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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74092-870-4
Der Stalker!
Das war der einzige Gedanke, der Roberta beherrschte. Sie dachte nicht darüber nach, dass es gefährlich werden könnte, dass er aus Angst vor Entlarvung übergriffig werden könnte.
Es musste ein Ende haben!
Nur daran dachte sie, und deswegen stürzte sie sich auf ihn, krallte sich an seiner Jacke fest und stieß hervor: »Endlich habe ich dich.«
Es war ein Mann, der schüttelte sie ab und drehte sich um. Und jetzt musste Roberta sich erst einmal von ihrer Überraschung erholen. Sie hätte mit allem gerechnet, damit wirklich nicht. An ihn hätte sie in ihren kühnsten Träumen nicht gedacht. Dieses Kapitel war doch längst schon abgeschlossen.
Der Stalker war … Dr. Max Steinfeld, ihr Ex-Ehemann!
Sie starrten sich an.
Max war anzusehen, dass es ihm überhaupt nicht recht war, erwischt worden zu sein. Für ihn hätte das Spiel weitergehen können.
Roberta brauchte eine Weile, ehe sie etwas sagen konnte.
»Max, was soll das? Warum tust du das? Du hast doch alles bekommen, was du wolltest, sogar noch mehr als dir zustand, weil ich dieses unwürdige Spiel, diesen Rosenkrieg einfach beenden wollte.«
Er sah schlimm aus, ein wenig heruntergekommen, längst nicht mehr so selbstherrlich, so arrogant, wie er immer als Halbgott in Weiß aufgetreten war.
»Es ist alles deine Schuld«, stieß er hervor. »Du hast alles kaputt gemacht.«
Nun verstand Roberta überhaupt nichts mehr.
»Max, hast du eine Amnesie? Du warst es, der mich permanent betrogen hat. Du warst hinter den Sprechstundenhilfen her, hinter allen Frauen, die bei drei nicht auf den Bäumen waren, du hast selbst vor Patientinnen nicht Halt gemacht. Soll ich noch mehr aufzählen, oder reicht das? Wenn jemand alles kaputt gemacht hat, dann du. Aber darüber müssen wir jetzt nicht mehr reden, das ist Vergangenheit. Max, warum hast du mich gestalkt? Was hast du damit bezweckt? Und vor allem, warum rote Rosen?«
Er war sauer, weil sie ihn erwischt hatte, das konnte er nicht verbergen.
»Können wir ins Haus gehen?«, schlug er vor.
Roberta schüttelte den Kopf.
»Nein, Max Steinfeld, mein Haus betrittst du nicht mehr.«
»Dein Haus?«
Das klang so hasserfüllt, dass Roberta sich ärgerte, es gesagt zu haben. Es ging ihn schließlich nichts an. Jetzt machte sie sich sogar schon deswegen Gedanken. »Ja, mein Haus«, sagte sie beinahe trotzig. »Ehe du auf komische Gedanken kommst, Max, das habe ich gekauft, als wir längst schon geschieden waren. Du kannst keine Forderungen geltend machen.«
Sein Gesicht war wutverzerrt. Er sagte nicht direkt etwas, aber man sah ihm an, wie es in ihm arbeitete. »Dein Haus, deine Praxis, dein Liebhaber, alles dein, dein, dein.«
Am liebsten hätte sie ihn jetzt stehen lassen, aber es musste zu einem Abschluss gebracht werden. Sie musste ihm erklären, dass er es nicht wagen sollte, sich ihr noch einmal zu nähern. Er war neidisch, er wusste von Lars. Er hatte sie also schon länger beobachtet.
»Max, gönnst du mir mein Leben nicht? Wir haben gemeinsam studiert, wir haben gemeinsam in der Praxis gearbeitet, die ich in erster Linie aufgebaut habe, in die ich Geld gesteckt habe. Und diese florierende Praxis habe ich dir überlassen, nur um einen Schlussstrich ziehen zu können. Und was hast du getan? Du hast alles gegen die Wand gefahren. Das wäre vermeidbar gewesen, wenn du endlich angefangen hättest, wie alle anderen Menschen es auch tun, zu arbeiten. Wenn man eine so große Praxis führt, mit vielen Angestellten, mit einem großen Patientenkreis, da reicht es nicht, im weißen Kittel herumzustolzieren, ein wenig Small Talk zu machen. Da muss man in erster Linie arbeiten. Danach kommt das Privatleben.«
»Hör auf, mich belehren zu wollen«, begehrte er auf. »Dir ist halt immer alles in den Schoß gefallen, und wenn du …« Es reichte!
Roberta unterbrach ihn.
»Max, ich habe mir alles hart erarbeitet. Aber jetzt möchte ich nicht mehr darüber diskutieren, das wird eine endlose Geschichte, und du wirst dann immer noch uneinsichtig sein. Max, ich hätte allen Grund dazu, doch ich werde dich nicht anzeigen. Sollte mir noch einmal so etwas widerfahren, werde ich der Polizei sagen, dass ich dich in Verdacht habe, und dann rolle ich die ganze Geschichte auf. Eines möchte ich nur noch wissen, ehe ich gehe und dann niemals mehr etwas mit dir zu tun haben will. Warum die roten Rosen? Warum mein Lieblingsparfüm?«
»Weil das Stalker tun, die exzessiv in ihren Handlungen sind, die unberechenbar sind. Ich wollte dich in Angst versetzen. So einfach ist das. Du hast alles, ich habe nichts.«
Sie blickte ihren Exmann entsetzt an, fassungslos, weil sie nicht begreifen konnte, dass sie ihn einmal geheiratet hatte.
Und eines wurde ihr jetzt klar.
»Max, du bist neidisch!«
Das war ein schwerer Vorwurf, doch er stritt es nicht etwa ab, er gab es zu.
»Ja, ich bin neidisch, und ich bin wütend, weil ich der Scheidung zugestimmt habe. Ich habe alles verloren, und für dich wäre es auch besser, Chefin einer großen Großstadtpraxis zu sein, als hier in der Pampa weit unter deinen Fähigkeiten herumzuhampeln.«
»Max, ich bin glücklich, und um mich musst du dir keine Sorgen machen. Mach für dein verkorkstes Leben keine anderen verantwortlich.«
»Roberta, wir waren ein großartiges Team.«
Es war nicht zu fassen, wie er sich sein Weltbild zurechtdrehte.
»Max, wir waren kein Team, ich habe gearbeitet und dich mit durchgezogen, und dann habe ich dir bei der Scheidung mehr überlassen, als dir zustand. Ich mag nicht mehr reden. Du hast dein Leben, ich habe meines. Und ich möchte jetzt zu dem Mann gehen, den ich liebe, und den ich heiraten und mit dem ich Kinder bekommen werde.«
So, das hatte gesessen, und auch wenn es leider nicht stimmte, bereute Roberta keines ihrer Worte.
Er schnappte nach Luft, und sie ergriff die Gelegenheit, ihm zu sagen: »Max, was du getan hast, das war nicht nur unter deiner Würde, es war dreist. Denke dir nicht noch etwas anderes aus, dann kommst du so glimpflich nicht mehr davon.
Dann zeige ich dich an, das schwöre ich dir. Und, ach, ehe du gehst, nimm die rote Rose von meiner Windschutzscheibe weg. Vielleicht kannst du sie ja noch anderweitig verwenden.«
»Roberta, ich …«
Sie drehte sich noch einmal um.
»Max, Schluss jetzt, ich will nichts mehr mit dir zu tun haben. Zerstöre jetzt nicht noch das letzte bisschen schöner Erinnerung, die ich an die Zeit mit dir habe. Es ist nicht mehr viel, und ich möchte mich nicht dafür hassen, dich geheiratet zu haben. Adieu, Max …, und vergiss die Rose nicht.«
Dann ging sie endgültig und spürte unangenehm seine Blicke in ihrem Rücken. Wenn Blicke töten könnten, dann wäre sie jetzt vermutlich eine Leiche.
In seiner Gegenwart hatte sie sich ja zusammengerissen, doch jetzt bebte sie am ganzen Körper.
Max ein Stalker!
Das war so ungeheuerlich, dass es vermutlich noch eine ganze Weile dauern würde, bis sie das überwunden hatte. Er war neidisch, und er missgönnte ihr ihren Erfolg. Doch der war ihr ja nicht zugeflogen, sie hatte hart dafür gearbeitet, und anfangs war es wahrlich nicht einfach gewesen, im Sonnenwinkel Fuß zu fassen. Die Leute waren sauer gewesen, weil Dr. Riedel gegangen war, und misstrauisch, weil sie einer Frau nicht zutrauten, in seine Fußstapfen treten zu können. Sie hatte Enno Riedel längst überholt, über ihn sprach niemand mehr. Aber über sie, und das so voller Hochachtung, dass es ihr manchmal schon peinlich war.
Sie hatte neu anfangen müssen, Max hatte sich in ein gemachtes Nest gesetzt. Und er war kein schlechter Arzt, er hatte die Arbeit halt nicht erfunden, und die Rolle eines Halbgottes in Weiß gefiel ihm einfach zu gut. Und er konnte von den Frauen nicht lassen.
Ja, er hatte wirklich alles gegen die Wand gefahren.
Roberta sah das kleine Haus am See vor sich, alle Fenster waren erleuchtet, es wirkte einladend, heimelig, und sie ärgerte sich über sich selbst, weil sie den ganzen Weg über nur an Max gedacht hatte, schlimmer noch, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte, weil es ihr gut ging, weil ihre Welt in Ordnung war, weil sie über Max hinweg war. Das war er auch. Hätte sie ihm wirklich etwas bedeutet, dann hätte er sie nicht immerzu betrogen. Für Max war sie so etwas wie eine Kuh gewesen, die man wunderbar melken konnte.
Aus!
Schluss!
Vorbei!
Dr. Max Steinfeld war Vergangenheit, in dem Häuschen, das sie gleich betreten würde, war die beglückende Gegenwart. An Lars zu denken, besserte Robertas Laune sofort. Lars und sie waren wie zwei Schiffe, die sich begegnen mussten, mit ihm an ihrer Seite konnte sie das Floß ihres Lebens gefahrlos durch stürmischstes Gewässer bringen.
Wie sehr sie ihn doch liebte.
Ehe sie ins Haus ging, blieb sie noch einmal stehen, atmete tief durch, dann drückte sie die Türklinke herunter.
*
Lars Magnusson hatte an seinem Computer gearbeitet, doch als er Roberta erblickte, ließ er Arbeit Arbeit sein, sprang auf, ging ihr entgegen, wollte sie in seine Arme nehmen, doch dann hielt er inne, blickte sie forschend an.
»Roberta, mein Liebes, was ist geschehen? Ist dir ein böser Geist begegnet? Du siehst mitgenommen aus.«
»Das bin ich auch. Lars, du glaubst nicht, was ich erlebt habe. Ich weiß, wer der Stalker ist.«
Er führte sie zur Couch, setzte sich neben sie.
»Du weißt, wer der Stalker ist?«, erkundigte er sich ungläubig. Er hatte es hautnah mitbekommen, und er hatte erlebt, wie belastend es für Roberta gewesen war.
»Ja, Lars, und wenn ich dich jetzt fragen würde, würdest du niemals darauf kommen. Der Stalker ist mein Exmann Max, und ich habe ihn auf frischer Tat ertappt, als er eine rote Rose hinter den Scheibenwischer geklemmt hat.«
Lars Magnusson sah sie an, ein wenig verständnislos, als habe sie gerade Suaheli gesprochen.
»Dein Exmann?«, brachte er schließlich hervor, und Roberta nickte, und dann erzählte sie ihm alles.
»Er hat es aus Wut getan, er neidet mir mein neues Leben, und er ist zornig, weil ich dich habe. Er muss mich sehr genau beobachtet haben, denn er weiß alles über mich.«
Sie erzählte ihm jetzt nicht, dass sie Max, was ihre Beziehung betraf, einiges vorgeflunkert hatte.
Jetzt nahm er sie wortlos in seine Arme, hielt sie fest umschlungen.
Roberta genoss seine Nähe, wieder überkam sie das Gefühl von Geborgenheit. Sie waren sich so unglaublich nahe, und es bedurfte keiner Worte, um sie wissen zu lassen, wie sehr sie sich liebten, wie sehr sie auf einer Wellenlänge waren.
Roberta entspannte sich. Mit Lars an ihrer Seite konnte ihr überhaupt nichts geschehen. Lars war ihre Lebensliebe, und sie war so unendlich dankbar dafür, dass sie das erleben durfte.
Er zog sie enger an sich, und dann küssten sie sich. Wie schade, dass jetzt nicht die Geigen erklangen, die man im Kino bei solchen emotionalen Gelegenheiten dezent im Hintergrund hörte. Vermutlich lag es daran, dass das, was man auf der Leinwand erlebte, nur die Handlung eines ausgedachten Drehbuchs war. Da mussten die Liebesszenen besonders inszeniert werden.
Lars und sie …
Sie erlebten eine wunderbare Gegenwart, eine Zweisamkeit, die getragen wurde von einer ganz großen Liebe. Da brauchte man nicht einmal die berühmte Wolke Sieben.
Nach einer ganzen Weile lösten sie sich voneinander, er blickte sie noch immer besorgt an, ehe er sich erkundigte: »Geht es dir besser, mein Herz?«
Sie nickte. Es ging ihr wirklich besser.
»Ich weiß nicht, ob ich so großmütig gewesen wäre, ihn laufen zu lassen. Ich glaube, ich hätte ihn angezeigt.«
»Lars, und was hätte ich davon? Was passiert ist, ist passiert. Er hat es geschafft, mich in Schrecken zu versetzen. Erreicht hat er nichts. Seine Situation hat sich in keiner Weise verändert. Und wenn du ihn gesehen hättest! Es ist nichts mehr übrig geblieben, von dem selbstherrlichen Herrn Doktor. Ich weiß überhaupt nicht, womit er sein Leben jetzt fristet. Das Haus ist weg, die Praxis ist aufgelöst, die wirklich eine Goldgrube war.«
»Eine Praxis, in der du das Herz warst. Liebes, lass es los. Erinnere dich nicht mehr an das, was war. Du hast dir nicht vorzuwerfen. Ich bin auf jeden Fall froh, dass ich mir keine Sorgen mehr um dich machen muss, dass du wieder in deinem eigenen Haus schlafen kannst.«
Als er ihren Blick bemerkte, lächelte er.
»Ich bin gern mit dir bei dir, ich bin gern mit dir bei mir. Wo du bist, da ist mein Zuhause. Dieses Heimatgefühl, den Wunsch nach Hause zu kommen, den habe ich erst, seit ich dich kenne. Ich bin so froh, dass es dich gibt.«
Er ergriff ihre Hand, hielt sie fest.
»Mein Manuskript über die Eisbären wird in spätestens zwei Wochen fertig sein, doch ich werde danach nicht arbeitslos. Der Verlag hat mir ein neues spannendes Projekt angeboten, und ich denke, dass ich da zusagen werde.«
Roberta merkte, wie ihr Herz schwer wurde. Er war doch erst so lange weg gewesen.
»Es ist so schön«, fuhr er fort, »dass ich mein Leben weiterhin planen kann, ohne mit dir Probleme zu bekommen. Frauen machen Theater, wollen in erster Linie die Zweisamkeit genießen, stets einen Mann an ihrer Seite haben. Nach meiner gescheiterten Ehe wollte ich mich niemals mehr auf eine neue Beziehung einlassen, doch dann kamst du, und auf einmal war alles anders. Wir sind uns so nahe, wie man sich nicht näher sein kann, und auch wenn wir uns nicht sehen, sind wir wie mit einem unsichtbaren Band ganz eng miteinander verbunden …«, er hielt inne, warf ihr einen liebevollen Blick zu, »das ist so, weil wir uns lieben, lieben in der allerhöchsten Form, ohne Forderungen, ohne Besitzanspruch …, ich liebe dich so sehr, Roberta Steinfeld, du bist ein Geschenk des Himmels.«
Es waren wunderbare Worte, die alle ernst gemeint waren, ihr müsste das Herz aufgehen, doch da war im Hintergrund der Gedanke daran, dass er wieder gehen würde.
Wann? Wohin?
Vielleicht war es jetzt nicht der rechte Augenblick, doch sie musste ihm die Frage einfach stellen.
»Und das neue Projekt, das man dir angeboten hat?«, erkundigte sie sich.
Er war ein wenig irritiert, doch dann begann er zu strahlen.
»Gut, dass du noch mal davon anfängst. Ja, es ist eine ganz spannende Sache, und eigentlich bin ich mir sicher, dass ich den Auftrag annehmen werde. Es geht um ein Buch über den Highland Tiger.«
Roberta blickte ihn fragend an.
»Highland Tiger? Das sagt mir nichts.«
»Über ihn weiß man nicht viel, es ist eine Wildkatze, die nicht größer ist als eine Hauskatze. Niemand kann sie zähmen, und sie ist vom Aussterben bedroht, es gibt nicht mehr viele davon, es ist schwierig, sie zu finden. Und für die Schotten ist der Highland Tiger so etwas wie ein Freiheitssymbol.«
Er lächelte.
»Diesmal geht es nur bis nach Schottland in die Highlands, dennoch wird es alles sehr abenteuerlich sein. Ganz so, wie ich es liebe.«