Tilman Jens
Du
sollst
sterben
dürfen
Warum es mit einer
Patientenverfügung
nicht getan ist
Gütersloher Verlagshaus
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Copyright © 2015 by Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
Covermotiv: © alswart – Fotolia.com
ISBN 978-3-641-17040-0
V002
www.gtvh.de
Für Heribert Schwan,
den Freund und mutigen Streiter
Inhalt
Eine Vorbemerkung
I. Das gebrochene Versprechen
II. Große Koalition: Von Angehörigen, Betreuern, Pflegern und Ärzten
III. Übergriffigkeiten: Die Politik, die Kirchen und der selbstbestimmte Tod
IV. Exithouse – ein Zwischenruf
V. Zwei Freunde: Große Gewissheit und ein kleines Vielleicht
VI. Warum es mit einer Patientenverfügung nicht getan ist
Dokumentarischer Anhang
1. Patientenverfügung Walter Jens
2. Interview mit Inge Jens vom 21. Juli 2009
3. Patientenverfügung Christoph Werner
4. Silvia Bovenschen über Sterbehilfe, für 3sat/Kulturzeit vom 20. Januar 2014
5. Rede von Valerie Wilms (Bündnis 90/Die Grünen) vor dem Deutschen Bundestag am 13. November 2014
6. Der letzte öffentliche Auftritt zum Thema Freitod: Walter Jens zu Gast bei »Hart aber fair« am 26. November 2003
7. Glossar
Patientenverfügung – Vorsorgevollmacht / Betreuungsverfügung – Aktive Sterbehilfe – (Ärztlich) assistierter Suizid – Indirekte Sterbehilfe – Palliative / Terminale Sedierung – Passive Sterbehilfe
Dank
Literaturverzeichnis
Eine Vorbemerkung
Umfragen der unterschiedlichsten Institute belegen: Zwischen 70 und 75 Prozent aller Deutschen wünschen sich, dass es dem Arzt erlaubt sein soll, einen unheilbar kranken Patienten, wenn er dies verlangt, von seinem Leiden zu erlösen. Die Werte der Demoskopen sind seit Jahren konstant. Doch die Politik, in trautem Einklang mit Ärztefunktionären und Führern der Kirche, weigert sich beharrlich, Volkes Wille zu folgen. Nicht zuletzt die aktuellen Bundestagsdebatten über das Reizthema zeigen: Die Chance auf eine baldige Legalisierung der aktiven Sterbehilfe, einer Tötung auf Verlangen im Namen der Humanität, ist in Deutschland gleich Null. Mehr noch, Stimmen im Parlament werden lauter, sogar dem bislang straffreien, ärztlich assistierten Suizid Einhalt zu gebieten.1 Künftig könnte bereits jener, der Schwerstkranke wiederholt mit letal wirkenden Medikamenten versorgt (ohne sie selbst zu verabreichen), strafrechtlich verfolgt werden. Von einem verschärften Gesetz wären also nicht nur die gewerbsmäßig agierenden Suizid-Begleiter des Vereins »Sterbehilfe Deutschland e.V.«, der Organisation des Doktor Roger Kusch, betroffen. Auch gewissenhafte Ärzte wie der Berliner Urologe Uwe-Christian Arnold, der in seinem Buch »Letzte Hilfe« freimütig bekannte, schon so manchen den kleinen Übergang erleichtert zu haben, müssten mit Verfolgung rechnen.
Im Bundestag beschwor der CSU-Abgeordnete Michael Frieser am 2. Juli 2015 noch einmal den interfraktionellen Konsens. »Wir sind uns in diesem Hause meistens einig, dass die gesellschaftliche Veränderung – die es durch das aggressive Verhalten von Sterbehilfevereinen gibt, aber auch von Einzelpersonen – unser Tätigwerden erfordert. Zusehen ist keine Option mehr.« Das Abendland scheint in Gefahr. Und eben hier wird es interessant: Woraus resultiert die große Panik vor dem selbstbestimmten Sterben, das doch weite Teile der Gesellschaft für sich einfordern? Die aktuell geführte Debatte reicht weit über den vorgeschobenen Anlass hinaus. Um die Todesengel des Dr. Kusch geht es allenfalls am Rande.
Nein, da werden, denke ich, höchst grundsätzliche Fragen verhandelt: Welchen Verfügungsrahmen über unsere Existenz gewähren uns die weltliche und die geistliche Obrigkeit? Inwieweit sind wir, wenn es aufs Ende zugeht, noch souveräne Bürger? Und wie ist es um das Sterberecht all derer bestellt, die hilflos, wider ihre einstigen Wertvorstellungen, vor sich hindämmern müssen? Das Thema treibt mich um. Denn ich habe, in einem nur scheinbar anderen Zusammenhang, hautnah erlebt, was die Entmündigung eines Schwerstkranken bedeutet.
Mein Vater Walter Jens, der für sich, als er noch gesund war, für den Fall eines irreversiblen Siechtums die Erlösung durch einen Arzt erbeten hatte, wurde um das Jahr 2004 dement. Als es bergab mit ihm ging, hat er immer wieder bekundet, dass er bald sterben wolle. Das entscheidende, eindeutig entschlossene Signal allerdings hat er uns, der Familie und seinem Arzt, der ihm für diesen Fall eine tödliche Injektion versprochen hatte, nicht gegeben. Und als er 2007 vollends verdämmerte, war es zu spät. Da konnte er sich nicht mehr artikulieren. Somit war die Sterbehilfe keine Option mehr. Aber immerhin, er hatte eine Patientenverfügung hinterlegt.
Sie hat ihm nichts genutzt. Und hier schließt sich der Kreis. Wer sterben will, hat keine Lobby in diesem Land. Der ist Manövriermasse für Sachwalter der unterschiedlichsten Interessen. Die Lebensverlängerung hat Methode, einerlei ob da nun, was keineswegs selten geschieht, ein eigentlich rechtsverbindliches Schriftstück in den Wind geschlagen wird oder dem ärztlich begleiteten Freitod der Garaus gemacht werden soll. Die Missachtung von Patientenverfügungen und die Kriminalisierung der Sterbehilfe sind letztlich zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Um uns aber, hier wie dort, gegen eine Bevormundung in den intimsten Fragen zu wehren, gilt es zunächst, die eigene Sprachlosigkeit zu überwinden. Wir wissen zumeist viel zu wenig über die letzten Wünsche und Vorstellungen unserer Nächsten. Wie, ganz konkret, stellst Du Dir Dein Sterben vor? Wovor hast Du Angst? Was erhoffst Du Dir, wenn es soweit ist? Wir reden, wir fragen zu wenig. Mit einer Patientenverfügung allein ist es nicht getan, mit einem eilig ausgefüllten Musterformular, mit ein paar Kreuzen an einer vorgegebenen Stelle schon gar nicht. Auch davon handelt dieser Text, der Anklageschrift ist – aber nicht minder eine Ermunterung zum angstfreien, kontinuierlichen und vor allem zeitig begonnenen Gespräch über die letzten Dinge.
Frankfurt, im August 2015
1. Die für Nichtjuristen oft schwer auseinanderzuhaltenden Fachbegriffe – worin besteht nach bestehendem Verständnis etwa der Unterschied zwischen aktiver Sterbehilfe und ärztlich assistiertem Suizid? – erläutert ein Glossar im Anhang.