Alex Soojung-Kim Pang
Pause
Tue weniger, erreiche mehr
Aus dem Englischen von Jochen Lehner
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Die amerikanische Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel
»REST. Why You Get More Done When You Work Less«
bei Basic Books.
1. Auflage
Deutsche Erstausgabe
© 2017 Arkana, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
© 2016 der Originalausgabe Alex Soojung-Kim Pang
Lektorat: Felicitas Holdau
Umschlaggestaltung: Uno Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: FinePic®, München
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-18252-6
V001
www.arkana-verlag.de
Für Thomas Parke Hughes und Linda Wiedmann
Inhalt
Einleitung
Das Problem des Ausruhens
Die Wissenschaft des Ausruhens
Erster Teil: Kreativ sein
Vier Stunden
Der Morgen
Spaziergang
Kurzschlaf
Anhalten
Schlaf
Zweiter Teil: Kreativ bleiben
Erholung
Bewegung
Tiefgründiges Spiel
Berufliche Auszeiten
Zusammenfassung: Das geruhsame Leben
Dank
Anmerkungen
Kommentiertes Quellenverzeichnis
Register
Einleitung
Dies ist ein Buch über die Arbeit. Und es ist natürlich auch ein Buch über Pausen. Das mag paradox klingen, drückt jedoch den Kerngedanken des Buchs aus.
Viele von uns fragen sich, wie man besser arbeiten kann, aber wir denken kaum je darüber nach, wie wir besser pausieren können. Bücher zum Thema Produktivität bieten uns Tipps für alle Lebenslagen an, geben Ratschläge, wie wir effektiver werden können, und erzählen uns, was CEOs und berühmte Autoren tun. Aber sie sagen meist nichts darüber, ob im Leben und in der Karriere von kreativen und produktiven Leuten das Ausruhen eine Rolle spielt. Wenn überhaupt von Pausen die Rede ist, werden sie lediglich als lästige physische Notwendigkeit dargestellt.
In Büchern über Ruhe und Muße andererseits scheint es vor allem darum zu gehen, der Arbeit zu entfliehen, nicht jedoch darum, unsere Leistungsfähigkeit zu stärken, um sinnvolle Arbeit tun zu können. Sie preisen den Müßiggang als Mittel gegen Überarbeitung oder als Zeichen für Weisheit. Der kluge Mann mag smarter statt härter arbeiten, sagen sie, aber der kreative Mann arbeitet gar nicht. Andere Autoren stellen Muße wie ein Luxusgut dar, das man konsumiert und präsentiert. Für sie ist das gute Leben ein endloser Sommer, der mit dem passenden Weichzeichner-Filter auf Instagram gepostet wird.
Folglich sehen wir Arbeit und Ruhe als etwas Getrenntes, und was noch problematischer ist: Pausen sind für uns schlicht die Abwesenheit von Arbeit, nicht etwas, das für sich selbst steht und seinen ganz eigenen Wert besitzt. Die Pause ist einfach eine Leerstelle in einem Leben, das durch Plackerei, Ehrgeiz und Leistung definiert wird. Wenn wir unser Selbstverständnis von unserer Arbeit abhängig machen, von Engagement und Effizienz und der Bereitschaft, uns immer noch mehr ins Zeug zu legen, dann kann man nachvollziehen, dass Pausen einfach als Negierung all dessen aufgefasst werden. Wenn deine Arbeit das ist, was du bist, existierst du nicht mehr, sobald du aufhörst zu arbeiten.
Solange wir Ruhezeiten als das Gegenteil von Arbeit begreifen, nehmen wir sie nicht ernst oder versuchen, sie ganz auszuschalten. In Amerika wird mehr gearbeitet und weniger Urlaub gemacht als in fast allen anderen Ländern der Welt. Im Gegensatz zu den Voraussagen der Ökonomen (und auch zu dem, was man als Laie vermuten würde), arbeiten wir trotz steigender Produktivität mehr, nicht weniger. Wir lassen Urlaubstage verfallen. Und wenn wir schließlich doch Urlaub machen, checken wir wie besessen weiter unsere E-Mails.
Ich behaupte also, dass wir die Beziehung zwischen Arbeit und Pause falsch verstehen. Sie sind keine Gegensätze. Wenn wir von Ruhezeiten reden, ist zwangsläufig auch die Arbeit thematisiert. Nur über eine der beiden Seiten zu schreiben wäre so, als würde man einen Liebesroman über nur einen der beiden Liebenden schreiben. Die Pause ist nicht Widersacher der Arbeit, sondern ihr Partner. Beide ergänzen und vervollständigen sich gegenseitig.
Wer nicht gut ausgeruht ist, arbeitet nicht gut. Viele der großen Kreativen der Geschichte, deren künstlerische, wissenschaftliche oder literarische Werke legendär sind, nahmen Ruhepausen sehr ernst. Sie wussten: Um zu erreichen, was ihnen vorschwebte, und um so arbeiten zu können, wie sie wollten, brauchten sie Pausen. Pausen der richtigen Art ließen ihnen neue Kräfte zuwachsen und hielten ihre Muse bei Laune, diese geheimnisvolle Triebkraft des schöpferischen Prozesses.
Arbeit und Pause sind demnach keine Gegensätze wie schwarz und weiß oder gut und böse, sondern eher wie verschiedene Abschnitte auf der Welle des Lebens – kein Wellenkamm ohne Wellental, kein Hoch ohne Tief, eins kann nicht ohne das andere sein.
Wir unterschätzen, wie gut uns eine ernsthafte Pause tun kann. Und wir wissen auch nicht, wie viel wir schaffen können, wenn wir das Ausruhen ernst nähmen.
Ich arbeite gern und ruhe mich gern aus. Ich liebe intellektuelle und körperliche Herausforderungen, diese Genugtuung, die sich einstellt, wenn ich irgendetwas Großes oder Kleines geschafft habe. Ein kreativer Durchbruch – oder auch einfach das Gefühl, das sich einstellt, wenn ich eine Idee verfolge, mich in ein Problem vertiefe und mich an größeren Herausforderungen messe –, all das ist für mich so fesselnd und begeisternd, wie ein Spiel nur sein kann, so befriedigend und anregend wie ein gutes Essen (und dafür habe ich wirklich etwas übrig), so seelisch berührend und lebenswichtig wie das Verliebtsein.
Anspruchsvolle Arbeit kann ebenso ehrenvoll wie lohnend sein. Ich denke gern an einige meiner früheren Knochenjobs zurück, einfach weil die Zusammenarbeit mit richtig guten Leuten so schön war in all den Stunden, in denen wir Neues ausprobierten und unsere Firma weiter voranbrachten. Ich finde diese Visionen vom »guten Leben« mit ihren Vermögensaufbauplänen und Vorruhestandsregelungen einfach total daneben und abstoßend. Dagegen leuchten mir sofort die Argumente großer Psychologen wie Viktor Frankl und Mihaly Csikszentmihalyi ein, die das gute Leben eher in der Suche nach Sinn und in immer wieder neuen lohnenden Herausforderungen sehen.
Wenn ich mich also für Rast und Ruhe interessiere, dann nicht, weil mir vor der Arbeit graut. Es begann mit dem Gefühl, dass wir Herausforderungen annehmen sollten, statt sie zu meiden, und dass Arbeit nicht schlimm ist, sondern geradezu notwendig für ein sinnvolles, erfülltes Leben. Ich habe aber auch den Eindruck gewonnen, dass das hohe Ansehen, das die Arbeitsüberlastung genießt – was jetzt vielleicht paradox klingt –, intellektuelle Faulheit ist. Zeitaufwand ist nur das simpelste Maß für Einsatzbereitschaft und Produktivität, sagt aber nicht unbedingt viel aus.
Gleichzeitig liebe ich entschlossenes Ausruhen. Ich meine nicht Stunden, die damit verträllert werden, russische Dashcam-Videos anzuschauen oder auf Facebook den Test zu machen, welcher Twilight-Figur ich entspreche; ich meine vielmehr herrlich leere Stunden, die sich endlos hinziehen und zu denen keine Klienten, keine Kollegen und (vor allem) keine Kinder Zutritt haben. Ich liebe den Schlaf, die körperliche Wohltat, sich dem Bett zu überlassen und dem Schwinden des Tagesbewusstseins zuzusehen wie dem aufsteigenden Mond! Und ich beende meine Arbeit gern mit der Aussicht auf eine Stunde im Fitnessstudio.
Das ist natürlich alles nicht allein auf meinem Mist gewachsen. Die alten Griechen sahen die Ruhepause als ein großes Geschenk an, als Krönung des zivilisierten Lebens. Die Stoiker des antiken Roms waren sich darin einig, dass ohne gute Arbeit kein gutes Leben möglich ist. In praktisch allen Kulturen der Antike galt, dass Arbeit und Pausen für ein gelungenes Leben erforderlich sind: Arbeit sorgt für den Lebensunterhalt, Muße für den Lebenssinn. Diese Weisheit ist uns verlorengegangen, und unser Leben ist dadurch ärmer und unbefriedigender geworden. Zeit, dass wir den Segen der Pause wieder für uns entdecken.
Schon auf dem College habe ich mich für die Psychologie der Kreativität interessiert, aber erst später fing ich an, ernsthaft über die Bedeutung der Pause für das kreative Leben nachzudenken. Genau gesagt begann das an einem Winterabend, den ich mit meiner Frau in einem Café im englischen Cambridge verbrachte. Ich war Gastdozent bei Microsoft Research und arbeitete an einem Projekt, aus dem schließlich mein Buch The Distraction Addiction hervorging. Wir haben damals häufig nach dem Abendessen eines der vielen Cafés und Pubs der Stadt besucht. An diesem Abend richteten wir uns an einem der Tische mit etlichen Artikeln und zwei Büchern ein, die ich gerade las, Virginia Woolfs Ein Zimmer für sich allein und John Kays Obliquity: Die Kunst des Umwegs oder wie man am besten sein Ziel erreicht.
Woolf vergleicht in ihrem Buch unter anderem das Leben der Hochschuldozenten an finanziell bestens ausgestatteten, traditionellen Colleges mit dem kümmerlichen Dasein des Lehrkörpers an den neuen Frauen-Colleges ihrer Zeit. Die alten Colleges, so Woolf, boten nicht wegen der finanziellen Ausstattung weitaus bessere Voraussetzungen für Spitzenleistungen, sondern weil es an ihnen gemächlicher zuging: Generöse Forschungsetats und dienstwilliges Personal verschafften den Dozenten Zeit für lange Spaziergänge und ausgiebige Gespräche.
John Kay schildert in Obliquity (deutsch: »Umweg, Verirrung, Schieflage«), wie es Firmen ergeht, die zunächst florieren, weil sie gute Arbeit leisten und Wert auf erstklassige Kundenbetreuung legen, um dann bei der Neubesetzung der Chefetage umzuschwenken und ganz auf Profitoptimierung zu setzen: Sie kommen ins Trudeln. Er gelangt zu dem Ergebnis, dass einseitig gewinnorientierte Firmen eher finanzielle Einbußen erleiden als andere, bei denen der Gewinn als Nebenprodukt guter Arbeit abfällt.
Durch diese beiden Bücher ging mir ein Licht auf über das dritte, das ich schon eine Weile wie eine Art Glücksbringer mit mir herumtrug, als könnte dadurch der Erfolg, den sein Autor während seiner Zeit in Cambridge genoss, irgendwie auf mich abfärben: Die Doppel-Helix, James Watsons Bericht über die Entschlüsselung der DNA-Struktur, die ihm zusammen mit Francis Crick gelang. Mein Hauptaugenmerk hatte bis dahin den Rivalitäten und Konflikten in dieser Story gegolten, aber Woolfs Argumentation, dass Muße Produktivität ermögliche, und Kays Idee der Obliquity machten mich auf etwas aufmerksam, das ich bisher nicht sonderlich beachtet hatte: Watson und Crick verbrachten ihre Zeit keineswegs ausschließlich über ihre Apparaturen gebeugt im Labor. Ein Großteil der Aktivitäten fand bei ausgedehnten Mittagessen im Eagle Pub, bei Spaziergängen in und um Cambridge, beim Stöbern in Buchläden statt. Zudem fand Watson, obwohl er sich ein Wettrennen mit einigen der besten Köpfe des Jahrhunderts lieferte, immer wieder Zeit für Tagungen, Ferien in den Alpen oder Tennis. Einer seiner Zeitgenossen merkte an, Watson habe Zeit für Mädchen und Tennis, weil er ein Genie sei. Aber Woolf und Kay gaben mir zu denken. War er womöglich ein Genie, weil er Zeit für Mädchen und Tennis hatte? Vielleicht gelingt der Zugang zu kreativen Leistungen leichter so, wie es Kays Buchtitel Obliquity andeutet: indirekt.
Diesen Gedanken behielt ich den ganzen Winter über im Hinterkopf. Meine Frau und ich arbeiteten während dieses Sabbatjahrs viel und schafften eine Menge, aber wir fanden auch Zeit für Abende im Pub, Sonntagsspaziergänge zum Tee im Orchard House im Vorort Grantchester, Kurztrips nach London und Wochenenden in Edinburgh, Bath und Oxford. Es war eine intensive und produktive Zeit, dabei aber eigentümlich geruhsam. Als passionierte Anglophile fanden wir unsere Zeit in Cambridge intellektuell sehr anregend. Ich begann mich allerdings zu fragen, ob unsere Produktivität womöglich ebenso viel mit der Gangart unseres Lebens wie mit diesem Ort zu tun hatte. Könnte es sein, dachte ich, dass unsere übliche Lebens- und Arbeitsweise und die Selbstverständlichkeit, mit der wir glauben, wir müssten ständig in Verbindung bleiben, den Nachrichteneingang auf dem Spielplatz wie am Esstisch im Auge behalten, das Wochenende für Unerledigtes nutzen und Urlaub überhaupt abschreiben – könnte es sein, dass das alles längst nicht so viel bringt, wie wir meinen?
Eine Umfrage unter heutigen Führungskräften und Kreativen machte mir klar, dass ich mein Netz weiter auswerfen musste, um zu verstehen, welchen Stellenwert Ruhe und Erholung tatsächlich haben. Mit wenigen namhaften Ausnahmen brüsten sich heutige Entscheidungsträger mit Stress und Überarbeitung; sie lassen gern durchblicken, wie wenig sie schlafen und wie wenig Urlaub sie nehmen, und mit der Unterstützung von PR-Leuten pflegen sie sorgfältig ihren Ruf als Workaholics. Sie erinnern uns daran, dass sogar die Leute in höchsten Machtpositionen in ein Arbeitsumfeld eingebunden sind, in dem es als selbstverständliche Tugend, ja unanfechtbare Notwendigkeit gilt, ständig zu arbeiten. Wir können dem zustimmen oder nicht, auf jeden Fall unterliegen wir den durch diese Sicht der Dinge begründeten Zwängen.
Beim Blick in die Vergangenheit jedoch tauchte dieses Leben wieder auf, das ich während meines Sabbatjahrs geführt hatte. In früheren Zeiten haben große Autoren, Wissenschaftler, Politiker und Geschäftsleute Meisterwerke geschaffen, Wahlen gewonnen und als Industriekapitäne großen Einfluss ausgeübt – und fanden doch Zeit für lange Spaziergänge, regelmäßige Nickerchen, arbeitsfreie Wochenenden und sogar wochenlange Urlaube. Viele waren in der Jugend wahre Arbeitstiere gewesen, doch obwohl der Ehrgeiz ihnen blieb, kamen sie in reiferen Jahren darauf, sich auch mal zurückzulehnen, die Arbeit im Sinne einer dauerhaft tragbaren Belastung zu organisieren und die Pause zum essenziellen Bestandteil ihres kreativen Lebens zu machen. Sie mussten lernen, sich auszuruhen, sie mussten genau beobachten, wie sie arbeiteten, sie mussten herausfinden, was ging und was nicht. So bekamen sie ein Gespür dafür, wie sich veränderte Abläufe auf ihr Denkvermögen auswirkten. Sie experimentierten mit ihrem Tagesplan, um herauszufinden, wann ihre Energie und Konzentrationsfähigkeit besonders gut waren, sie justierten ihre Gewohnheiten nach und entdeckten Rhythmen und Rituale für sich, die sie bei der Stange hielten. Mit anderen Worten: Das waren nicht alles Gestalten auf der Grenze zwischen Genie und Wahnsinn, von unbewussten Zwängen und ungezügelter Leidenschaft zum Schaffen gedrängt. Sie hatten eher etwas von Sportlern, die ständig nach einem neuen Work-out Ausschau halten, nach einem besseren Aufwärmprogramm oder einer Power-Diät, um sich einen Vorteil zu verschaffen.
Wer in der Vergangenheit nach Vorbildern dafür sucht, wie man Arbeit und Ruhe besser in Balance bringt, der muss sich mit dem Einwand auseinandersetzen, dass frühere Zeiten ganz anders waren und nicht oder nicht uneingeschränkt mit den gegenwärtigen Verhältnissen zu vergleichen sind. Das Leben war im letzten Jahrhundert einfacher, es gab weniger Ablenkungen, das Wirtschaftssystem bot mehr Spielraum für Fehler, die Freizeit wurde geachtet. Die Menschen hatten mehr Zeit für Ruhe und Erholung. Heute müssen wir uns so zwischen Arbeit und Familie aufteilen, dass für uns selbst keine Zeit mehr bleibt. Technische Neuerungen, die eine flexiblere Gestaltung unserer Arbeit versprachen, ketten uns stattdessen an die Arbeit und schaffen dazu noch den Zwang, ständig für Kunden, Kollegen und unsere Kinder erreichbar zu sein. Eine chronisch unsichere Wirtschaftslage nötigt uns, diese Bedingungen zu akzeptieren – oder ersetzt zu werden. In dieser 24-Stunden-Welt, immer eingeschaltet, ist das Abschalten zum Anachronismus geworden.
Unsere Vorfahren mögen mehr Zeit zum Ausruhen gehabt haben, aber auch sie wurden nicht dazu aufgefordert. Schon vor 150 Jahren war den Menschen sehr bewusst, dass sie in einer Zeit der Globalisierung und des rasanten wirtschaftlichen Wachstums lebten. Die Welt erlebte wissenschaftliche und technische Revolutionen und einen drastischen gesellschaftlichen Wandel, verbunden mit neuen Bedrohungen durch Ideologien und Terrorismus. Eisenbahn, Dampfmaschine und Telegrafie machten die Welt kleiner, ließen Produktion und Handel steil ansteigen und verbreiteten Nachrichten mit nie gekannter Schnelligkeit rund um den Globus. Die Technik zerstörte aber auch örtliche Gewohnheiten, brachte die althergebrachten Rhythmen des Dorf- und Landlebens durcheinander, störte Ruhe und Frieden. Ärzte äußerten im 19. Jahrhundert die Sorge, die Schnelllebigkeit des Stadtlebens und das hohe Tempo der Eisenbahn seien zu viel für das menschliche Gehirn, sodass mit einer seuchenartigen Zunahme von Nervenkrankheiten zu rechnen sei. Gewerkschaften und Kapitalisten kämpften erbittert um Arbeitszeiten und die Bedingungen der Fabrikarbeit. Reformer und Psychologen warnten vor den Gefahren der Überarbeitung.
Betrachten wir etwa William James’ Diagnose der Arbeitsüberlastung in seinem 1899 erschienenen Essay »The Gospel of Relaxation«: Er befand, die Amerikaner hätten sich an Arbeitsüberlastung gewöhnt, sie lebten »mit einem inneren Keuchen, einer Anspannung«, sie arbeiteten »atemlos und unter Druck«. Amerikaner, fuhr er fort, schmückten sich geradezu mit Stress und Überanstrengung, sie hätten sich Unarten zu eigen gemacht, »die man aus der gesellschaftlichen Atmosphäre aufschnappt, durch Tradition gefestigt und zur bewundernswerten Lebensform hochstilisiert«. Er wies auch darauf hin, dass sich zu viel Arbeit hemmend auf die Produktivität auswirkt. »Würde uns dieses überdrehte und hastige Leben befähigen, mehr zu schaffen«, sagte er, »so gäbe es einen gewissen Gegenwert für unser Tun und einen Grund, dabei zu bleiben. Das Gegenteil ist jedoch der Fall.« Spätere Generationen von Effizienzexperten pflichteten ihm bei. Im Ersten Weltkrieg fanden Wirtschaftsingenieure heraus, dass Fabrikarbeiter, die monatelang Überstunden leisten mussten, weniger produktiv waren und mehr zu kostspieligen Fehlern und Arbeitsunfällen neigten als andere, die geregelte Arbeitszeiten hatten. Der amerikanische Wirtschaftsjournalist Bertie Charles Forbes schrieb damals: Auch Soldaten, die »in der Vergangenheit außerhalb ihrer Dienstzeiten eher Zerstreuung als Erholung gesucht hatten«, fanden bei Organisationen für die Betreuung der Streitkräfte – etwa YMCA und USO (United Service Organizations) – viel wirksamere Erholung, was erkennen lasse, »wie wichtig Erholung für die Leistungsfähigkeit ist«. Er meinte, die Erfahrung der siegreichen Streitkräfte würde beweisen, dass »die Art, wie wir unsere Freizeit verbringen, weitgehend darüber entscheidet, wie kompetent oder inkompetent wir während der Arbeitszeit agieren«.
Kurz gesagt: Die Welt und die Bedenken der Menschen dieser Zeit unterschieden sich von unseren nicht gar so sehr. Auch damals schon ließen sich die Menschen auf den Versuch ein, mit der Produktivität der Maschinen und der Schnelligkeit der Telegrafie mitzuhalten: Sie arbeiteten immer mehr und immer schneller. Das war die Regel, aber es gab auch Ausnahmen von dieser Regel, nämlich Leute, die sich für ein anderes Verhältnis von Arbeit und Pause entschieden und dadurch die Norm hinter sich ließen. Ihr Beispiel zeigt, dass wir nicht durch unpersönliche globale Kräfte zu einem Leben in Schinderei verdammt sind. Es gibt andere Lebensformen.
Und noch etwas wird am Beispiel dieser Menschen deutlich. Ruhe und Erholung gehören nicht zu den Dingen, die die Welt uns anträgt. Sie waren nie ein Geschenk. Erholung finden wir nur, wenn wir uns die Pausen nehmen. Wir müssen uns dem Sog der Geschäftigkeit verweigern und Zeit für Pausen schaffen, sie ernst nehmen, sie vor einer Welt in Schutz nehmen, die sich diese Zeit unter den Nagel reißen möchte.
Aus der Geschichte können wir lernen, dass ehrgeizige und tatkräftige Menschen auch in einer Welt der schnellen Veränderungen erfolgreich und kreativ sein können und es dazu noch schaffen, sich ein Leben einzurichten, das einen gemächlichen, ausgeglichenen und grundvernünftigen Eindruck macht. Aber können wir eigentlich sagen, weshalb Erholung so wichtig ist und wie es zu diesem durchgängigen Ruhemuster kommt, dass wir bei Kreativen beobachten? Nun, gerade in den letzten Jahrzehnten häufen sich die Entdeckungen auf den Gebieten der Schlafforschung, Psychologie und Neurowissenschaft, im interdisziplinären Fachbereich des »Organizational Behavior« (deutsch: organisatorisches Verhalten), in der Sportmedizin und Soziologie sowie auf anderen Forschungsfeldern: Sie führen uns vor Augen, wie sehr die Bedeutung der Pause heruntergespielt wird und wie entscheidend wichtig sie tatsächlich für Gehirn, Lernvermögen, Begeisterung und anhaltende Innovationskraft ist. Diese Forschungen bescheinigen der Pause nicht einfach einen generellen Wert, sondern weisen nach, wie unterschiedliche Formen der Erholung mit der Arbeit eines Tages und eines ganzen Lebens zusammenspielen. Wir erfahren hier, weshalb bestimmte Arten der Pausengestaltung unsere Kreativität anregen und wie andere unsere schöpferischen Kräfte aufbauen. Und es zeigt sich auch, dass kurze Schlafphasen tagsüber, geistig klärende lange Spaziergänge, sportliche Betätigung und längere Urlaube beileibe keine unproduktiven Unterbrechungen sind, sondern kreative Menschen zu ihrer Arbeit befähigen.
Wir müssen die Beziehung zwischen Arbeit und Erholung überdenken, ihre enge Verbindung erkennen und die Pause als Motor unserer Kreativität und Produktivität wiederentdecken. Wir dürfen Pausen nicht länger als physische Notwendigkeit betrachten, der wir uns widerwillig beugen. Sehen wir sie lieber als Chance! Wenn wir pausieren und uns ordentlich ausruhen, ist das keine Kreativitätssteuer, die wir entrichten, sondern wir investieren in Kreativität.
Von vier großen Erkenntnissen ist mein Denken über Ruhepausen geleitet, und ich werde immer wieder an sie anknüpfen, wenn ich im Weiteren über die Wissenschaft der Ruhe referiere, ihre Bedeutung für die großartige Arbeit kreativer Menschen herausstreiche und schließlich darstelle, wie wir wissenschaftliche und historische Erkenntnisse für unser Leben fruchtbar machen können.
Erste Erkenntnis: Arbeit und Pause sind Partner
Die Pause ist ein wesentlicher Bestandteil guter Arbeit. Große Musiker, Olympiateilnehmer, Schriftsteller, Designer und andere begabte und kreative Menschen wechseln täglich zwischen Phasen intensiver, hochkonzentrierter Arbeit und ausführlichen Pausen. Lange Zeit haben wir kaum etwas über Inspiration und Kreativität gewusst. Sicher, wir wünschen uns Kreativität, aber wir wissen eigentlich nicht, wie Kreativität »geht«, weshalb sie manchmal da ist und dann wieder nicht – und wie, falls überhaupt, man ihr auf die Sprünge helfen kann. Wir sind jetzt den aktiven kognitiven Prozessen in unseren kreativen Momenten ein paar Schritte näher gekommen, wir wissen, was im Gehirn abläuft, wenn uns ein Licht aufgeht. Niemand kann behaupten, wir hätten bereits alles durchschaut; Gehirn und Kreativität gehören zu den komplexesten Studienobjekten überhaupt, und es gibt durchaus noch große Fragen, die wir einstweilen nicht beantworten können. Klar ist dagegen, dass unser Gehirn seine kreative Arbeit nie zu Ende bringt und noch im Ruhemodus an Problemen bastelt, mögliche Antworten ausprobiert und aussortiert, nach Neuem Ausschau hält. Darauf haben wir wenig Einfluss. Aber indem wir lernen, uns besser auszuruhen, unterstützen wir dieses Geschehen, lassen ihm seinen Lauf und können registrieren, wenn unser Gehirn auf etwas Bemerkenswertes gestoßen ist.
Zweite Erkenntnis: Ruhe ist aktiv
Beim Gedanken ans Ausruhen stellen wir uns normalerweise »passive Aktivitäten« vor: ein Schläfchen halten oder auf der Couch lümmeln und uns endlos Fernsehserien reinziehen. Keine Frage, so kann man sich ausruhen, aber körperliche Betätigung ist erholsamer, als wir denken, und geistige Pausen sind aktiver, als uns bewusst ist.
Erstaunlich viele Kreative – sogar in Berufen, in denen wir uns weltfremde Nerds vorstellen, die wochenlang keinen Sonnenstrahl abbekommen – betrachten anstrengende, bis an die Leistungsgrenze gehende und sogar lebensgefährliche Sportarten als unverzichtbaren Bestandteil ihres Tagesablaufs. Manche machen kilometerlange Spaziergänge oder arbeiten ganze Wochenenden im Garten. Manche trainieren ständig für den nächsten Marathon, andere klettern oder wandern in den Bergen. Was sie sich unter Ausruhen vorstellen, ist viel intensiver als das, was wir unter Training verstehen.
Was ist daran erholsam? Training mit viel Einsatz sorgt bei diesen Leuten dafür, dass der Körper topfit ist, was wiederum den Verstand klar und scharf hält, sodass für schwierige Arbeit immer ausreichend Energie vorhanden ist. Es kommt aber auch zu subtileren psychologischen Nutzeffekten über Stressabbau und den klaren Kopf hinaus, etwa im Sinne eines besseren Zugangs zur eigenen Vergangenheit. Viele Kopfarbeiter greifen zur Erholung Kindheitsinteressen oder in der Herkunftsfamilie erworbene Fähigkeiten auf. All das gehört zu einer übergreifenden Strategie der Gestaltung eines Lebens, in dem Arbeit und Spiel, körperliche Betätigung und Freizeit ihren Platz haben und ineinandergreifen.
Übrigens sind auch scheinbar passive Formen des Ausruhens aktiver, als wir meinen. Im Schlaf schaltet Ihr Gehirn nicht ab. Es beschäftigt sich mit der Konsolidierung von Gedächtnisinhalten, geht die Tagesereignisse durch, widmet sich Problemen, mit denen Sie befasst waren. Kleine Einblicke in dieses Geschehen hinter den Kulissen bekommen Sie im Traum, aber das meiste dringt nicht in Ihr Bewusstsein, und Sie können auch nicht lenkend eingreifen. Darüber hinaus veranlasst das Gehirn die Entsorgung von Giftstoffen sowie andere Wartungsarbeiten im Körper, was sehr wichtig als vorbeugende Maßnahme gegen degenerative neurologische Erkrankungen ist. Die Schlafforscher können all das in den REM-Phasen des Schlafs verfolgen, wenn das Gehirn nur so von elektrischer Aktivität knistert.
Genauso aktiv ist Ihr Gehirn auch im Wachzustand, wenn Sie vorübergehend abschalten. Die Gedanken schweifen, es fühlt sich an, als wäre der Kopf richtig leer, aber Ihr Gehirn ist dabei mit Vollgas unterwegs. Es sieht nur keinen Grund, Ihre bewusste Wahrnehmung mit einzubeziehen.
Dritte Erkenntnis: Ausruhen will gelernt sein
Ruhepausen sind ein bisschen wie Sex oder Singen oder Joggen. Jeder kann das irgendwie, aber mit etwas Einsatz und Durchblick lässt sich viel mehr daraus machen. Ruhepausen lassen sich besser auskosten, sodass Sie danach wirklich erfrischt und erholt sind. Man bringt es nicht allein durch gezieltes Training zur Weltspitze – gezieltes Ausruhen gehört unbedingt auch dazu. Ruhepausen bauen uns psychisch und physisch auf und erhöhen außerdem die mentale Produktivität. Mit bewussten Pausen erholen Sie sich von Stress und Strapazen des Tages, können Neues besser im Gedächtnis abspeichern und verschaffen Ihrem Unterbewusstsein Spielraum für seine Arbeit. In diesen gezielt eingeplanten Ruhe- und Mußezeiten, in denen wir augenscheinlich nicht arbeiten und auch nicht darauf aus sind, haben wir oft die besten Einfälle.
Es mag nicht sofort einleuchten, dass wir Ruhe und Erholung erst lernen müssen. Was könnte einfacher sein, als zu pausieren? Was könnte noch müheloser sein? Nun, zu atmen ist das Einzige, was noch selbstverständlicher ist.
Zu atmen ist so selbstverständlich, dass jeder, der anspruchsvolle körperliche oder geistige Arbeit leistet, lernen sollte, sehr bewusst mit seinem Atem umzugehen. Kontrolliertes Atmen ist eine unserer wirksamsten Maßnahmen gegen Stress, Angst und Ablenkung. Tiefere Atmung kann bei Sportlern die Wettkampfstärke erhöhen, Soldaten und Seeleute behalten im Gefecht leichter die Nerven, Sänger können ihre Stimme besser kontrollieren, Schauspieler und Politiker gewinnen mehr Ausdruckskraft.
Ähnlich die Pause. So viele Menschen sehen Ruhepausen als etwas geistlos Passives. Nach Feierabend kommt bei ihnen die Happy Hour, am Wochenende ziehen sie durch die Clubs, und im Urlaub zieht es sie in tropische Länder, wo immer Happy Hour ist und die Clubs immer offen sind. Sie vergessen sich bis zum Kater am nächsten Morgen und dem, was ihre Facebook-Feeds womöglich an peinlichen Details über die vergangene Nacht preisgeben. Es gibt aber auch eine Art, sich zu erholen, die mehr fordert und mehr bringt, die uns glücklicher und gesünder macht und den Kopf besser arbeiten lässt.
Ruhepausen sind etwas ganz Natürliches. Zu lernen, sich richtig gut zu erholen, macht sie noch effektiver.
Und schließlich: Bewusste Ruhepausen steigern und erhalten die Kreativität
Arbeit und Erholung sind für uns alle wie Tag und Nacht. Eins kann nicht ohne das andere sein. Für besonders kreative Menschen allerdings haben bewusste Pausen eine hohe und meist unterschätzte Bedeutung. Bestimmte Formen solcher Pausen regen die Kreativität an. Viele der bekannteren Kreativen arbeiten am Morgen und Vormittag besonders intensiv, wenn sie geistig ganz frisch und nicht leicht abzulenken sind. Tagsüber machen sie Spaziergänge oder Nickerchen, um ihre Kräfte aufzufrischen, während ihr Unterbewusstsein umherschweifen und auf Entdeckungsreise gehen kann. Oft lassen sie am Ende ihres Arbeitstages etwas Kleines unfertig liegen, damit der Einstieg am nächsten Tag leicht ist. Sie strukturieren ihren Tag so, dass er sowohl Zeit für intensive, konzentrierte Arbeit als auch für Auszeiten bietet. So kommen sie eher auf kreative Problemlösungen, und das auch noch schneller und mit weniger Aufwand.
Andere Pausenformen sichern anhaltende Kreativität. Viele große Schriftsteller, Wissenschaftler und Künstler sorgen für regelmäßige Bewegung oder sind sogar begeisterte Leistungssportler. Sie pflegen ihre Gewohnheiten und Hobbys mit erstaunlicher Beständigkeit. Sie gleichen ein vielbeschäftigtes Leben mit »deep Play«, mit tiefgründigem Spiel aus, mit seelisch erholsamen, körperlich aktiven und persönlich befriedigenden Formen der Ruhe. Sie erneuern ihre kreativen Reserven in Sabbaticals, beruflichen Auszeiten, in denen sie reisen, neuen Ideen nachgehen und neue Interessen entwickeln können. Sosehr sie es lieben, sich in die Arbeit zu vertiefen, sie achten auf strikte Abgrenzung von Arbeit und Freizeit.
Bewusstes Pausieren erfordert und stärkt Zuverlässigkeit und Konsequenz, was zum Teil erklärt, weshalb ihre Anhänger lange kreativ tätig bleiben, als Künstler oder Schriftsteller Karriere machen und dabei noch anderen Jobs nachgehen – und vielleicht sogar dann noch ganz neue Interessen für sich entdecken oder neue Werke hervorbringen, wenn wir Übrigen reif für den Ruhestand sind. Heute vergöttern wir den Jungunternehmer und beneiden den Teenager-Milliardär, aber das lange schöpferische Leben, für das es so viele Beispiele gibt, lässt einige unserer Gewissheiten ziemlich zweifelhaft erscheinen, nämlich dass gute Arbeit Jugend voraussetzt, dass schnell zu sein mehr bringt, als bedacht zu sein, dass Verwegenheit dem beharrlichen Dranbleiben überlegen und Größe ein Wettlauf gegen Alter und Zeitgeist ist.
In kreativen Wirtschaftszweigen ist auch zu erkennen, dass lange Arbeitszeiten nicht unbedingt für hohe Produktivität stehen. In einer Fabrik oder Werkstatt ist leicht zu erkennen, wer besonders produktiv war: Am Ende des Tages ist die Anzahl der produzierten Werkstücke oder der erledigten Reparaturen leicht zu bestimmen. Auch in anderen Berufszweigen gibt es hier klare Maßstäbe: Wie viele Kunden sind bedient, wie viele Patienten sind behandelt, wie viel Geld ist eingenommen worden? Aber wenn wir im Team an komplexen Projekten mit offenem Ausgang arbeiten, gelten lange Arbeitszeiten als Ausdruck unserer selbst und Beleg unseres ernsthaften Engagements. Sie machen uns nicht unbedingt produktiver, aber lassen uns so aussehen. Der Chef kann daran leicht ablesen, wer sich wirklich einsetzt und wer nicht – auch wenn das keineswegs darauf schließen lässt, wer wirklich gut ist.
Im Silicon Valley, wo ich wohne, herrscht der Glaube, Erfolg sei ein Wettlauf mit der Zeit und dem Alt-und-überholt-Sein. Wenn du mit 30 noch nicht reich bist – bevor also dein Können nicht mehr gefragt ist und du nicht mehr die Puste hast, 100 Stunden die Woche zu arbeiten –, wirst du niemals reich sein.
Das ist ein Modell, das für eine winzige Minderheit zum gewünschten Ergebnis führt; aber viele, die demgemäß arbeiten, manövrieren sich nur ins Burn-out und haben am Ende nicht viel vorzuweisen. Wer jedoch lernt, sich gezielt auszuruhen, schafft letztlich mehr, und das über einen längeren Zeitraum seines Lebens. Für solche Menschen ist das Berufsleben kein Rennen gegen die Zeit, weil das einfach nicht sein muss.
Mit »Arbeit« meine ich im Übrigen nicht nur das, was Sie von 9 bis 17 Uhr machen beziehungsweise wofür Sie bezahlt werden. Eigentlich interessiert mich vor allem etwas, das wir vielleicht als Ihr »Lebenswerk« bezeichnen können. Es ist die Arbeit, durch die Ihr Leben einen Sinn bekommt, bei der Sie zur Höchstform auflaufen und immer noch besser werden; die Arbeit, die Sie wie nichts anderes erfüllt, wenn sie gut läuft, und für die es sich zu kämpfen und zu verzichten lohnt, wenn sie schlecht läuft – die Arbeit, auf die hin Sie bereitwillig Ihr Leben ausrichten. Ich glaube, für uns alle gibt es diese Arbeit, die unser Lebenswerk ist; und ich glaube, dass die Qualität unseres Lebens davon abhängt, wie gut wir sie verrichten können. Und so dreht sich dieses Buch um unsere Werktage und unser Arbeitsleben. Es betrachtet zunächst tägliche Abläufe wie den Start in den Tag und Spaziergänge und den Kurzschlaf zwischendurch, um dann zum weiteren Horizont der im wöchentlichen Rhythmus stattfindenden Aktivitäten (Bewegung und tiefe Ruhephasen) überzugehen und schließlich zu den Monats- oder Jahreszyklen (Urlaub, längere Arbeitspausen) zu kommen.
Pause ist nicht als Sammlung von Tipps und Tricks gedacht, und ich will auch nicht darauf hinaus, dass wir die Ruhepause für mehr Produktivität und die Erhöhung unseres Marktwerts instrumentalisieren. Sie finden hier kein Muster, an das sich jeder halten kann. Ich stelle Ihnen kein System vor, denn ich glaube nicht, dass es eine einzige richtige Art zu arbeiten gibt. Die Rhythmen und Anforderungen des Arbeitsplatzes sind zu unterschiedlich, menschliche Gehirne sind einander zu unähnlich, die Kreativität ist zu facettenreich und das Leben insgesamt zu vielfältig, als dass wir hier mit simplen Empfehlungen operieren könnten. Ich glaube aber, dass es für uns alle eine Arbeit gibt, in der wir glänzen können, dass es uns allen gegeben ist, die Arbeit zu finden, die unserem Leben Sinn gibt und für die sich Einsatz, Training und Opfer lohnen. Wir können herausfinden, worin diese Arbeit besteht und wie wir Pausen so nutzen können, dass sie uns gelingt. Darüber hinaus glaube ich, dass sich das Prinzip des bewussten Ausruhens jedem Job und jedem Arbeitsumfeld anpassen lässt, ob Sie Fachkraft, Fabrikarbeiter, Polizeibeamter oder Elternteil sind. Wenn Sie erkennen, dass Arbeit und Pause zwei Seiten einer Medaille sind, dass Sie mehr vom Pausieren haben, wenn Sie es besser beherrschen, dass Sie, wenn Sie dem Ausruhen einen Platz in Ihrem Leben einräumen, die Chancen auf Ihr Wunschleben erhöhen, dann werden Sie Ihren Job und Ihr Lebenswerk besser verrichten können.