Sofia Muratore wäre so gern glücklich und trägt doch immer Schwarz. Sie hat zwei ungleiche Augen und fühlt sich wie ein »Luftballon hinter Gittern«. Mit zehn Jahren rasiert sie sich aus Protest die Haare, mit sechzehn hat sie von allem genug. Sie erträgt die Krisen der Eltern nicht, will Schauspielerin werden, wird aber nur magersüchtig. Sie zieht von Mailand nach Rom und dann nach New York.
Sie verliebt sich, taucht ein in das Leben anderer und verflüchtigt sich sofort wieder wie Gas. Überhaupt ist Sofia immer auf der Flucht, vor ihren Freunden, Liebhabern, den Eltern und sich selbst – in der Hoffnung, anderswo endlich zur Ruhe zu kommen.
Sofia trägt immer Schwarz ist ein eindringlich-empathischer Roman über die Rastlosigkeit der Zeit – wie in seinem Bestseller Acht Berge beweist Paolo Cognetti ein feines Gespür für die drängenden Fragen unseres Lebens.
Paolo Cognetti, 1978 in Mailand geboren, hat Mathematik studiert, einen Abschluss an der Filmhochschule gemacht und Dokumentarfilme produziert, bevor er sich ganz dem Schreiben zuwandte. Sein preisgekrönter Bestseller Acht Berge (DVA, 2017) brachte ihm den internationalen Durchbruch; er erscheint in rund 40 Ländern. Mit Sofia trägt immer Schwarz liegt nun Cognettis vielfach ausgezeichneter Debütroman aus dem Jahr 2012 erstmals auf Deutsch vor.
»Ein kosmopolitischer Roman von Liebe und Anarchie,
die Figuren so glaubwürdig und authentisch,
als wäre man mit ihnen persönlich bekannt.« La Repubblica
»Mit viel Feingefühl erzählt Paolo Cognetti
von einer Frau in der Krise.« Marie Claire
»Ein wunderbares Buch – lesen Sie es unbedingt,
Sie werden Sofia nie mehr vergessen!« Vanity Fair
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Paolo Cognetti
Sofia trägt immer Schwarz
Roman
Aus dem Italienischen
von Christiane Burkhardt
Sterben
ist eine Kunst, wie alles.
Ich kann es besonders schön.
Ich kann es so, dass es die Hölle ist, es zu sehn.
Ich kann es so, dass man wirklich fühlt, es ist echt.
Sie können, glaube ich, sagen, ich bin berufen zu diesem Ziele.
Sylvia Plath
Das Licht der Welt
Eines Nachts trat die Krankenschwester ans Fenster der Station und entdeckte seinen Lieferwagen vor der Klinik. Die Scheinwerfer flammten drei Mal auf und gingen erneut an, als sie den Arm zum Gruß hob. Sie bat ihre Kollegin, für sie einzuspringen, nahm die Hintertreppe zum Personaleingang, und dort, im Herbstregen, ließ der Mann das Fenster hinunter und sagte, er habe einige Entscheidungen gefällt. Die Krankenschwester sah ihn forschend an und wusste nicht recht, ob sie ihm glauben sollte. Sie vergewisserte sich, dass niemand sie beobachtete, und bat ihn dann hinauf in den ersten Stock. Dort fand sie ein leeres Zimmer, in dem sie in Ruhe reden konnten.
Sein Schnurrbart roch nach Wein – überlagert vom üblichen Zigarettengestank. Auf dem Zimmer umarmte er sie und schob sie zum Bett, aber die Art und Weise gefiel ihr nicht, sodass er sich eine Abfuhr holte. Er spielte den Beleidigten. Dann öffnete er das Fenster, zündete sich eine Zigarette an und schaute hinaus. Nach einer Minute sagte er: »Wenn es so weiterregnet, bekommen wir noch Flossen genau wie Fische.«
»Und?«, sagte die Krankenschwester. »Verrätst du mir jetzt, warum du hier bist?«
Der Mann antwortete nicht gleich. Er schaute in den Regen hinaus und nahm noch ein paar Züge. Dann sagte er, dass er an diesem Abend nicht nach Hause zurückkehren werde. Er habe die Tür laut hinter sich zugeknallt und seiner Frau zugerufen, er habe genug. Er sagte nicht, dass er anschließend in der Bar gewesen war, aber das merkte man auch so. Es war Viertel vor zwei. Er fuhr sich durchs feuchte Haar, und die Krankenschwester stellte sich vor, wie er ein paar Gläser getrunken hatte, um die Zeit totzuschlagen, am Tresen mit anderen Männern über Frauen geredet und die Kellnerin angebaggert hatte, bevor er zu ihr gekommen war. »Wenn auch du mich nicht willst, schlaf ich im Lieferwagen«, sagte er, »mir ist das egal.« Als er erneut versuchte, sie zu umarmen, ließ sie ihn gewähren, schloss die Augen und zwang sich, nicht an seine vielen falschen Versprechungen und Lügen zu denken.
Noch in derselben Nacht wurde sie zu einer Notgeburt gerufen: eine zweiundzwanzigjährige Frau, im siebten Monat schwanger. Sie brachte ein winziges, blau angelaufenes Mädchen zur Welt und hatte heftige Blutungen. Die Hebamme gab ihm einen Klaps auf den Rücken, damit es schrie und atmete, aber das Mädchen wollte weder schreien noch atmen und musste wiederbelebt werden. Dem Arzt kam diese Frühgeburt merkwürdig vor: Wie sich herausstellte, hatte die Mutter in der Schwangerschaft heimlich verbotene Medikamente gegen Magengeschwüre geschluckt. Doch im Moment war sie viel zu mitgenommen, um weitere Auskünfte zu erteilen. Sie hatte viel Blut verloren. Sie lag in ihrem Bett, jammerte laut und verwünschte sich. Man stellte sie ruhig, hängte sie an den Tropf und ließ sie erst mal schlafen, um sie später näher zu befragen.
Am Brutkasten des Mädchens war ein Namensschild befestigt: Sofia Muratore. Der Vater besuchte es mehrmals am Tag. Erschöpft und verstört pendelte er zwischen Frau und Tochter hin und her und fragte sich, wer von beiden für das Leid der jeweils anderen verantwortlich war. Da er das Mädchen nicht anfassen durfte, beobachtete er es lange durch die Glasscheibe und wusste nicht recht, ob er es ins Herz schließen, wunderschön oder monströs finden sollte – wie das bei Neugeborenen oder tropischen Amphibien eben so ist.
Die Krankenschwester gewöhnte sich an, nachts, wenn niemand sie sah, mit Sofia zu reden. Sie setzte sich neben den Brutkasten und erzählte. Es war, als würde sie mit ihren Balkonpflanzen reden: Gut möglich, dass es nichts half, aber ihr tat es gut, und dem Mädchen konnte es zumindest nicht schaden. Nacht um Nacht erzählte sie Sofia einfach alles: vom Bauernhof, auf dem sie aufgewachsen war. Vom Leben bis zu ihrem dreißigsten Lebensjahr. Vom Priester, der sie davon überzeugt hatte, ihre Berufung zu ergründen. Von den grausamen Nonnen auf der Krankenpflegeschule. Von dem Tag, als sie in die Stadt gekommen war und beim Anblick ihrer Wohnung geweint hatte. Sie hatte sich eine gewisse Härte zulegen müssen. So wie dem Blut, dem Erbrochenen, dem Kot, den entzündeten Wunden gegenüber – all dem, was man eben so zu sehen bekommt, wenn ein Körper aufplatzt, von Krankheit heimgesucht oder durch einen Unfall verstümmelt worden ist, und man den Blick nicht abwenden darf. All das erzählte sie ihr in möglichst einfachen Worten.
Als sie eines Nachts mit Sofia sprach, hörte sie ein Hupen, trat ans Fenster und sah den Lieferwagen des Mannes auf dem Parkplatz stehen. Die Scheinwerfer flammten auf, aber sie rührte sich nicht von der Stelle. Sie blieb, wo sie war, damit ihre Botschaft auch ankam. Er stieg aus dem Lieferwagen, schaute zum Fenster hinauf, rauchte eine Zigarette, um die Kippe anschließend wegzuwerfen und auszutreten, als würde er sie damit meinen. Dann stieg er in den Lieferwagen, wendete und fuhr davon.
»Sofia«, sagte die Krankenschwester laut hörbar, »weißt du, was das ist, eine Geburt? Ein Schiff, das in den Krieg zieht.«
Noch am selben Morgen verkündete der Kinderarzt, das Mädchen sei außer Lebensgefahr, und endlich wurde es seiner richtigen Mutter übergeben.