Selbstakzeptanz in Zeiten des Schlankheitsdiktats
In ›Happy Fat‹ erzählt die dänische Comedian Sofie Hagen, wie sie der Dickenfeindlichkeit den Kampf angesagt hat. Sie hat Selbstakzeptanz in einer Welt gefunden, in der die Diskriminierung von Dicken allgegenwärtig ist. Sofie berichtet offen von alltäglichen Problemen, mit denen sich dicke Menschen konfrontiert sehen: beim Sex, im Flugzeug, beim Kleiderkauf oder einfach nur beim Essen in der Öffentlichkeit. Aber auch von fehlender Repräsentation, ihrem Queersein und einer Community, die ihr gezeigt hat, dass sie mit ihrer Forderung nach einer dicken Disney-Prinzessin nicht allein dasteht. Sofie Hagen gibt Leser_innen jeder Gewichtsklasse praktische Tipps und lässt dabei auch andere Fat-Liberation-Aktivist_innen zu Wort kommen.
© Matt Crockett
Sofie Hagen wurde 1988 in Dänemark geboren. Die Fett-Aktivistin arbeitet als Autorin und Stand-up-Comedian und lebt in London. 2015 gewann sie beim Edinburgh Festival Fringe den Best Newcomer Award. Sofie schreibt für den Guardian und die Huffington Post. ›Happy Fat‹ ist ihr erstes Buch und nein, das Gesicht auf ihrem Bauch ist keine Tätowierung.
Sophie Zeitz wurde 1972 in Frankfurt am Main geboren und studierte in Heidelberg, Granada und München Anglistik, Romanistik und Philosophie. Seit 2001 arbeitet sie als selbstständige Literaturübersetzerin in Berlin.
Happy
Fat
Aus dem Englischen
von Sophie Zeitz
eBook 2020
DuMont Buchverlag, Köln
Alle Rechte vorbehalten
© Sofie Hagen 2019
Die englische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel ›Happy Fat. Taking Up Space in a World That Wants to Shrink You‹ bei 4th Estate, einem Imprint von HarperCollins Publishers Ltd., London.
© 2020 für die deutsche Ausgabe: DuMont Buchverlag, Köln
Übersetzung: Sophie Zeitz
Lektorat: Nora Faust
Umschlaggestaltung nach der englischen Originalausgabe
© HarperCollinsPublishers 2019: Birgit Haermeyer
Illustrationen Innenteil: Mollie Cronin (Art Brat Comics)
Umschlagmotiv: © Matt Crockett
Satz: Angelika Kudella, Köln
eBook-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck
ISBN eBook 978-3-8321-7018-9
www.dumont-buchverlag.de
Den Kanarienvögeln unter Tage
Inhalt
Vorwort
Teil Eins
1 Mein dicker Körper
2 Wir brauchen eine dicke Disney-Prinzessin und wie wir sie einfordern
Interview mit Stephanie Yeboah
3 Öffentliche Toiletten und andere Orte, an denen dicke Leute stecken bleiben können
Interview mit Dina Amlund
4 Kleider und warum es okay ist, von Kopf bis Fuß Orange zu tragen
5 Liebe, Freundschaft und fetter Sex
Interview mit Kivan Bay
6 Warum du deine Waage in die Tonne werfen solltest
7 »Denk doch an deine Gesundheit!« »Wie wär’s, wenn du deine Klappe halten würdest?
Interview mit Matilda Ibini
Teil Zwei
8 Fette Freunde und wie du ihnen eine gute Verbündete sein kannst
9 Deinen Körper lieben
10 Nachwort
Danke
Empfehlungen
Fußnoten
Anmerkungen
Vorwort
Hallo, ich bin dick. Ich bin auch dreißig, Dänin und Skorpion. Ich bin ein Mensch, der sich erst seit kurzem erwachsen genug fühlt, um die Verantwortung für Topfpflanzen zu übernehmen. Ich habe mehr Instrumente besessen (drei), als ich spielen kann (keins). Meine Lieblingsfarben sind Rot und Lila. Gejobbt habe ich in einem Antiquariat, einer Bäckerei, einem Sexshop (wo sie mir mein erlogenes Alter glaubten, oder es war ihnen egal), einer Videothek (wo ich Süßigkeiten klaute), einem Delikatessenladen, einem Kindergarten (wo sie mich feuerten, weil ich tatsächlich einschlief, als die Kinder wollten, dass ich Schlafende Erwachsene spiele) und bei verschiedenen Hilfsorganisationen, für die ich am Telefon und im Außendienst Spenden sammelte. Das war mein letzter normaler Job, bevor ich mit Stand-up-Comedy anfing. Als Stand-up-Comedian habe ich ein paar große Preise gewonnen, zum Beispiel den Edinburgh Comedy Award als beste Newcomerin. An meiner Wand hängt ein Poster von einem fliegenden Lama, das »¿Que Pasa?« sagt, und ich muss jedes Mal lachen, wenn ich es sehe. Als ich dreizehn war, wurde mein erster Artikel veröffentlicht. Es ging um die Popsängerin P!nk, und er erschien in der dänischen Teenager-Zeitschrift Vi Unge. Als ich fünfzehn war, hatte ich meine erste Doppelseite in der Gratis-Zeitung MetroExpress, eine Gebrauchsanweisung für Westlife-Fans. Ich liebe Musicals und gehe gern allein ins Kino. Ich mag Hunde lieber als Katzen. Ich mag Hunde auch lieber als die meisten Menschen. Ich bin viele, viele Dinge außer meinem Gewicht. Du bestimmt auch. Ich will nicht durch mein Fett definiert werden, genauso wenig wie ich durch mein Nickerchen im Kindergarten oder meine Schwäche für Westlife und Hunde definiert werden will.
Aber wenn Leute mich sehen, sehen sie mein Fett. Sie registrieren und bewerten mein Fett. Obwohl sie es selten beim Namen nennen. FETT. Deshalb steht es im Buchtitel. Ich dagegen sage es, so oft ich kann. FETT. Denn je öfter ich es sage, desto harmloser wird es. Schließlich haben wir alle Fett. Es ist nur die Menge, die sich unterscheidet. Fett ist gespeicherte Energie. Fett schützt unsere Organe. Und fett ist ein beschreibendes Adjektiv. Seinen negativen Klang hat es erst später bekommen; von Eltern eingeflüstert, aus vorbeifahrenden Autos gerufen, in fetten Großbuchstaben als warnende Schlagzeile.
Es wird viel Mühe darauf verwendet, Fett zu verleugnen. Sprüche wie »Du bist nicht fett, du hast Fett« oder »Ich bin nicht dick, ich bin nur gut zu sehen« sind nett gemeint, aber sie implizieren auch nur, dass Dicksein etwas Schlechtes wäre. Dieses Phänomen hat einen Namen: Fatphobia. Die Angst vor dem Dicksein. Es ist eine Botschaft, die uns ständig mitgegeben wird – in der Werbung, in Filmen und im Fernsehen, wo Dicke negativ porträtiert werden oder gar nicht erst vorkommen, von unseren Müttern, die uns stichelnd fragen, ob wir zugenommen haben, von unseren Freund_innen, die über die neuesten Diäten reden, von den gängigen Geschäften, die nur Kleidergrößen bis 42 verkaufen, auf Zeitschriften-Covern, die nie Dicke zeigen, und in den Nachrichten, wo uns eingebläut wird, die »Adipositas-Epidemie« bedrohe unser aller Leben. Hinter alldem steckt die elementare Botschaft, dass dünn sein gut ist und dick sein schlecht.
Eine dünne Frau hat natürlich jede Menge anderer Fehler. Sie ist zu dünn oder an den falschen Stellen dünn, sie ist zu groß oder zu klein oder die Lücke zwischen ihren Oberschenkeln ist nicht groß genug – und sie muss mehr lächeln, aber nicht zu viel lächeln, weil zu viel lächeln nuttig ist. Sie muss lachen, aber nicht über ihre eigenen Witze, sondern am besten über die Witze von Männern. Sie muss Kleider tragen, aber in der richtigen Länge, weil zu lange Kleider prüde und zu kurze Kleider ordinär sind. Ihre Brüste müssen groß sein, aber nicht so groß, dass sie vulgär sind, und vor allem dürfen sie nicht hängen. Und das Wichtigste ist – sie darf sich niemals auflehnen gegen die extremen, unerfüllbaren Schönheitsideale und den Wunsch der Gesellschaft, sie zum Accessoire zu reduzieren.
Zwar wächst auch der Druck auf Männer, äußerlich einer bestimmten Norm zu entsprechen, doch noch haben sie einen etwas größeren Spielraum. Natürlich gilt der Spielraum nur, solange sie nicht dick sind.i Dicksein wird missbilligt, egal bei wem, egal, was die Person sonst noch verkörpert. Wenn Stars an den Strand gehen, entdecken Klatschzeitschriften noch die kleinsten Speckröllchen und prangern sie auf ihren Titelseiten an, weil sie die Regeln brechen: indem sie nicht dünn bleiben.
Fett wird als ausschließlich negativ wahrgenommen. Und das ist es nicht. Und das muss es nicht sein.
Das ist die Botschaft dieses Buchs. Fett ist kein negatives Wort. Fett ist, wenn überhaupt, neutral. Fett kann schön sein, Fett kann liebenswert sein, Fett kann absolut prachtvoll sein. Du kannst fett und sexy, fett und gesund, fett und glücklich sein.
Ich liebe meinen Körper. Ich liebe meinen Bauch mit seinen roten Dehnungsstreifen, der wie eine unpraktische Hüfttasche über meinen dicken, fleischigen Schenkeln hängt, die sich beim Sitzen auf dem Stuhl ausbreiten und rechts und links überschwappen. Ich liebe mein Doppel- und manchmal Dreifachkinn. Ich liebe das wabbelige Fleisch an meinen Armen, unter dem sich irgendwo, theoretisch, der Trizeps verbirgt. Da ist so viel Fett, dass ich eine Handvoll packen kann. Mein Körper besteht aus vielen, vielen Handvoll Fett. Wenn ich einen BH trage, quellen unter den Achseln Speckrollen aus dem Gummi wie seitliche Brüste. Meine Wangen sind dick, so dick, dass sie beim Lächeln fast meine Augen verdecken. Ich lächele viel. Ich würde dir sagen, wie viel ich wiege, aber ich weiß es nicht. Ich habe vor Jahren damit aufgehört, mich zu wiegen.
Ich war nie dünn und werde nie dünn sein.
Ich bin dick und ich liebe meinen Körper. Ich schätze mich glücklich, das sagen zu können. Es war nicht leicht. Es hat viel Arbeit und viel Zeit gekostet, dahin zu kommen. Häufig begegne ich Menschen, die völlig fassungslos sind, dass ich diesen Körper lieben kann. Wenn ich daran denke, in was für einer Welt wir leben – wie wir auf die Wahrnehmung und die Bewertung von Körpern abgerichtet werden –, kann ich ihre Verwirrung sogar verstehen. Aber ich bin mir sicher, dass ich es erklären kann. Ich will dir erzählen, was ich gelernt habe und wie ich hierhergekommen bin.
Dieses Buch ist eine Einführung. Ein Blick in die Welt aus der Sicht einer Dicken.
Besser gesagt, aus meiner Sicht – einer weißen, pansexuellenii, westeuropäischen Person. Die außerdem als heterosexuell gelesen wird – was heißt, man sieht mir meine ganzen Sehnsüchte nicht an, sei es: oh, eigentlich will ich mit Frauen knutschen, oder: oh, eigentlich will ich mit jedem knutschen. Und die zu diesem Zeitpunkt nichtbehindert ist. Und sich beim Schreiben dieses Buchs selbst als fett bezeichnet. Es gibt viele Begriffe, mit denen wir unseren Körper beschreiben können. Bei internationalen Fett-Aktivist_inneniii am gebräuchlichsten sind »big-thin«, »small-fat«, »fat«, »super-fat« und »infinity-fat«. Körper sind schwer zu definieren. Sie passen nicht in Schubladen. Zwei Menschen können das Gleiche wiegen und völlig anders aussehen – und werden dadurch von der Gesellschaft auch völlig anders behandelt. Eine passt mit Größe 56 in einen Flugzeugsitz, ein anderer hat Größe 52, aber der Sitz ist zu klein für ihn. Ich bin irgendwo zwischen »fat« und »super-fat«. Ich finde in den meisten Plus-Size-Shops im Internet etwas zum Anziehen, aber auf die meisten Stühle mit Armlehnen passe ich nicht. Ist man »infinity-fat«, ist beides ausgeschlossen. Menschen, die »big-thin« sind, haben beide Probleme nicht.
Dieses Buch ist aus einer westeuropäischen Perspektive geschrieben und setzt sich vor allem mit westeuropäischer Kultur auseinander. Es ist mir wichtig, daran zu erinnern, weil es da draußen natürlich noch viele andere Perspektiven gibt. Es ist immer wichtig, uns unsere Privilegien bewusst zu machen – deine Privilegien und die Privilegien der Autoriniv, deren Buch du liest. Ich kann nicht für andere sprechen – also spreche ich von mir und von meinen Erfahrungen. In den letzten zehn Jahren habe ich viele Bücher, Artikel, Studien und Kommentare zum Thema »Fatphobia«, also Dickendiskriminierung bzw. Fettenfeindlichkeit, zu ihren Gründe und Folgen gelesen, habe Dokumentationen gesehen, an Konferenzen teilgenommen und Expert_innen, Wissenschaftler_innen und erfahrene Aktivist_innen befragt. Denn auch wenn ich hier aus meiner persönlichen Perspektive berichte, die wie alles Menschgemachte grundsätzlich subjektiv ist, traue ich mich nur, dieses Buch zu schreiben, weil ich das Gefühl habe, ich habe genug empirisches Wissen gesammelt, um meine Thesen zu untermauern.
Zwischen die Kapitel des Buchs habe ich mehrere Gespräche mit Menschen eingestreut, deren Lebenserfahrungen sich von meinen unterscheiden. Sie veranschaulichen, wie Intersektionalität funktioniert. Ich habe mit Stephanie Yeboah gesprochen, einer dicken Schwarzen1 Londoner Frau mit dunklem Hautton, die sich – allein wegen ihrer Existenz – mit Dickenfeindlichkeit, Rassismus und Colourism konfrontiert sieht. Da ist Kivan Bay, ein dicker, queerer trans Mann aus Portland, der mit Fettenfeindlichkeit, Transfeindlichkeit, Queer- und Homofeindlichkeit leben muss. Und Matilda Ibini, eine Schwarze Londonerin im Rollstuhl, die sich mit Rassismus, Colourism, Body-Shaming und Ableismus, also Behindertenfeindlichkeit, auseinandersetzen muss. Man kann eine »Marginalisierung« nicht von den anderen getrennt unter die Lupe nehmen, weswegen ich dringend empfehle, die Interviews zu lesen. Es hat mir viel Spaß gemacht, mich mit diesen großartigen Menschen zu unterhalten. Wenn ihre Erfahrungen anders als deine sind, ist es umso wichtiger, sie in dein Weltbild einzubeziehen. Ich bin so dankbar, dass sie bei diesem Buch mitgemacht haben.
Außerdem habe ich ein Gespräch mit der dänischen Kulturhistorikerin Dina Amlund geführt, die sich mit Dicksein beschäftigt und mit den gängigsten Fehlannahmen aufräumt. Ich bin stolz und froh, ihre Erkenntnisse mit dir zu teilen.
Dieses Buch ist für alle Menschen. Für wirklich alle. Aber ich weiß, wie es ist, eine dicke Frau zu sein, ich identifiziere mich mit dicken Frauen und ich identifiziere mich mit queeren Menschen; mit Menschen, die manchmal das Gefühl haben, am Rand der Gesellschaft zu stehen. Ich habe dieses Buch für alle geschrieben, aber wenn du nicht dick bist, wenn du ein cis Mann bist, fühlst du dich vielleicht stellenweise ausgeschlossen oder vernachlässigt. Das heißt aber nicht, dass ich dich absichtlich übergehe. Andererseits konsumiere ich seit dreißig Jahren Kunst und Medien, die von dünnen, weißen, heterosexuellen cis Männern gemacht werden und die sich unbewusst oder bewusst vorrangig an dünne, weiße, heterosexuelle cis Männer richten, und nur selten hat sich einer die Mühe gemacht, mich oder meine Mit-Außenseiter_innen in ihre Welt einzubinden, außer vielleicht als Witz oder Vehikel. Trotzdem würden sie bestimmt auch von sich behaupten, ihre Kunst richte sich an alle. Genau das sage ich also hier: Dieses Buch ist für alle. Wenn du nicht weißt, wie es ist, dick zu sein oder eine Frau zu sein oder in irgendeiner Form Außenseiter_in zu sein, lies es trotzdem. Aber erwarte keine Extraeinladung von mir. Wir Dicke haben sehr wenig, das von uns für uns gemacht ist. Wenn du also dick bist, ist dieses Buch besonders für dich. Für die Dicken, die Schrägen, die Queeren, die Neuroatypischenv, die Verwirrten und die Ausgegrenzten.
Ich werde dir in diesem Buch erzählen, wie es war, als dickes Kind aufzuwachsen, ein dicker Teenager zu sein und eine dicke Erwachsene zu werden. Ich werde über Diäten sprechen und, wichtiger, über das Scheitern von Diäten. Ich werde über Spott und Demütigung sprechen, über Ausgrenzung und Trauma, über Zurückweisung und Liebeskummer. Ich werde über Speckrollen sprechen, über Dehnungsstreifen und über die roten Stellen, die man an der Innenseite der Oberschenkel bekommt, wenn die Beine aneinander reiben.
Dies ist kein Buch über Body Positivity. Ich werde hauptsächlich den Begriff »Fat Liberation« verwenden. Body Positivity ist ein jüngerer Trend; er kam mit Werbespots, in denen (höchstens) mollige Models bestimmte Lotionen oder Strumpfhosen verwenden. Aber der Trend hat ein paar Haken: Du darfst zwar ein bisschen dicker als Größe 40 sein, aber lieber mit Sanduhrfigur. Speck ist okay, solange er an den richtigen Stellen ist und nicht zu viel. Superdicke Menschen werden weiterhin nicht gezeigt, und der Fokus richtet sich auffällig auf Dicke, die Sport treiben oder Salat essen. Das ist der andere Haken: Du darfst dick sein, solange du wenigstens versuchst abzunehmen.
Man könnte meinen, in jüngerer Zeit wären viele Fortschritte gemacht worden, aber man kann nicht behaupten, dass diese Fortschritte den Dicken zugutekommen. Zwar gibt es mehr Fernsehwerbung, die sogenannte »echte Frauen« zeigt (gähn), aber gleichzeitig nehmen Kleiderfirmen ihre Plus-Size-Kollektionen aus den Läden, um sie nur noch online anzubieten, als wollte die Welt, dass wir immer weniger in der Öffentlichkeit existieren. Thai Airways zum Beispiel hat erst im März 2018 dicke Menschen von der Business Class ausgeschlossen.2
Zum Glück können wir durch die Sozialen Medien vieles von dem, was wir sehen, kontrollieren. Am Ende des Buchs findest du eine Liste von dicken Vorbildern und dicken Aktivist_innen, die alle Großes leisten. Aber wenn wir uns die populären Medien ansehen, die durchschnittlichen Werbespots, Frauenzeitschriften und Nachrichtensendungen, sehen wir höchstens einen vereinzelten Dicken, der mit seinen Pfunden kämpft, oder einen dünnen Menschen im Fat-Suit. Und vielleicht den Slogan einer Kosmetik-Firma – »Kauf diese Creme für echte Frauen« – mit ein paar cis Frauen, die Größe 38 oder 40 tragen. Vielleicht hat eine von ihnen kurzes Haar, um der Firma ein diverses Image zu bescheinigen. Das ist Body Positivity.
All das ist Lichtjahre von dem entfernt, wofür die ursprüngliche Fat-Liberation-Bewegung stand. Indem das Wort »Fett« durch »Körper« ersetzt wird, verlieren wir aus den Augen, was der Kern des Körperbildproblems ist: der Hass auf Fett und dicke Menschen. Wenn wir der Body-Positivity-Bewegung das Feld überlassen, erlauben wir es mächtigen Unternehmen, sich an dem Kampf zu bereichern, den Fett-Aktivist_innen seit den 1960er-Jahren geführt haben. Dabei hat Fett-Aktivismus wenig mit dem persönlichen Kampf um mehr Selbstvertrauen und gegen Dehnungsstreifen-Scham zu tun. Das Ziel ist der Abbau dickenfeindlicher Vorurteile, insbesondere die Diskriminierung auf politischer Ebene. Zum Beispiel ist es in Großbritannien3, in 49 Staaten der USA (mit Ausnahme von Michigan)4 und in den meisten anderen Ländern der Welt immer noch nicht verboten, Menschen wegen ihres Gewichts zu diskriminieren. Wir sind keine geschützte Gruppe. Dicke Menschen werden im Durchschnitt schlechter bezahlt und finden schwerer Arbeit.5 Und während es definitiv Gründe gibt, über das eigene Selbstvertrauen zu sprechen (im Kapitel ›Deinen Körper lieben‹ gehe ich ausführlich darauf ein), müssen wir uns unbedingt klarmachen und verstehen, wo die Bewegung angefangen hat. Und an die großartigen Menschen denken, die vor uns und für uns gekämpft haben.
Fat Activism entstand 1967 in den USA. Im New Yorker Central Park trafen sich fünfhundert Dicke, um bei einem »Fat-in« Eis zu essen und Diätbücher zu verbrennen.vi
1969 gründete ein Typ namens Bill Fabrey die National Association to Advance Fat Acceptance (NAAFA/Nationale Vereinigung für die Akzeptanz dicker Menschen) als Reaktion auf die Diskriminierung seiner Frau.vii Heute ist die NAAFA eine eher politisch motivierte Gruppe, aber in den 1960ern war sie eine Art Social Club für Dicke. Der NAAFA-Ortsverband in San Francisco war ein wilder Haufen toller Lesben und queerer Frauen, viele von ihnen jüdisch, die sich gegen den Dickenhass, der im Wissenschaftsbetrieb herrschte, zur Wehr setzten. Doch ihr Ansatz war der NAAFA zu dramatisch, worauf die San-Francisco-Gruppe sich abspaltete und sich ab 1972 Fat Underground nannte. Der Fat Underground prägte Sätze wie: »Eine Diät ist ein Heilmittel, das nicht funktioniert, für eine Krankheit, die es nicht gibt.«6
1983 gaben der Fat Underground und die New Haven Fat Liberation Front das Buch Shadow on a Tightrope heraus, eine Sammlung von Gedichten, Artikeln und Essays von dicken Frauen über dicke Frauen und ihr Leben, und 1985 wurde die London Fat Women’s Group in Großbritannien gegründet. Die Schlagwörter damals waren Fat Liberation, Fat Pride und Fat Power. Den Bewegungen ging es weniger um das Körpergefühl des Einzelnen. Die Kritik und der Kampf richteten sich gegen die strukturelle Unterdrückung, die Diskriminierung und die unterschwellige Dickenfeindlichkeit in der Gesellschaft (den Hass auf dicke Körper). Es war ihnen egal, ob du deine Kurven liebst; diese Leute wollten einfach nur frei sein. 1973 verfassten zwei Mitglieder des Fat Underground, Judy Freespirit und Aldebaran (a.k.a. Vivian Mayer), das Fat Liberation Manifesto, das am Ende dieses Buchs abgedruckt ist und von seiner damaligen Relevanz nichts eingebüßt hat.
Etwa zur selben Zeit wurden viele Ziele der Fat Liberation und Körperpolitik auch von Schwarzen Feminist_innen und Schwarzen Womanist_innenviii diskutiert. Dicke Schwarze Frauen mussten und müssen sich gegen Rassismus, Sexismus und Dickenfeindlichkeit wehren – gegen Angriffe wegen ihrer Hautfarbe, ihres zugewiesenen Geschlechts und ihres Körperumfangs. 1972 schrieb Johnnie Tillman in der feministischen US-Zeitschrift Ms.: »Ich bin eine Frau. Ich bin eine Schwarze Frau. Ich bin eine arme Frau. Ich bin eine dicke Frau. Ich bin eine Frau mittleren Alters. Und ich lebe von der Stütze. Wenn man in diesem Land nur eins dieser Dinge ist, zählt man weniger als ein Mensch. Wenn man alles zusammen ist, zählt man überhaupt nicht. Außer als Statistik.« 1984 veröffentlichte die guyanisch-britische Dichterin Grace Nichols den Gedichtband The Fat Black Woman’s Poems.
Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass die Bewegung, die sich mächtige Unternehmen zurzeit auf die Fahnen schreiben, ursprünglich von Frauen gegründet wurde, die überwiegend dick, jüdisch, Schwarz und queer waren. Unwahrscheinlich, dass eine von ihnen als Werbefigur für die Cremes dieser »Body-Positivity«-Firmen in Frage käme oder in einem Laden etwas zum Anziehen fände, der mit »kurvigen« Models versucht, »Body Positivity« zu signalisieren. Man hat das Wort »fat« entfernt und durch »body« ersetzt, um die Existenz dicker Menschen zu unterschlagen und den Begriff für die Kund_innen annehmbar und sexy zu machen. Dann hat man den schallenden Schlachtruf »liberation« zu »positivity« geändert, fast als wollte man sagen: »Schon gut, seid lieb, macht bloß keinen Aufstand. Immer lächeln. Immer lächeln und einigermaßen schlank bleiben.«
Wir wissen ja alle, wie gerne Frauen gesagt bekommen, dass sie lächeln sollen.
Eins muss man der Body-Positivity-Bewegung lassen: Sie hat dich wahrscheinlich zu diesem Buch geführt. Ich bin eine begeisterte Botschafterin der »Love-yourself«-Rhetorik. Ich benutze Hashtags wie #HappyFat und schreibe Kapitel mit Titeln wie »Deinen Körper lieben«. Ich stand schon auf einigen Listen von »körperpositiven Babes, denen du unbedingt auf Instagram folgen musst«. Und ich wünsche dir von Herzen, dass du deinen Körper liebst, weil es etwas Wunderschönes ist. Aber versteh mich nicht falsch – ich will, dass du deinen Körper liebst, weil ich will, dass du dich der Revolution anschließt. Damit wir eines Tages zusammen im Park sitzen, Eis essen und Diätbücher verbrennen wie unsere Vorkämpfer_innen.
Doch schauen wir nicht zu weit in die Zukunft. Dies ist das Vorwort, hier will ich es dir gemütlich machen, mich und das Thema Dicksein vorstellen und dich auf das vorbereiten, was dich erwartet. Die Revolution planen wir zum Schluss.
Als ich mit diesem Buch anfing, wollte ich vor allem in Worte fassen, wie es für mich gewesen ist, dick zu sein. Doch als ich ein paar Mal Auszüge vor kleinem Publikum vorgelesen hatte, stellte ich fest, dass ich mit meinen Gefühlen nicht allein war. Plötzlich war ich weniger einsam, und ich hoffe inständig, dass es dir beim Lesen auch so geht. Wie angekündigt gibt es auch ein ganzes Kapitel voller Rat, wie du deinen Körper lieben lernst. Wenn das kein Statement ist. Ich werde mit allen schädlichen Mythen über Dicksein und Gesundheit aufräumen, was schon viele vor mir getan haben und wahrscheinlich noch viele nach mir tun müssen. In einem eigenen Kapitel wende ich mich an meine nichtdicken Leser_innen. Dort erfahrt ihr, wie ihr euren dicken Freund_innen noch bessere Verbündete sein könnt. Ach ja, und ich wollte mich wenigstens einmal als »Bums-Lord« bezeichnen. Und ich wollte alle Leute anprangern, die mir je ans Bein gepinkelt haben, weil ich rachsüchtig und nachtragend bin und auf alten Geschichten rumreite wie mein Bruder, der mir nach zwanzig Jahren immer noch vorwirft, dass ich ihn überredet habe, seine Google-Aktien zu verkaufen, weil Google sich garantiert niemals durchsetzen würde. #YahooForever. Die entzückenden Illustrationen vor jedem Kapitel stammen übrigens von der fantastischen dicken Illustratorin Mollie Cronin.
Aber bevor du anfängst, möchte ich, dass du etwas tust, das ich beim Schreiben oft getan habe. Leg die Hände auf deinen Bauch – oder deine Schenkel oder deine Oberarme oder dein Doppelkinn oder irgendeine andere Stelle an deinem Körper, mit der du ein Problem hast – und schließ die Augen. Und jetzt knuddel dich. Flüster dir zu: »Wir kriegen das hin. Ich hab dich lieb.« Denn es kann sein, dass du in deinem Leben viele hässliche Dinge zu deinem Körper gesagt hast, und genau darum müssen wir uns kümmern. Ich möchte, dass du deinen Körper mitnimmst. Du kannst ruhig die Augen verdrehen, weil dir das alles zu schmusiwusi und wischiwaschi ist. Auch gut. Das respektiere ich. Mir wird selbst ein bisschen schlecht, wenn ich so was schreibe. Aber versuch es trotzdem ein paar Mal im Lauf dieses Buchs und denk vielleicht darüber nach, warum uns die simple Übung, uns selbst und unserem Körper Zuneigung zu zeigen, so schwer fällt. Wir haben einen langen Weg vor uns.
Also gut.
Willkommen in meinem Buch. Ich hoffe, es gefällt dir hier. Wir kriegen das hin.
TEIL EINS
Wie es ist, dick zu sein
Aber eigentlich geht es ziemlich viel um mich
1
Mein dicker Körper
Ich war ein Kind
Ich war ein schönes Kind. Das sage ich mir oft. Je nach Laune lege ich die Betonung auf die verschiedenen Satzteile. Ich war ein schönes Kind. Ich war ein schönes Kind. Wenn ich Fotos von mir als kleines achtjähriges Mädchen sehe, mit haselnussbraunem Haar, braunen Augen und einem breiten Lächeln auf dem kleinen dicken Gesicht, in meinem Superman-Anzug, die geballte Faust zum Himmel gereckt, mit runden Apfelbäckchen und funkelnden Augen, denke ich automatisch an die Krankenschwester, die meiner Mutter sagte, ich sei zu dick und müsse abnehmen, weil »Übergewicht gefährlich« sei. Begründet durch nichts als mein Aussehen – ohne medizinische Untersuchungen oder Tests. Ohne irgendwas über mein Leben oder meine Ernährung zu wissen. Ich kann dir sagen: Es war nicht gefährlich. Ich war ein Kind. Ich war ein schönes Kind. Mein Körper war gut so, wie er war. Ich war mitten in der Entwicklung. Und was viel wichtiger war, ich empfand keine Scham. Die Scham hat erst diese Krankenschwester in mein Leben gebracht.
Meine Mutter war mit uns zwei Kindern allein. Als sie mir erklärte, dass mein Vater uns verlassen würde, weinte ich. Durch Rotz und Tränen schluchzte ich: »Nimmt er mein Spielzeug mit?«, und sie sagte überrascht: »Nein. Natürlich nicht.« Da hörte ich auf zu weinen. Meine Mutter hat mir diese Anekdote erzählt. Ich erinnere mich nicht daran. Es passierte, als ich fünf war – es war das zweite Mal, dass mein Vater uns verließ. Er war schon einmal abgehauen, als ich zur Welt kam. Nach fünf Jahren war er zurückgekommen, hatte meine Schwester gezeugt und sich wieder aus dem Staub gemacht. Wie ein lästiger Bumerang.
Mit einem Mal war Essen etwas, das kontrolliert wurde. Das war der eigentliche Anfang meiner Essensprobleme. Ich war fünf. Die Geburt meiner Schwester war kompliziert, und sie musste drei Wochen lang im Brutkasten liegen und künstlich ernährt werden. Meine Schwester war von Anfang an klein und dünn. Während ihrer ersten zehn Lebensjahre rieten die Ärzt_innen meiner Mutter, ihr fettreiches Essen zu geben, weil sie zu dünn sei. Meine Schwester hasste essen und wollte viel lieber spielen und herumspringen. Gleichzeitig sagten die Ärzt_innen meiner Mutter, dass ich kein Junkfood mehr essen dürfe und mehr spielen und herumspringen solle. Dabei wollte ich viel lieber essen.
Ich wurde dazu gebracht, peinlich genau auf meinen Körper und sein Gewicht zu achten, mir der Mängel meines Körpers bewusst zu sein – und somit der Tatsache, dass ich so falsch war, dass ich zu dick war. Es war ein schreckliches Gefühl. Aber ich fand ein Gegenmittel: viel essen. Also aß ich so viel, bis ich nichts mehr spürte.
Als mein Vater zum zweiten Mal ging, ließ er meine Mutter mit zwei Kindern sitzen, von denen eins zu dünn und eins zu dick war. Sie hatte keine Ahnung von Ernährung und auch kein Interesse daran, auch nicht das Geld, die Zeit und die Energie, sich damit zu beschäftigen, aber dafür eine Menge Druck auf den Schultern, die »perfekte alleinerziehende Mutter« zu sein. Sie fand keine Lösung. Sie gab ihr Bestes: Sie setzte meiner Schwester fettes Essen vor und mir Salat. Doch wenn sie eine Sekunde nicht hinsah, rannte meine Schwester zu ihren Spielsachen, und ich stopfte mich mit ihrem fetten Essen voll.
Ich fand immer einen Weg, etwas zu essen zu finden. Bei meinen Großeltern bekam ich so viel Süßes, wie ich wollte. Ich erinnere mich, wie meine Mutter meine Großeltern am Telefon anflehte, sich an den Speiseplan der Schul-Krankenschwester zu halten. Doch meine Großmutter sagte: »Sie ist mein Enkelkind, ich kann nicht nein sagen«, und von da an wusste meine Mutter, dass sie wenig Einfluss darauf hatte, was ich dort bekam.
Meine Großeltern, das sind die Mutter meiner Mutter und mein Stiefgroßvater. Da ich meinen Vater kaum kannte, hatte ich auch so gut wie keinen Kontakt zu seiner Seite der Familie. Als meine Mutter allein mit uns war, zog sie in das kleine Örtchen Søndersø. Soweit ich mich erinnere, gab es nur eine Straße, ein paar Häuser und eine Schule. Und eine Kartoffelchips-Fabrik.
Viele meiner Erinnerungen an Søndersø drehen sich um Essen. In der Bäckerei gab es die weichsten Sandwiches mit Käse, gekochtem Schinken und jeder Menge Mayonnaise. In der Tankstelle am Ortsrand gab es ein Süßigkeiten-Regal, wo man sich die Süßigkeiten selbst mischen konnte, und die roten Himbeer-Weingummis schmeckten nach Sommer. Ich habe noch die Schimpftirade meiner Mutter im Ohr, als sie herausfand, dass ich mich dort eindeckte, obwohl ich auf Diät war. In der Schule gab es Bagels, die innen so weich wie Marshmallows waren. Ich erinnere mich mit einer eigenartigen Zärtlichkeit an das Essen meiner Kindheit in Søndersø – weil ich mich nicht an den Geschmack erinnere, sondern an die süße Erleichterung, meine schlechten Gefühle loszuwerden, indem ich mich vollstopfte.
Auch viele der Erinnerungen an meine Großeltern haben mit Essen zu tun. Sie wohnten in einem Dorf namens Skambyi, nur ein paar Kilometer von Søndersø entfernt. Skamby hat ungefähr vierhundert Einwohner_innen. Und wenn man in Skamby wohnt, kennt man Namen, Beruf und Stammbaum von all diesen Einwohner_innen. Mein Großvater vertrieb sich die Zeit damit, am Fenster zu sitzen und die Straße zu beobachten. (Die Straße. Die Straße in Skamby. Es gibt nur eine.) Er saß da und sah hinaus und kommentierte jeden, der vorbeikam. Oh, ist das die Metzger-Tochter? Ich dachte, die arbeitet bis vier. Ach, da ist Gretha. Klar. Heute ist Dienstag. Sie war beim Strick-Club. Das alles tat er, ohne einmal in den Spiegel zu sehen und zu sagen: Mein Gott, bin ich langweilig. Das soll mein Leben sein?
Die emotionale Währung bei meinen Großeltern war Essen. Es gab sechs Mahlzeiten am Tag. Frühstück, Vormittagssnack, Mittagessen, Kaffee und Kuchen, Abendessen und ein später Fernseh-Snack. Meine Großmutter backte jeden Tag. Sie machte die luftigsten Butter-Brötchenii, Zimtschnecken, Kekse und Brot. Ich durfte ihr oft helfen, und am Ende stürzte ich mich auf die Schüsseln mit den Teigresten, die ich restlos ausleckte – die siebte Mahlzeit an meinem Tag. Aus Essen wurde Gefühl, und aus Gefühl wurde Essen. Köstliches Essen. Butter in und auf und über allem. Saftiges Fleisch, salzig genug, um eine ganze Familie für den Rest ihres Lebens zu dehydrieren. Kartoffeln, so viele Kartoffeln. Gemüse nur, wenn man es karamellisieren konnte. Soße, die aus brauner Sahne mit noch mehr Butter bestand. Wir mussten immer den Teller leer essen, und wenn mein Großvater sagte: »Nimm noch was, deine Großmutter hat sich so viel Mühe gemacht«, mussten wir noch einen Nachschlag nehmen. Es gab immer unendlich viel, und wir konnten nie genug essen.
Essen war das Mittel, um Liebe und Strafen zu verteilen, und bald gewöhnte ich mir ab, auf mein Bauchgefühl zu hören. Mein Großvater kaufte Teilchen, Süßigkeiten, Kuchen und Eis für mich und machte irgendwie eine Liebeserklärung daraus. Ich erinnere mich an ein riesiges Tortenstück, das ich nicht essen wollte. Sein Gesicht fiel zusammen, und er wimmerte fast: »Ich habe es für dich gekauft, weil ich dich so liebhabe.« Also musste ich die Torte essen. Ich muss ungefähr fünf gewesen sein (ziemlich früh, um zu lernen, den eigenen Appetit zu ignorieren und die eigenen Grenzen zu missachten).
Wir hatten ein Ritual: Mein Großvater nahm mich mit in den Keller, klappte die Tiefkühltruhe auf, und ich durfte mir ein Eis aussuchen. Das erhabene Geräusch, wenn der Truhendeckel aufging, wurde in meinem Kopf von einem Chor Harfe spielender Engel begleitet. Im Dampf, der aus der Truhe stieg, funkelte in meiner Erinnerung goldener Glitzer. Da war so viel Eis. Eis in kegelförmigen Waffeln und in schiffchenförmigen Waffeln, Eis am Stiel, verschiedene Sorten Eis in Plastikwannen, Pfefferminz, Schokolade, Vanille, Karamell, Erdbeer, Toffee, Pistazie, Keks-Eis und jeder erdenkliche Schokoriegel als Eis. Wenn ich mich auf die Zehenspitzen stellte und mich mit meinen kleinen Pummel-Händen am Truhenrand festhielt, blickte ich direkt ins Schlaraffenland.
Doch für meinen Großvater ging es nicht um das Eis. Es ging um die Tatsache, dass er den Deckel hielt, dass er mich in den Keller brachte und er mich das Eis aussuchen ließ. Auf meine kindliche Art war mir überaus bewusst, wie dankbar ich ihm zu sein hatte. Selbst wenn ich an diesem Tag kein Eis gewollt hätte, hätte ich es wohl kaum bemerkt. Ich wusste, wenn ich das Eis ablehnte, würde mein Großvater mich mit einem enttäuschten Blick aus seinen großen, traurigen Augen bestrafen. Er würde seufzend nach oben gehen, sich im Dunkeln in den Sessel setzen und aus dem Fenster starren. Er würde stundenlang schweigen. Meine Großmutter würde sich hektisch die Hände an der Schürze abwischen und zu mir sagen: »Geh zu ihm, bitte, rede mit ihm und entschuldige dich«, verzweifelt versuchend, solche Dramen im Haus ihres Mannes zu unterbinden. Woraufhin ich als Fünfjährige die Schuld, meinen Großvater traurig gemacht zu haben, auf mich nehmen und mich bei ihm entschuldigen musste. Und um ein Eis betteln musste, das ich nicht wollte. Bis er endlich wieder lächelte und mir das Eis gab. Meine Großmutter und ich seufzten erleichtert. Die Katastrophe war abgewendet, wenn auch nur knapp. Mein Gewissen hatte gegen mein Bauchgefühl gekämpft und gewonnen. Ich hatte gelernt, dass ich nicht gleichzeitig auf meinen Körper hören und die Gefühle meines Großvaters achten konnte.
Wenn ich zurück nach Hause kam, unterzog meine Mutter mich einem Verhör, um herauszufinden, was ich gegessen hatte. Sie versuchte immer noch, den ärztlichen Empfehlungen zu folgen, und hielt streng Diät mit mir, aber sie sah die Soßenflecken auf meinem T-Shirt und die Butter in meinem Gesicht. Sie war eine erschöpfte, alleinerziehende Mutter, die wahrscheinlich das Gefühl hatte, sie hätte keine Autorität ihrer Tochter gegenüber. Also motivierte sie mich verzweifelt, abzunehmen, weniger zu essen, mich gegen meine Großeltern durchzusetzen – die sich rächten, indem sie mir einredeten, sie fütterten mich, weil sie mich liebhatten, womit sie andeuteten, wenn ich nicht aufaß, liebte ich sie nicht zurück. Es waren viele starke negative Gefühle im Spiel. Glücklicherweise war Essen immer noch das perfekte Betäubungsmittel.
Irgendwann wurde Essen zum Zwang. Ich musste essen. Ich musste so viel essen, bis ich nichts mehr spürte. Ich war acht. Ich war ein wunderschönes Kind.
In der Schule fand ich heraus, dass ich mir von meinen Schulkamerad_innen Geld leihen konnte, um mir in der Cafeteria Kuchen zu kaufen. Weil meine Mutter nicht wollte, dass ich als Achtjährige Schulden hatte, musste sie mir das Geld geben, damit ich es den anderen zurückzahlen konnte. Ich gab es für noch mehr Süßigkeiten aus.
Meine Mutter besorgte Videokassetten mit Titeln wie Buns of Steel, auf denen eine dünne weiße Frau vor der Kamera Aerobic machte und ermutigende Kommentare abgab. Meine Mutter und ich schoben die Möbel zur Seite und machten die Übungen im Wohnzimmer nach. Ich hasste es. Ich hasste meinen Körper, und jetzt sollte ich mit ihm zusammenarbeiten. Ich wünschte ihn weg. Ich wollte nichts von seiner Existenz wissen. Aber beim Herumhüpfen war mir seine Existenz nur zu bewusst, und wie sehr ich ihn hasste. Gegen den Selbsthass half, noch mehr zu essen. Meine Mutter war verzweifelt.
Ich hasste hasse Schulsport. Ich dissoziierte mich von meinem Körper. Mein Körper war zu dick, zu viel, zu eklig. Und dann wollten sie mich in Shorts und T-Shirt stecken und verlangten, dass ich spürte, wie er sich bewegte? Nein. Nein, danke. Ich wollte meine Worte und meine Intelligenz benutzen – alles außer meinen Körper, der mein Feind geworden war. Er war der Grund für meinen ständigen Stress (Hallo!? Ich war acht!) und meine Traurigkeit. Ich versuchte jede Woche, um den Sportunterricht herumzukommen.iii Jede Woche. Meine Sportlehrerin war eine grauenhafte Person.
Sie weigerte sich, meinen Entschuldigungen zu glauben. Sie glaubte mir nicht, dass ich mir den Knöchel verstaucht hatte. Als ich sagte, ich hätte meine Tage (Gute Ausrede, achtjährige Sofie!), zwang sie mich, es laut vor der ganzen Klasse zu sagen. Dann zog sie mir vor allen die Hose und die Unterhose herunter und sagte: »Seht ihr?«
Ich hasste es, mit den anderen zu duschen. Also sagte ich, ich hätte einen steifen Nacken. Worauf sie mich vor meinen Klassenkameradinnen anbrüllte, die alle schon geduscht und angezogen waren. Die anderen wollten zum Mittagessen, aber die Sportlehrerin ließ niemanden gehen, bis ich geduscht hatte. Ich weiß noch, wie sie mir vor allen die Kleider herunterriss und mich in die Dusche stieß.
Wegen solcher Erfahrungen habe ich meine Erinnerungen an den Sportunterricht weitgehend verdrängt. Ich erinnere mich nur noch an kleine Ausschnitte. Ich erinnere mich ans Laufen. Ich erinnere mich ans Laufen, weil ich von drei Jungs mit einem Baseballschläger gejagt wurde. Irgendwann gab ich auf, rollte mich ein, hielt die Hände schützend über den Kopf und versuchte nicht zu heulen, während die Jungs auf mich einschlugen und mich verspotteten. Ich erinnere mich, wie ich aufsah und die Sportlehrerin lachte.
Ich träume heute noch davon, ihre Adresse herauszufinden und ihr einen kleinen Besuch abzustatten. Ich will ihr in die Augen sehen und als Erwachsene mit ihr sprechen, mit einem größeren Wortschatz und Verständnis davon, was richtig und was falsch ist. Ich möchte in dem Körper, den sie hasste, vor ihr stehen und für mich als Kind eintreten und ihr sagen, dass sie ein schrecklicher Mensch war. Ich würde zu ihr sagen: »Ich war ein schönes Kind. Ich war ein schönes Kind. Ich war ein schönes Kind.«
Selbsthass ist ein sehr starkes Gefühl. Wenn du dich als Ganzes hasst – deinen Körper, deine Unfähigkeit, deinen Körper zu ändern –, bleibt nur wenig übrig. Plötzlich ist das Leben ziemlich schwer. Dann ist es wie eine Befreiung, wenn du einen Auslöser für deine negativen Gefühle identifizierst. Du fantasierst darüber, alten Damen Besuche abzustatten und sie aufs Gröbste zu beschimpfen wegen Dingen, die vor über zwanzig Jahren passiert sind. Objektiver und empathischer betrachtet hatte meine alte Sportlehrerin wahrscheinlich ihr eigenes Päckchen zu tragen. Der Hass auf dicke Körper ist gesellschaftlich verankert, und ihr wurde der Dickenhass genauso eingetrichtert wie meinen Ärzt_innen, meinen Mobber_innen und meiner Mutter. Wir werden mit Dickenhass geimpft, sobald wir alt genug sind, um zu verstehen, was um uns herum passiert. Und wenn wir nichts dagegen tun, tragen wir ihn weiter.
Laut einer Studie von Common Sense Media denken die Hälfte der Mädchen und ein Drittel der Jungen im Alter von sechs bis acht Jahren, der Idealkörper sei dünner als ihrer. Es gibt Fünfjährige, die mit ihrem Körper unzufrieden sind. Wenn Kinder zwischen fünf und acht erleben, dass ihre Mutter mit ihrer Figur hadert, werden sie mit höherer Wahrscheinlichkeit später selbst mit ihrer Figur unzufrieden sein.7 Ein Artikel im Journal of Applied Developmental Psychology von 1998 stellt fest, dass schon bei Dreijährigen eine Stigmatisierung von Körperfülle stattfindet und das »kulturelle Stereotyp ›dick gleich schlecht‹ quer durch die Geschlechter zu finden [ist], unabhängig vom Körperbau des Kindes«.8
Teenager
In meiner Teenager-Zeit verschlechterte sich mein Verhältnis zu meinem Körper weiter. Es wurde zur Routine. Montags begann ich mit einer neuen Diät, und ein paar Tage lang – manchmal sogar mehrere Wochen – half mir das Adrenalin bei dem Gedanken Endlich werde ich abnehmen durch den Hunger und die Verzweiflung, bis ich schließlich doch aufgab und mich vollstopfte, um meine Enttäuschung von mir selbst zu ersticken. Dann wartete ich bis zum nächsten Montag und begann mit einer neuen Diät. Für jedes Scheitern gab ich mir die Schuld und war fest davon überzeugt, dass meine Unfähigkeit, eine Diät durchzuhalten, ein Zeichen von Schwäche, Faulheit und Dummheit sei. Außerdem war ich immer noch dick. Was das Allerschlimmste war, was ein Mensch sein konnte.
Ich war wie besessen von der Suche nach der neuesten Diät. Ich weiß noch, wie ich vor Freude in die Luft boxte, als ich hörte, dass Jay McGraw, der Sohn des Fernsehmoderators Dr. Phil, ein Diätbuch geschrieben hatte. Ich versuchte die Atkins-Diät, die Atkinson-Diät, SlimFast (ein widerliches braunes Pulver, das mit Wasser angerührt eine Mahlzeit ersetzt), die Mental-Diät (»Du nimmst ab, wenn du dein DENKEN änderst.«), die 5:2-Diät (»friss und faste«), Weight Watchers, Slimming World, die »Nach-17:00-Uhr-nichts-essen-Diät«, die »Bis-14:00-Uhr-nur-Obst-essen-Diät«, die No-Carb-Diät und viele, viele mehr. Neulich habe ich im Keller meiner Mutter 32 Diätbücher gefunden, ein unheimlicher Schrein für die dünnen Gesundheits-Gurus mit den zu weißen Zähnen. Ich habe es mit Karate, Schwimmen, Joggen, Spinning, Tennis, Badminton, Tanzen, Power-Walking, Pilates und Aerobic versucht … Ich hatte Heimtrainer, Pilates-Bälle, Stepper und jede Fitness-Videokassette, die je produziert wurde. Mit sechzehn hatte ich die Nase voll vom ständigen Hungern und Überfressen und versuchte, mir nach jeder Mahlzeit den Finger in den Hals zu stecken. Ich versuchte mit Absicht, Bulimie zu bekommen, obwohl ich genau wusste, dass Bulimie eine schrecklich gefährliche Krankheit ist. So weit war es gekommen. Obwohl ich wusste, dass Essstörungen furchtbare Folgen haben können und häufig zu Unfruchtbarkeit, lebenslangen Gesundheitsproblemen, einem gestörten Verhältnis zum Essen und manchmal zum Tod führen, war mir all das lieber, als dick zu bleiben.
Ich fing an, viermal die Woche ins Fitnessstudio zu gehen. Ich stand morgens um 4:00 Uhr auf, war um 6:00 Uhr im Fitnessstudio, machte eine Stunde Sport und ging um 8:00 Uhr in die Schule. Auf dem Schulweg war mir so flau von meinem Frühstücksapfel, dass ich zur Bäckerei ging und mir eine riesige Zimtschnecke und eine Schokomilch kaufte. Den Rest des Tages verschlief ich Mathe und träumte von der Pizza, die ich nach der Schule in mich reinstopfen würde.
Mir blieb die Ironie meines Versuchs, eine Essstörung zu bekommen, nicht verborgen. Mit achtzehn hörte ich zum ersten Mal von der Binge-Eating-Störung. Der Grund, warum niemand davon wusste, war, dass damals in Dänemark Binge-Eating noch nicht als Essstörung registriert war. Ich war vor allem erleichtert. Es gab ein Wort dafür. Es gab ein Wort dafür, dass ich mich täglich mit Kohlenhydraten und Zucker vollstopfte. Nicht, dass ich deswegen damit aufhörte. Aber wenigstens fühlte ich mich nicht mehr so schuldig. Ich machte weiter mit dem Binge-Eating, und ich machte weiter mit den Diäten.
Als Teenager war ich voller Wut, aber meine Wut war fehlgeleitet. Ich hasste schöne Menschen. Der Selbsthass, der Hass auf meinen Körper und seine Existenz in der Welt, war so stark geworden, dass ich ihn umlenken musste, um nicht daran zu ersticken. Also projizierte ich ihn auf dünne und konventionell schöne Menschen. Die einzigen, denen ich ihr Dünnsein und ihre Schönheit vergeben konnte, waren die, die sich ehrlich dafür schämten. Am besten hätte jeder dünne Mensch an meiner Schule morgens zu mir kommen und sich persönlich dafür entschuldigen müssen, dass er vom Schicksal ein besseres Blatt bekommen hatte als ich. Aber wenigstens sollten sie Mitleid mit mir haben und anerkennen, dass ich mir wirklich Mühe gab, so auszusehen wie sie.
Mit siebzehn mussten wir in der Schule Dornröschen analysieren. Ich ließ meine geballte Wut auf dieses Märchen los. Ich schrieb, dass Dornröschen und all die anderen dürren, schönheitsprivilegierten, seelenlosen Gerippe sich ficken und die Fresse halten sollten. Ich schrieb ungefähr: »Schöne Leute bekommen sogar im Schlaf mehr Aufmerksamkeit als hässliche Leute – was sollen wir tun, jonglieren lernen?iv Ende.«
Dünne Menschen hatten einfach keine Ahnung. Zur Strafe musste ich einen weiteren Aufsatz schreiben. Thema: »Nachteile der Schönheit« – Ich hätte der Lehrerin fast ins Gesicht gespuckt.
Ich war stinksauer. Ich stampfte auf, als ich aus der Klasse kam. Schlug die Tür hinter mir zu. »Nachteile der Schönheit.« Am liebsten hätte ich dreitausendmal »KEINE« auf ein Blatt geschrieben und abgegeben. Aber wenn es eines gab, das ich noch mehr hasste als schöne Frauen, dann waren es schlechte Noten.
Ich setzte mich hin, öffnete den MSN Messengerv und schickte eine Nachricht an alle schönen Leute, die ich kannte. Sandy, die Model war, war so alt wie ich und hatte einmal zu mir gesagt, sie wäre gern mit mir zusammen. Ich hatte ihr ins Gesicht gelacht. Toller Witz, Sandy. Ist dir nicht aufgefallen, wie ich neben dir aussehe? Sie war die erste einer Reihe von Models, die ich zurückweisen sollte, weil ich das Gefühl hatte, ich wäre es nicht wert, von ihren Genitalien berührt zu werden.vi vii Ich schrieb auch an jemanden, den ich aus einem Internetforum kannte. Einem Typen mit markanten Wangenknochen. Und ein paar anderen.
»Was ist der Nachteil, wenn man schön ist?«, fragte ich sie alle. Und wartete. Sie antworteten überraschend zögerlich, aber keiner von ihnen bestritt, dass er schön war.
»Das Schlimmste ist«, schrieb einer der Schönen von meiner MSN-Messenger-Chatliste, »dass sich Frauen nie mit mir anfreunden, einfach nur, um befreundet zu sein. Am Ende verlieben sich alle in mich. Und dann muss ich sie verletzen. Ich weiß, es klingt bescheuert, aber es tut mir echt weh. Ich mag sie sehr, nur eben nicht so. Und das verletzt sie.«
Ich wollte Einspruch erheben, aber er hatte mit solcher Offenheit und Verletzlichkeit geantwortet, dass er mir unwillkürlich sympathisch war. Wäre er mit dem Schild »Hab Mitleid mit mir« um den Hals durch die Tür gestürmt und hätte mir dieselbe Geschichte erzählt, hätte ich ihn wahrscheinlich hochkant aus dem Fenster geworfen. Aber ich hatte ihn nach seinen Gefühlen zu dem Thema gefragt. Er hatte noch nie darüber geredet. Er wusste, wie er klang.
»Ich werde immer für unintelligent gehalten. Keiner nimmt mich ernst«, erklärte jemand anderes.
»Ich habe nie mehr zu bieten als mein Aussehen«, lautete die nächste Nachricht auf meinem Desktop.
»Ich finde nur schwer echte Freunde. Wenn ich über den Witz des Partners einer Freundin bzw. eines Freundes lache, wirft man mir sofort vor, ich würde versuchen, ihn der Person auszuspannen. Wenn ich höflich bin, bin ich künstlich. Wenn ich fies bin, bin ich arrogant. Leute sagen mir ins Gesicht, dass sie mich nicht leiden können. Sie denken, sie hätten das Recht dazu, als wäre ich ihnen irgendwas schuldig. Aber ich habe mir mein Aussehen auch nicht ausgesucht«, schrieb eine Frau.
Ich fasste alles zu einem Aufsatz zusammen, den ich am nächsten Tag mit schlechtem Gewissen abgab. Danach fühlte ich mich leer. Ich hatte einen Sack voll Wut und wusste nicht wohin damit. Irgendwer musste doch schuld daran sein, wie ich mich fühlte. Das Beste, was mir zu diesem Zeitpunkt hätte passieren können, wäre gewesen, dass die Lehrerin mich gezwungen hätte, noch einen weiteren Aufsatz über den Kapitalismus und die Schönheitsnorm zu schreiben. Aber von diesem Zusammenhang erfuhr ich erst Jahre später. Mein irrationaler und unfairer Hass auf schöne Menschen ließ sich nicht kampflos abschütteln.
Neid auf schöne Menschen ist nachvollziehbar. In den Augen der Gesellschaft schön zu sein, bringt Privilegien.