die Katzenverehrung im Alten Ägypten dürfte uns allen bekannt sein. Dabei ist jedoch wichtig zu wissen, dass der ägyptische Wohlstand vom Getreide abging … was Landwirtschaft bedeutete … was Nagetiere bedeutete … was wieder einmal die Rolle der Katze als wichtigem Schädlings­bekämpfer unterstreicht und ihren Wert in der ägyptischen Gesellschaft höchstwahrscheinlich begünstigte. (In weiten Teilen Europas hatten dagegen Wiesel die Rolle des Schädlingsbekämpfers übernommen, weswegen Katzen dort kein größerer Wert beigemessen wurde.)

Dennoch, die alten Ägypter verehrten Katzen, vielleicht sogar mehr als jede andere Kultur. Sie wurden in Kunstwerken dargestellt, als Haustiere gehalten und lebten in Tempeln. Wenn jemand einer Katze ein Leid zufügte, wurde derjenige bestraft, und starben Katzen eines natürlichen Todes, rasierte sich die Familie als Zeichen der Trauer die Augenbrauen. Ihre Verehrung ging so weit, dass sie Katzen samt Mäusen als Beigabe mumifizierten, um sie auf ein Leben nach dem Tod vorzubereiten.

Aber selbst im katzenverliebten Ägypten war nicht immer alles rosig, da nicht alle mumifizierten Katzen heißgeliebte Haustiere waren. Sie wurden auch den Göttern geopfert, und die hohe Nachfrage führte zu Massenzüchtungen, damit man Katzen einfacher töten und mumifizieren konnte.

Ein weiterer großer Katzenfreund war der Prophet Mohammed, denn auch in der islamischen Kultur wurden Katzen nicht nur für ihre Talente als Schädlingsbekämpfer geschätzt. Eine der bekanntesten Geschichten um den Propheten und seine Katzenliebe weiß zum Beispiel zu berichten, dass er, als er zum Gebet gerufen wurde, lieber den Ärmel seiner Gebetsrobe abgeschnitten haben soll, auf dem seine Lieblingskatze Muezza eingeschlafen war, als sie aufzuwecken. (Kommt Ihnen das bekannt vor? Haben Sie auch schon mal darauf verzichtet, vom Sofa aufzustehen, nur weil Ihre Katze in Ihrem Schoß eingeschlafen ist?)

Auch in anderen Teilen der Welt wurden Katzen verehrt – besonders in heidnischen Kulturen –, verloren jedoch im Zuge der Christianisierung immer mehr an Ansehen. Im Mittelalter war es dann besonders schlimm um unsere Freunde bestellt, als man sie mit dunklen, teuflischen Mächten assoziierte. In dieser Zeit sollen Millionen von Katzen getötet, in Hexenprozessen verurteilt und auf Scheiterhaufen verbrannt worden sein, und wer versuchte, sein Haustier zu schützen, geriet nicht selten selbst ins Kreuzfeuer der Inquisition.

Bittere Ironie: Damals grassierte auch der Schwarze Tod und kostete Millionen Menschen das Leben. Heute wissen wir, das Ratten (oder eher die Flöhe in ihrem Fell) die Plage übertragen haben, doch dürfte der Tod all dieser Katzen mit Sicherheit zur Verbreitung der Ratten beigetragen haben. Zwar wird dieser Zusammenhang mittlerweile in Frage gestellt und eher vermutet, dass unter anderem die beengten Verhältnisse die rasche Ausbreitung der Pest begünstigt haben, aber mehr Katzen hätten natürlich auch mehr Abhilfe schaffen können.

Aberglaube und Stigmatisierung färben bis heute unsere Wahrnehmung von Katzen. Haben wir nicht alle schon gehört, dass schwarze Katzen Unglück bringen, besonders wenn sie unseren Weg von rechts kreuzen? Katzen sind heute beliebter denn je, und trotzdem töten wir sie noch immer jedes Jahr massenweise in Heimen, von streunenden Katzen ganz zu schweigen. Hoffentlich werden jedoch auch diese Ideologien bald der Vergangenheit angehören.

2. Der viktorianische Wendepunkt

Nach all den Höhen und Tiefen, die die Ur-Katze durch die Jahrhunderte erlebt hat, folgt nun der Moment, der sie am nachhaltigsten beeinflussen würde: ihr Einzug ins Haus. Genau genommen hat dieser Moment aber auch uns nachhaltig beeinflusst, denn ab hier nimmt unsere Zeitleiste einen wilden Zickzackkurs ein, und die Mensch-Katze-Beziehung definiert sich aufgrund der ungewohnten räumlichen Nähe immer wieder neu. Bedenkt man, wie lange bis dahin beide Parteien mit dem Arrangement „Ihr bleibt draußen, wir drinnen“ zufrieden waren, stellt sich doch die Frage, wie und warum sich dieser Schritt vollziehen konnte, und wie sich die Dynamik zwischen Menschen und Katzen seitdem entwickelt hat.

ES GEHT HOCH HINAUS …

Vor etwa 150 Jahren kamen die Menschen auf die Idee, Katzen in ihr Zuhause einzuladen – was heutzutage, zumindest im angelsächsischen Raum, gerne Königin Victoria zugeschrieben wird.

Königin Victoria galt als ein wenig einzelgängerisch, war aber auch eine große Katzenfreundin, die den Tierschutz voranbrachte und aus der SPCA (der Gesellschaft zur Verhütung von Grausamkeiten an Tieren) die Royal SPCA machte, indem sie deren Schirmherrin wurde. Neben ihren vielen Hunden, Pferden, Ziegen etc. besaß sie zwei innig geliebte Perserkatzen, von denen eine, White Heather, noch lange nach ihrem Tod im Buckingham-Palast lebte.

Im Viktorianischen Zeitalter (England, 19. Jahrhundert) wurden Haustiere immer populärer. Tiere wurden generell menschlicher behandelt und zu einem vornehmen Statussymbol, um seine Macht über die Natur zu demonstrieren. Das anspruchsvolle Wesen von Katzen machte sie – „wild und trotzdem reinlich“ – zum perfekten Gefährten für den Menschen. Viele Schriftsteller und Künstler bekundeten ihre Verehrung, und die Menschen fingen an, Beerdigungen für ihre geliebten Katzen zu organisieren.

… IN DIE PENTHOUSES DER WELT

Seit die erste aller Ur-Katzen auf der Erde wandelte, ist viel passiert, sowohl in Sachen Beziehung zum Menschen als auch (wenn auch etwas weniger) in Sachen Erbgut. Und während sowohl Katzen als auch Hunde das Zusammenleben mit uns Menschen hervorragend gemeistert haben, hat sich unsere Beziehung zu unseren Katzen (im Gegensatz zu unseren Hunden) entwickelt, ohne dass wir versucht hätten, sie zu verändern. Die Katze, die um unsere Beine strich, als es darum ging, unsere Ernte vor Nagern zu schützen, ist also im Wesentlichen dieselbe geblieben, wie die, die heute das Bett mit uns teilt.

Die größte Verschiebung in der Mensch-Katze-Beziehung fand erst aufgrund des demografischen Wandels von einem ländlichen zu einem städtischen Lebensmodell statt. Wie bereits erwähnt, waren Katzen im ländlichen Modell eher Schädlingsbekämpfer als Familienmitglieder, auch wenn sie manchmal ins Haus gelassen wurden, während das städtische Modell den Auftakt zu einer liebevollen, familienorientierten Beziehung zwischen Katzen und ihren Hütern darstellt, wofür es verschiedene Gründe gibt:

Erstens führt das Stadtleben dazu, dass mehr Menschen allein leben und weniger Verwandte in der Nähe wohnen. Das kombiniert mit einer höheren Scheidungsrate und weniger Kindern – und schon dürfte klar sein, warum die Mensch-Katze-Beziehung eine zentralere Rolle im Leben eines jeden Hüters spielt. Ein anderer Grund ist, dass Menschen in der Stadt beengter leben und lange arbeiten, weshalb sie sich eher für kleinere Tiere als Gefährten entscheiden. Und dann wäre da noch mein Lieblingsgrund, weshalb Katzen so beliebt in Städten sind: man hält sie für „pflegeleicht“! Klar, wenn dem so wäre, wäre ich doch längst arbeitslos, oder?

Dieser Paradigmenwechsel – vom Land in die Stadt, von draußen nach drinnen – ist jedoch keineswegs abgeschlossen. Die Verschiebung ist noch im vollen Gange, und wir müssen weiterschieben, unter anderem, weil es weiterhin viele Orte auf der Welt gibt, an denen Katzen als Plagen oder Schädlinge gelten. Hinzu kommt, dass in Kulturen (wie unserer), in der Katzen geliebt werden, viele Hüter sie so frei sehen möchten wie ihre wilden Vorfahren und es grausam finden, sie in „Geiselhaft“ zu nehmen. Das Ziel „Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende“ scheint also noch in weiter Ferne.

EVOLUTION IM TURBOGANG. WIE SEHR HABEN SICH KATZEN DURCH DAS ZUSAMMENLEBEN VERÄNDERT?

Schätzungsweise 96 Prozent aller Katzen suchen sich ihre Partner selbst aus, was für einen relativ unverfälschten Genpool sorgt. Das soll jedoch nicht heißen, dass sich Katzen durch das Zusammenleben mit uns Menschen nicht verändert hätten. In gewisser Hinsicht haben sie selbst selektiert: freundliche Katzen, die gut mit Menschen auskommen, haben bessere Chancen, von ihnen aufgenommen zu werden, und paaren sich entsprechend eher mit Katzen, die ähnlich freundliche/tolerante Gene haben. Folglich hat keine bewusste Selektion spezifischer Merkmale stattgefunden, sondern das Zusammenleben mit dem Menschen hat zu den wesentlichen genetischen Veränderungen geführt.

Nerd-Katzen-Ecke
Was hat sich bei Katzen verändert?
2014 sammelten Wissenschaftler DNA-Proben von 22 Hauskatzen verschiedener Rassen (Main Coon, Norwegische Waldkatze, Birma-Katze, Japanese Bobtail, Türkisch Van, Ägyptische Mau und Abessinier) sowie von Wildkatzen aus dem Nahen Osten und Europa – und konnten so einige der wichtigsten genetischen Veränderungen gezähmter Katzen bestimmen.
Genetische Veränderungen hinsichtlich:
Verbesserter Gedächtnisleistung
Verbesserter Assoziationsfähigkeit zwischen Reiz und Belohnung (Leckerli)
Geringerer Angstkonditionierung (heutige Katzen schalten nicht mehr so schnell in den Kampf-oder-Flucht-Modus)
Körperliche Merkmale:
Kleinerer Körper
Kürzerer Kiefer
Kleineres Gehirn
Kleinere Nebennieren, die den Kampf-oder-Flucht-Instinkt bedingen
Längerer Darm aufgrund der Futterumstellung
Längere Eckzähne, um mit einem gezielten Biss ins Genick zu töten. Die Zähne von Hauskatzen sitzen enger als die anderer Katzen, weil sie sich daran gewöhnt haben, kleine Nagetiere zu fangen – die Lieblingsbeute unserer Hauskatzen.
Was sich nicht verändert hat:
Die Schädelform – die Form ist bei allen Katzenarten ähnlich und ihr Kiefer speziell darauf ausgerichtet, mit einem einzigen, kräftigen Biss zu töten. Der Schädel unserer Hauskatze mag vielleicht viel kleiner als der eines Löwen oder Tigers sein, ist aber ähnlich aufgebaut.
Das Verhalten! (größtenteils …)
Die meisten Katzen suchen sich ihre Partner selbst aus, was für einen gesunden Genpool sorgt
Katzen überleben (größtenteils) immer noch ohne uns.

AUFTRITT DES PUPPENSPIELERS: DIE RASSEKATZE

Als Gregor Mendel im späten 19. Jahrhundert sein berühmtes Werk über die dominant-rezessive Vererbungslehre von Erbsen veröffentlichte, konnte der Mensch erstmals ein genaueres Verständnis von den Prinzipien der Genetik entwickeln. Zwar hatte man Tiere auch schon vorher gezüchtet – hauptsächlich Vieh, um die Versorgung zu sichern, und natürlich Hunde, um Wild aufzustöbern, zu jagen, zu apportieren und Vieh zu treiben –, aber wenn es darum ging, gezielt nach Aussehen oder Verhalten zu züchten, waren die Ergebnisse eher durchwachsen.

Als das Verständnis jedoch da war, begann der Mensch, durch kontrolliertes Züchten in die Evolution der Katzen einzugreifen, indem er sie gezielt kreuzte – sprich für sie entschied, mit wem sie sich zu paaren hatten. Allerdings wurde zunächst nur nach ästhetischen und nicht nach zweckmäßigen Gesichtspunkten gezüchtet. Wir wollten nicht ihre Art, sondern nur ihr Aussehen verändern …

In Folge dieser Kreuzungen nach Aussehen entstanden die ersten Züchtungen (wie die Perserkatze), bei denen es primär um eine bestimmte Fellfarbe ging (wobei man fälschlicherweise annahm, dass die Kreuzung einer schwarzen mit einer weißen Katze zu einer grauen Katze führte), sodass bereits 1871 im Rahmen einer ersten Katzenausstellung in England Perserkatzen, Russisch Blau, Siamkatzen, Angorakatzen, Abessinier sowie Manx-Katzen und Kurzhaarkatzen in allen möglichen Fellfarben präsentiert werden konnten.

und

Und bitte schön – 42 Millionen Jahre Evolution und eine gründliche Einführung in die Geschichte der Ur-Katze, eingedampft auf zwei kurze Kapitel. In Teil 2 werden wir uns mit allem beschäftigen, was Sie jemals über Ihre Katze wissen wollten, sich jedoch nie zu fragen getraut haben.