Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786 bis 1788
Mit einem Nachwort versehen von Jan Volker Röhnert
und mit Fotografien angereichert von Alexander Paul Englert.
ISBN 978-3-8477-5337-7
© für die deutschsprachige Ausgabe:
AB – Die Andere Bibliothek GmbH & Co. KG, Berlin www.die-andere-bibliothek.de
Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786 bis 1788 von Karl Philipp Moritz ist Januar 2013 als dreihundertsiebenunddreißigster Band der Anderen Bibliothek erschienen.
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Herausgabe: Christian Döring
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Impressum
DIE ANDERE BIBLIOTHEK
Erster Theil
Seiner Königlichen Hoheit dem Kronprinzen von Preußen
Vorbericht.
Romam quaero!
Das Amphitheater.
Hic virides tenera
praetexit arundine ripas Mincius. – VIRG.
Virgils Grotte.
Vetturine.
Die Reisegesellschafter.
Die Republik St. Marino.
Die Klöster.
Der Wegweiser.
Pesaro.
Fano.
Senigaglia.
Vor dem Tempel der Venus, vom Dorischen Ankon emporgetragen.
Die Bildsäule des Pabstes Clemens des Zwölften in Ankona.
Loretto.
Der Schatz des heiligen Hauses
Tolentino
Foligno.
Spoleto.
Civita Kastellana.
Vidimus flavum Tiberim!
Der Pabst.
Der Spanische Platz.
Die Villa Medicis.
Ende des ersten Theils.
Zweiter Theil
Der Fluß Liris.
Kapua.
Aversa.
Die Einfahrt in Neapel.
Ein neapolitanischer Arzt.
Lazzaroni.
Der Molo.
Gefrornes.
Hackert.
Pausilypo.
Die Grotte von Pausilypo
Virgils Grabmal.
Die Brücke des Kaligula.
Der Averner See.
Eine besondere Art, die Zeche zu bezahlen.
Der Tempel des Jupiter Serapis.
Die phlegräischen Gefilde.
Pozzolana – Porzellan
Die Fahrt nach Kapri.
Kapri.
Die Fahrt von Kapri nach Surrent.
Landung am Ufer von Surrent.
Das Vorgebürge der Minerva.
Der Abgrund.
Die häusliche Einrichtung der Alten.
Die gemahlte Schlange.
Antike Kasernen.
Der Tempel der Isis.
Ein antikes Landhaus.
Ein antiker Weinkeller.
Herkulanum.
Das Museum zu Portici.
Antike Gemählde.
Antike Bibliothek.
Leichtes Fuhrwerk in Neapel.
Das Pflaster von Neapel.
Die Karthause.
Platte Dächer.
Neapolitanische Höflichkeit und Mundart.
Ein Gemälde von Luca Giordano.
Kapo di Monte.
Vesuv.
Lacrymae Christi.
Neapolitanische Advokaten.
Der Glaube an den heiligen Januarius.
Rückreise von Neapel nach Rom mit dem Procaccio.
Un huomo di Conscienza.
Sumus Dei!
Die Villa Millini.
Das Kapitol.
Die Treppe zum Museum.
Alte Inschriften.
Eine ortographische Merkwürdigkeit der vorigen Zeiten.
Ein chronologischer Fund.
Die Marmorsärge der Alten.
Die Amazonenschlacht.
Der umgestürzte Terminus.
Prometheus.
Die neun Musen.
Diana und Endymion.
Ein Leichenstein.
Die Vase.
»Lächelt doch kein Winkel auf Erden so schön wie dieser!«
Die Madonna von Tivoli.
Spiele. Panem et Circenses.
Die Villeggiatura, und eine Seligsprechung auf dem Kapitol.
Volksaberglaube.
Minerva.
Giostra.
Die Villa Borghese.
Die Paulskirche.
Ende des zweiten Theils.
Dritter Theil
Michel Angelo.
Michel Angelo
Titian.
Improvisatoren.
Monte Cavallo.
Promenade auf dem Korso.
Propaganda.
Kontrast zwischen der deutschen und der italiänischen Sprache.
Belvedere.
Apollo Musagetes.
Die tragische Muse – Faltenwurf.
Das Haupt der Medusa.
Eigenthümlichkeit der italiänischen Sprache.
Pietro von Kortona.
Raphael. Die Schlacht des Konstantin.
Vatikan.
Raphael.
Portraitmahlerei.
Volkslieder.
Eigenthümlichkeiten der Italiänischen Sprache.
Schutz gegen Gewalt und Unterdrückung.
Lokalität.
Klassischer Boden.
Das alte Rom.
Shakespear.
Belvedere.
Einförmigkeit und Mannigfaltigkeit. Eine Betrachtung beim Anblick der Kolonnade auf dem Petersplatze.
Päbstliches Militär.
Laokoon.
Abendwanderung.
Römische Polizei.
Aurora von Guido.
Fortuna – von Guido.
Abbaten.
Römische Reiterei.
Die Bäder des Diokletian.
Kapitolium.
Copri miseria.
Martials Prophezeihung.
Die modernen Thürmchen auf dem Pantheon.
Trastevere.
Forum Palladium.
Die Bäder der Livia.
Die Hütte des Romulus.
Titian.
Künstlerurtheil.
Moderner Schmuck antiker Säulen.
Borromino.
Der Borghesische Fechter.
Haus des Nero.
Pallast.
Palatinischer Berg.
Volksspeisewirthe.
Mittägliche Wanderung in Rom.
Ein Grabmal am Ufer des Anio.
Die Pinie.
Gelübde der alten und neuen Römer.
Die Bäder des Titus.
Der Frevelsteig.
Engländer und Deutsche in Italien.
Raphael. Parnaß.
Die Schule von Athen.
Die Feuersbrunst.
Die Holländische Schule.
Kraft des Gemähldes.
Porta del Popolo.
Signatur des Schönen. (Bei der Betrachtung des Apollo von Belvedere.)
Rang des Schönen.
Die Schlange nagt an ihrem Schweife.
Kapitolium.
Abwechselung und Einheit in der Landschaft. (Bei einem Spaziergange in der Villa Borghese.)
Das Tiburtinische Thor.
Die Konsuln des neuern Roms.
Der Flaminische Weg.
Das Franziskanerkloster auf dem Palatinischen Berge.
Mahlerische Ruinen.
Geräusch und Lerm in dem alten und neuern Rom.
Apollo in Belvedere.
Die Betrachtung schöner Kunstwerke erhebt den Geist und veredelt das Gefühl.
Aventin.
Abendaussicht vom Palatinischen Berge.
Der Preiß einer Mahlzeit im alten und neuen Rom.
Reise nach Cora.
Raphael und Volatera.
Die heilige Cecilia.
Apollo in Belvedere.
Das Schöne ist eine höhere Sprache.
Das Mausoleum der Cecilia Metella – Der Quell Egeria.
Über Verzierungen. (Bei Betrachtung der Logen des Raphael.)
Ueber Kuppeln, Thürme, Obelisken und Denksäulen.
Aschermittwoch.
Raphaels Stanzen.
Der Obelisk auf dem Platze del Popolo.
Raphaels Villa.
Der Frühling unter den Ruinen.
Michel Angelo.
Raphael.
Die Porta St. Sebastiano.
Theater des Marcellus.
Pons Milvius.
Spaziergänge der alten Römer.
Die Gegend von Maria Maggiore.
Steigen und Fallen der Kunst.
Roms Straßen.
Forum Transitorium.
Persius.
Vielfältigkeit und Mannichfaltigkeit.
Der Segen.
Das öffentliche Leben der alten Römer.
Italiänische Sprichwörter.
Pallast Farnese.
Verzierungen.
Menschliche und thierische Bildung.
Raphaels Logen.
Die Arabesken in Raphaels Logen.
Spielarten des Geschmacks.
Allegorie.
Die Hauptgemählde.
Kapitolium.
Esquilinischer Hügel.
Mausoleen.
Aussicht von der Peterskuppel.
Spaziergang an der Tiber.
Marsfeld.
Kunsterwerb.
Ein Opferfest der alten Römer.
Palatinischer Berg.
Sabiner Gebürge.
Architekten.
Denkende Künstler.
Juden in Rom.
Die klassischen Autoren in Taschenformat.
Römerinnen.
Scheibenwerfen.
Staatsverfassung des neuern Roms.
Das alte Rom.
Der weiße Zelter.
Apostolische Kammer.
Sciorocco.
Tramontan.
Römische Justiz.
Einige Bemerkungen auf meiner Rückreise aus Italien.
Florenz.
Ein Trauerspiel vom Kreissteuereinnehmer Weiße, in Florenz aufgeführt.
Die Ufer des Arno.
Die Kathedralkirche.
Der Spanier.
St. Marko in Venedig.
Der Markusplatz.
Die Kupfertafeln zu diesen Reisen.
Reisen im Zeichen des Saturn
Karl Philipp Moritz’ römisches Großstadtmosaik
Kommentare Karl Philipp Moritz, »Reisen eines Deutschen in Italien«
Erstes Buch
Zweiter Teil
Drittes Buch
Bildnachweis
Anmerkungen
Die 1984 von Hans Magnus Enzensberger und dem Verleger und Buchgestalter Franz Greno begründete Buchreihe DIE ANDERE BIBLIOTHEK ist längst zum Bestandteil unserer deutschsprachigen Lesekultur geworden. Monat für Monat ist seit Januar 1985 ein Band erschienen – »Gepriesen und geliebt« (Frankfurter Allgemeine Zeitung). An dem Anspruch, intellektuelles und visuelles Vergnügen zu verbinden, hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert:
DIE ANDERE BIBLIOTHEK ist die »schönste Buchreihe der Welt« (Die Zeit).
Seit Januar 2011 wählt der Herausgeber Christian Döring monatlich sein Buch aus und gibt es im Verlag DIE ANDERE BIBLIOTHEK unter dem Dach des Aufbau Hauses am Berliner Moritzplatz heraus. In Haltung, Gestaltung und Programm hat sich am Anspruch seit drei Jahrzehnten nichts geändert: »Wir drucken nur Bücher, die wir selber lesen möchten.«
Das Programm der ANDEREN BIBLIOTHEK folgt inhaltlich seit Anbeginn nur einem Maßstab: Genre-, epochen- und kulturraumübergreifend wird entdeckt und wiederentdeckt, die branchenübliche Einteilung in Sachbuch und Literatur hat nie interessiert, der Klassiker zählt so viel wie die Neuerscheinung. Es gilt der »Kanon der Kanonlosigkeit«, nur Originalität und Qualität sollen zählen.
– Jeden Monat erscheint ein neuer Band, von den besten Buchkünstlern gestaltet.
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Der gnädige Beifall, welchen EW. KÖNIGL. HOHEIT mir über meine Reisen eines Deutschen in England zu bezeigen geruhten, hat mir den Muth eingeflößt, auch diese Reisen eines Deutschen in Italien HÖCHSTDENENSELBEN unterthänigst und ehrerbietigst zu widmen. Ich ersterbe in tiefster Ehrfurcht
EW. KÖNIGL. HOHEIT
Berlin,
den 18. Januar 1792.
unterthänigster
Moritz.
Ich muß den Leser bitten, dieß erste Bändchen meiner Reisen eines Deutschen in Italien nur als eine Vorbereitung zu den folgenden zu betrachten, worin ich mich über Sitten, Gebräuche, Litteratur und Kunst, in Italien überhaupt, und vorzüglich in Rom, ausführlicher verbreiten werde.
Verona, den 2. Oktober 1786.
Das DORT, ist nun HIER geworden, mein Lieber! Die zackigten Tyroleralpen, durch welche wir uns in manchen Krümmungen gewunden haben, sind hinter uns, und ich betrete nun den Boden des Landes, wohin ich mich so oft sehnte, das mir mit seinen Monumenten der Vergangenheit zwischen immer grünen Gefilden so oft in reizenden Bildern vorschwebte, und den Wunsch des Pilgrims in mir weckte, die heiligen Plätze zu besuchen, wo die Menschheit einst in der höchsten Anstrengung ihrer Kräfte sich entwickelte, wo jede Anlage in Blüthen und Frucht emporschoß, und wo beinahe ein jeder Fleck durch irgend eine große Begebenheit, oder durch eine schöne und rühmliche That, welche die Geschichte uns aufbewahrt, bezeichnet ist.
Aber dorthin eil’ ich, wo auf den sieben Hügeln, das Größte und Glänzendste, was einst der Erdkreis sahe, sich gründete und bildete, und wo noch itzt die Kunst bei den erhabenen Ueberresten der Vorzeit ihren festen Wohnsitz findet; von jenem höhern Standpunkt aus, will ich meine Blicke auf diesen großen Schauplatz heften, und von dort aus meine Wanderungen anheben.
Deswegen erwarten Sie, mein theuerster Freund, ja nicht eher irgend etwas Ganzes oder Ausführliches, als aus Rom, von mir. Denn bis dahin reise ich nicht eigentlich, sondern EILE dem Ziel der Wallfahrt zu, das mein Verlangen stillen, und meine Wünsche befriedigen soll, und welches ich eine Zeitlang wie meine Heimath betrachten will.
Jetzt ist meine Ankunft in diesem schönen Lande noch wie im Traume. – Als wir gestern Nacht nur wenige Meilen von Verona waren, brach uns ein Rad am Wagen. – In der Nähe war kein Dorf, und es dauerte einige Stunden, bis unser Fuhrwerk wieder im Stande war.
Ich setzte mich auf einen Stein am Wege, – es wehte eine angenehme Luft, und nach und nach wurden die Gegenstände sichtbar. – Dicht vor mir lag ein Feld mit Bäumen bepflanzt, an welchen Reben hingen. –
Nun kam schon ein Winzer mit der Leiter in der Hand, und setzte sie an einen Baum, um sein frühes Tagwerk anzufangen. – Weinbeladne Wagen, von bekränzten Ochsen gezogen, fuhren vorbei, und jauchzende Knaben saßen reitend auf den Fässern.
Die umschattende Dämmerung, welche noch rund umher verstreut war, brachte dies alles so nahe, wie reizende Bilder eines Traumes, vor die Seele; und die laue Luft ließ es einen ganz vergessen, daß man sich in der Nacht auf dem Felde unter freiem Himmel befand.
Dieß war also nun wirklich das milde italiänische Klima, welches sich in unsrer Vorstellung immer an das Bild von diesem reizenden Lande knüpft. – Am östlichen Himmel zeigten sich die ersten Streifen der Morgenröthe, worauf der eine von den Leuten, die aus dem nächsten italiänischen Dorfe zur Hülfe herbeigeholt war, aufmerksam machte.
So wie es heller wurde, ragten in der Ferne die Spitzen der hohen Zypressen und weinbekränzten Hügel empor, und rund umher entfalteten sich die mannichfachen Schönheiten der Natur. –
Da dachte ich an Sie und S … und die Ferne zwischen uns wurde mir auf einmal lebhaft, als ich auf den Feldern von Verona am Wege sitzend, an dem schönen mit sanften Blau sich wölbenden italiänischen Himmel den ersten Morgen anbrechen sah.
Verona, den 2. Oktober 1786.
Es versteckt sich auf einem großen und weitläuftigen Platze hinter unansehnlichem Gemäuer. – Freilich verliert die Einbildungskraft bei dem wirklichen Anblick ihren schönen Spielraum, wo sie nach Gefallen zusetzen und abnehmen konnte. – Allein die Wirklichkeit tritt bald wieder in ihre Rechte. – Der Anblick der simplen Majestät erhält die Oberhand über jede übertriebene Vorstellung, welche hier wie Nebel verschwindet, da das Auge seinen sichern Maaßstaab hat.
Ich blickte von der Arena, oder dem mit Sand bedeckten Kampfplatz in die Höhe, bis dahin, wo die oberen Stufen rund umher den Horizont beschränken und die Ruinen, welche sich in der Luft abschneiden, einen mahlerischen Anblick machen. – Dann stieg ich hinauf, und hatte nun die Aussicht von jenen obersten Stufen, bis auf die Arena hinunter, wie in einen tiefen Trichter. –
Ein kleines modernes Theater mit Vorhang und Kulissen, das unten auf der Arena erbaut ist, und worauf man von oben herab sieht, verursacht mit seiner großen Umgebung einen seltsamen Kontrast. Wie sonst die Sitze zum Theater, so hat man hier ein Theater zu den Sitzen erbaut.
Heute Nachmittag streifte ich noch ein wenig in der Gegend vor Verona umher, um die Fluren zu sehen, wo der zärtliche Katull als Knabe spielte, und die erste Nahrung seines Geistes aus der umgebenden Natur einsog.
Von den Anhöhen bei Verona macht die alte Stadt mit ihren Brücken über die Etsch, von welcher sie durchströmt wird, einen sehr schönen Prospekt; kömmt man aber hinein, so findet man größtentheils enge und krumme Straßen, in welchen dennoch eine ziemliche Lebhaftigkeit herrscht, die freilich vorzüglich mit dadurch bewirkt wird, daß die Werkstätten der Handwerksleute nicht in verschlossenen Zimmern, sondern in offenen Boutiquen, im Freien sind, und einige sogar ihren Arbeitstisch auf die Straße hinausgerückt haben.
Mantua, den 4. Oktober.
Hier, sagt Daphnis in Virgils Ekloge, ruhe dich im Schatten aus, wenn du ein Weilchen Zeit hast, Melibdus! die Stiere werden von selbst schon hier auf die Weide kommen um ihren Durst zu löschen. Hier deckt der Mincius mit zartem Schilf das grünende Ufer, und um die heilige Eiche summt der Bienenschwarm!
Melibdus läßt sich willig finden; setzt die Arbeit noch ein wenig hindan, und legt sich in den Schatten, um dem Wettgesange der beiden Hirtenknaben, die seinen Richterspruch verlangen, zuzuhören.
Auch ich verweile hier, mit meinem Dichter in der Hand, eine kurze Zeit auf meinem Wege am schönen Ufer des Mincius, der in seinem schlängelnden Laufe, schmale Inseln bildet, auf welchen Heerden zwischen dunklen Gebüschen im Grünen weiden, indeß den Wiesenrand das zarte Schilf umkränzt.
Vor mir liegt die Stadt mit ihren Thürmen, zur linken der hohe Damm, und um mich her die grüne Ebene, welche der sanfte Fluß durchirrt.
Alles wird Leben und Gegenwart um mich her, das Bild der Vorzeit spiegelt sich in diesem reizendem Umfange, der noch dieselbe Flur umschließt, welche der Dichter sang.
Mantua, den 4. Oktober.
Ich machte dann auch einen Spaziergang nach dem Geburtsorte Virgils, dem Dorfe PIETOLA, welches ehemals ANDES hieß, und nur zwei italiänische Meilen von der Stadt entfernt ist.
Wir gingen aus der Porta VIRGILIANA, über einen Damm, welcher durch den Sumpf führt, der die Stadt umgiebt, und den der schöne von dem Dichter des Alterthums besungene Mincius hier verursacht.
Unterwegs sprach mein Wegweiser von nichts als von der GROTTE VIRGILS, (la Grotta di Virgilio) die er mir zeigen würde, – wir langten denn zuerst in dem Dörfchen Pietola an, wo wir uns Brodt, Kastanien und Weintrauben geben ließen.
Hier setzten wir uns vor dem Hause nieder, wo mehrere Leute aus dem Dorfe versammelt waren. Welche sogleich schlossen, daß der Fremde aus keiner anderen Ursache hierher gekommen sey, als um die GROTTE VIRGILS zu sehen, die nicht weit von diesem Dorfe in der herzoglichen Menagerie, welche auch VIRGILIANA heißt, befindlich ist.
Die Besuche der Fremden haben das Andenken des Dichters selbst unter den Bewohnern dieses Dorfes wieder aufgefrischt, welche in Ansehung ihres berühmten Landsmannes nicht so unwissend waren, daß sie nicht von seinem großen poetischen Genie hätten reden sollen; auch wußten sie von seinen Lebensumständen zu erzählen.
Wir gingen nun von hier nach der herzoglichen Menagerie, wo alles ein trauriges und wüstes Ansehen hatte. Hier gingen wir einen langen Hof oder verfallenen Garten hinunter, und kamen endlich an die Grotte Virgils, welche diesmal das Ziel unserer Reise war.
Hier sahen wir nun den Platz, wo ehemals eine Grotte gewesen seyn soll, welche Virgil, bei seinen früheren Versuchen in der Dichtkunst zu seinem einsamen Aufenthalte wählte. Jetzt standen alte Waschfässer und hohes Unkraut hier umher; alles war zerstört und öde, und von dem Heiligtum des Dichters war keine Spur mehr da.
Bologna, den 7. Oktober.
Der Vetturin muß dem Fremden, welcher mit ihm wegen einer Reise akkordiert, ein Stück Geld zur Sicherheit geben, statt daß es sonst umgekehrt ist. Das Geld heißt KAPPARA, und mit dieser Kappara in der Hand steht ein solcher Vetturin vor einem, wie der Teufel, der im Begriff ist, eine Seele zu fangen. Er braucht alle mögliche Ueberredungskunst, und nimmt man das Geld, so ist man sein, oder man muß ihm den doppelten Werth ersetzen.
Mein Vetturin in Mantua ließ denn auch nicht ab, bis er mich gefangen hatte, ob ich gleich erst gesonnen war, zu Wasser nach Bologna zu gehen. Zwischen ihm und mir wurde von einem Kaufmann, an den ich empfohlen war, ein schriftlicher Kontrakt aufgesetzt, der auf alle möglichen Chikanen eingerichtet war, die sich Leute in unserm Verhältniß einander nur zufügen konnten, und auf deren Ausübung man nun von beiden Seiten Verzicht that.
Mit diesem Kontrakte in der Hand faßte ich eine Art von Zutrauen zu meinem Vetturin, der am andern Morgen früh mit einem ganz neuen sehr eleganten Wagen, der garkeinem Reisewagen ähnlich sahe, vorfuhr, und mich einzusteigen nöthigte, indem er mich meinem Reisegefährten, einem jungen Kaufmann aus Bologna vorstellte. Hierauf verschwand mein Vetturin, und ein Unbekannter trieb mit dem Wagen fort.
Nachdem ich mich eine Weile mit dem Kaufmann unterhalten hatte, bezeigte ich meine Verwunderung über unser schönes Fuhrwerk, und vernahm denn von ihm, daß dieser Wagen gar nicht zur Reise bestimmt sey, sondern daß er ihn erst neu habe machen lassen, und ihn jetzt, für jemanden nach Bologna bringe, der ihm die Besorgung davon aufgetragen habe; daß sein Vetturin aus Verona sey, und ihn gebeten habe, gegen eine Kleinigkeit, die er am Fuhrlohn nachgelassen, mich mitzunehmen.
Ich fuhr also mit einem fremden Fuhrmann, in einem fremden Wagen, und hing gewissermaßen von der Diskretion meines Gefährten ab, der bei dem Akkord, den sein Vetturin mit ihm gemacht hatte, noch dazu auf meine UNTERHALTUNG angewiesen war, und mich dafür auch um ein Paar Paol weniger hatte mitnehmen müssen.
Als wir uns auf die Weise verständigt hatten, schilderte mir mein Reisegefährte die italiänischen Vetturine, als eine ganz eigene Menschenklasse, eben nicht zum besten, machte aber doch eine Ausnahme von dem, der uns jetzt fuhr, und rühmte ihn als einen der besten mit dem er noch zu thun gehabt habe.
Wir kamen nun über den Po, durch Reggio und Modena über die große Ebene bis Bologna, und noch dicht vor der Stadt, wo wir in dem Gasthofe einkehrten, hörte das freundschaftliche Vernehmen zwischen dem Vetturin und meinem Reisegefährten plötzlich auf, indem er nun erst noch eine Forderung machte, die im Akkord nicht gegründet war. Der Streit wurde immer heftiger. – Vetturini son’ Vetturini! (Vetturine sind doch Vetturine) sagte mein Reisegefährte im größten Affekt, nahm seine erste Ausnahme gänzlich wieder zurück und warnte mich, da wir Abschied nahmen, vor allen Vetturinen der Welt.
Da ich nun hier in Bologna anlangte, sahe ich auch meinen Vetturin aus Mantua, merkte aber wohl, daß er mich hier schon wieder an einen andern verhandelt hatte, der mich nun weiter mitnehmen soll. Er hat mir diesen Herrn, der mich fahren soll, schon vorgestellt, es ist ein Kerl mit einer abscheulichen Physiognomie. Ich fragte ihn, ob es sein Knecht wäre? per servirla! war seine Antwort.
Rimini, den 10. Oktober.
Von Bologna kein Wort! Weil ich nach einem Aufenthalte von zwei Tagen, nicht sagen kann, daß ich es gesehen habe, und die auswendig gelernten Sprüche eines Cicerone nicht niederschreiben will.
Der Vetturin mit der bösen Physiognomie, an welchen mich mein Mantuaner verhandelt hatte, machte mir ein grimmiges Gesicht, als ich bei dem ersten Schlagbaum vor Bologna mich weigerte das Wegegeld zu bezahlen, und mich auf meinen schriftlichen Kontrakt berief. – Er fuhr langsam weiter, und sahe sich von Zeit zu Zeit sehr unfreundlich nach mir um.
Dieß machte mir kein Vergnügen, da ich allein im Wagen saß, und es war zu meinem großen Troste, als wir einen alten Franziskaner-Mönch am Wege sitzend antrafen, welchen mein Vetturin mitzufahren einlud; aber nicht umsonst; denn dieser Franziskaner, welcher nach seinem Kloster zu Assisi reiste, trug Geld bei sich, und mein Vetturin akkordirte erst lange mit ihm, ehe sie über das Fuhrlohn für eine kleine Strecke einig werden konnten; auch warnte er ihn vor den Mördern und Spitzbuben in den Gebirgen, vor denen er sicher seyn würde, wenn er sich ihm anvertraute, und nicht allein und zu Fuße ginge.
Der alte Mönch stieg endlich auf, und setzte sich neben mich, ich wünschte mir Glück zu seiner Gesellschaft, weil ich nun mit meinem Vetturin nicht mehr allein war. Allein verdrießlicher habe ich in meinem Leben kein Gesicht gesehen, als dieses alten Mönchs. Es ließ sich mit mir zwar ins Gespräch ein; aber jedes Wort, das er sprach, schien ihm zu verdrießen; und als er endlich gar von mir hörte, daß ich ein Preußischer Unterthan, und also ein Protestant sey, so sprach er kein Wort mehr, sondern fing nun einmal über das andre an zu jähnen, und machte sich, so oft er jähnte, ein Kreuz über den offenen Mund. –
Diese traurige Gesellschaft hatte mir schon ziemlich Langeweile gemacht, als wir vor ein Kloster kamen, wo er abstieg um einzukehren, und nicht weiter mitfuhr.
Dieß Kloster hatte auf einer Anhöhe eine reizende und gesunde Lage, und die Leute eine blühende Gesichtsfarbe.
Ein junger Mönch aus diesem Kloster meldete sich nun zum Reisegefährten, und ein anderer, der ihn begleitete, akkordirte für ihn mit dem Vetturin. Als der junge Mönch mich anredete, und ich mich nicht geläufig genug im Italiänischen ausdrückte, so nahm der andre sogleich hievon Gelegenheit, noch etwas am Fuhrlohn abzudingen, weil nehmlich auf meine Unterhaltung nun weniger zu rechnen wäre, und der Vetturin, der sich dieß gefallen lassen mußte, warf mir abermals einen sehr unfreundlichen Blick zu.
Zwischen dem jungen Mönch und meinem vorigen Reisegefährten war nun der auffallendste Kontrast, den man sich denken kann. Der junge Mönch, welcher jetzt mit mir fuhr, war vom Augustinerorden, kaum zwanzig Jahr alt, von blühender Gesichtsfarbe, und unter seinem Ordenshabit, den er unterwegs ablegte, in einem leichten Sommerrock, wie ein Stutzer gekleidet.
Er machte schon den Freidenker; sagte Doktor Luther sey ein großer Kopf gewesen; und wenn ein Bettler uns ansprach, so ertheilte er ihm die Benediktion, worauf er mich ansahe und lachte.
Von seinen Bekannten, die uns hier noch begegneten, nahm er mit den Worten Abschied: in Paradiso cì revedremo! (im Paradiese werden wir uns wiedersehn!) welches die gewöhnliche Form des Abschiedsnehmens ist, und so viel heissen soll, als: Lebt wohl auf immer!
Er war immer aufgeweckt und munter, erzählte mir, daß er jetzt in ein ander Kloster ginge, und freute sich auf diese bevorstehende Veränderung des Ortes seines Aufenthaltes. Die Augustiner, meinte er, machten von den Mönchsorden doch so die Mittelgattung aus, sie hätten nicht zu viel und nicht zu wenig, wären auch nicht sehr genirt, und könnten das angenehmste und zufriedenste Leben von der Welt führen.
Wir fuhren hier in einem immerwährenden Lustgarten, wo Wein, Getreide und Obst, auf einem und demselben Boden gedeihen, und wo man sagen kann, daß die Staaten zwischen den Wäldern, und die Wälder zwischen den Staaten wachten, weil wirklich ein Wald von dichtaneinander gepflanzten Obstbäumen, die Getreidefeldern deckt, wo das hohe Korn im Schatten der Bäume steht, und die Weinranken, welche wie Guirlanden von einem Baum zum andern voll schwerere Trauben hängen, von oben eine immerfortgehende Laube bilden.
Dieser Anblick ist immer derselbe und ist doch immer neu und schön; das Auge ersättigt sich nicht, in diese Schatten zu blicken, wo aus einer immer dunklern Ferne, dennoch die reizende Frucht hervorblinkt, und des Reichthums und der Fülle sich gar kein Ende zeigt.
Die Einbildungskraft kann sich dieß so schön nicht mahlen, als es wirklich ist. Denn mit der Schönheit ist hier die Fülle verknüpft, welche KEIN BILD fassen kann, seine Umrisse mögen auch noch so reizend seyn.
Was soll ich Ihnen neues von den kleinen Städten Forli, Faenza, u. s. w. sagen, durch welche wir gekommen sind? – In CESENA, der Geburtsstadt des jetzigen Pabstes und dem eigentlichen Wohnorte meines Vetturins, haben wir übernachtet, und auch einen Tag hier zugebracht, der ein Festtag war, welchen mein Vetturin hier feierte. Hier habe ich auf einem großen Platze vor dem Rathhause dem Ballonspiel zugesehen, wobei sich eine Menge Zuschauer aus allen Ständen befanden, die sich ganz ausserordentlich für dieß Schauspiel interessirten, und durch lautes Beifallzurufen von Zeit zu Zeit die Spieler aufmunterten, die ebenfalls die Sache sehr ernsthaft zu nehmen schienen. – Das Spiel dauerte mehrere Stunden nacheinander, ohne daß Spieler oder Zuschauer müde wurden.
Als wir uns Rimini näherten, stieg ich aus, und ging, weil der Wagen langsam fuhr, eine Strecke zu Fuße. In dem nächsten Flecken vor Rimini war Markt gewesen, von welchem die Leute zu Haufe kehrten. Die Tracht der jungen Mädchen welche mit bloßen Köpfen gingen und natürliche Blumen in ihr Haar geflochten hatten, war fähig die Einbildungskraft nach Griechenland zu versetzen – und halb erschien nun zur linken Hand, hinter den allmälig zurücktretenden Bäumen, das adriatische Meer, welches, wenn man aus diesem waldigen Garten, auf einmal ins Freie tritt, einen Anblick macht, der über alle Beschreibung geht. – Bei heiterm Wetter entdeckt man hier schon die gegenüberliegenden Küsten.
Wir kamen nun über die große von Augustus erbaute Brücke, nach Rimini, wo wir in dem wohlgebauten Gasthof zum Löwen des Evangelisten Markus einkehrten, und ich den festen Entschluß faßte, mich von meinem Vetturin zu trennen, der mir unterwegs schon manchen Verdruß gemacht, und mit dem ich die Reise bis Rom zu machen auf keine Weise gesonnen war.
Ich traf hier einen deutschen Handschuhmacher, der meinen Vetturin kannte, und durch dessen Vermittlung ich noch ziemlich ohne Schaden von ihm los kam. Auffallend war es mir, indem diese beiden wegen meiner Sache miteinander disputirten, daß sie sich immer einander erst das Kompliment, parlate bene! oder dite bene! (ihr redet wohl! ihr redet gut!) machten, ehe sie zu der Widerlegung ihrer Meinungen schritten, und also der Gegner, ob er gleich mit dem Gedanken des andern nicht zufrieden war, doch immer seinem AUSDRUCK Gerechtigkeit wiederfahren ließ.
Nun bin ich also frei, und denke mich ein paar Tage hier aufzuhalten, wo ich denn auch die kleine Republik St. Marino, die man hier so nahe vor sich liegen sieht, besuchen werde; von dieser kleinen Wanderung sollen Sie denn in meinem nächsten Briefe hören!
Rimini, den 12. Oktober.
Die Aussicht von Rimini nach St. Marino hat schon an sich etwas romantisches, und je beschwerlicher der ganze Weg dahin ist, desto reizendere Aussichten gewährt er.
Die Ebenen um Rimini sind noch schön und fruchtbar, die nächsten Hügel sind mit Obst- und Weingärten umkränzt, oder mit Olivenbäumen bepflanzt; so daß die ganze Natur hier noch ein lachendes und fröhliches Ansehen hat; jemehr man sich aber den republikanischen Bergen nähert, desto rauher, steinigter, und unfruchtbarer wird die ganze Gegend.
Die kleine Republik wird sehr selten von Fremden besucht; es gehet daher auch keine ordentliche gebahnte Straße dahin, und wegen der Rauhigkeit des Weges kann man wohl nicht anders, als zu Pferde oder zu Fuß hinkommen.
Ich wählte das Letztere, und nahm mir zu dem Ende aus Rimini einen Wegweiser mit.
Es war noch früh am Tage, da wir unsere Reise antraten, und so wie wir von Rimini bergan stiegen, erweiterte sich die Aussicht über das adriatische Meer, und nur der blendende Glanz der Sonne verhinderte, daß wir die jenseitigen Küsten nicht entdecken konnten, die sich sonst wie dunkle Nebelstreifen zeigen.
Mein Wegweiser war sehr aufgeräumt, und wenn ich nicht mit ihm sprach, so sang er, und zwar recht zärtlich und schmachtend: una bella contadina inamorar mi fa, (eine schöne Bäuerin hat mein Herz gefesselt, u. s. w.) Er sang dies viel langsamer, als wir unsere Choräle, und in lauter dichtaneinandergrenzenden, unreinen Tönen, so wie von dem gemeinen Volk in Italien alles, was ihnen einfällt, gesungen wird.
Eine gute Strecke von Rimini hatten wir noch wie in einem immerwährenden Lustgarten gewandelt, nun aber fing der Weg schon an, rauh und steinigt zu werden, und bald befanden wir uns auch auf der Grenzscheidung zwischen der Republik und dem päbstlichen Gebiet.
Diese Grenzscheidung ist auf einer kleinen Brücke, die über ein fließendes Wasser geht; und die Grenzlinie ist so äußerst genau bestimmt, daß sogar die Jahrzahl 1779 davon durchschnitten wird.
Wir kehrten nun in dem republikanischen Dorfe Ceravallo ein, wo wir mit Wein und Brodt, und sehr wohlschmeckenden Feigen bewirthet wurden.
Mein Wegweiser erzählte der Frau vom Hause, daß ich von Rimini hergereist sey, blos um die Republik zu sehen, und daß ich in Rimini meinen Fuhrmann zurückgelassen hätte; per vedere la nostra republica! (unsere Republik zu sehen!) rief die Frau voller Freuden aus, und ließ sich von meinem Wegweiser erzählen, wie weit ich schon hergekommen sey, um alle diese Gegenden zu sehen. Dann beklagte sie uns wegen des schlimmen Weges, wobei mir ihre Aussprache des Italiänischen merkwürdig war, weil man hier das a völlig wie im Englischen, und z. B. Strada wie Strädä ausspricht.
Nach einem sehr ermüdenden Wege langten wir endlich kurz nach Mittag erst am Fuß des steilen Berges an, auf welchem die Stadt gebauet ist.
Hier unten am Berge ist eine Art von Vorstadt oder Flecken, den man im Italiänischen Borgo nennt. Dieser Borgo ist lebhafter und bewohnter, als die Stadt selber, und weil nun in der ganzen Republik St. Marino kein Gasthof ist, so führte mich mein Wegweiser in das Haus eines Schusters von seiner Bekanntschaft, wo ich die Nacht mit ihm herbergen sollte, und der uns erst nach einigem Bitten von Seiten meines Wegweisers aufnahm, weil diese Leute nicht darauf eingerichtet waren, Fremde zu beherbergen.
Auf dem Heerde war Feuer gemacht, woran wir uns wärmten, weil wir auf einmal aus dem Sommer von Rimini, in den kältesten Herbst gekommen waren, so sehr abstechend ist das Klima aus diesen Bergen, von dem auf der Ebene. Wärend der Zeit kleidete unser Wirth sich an, um mit mir in die Stadt hinaufzugehen, und mir die Merkwürdigkeiten zu zeigen.
Der Weg zu der Stadt ist nur ein einziger, welcher sich an dem steilen Berge hinaufwindet. Unterwegens begegneten uns einige Leute, von welchen mein Begleiter mir mit einer Pantomime zu verstehen gab, daß sie schon manchem den Dolch in die Brust gestoßen hätten. Nachher erzählte er mir, daß dies Mörder wären, die sich hierher geflüchtet hätten, aber auch das Gebiet der Republik nicht überschreiten dürften, wenn sie nicht wollten gefangen werden; in der Republik aber dürfte ihnen niemand etwas thun.
Wir stiegen so hoch, daß der Borgo oder Flecken aus dem wir gekommen waren, wie eine Pygmäenstadt zu unseren Füßen lag, und daß Rimini mit seinem Hafen, welches doch drei deutsche Meilen entfernt ist, ganz nahe am Fuße des Berges zu liegen schien. Das adriatische Meer lag vor uns in seiner ganzen Breite, und hie und da entdeckte man die weissen Segel von kleinen Fischerböten. – Der Berg von St. Marino selbst wirft seinen Schatten weit ins Meer.
Auf dieser Höhe nun lag die Stadt, in welche wir hineingingen, und wo die meisten Häuser mehr in den Felsen eingehauen, als darauf gebauet zu seyn schienen; denn oft macht die Felsenwand zugleich die Wand des Hauses, und die menschlichen Wohnungen sind wie Nester in Ritzen und Spalten hingebaut, denn die Stadt liegt gerade auf dem schmalen Rücken des Berges, der vorn ganz schrof in die Höhe steigt, und hinter sich auf einmal wieder abhängig wird, so daß er sich selbst beschützt.
Hinter der scharfen Ecke des Berges zieht sich die Stadt hin, und verbirgt sich dahinter. Auf der scharfen Ecke aber sind in einiger Entfernung von einander drei Kastele mit Thürmen gebaut, welche sehr weit hin können gesehen werden. Diese drei Thürme sind auch in dem Wapen der Republik, welche drei Kastele, drei Klöster, und fünf Kirchen in ihrem Gebiete zählt.
Den sonderbarsten Anblick machen die kleinen Gärten, welche auf dem ganz nackten Felsen zwischen den Häusern stehen, und zu denen man die Erde nothwendig von unten muß heraufgebracht haben.
Die Stadt überhaupt hat etwas todtes und stilles, wodurch man ganz natürlich auf ihren Ursprung aus einer Eremitage zurückgeführt wird, welcher Ursprung schon an sich etwas auszeichnendes hat, und daher mit ein Paar Worten hier berührt werden muß.
Der Heil. Marino, welcher dieser Republik stiftete, war nehmlich seines Handwerks ein Maurer, und half vor mehr als dreizehnhundert Jahren die Stadt Rimini wieder aufbauen, welche damals ganz zerstört lag.
Als er auf die Weise der Welt nützlich gewesen war, begab er sich, um nun ganz dem Himmel zu leben, auf diesen einsamen Berg, der recht dazu gemacht zu seyn schien, um das Gemüth von dem Erdboden abzulenken, welcher hier in öder Unfruchtbarkeit durch keinen Reiz die Sinne fesselt. Ganz dem Irrdischen abgestorben und schon sich selbst entnommen, that dieser heilige Mann ein Wunder, oder glaubte doch, es zu thun, und der Ruf von seiner Heiligkeit erscholl nun in der ganzen Gegend, so daß selbst die Landesfürstin davon gerührt, ihm ein Geschenk mit dem Berge machte, den er bewohnte.
Von allen Seiten strömte nun das Volk dem Berge und dem Manne zu; und der heilige Marino wurde bei seiner unausgesetzten strengen Lebensart, noch einmal wieder der Welt nützlich, indem er auf diesem Berge eine Stadt zu bauen anfing, und die Republik stiftete, welche sich noch itzt nach seinem Nahmen nennt, und ihn als ihren ersten Schutzheiligen verehrt. Er wird abgebildet wie er einen Berg mit drei Thürmen auf seinen Händen trägt.
Wir gingen nun in die Hauptkirche der Republik, welche dem Schutzheiligen gewidmet ist, und die gegen die sonst übliche Pracht in den katholischen Kirchen sehr auffallend absticht; so arm und ungeschmückt sieht dieser kleine Tempel aus. Hinter dem Altare sieht man die bloße Felsenwand, an welchen die Kirche gebaut ist; und in diesem Felsen sind gegen einander über zwei Oefnungen gehauen, in deren ein jeder ein Mensch ausgestreckt liegen kann. Dies war die Schlafstätte des heiligen Marino und seines Gehülfen, der auch ein Maurer war, und mit ihm zugleich diesen Aufenthalt bezogen hatte. Sie hatten sich mit ihren eigenen Händen diese harten Betten in dem Felsen ausgehauen, der von ihrer Aufopferung und Selbstverleugnung ein immerwährendes Denkmal ist.
Die übrigen Kirchen und Paläste zeichnen sich ebenfalls durch Simplicität aus, die an Armuth gränzt, und machen daher kein Mißverhältniß mit dem Ganzen der Republik, welche auf Resignation gebauet ist.
Wir besahen den Pallast eines gewissen Cavalieri Magi d’Urbino, wo uns denn doch eine Gemähldegallerie von sehr mittelmäßigen Kupferstichen, ein Porcelanservice von Fayance, und ein Prunksaal mit ganz gemeinen Stühlen und Tischen meubliert, gezeigt wurde. Der Bediente, welcher den Cicerone machte, nahm, wie es in Italien Gebrauch ist, ein Trinkgeld dafür, daß er uns die schönen Sachen gezeigt hatte. Er war auch gar nicht geheimnißvoll damit, daß sein Heroismus, den er durch einen Dolchstoß bewiesen, ihn auch zu diesem Zufluchtsorte gebracht habe.
Wir stiegen darauf zu dem ersten von den dreien Thürmen hinauf, wo die Staatsgefängnisse sind, und wo uns die Gefangenwärterin jedes Zimmer bezeichnete, in welchem eine merkwürdige Person in Verhaft saß. Sie redete dabei ganz leise mit einem geheimnißvollen Wesen. Die vielen Staatsgefangenen sind ein Beweiß, wie strenge die kleine Republik in der Verwaltung ihrer eigenen Justiz verfährt.
Der Senat der Republik besteht aus vierzig Personen, wovon die eine Hälfte aus dem Adel, und die andere aus dem Volke genommen ist. Es dürfen in diesem Senat nicht zwei von einer Familie seyn; kein Sohn kann bei Lebzeiten seines Vaters, und niemand ohne vorhergegangene Wahl eintreten. Die höchsten Staatsbediensteten sind zwei Kapitäne, welche alle sechs Monate gewählt werden, und einen Justitiarius zur Seite haben, der ein Fremder seyn muß, und nur auf drei Jahre zu dieser Stelle gewählt wird, damit man unter einer schlechten Wahl nicht zu lange leiden möge. In Staatsgeschäften von außerordentlicher Wichtigkeit wird der große Rath zusammen berufen, in welchem jedes Haus seinen Repräsentanten hat.
Da wir gegen Abend wieder nach unserm Borgo herunterstiegen, begegnete uns ein Mann in einen Roquelaur gehüllt, den mein Begleiter ehrerbietig grüßte; und als er vorbei war, sagte er: das sei der Capitano regente (der regierende Befehlshaber) aber incognito gewesen; denn sonst gehe er immer mit Begleitung, und trage eine Alongenperücke. Mein republikanischer Schuster schien doch eine Art von Stolz darin zu finden, mir seinen Capitano so glänzend wie möglich zu schildern; ihm wäre sonst eine Wache von sechzehn Mann bestimmt, wovon sein Sohn einer sey, den ich den Abend würde kennen lernen.
Als wir zu Hause kamen, war es strenge kalt; wir setzten uns ans Feuer; der Sohn meines Wirths, ein junger wohlgewachsener Bursche, kam auch zu Hause, und setzte sich zu uns, und nun wurde über Staatseinrichtungen gesprochen, und mein Wirth erzählte mir, daß außer ihm noch fünf Schuster in der Republik wären, daß die Zahl von sechsen nicht dürfe überschritten werden; und daß ein jeder sein Leben daran wagen würde, die Republik bei einem feindlichen Angriffe zu vertheidigen.
Einmal hatte sich ein päpstlicher Legat mit Gewalt und List der Republik schon so weit bemächtigt, daß er im Nahmen des Pabstes feierlich Besitz davon genommen hatte, und in der Hauptkirche das Te Deum anstimmen ließ; als ihn während dem Lobgesang auf einmal eine Flintenkugel dicht vor dem Ohre vorbei sumte, die den siegreichen Kardinal so in Schrecken setzte, daß er plötzlich und still mit seinen Truppen die Republik beständig in Ruhe ließ.
Freilich ist es dem päbstlichen Despotismus höchst zuwider, mitten im Schooße des Kirchenstaats ein freies Völkchen zu dulden, da überdem verschiedene Große aus dem Kirchenstaate sich das Bürgerrecht von St. Marino für eine Ehre schätzen.
Man sucht daher im Kirchenstaat, und besonders in dem benachbarten Rimini die Republik auf alle Weise lächerlich zu machen, um sich gleichsam dafür zu rächen, daß dieses Volk seit Jahrhunderten edler und größer, als sein Nachbarn denkt.
Ueber diese und ähnliche Gegenstände brachten wir den Abend mit Gesprächen hin, und verzehrten dabei unser Abendessen dicht neben dem Heerde, auf dem es zubereitet war.
Den andern Morgen früh machte ich allein wieder eine Wanderung auf den Berg, um eine vollständige Idee von dem ganzen Umfange der Republik zu haben, die ich dann auch bekam, weil sich ein paar junge Leute zu mir gesellten, die mir nach allen Seiten die Grenzen der Gebietes von St. Marino bezeichneten, so daß man dasselbe von der einen Spitze des Berges ganz übersehen konnte.
Diese beiden jungen Leute waren wohlgekleidet, und schienen sehr wohl erzogen zu seyn. Sie befriedigten noch über verschiedenes meine Wißbegierde; zeigten mir die großen Cisternen, worin das Regenwasser aufgefangen wird, weil es gänzlich an Wasser fehlt; und führten mich in die Kapuzinerkirche, wo über dem Altar ein schönes Gemälde hängt, das eine Abnehmung Christi vom Kreuze darstellt. Die Kapuziner haben aus ihrem Kloster die schönste Aussicht, und auf dem Felsen hinter dem Kloster einen Garten, der für St. Marino so schön ist, als er nur seyn kann.
Meine beiden höflichen Begleiter sagten mir, es sey sehr ungewöhnlich, daß Fremde hierher kämen, darum sey auch kein Gasthof in ihrem Gebiet. Vor mehreren Jahren wären einmal Engländer da gewesen. Sie fragten mich, ob man in unserm Lande den Nahmen ihrer Republik wisse? und was man mir in Rimini für eine Beschreibung davon gemacht habe, u. s. w. Nach dem, was sie sagten, zu schließen, war ihr republikanischer Stolz sehr bescheiden.
Sie begleiteten mich bis zu dem Borgo hinunter; und die Frau des Schusters, die uns hatte kommen sehen, sagte mir mit einer sehr bedeutenden Mine: ob ich wohl wisse, wer der eine von meinen Begleitern gewesen sey? es sey der Sohn des Capitaneo regente gewesen.
In dem Borgo war es lebhaft, weil gerade Markt war; und in einem Kaffeehause war eine Anzahl Priester versammelt, denen man es an der armseligen Kleidung und hagern Gestalt wohl ansahe, daß sie keine päbstliche, sondern republikanische Geistliche waren.
Wir nahmen nun Abschied von unserm Wirth, dessen Sohn uns noch eine Strecke begleitete; dann eilte ich mit meinem Wegweiser schnell den Berg hinunter. In Ceravallo hielten wir uns nicht auf, und kurz nach Mittag erreichten wir schon die Grenzscheidung. Der Berg von St. Marino hatte sich in Wolken gehüllt, und wir befanden uns wieder auf päbstlichem Gebiet.
Rimini, den 14. Oktober.
Rimini selbst ist ein lebhafter Ort; alles hat hier bei der schönen Jahreszeit ein lachendes Ansehen, und die Weinlese bietet dem Auge manche malerische Scene dar. – Auf den weinbeladenen Wagen stehen die Winzerinnen, das Haar mit Blumen durchflochten, und Jauchzen und Gesang ertönt von allen Seiten.
Rechter Hand von der Brücke ist ein angenehmer Spaziergang längst dem Flusse hin, wo man vor sich die Aussicht auf das Meer hat; nach der Landseite, auf den Anfang der Appeninnen, die hier erst allmälig mit kleinen Hügeln und Anhöhen sich erheben.
In dem Hafen sieht man nur Fischerkähne, deren weiße Seegel auch in der Ferne auf dem Meere schimmern. Die Wohnungen der Fischer nach dem Meere zu, sind eine Reihe kleiner und niedriger Häuser, deren Einwohner, als ich hier am Sonntage spazieren ging, in ihrem festlichen Schmuck vor der Thüre saßen, und heiter und vergnügt aussahen.
Hier sah ich denn auch an der Mündung des Flusses eine Kirche des heil. Antonius, mit der Inschrift: DASS AUF DEN RUF DIESES HEILIGEN DIE FISCHE SICH VERSAMMELTEN, UM AUS SEINEM MUNDE DAS GÖTTLICHE WORT ZU HÖREN, UND DASS, DURCH DIESES WUNDER BEWOGEN, VIELE THÖRICHTE KETZER ZUR VERNUNFT GEBRACHT WÄREN (desipientes resipuere). – Da nun die Fische eine solche Ehrfurcht gegen den heiligen Antonius hegten, was Wunder denn, wenn die FISCHER ihn mit der größten Andacht in seinem Tempel verehrten.
Es war schönes und stilles Wetter, und ich machte den Abend noch einen Spaziergang bis dicht ans Meer, wo sich die Wellen sanft zu meinen Füßen brachen. –
Als ich zurückkehrte, saßen die glücklichen Fischer noch vor den Thüren ihrer niedrigen Häuser, in welchen der enge Kreis ihres Daseyns sich beschränkt, das in dem festen Glauben an den heiligen Antonius, und an die Andacht der Fische, die seiner Predigt zuhörten, still und sanft verfließt.
Auf dem Wege nach Pesaro, am Ende der Strada Romana, steht der Triumphbogen, welcher dem Augustus hier zu Ehren errichtet ist, und einen ehrwürdigen Anblick macht. – Die lange Straße, welche dahin führt, erstreckt sich von dem einen Ende der Stadt zum andern, und in der Mitte derselben ist eine Art von antiken Altar befindlich, wo Julius Cäsar, wie die Inschrift sagt, nachdem er in dem Bürgerkriege über den Fluß RUBIKON gegangen war, seine Soldaten soll angeredet haben.
Dicht neben diesem Monumente ist nun eine kleine Kapelle, mit der Inschrift: daß hier die Säule aufbewahrt sey, an welcher der heilige Antonius zu dem Volke geprediget habe.
Hier gegenüber zeigt man ein altes Haus, wo nach der Volkssage ein arger heidnischer Ketzer wohnte, der nicht eher glauben wollte, bis er sahe, daß ein Esel vor der Monstranz seine Knie beugte, dessen Beispiele er denn mit großer Andacht folgte.
Sonderbar nimmt sich die Inschrift an einer Festung der Stadt aus, welche von einem KARDINAL erbaut, oder wieder hergestellt ist: DAMIT DER RUBIKON NICHT UNGESTRAFT ÜBERSCHRITTEN WERDE (ne Rubico transeatur impune!). – Wenn man sich nun die vormaligen und jetzigen Zeiten denkt, so kann es wohl nicht leicht einen komischern Kontrast geben.
Ueber den RUBIKON selbst aber streiten sich bis jetzt die Antiquaren, welcher von den kleinen Flüssen in dieser Gegend es gewesen sey. Man trägt sich mit der drolligten Anekdote, daß der jetzige Pabst zu Gunsten seiner Vaterstadt, und vermöge seiner Infallibilität für einen Fluß bei Cesena entschieden habe, daß er der wahre Rubikon sey.