Ein Staat in einem Krisengebiet. Ein Staat, in dem die Demokratiebewegung auf eigenem Territorium und im Nachbarland mit Waffengewalt unterdrückt wird. Ein Staat ohne geschriebene Verfassung und landesweite Wahlen. Ein Staat, der Facebook-Protestierer mit Folter bestraft, der die Rechte von Frauen massiv einschränkt. Ein Staat, in dem die Scharia gilt, wo vermeintlichen Dieben auf Plätzen öffentlich Hände abgehackt, Homosexuelle und Christen hingerichtet werden. Ein Staat, in dem eine Fatwa ausgerufen wird, wonach zukünftig nur muslimische Gotteshäuser bestehen dürfen. Ein aus westlicher Sicht barbarischer Staat, der Erinnerungen ans tiefste Mittelalter wachruft.
Sprechen wir von einem Land auf der Achse des Bösen? Dessen menschenverachtende Regierung, im »Krieg gegen den Terror« gewaltsam zum Guten bekehrt werden soll? Nicht im Mindesten! Saudi-Arabien ist ein befreundetes Land, das Königshaus in Riad gilt als vertrauter Verbündeter der Bundesregierung, als enger Wirtschaftspartner der Bundesrepublik Deutschland. Wie die Bundeskanzler vor ihr, hofiert auch die bekennende Christin Angela Merkel das repressive Herrscherhaus von König Abdullah Bin ’Abdul ’Aziz al-Saud als einen nahestehenden Freund. Waffenhandel als Beitrag zur Stabilisierung eines diktatorischen Regimes!
Bei Zusammenkünften mit Wirtschaftsdelegationen werden Menschenrechte pro forma angesprochen, und zugleich profitable Waffendeals eingefädelt. Zahlungskräftige Freunde belohnt man mit einer Lizenz zum Eigenbau von G36-Sturmgewehren, der Lieferung von Kampfflugzeugen vom Typ Eurofighter Typhoon und einer Tausende Kilometer langen Grenzsicherungsanlage rund um das Land. Freunde unterstützt man auch zukünftig im Kampf gegen externe und interne Feinde, beispielsweise mit Leopard-2-Kampfpanzern sowie – gewünscht – mit Radpanzern Boxer und Spürpanzern Dingo (siehe Kap. 3).1
Saudi-Arabien ist ein Beispiel unter vielen. Zu Recht verweist die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) in ihrem Rüstungsexportbericht 2012 darauf, dass im Vorjahr 64 Länder Kriegswaffen und Rüstungsgüter erhalten hätten, deren Menschenrechtssituation vom Internationalen Konversionszentrum Bonn (BICC) als sehr bedenklich eingestuft worden seien. Im Jahr 2010 waren es noch 48 Länder gewesen.2 So steht Saudi-Arabien pars pro toto für die Ausweitung der Rüstungsexportgenehmigungen der Bundesregierung, für weitere Tabubrüche, für den grundlegenden Paradigmenwechsel: Nicht Restriktion, nicht Zurückhaltung, nicht Mäßigung und schon gar nicht die Wahrung der Menschenrechte stehen im Mittelpunkt der Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung, sondern deutsche Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen. Führende Politiker propagieren offen den Waffenhandel gegen Terrorismus und für die Sicherung der Rohstoffzufuhr der industrialisierten Welt. Beim Bergedorfer Gesprächskreis im September 2011 in Berlin und bei der Bundeswehrtagung im Oktober 2012 in Strausberg ließ die Bundeskanzlerin ihre neue Doktrin durchblicken: Fortan sollen Scheindemokraten und Despoten noch mehr Waffen aus Deutschland erhalten und das Geschäft selbst erledigen. So können mit dem Export von Mordwerkzeugen Auslandseinsätze der Truppe minimiert werden. Denn mit toten Bundeswehrsoldaten lassen sich keine Wahlen gewinnen.
An seinen Außengrenzen schottet sich der europäische Kontinent immer mehr ab und wird zur Festung Europa. Eines der jüngsten Beispiele sind die Genehmigungen für die Lieferung von Waffen und Rüstungsgütern an das diktatorische Regime von Abdelaziz Bouteflika. Seit April 1999 festigt der algerische Staatspräsident seine Macht mit Waffengewalt, wird die Demokratiebewegung im Land brutal unterdrückt, werden Christen verfolgt. Dessen ungeachtet genehmigte die Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel Waffendeals mit dem Bouteflika-Regime im Umfang von rund 10 Mrd. Euro (siehe Kap. 4). Waffenhandel als Beitrag zu Völkerverständigung und Humanität? Keine andere Region bedroht den Weltfrieden stärker als der Nahe und Mittlere Osten. Nichtsdestotrotz zählen viele der dort gelegenen Staaten zu den Hauptempfängern deutscher Waffen.
Politisch heiß diskutiert sind U-Boot-Lieferungen an Israel. Am 21. März 2012 unterzeichneten Thomas de Maizière und Ehud Barak, die Verteidigungsminister Deutschlands und Israels, einen Vertrag zur Lieferung eines sechsten U-Bootes. Die israelische Marine verfügt bereits über drei moderne U-Boote der Dolphin-Klasse, zwei weitere stehen vor der Auslieferung, das fünfte und sechste sollen folgen. Mittels technischer Umrüstung können U-Boote der Dolphin-II-Klasse Atomwaffen abfeuern (siehe Kap. 5). Waffenhandel als Beitrag zu Frieden und Gerechtigkeit?
In keinem anderen Politikbereich klaffen humanistischer Anspruch und tödliche Wirklichkeit weiter auseinander als beim staatlich legalisierten Waffenhandel. Solange sie menschenverachtende Waffenlieferungen unterstützen, sollten die Parteien CDU/CSU und SPD Begriffe wie »demokratisch«, »christlich« oder »sozial« aus ihrem Parteinamen streichen. »Liberal« im Sinne von Wirtschaftsförderung war nicht nur die Devise der FDP: Gemeinsam mit der SPD verfünffachten selbst Bündnis 90/Die Grünen in Regierungsverantwortung Rüstungsexporte in den Jahren 2002 bis 2005. Mit der Aufsehen erregenden Stellungnahme der früheren Justizministerin Herta Däubler-Gmelin entpuppt sich neben Bundeskanzler Gerhard Schröder auch der Grünen-Chef Joschka Fischer als zweite Schlüsselfigur. Der damalige Außenminister- und Vizekanzler, seinerzeit stellvertretender Vorsitzender im geheim tagenden Bundessicherheitsrat (BSR), votierte vielfach pro Rüstungsexport (siehe Kap. 2).
Die Gesamtbilanz ist bedrückend: Bundesregierungen gleich welcher politischen Couleur genehmigten Waffenhandel selbst mit diktatorischen Regimen. Bar jeglicher Transparenz oder gar Demokratie erfolgten und erfolgen diese Entscheide im BSR, einem Kabinettsgremium unter Leitung des jeweiligen Kanzlers bzw. der Kanzlerin.
Dieses Buch möchte Opfern und Zeugen eine Stimme geben. Denn noch immer werden die Opfer dieser Geschäftspolitik totgeschwiegen, noch immer werden Rüstungsexporte unter anderen Gesichtspunkten gesehen, maßgeblich unter monetären. Nicht zuletzt der Krieg in Libyen hat uns – einmal mehr – eindringlich vor Augen geführt, dass die Waffenhändler in Nadelstreifen keinerlei Skrupel kennen.
Kriege und Konflikte sind gut fürs Geschäft einer Industrie, deren führende Unternehmen sogar dem Global Compact der Vereinten Nationen beigetreten sind. Viele Rüstungskonzerne haben den UN-Verhaltenskodex für eine globalisierte Wirtschaft auf der Basis ethischer Wertvorstellungen unterzeichnet. Mehr noch: Firmenintern haben sie sich Ethikcodes, Verhaltensrichtlinien und Compliance-Organisationen gegeben – und täuschen somit moralisches Handeln vor. Denn zur Unterbindung des Waffenhandels mit menschenrechtsverletzenden Staaten haben all diese wohlfeinen Papiere nicht geführt.
Profitinteresse kennt keine Grenzen und keine Rücksichtnahme. Während der sozialen Unter- und Mittelschicht in Griechenland radikale Sparmaßnahmen zur staatlichen Haushaltssanierung aufgezwungen wurden (und weiterhin werden), profitierte die deutsche Rüstungsindustrie schamlos von milliardenschweren Geschäften mit dem griechischen Staat. Geld war in Athen genug vorhanden, zumindest für Waffenbeschaffungen. Im Jahr 2006 rangierte Griechenland gar auf Platz 2 der wichtigsten Bestellerländer deutscher Waffen.3
Überboten wird das eine Armenhaus durch das andere. Im Jahr 2010 bewilligte die Bundesregierung den Transfer von U-Booten, Teilen für Kampfschiffe und von Unterwasserortungsgerät an das portugiesische Militär im Gesamtwert von 811 739 201 Euro. Damit erklomm das total überschuldete Portugal Platz 1 der Empfängerländer deutscher Waffen.4
Rüstungsexport ist ein eiskaltes Geschäft. Ob Armut oder Menschenrechtsverletzung: Die Situation im Empfängerland spielt de facto keinerlei Rolle. Ihr wahres Gesicht zeigt die rüstungsproduzierende und -exportierende Industrie nirgendwo deutlicher als auf Rüstungsmessen. Deren schlimmste ist die im Zwei-Jahres-Turnus stattfindende IDEX. Während sich von Tunesien ausgehend in Nordafrika der Widerstand gegen die verhassten Diktatoren formierte, feierte die weltweite Rüstungscommunity im Februar 2011 in Abu Dhabi zeitgleich ihre Todesprodukte mit Waffenschauen und Kampfvorführungen.
An vorderster Front mit dabei deutsche Waffenfabrikanten von Rang und Namen: Atlas Elektronik, ATM ComputerSysteme, Blohm + Voss Naval, Carl Zeiss Optronics, Daimler AG und Daimler Trucks North America, Diehl BGT Defence, Diehl Defence Holding und Diehl Remscheid, Dynamit Nobel Defence, EADS, Eurofighter Jagdflugzeug GmbH, Fr. Lürssen Werft, GIWS Gesellschaft für intelligente Wirksysteme, Heckler & Koch, Howaldtswerke-Deutsche Werft, Junghans Microtec, Krauss-Maffei Wegmann, MTU Friedrichshafen, Northrop Grumman LITEF, Rheinmetall Defence, Rohde & Schwarz und die ZF Friedrichshafen AG – um nur einige von mehr als 70 deutschen Unternehmen zu nennen (siehe Kap. 5).5
Waffenhandel ist ein Bombengeschäft, denn am Ende zählt nur eines: Profit, Profit und nochmals Profit. Zur Vertuschung der Tatsache, dass Deutschland bestens am Krieg verdient, müssen Scheinargumente herhalten, zuallererst das der Arbeitsplätze. Dabei ist die Rüstungsindustrie zweifelsohne keine Schlüsselindustrie Deutschlands. Da hilft es wenig, dass eine Studie des Berliner Wirtschaftsforschungsinstituts WifOR im Auftrag des Lobbyverbandes BDSV für 2011 plötzlich annähernd 98 000 Erwerbstätige und 218 640 indirekte Beschäftigungsverhältnisse im Sektor der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie errechnet haben will. Fakt ist, dass die Branche die Anzahl der direkt in der Rüstung Beschäftigten seit Ende der Achtzigerjahre von 400 000 auf unter 100 000 senken musste.6 Fakt ist zudem, dass der Rüstungsexport gerademal 0,12 Prozent zum Gesamtexport beiträgt.7 Dennoch rangiert Deutschland auf Platz drei der Weltwaffenexporteure. Diese Position wurde durch enthemmten Waffenhandel errungen, bar jeglicher moralischer und ethischer Werte. Seit Jahrzehnten beliefern deutsche Waffenschmieden selbst menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten in aller Welt.
Damit Waffenhandel funktioniert, muss er bestens geplant, vorbereitet, abgesprochen, beworben, herbeigeführt, erschlichen, erkauft, genehmigt und letztlich vollzogen werden. Dieses System funktioniert nicht zuletzt dank einer perfekt organisierten Lobbymaschinerie, in der die zahlreichen Zahnräder der Rüstungsindustrie, der Bundeswehr und der Politik, bestens geölt und geschmiert von mächtigen und einflussreichen Lobbyverbänden und deren Hintermännern, nahtlos ineinandergreifen. An der Spitze dieser Lobby-Organisationen stehen – national wie international – vermeintlich angesehene Persönlichkeiten der Wirtschaftswelt, der Streitkräfte und der Parteipolitik in Deutschland (siehe Kap. 4).
Über Direktexporte oder weltweit genehmigte Lizenzfertigungen gelangen immer mehr in Deutschland produzierte oder entwickelte Waffen und Rüstungsgüter in die entlegensten Winkel der Erde. In den allermeisten Fällen genehmigt die Bundesregierung, in den allerseltensten Fällen untersagt sie Waffenhandel. So standen im Jahr 2010 den Einzelausfuhrgenehmigungen im Wert von rund 4,75 Mrd. Euro und Sammelausfuhrgenehmigungen von 737,3 Mio. Euro abgelehnte Anträge im Volumen von 8,1 Mio. Euro gegenüber.8 Schlimmer noch die absoluten Zahlen im Jahr danach: 2011 standen Einzelausfuhrgenehmigungen im Volumen von 5,41 Mrd. Euro und Sammelausfuhrgenehmigungen im Wert von 5,38 Mrd. Euro Ablehnungen im Gesamtwert von 24,8 Mio. Euro entgegen. Wurden 2010 gerademal 113 Anträge auf Genehmigung von Rüstungsgüterausfuhren abgelehnt, so waren es 2011 nur noch 105.9
Besteht dennoch der – angesichts der extrem hohen Genehmigungsquote äußerst seltene – Verdacht ungesetzlichen Vorgehens, so verfolge ich diesen mit Strafanzeigen. Beispielsweise gegen Heckler & Koch, wie der in Kapitel 6 dieses Buches beschriebene Fall Mexiko nachdrücklich belegt. Einer der spektakulärsten Rüstungsexportfälle in Deutschland, dessen Hintergrundrecherche dieses Buch exklusiv liefert. Fälle wie diese aber stellen die Ausnahme dar, der eigentliche Skandal ist die Legalität und damit die Akzeptanz moralisch verwerflichen Handels. Geschätzte 98 Prozent aller bundesdeutschen Rüstungsexporte erfolgen mit Genehmigung der Kontrollbehörden oder des Bundessicherheitsrates.
Erstmals gibt dieses Schwarzbuch den Verantwortlichen des ungezähmten Waffenhandels Name und Gesicht. In 20 Täterprofilen wird die Verstrickung von Rüstungsmanagern und Politikern in Waffengeschäfte bzw. deren Genehmigung differenziert aufgezeigt. Die Top Ten der Täter in der Politik schont keine der fünf in wechselnden Koalitionen amtierenden Regierungsparteien. Als Vorsitzende des Bundessicherheitsrates verantworten die Bundeskanzler die brisantesten Rüstungsexporte: Schröder, Kohl, und – auf Platz 1 – Merkel führen das unrühmliche Politikerranking an. Sie alle haben sich mit ihrer Politik der Unterstützung oder Genehmigung grenzenlosen Waffenhandels mitschuldig gemacht am legalen Export und damit am Einsatz deutscher Waffen mit zahllosen Opfern in Kriegen und Bürgerkriegen in aller Welt.
Ebenso wenig schont die Top Ten der Täter in der Rüstungsindustrie die Waffenhändler in den Chefetagen rüstungsproduzierender und -exportierender Unternehmen. Täglich sterben schätzungsweise durchschnittlich 112 Menschen allein durch den Einsatz von Heckler & Koch-Waffen – in etwa so viele wie beim vielbeachteten Massaker von Kunduz (siehe Kap. 6). Auf Platz 1 im Täterranking rangiert der Hauptgesellschafter von Europas tödlichstem Unternehmen: Andreas Heeschen vom Kleinwaffenexporteur H&K. Beide Täterrankings 2012 finden sich nach Kap. 7. Wer über Rüstungsexporte diskutieren, wer Rüstungsexporte reduzieren und stoppen will, der muss die Grundlagen und Zusammenhänge und die Akteure des Systems kennen. Genau diese Informationen will das Schwarzbuch Waffenhandel vermitteln. Dabei wird anhand von Fallbeispielen den folgenden Schlüsselfragen nachgegangen:
- Welche deutschen Waffen gelangen auf welchen Wegen in Krisen- und Kriegsgebiete?
- Welche Parteien genehmigen Waffenhandel selbst mit menschenrechtsverletzenden und kriegführenden Staaten?
- Welche Unternehmen verdienen am Geschäft mit dem Tod?
- Welche Banken finanzieren rüstungsexportierende Unternehmen?
- Wer sind die Täter, wer die Opfer dieser skrupellosen Politik?
Zur Beantwortung dieser Fragen soll dieses Buch beitragen. Und es will Mut machen zum aktiven Eintreten für eine gerechtere und friedlichere Welt.
Jürgen Grässlin,
Freiburg im Breisgau,
im Februar 2013
Anmerkung: Auf meiner Homepage (www.juergengraesslin.com > Buchautor > Schwarzbuch Waffenhandel) finden Sie viele weitere Informationen zum Buch, unter anderem eine ausführlichere Erläuterung der Top Ten der Täter in der Politik und der Top Ten der Täter in der Rüstungsindustrie, ein Glossar mit den maßgeblichen Begriffen zum Rüstungsexport und eine Dokumentation rechtlicher Grundlagentexte zum Thema Waffenhandel.