„Aber eins versteh ich nicht …“ Japsend kam Fred zu ihnen zurück. „… deine Eltern waren doch gegen einen Hund. Woher ihr Sinneswandel?“
„Ossi gehört ja nicht mir“, stellte Nemo richtig. „Ich hab mich im Boringer Boten als Hundesitter angeboten. Meine Eltern haben gesagt, ich soll das erst mal ausprobieren mit einem Haustier.“
Fred schnaubte. „Das ist ein ganz mieser Eltern-Trick! Die hoffen doch nur, dass du nach einer Woche keine Lust mehr hast.“
„Dann beweise ich ihnen eben das Gegenteil!“ Nemo übernahm wieder die Leine und bückte sich. Liebevoll tätschelte er Ossi den Rücken. Zum Dank für seine Streicheleinheiten schlabberte ihm Ossi über die Hand. „Mit einem Hund wird einem doch nie langweilig.“
Oda war sich da nicht so sicher. Ihr war jetzt schon langweilig! „Was machen wir heute?“, fragte sie.
„Wie?“ Nemo und Fred sahen sie verständnislos an. „Na, wir gehen Gassi.“
„Den ganzen Tag?“ Oda atmete geräuschvoll aus. „Spazierengehen ist doch megaöde! Ob mit Hund oder ohne.“
Aber Nemo und Fred waren da offensichtlich anderer Meinung. Fröhlich liefen sie durch den Stadtpark, während Ossi übermütig neben ihnen auf und ab sprang.
Nemo hob ein Stöckchen vom Boden und versuchte, Ossi zu hohen Sprüngen zu animieren. Der Hund jaulte aufgeregt, während Fred begeistert applaudierte.
Seufzend folgte Oda ihnen und sah sich lieber in der Gegend um: Der Stadtpark war heute gerappelt voll. Es war Sonntag und die Boringer genossen das schöne Wetter. Endlich mal keine Affenhitze, keine Dunkelheit, kein Regen oder Schnee – das musste ausgenutzt werden!
Auf der großen Wiese, zwischen Frisbee-Spielern und Sonnenbadenden, entdeckte Oda drei Sonnenschirme mit Bistrotischen darunter, hinter denen Frau Dr. Spargel, Franz Ach und der Bürgermeister standen.
„He!“ Oda wandte sich an die Jungs. „Da drüben ist eine Wahlveranstaltung für die Bürgermeisterwahl nächste Woche. Kommt, lasst uns mal rübergehen.“
Aber die Jungs hörten ihr überhaupt nicht zu.
„Ja, was hab ich denn da?“ Nemo griff in seine Hosentasche. Er zog einen Hundekeks hervor und hielt ihn so hoch, dass Ossi springen musste. „Willst du ein Fresschen? Dann mach schön Männchen!“
Oda stöhnte. Das Theater um den Hund ging ihr langsam auf die Nerven! Sie entfernte sich ein Stück und schlenderte zu den drei Bürgermeisterkandidaten hinüber, während Nemo und Fred weiter mit Ossi spielten.
„Mit mir als Bürgermeisterin wird Boring endlich schöner werden!“, krähte Frau Dr. Spargel durch ein Megafon, obwohl die meisten Zuhörer direkt vor ihr standen. „Ich verspreche mehr Beete, Blumen und Blütenduft. Ich werde mich um die Sanierung des Stadtparks kümmern und um die längst überfällige Reparatur des maroden Spielplatzes.“
Oda sah rüber zum Kinderspielplatz: Tatsächlich strotzte die Sandfläche nur so vor Unkraut, vom Klettergerüst blätterte bereits die Lackschicht ab und die Schaukel hing müde an einer einzigen Kette herunter.
Bei diesem Anblick wirkte das Wahlversprechen des amtierenden Bürgermeisters wie der blanke Hohn: Damit alles bleibt, wie es ist! stand auf den Luftballons, die Herr Ölmez verteilte.
Einer war ausgebüxt und in der Baumkrone einer Eiche hängen geblieben. Das spielte Franz Ach in die Karten, der den zunehmenden Plastikmüll anprangerte: „Wer mehr Müll verursacht, muss auch mehr bezahlen!“, rief der Postbote den zwei Kindern zu, die vor ihm standen. „Außerdem fordere ich eine autofreie Innenstadt und an jeder Ecke kostenlose Regenschirme und Leihfahrräder!“
„Und wovon soll ich dann leben?“ Ein korpulenter Mann runzelte misstrauisch die Stirn.
Odas Miene verfinsterte sich. Herr Kriegelstein, der Besitzer der örtlichen Fahrradmanufaktur, hatte genug Geld für drei Leben und sah ganz und gar nicht so aus, als würde er am Hungertuch nagen.
Nicht überzeugt von den vielen Wahlversprechen kehrte sie zu Nemo und Fred zurück. „Wollen wir zum Kiosk gehen? Ich hab Durst.“
„Ich hab was zu trinken dabei.“ Nemo ließ sich auf eine Parkbank plumpsen und zog drei Limonadenflaschen aus seinem Rucksack. „Wer will?“
„Ich!“ Fred setzte sich zu ihm und nahm ihm eine Flasche aus der Hand. Neugierig musterte er das Etikett: „Blubb-Brause … ist die abgelaufen?“
„Natürlich nicht!“, empörte sich Nemo, obwohl die Frage nicht ganz unberechtigt war. Nicht selten bot er seinen Freunden die abgelaufenen Lebensmittel aus dem Supermarkt an. „Muss aber trotzdem weg“, gab er zu.
Er legte den Flaschenhals an die Kante der Parkbank und schlug einmal kräftig auf den Kronkorken, sodass der absprang. „Das ist ’ne neue Marke. Mit der kann man Blasen blubbern. Hat sich aber leider überhaupt nicht verkauft.“ Er reichte Oda die offene Flasche.
„Danke.“ Oda nahm einen tiefen Schluck – nur um ihn sofort wieder auszuspucken. Doch statt eines Schwalls Limonade schwebte eine kugelrunde Blase aus ihrem Mund. „Bäh! Das Zeug ist ja ekelhaft süß.“ Angewidert wischte sie sich den Mund ab. „Kein Wunder, dass das niemand wollte!“
„Also, mir schmeckt’s … Börp!“ Fred rülpste ebenfalls eine Limonadenblase in die Luft. „Und das mit den Blasen ist doch witzig!“
„Findet Ossi anscheinend auch!“ Nemo deutete auf den kleinen Jack Russell, der kläffend nach den schillernden Blasen schnappte.
„Schlauer Hund!“, lobte Fred. „Wollen wir ihm beibringen, Stöckchen zu holen?“
„Lieber nicht.“ Nemo kraulte Ossi hinter dem Ohr. „Ich darf ihn nicht von der Leine lassen. Er schnappt nach allem und jedem und haut dann damit ab.“
Oda fiel plötzlich etwas ein: „Sollen wir nach dem Einhorn suchen?“
„Nach dem Einhorn?“ Fred verschluckte sich fast an seiner Blubb-Brause.
„Hast du ihm gar nichts davon erzählt?“ Oda warf Nemo einen verwunderten Blick zu.
„Wann soll ich es ihm denn erzählt haben?“, fragte Nemo zurück. „Fred ist ja eben erst angekommen.“
„Was erzählt?“, wollte Fred wissen.
„Ach, nicht so wichtig.“ Nemo wiegelte ab.
„Na ja …“ Oda zögerte. „Immerhin ist es ein verschwundenes Spielzeug.“
Fred hustete. Diesmal hatte er sich wirklich verschluckt. „Ein verschwundenes Spielzeug?“, krächzte er. „Was für ein verschwundenes Spielzeug?“
„Ein Plüscheinhorn“, sagte Oda. „Tessa, das Mädchen, dem der Hund gehört, hat es verloren. Oder besser gesagt: Ossi hat es ihr weggeschnappt und ist damit ins Gebüsch gerannt. Und als er wiederkam, war es weg.“
„Nicht euer Ernst?“ Entgeistert sah Fred Nemo an. „Wieso hältst du damit so lange hinter dem Berg?“
„Ach, vermutlich hat Ossi es einfach verloren“, spielte Nemo die Sache herunter.
„Vermutlich?“, kiekste Fred. „Vielleicht wurde es ihm aber auch geklaut! Von einem geheimnisvollen Unbekannten, der Spielzeug verzaubert, in Kisten packt und an den ‚Arsch der Welt‘ verschickt.“
„Hoffentlich“, murmelte Oda.
„Hoffentlich!?!“ Fred blieb die Spucke weg.
„Wär doch cool!“ Odas Augen begannen zu blitzen. „Stellt euch das mal vor: Ein lebendiges Einhorn – das ist ja ein absoluter Traum!“ Jedenfalls spannender als ein Hund, dachte sie, ohne es laut auszusprechen.
„Ein … Traum?“ Fred war da anderer Meinung. „Eher ein Albtraum!“
„Jetzt chillt mal.“ Nemo nahm einen Schluck aus seiner Flasche und blubberte eine weitere Blase in die Luft. „Wahrscheinlich liegt das Einhorn hier einfach nur irgendwo im Gebüsch.“
„How-dee-doo!“ In dem Moment kam Franz Ach zu ihnen herüber. „Gut, dass ich euch treffe. Nemo, es ist wieder ein neues Paket für dich angekommen.“
„Liegt hier einfach nur irgendwo im Gebüsch, ja?“ Vorwurfsvoll sah Fred Nemo an.
„Für mich?“, fragte Nemo mit dünner Stimme und schluckte.
„Jo, Mann.“ Der Postbote mit den bleistiftkurzen Dreadlocks nickte. „Zumindest steht wieder diese seltsame Adresse darauf: An Niemand. Wo der Pfeffer wächst. Am Arsch der Welt.“
„Tippitoppi!“ Oda schlug sich mit der Faust in die Hand.
„Okay.“ Nemo nickte und versuchte dabei, Freds Blick auszuweichen. „Dann hol ich’s morgen früh gleich ab.“
„Alright, Mann!“ Franz Ach verabschiedete sich. „Alles easy.“
„Alles easy!“, wiederholte Nemo. Aber so ganz sicher war er sich da nicht.