Einleitung

Diese neunundzwanzig Aufsätze sollen keinen Bericht und keine Schilderung der Washingtoner Konferenz enthalten. Sie geben lediglich die Eindrücke und Gedanken eines Teilnehmers an der Konferenz wieder. Sie zeigen die Wirkung dieser Versammlung auf einen Menschen, der ganz erfüllt ist von dem Gedanken an einen organisierten Weltfrieden, sie berichten von Phasen der Begeisterung, der Hoffnung, des Zweifels, der Enttäuschung und der Gereiztheit. Sie tragen das Datum ihrer Niederschrift und sind kaum wieder durchgesehen worden, außer um hier und da ein Wort oder einen Satz zu verbessern. In allem wesentlichen sind die Aufsätze so gelassen worden, wie sie in der »New York World«, der »Chicago Tribüne« und den anderen amerikanischen und europäischen Zeitungen zuerst veröffentlicht wurden. Es sei darauf hingewiesen, daß es dem Unternehmungsgeist und der treibenden Energie der »New York World« zu danken ist, daß sie überhaupt geschrieben wurden. Aber trotz der täglichen Veränderungen, in Stimmung und Auffassung, wie sie unter diesen Umständen unvermeidlich waren, erzählen sie doch eine zusammenhängende Geschichte; sie berichten von dem Wachstum und der Entwicklung der Überzeugung, was getan werden kann und getan werden muß, wenn unsere Kultur vor der Gefahr, die ihr droht, gerettet und wieder auf den Weg des Fortschritts gebracht werden soll. Sie berichten – und zwar in sehr wohlwollendem und beistimmendem Sinn – über die Geburt und das Heranwachsen des Gedankens eines »Völkerverbandes«, des Harding-Gedankens der Weltversöhnung, und sie verzeichnen die besonderen Umstände dieser Geburt; sie untersuchen die Hauptschwierigkeiten auf seinem Wege zur Verwirklichung. Nach der Überzeugung des Autors ist dieser Plan die praktischste und hoffnungsvollste Methode, die bisher vorgeschlagen wurde, um das Rätsel der Sphinx zu lösen.

H. G. Wells.

I. Die Größe der Aufgabe und die Kleinheit der Menschen

Washington, den 7. November

Die Konferenz, welche in diesen Tagen nominell zur Verhandlung der Abrüstungsfrage in Washington zusammentritt, kann zu einem der wichtigsten Ereignisse der Weltgeschichte werden. Sie kann einen Wendepunkt im Geschick der Menschheit bedeuten, aber sie kann auch verzeichnet werden müssen als einer der letzten vergeblichen Versuche, das Unheil und die Vernichtung abzuwenden, die unserem Geschlechte drohen.

Im August 1914 fand ein Zeitalter des unsicheren Fortschrittes und des ungewissen Wohlstandes sein Ende. Damals, als in der denkwürdigsten Sommernacht der Geschichte der lang gehegte Militarismus seine Schranken durchbrach und das kleine belgische Dorf Visé in Flammen aufging, hieß es: »Die Katastrophe ist da.« Aber die meisten konnten sich doch kaum vorstellen, welcher Art diese Katastrophe war. Sie dachten wohl im allgemeinen an die Wunden, das Morden und die Feuersbrünste, welche der Krieg mit sich bringt, und sie glaubten, wenn endlich der Krieg vorüber sei, würden wir unseren Verlust berechnen und dann ungefähr so weiterleben, wie wir bis zum Jahre 1914 gelebt hatten.

Ebensogut hätte ein kleiner Kaufmann, der nächtlicherweile seine Frau ermordet hätte, erwarten dürfen, daß er am nächsten Morgen zu seinem »gewohnten Geschäftsbetrieb« würde zurückkehren können. Der »gewohnte Geschäftsbetrieb« – business as usual – das war das Schlagwort im England von 1914; unter allen Schlagwörtern der Welt enthält dieses jetzt die bitterste Ironie.

Die Katastrophe von 1914 ist noch in vollem Gange. Sie nimmt kein Ende; sie wächst und breitet sich aus. In diesem Winter werden durch den Zusammenstoß von 1914 mehr Menschen Namenloses erleiden, werden mehr Menschen zugrunde gehen als im ersten Jahre des Krieges litten und starben. Es ist wahr, daß der innere Zusammenbruch Rußlands im Jahre 1917 und der Mangel an Lebensmitteln und an Munition in Mitteleuropa seit 1918 eine gewisse Verminderung und Schwächung der kriegerischen Anstrengungen unserer Rasse veranlaßt haben und daß die nichtige Konferenz von Versailles, die vorgab, alles in Ordnung zu bringen, nichts in Ordnung brachte. Das war aber kein Ende der Not, wie es auch nicht als das Ende der Not anzusehen wäre, wenn ein aufrechtstehender Mensch, der die entsetzlichsten Wunden empfangen hätte, zusammenbräche, um sich blutüberströmt im Staube zu winden. Das wäre nur eine andere Phase der Not. Seit 1919 sind die Wunden unseres Geschlechtes nicht geheilt, aber wir sind zu der Erkenntnis der erlittenen Wunden gelangt.

Das größte Unheil, das uns betroffen hat, ist der allmähliche wirtschaftliche Niedergang, dessen Größe wir erst jetzt zu ahnen beginnen. Dieser Niedergang kommt einem vollkommenen Zerfall aller Kräfte gleich, der immer weiter um sich greift. In einer Zeit des allgemeinen Mangels wird die Produktion mehr und mehr gehemmt, und diese Lähmung der Produktion ist eine Folge des Zusammenbruchs unseres Geldsystems, welches bisher durch das ehrliche Zusammenwirken der Regierungen erhalten wurde. Die Schwankungen im wirklichen Werte des Geldes werden immer stärker und sie erschüttern und verheeren den ganzen Aufbau des sozialen Zusammenwirkens.

Unsere Zivilisation ist im wesentlichen ein Geld- und Kreditsystem, das abhängt vom allgemeinen Zutrauen zu dem Werte des Geldes. Jetzt aber verrät und betrügt uns dieses Geld. Wir arbeiten um Lohn und man gibt uns unsichere Papiere. Niemand wagt mehr lange Verträge zu schließen, niemand kann bestimmte Abkommen über Lohnverhältnisse treffen, niemand weiß, was 100 Dollars oder Franken oder Pfunde in zwei Jahren wert sein werden.

Wozu sparen? Wozu irgend etwas voraussehen? Geschäft und Arbeit werden unmöglich. Wenn das Geld nicht wieder zu Ehren und Ansehen gebracht werden kann, wird unser wirtschaftliches und soziales Leben sich immer weiter zersetzen. Diese Wiederherstellung des Geldes kann aber nur durch die vereinten Anstrengungen der ganzen Welt zu Wege gebracht werden.

Aber eine solche Weltanstrengung zur Wiederherstellung des Geschäftsbetriebes und der allgemeinen Wohlfahrt ist nur möglich zwischen Regierungen, die in ehrlichem Frieden miteinander leben. Infolge des Versagens von Versailles ist ein solcher ehrlicher Frieden nicht zustande gekommen. Überall bewaffnen sich die Regierungen, vor allem die von Japan und Frankreich. Inmitten des gegenwärtigen Zersetzungsprozesses bereiten sie neue Kriege vor, Kriege, die nur einen Enderfolg haben können – die Weiterausbreitung der Hungersnot und des sozialen Zusammenbruchs, die Rußland schon verschlungen haben, auf die übrige Welt.

In Rußland, in Österreich, in vielen Teilen von Deutschland ist dieser soziale Verfall in tatsächlichen Ruinen sichtbar, in unbrauchbar gewordenen Eisenbahnen und verdorbenen Maschinen und ähnlichen Geräten. Aber selbst in Westeuropa, in Frankreich und England, sind die Verarmung und der Rückgang für jeden sichtbar, der sich eines scharfen Gedächtnisses erfreut.

Neulich richtete mein Freund Charlie Chaplin nach zehnjähriger Abwesenheit seine scharf beobachtenden Augen auf London.

»Die Leute lachen nicht mehr und sind nicht mehr so sorglos wie früher,« sagte er. »Es ist nicht das London, dessen ich mich erinnere. Die Menschen sind bedrückt. Es lastet etwas auf ihnen.«

Ich, der ich von Europa nach Amerika komme, bin erstaunt über die scheinbare Lebenskraft und die Üppigkeit von Neuyork. Die Stadt scheint eine unerschöpfliche Vitalität zu besitzen. Aber diese hochragende, donnernde, übervolle Stadt mit ihrem brausenden Verkehr und ihren Menschenmassen, dergleichen ich noch nie gesehen, ist schließlich doch nur die europäische Tür Amerikas; sie zieht dieses überflutende und staunenswerte Leben aus dem Handel, aus einem Handel, dessen Wurzeln im Absterben sind.

Wenn man Neuyork beobachtet, wundert man sich über die Zuversicht dieser Stadt; wenn man nachdenkt, bemerkt man die ungeheure Gefahr, der sie entgegengeht. Sie lebt – genau wie London – durch ein gewisses Beharrungsvermögen weiter. Mit Ausnahme von London etwa scheint mir die Lage von Neuyork als die gefahrdrohendste von allen. Was soll mit diesen ungeheuren Menschenmengen geschehen, wenn der Handel, der sie ernährt, nachläßt? Denn er wird nachlassen, wenn der Niedergang des europäischen Geldes und des europäischen Geschäftsbetriebes nicht aufgehalten werden kann, d. h. wenn die Lösung des Weltproblems von Handel und Kredit nicht als eine Weltangelegenheit betrieben werden kann.

Unser Wirtschaftsleben, unsere Zivilisation, wie sie in den großen Städten verkörpert ist, zersetzt sich und bricht zusammen unter dem Druck der modernen Kriegsdrohung und dem Mangel an Einheitlichkeit in der Verwaltung unserer Angelegenheiten.

Dies ist im allgemeinen die Lage der heutigen Menschheit; dies ist die Lage, die ungeheure und gefahrschwangere Lage, zu deren Beratung Präsident Harding, der Führer und Wortführer des jetzt mächtigsten und einflußreichsten Landes, die Vertreter fast aller Nationen nach Washington berufen hat. Mag immerhin die kleinliche Schlauheit der Diplomaten die Verhandlungsgegenstände durch Modifikationen und Einschränkungen belasten, die einfache Vernunft der gesamten Menschheit wird darauf bestehen, daß die Hauptfrage, welche zur Diskussion steht, lautet: »Was sollen wir tun, wenn überhaupt irgend etwas getan werden kann, um das Hintreiben auf dauernde Kriegsvorbereitungen und Kriege und den endlichen sozialen Zusammenbruch aufzuhalten und zurückzustauen?« Man sollte annehmen, daß eine so bedeutsame Konferenz sich in einer Stimmung tiefernster Verantwortlichkeit versammeln würde und daß sie es an keinem denkbaren Hilfsmittel und keiner denkbaren Vorbereitung fehlen ließe, die ungeheuren auf dem Spiel stehenden Interessen zu wahren.

Laßt uns jede derartige Illusion aufgeben.

Laßt uns einer Wirklichkeit ins Gesicht sehen, welche bei der würdigen Besprechung solcher Angelegenheiten nur allzuoft ignoriert wird. Diese Wirklichkeit ist: daß der Menschengeist an solche sehr großen Fragen, wie es der allgemeine Friede auf Erden und die allgemeine Sicherheit der Menschen sind, nur mit sehr großem Widerwillen herangeht und daß er sie mit größtem Behagen wieder fahren läßt.

Wir sind alle von Natur zur Trivialität neigende Geschöpfe. Wir leben nicht von Jahr zu Jahr, sondern von Tag zu Tag. Unser Sinn sieht naturgemäß die Dinge ganz aus der Nähe und wird zerstreut durch kleine momentane Ereignisse. Wir vergessen mit erstaunlicher Leichtigkeit. Und dies trifft ebenso zu auf die hochstehenden politischen Persönlichkeiten, welche in Washington zusammenkommen werden, wie auf irgendeinen überarbeiteten Bureaubeamten, der die Konferenzberichte in der Trambahn liest, wenn er abends zu seinem Abendessen und zu seinem Bett nach Hause fährt. Diese großen Fragen gehen jedermann an, und zugleich sind sie zu groß für jeden. Eine große intellektuelle und moralische Anstrengung ist erforderlich, wenn sie in einigermaßen wirksamer Weise behandelt werden sollen.

Ich finde den besten Beleg für diese unheilbare Neigung zur Trivialität in mir selbst. In der Wissenschaft hilft das Mikroskop dem Fernrohr, und das unendlich Kleine erläutert das unendlich Große.

Man gestatte mir also, mich selbst unter die Lupe zu nehmen. Darlegung I: Wenn irgend jemand einen Anlaß hat, sein ganzes geistiges Sein auf diese Washingtoner Konferenz zu richten, so bin ich dieser Mensch. Es ist mein Amt, ihr beizuwohnen, über sie nachzudenken und an nichts anderes zu denken. Was ich auch immer darüber schreiben werde, sei es weise oder töricht, wird zur allgemeinen Kenntnisnahme in einer großen Anzahl von Zeitungen veröffentlicht werden und wird viel dazu beitragen, mein Ansehen zu heben oder zu verringern. Verstandesgemäß bin ich von den großartigen Möglichkeiten, welche diese Gelegenheit bietet, überzeugt. Sie kann die Menschheit retten oder sie vernichten. Das kleinste und das größte aller Motive gehen Hand in Hand; darum auch meine Selbstliebe und meine Liebe zur Menschheit. Außerdem berührt die Angelegenheit mein ganzes zukünftiges Glück.

Wird dieses Hinabgleiten zur Unordnung und zum Krieg nicht aufgehalten, so wird es in wenigen Jahren sicher meine Söhne ergreifen und sie wahrscheinlich verstümmeln oder töten; meine Frau und ich werden, anstatt unsere alten Tage in Ruhe und Behagen zu verbringen, im allgemeinen Elend untergehen und möglicherweise ebenso jammervoll enden, wie Tausende uns ähnlicher Familien bereits in Österreich und Rußland untergegangen sind. Das ist tatsächlich die Aussicht, welche sich den meisten unter uns eröffnet, wenn die Bemühungen, einen dauernden Frieden zu sichern, die jetzt in Washington gemacht werden, fehlschlagen sollten.

Hier sind wahrlich Gründe genug, vom edelsten bis zum selbstsüchtigsten, die mich veranlassen könnten, mein ganzes Sinnen auf diese Angelegenheit zu konzentrieren. Man sollte annehmen, ich dächte nichts als Konferenz, tue nichts, als an der Konferenz arbeiten.

Nun denn, ich gestehe, daß dies nicht der Fall ist.

In Gegenwart solcher Leiden wie die, welche jetzt im Anmarsch gegen die Menschen sind, scheint die menschliche Phantasie fast ebenso unzulänglich zu sein wie die der Rehe, welche ich im Park ruhig neben der Leiche eines totgeschossenen Gefährten habe grasen sehen. Ich staune, wenn ich mir mein Verhalten während der letzten Wochen zurückrufe, über meinen eigenen Leichtsinn. Die Reise über den Atlantischen Ozean hat mich sehr interessiert, ich habe mich amüsiert über die Unterhaltungen einiger Reisegenossen, über die nebensächliche Angelegenheit des Alkoholverbots. Ich habe alte Freunde aufgesucht und habe das Neuyork von heute mit dem Neuyork von vor 15 Jahren verglichen. Ich habe einen Nachmittag damit zugebracht, in der Fifth Avenue auf und ab zu schlendern und mich kindisch an den Läden und der Menschenmenge zu freuen; ich finde, daß ich in Versuchung bin, ein Frühstück zu vermeiden, bei dem ich eine ernsthafte Diskussion der Frage des Stillen Ozeans werde anhören müssen, weil ich gern in die Geheimnisse eines ›chop suey‹ ohne fremde Unterstützung eindringen möchte.

Dennoch weiß niemand besser als ich, daß diese reizvolle, glänzende, donnernde, ragende Stadt in der äußersten Gefahr ist. Binnen wenigen Jahren mag derselbe eisige Wind des wirtschaftlichen Zusammenbruchs, der Petersburg zugrunde gerichtet, Wien und Warschau getötet hat, diese ganze schimmernde, sprühende Vitalität in Rost und Staub verwandelt haben. Binnen kurzer Zeit, innerhalb meiner Lebensdauer mag Neuyork noch grausiger, verkommener, leerer und gespenstischer dastehen als die zerborstenen und verödeten Ruinen von Petersburg.

Mein Geist hielt nicht stand gegen die zuversichtliche Gegenwart eines warmen Oktobernachmittags, gegen helle Kleider und endlose Reihen von Kraftwagen, gegen die allgemeine Suggestion, daß alles in Ewigkeit so weiter glänzen werde. Aber mein Geist tut noch etwas Schlimmeres als bloß nicht standzuhalten. Er weicht absichtlich aus. Er versucht fortzulaufen vor der Aufgabe, die ich ihm gestellt habe. Ich bemerke, daß mein Geist unter jedem Vorwand der schwierigen Wirrnis von Problemen entschlüpft, durch welche die Washingtoner Konferenz ihren Weg finden muß.

Zum Beispiel habe ich mir in den Kopf gesetzt, daß ich es mir selber schuldig bin, nach der Konferenz einen kleinen Urlaub zu nehmen, und zwei herrliche Worte haben sich meiner Sinne bemächtigt: Florida und die Everglades. Eine Vision von Entdeckungsfahrten in diesen wunderbaren sonnengetränkten Mooren verfolgt mich. Ich nehme einen Führer zur Hand, um mich über Washington und das Kongreßverfahren zu orientieren und, ertappe mich dabei, wie ich über Miami oder den Indianerfluß lese.

So sind wir nun eben. Ein gut Teil derjenigen, welche dieses lesen und die sich zusammengenommen haben, um über die schweren Aufgaben und ernsten Gefahren der internationalen Angelegenheiten nachzudenken, werden sich erleichtert fühlen bei der Erwähnung von Urlaub und den Everglades – entweder weil sie dort gewesen sind oder weil sie gern hinmöchten. Sie würden mir gern ihre Erfahrungen mitteilen und Ratschläge geben, mir Gasthäuser und Führer empfehlen.

Abgesehen von dieser trivialen Achtlosigkeit, dieser kläglichen Neigung, so schnell wie möglich zu den nächstliegenden angenehmen Vorstellungen zu gelangen, welche zweifellos jeder Staatsmann und jeder Politiker bei der Konferenz bis zu einem gewissen Grade mit mir und dem Leser teilt, ist auch noch jeder einzelne von uns durch Vorurteile und Voreingenommenheiten belastet.

Da ist der Patriotismus – jene Leidenschaft, welche uns veranlaßt, die menschlichen Dinge als ein Wettspiel aufzufassen, anstatt als eine gemeinsame Angelegenheit, ein Spiel, in welchem ›unsere Partei‹ durch ehrliche oder unehrliche Mittel die ganze übrige Menschheit – unbegrenzt – übervorteilen muß. Persönlich liegt mir sehr wenig an dem britischen Imperium, das ich für eine ephemere, zusammengestoppelte Sache halte, aber ich empfinde doch einen leidenschaftlichen Stolz, derselben Rasse anzugehören wie Shakespeare, Milton, Bacon, Cromwell, Newton, Washington, Darwin, Nelson und Lincoln. Ich liebe den besonderen Humor und die Gutmütigkeit einer englischen Volksmenge und die milde Schönheit der englischen Landschaft mit einer starken, besitzergreifenden Leidenschaft.

Es wird mir schwer, mir vorzustellen, daß andere Völker genau so wichtig sind wie die Engländer. Ich möchte den Engländern dienen und die Engländer rechtfertigen. Als verständiger Mensch weiß ich wohl, daß das verkehrt ist, aber keines Menschen Verstand ist immer ausschlaggebend; ist er ermüdet oder wird er überrascht, so läßt er sich durch Gewohnheit und Empfindung lenken. Und ich habe nicht nur diesen Hang, der mich stets veranlassen wird, eine etwas schiefe Richtung zugunsten meines eigenen Volkes einzuschlagen, sondern ich komme auch noch nach Washington mit tief eingewurzelten, unvernünftigen, feindseligen Gesinnungen.

Zum Beispiel: Die politischen Ereignisse haben mir die gegenwärtige polnische Regierung gründlich verleidet. Es ist ein Unglück, daß Polen sich aus der unfreiwilligen Sklaverei, in die es durch die reaktionäre Politik Deutschlands und Rußlands gebracht war, nur erheben sollte, um das freiwillige Werkzeug der reaktionären französischen Politik zu werden. Das ist aber kein Grund, sich in einen Widerwillen gegen Polen und alles was polnisch ist, hineintreiben zu lassen; und weil Polen so übel beraten ist, sich mehr aneignen zu wollen als ihm zukommt, sollte man sich doch nicht veranlaßt fühlen, ihm weniger zu geben, als ihm zukommt. Ich neige aber doch ganz entschieden dazu.

Aus Vorurteilen entwickelt sich sehr bald eine regelrechte Streitlust. Es ist unterhaltend oder betrübend, wie man es nehmen will, zu sehen, wie leicht ich als berufsmäßiger Friedensstifter mich verleiten lasse, eine feindselige Haltung einzunehmen. »Natürlich,« sage ich, »wenn Japan entschlossen ist, keine Vernunft anzunehmen – –«

Ich bringe keine Entschuldigungen vor für diese autobiographischen Notizen. Es ist leichter und weniger gehässig, sich selbst zu sezieren, als sich irgendeines anderen zu anatomischen Zwecken zu bedienen. Das war also Darlegung Nr. I. Wir sind alle so. Es gibt keine Halbgötter oder Übermenschen, welche über solche Schwächen, Hemmungen, Vorurteile und Patriotismen erhaben wären. Wir haben sie alle, wie wir alle eine Leber haben.

Jeder, der nach Washington kommt, wird etwas von dieser Neigung haben, zu augenblicklich angenehmeren Dingen überzugehen, wird gern seinen persönlichen Vorteil wahrnehmen, wird ein Vorurteil zugunsten seiner eigenen Rasse und seines eigenen Volkes haben, wird durch einen mangelhaft unterdrückten Rassenhaß getrübt werden und wird geistig abgehetzt und überlastet sein. Diese geistige Abhetzung und Überlastung ist beachtenswert.

Für Washington ist jetzt eine günstige Gelegenheit, sich gründlich und gut zu unterhalten. Es wird zum Mittelpunkt des Weltgeschehens. Zahllose interessante Leute eilen nach Washington, mit strahlenden Augen und angeregten Mienen. Es werden Frühstücke, Diners, Empfänge und derartige gesellige Veranstaltungen in Menge stattfinden, es wird Theater, Zusammenkünfte, Flirts, Skandalgeschichten, Eifersüchteleien und Zänkereien geben. Wird ruhiges Denken und Überlegung in Washington irgendeinen Schlupfwinkel finden, wo dergleichen Dinge möglich sind? Es wird eine sehr zerstreuende Zeit sein, und es wird schwer sein, ihren wahren Sinn im Auge zu behalten.

Darum wollen wir uns nun ihren wahren Sinn noch einmal vergegenwärtigen ...

Der große Krieg hat die Grundfesten der Zivilisation erschüttert, er hat das Geldwesen zerstört, welches das Medium unseres Wirtschaftslebens ist. Das Abfaulen der Zivilisation macht reißende Fortschritte, und es gelingt uns nicht, diesen Fäulnisprozeß aufzuhalten. Die Produktion stagniert und nimmt ab. Dem kann nur durch das ehrliche Zusammenwirken der Hauptweltmächte abgeholfen werden.

Gegenwärtig zeigen die Hauptweltmächte keine Neigung zu der geforderten Zusammenarbeit. Sie sind noch beherrscht von altmodischen Begriffen staatlicher Allgewalt und des Wettstreites der Staatsgewalten, und obgleich alle dicht vor dem Bankrott stehen, werden von allen neue Armeen und Flotten unterhalten und ausgebildet, d.h. sie befinden sich im Vorbereitungsstadium zu einem neuen Krieg. Solange dieser zwiespältige und bedrohliche Zustand dauert, kann es zu keiner dauernden Sicherheit, zu keiner allgemeinen Erholung kommen. Der Mangel wird um sich greifen, die Hungersnot wird sich weiter verbreiten, Städte und Verkehrswege werden in Verfall geraten. Ständig anwachsende Massen verhungernder Arbeitsloser werden zu immer verzweifelteren und wilderen Protesten schreiten, bis sie einen halb revolutionären Charakter annehmen. Die Bildung wird sich verlieren, die soziale Sicherheit wird sich in Anarchie auflösen. Unsere Kultur wird versinken und ein neues dunkles Zeitalter wird heraufziehen.

Dieses Schicksal aber droht nicht der Zivilisation, es erfüllt sich vor unseren Augen an ihr. Das Schiff der Zivilisation wird nicht in fünf Jahren und nicht in fünfzig Jahren sinken. Es sinkt jetzt. Rußland ist schon gesunken. Es hat aufgehört zu produzieren, es verhungert. Weite Strecken des östlichen Europas und Asiens sinken in gleicher Weise, die Industriegebiete Deutschlands sehen einem gleichen tragischen Untergang entgegen; dieser Winter wird der schlimmste je dagewesene sein für die britische Arbeiterschaft. Der Puls des amerikanischen Geschäftslebens wird schwächer.

Um diesen Zuständen auf den Grund zu gehen, versammelt sich die Schar der hastig zusammengebrachten Vertreter mit ihren Genossen, Anhängern und Trabanten in Washington. Vom Präsidenten Harding herab bis zur einfachen Stenographistin sind sie alle Menschen, d.h. sie alle sind unaufmerksame, launische, triviale, selbstsüchtige, leichtsinnige, patriotische und mit Vorurteilen behaftete Wesen, die nicht einmal fähig sind, in intelligenter Weise auf mehr als ein Jahr hinaus egoistisch zu sein, wie an dem Wesen unserer Darlegung Nr. I demonstriert wurde.

Jeder Mensch wird durch irgendeine persönliche Voreingenommenheit verblendet, die ihm die Wirklichkeit verschleiert, der er ins Auge sehen soll. Politiker müssen an ihr persönliches Ansehen und ihre Parteiverpflichtungen denken, Sachverständige des Heeres und der Marine müssen an ihre Karriere denken.

Man kann einwenden, daß diese Versammlung so tüchtig ist, wie man sie gegenwärtig zusammenbringen konnte. Wahrscheinlich lebt in jedem, der dazu kommt, ein gewisser Grad von Wohlwollen für die Menschheit. Wahrscheinlich ist nicht einer ganz blind gegen das ungeheure Unglück, das sich über uns emportürmt, aber alle sind vergeßlich.

Es mag sich aber auch zeigen, daß menschlicher Wille und menschlicher Verstand auf diesem Planeten noch nie so ernstlich mit dem Schicksal gerungen haben wie hier bei der Washingtoner Konferenz. Wir können uns nicht klüger machen als wir sind, aber in dieser Phase der allgemeinen Gefahr können wir wenigstens an dem Vorsatz festhalten, barmherzig und ehrlich gegeneinander zu sein, soweit es in unserer Macht steht, und uns als verzeihende Gläubiger zu erweisen, die willig sind, von voreiligen und unmöglichen Forderungen abzusehen, geduldig im Anhören und großmütig im Handeln. Große Ziele und eigene Demut können noch die Menschheit retten.

II. Rüstungen: Die Nutzlosigkeit einer bloßen Beschränkung

Washington, den 8. November

Es scheint an den besonderen Umständen zu liegen, unter denen die Konferenz von Washington zusammengetreten ist, daß sie ihre Verhandlungen mit einer aussichtslosen Tätigkeit eröffnet hat, der Diskussion nämlich von Rüstungsbeschränkungen und gewissen Einschränkungen der Kriegführung, während die Staaten souverän bleiben und die Freiheit behalten sollen, Krieg zu führen, und als oberster Gerichtshof für endgültige und abschließende Entscheidung internationaler Streitigkeiten nur der Krieg besteht.

Eine ganze Anzahl von Leuten scheint wirklich zu glauben, daß die einzelnen Staaten noch weiter souverän und unabhängig voneinander bleiben können wie die wilden Tiere im Dschungel, ohne allgemein gültige Regeln und allgemein anerkannte Gesetze, und daß es uns trotzdem gelingen werde, sie zu einer milden und abgeschwächten Kriegführung, nach rechtzeitig erfolgter vorheriger Ankündigung und unter Befolgung allgemein anerkannter Spielregeln, zu veranlassen. Ein Komitee der Londoner Völkerbundsvereinigung z.B. hat ganz ernstlich darüber debattiert, ob der Gebrauch giftiger Gase und das Versenken neutraler Schiffe bei einer Blockade erlaubt sein solle oder nicht, und ob alle »modernen Errungenschaften« in der Kriegführung nicht abzuschaffen seien. »Die Möglichkeit, geheime Vorbereitungen und den Vorteil der Überrumpelung zu verhindern, wurde auch erörtert.« Als ob der Krieg ein Spiel wäre!

Es ist wirklich schwer, in angemessener Weise über ein derartiges Vorhaben zu sprechen. Man ist eher geneigt, noch weitere ähnliche Mittelchen vorzuschlagen. Zum Beispiel, daß keine Feindseligkeiten zu erlauben seien, außer in Gegenwart eines Schiedsrichters der Völkerbundsvereinigung, der deutlich an einem auf Brust und Hosen zu befestigenden roten Kreuz erkennbar sein müßte und der ferner – mit Rücksicht auf die Luftschiffahrt – einen ebenso markierten offenen Sonnenschirm zu tragen hätte. Er müßte im Besitz einer schrillen Pfeife oder kleinen Trompete sein, die über dem Lärm moderner Artilleriewaffen vernehmbar bliebe, und alle militärischen Operationen hätten sofort aufzuhören, wenn sein Pfiff ertönte. Jede Zuwiderhandlung gegen die von der Völkerbundsvereinigung festgesetzten Bestimmungen sollte bestraft werden gemäß der Schwere des Vergehens. Die Strafen erstrecken sich von, sagen wir einem einstündigen Bombardement einer Position des Delinquenten bis zu einem der gesamten Streitmacht des Feindes durch den Schiedsrichter erteilten Verweis und Ausweisung aus dem Felde. Sollte jedoch eine der kriegführenden Parteien den Krieg auf ungesetzlichem Wege gewinnen, so müßte man vorher ausmachen, daß die betreffende Partei sich einem schimpflichen Frieden zu unterwerfen habe, und zwar so, als ob sie den Krieg verloren hätte.

Unglücklicherweise ist der Krieg kein Spiel, sondern grimmiger Ernst, und es gibt keine Macht auf Erden, welche ein Volk, das mit einem anderen um seine Existenz kämpft, verhindern könnte, nach jedem Mittel zu greifen, sei dieses auch noch so unritterlich, grausam oder barbarisch, wenn es dadurch den Sieg erringen oder die Niederlage abwenden kann. Der Erfolg rechtfertigt im Krieg jedes Mittel, das läßt sich nicht ändern. Eine Nation, welche die Hoffnung hat zu siegen und sich dann mit dem Gegner wieder vertragen will, oder die sich um die anerkennende Zustimmung irgendeiner neutralen Macht bewirbt, kann sich wohl gelegentlich wirksamer, aber verpönter Mittel enthalten; das ist aber eine freiwillige und strategische Beschränkung. Die Tatsache bleibt bestehen, daß der Krieg ein letztes und unbegrenztes Auskunftsmittel ist; ein Krieg, der beaufsichtigt werden kann, hätte auch aufgehalten oder verhindert werden können. Wenn es unserem Geschlechte wirklich gelingen sollte, die Verwendung giftiger Gase zu verhindern, so kann es den Gebrauch jeder Art von Waffe verhindern. Es ist in der Tat leichter, den vollkommenen Frieden zu erzwingen, als irgendeine geringfügige Einschränkung des Krieges.

Es wird eingeworfen, daß, wenn alle Staaten sich zuvor verpflichten, keinerlei Vorbereitungen für bestimmte Arten der Kriegführung zu treffen, oder wenn sie sich entschließen, ihre Land- und Seerüstung auf ein Minimum zu reduzieren, dies äußerst wirksame Vorbeugungsmittel gegen Übertretungen wären und in Zeiten nationaler Erregung den Kriegsausbruch verhindern könnten. Das einzige, was sich gegen diesen ausgezeichneten Vorschlag sagen läßt, ist, daß keine Macht, welche im Besitz von Wünschen oder Rechten ist, die ihrer Meinung nach nur im Kriege befriedigt oder verteidigt werden können, sich jemals ehrlich auf einen derartigen Abrüstungsvertrag einlassen wird.

Natürlich werden Staaten, welche die Absicht haben, einen Krieg zu führen, und keine ernsthafte Absicht haben, abzurüsten, gern an Abrüstungskonferenzen teilnehmen. Sie werden dies erstens wegen des hohen propagandistischen Wertes einer solchen Teilnahme tun, dann vor allem auch wegen des möglichen Vorteils, welchen ihnen eine etwaige Beschränkung gewähren kann, die imstande ist, den Feind weit mehr als sie selbst zu hindern. Japan z.B. würde wahrscheinlich sehr zufrieden sein, seine militärischen Ausgaben auf ganz geringfügige Summen herabzusetzen, wenn die Vereinigten Staaten die ihrigen gleichfalls auf dieselbe Summe herabsetzten, weil die Kosten der Unterhaltung eines aktiven Soldaten in Japan sehr viel geringer sind als in Amerika; noch bereitwilliger würde es darauf eingehen, seine Seerüstungen auf Schiffe mit einem Aktionsradius von 2000 Meilen oder weniger zu beschränken, weil ihm dies freie Hand in bezug auf China und die Philippinnen gewähren würde. Ein derartiges Feilschen fand vor dem Weltkriege zeitweise zwischen Deutschland und England im Haag statt. Keine Partei glaubte an die Friedensabsichten der anderen. Keine sah in diesen Verhandlungen irgend etwas anderes als strategische Maßnahmen. Wie die Dinge in Europa lagen, wäre es auch schwierig gewesen, etwas anderes darin zu sehen.

Nun, die Beschränkung der Rüstungen ist ebenso unmöglich wie die Milderung der Kriegführung, solange nicht der Krieg unmöglich gemacht wird, worauf die vollkommene Austilgung aller Rüstungen von selbst erfolgt. Der Krieg kann aber nur unmöglich gemacht werden, wenn die Weltmächte getan haben werden, was die 13 alten Staaten der amerikanischen Union taten, nachdem sie ihre Unabhängigkeit errungen hatten, d.h. wenn sie ein allgemein gültiges Gesetz und eine gemeinsame Regierung eingesetzt haben. Ein derartiges Vorhaben bietet allerdings gewaltige Schwierigkeiten, und es schlägt einer ungeheuren Zahl patriotischer Phrasen, natürlicher Vorurteile, instinktiven Mißtrauens ins Gesicht. Es ist aber dennoch möglich. Es ist das einzige, was getan werden kann, um die Vernichtung der Kultur durch Krieg und Kriegsvorbereitungen aufzuhalten. Abrüstungen und die Beschränkung der Kriegführung ohne eine derartige Aufgabe der Souveränität scheinen auf den ersten Blick leichtere und bescheidenere Projekte, aber sie leiden an dem unheilbaren Fehler vollkommener Undurchführbarkeit. Sie können nicht in die praktische Wirklichkeit übertragen werden. Eine Welt, die imstande wäre, in wirksamer Weise abzurüsten, wäre eine Welt, welche schon mit sich einig wäre, und dann hätte die Abrüstung überhaupt keine Bedeutung mehr. Bei geordneten internationalen Beziehungen würde die Welt sich ihrer Rüstungen ebenso selbstverständlich entledigen, wie ein Mensch seinen Wintermantel auszieht, wenn er in ein geheiztes Zimmer eintritt.

Wie im vorigen Artikel schon ausgeführt wurde, sind Kriege, Kriegsvorbereitungen und Kriegsdrohungen nur die verschärfte Form menschlicher Uneinigkeit in unserer Zeit. Der Zusammenbruch unseres Geldsystems und die fortschreitende Lähmung der Industrie, die daraus folgt, ist ein weit unmittelbareres Unglück. Es ist im Begriff, uns zu überwältigen. Das ganze Kriegsgeschwätz zwischen Japan und Amerika kann ebenso plötzlich aufhören wie das Knurren zweier Hunde, die von einer Wasserflut überrascht werden. Möglicherweise wird es zu keinem weiteren großen Kriege kommen, weil sowohl in Japan wie in Amerika der soziale Zusammenbruch vorher eintreten wird. Die Weltmächte müssen sich jetzt über finanzielle und wirtschaftliche Fragen sehr schnell einigen oder zugrunde gehen, die Zeichen der Zeit reden täglich lauter. Können sie sich aber in diesen gemeinsamen Angelegenheiten einigen, so liegt dann kein Hinderungsgrund und keine Entschuldigung mehr vor, die internationalen Angelegenheiten nicht gleichzeitig zu ordnen.

In allen Abrüstungsanträgen und Kriegsmilderungsvorschlägen macht sich eine merkwürdig übertriebene Achtung für den Patriotismus und patriotische Exzesse bemerkbar. Wir sollen »patriotische Empfindungen« berücksichtigen. Mit dieser stereotypen Formel wird der Notwendigkeit entgegengetreten, die gegenwärtige barbarische Souveränität der einzelnen Staaten durch eine Weltregierung und ein Weltgesetz niederzuwerfen, welche die allgemeinen Interessen aller Erdenbewohner wahrnehmen würden. Tatsächlich werden diese »patriotischen Empfindungen« sich häufig als die Selbstgefälligkeit und Wichtigtuerei irgendeines Ministerialbeamten herausstellen. Im allgemeinen bestehen sie in nichts anderem als in einem mürrischen Mißtrauen gegen das Fremde. Die meisten Menschen sind patriotisch erregbar; das liegt in der Menschennatur, entschuldigt aber die übermäßige Ehrerbietung, welche dem Patriotismus gezollt wird, ebensowenig, wie eine vollkommene Toleranz gegen die Trunksucht und andere schmutzige Laster und sinnliche Ausschweifungen entschuldbar wäre durch die Tatsache, daß wir alle bis zu einem gewissen Grade zum Durst und zur Sinnlichkeit neigen. Während man aber diesem lendenlahmen, abgedroschenen Nationalismus mit größter Hochachtung begegnet, wird eine der bedeutendsten und umfassendsten Interessensphären unseres heutigen Weltlebens vollständig außer acht gelassen; es handelt sich um die finanzielle und wirtschaftliche Bedeutung der Waffen- und Munitionsindustrie und des damit verbundenen Handels- und Fabrikbetriebes. Die technische Ausbildung der Arbeiter ist häufig eine sehr hochgesteigerte, die Produktion eine sehr spezialisierte. Soweit ich feststellen kann, haben die Wortführer dessen, was ich als bloßes Abrüstungsprojekt bezeichne, die Absicht, dieses ganze Interessengebiet bis zu einem gewissen Grade zu streichen. Es soll demnach die ungeheure Menge von Fabriken, Arsenalen, Werften u. dgl. einfach leer stehen bleiben, das weitreichende Netz finanzieller Beziehungen soll vernichtet werden, der sorgfältig zusammengestellte Stab von Arbeitern soll auseinandergesprengt werden, die ausgebildeten Techniker, Matrosen, Geschützarbeiter usw. sollen in der allgemeinen Flut der Arbeitslosen untergehen, die unsere Zivilisation bereits verschlingt. Niemand scheint zu bedenken, wie subtil, verschiedenartig und wirksam der Widerstand sein wird, den diese große Gruppe tüchtiger Menschen gegen eine solche Behandlung leisten wird. Unter meiner Völkerbundsliteratur finde ich nur zwei Hinweise auf dieses wirkliche Hindernis der Weltwohlfahrt. Der erste enthält einen Vorschlag, daß keinerlei private Unternehmungen auf dem Gebiet der Waffenproduktion bestehen dürfen, und der andere, daß es Rüstungskonzernen nicht gestattet sein soll, Zeitungen zu besitzen. Als Sozialist bin ich entzückt von dem ersten Vorschlag, durch dessen Ausführung unter anderem auch die Eisen-, Stahl- und Chemikalienindustrie verstaatlicht würde, als Mann des praktischen Lebens muß ich zugeben, daß die Organisation keines bestehenden Staatswesens auf der Höhe ist, die erforderlich wäre, um die Übernahme aussichtsreich zu gestalten. Was die Zeitungsbeschränkung betrifft, so dürfte es wohl eine zu große Anforderung an die menschlichen Fähigkeiten sein, Gesetze zu schaffen, die ein großes Bankunternehmen verhindern könnten, einen Einfluß auf die Rüstungsfabriken auszuüben und zugleich etwelche Zeitungen zu finanzieren.

Es bleibt eine Tatsache, daß diese große Interessengruppe, welche sich um die Waffenrüstung konzentriert, das größte Hemmnis eines Weltbundes ist. Das Interesse an der Waffenproduktion ist es, welches der Schaumschlägerei