Die Herausgabe der Werksammlung wurde vom Land Tirol und von der Gemeinde Telfs gefördert.
© 2001
HAYMON verlag
Innsbruck-Wien
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Aufführungsrechte für alle Stücke beim Österreichischen Bühnenverlag Kaiser & Co., Am Gestade 5/II, A-1010 Wien
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
ISBN 978-3-7099-7637-1
Umschlaggestaltung:
hœretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol
Dieses Stück wurde dem Sammelband »Stücke 3«, erschienen 2001 im Haymon Verlag, entnommen. Den Sammelband »Stücke 3« erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.haymonverlag.at.
Krach im Hause Gott
Biographische Daten und Werkverzeichnis
KRACH IM HAUSE GOTT
Ein modernes Mysterienspiel
Auf Anregung von Otto Schenk schrieb ich 1989 für das Theater in der Josefstadt eine neue Variante der alten geistlichen Moralität „Everyman”, im Gegensatz zu anderen Neufassungen (zuletzt Hofmannsthal) aber vom Mittelalter in die heutige Zeit verlegt und „Ein Jedermann” betitelt. Wie im alten Stück gab es auch bei mir ein Vorspiel, in dem die göttlichen Personen auftreten und über den Untergang von Jedermann beraten. Dieses Vorspiel dauerte etwa zehn Minuten und erschien dem Regisseur Erwin Steinhauer und dem Hauptdarsteller Helmut Lohner viel zu lang, eigentlich als Stück vor dem Stück, und das eigentliche Stück sollte doch so bald wie möglich beginnen. Ich konnte dem nur zustimmen und kürzte deshalb das Vorspiel um die Hälfte. Irgendwie tat’s mir aber doch leid drum, und ich hatte im Hinterkopf vor, irgendwann einmal noch etwas damit anzufangen. Da ich mich aber eher ungern mit einem alten Stoff erneut auseinandersetze (deshalb gibt es zum Beispiel kaum Verfilmungen meiner Theaterstücke), geschah jahrelang nichts.
Letztlich waren es zwei Freunde, die den Ausschlag gaben. Charly Rabanser (Schauspieler) und Maurus Mosetig (Regisseur) ließen mir einfach keine Ruhe und meinten, das wäre doch eine Chance, die Menschen auf unterhaltsame Weise mit theologischen Problemstellungen, überhaupt mit den Auswirkungen der monotheistischen Religion vom Ursprung bis heute zu konfrontieren. Einen weiteren Anstoß gab dann Martin Sailer vom ORF-Tirol, der endlich wieder einmal ein Hörspiel von mir wollte, das dann Ende 1994 realisiert wurde, u. a. mit Ernst Grissemann als Gott und Kurt Weinzierl als Heiliger Geist. Der allerletzte Anstoß kam schließlich von Alfred Wopmann, Intendant der Bregenzer Festspiele, der ein Stück für den Martinsplatz in Bregenz suchte und mich nach Lesen des Hörspiels spontan bat, ein abendfüllendes Theaterstück daraus zu machen.
Nun kam in der weiteren Ausarbeitung endlich hinzu, was mir bisher immer gefehlt hatte, was mir schon seit Jahren an der christlichen Religion fehlt, nämlich das Weibliche. Wo ist die Frau? Warum gibt es nur einen Herr-Gott? Brauchen wir nicht sehr notwendig neben dem Vater eine Mutter, wenn wir schon jemanden brauchen, der über uns ist? Ich las die Bibel, wie es notwendig ist, aber ich las nun auch Theologinnen, die sich vor allem mit letzterer Frage beschäftigen. Christa Mulack, Theologin, Soziologin, Pädagogin, half mir am meisten dabei. Ihre Bücher „Maria — die geheime Göttin im Christentum” und „Jesus — der Gesalbte der Frauen” (Kreuz Verlag) öffneten mir die Augen. Ohne Christa Mulack hätte dieses Stück so nicht entstehen können, ich danke ihr sehr dafür.
Für Christa Mulack, Charly Rabanser und Maurus Mosetig
Gott Sohn
Geist
Muttergottes
Satan
Auf der Bühne ein moderner Konferenztisch mit vier Stühlen. Während das Publikum Platz nimmt und wartet, kommt ganz unauffällig die Muttergottes in Sekretärinnenkleidung, bringt auf einem Tablett Mineralwasser, Orangensaft, Gläser, Kaffeekanne, Tassen, Zucker, Milch, stellt alles auf den Tisch. Dann bringt sie vier Mappen mit Unterlagen, Notizblöcke und Kugelschreiber. (Gott und der Heilige Geist werden sich später Notizen machen.) Zuletzt bringt sie eine Flasche Rotwein, ein Glas, einen Aschenbecher. Sie geht wieder. Das Stück beginnt. Gott kommt. Er trägt den soliden Anzug eines konservativen Geschäftsmannes, Maßschuhe, die ewig halten. Gott schaut auf seine Taschenuhr, geht an seinen Platz in der Mitte des Tisches, blättert in seinen Unterlagen, schenkt sich Mineralwasser ein, trinkt davon, setzt sich, schaut wieder auf seine Uhr, wirkt ungeduldig. Aus dem Publikum kommt der Sohn zu ihm. Er trägt Turnschuhe, Jeans, ein kurzärmeliges T-Shirt mit der Aufschrift: „Jesus loves you”. Er hat einen Plastiksack bei sich, dem er nun die Dornenkrone entnimmt und sie aufsetzt. An den Händen sieht man die Wundmale, sie sind blutig.
GOTT: Na, mein Sohn?
SOHN: Vater?
Der Sohn versucht irgendwie, seine Hände vor Gott verborgen zu halten. Er schenkt sich ein Glas Wein ein, trinkt einen Schluck, schaut ins Publikum, setzt sich mit Abstand zu Gott, zündet sich eine Zigarette an. Dabei sieht Gott seine Hände. Der Sohn zieht sie schnell aus dem Blickfeld Gottes, wickelt um die rechte Hand ein Taschentuch.
GOTT: Warum versteckst du deine Hände? Sag.
SOHN: Meine Wunden bluten. Entschuldige.
GOTT: (leicht gereizt) Warum entschuldigst du dich? Das mußt du nicht.
SOHN: Entschuldigung.
GOTT: Du empfindest Haß gegen mich, nicht wahr?
SOHN: Nein. Um Gottes willen.
GOTT: Doch. Ich weiß es. Warum machst du mir immer was vor? Das ist lächerlich.
SOHN: (lacht) Ja! Du hast recht, Vater. Aber — es ist nicht Haß. Wirklich nicht. Da irrst du dich. Haß ist etwas aus deiner Welt. Aus deiner Vorzeit. Das hab ich überwunden. Wenigstens das. Ich für mich.
GOTT: Was ist es dann? Wie würdest du dein Gefühl beschreiben?
SOHN: Zorn. Ja, ich geb es zu. Manchmal Zorn. Verzweiflung. — Schmerz. Das vor allem. (Schaut auf seine Hände.) Schmerz. Zweitausend Jahre Schmerz.
GOTT: (gereizt) Das tut mir leid. — Aber ich werde dem ohnehin ein Ende setzen.
SOHN: Ja? Warum?
GOTT: Ich habe ihnen zweitausend Jahre gegeben. Das reicht.
SOHN: Wie bitte? Ich versteh dich nicht.
GOTT: Ich mache der Menschheit ein Ende.
SOHN: (spöttisch) Um meinen Schmerz zu beenden? Das ist nicht notwendig, Vater.
GOTT: Nicht, um deinen Schmerz zu beenden. Um meinen geht es jetzt! Ausnahmsweise! Ist das gestattet? Ich leide auch! Ich bin beleidigt! Verstehst du?
SOHN: Oh, um deinen Stolz geht es wieder.
GOTT: Ja! Um meinen Stolz! Aber ich will gerecht sein. Wie immer. Wir machen eine Verhandlung. Deshalb rief ich euch.
SOHN: Das heißt, ich habe das umsonst gemacht, oder wie?
GOTT: So ist es. Das Opfer war umsonst.
SOHN: (nach einer Weile plötzlich drängend) Schick mich noch einmal! Schick mich noch einmal! Bitte!
GOTT: (schüttelt den Kopf) Nein. Ich mach ein Ende. Sie verdienen es nicht.
SOHN: Aber du hast sie doch -
Der Sohn hört auf zu reden, weil der Geist hektisch und mit rudernden Bewegungen herangelaufen kommt. Er trägt feminine, weite, flatternde taubengraue Kleidung, gleicht aber eher einem aufgescheuchten Huhn als einer Taube.
GEIST: Bin schon da! Bin schon da! (Kommt auf die Bühne.) Grüß Gott, Entschuldigung, bin schon da! Entschuldigung, Herr, du weißt, es beruhigt mich, über den Wassern zu schweben.
Der Sohn grinst verächtlich über den Geist. Dieser kniet sich vor Gott hin, küßt ihm die Hand.
GOTT: Dafür wirst du in Zukunft genügend Zeit haben, Geist. Mehr als genug.
GEIST: Wie soll ich das verstehen, Herr? Hab ich dich beleidigt?
GOTT: Aber nein. Du nicht.
GEIST: Hab ich einen Fehler gemacht?
GOTT: Nein! Ich meine das doch -
SOHN: (fällt ihm ins Wort) Na, vielleicht wär’s günstiger, du würdest dir einen anderen Ort zum Schweben aussuchen, Heiliger Geist. Hin und wieder.
GEIST: (steht auf; gereizt:) Wie meinst du das?
SOHN: Na ja, es gibt da ein paar Milliarden Menschen, die es dringend nötig hätten, daß du über ihnen schwebst.