Das Buch

Der magische Dschungel von Caldera muss vor dem Untergang bewahrt werden:
Nachdem es Rumi und seinen Freunden schon zweimal gelungen ist, Caldera zu retten, stehen sie nun vor ihrer bislang größten Herausforderung: Ein gigantischer Vulkan spuckt Feuer und bedroht ihr Zuhause.
Gemeinsam begeben sich der Pfeilgiftfrosch Rumi, das Panthermädchen Mali, das Kapuzineräffchen Gogi und die Fledermaus Lima auf eine Reise voller Gefahren! Wird es ihnen gelingen, in der geheimnisvollen Höhle der Rätsel die rettende Lösung zu finden, bevor der Vulkan alles zerstört?

Der Autor

© privat

Eliot Schrefer ist ein mehrfach ausgezeichneter "New York Times"-Bestsellerautor, der unter anderem zweimal für den National Book Award nominiert war und bereits den Green Earth Book Award und den Sigurd Olson Nature Writing Award gewonnen hat. Neben dem Schreiben setzt er sich leidenschaftlich für den Erhalt des Regenwalds ein. Er lebt in New York City und ist Kinderbuchrezensent bei "USA Today".

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Viel Spaß beim Lesen!

Keine Atempause für die fünf Schattenwandler
die vom Schicksal erwählt wurden
die Magie der Sonnenfinsternis zu tragen.

Unsere Königin war dahingeschieden
[… aber ihre Magie nicht.]
[… aber ihre Pläne nicht.]

Wir schufteten weiter, ein Körper ohne Gehirn …
… und doch nicht weniger intelligent.

Unermüdlich wühlten und gruben wir
wühlten und gruben
wühlten und gruben
um zu befreien
was immer schon in der Tiefe lauerte
was immer schon kochte und brodelte:
Magma, der Zerstörer.

Wenn er ausbricht, wird von einer Million Tiere
nur eines überleben.
Die Rechnung ist leicht.
Eines von einer Million
… ist wahrscheinlich eine Ameise.

Rauch.

Wirbelnde Kringel und wabernde Schwaden.

Rumi blickt versunken in den Strudel und tippt sich mit einem saugnapfbewehrten Finger gegen die Lippen. Um eine derartige Menge an Partikeln aufsteigen zu lassen, muss die Temperatur der Wärmequelle um einiges höher sein als die der Umgebung …

»Rumi, lauf!«, schreit Mali, während sie wie ein Pfeil über die nächtliche Lichtung schießt.

Sie klingt regelrecht panisch, weshalb es umso seltsamer ist, dass sie auf den Rauch zurennt, statt davor zu fliehen. Rumi weiß, dass das zum Plan gehört, schließlich war er es, der sich diesen Plan ausgedacht hat, aber die Furcht in Malis Stimme erinnert ihn daran, wie töricht es ist, sich kopfüber in die Gefahr zu stürzen, während jeder seiner Instinkte …

»Schneller, Rumi!« Diesmal ist es Gogi, der ihn antreibt. Ein langer Affenschwanz schlingt sich um Rumis Körper und im nächsten Augenblick findet er sich in seiner Lieblingsposition wieder: oben auf dem Kopf des Kapuzineräffchens, die Finger in die buschigen Augenbrauen gekrallt. Sie fliegen förmlich durchs dichte Laub der Baumkronen, links, rechts, auf und ab, wo immer Gogi gerade Halt findet. Rumi liebt dieses Gefühl. Es gibt nichts Schöneres, als per Kapuzineraffe zu reisen. »Danke fürs Mitnehmen, Gogi.«

»Keine Ursache«, keucht Gogi. Sein Atem geht stoßweise. »Im Ernst. Du wiegst kaum mehr als eine Nuss.«

»Ich bin sogar noch leiiiiichter«, piepst Lima über ihnen.

»Nicht alles muss immer gleich ein Wettkampf sein«, grummelt Rumi vor sich hin. Langsam wird ihm von Gogis vielen kleinen Sprüngen und Richtungswechseln doch ein bisschen übel. Er schließt die Augen und versucht, sich anhand der Geräusche um ihn herum zu orientieren. Während Lima zirpend über ihren Köpfen umherflattert, huschen die Pantherschwestern Mali und Chumba etwas seitlich von ihnen durchs Unterholz des Dschungels. Rumi kann sie überhaupt nur hören, weil sie in einer derart halsbrecherischen Geschwindigkeit unterwegs sind, dass sie keine Zeit haben, ihre Schritte leise und mit Bedacht zu setzen. Vom Nachthimmel schallt Skys aufgeregtes Krächzen zu ihnen herab und hinter ihnen fällt Banu immer weiter zurück. Banu hat von sich aus angeboten, »die Nachhut« zu bilden. Wenn alles nach Plan läuft, werden sie ihn am Tempel der Sonne und des Mondes wiedertreffen. Darauf haben sie sich geeinigt, nachdem klar war, dass sie es sich nicht leisten können, gemeinsam im Faultiertempo zu reisen. Nicht solange der Vulkan unmittelbar vor dem Ausbruch steht.

Doch Banu ist bei Weitem nicht der seltsamste Gefährte. Dieser Titel kommt eindeutig Auriel zu.

Während Gogi sich einen Weg durch die Baumkronen bahnt, schielt Rumi zum rechten Fuß des Äffchens hinab. Gogis Greifzehen umklammern etwas, das auf den ersten Blick wie eine dünne, gelbe Liane erscheint. Die Schattenwandler wissen jedoch, dass es sich dabei um den einst zweitgrößten Feind Calderas handelt – oder jedenfalls um das, was von ihm übrig ist. Nachdem er sich an der Ameisenkönigin gerächt und sie dabei endgültig vernichtet hat, ist Auriel in dieser Gestalt wiedergeboren worden, und ist jetzt ein Bruchteil seiner früheren Größe.

All das hatte natürlich bereits in den Prophezeiungen in der Höhle der Rätsel gestanden. Aber das macht den Anblick dieser stummen kleinen Babyschlange, die den vorbeirasenden Dschungel mit großen Augen betrachtet, als hätte sie ihn nie zuvor gesehen, nicht weniger seltsam.

Was wohl in Auriel vorgehen mag?

Ob er noch wachsen wird?

Wahrscheinlich ist es nicht besonders klug, Auriel mitzunehmen. Egal wohin. Noch dümmer wäre es allerdings, ihn nicht mitzunehmen. Das jedenfalls versucht Rumi sich zum bestimmt tausendsten Mal einzureden. Schließlich hat Auriel Caldera gerade erst gerettet – vielleicht schafft er das ja noch mal.

Oder er zerstört es. Auch das wäre möglich.

Rumi kneift in die feuchte Haut seines Oberschenkels, um sich aus seiner Gedankenschleife zu reißen. Noch ist der Vulkan unter ihrem Regenwald nicht ausgebrochen, aber das Rumpeln und Grollen wird immer stärker. Wenn das so weitergeht, wird es spätestens in acht Nächten soweit sein. Ein ausbrechender Vulkan – gibt es in ganz Caldera auch nur ein lebendiges Wesen, das diese Katastrophe verhindern kann?

Auriel scheint davon überzeugt zu sein. Nach ihrem Sieg über die Ameisenkönigin hat er gewartet, bis die Aufmerksamkeit der Schattenwandler auf ihm lag, und ist dann vor aller Augen so lange auf dem Boden herumgekrochen, bis er ein erstaunlich gelungenes Bild von einem aus dem Wasser ragenden Vulkan ins Erdreich gegraben hatte. Als er fertig war, bäumte er sich auf und zerschmetterte das Bild mit seinem winzigen Körper. Danach sah er sie erwartungsvoll an.

Rumi hat daraus geschlussfolgert, dass Auriel den Vulkan irgendwie zerstören will. Sicher ist er sich nicht, aber die anderen hatten auch keinen besseren Vorschlag.

Als Plan für die Rettung von Caldera ist das allerdings reichlich dürftig. Denk nach, Rumi, denk nach! Es gibt immer eine Lösung!

Etwas nagt an ihm, ein Gefühl, das er nicht ganz einordnen kann. Es dauert einen Moment, bis er begreift, dass es sein schlechtes Gewissen ist. So ist das immer, wenn Rumi etwas empfindet: Er muss das Gefühl erst lange und gründlich von allen Seiten beleuchten, bevor er versteht, was in ihm vorgeht. Er hat seine Freunde hängen lassen, das ist es, was ihm zu schaffen macht. Normalerweise ist er derjenige, der die Pläne schmiedet. Gut, Sky hat auch ein paar Ideen beigesteuert, aber trotzdem. Das ist seine Aufgabe. Und jetzt? Jetzt zerbricht er sich den Kopf, ohne dass das Geringste dabei herauskommt. Im Vergleich zu dem riesigen, mächtigen Vulkan fühlt sich sein Froschhirn klein und unbedeutend an. Sich an den Ort des Geschehens zu begeben, ist für den Anfang vermutlich nicht die schlechteste Idee. Aber was, wenn sie erst mal dort sind? Was nützt ihnen etwas so Abstraktes wie eine Strategie gegen eine Million Tonnen Magma? Im Moment scheint der ganze Plan daraus zu bestehen, Auriel zum Vulkan zu bringen und dann zu hoffen, dass er sie durch irgendein Wunder alle rettet. Ob das genügt?

Moment. Sind es nicht eher eine Milliarde Tonnen Magma? Rumi beginnt, Berechnungen anzustellen, um eine möglichst präzise Schätzung abgeben zu können, bevor ihm klar wird, dass er das nur tut, um sich von seiner eigentlichen Sorge abzulenken.

Ihm bleiben nur noch acht Nächte, um sich etwas einfallen zu lassen, wie sie den Vulkanausbruch verhindern können.

Die Reaktionen der anderen Dschungelbewohner unterstreichen, wie groß die Bedrohung ist. Die Ersten, denen sie begegnet sind, waren ein Rudel Capybaras, die auf ihrem Weg am Flussufer entlang immer wieder nervös stehen blieben und witterten. Ihre Jungen hielten sie vorsorglich in ihrer Mitte, um sie vor möglichen Gefahren zu schützen. Kurz darauf folgten die Pekaris. Eine ganze Horde raste schnüffelnd und schnaubend auf sie zu. Als sie auf den schmalen Waldwegen an ihnen vorbeipreschten, konnte Rumi das Weiße in ihren Augen sehen. Sie waren geradezu panisch vor Angst. Dann kamen die Vögel. Hyazinth-Aras, Silberreiher und Flötenregenpfeifer, die sonst nie gemeinsam anzutreffen waren, flogen in Scharen über sie hinweg.

Sie alle, Capybaras, Pekaris und Vogelschwärme, waren in ein und dieselbe Richtung unterwegs: weg vom Rauch.

Die Schattenwandler sind die Einzigen, die direkt darauf zulaufen.

Noch sind die Schwaden nicht so dicht, dass sie den anderen zu schaffen machen, doch Rumi kann den Rauch bereits spüren. Er brennt unangenehm auf seiner Amphibienhaut. Bevor sie den Vulkan erreichen, wird er wohl eine Art Schlammpackung auftragen müssen, um sich vor den beißenden Dämpfen zu schützen. Aber da wird ihm schon etwas einfallen, darüber macht er sich keine großen Sorgen. Was ihm hingegen sehr wohl Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass er seine Schattenwandlerfreunde überredet hat, schnurstracks auf den Vulkan zuzulaufen, während der Rest von Caldera offenbar einhellig zu dem Schluss gekommen ist, dass es schlauer wäre, vor der Gefahr zu fliehen.

Langsam fragt er sich, ob das wirklich so eine kluge Idee war.

Rumi hört ein Rascheln und entdeckt eine Baumratte, die sich hastig durchs Blätterdach kämpft. Als sich ihre Wege kreuzen, ruft er ihr zu: »Was kannst du uns berichten, mein Freund?«

»Ihr rennt direkt auf die Gefahr zu!«, keucht die Ratte, während sie auf flinken Füßen den Stamm hinaufklettert und sich mit einem Satz in die nächste Baumkrone rettet. »Dreht um, ihr Holzköpfe!«

Gleich darauf ist sie verschwunden.

»Hast du das gehört?«, fragt Rumi Gogi. Seine Stimme klingt seltsam schrill.

»Ja. Klang nicht besonders vertrauenerweckend.« Gogi legt eine kurze Verschnaufpause ein. Er wischt sich den Schweiß aus dem Nacken und reibt sich die müden Augen.

Rumi schubbert sich an Gogis dichtem Fell, in der Hoffnung, dadurch zumindest einen Teil der beißenden Rauchpartikel von seiner empfindlichen Haut zu entfernen. »Geht mir ähnlich.«

»Ich frage mich, ob wir uns nicht doch lieber den anderen Tieren anschließen und zusehen sollten, dass wir so weit von diesem Rauch wegkommen wie möglich. Es ist schließlich niemandem geholfen, wenn wir uns kopfüber in die Gefahr stürzen …«

» … und dabei in Flammen aufgehen«, vollendet Rumi. »Ich weiß. Vielleicht ist Vorsicht ja doch besser als Nachsicht.«

»Wir geben nicht auf!«, ruft Mali aus der Dunkelheit zu ihnen herauf.

»Genau!«, bekräftigt Chumba.

»Da denkt man, man ist einmal außer Hörweite, und dann das. Panther haben wirklich ein beeindruckendes Gehör«, meint Rumi anerkennend. Wieder etwas Neues gelernt – das sorgt bei ihm umgehend für gute Laune.

»Ein bisschen zu beeindruckend, wenn ihr mich fragt«, grummelt Gogi.

»Genug ausgeruht, Gogi. Wir müssen weiter!«, ruft Mali.

»Los, Leute«, drängt Lima über ihnen. »Auf geht’s – hey! Grmpf! So was Unhöfliches!« Ihre Stimme verklingt in der Ferne.

»Lima, alles okay?«, erkundigt sich Rumi besorgt.

»Ja, ja«, antwortet sie nach einer Weile. »Ich bin mitten in einen Schwarm Fledermäuse geflogen und hab versucht, Hallo zu sagen, aber sie haben nicht mal kurz angehalten, um mir zu antworten! Unfassbar. Was ist nur aus den fledermäusischen Manieren geworden? Nur weil eventuell der Weltuntergang bevorsteht, muss man doch wohl nicht gleich sämtliche Umgangsformen über Bord werfen. Au, hey! Da war noch eine! Unverschämtheit!«

»Sie haben Angst, Lima!«, ruft Gogi ihr zu. Dann senkt er die Stimme und murmelt: »Vielleicht sollten wir uns ein Beispiel an ihnen nehmen.«

»Das ist der Grund, weshalb ich damals lieber bei den Panthern geblieben bin, statt in meine Heimatkolonie zurückzukehren«, plappert Lima entrüstet vor sich hin. »Man sollte meinen, dass ich unter meinesgleichen besser aufgehoben wäre als bei riesigen Raubkatzen, aber nein. Fledermäuse sind mit Abstand die Schlimmsten. Da bin ich viel lieber ein Ehrenpanther. Vielleicht kann ich ja auch ein Ehrenkapuzineraffe sein. Oder ein Pfeilgiftfrosch. Oder ein Ara. Entschuldigt, Jungs, ich will natürlich nicht, dass ihr euch ausgeschlossen fühlt. Ich bin gerne Ehren-Alles.«

»Wir rasen schon seit Stunden durch den Dschungel«, raunt Rumi Gogi ins Ohr. »Wieso hat sie immer noch Luft für das ganze Geschnatter?«

»… oh, hallo, Frau Eule, wie nett, dass wenigstens Sie mir Beachtung – halt, stopp! Hey! Unerhört!«

Es raschelt und kracht im Geäst, als Lima plötzlich durchs Blätterdach geschossen kommt und sich neben Rumi auf Gogis Kopf niederlässt. »Jetzt wäre ich fast als Eulenfutter geendet! Ich glaube, ich reise lieber mit euch.«

»Äh, langsam wird es ein bisschen voll auf meinem Kopf«, meint Gogi. Er hält seinen rechten Fuß hoch, in dem sich die winzige gelbe Schlange windet. »Ihr seid schließlich nicht die Einzigen, die ich mit mir rumtrage.«

Und schon ist die Eule vergessen. Lima streckt die Flügelchen aus, schnappt sich Auriel und legt ihn sich um die Schultern. Ihm scheint das nichts auszumachen. Er ringelt sich lose um ihren Hals. »Wie seh ich aus?« Lima dreht sich grazil, um sich von allen Seiten zu präsentieren. »Glamourös? Gefällt euch meine Boa?«

»Sehr hübsch«, erwidert Rumi. »Aber ich weiß nicht, ob das so … Ich meine, er ist nun mal immer noch eine Würgeschlange.«

»Ach, er ist doch so klein! Und der wiedergeborene Auriel würde mir niemals wehtun, oder, mein hübscher kleiner Reptilienfreund?«

Er starrt sie wortlos an.

»Ich meine, selbst wenn du wolltest, könntest du mir doch gar nichts tun … oder?« Plötzlich scheint sich Lima selbst nicht mehr so sicher zu sein. Schnell drückt sie ihn Gogi wieder in den Fuß. »Ich glaube, es ist doch besser, wenn du ihn hältst«, piepst sie.

»Gute Idee«, sagt Gogi.

»Genug ausgeruht!«, brüllt Mali von unten. »Wir müssen weiter, bevor sich der Schleier hebt!«

»Sie ist so eine Sklaventreiberin«, grummelt Gogi.

»Ganz recht!«, ruft Mali. »Und jetzt vorwärts.«

»Genau!«, pflichtet Chumba ihr bei.

»Was ist schlimmer als ein sklaventreibender Panther?«, fragt Rumi.

»Zwei sklaventreibende Panther«, antwortet Gogi. Die beiden klatschen ab. Gogi seufzt und hält sich mit seinem Greifschwanz an einem Ast fest, dann springt er ab. Und schon sind sie wieder in Bewegung und bahnen sich einen Weg durch den nicht enden wollenden Strom fliehender Tiere.

Ein Grollen geht durch den Vulkan und bringt die Erde zum Beben. Um sie herum geraten die Bäume derart ins Wanken, dass zahllose Tiere – Käfer, Gottesanbeterinnen und sogar ein paar unglückselige Schlangen – aus den Ästen geschüttelt werden und hilflos zu Boden trudeln. Rumi kneift die Augen zu. Trotz der Saugnäpfe an seinen Händen und Füßen verliert er beinahe den Halt.

»Ist es bald vorbei?«, fragt er, während er seine Finger und Zehen noch fester in Gogis drahtiges Fell krallt. In Momenten wie diesen muss er sich extrem konzentrieren, damit die Poren auf seinem Rücken nicht versehentlich ihr giftiges Sekret absondern. Es ist ein bisschen, als würde er mit aller Kraft versuchen, ein Niesen zu unterdrücken. Inzwischen hat er zwar eine gewisse Übung darin, aber er muss trotzdem jederzeit auf der Hut sein. Gogis Fell mit einem der stärksten Gifte im Tierreich zu durchtränken, wäre definitiv keine gute Idee.

Als das Beben aufhört, setzen sie ihren Weg fort, allerdings sind sie jetzt deutlich vorsichtiger. Am Horizont zeichnet sich ein erster Streifen Blau im Schwarz des Nachthimmels ab. Bis zur Morgendämmerung bleibt nicht mehr viel Zeit. »Wie geht es dir, Chumba?«, erkundigt sich Rumi, als sie die nächste Pause einlegen.

»Mein Tagweltschlummer setzt bald ein«, erwidert sie. »Wir sollten uns langsam ein Versteck suchen.«

»Bin dabei«, ruft Sky von oben. »Ich hab schon einen geeigneten Platz gefunden und Banu Bescheid gesagt, wo er uns finden kann. Geht an dem Baum da vorne vorbei und folgt dem Bach, der dahinter verläuft. Ich zeige euch den Weg, sobald ihr näher kommt.«

Wie von Sky beschrieben, laufen sie ein Stück stromabwärts, bis sie ein sumpfiges Waldstück erreichen. Dort zweigen sie vom Pfad ab und stoßen kurz darauf auf einen Felsüberhang, unter dem sich eine Art natürlicher Bau befindet. Gogi klettert langsam von seinem Baum herab, bis er direkt vor dem Eingang hängt. Sechs Augen blinzeln ins Dunkel: Affe, Frosch und Fledermaus.

Mali bleibt wie angewurzelt vor dem Eingang stehen. »Da drin sind Panther.«

»Da drin waren Panther«, berichtigt Sky, als er mit lautem Krachen durch das Blätterdach gerauscht kommt. Elegante Landungen sind einfach nicht seine Stärke. Er legt den Kopf schräg, marschiert in die Höhle und spaziert darin auf und ab. »Vollkommen leer«, krächzt er nach draußen. »Ich habe die Panther auf der Flucht entdeckt und bin ihren Spuren hierher gefolgt.«

»Verlassen«, sagt Mali finster. »Panther geben ihren Bau nicht ohne triftigen Grund auf.«

Chumba beschnüffelt den Eingang und fletscht die Zähne. »Es fühlt sich falsch an, die Höhle einer fremden Pantherfamilie zu betreten.«

»Ich weiß«, erwidert Mali. »Aber Sky hat recht: Das hier ist das am besten zu verteidigende Versteck weit und breit.«

»Wir sollen uns jetzt also auch noch gegen glühende Lava verteidigen?«, bemerkt Gogi trocken. »Verrät mir jemand, wie das gehen soll?«

»Hallo?«, ruft Chumba beim Eintreten.

»Riecht nach Katzenpipi«, stellt Lima fest, als sie hinter ihr herflattert.

»Das nennt man sein Revier markieren«, entgegnet Mali empört.

»Eindeutig Katzenpipi«, bestätigt Gogi, der als Letzter in die Höhle schlüpft. »Aber zumindest ist es trocken.«

Lima macht sich sofort daran, das Innere der Höhle herzurichten. Abgenagte Knochen und Reste von Nagetierfell fliegen über ihre Schulter. »Meinst du das Pipi oder den Regen? Weil ich glaube, dass wir alle davon ausgegangen sind, dass das Pipi längst getrocknet ist und bloß stinkt. Aber es ist auf jeden Fall gut, mal aus dem Regen rauszukommen. Und so schlimm stinkt es hier drin auch gar nicht, finde ich, ich hab mich jedenfalls schon daran gewöhnt. Glaube ich. Habt ihr schon mal Fledermauspipi gerochen? Das ist noch zehnmal schlimmer, und das sage ich als Fledermaus, obwohl ich eigentlich immun dagegen sein müsste. Oder heißt es intakt? Was ist noch mal das richtige Wort hier?«

Niemand antwortet, was Lima jedoch gar nicht zu bemerken scheint. Sie plappert weiter munter vor sich hin, während sie in der dunklen Höhle umherflitzt und sämtliche Ecken und Winkel überprüft. Mali und Chumba ziehen sich ans Ende des Baus zurück. Mit gesenkten Schwänzen und zuckenden Nasen erkunden sie die Duftspuren, die die früheren Bewohner hinterlassen haben. Gogi wischt die Katzenhaare von einem Felsstück und platziert seinen Hintern vorsichtig darauf. Sky lässt sich auf einem Ast über ihm nieder.

Rumi gönnt sich ein Bad in einer der abgestandenen, mit Moos und Algen bewachsenen Pfützen draußen vor dem Bau. Er reibt seine rauchgeplagte Haut über und über mit dem kühlenden Schleim ein. Ein herrliches Gefühl.

»Du scheinst das ja richtig zu genießen«, meint Gogi. »Ich glaube, für mich wäre das nix.«

»Hier, probier mal.« Lima schöpft etwas von dem grünen Glibber aus der Pfütze und wirft damit nach Gogi. Es fliegt haarscharf an ihm vorbei, klatscht gegen die Höhlenwand und rinnt zähflüssig daran herunter.

»Nicht witzig«, schnaubt Gogi mit ungewohnt finsterer Miene.

Lima lässt die runden Öhrchen hängen. »Ich hab doch nur Spaß gemacht.«

»Wir sind schon viel zu lange auf den Beinen und waren noch dazu jeder Menge Stress ausgesetzt«, sagt Rumi. Seine großen schwarzen Augen blinzeln. »Ich glaube, wir könnten alle etwas Schlaf gebrauchen. Legt euch ruhig hin, ich übernehme die erste Wache. Wir Amphibien benötigen keine so langen Schlafphasen wie ihr Vögel und Säugetiere.«

»Ist das wahr?«, piepst Lima. »Das wusste ich gar nicht!«

»Ja«, antwortet Rumi blinzelnd, »und ob das wahr ist.«

Mali gähnt herzhaft, wodurch ihr eindrucksvolles Gebiss zum Vorschein kommt. »Ich würde mich wahnsinnig gerne ausruhen, aber ich glaube, ich bin noch zu aufgekratzt, um gleich zu schlafen. Außerdem habt ihr uns immer noch nicht erzählt, was genau in der Höhle der Rätsel passiert ist.«

»Ja, erst die Wahrheit, dann wird geschlafen!« Gogi zeigt mit dem Finger auf Rumi und Sky.

Ein leises Schnarchen kommt von der Höhlendecke. Lima hängt kopfüber da. Sie hat die Augen geschlossen und ihr winziger Brustkorb hebt und senkt sich unter ihren gleichmäßigen Atemzügen.

Gogi stupst sie an und sie fährt mit einem lauten Röcheln aus dem Schlaf hoch. »Ja, ja, ich bin wach, was ist los? Auf geht’s!«, ruft sie und flattert los.

»Nein, wir brechen noch nicht auf«, beschwichtigt Rumi sanft. »Sky und ich wollten euch erzählen, was wir in der Höhle der Rätsel erlebt haben. Womöglich hilft uns das ja dabei, eine Lösung zu finden, wie wir Caldera davor bewahren können, in, äh, spätestens acht Nächten in die Luft zu fliegen.«

Lima hängt sich wieder kopfüber an die Decke und nickt energisch. »Ja, Caldera davor bewahren, in die Luft zu fliegen. Das ist sehr wichtig.« Ihr Nicken wird schwächer und kurz darauf setzt das Schnarchen wieder ein.

»Vielleicht liefern wir ihr hinterher einfach die Kurzfassung«, schlägt Mali vor, gerade als sich Chumbas Schnarchen in das von Lima mischt. »Und meiner Schwester auch.«

»Rumi und ich sind das alles schon so oft zusammen durchgegangen«, krächzt Sky. »Schwer vorzustellen, dass es noch irgendeinen Aspekt gibt, der uns nützliche Anhaltspunkte bieten könnte, über die wir nicht bereits nachgedacht haben.«

»Selbstgefällig wie immer«, knurrt Mali.

»Wir sollten ihnen trotzdem alles erzählen, Sky«, wirft Rumi ein. Vorsichtshalber hüpft er zwischen die beiden Streithähne. »Ich halte es für durchaus möglich, dass wir irgendwo etwas übersehen haben.«

Sky antwortet nicht. Er neigt bloß den Kopf und wartet darauf, dass Rumi beginnt.

Mali lässt sich auf dem Boden nieder. Sie streckt die Vorderbeine aus, doch ihr Kopf bleibt aufrecht, wachsam. Während draußen langsam die Sonne aufgeht und ihre Strahlen über den feuchten grauen Boden vor der Höhle wandern, trottet Gogi zu Mali hinüber und legt sich auf ihren Rücken. Trotz ihrer ernsten, beinahe strengen Miene fängt sie an zu schnurren. Mittlerweile ist allseits bekannt, wie gerne Mali Kuscheln mag.

Rumi kehrt in seine glibbrige Schleimpfütze zurück. Sky verlässt seinen Ast und hockt sich neben Rumi auf den Boden, um eingreifen zu können, falls der kleine Frosch etwas vergessen sollte.

Rumi blickt in die Gesichter seiner Freunde. Wie gerne würde er ihnen alles erzählen, absolut alles, was ihnen irgendwie helfen könnte, ihren Regenwald zu retten. Gleichzeitig hat er Angst davor, wohin diese Geschichte führen wird, welche Geheimnisse er gleich preisgeben wird. Werden sie ihn danach immer noch mögen? Er hofft es, aber sicher ist er sich nicht. So außerordentlich sein Verstand auch sein mag, wenn es um Gefühlsdinge geht, liegt er erstaunlich oft daneben.

Nun ja. Es gibt nur einen Weg, sich von dieser Angst zu befreien: Er muss das Risiko eingehen und seine Geschichte erzählen.

Rumi nimmt einen Schluck Wasser aus der Pfütze, räuspert sich quakend und beginnt.

Ich muss euch etwas gestehen: Als Sky und ich aufgebrochen sind, wirkten wir nach außen hin deutlich zuversichtlicher, als wir es tatsächlich waren. Ich bin auf seinen Rücken gestiegen und wir sind losgeflogen, allerdings nur ein Stück weit. Sobald wir außer Sichtweite waren, sind wir erst mal wieder gelandet, um unser weiteres Vorgehen zu besprechen.

Was wir wussten, war Folgendes: Wenn wir unseren Regenwald retten wollten, mussten wir die Ameisenkönigin vernichten. Und um die Ameisenkönigin zu vernichten, brauchten wir die Linse. Nur hatten wir praktisch keine Ahnung, wo genau sich dieses mysteriöse Artefakt befand und ob es überhaupt noch existierte. Es gab also so einiges, was uns gehöriges Kopfzerbrechen bereitete.

Wir wussten, dass die Höhle der Rätsel irgendwo im Norden liegt, daher beschlossen wir, auf gut Glück in diese Richtung zu fliegen. Wir glitten über nebelverhangene Hügel hinweg, über langsam dahinfließende Flüsse, deren schwarzes Wasser zwischen all dem üppigen Gras kaum noch auszumachen war, über Palmenhaine und Feigenbäume, Wäldchen aus Weiden und über ausgedehnte Sumpflandschaften, in denen nur vereinzelt ein paar mickrige Sträucher wuchsen. Der größte Teil war noch unberührt, doch wir kamen auch an Gegenden vorbei, wo die Heerscharen der Ameisenkönigin bereits gewütet hatten. Dort regte sich nichts mehr. Sämtliche Tiere waren entweder geflohen oder den gefräßigen Ameisen zum Opfer gefallen und die wenigen verbliebenen Pflanzen waren zu Pilzfarmen umgewandelt worden.

Sky und ich stellten Theorien auf, wie die verschiedenen Bereiche Calderas sich gegenseitig beeinflussen. Wir sahen Unmengen frischer Schösslinge, deren saftig grüne Blätter überall dort aus dem Boden sprossen, wo ein umgestürzter Baumriese für kurze Zeit den Weg zum Sonnenlicht frei gemacht hatte. Wir beobachteten, wie die Vogelpopulation wechselte, von Aras über Regenpfeifer bis hin zu Fischreihern. Keine Sorge, ich werde euch jetzt nicht mit den Einzelheiten langweilen.

Irgendwann sind wir dann an einen Strand gekommen. Das war der Moment, den ihr über unsere Verbindung mittels der Schwanzfeder verfolgen konntet. Ich konnte euch zwar nicht hören, aber zumindest hattet ihr dadurch einen Anhaltspunkt, wo wir waren.

Sky und ich wussten, dass es eine Art Übergang zwischen Land und Meer geben musste. Wir hatten dazu eine ganze Reihe von Theorien aufgestellt, aber diesen Übergang dann tatsächlich mit eigenen Augen zu sehen, war wirklich faszinierend! Beim Anblick dieser schier endlosen Wassermassen fühlten wir uns auf einmal ganz klein und unbedeutend. Die Ausmaße waren gewaltig, eine Fläche, mindestens so groß wie unser Regenwald – nur halt nicht hoch und grün, sondern tief und blau. Was für Kreaturen wohl dort unten leben? Wie groß oder klein mögen sie sein? Sind sie friedlich oder gefährlich?

Okay, ich merke schon, ihr wollt, dass ich endlich zur Höhle der Rätsel komme. Tut mir leid, tut mir leid, ich beeile mich!

Wir flogen so weit nach Norden, wie wir konnten, und dort stießen wir auf eine hohe Klippe. Genau wie die Boto vorhergesagt hatte! Die Felsen hatten eine gelbliche Farbe, ähnlich wie das Innere eines frisch abgebrochenen Zweigs. Die Schönheit war einfach überwältigend. Ich konnte mein Glück kaum fassen.

Ohne Vorwarnung stürzte sich Sky plötzlich von der Klippe, schoss auf die eisengrauen Wellen unter uns zu und glitt eine Weile im Tiefflug darüber hinweg, bevor er hochzog und wieder in den Himmel hinaufstieg. Erst dachte ich, er wolle uns die Gelegenheit geben, uns das Meer von Nahem anzusehen, doch dann begriff ich, dass er nach einem Riss oder Spalt im Gestein suchte. Tatsächlich erspähte er bald eine Öffnung, etwa auf halber Höhe der Klippen.

Wir schafften es, dort zu landen, wobei Skys Krallen schmerzhaft über den harten Untergrund kratzten. Und dann standen wir erst mal da und staunten. Keiner von uns sagte etwas, es hatte uns komplett die Sprache verschlagen. Über uns waren Zeichen und Symbole in den Fels geritzt, ähnlich denen, die ich am Tempel der Sonne und des Mondes zu entschlüsseln versucht habe. Die Zweibeiner waren eindeutig auch hier gewesen. Meine Theorie ist, dass die Zweibeiner diese Symbole dort angebracht haben, bevor sie ausgestorben sind. Ich vermute, dass sie auf diese Weise irgendwie miteinander kommuniziert haben.

Ich begann umgehend, sie zu untersuchen, in der Hoffnung, dabei das eine oder andere Symbol zu entdecken, das ich schon von den Tempelruinen kannte. Tatsächlich waren einige dabei, die ich so oder so ähnlich bereits gesehen hatte. Eine Sonne, zum Beispiel, oder eine Mondsichel. Eines der Bilder zeigte eine gigantische Ameise, die von Zweibeinern mit brennenden Stöcken angegriffen wurde. Es sah aus, als bemühten sie sich, die Stöcke zwischen die Panzerplatten am Bauch der Ameise zu rammen. Um die restlichen Symbole zu entziffern, hätte ich deutlich länger gebraucht, und es war nicht klar, ob es mir überhaupt gelingen würde. Trotzdem wollte ich versuchen, so viele wie möglich zu verstehen, doch Sky fürchtete, dass wir dadurch wertvolle Zeit verlieren würden. Immerhin stand die Mondfinsternis – und damit die Gelegenheit, die Magie von Caldera abzuschöpfen – unmittelbar bevor.

Wir haben uns deswegen fast ein bisschen gestritten, nicht wahr, Sky? Darüber, ob wir uns die Zeit nehmen sollten, uns vorzubereiten, oder ob wir Hals über Kopf in die Höhle stürmen sollten. Am Ende beschlossen wir, reinzugehen.

Das sollte sich bald als schicksalhafte Entscheidung herausstellen.

Das erste Stück sind wir noch geflogen, aber die Gänge waren eng und dunkel und wechselten immer wieder unerwartet die Richtung, sodass uns nichts anderes übrig blieb, als zu landen. Sky konnte mit seinen Tagwandleraugen einfach nicht gut genug sehen, um sicher durch die Höhle der Rätsel zu manövrieren. Ich stieg ab und hüpfte vor, wobei ich die ganze Zeit leise quakte, damit er wusste, wo ich war. Sky war gezwungen, zu Fuß zu gehen, was für Aras nicht unbedingt die geeignetste Fortbewegungsart ist. Seine Krallen rutschten über den Boden und traten kleine Steinchen los, sodass ich mich gar nicht erst nach ihm umdrehen musste, um zu wissen, wo er sich befand.

Anfangs war die Luft salzig und feucht und durch das Meerwasser, das in feinen Dunstschwaden hereinwehte, war der Boden nass und glitschig. Nach einer Weile waren wir jedoch so weit in die Höhle vorgedrungen, dass die Meeresbrise nicht mehr durchkam. Stattdessen war die Luft nun modrig und trocken, als hätten wir die Nasen in einen Haufen Kies gesteckt. Der Tunnel wurde noch enger und der Boden war mit großen Felsbrocken bedeckt. Für die Zweibeiner muss es unheimlich schwer gewesen sein, sich dort hindurchzuzwängen. Wahrscheinlich hättest selbst du Schwierigkeiten gehabt, Mali. Für einen Ara war das allerdings kein Problem. Und für einen Pfeilgiftfrosch noch weniger. Mickrig zu sein hat auch seine Vorteile!

Nachdem wir den engsten Teil passiert hatten, weitete sich der Tunnel zu einer großen, schummrigen Höhle. Am hinteren Ende befand sich ein kleiner, leicht glimmender Stein, dessen Licht jedoch nicht ausreichte, um die gesamte Höhle zu erhellen. Es musste noch eine andere Lichtquelle geben, aber ich konnte beim besten Willen nicht erkennen, wo. Dann zeigte Sky mit seinem Schnabel nach oben. Die Höhlendecke bestand aus durchscheinenden Steinplatten, die von einem Netz dunkler Adern durchzogen waren. Die Platten waren so unglaublich dünn geschliffen, dass sie das Licht hineinließen. Ich fragte mich, wie die Zweibeiner das hinbekommen hatten.

Eine natürliche Ursache dafür gab es jedenfalls nicht, das war offensichtlich.

Selbst in der staubverhangenen Luft konnten wir einen weiteren Tunnel ausmachen, der tiefer in den Berg hineinführte. Auch dort fiel das Licht durch hauchdünne Steinplatten in der Decke. Ich hüpfte darauf zu, doch Sky hielt mich zurück: Es gab noch fünf weitere Tunnel. Sie alle zweigten von der Höhlenmitte ab, wo eine schlichte Steinkugel auf einem Sockel lag.

Die Zweibeiner hatten die Höhle der Rätsel erschaffen, um ihre Feinde daran zu hindern, die magische Linse zu finden. Ich nahm an, dass die erste Prüfung darin bestand, den korrekten Tunnel zu finden.

Was passieren würde, wenn wir uns für den falschen Ausgang entschieden, wollte ich mir lieber nicht ausmalen. Im besten Fall würden wir noch tiefer ins Innere der Klippen gelangen und orientierungslos durch die Tunnel irren. Und schlimmstenfalls? Nun, wenn wir Pech hatten, würden wir in eine Falle geraten oder irgendwelchen Wächtern in die Arme laufen, die die Zweibeiner dort postiert hatten. Das hätte unser sicheres Ende bedeutet.

Wir sahen uns die Tunneleingänge an, doch es gab nichts, woran wir sie hätten unterscheiden können. Als Nächstes nahmen wir die Steinkugel in Augenschein. Sky entdeckte eine Reihe von Symbolen, die in den Fuß des Sockels geritzt waren und sich im schwachen Licht gerade eben so ausmachen ließen. Es waren sechs Mondphasen, so wie hier:

Etwas daran schien verkehrt zu sein, aber ich kam nicht drauf, was es war. Ich kramte in meinem Gedächtnis nach allem, was ich über den Mond wusste. Wir Frösche richten uns von Natur aus stark nach dem Mond, doch obwohl ich unzählige Nächte damit verbracht hatte, ihn anzuquaken, konnte ich mich partout nicht mehr an die richtige Reihenfolge der Mondphasen erinnern. Ich war so wütend auf mich. Warum hatte ich nie darauf geachtet, wie sich der Mond von Nacht zu Nacht verändert?

Als wir uns den kleinen leuchtenden Stein näher ansahen, fiel uns auf, dass eine schmale Rinne in den Boden geritzt worden war, die einmal rings um die gesamte Höhle führte. Mit einiger Mühe gelang es Sky, den Stein mithilfe seines Schnabels ein Stück die Rinne entlangzuschieben. Wechselnde Schatten tanzten über die Wände, doch sonst tat sich nichts. Um seine Kräfte nicht unnötig zu vergeuden, beschlossen wir, eine Pause einzulegen und gründlich nachzudenken.

Nachdem wir uns eine Weile die Köpfe zerbrochen hatten, machte Sky einen interessanten Vorschlag: Vielleicht ging es nicht darum, welches Bild richtig war, sondern wir mussten herausfinden, welches nicht stimmte. In dem Moment ging mir ein Licht auf. Da der Mond in einem gleichmäßigen Rhythmus ab- und zunimmt, müssen seine Phasen einem logischen Muster folgen. Eines der Symbole stand an der falschen Stelle. Ich sehe schon, ihr kommt nicht mehr mit. Vertraut mir einfach. Ihr könnt ja mal den Mond beobachten und es selbst herausfinden!

Nur: Was sollten wir jetzt mit dieser Information anfangen?

Auf einmal stieß Sky ein Krächzen aus und befahl mir, vor dem Tunnel zu warten, durch den wir hereingekommen waren. Er flatterte zu dem leuchtenden Stein zurück und schob ihn weiter. Ich sah ihm dabei zu, konnte mir aber zunächst keinen Reim darauf machen. Es dauerte einen Moment, bis ich erkannte, wie sich der Schatten auf der Oberfläche der Steinkugel veränderte – genau wie die Phasen des Mondes!

Jetzt wusste ich, worauf ich achten musste. Ich wartete, bis Sky den leuchtenden Stein an die richtige Stelle geschoben hatte, bevor ich ihn anwies, anzuhalten und zurückzutreten.

Nichts geschah. Dann ertönte plötzlich ein lautes Knirschen. Die Kugel begann zu zittern und versank im Boden. Zurück blieb eine runde Öffnung.

Sky und ich sahen uns das Ganze näher an. Die Öffnung führte ein Stück in die Tiefe, bevor sie abrupt zur Seite abknickte und in einen weiteren Tunnel überging. Wir hatten unseren Ausgang aus der Höhle gefunden.

Wir hielten uns nicht lange mit Feiern auf, sondern stiegen in den dunklen Tunnel hinab und setzen unseren Weg fort. Eine Weile ging es steil bergauf, dann führte der Tunnel abwärts, bis wir uns in beinahe vollkommener Dunkelheit wiederfanden. Je tiefer wir in den Berg vordrangen, desto kälter wurde es. Einen Teil des Weges hüpfte ich, den Rest trug mich Sky auf seinem Rücken.

Wir hatten beide schwer zu kämpfen. Ich konnte in der Dunkelheit noch einigermaßen gut sehen, doch Sky war praktisch blind. Dafür wirkte sich die Kälte stark auf meinen Amphibienkreislauf aus. Ich fühlte mich immer schlapper und träger.

Schließlich erreichten wir die zweite der drei Prüfungen.

Wir kamen in einen säulenförmigen Raum. Die Höhlendecke befand sich weit über uns, höher als die höchsten Bäume im Dschungel. Auch hier fiel Licht durch eine Platte dieses hauchdünnen Steins. Vor uns erstreckte sich eine Art Teich, der so still und unberührt dalag, wie ich es nie zuvor gesehen hatte. Kein noch so kleines Rinnsal kräuselte die Oberfläche, kein einziger Wasserläufer huschte darauf umher. Letzteres fand ich ein wenig enttäuschend – langsam bekam ich nämlich Hunger.

Es dauerte eine Weile, bis sich meine Augen an das hellere Licht gewöhnt hatten und ich die Striche und Linien an den Wänden bemerkte. Zunächst hielt ich sie bloß für ein seltsames Muster, wie man es manchmal bei den Kieselsteinen am Fluss beobachten kann. Doch als ich genauer hinsah, stellte ich fest, dass es sich um bewusst angefertigte Verzierungen handelte, nicht nur um eine Laune der Natur. Und sie reichten fast bis zur Höhlendecke hinauf.

Die Bilder zeigten eine Reihe merkwürdiger Bäume. Das jedenfalls glaubte ich im ersten Moment. Dann fiel mir auf, dass diese Gebilde sehr viel gerader waren, als Bäume wachsen können, und sie oben glatt abgeschnitten waren. Jedes von ihnen enthielt Hunderte kleiner Kästchen, in denen Zweibeiner alltäglichen Dingen wie Essen, Schlafen oder Reden nachgingen. Es sah aus, als wären die Wände über und über mit einem Wald aus künstlichen Bäumen bedeckt, in denen die Zweibeiner lebten. Wie ungewöhnlich!

Sky und ich betrachteten die Bilder, so gut es in dem schwachen Licht ging, und versuchten, ihnen so viele Informationen wie möglich zu entnehmen. Schließlich entdeckte Sky darauf einen Pfad, der vom Rand der rechteckigen Bäume zu einem rauchenden Berg führte – ein Vulkan, genau wie der unter Caldera, dessen Ausbruch wir verhindern wollen! Vielleicht war es sogar derselbe. Auf dem Pfad waren jede Menge seltsame Tiere unterwegs, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Sie waren flach und gedrungen und hatten komische runde Scheiben anstelle von Beinen. Auf den Bildern war zu erkennen, wie manche von ihnen in den Vulkan hineingingen, während andere gerade herauskamen. Was sie da wollten, ist mir nach wie vor schleierhaft.

Es gab noch zwei andere Dinge, auf die ich mir bis heute keinen Reim machen kann. Zum einen war eine Stelle am Fuß des Berges, unterhalb des Tunnels, durch den die gedrungenen Tiere ein und aus gingen, mit einem X markiert. Ich habe keine Ahnung, warum. Sky und ich konnten beim besten Willen nicht erkennen, was daran so besonders sein sollte.

Zum anderen entdeckten wir eine Reihe einzelner Bilder, die eine Abfolge von Ereignissen wiederzugeben schien. Auf dem ersten Bild war eine Art Fischei zu sehen, das so zusammengequetscht wurde, dass es jeden Moment platzen konnte. Das nächste Bild zeigte eine Hand, die mit einem spitzen Stock auf das Ei zukam, um hineinzustechen.

Auf dem letzten Bild war das Ei aufgeplatzt und sein Inhalt quoll seitlich heraus. Ich meine, ich fresse wirklich gerne Eier, aber selbst ich weiß, dass es grausam ist, ein Ei aufzustechen und seinen Inhalt sinnlos zu verschwenden. Ich begreife nicht, was die Zweibeiner getrieben hat, eine derart barbarische Tat im Stein zu verewigen.

Allzu lange konnten wir uns jedoch nicht mit den Bildern aufhalten, daher wandten wir uns schließlich dem glatten unberührten Teich vor uns zu. Gerade als ich Sky fragte, ob wir hindurchschwimmen sollten, begann sich die Oberfläche zu kräuseln und eine seltsame Kreatur tauchte daraus auf. Sie war lang und dünn wie eine Schlange. Gleichzeitig hatte sie Kiemen hinter dem Kopf wie ein Fisch. Besonders groß war sie nicht, vielleicht doppelt so groß wie ich. Nichts, was ich fressen würde, aber auch nichts, was mich fressen würde. Das war zumindest schon mal etwas.

Die Kreatur drehte sich hin und her. Da erst fiel mir auf, dass sie keine Augen hatte. Wo ihre Augen hätten sein sollen, befand sich eine rosafarbene, leicht pulsierende Membran. Ich weiß nicht, wie sie ihre Umgebung wahrnahm, aber sie schien eindeutig zu wissen, dass Sky und ich da waren. Sie tauchte wieder unter und die Wasseroberfläche beruhigte sich. Dann schoss die Kreatur plötzlich direkt vor uns aus dem Wasser. Ich sprang vor Schreck in die Höhe und quakte mir die Seele aus dem Leib, während Sky krächzend zurückwich.

Das fischartige Wesen trieb aufrecht vor uns im Wasser. Schließlich begann es zu sprechen. So eine Stimme hatte ich noch nie gehört. Obwohl sie hoch und piepsig war, wirkte sie außerordentlich würdevoll. »Seit langer Zeit seid ihr die Ersten, die es bis hierher geschafft haben. Ich bin Kolk, der Hüter der zweiten Prüfung, die ihr bestehen müsst. Einst werden meine Kinder und Kindeskinder diese Aufgabe von mir übernehmen.«

»Hallo, Kolk, freut mich, dich kennenzulernen«, erwiderte ich. Sky krächzte unangenehm berührt, aber ich hatte keine Ahnung, was ich sonst hätte sagen sollen.

Es wird euch wohl nicht überraschen, dass Kolk darauf nicht mit »Ganz meinerseits« antwortete. Er fuhr einfach mit seinem Vortrag fort. »Nur jene, die sich als klug genug erweisen, die Linse verantwortungsvoll zu benutzen, dürfen diesen Ort passieren. Ich werde euch ein Rätsel aufgeben. Wenn ihr die richtige Lösung findet, stelle ich euch zwei weitere Aufgaben. Gebt ihr die falsche Antwort, habt ihr verloren und diese Höhle wird sich mit Wasser füllen, bis ihr ertrinkt.«