Die Dinge erscheinen und lösen sich wieder auf.
Glücklich, wer sie friedvoll einfach nur betrachtet.
Buddha
Ein Buch über Frauen,
deren spirituelles Verlangen es ihnen ermöglichte,
Grenzen zu überschreiten
und neue Horizonte zu entdecken
Kelsang Wangmo aus Deutschland
wird zur ersten weiblichen Gelehrten
des tibetischen Buddhismus
Für Sigga
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1.Auflage
© 2017 Benevento Publishing,
eine Marke der Red Bull Media House GmbH,
Wals bei Salzburg
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Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:
Red Bull Media House GmbH
Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15
5071 Wals bei Salzburg, Österreich
Lektorat: Antje Steinhäuser
Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT
Gesetzt aus Minion, Didot
Umschlaggestaltung: b3K design, Andrea Schneider, diceindustries
Printed in Slovakia
ISBN 978-3-7109-0009-9
eISBN 978-3-7109-5016-2
Vorwort
Prolog
Die Zukunft des Buddhismus ist weiblich
Kapitel 1
»Buddhistin sein bedeutet, heimatlos zu werden.«
Frauen in der buddhistischen Welt
Kapitel 2
»Kerstin lebt jetzt in Dharamsala!«
Kerstin Brummenbaum wird als Kelsang Wangmo zur ersten Geshe des tibetischen Buddhismus
Kapitel 3
»Lass uns über Glück und Gelübde sprechen!«
Ein Gespräch mit Kelsang Wangmo
Kapitel 4
»Wie ich zur Geshe wurde.«
Aus einer Unterweisung Kelsang Wangmos in London
Kapitel 5
Volle Nonnenordination und Geschlechtergerechtigkeit und Kelsang Wangmo als erste weibliche Geshe – Paradigmenwechsel im Buddhismus?
Ein Gespräch mit Bhiksuni Jampa Tsedroen (Carola Roloff) über den Aufbruch der Frauen im modernen Buddhismus
Kapitel 6
Das geheiligt Weibliche im tibetischen Buddhismus
Eine Unterweisung von Jetsunma Tenzin Palmo (Diane Perry) über Göttinnen und heilige Frauen
Kapitel 7
Zehn praktische Übungen, um ein besserer Mensch zu werden
Glossar
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Personenverzeichnis
Dank
Als der Ehrwürdigen Kelsang Wangmo im Jahre 2011 hier in Dharamsala durch das Institut für Buddhistische Dialektik (IBD) der Geshe-Titel verliehen wurde, fanden über zwei Jahrzehnte konsequenten Studierens in der Tradition des tibetischen Buddhismus ihren krönenden Abschluss.
Der Buddhismus etablierte sich erst im 8. Jahrhundert nach Christus in Tibet, nachdem der tibetische Kaiser Trisong Detsen den indischen Meister Shantarakshita in das Land des Schnees eingeladen hatte. Als Philosoph, Logiker und vorbildlicher Mönch stand Shantarakshita für all die vornehmen Qualitäten, die damals an der indischen Nalanda-Universität vorherrschten. Von Beginn an verkörperte er die Lehren Buddhas als ein auf Vernunft und Verstehen begründetes Studium, bei dem Urteilsfähigkeit, Besinnung und Meditation vermittelt wurden, nicht nur um zu verstehen, sondern auch um der Erkenntnisfreude und Einsicht willen.
Ebenso wie frühe Nalanda-Schüler, als da wären Nagarjuna, Aryadeva und Chandrakirti, folgte Shantarakshita den schon in der Kalama Sutra verfassten Unterweisungen Buddhas: »Oh, Gelehrte und Mönche, so wie das Gold durch Entflammen, Schneiden und Reiben in seiner Konsistenz unter Beweis gestellt wird, so prüft meine Worte hier auf die Wahrheit und akzeptiert sie nur dann und nicht bloß aus Respekt vor mir.«
In Tibet verlassen wir uns nicht ohne Grund auf das fleißige Studieren und Praktizieren. Es ist seit unzähligen Generationen diese Überlieferung gewissenhaften Studierens und Praktizierens, die die Nalanda-Tradition in den tibetischen Zentren des Lernens lebendig hält. Dieses Einüben führte in den vergangenen Jahren auch dazu, dass tibetisches Klosterleben und moderne Wissenschaft eine fruchtbare Verbindung miteinander eingingen.
Zusätzlich zur Ordination und Einführung der ersten sieben Mönche Tibets initiierte Shantarakshita die Übersetzung der indisch-buddhistischen Lehre ins Tibetische. Durch dieses große Unterfangen entwickelte sich die tibetische Sprache weiter und wurde noch reicher. Als Folge davon entwickelte sie sich zum exaktesten Medium, das wir heute in den Diskussionen und im Austausch buddhistischen Denkens kennen.
In unseren ersten Jahren des Exils war es für Mönche, die Tibet verlassen hatten, sehr mühsam, ihre Studienroutine aufrechtzuerhalten. Sie lasen und studierten weiter die Urtexte, lernten sie auswendig, studierten die Kommentare. Sie untersuchten weiterhin eingehend das, was sie erlernt hatten, und verteidigten es in den Debatten, die sie miteinander führten. Als die ersten tibetischen Siedlungen schließlich wieder errichtet worden waren und sich auch das klösterliche Leben im Exil langsam wieder etablieren konnte, wollte ich die Studienmöglichkeiten deshalb erweitern. Ich ermutigte etablierte Institutionen, wie die Klöster Namgyal, Gyuto und Gyurme, die sich auf die Bewahrung alter Rituale verstanden, sich zu Studienzentren zu entwickeln. Auch Nonnenklöster zählten zu den Institutionen, denen ich Studienprogramme empfahl.
Das IBD wurde 1973 gegründet, um den Studenten, die bereits eine moderne Ausbildung erhalten hatten, ebenso eine traditionelle buddhistische Studienmöglichkeit zu eröffnen.
Die Folge ist, dass wir heute auch Nonnen haben, die sich nach mehr als zwanzig Jahren des Studiums als Geshemas qualifizierten. Sie sind darauf vorbereitet, genauso zu unterrichten und weiterzuforschen wie die Mönche, die sich entweder noch immer dem philosophischen Denken im klassischen Sinne widmen oder deren Denken trotz des traditionellen Studiums längst einen modernen Weg einschlägt.
Während die Nalanda-Universität heute vor allem für Studenten aus China, Zentral- und Südostasien attraktiv ist, orientieren sich die Studenten aus der Mongolei und den höheren Himalaya-Regionen eher an tibetischen Lehrstühlen und fühlen sich hingezogen zu unseren Lehreinrichtungen, die sich erst im Exil wieder etablieren konnten.
Im Fall des IBD kamen die Studenten schon mit seiner Gründung auch aus Europa und Nordamerika. Diese Tradition hat sich fortgesetzt.
Kelsang Wangmo, deren Geschichte dieses Buch erzählt, stammt aus Deutschland. In den frühen Neunzigerjahren unterzog sie sich einer Ordination als buddhistische Nonne, begann, Tibetisch zu lernen, und studierte am Lehrkörper des IBD. Sie arbeitete hart und überwand dabei manche Schwierigkeiten, die sich ihr stellten. Dabei erwies sie sich als eines der herausragendsten Mitglieder ihres Jahrgangs. Vor sechs Jahren bewies sie sich dort erneut in den zu absolvierenden Examen und war die erste und einzige Frau in der Abschlussklasse, der am IBD der Geshe-Titel verliehen wurde.
Immer dann wenn sich mir heutzutage die Möglichkeit bietet, ermuntere ich diejenigen, die Buddha verehren, dass sie wirkliche Buddhisten des 21. Jahrhunderts werden sollen, nicht nur um den Glauben an Buddha zu finden, sondern auch, um zu verstehen, wer er wirklich war.
Viele Leser, im Osten ebenso wie im Westen der Welt, werden sich von dieser Geschichte voller Gewissenhaftigkeit und Entschlossenheit inspiriert fühlen, dieser Geschichte, mit der erzählt wird, wie Kelsang Wangmo es schaffte, zur Lehrerin einer alten buddhistischen Tradition im 21. Jahrhundert zu werden.
Seine Heiligkeit der 14. Dalai Lama
20. Mai 2017
Der Tag, an dem Kelsang Wangmo offiziell in den Rang einer Gelehrten des tibetischen Buddhismus, einer Geshe, erhoben wurde und den Titel der Doktorin in tibetisch-buddhistischer Metaphysik entgegennahm, war von einzigartiger Bedeutsamkeit. Denn in der über zweitausendfünfhundert Jahre alten Geschichte des Buddhismus war eine solche Ehre noch niemals einer Frau zuteilgeworden.
Im April 2011, als die Frau im rotgelben Gewand in Dharamsala im Institut für Buddhistische Dialektik vor das Mikrofon trat, lag es fast dreiundzwanzig Jahre zurück, dass sie als Kerstin Brummenbaum, die 1971 im Rheinland geborene Deutsche, ihre Heimat verlassen hatte.
Hunderte Männer und Frauen hörten ihr zu, als sie begann: »Heute, im Rahmen der Geshe-Zeremonie des Instituts für Buddhistische Dialektik, möchte ich die Chance ergreifen, allen hier Versammelten vom tiefsten Grund meines Herzens Danke zu sagen. Ich bin glücklich und dankbar dafür, dass diese große, schwere Tür sich öffnen ließ, die unsere Chancen auf Schule, Ausbildung und die Möglichkeiten vergrößert und die von nun an auch Frauen mit einem abgeschlossenen Studium in der tibetisch-buddhistischen Philosophie einen Abschluss gewährt.«
Es kam tatsächlich einem kleinen Wunder gleich, dass dort in Dharamsala unter dem Gesang Hunderter Mönche, die in gelben und roten Roben am Boden saßen, eine Frau aus Deutschland das Wort ergriffen hatte.
Was für ihre männlichen Studienkollegen selbstverständlich war, hätte ihr, einer der ersten Frauen, die tibetische Philosophie in Dharamsala studiert hatten, traditionsgemäß eigentlich verwehrt bleiben sollen, aber der Dalai Lama hatte offenbar andere Pläne mit der Deutschen gehabt.
Die Zeitenwende, nach der das Frausein kein Hindernis mehr auf dem Weg zur Erleuchtung darstellte, hatte gerade erst stattgefunden – und das verdankt der moderne tibetische Buddhismus vor allem auch kämpferischen Nonnen aus dem Westen. Diese Frauen schlagen Brücken zwischen beiden Kontinenten und bestärken aufgrund der immer größer werdenden »Nachfrage« aus westlichen Ländern eine Tradition, die der tibetische Buddhismus überhaupt erst durch sie wiederfindet.
Wenn die westlichen Schwestern nun auch im Namen ihrer tibetischen Nonnenschwestern der weiblichen Seite des Buddhismus aus dem Schatten mehrerer Tausend Jahre verhelfen, so geschieht dies nicht etwa, um die Mönche zu dominieren, sondern um eine partnerschaftliche Gemeinschaft im Sinne Buddhas zu fördern.
Während die großen Männerklöster Ausbildungen garantierten, in denen die Mönche zum Beispiel die Kunst der Debatte erlernten, wurde bisher längst nicht allen tibetischen Nonnen die Chance auf Bildung gewährt. Oft wurden sie für niedere Arbeiten, sogar zum Bedienen der Mönche, herangezogen, oder sie kümmerten sich um die Gemeinden, in denen die Klöster lagen. Sie hielten den Kontakt zu den umliegenden Orten und kochten und wuschen oft mehr, als dass sie beteten.
Auch waren ihre Gebete und Rituale schlichter als die der Mönche. Was insofern konsequent war, als viele von ihnen nicht einmal Lesen und Schreiben lernten – es durfte also gar nicht zu kompliziert werden. Im Vergleich dazu erscheinen die modernen westlichen Nonnen heute wie kraftvolle Ausnahmeerscheinungen. Sie haben sich mutig auf den Weg gemacht und stellen sich der Aufgabe, die Rolle der Frau im Buddhismus zu stärken.
Damit stehen sie in einer wichtigen Tradition: Prajnaparamita ist die vollkommene Form des transzendenten Wissens, der höchsten Weisheit. Sie gilt als das Prinzip des Urgrunds, der Schoß des Seins, und damit folgerichtig des Urweiblichen. Das Prinzip, das dahintersteckt, ist geschlechtslos, aber da diese Urmutter die Macht hat zu gebären, steht sie im tibetischen Buddhismus für das Weibliche und den Anfang.
Den Anfängen und der Tradition, die bis heute besonders von starken Frauen verkörpert und gelebt wird, versuchen wir, im Folgenden auf die Spur zu kommen. Dabei werden sich zentrale Fragen stellen, die in den folgenden Kapiteln eine Antwort finden:
Wer waren die Urprinzipien und die Urmütter dieses tibetischen Buddhismus, und warum erinnern gerade Frauen aus dem Westen heute an sie?
Wie kann es sein, dass die jüngste Form des Buddhismus ausgerechnet nach der brutalen Vertreibung ihrer Anhängerinnen und Anhänger aus dem Land Tibet, Ende der Fünfzigerjahre, heute mehr boomt als je zuvor?
Und was hat das alles mit dem Mann zu tun, der als Bauernkind im Nordosten Tibets geboren wurde, sich als 14. Reinkarnation des Dalai Lama erwies, und der von sich sagt: »Ich bin nur ein einfacher Mönch.«?
Kelsang Wangmo sagt: »Die große, schwere Tür ist geöffnet.« Sie gibt den Weg frei für einen neuen Akzent in der Geschichte des tibetischen Buddhismus sowie der Spiritualität engagierter Frauen auf der ganzen Welt.
Frauen in der buddhistischen Welt
Oh Göttliche Dorje Phagmo,
Ich, die ich nicht verheiratet werden will,
die ich nicht in Liebe wandle mit der Welt.
Ordiniere mich als Nonne und nimm mich in Deine Obhut.
Aus einem tibetischen Lied
Bis heute wird der tibetische Buddhismus vor allem von Männern repräsentiert. Da sitzen auf der einen Seite alte Lamas und ganze Heerscharen junger Mönche, auf der anderen Seite sind unter ihrer Anhängerschaft, insbesondere im Westen, mehr Frauen als Männer auf Vorträgen, Retreats und Audienzen zu finden. Die volle Ordination für Frauen ist auch heute, nach etwa tausendzweihundert Jahren klösterlicher Tradition in Tibet, noch immer nicht möglich, aber eine Vision für die Zukunft. Mit der Ernennung Kelsang Wangmos zur Geshe wird das System zum ersten Mal aufgebrochen.
Sie war die erste Frau der Welt, die das Studium der tibetisch-buddhistischen Philosophie absolvierte und es nach siebzehn Jahren mit dem Geshe-Titel abschloss. Ein Titel, der in der buddhistischen Philosophie dem akademischen Grad eines Doktors entspricht.
Kelsang Wangmo selbst erfuhr erst kurz vor dem Studienabschluss, dass ihr dieser Titel verliehen werden sollte, und sagt heute: »Ich habe bis zum letzten Moment nicht daran geglaubt.«
Kelsang Wangmo repräsentiert den neuen Aufbruch der Frauen im Buddhismus. An ihr wurde ein spannendes Exempel statuiert, dem nun andere Frauen folgen können. Ende 2016 wurden die ersten weiblichen Geshes nach ihr geweiht.
Die Ernennung Kelsang Wangmos bedurfte einer langen Vorbereitung. Eine Kommission der spirituellen Gemeinschaft der Exiltibeter hatte fast vier Jahrzehnte hinter verschlossenen Türen untersucht, ob Frauen den Geshe-Titel erhalten können. 2011 war die Untersuchung abgeschlossen, und Kelsang Wangmo, die eigentlich nur ihren Studienabschluss erwartete, nicht aber den Titel, erfuhr, dass sie sich nun als erste Frau der Welt auch Geshe nennen durfte und damit den Titel offiziell erhielt.
Hinter ihr lag so etwas wie ein Kampf, denn sie hatte mit dem Fach Buddhistische Philosophie eine Disziplin studiert und abgeschlossen, in der sie als erste Frau mitunter größere Hindernisse zu überwinden hatte. Manche Unterrichtsinhalte mussten ihr ihre männlichen Kommilitonen erst zugänglich machen, da sie ihr selbst zunächst verwehrt wurden.
Aber sie hielt durch, denn sie wusste, dass Frauen bereits seit mehr als tausend Jahren eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der buddhistischen Tradition in Tibet gespielt haben.
Der Buddhismus schaffte es erst etwa im 8. Jahrhundert und in einer größeren Welle im 11. und 12. Jahrhundert nach Tibet. In Indien und China hatten sich die großen buddhistischen Linien zu dieser Zeit längst etabliert. Und auch wenn der tibetische Buddhismus, wie wir ihn heute erleben, sehr männlich geprägt erscheinen mag, standen an seinem Anbeginn doch wichtige Frauen.
Ähnlich wie im Christentum waren es aber auch hier zunächst die Mönche, die im Lauf der Jahrhunderte in den Klöstern die Schriften interpretierten und die das Privileg des Studiums genossen. Und doch gab es sehr früh auch praktizierende Frauen an anderen Orten, lange bevor die Kunde vom Buddhismus Tibet erreichte, beispielsweise in Indien.
Die erste Frau, die Buddha folgen wollte und ihn um die Erlaubnis bat, einen Nonnenorden zu gründen, war seine eigene Ziehmutter, Mahapajapati Gotami. Im Indien des 6. Jahrhunderts vor Christus sagte Buddha zunächst noch Nein zu ihrem Anliegen, aber Mahapajapati blieb hartnäckig. Dreimal bat sie ihn, ein Nonnenkloster in seiner Gefolgschaft gründen zu dürfen, und immer wieder lautete seine Antwort Nein. Als gute Nonne in spe hatte die Mutter des Mannes, der einst Prinz Siddhartha Gautama gewesen war und dann zu Buddha wurde, sogar schon eine interessante weibliche Gefolgschaft um sich geschart.
Mahapajapati war tatsächlich seine überzeugte Anhängerin. Die Ablehnung, die sie zunächst erfuhr, stürzte sie deshalb in eine tiefe Trauer. Ihr Cousin Ananda ging daraufhin bestürzt darüber zu Buddha und bat ihn, seine Entscheidung zu überdenken und die Frauen zu ordinieren. Doch wieder sagte Buddha, der selbst sieben Jahre zuvor seine Frau und seinen Sohn verlassen hatte, um vom Prinzen zum Erwachten (»Buddha« bedeutet »der Erwachte«) zu werden, Nein. Daraufhin stellte ihm Ananda, der längst sein Begleiter und mit einem Jünger vergleichbar war, die clevere Frage, die anlässlich der Renaissance der Frauen im modernen Buddhismus aktueller denn je scheint: »Sind Frauen fähig, ein heiliges Leben zu führen und Befreiung zu erlangen?« Als Buddha dies bejahte, stellte Ananda eine weitere Frage, die wie die perfekte Einführung in die buddhistische Philosophie erscheint, denn darin geht es vor allem darum, zu hinterfragen und eine neue Logik herzustellen: »Warum machst du es ihnen dann so schwer?«
Nun erst erlaubte Buddha seiner Ziehmutter Mahapajapati die Gründung eines eigenen Nonnenordens. Es ist überliefert, dass Mahapajapati bereits fünfhundert Frauen um sich versammelt hatte, die nun die ersten Nonnen Buddhas wurden. Siddharthas eigene Ehefrau Yasodhara, die ihm Jahre zuvor einen Sohn geboren hatte, folgte sehr viel später auch dem Ruf und wurde eine überzeugte Praktizierende.
Von Anbeginn des Buddhismus lehrten und predigten also auch Frauen seine Weisheiten. Die ersten Schriften Buddhas legen Zeugnis davon ab. Frühe elementare Lehrschriften, Sutras, erzählen die Geschichten zahlreicher weiblicher Schüler. Dass Buddha auch seine eigene Familie spirituell von ihren Leiden befreien konnte, hatte aber mit seiner eigenen Erleuchtung zu tun. Diese wiederum wäre schlichtweg nicht möglich gewesen, hätte er seine Familie nicht zuvor verlassen.
Vielleicht liegt es an den besonderen Entwicklungen im Geburtsland des Buddhismus, dass die Rolle der Frauen in dieser Religion mehr und mehr in Vergessenheit geriet. Anders als im frühen Tibet waren die Frauen in Indien schon damals stark benachteiligt. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, wie stark diese Benachteiligung gewesen sein mag in einem Land, in dem noch heute allein reisende Frauen wie Freiwild betrachtet werden.
Etwa tausendzweihundert Jahre später herrschten in Tibet schon vollkommen andere Verhältnisse. Hier waren längst die Frauen diejenigen, die die Geschäfte betrieben, die ganz selbstverständlich allein reisten und selbstbewusst waren. In Zentraltibet war es keine Seltenheit, dass eine Frau sogar mehrere Männer heiraten durfte. Das hatte damit zu tun, dass die bäuerlichen Höfe nicht zu oft aufgeteilt werden sollten. Hatte eine Familie viele Söhne, wurde nur eine Frau gesucht, damit der ohnehin schon karge Besitz nicht durch noch mehr Ehefrauen und Kinder aufgeteilt wurde. Auf diese Weise erhielten die Familien schlichtweg ihren Besitz. Gleiches galt für Familien mit vielen Töchtern. Auch hier wurde manchmal nur ein Mann gesucht, der dann mehrere Schwestern ehelichte. Diese Geschlechtergerechtigkeit in der buddhistischen Welt hatte also vor allem wirtschaftliche Gründe.
Eine besondere Bedeutung innerhalb der Entwicklung des Buddhismus kommt dem Tantra zu, einer Geheimlehre, die ursprünglich aus Indien stammt und nur wenigen Eingeweihten zuteilwurde. Es wurde auch von Meisterinnen unterrichtet, denn sie scheinen die Initiatorinnen einiger Arten des Tantra gewesen zu sein. Damit ist übrigens nicht das in der westlichen Welt verbreitete Verständnis des Tantra gemeint, also esoterische Sexstellungen und dergleichen. Es geht vielmehr um die höchste Lehre auf dem Weg zur Erleuchtung, die in der Transzendenz erlangt wird. Dazu gehören das hunderttausendfache Rezitieren von Mantras, yogische rituelle Übungen, vor allem aber die richtigen Meister, die über Jahre in dieses hohe Tantra einführen.
Als vor etwa tausendzweihundert Jahren das Tantra von Indien nach Tibet gelangte, wurden auch dort Frauen zu Meisterinnen und Trägerinnen dieses Geheimwissens, das nun zur vollen Blüte kam und sogar zur Staatsreligion erklärt wurde. Einige der Texte aus dieser Zeit stammen von weiblichen Meistern. Es gab auch Offenbarungspredigerinnen und Schatzfinderinnen, die sogenannten Tertöns. Sie hatten die Gabe, Ritualgegenstände und Texte wiederzufinden, die vor der Zerstörung feindlich gesinnter Könige versteckt worden waren.
Damals entstanden die Übertragungslinien im tibetischen Buddhismus, die auf Buddha zurückzuführen sind. In ihnen wird die Praxis des Tantra vom Linienhalter einer buddhistischen Schultradition an seine Schüler weitergegeben. Nur die Linienhalter können nachfolgende Linienhalter einsetzen, an die sie die Ermächtigung zur tantrischen Übertragung weitergeben. Auf diese Weise entstehen durch die Jahrhunderte klar verfolgbare Linien, die der Weitergabe tantrischen Wissens und seiner Übertragungen dienen.
Es gab darin auch viele weibliche Übertragungslinien. In einigen Überlieferungen ist auch die Rede von weisen Lehrerinnen, die ihr Geschlecht wechseln konnten. Von Shariputra, einem der direkten Schüler Buddhas, ist überliefert, dass er sich in eine Frau verwandelte und wieder zurück. Frauen galten aufgrund ihrer starken Intuition als zur Transzendenz begabt.
Vielleicht war es ein Fehler, dass die Geschichten weiser Frauen der ersten und zweiten Generation des tibetischen Buddhismus so gut wie nie aufgeschrieben wurden. Andererseits lebte dieser prachtvolle und tiefgründige Buddhismus in seiner tibetischen Form schon damals, im 8. Jahrhundert, von der mündlichen Weitergabe der Lehrer an ihre Schülerinnen und Schüler. Erst heute werden Texte wiederentdeckt oder Denkmäler gefunden. In einem entlegenen Ort in Südwest-Tibet liegt etwa das Kloster Samding der Dorje Phagmo, die als Erleuchtete galt. Es ist noch nicht lange her, dass die Anthropologin Hildegard Diemberger von der Universität Cambridge hier die Dorje Phagmo erforschte. Bis dahin war dieser heilige Ort, an dem einst ein reges weibliches Klosterleben geherrscht hatte, nur noch unter Einheimischen bekannt. Dieses Kloster, ein Zeugnis der Blüte und Hochzeit des tibetischen Buddhismus, war während der chinesischen Kulturrevolution und der damit verbundenen Okkupation Tibets vollkommen zerstört worden und ist erst seit Mitte der Neunzigerjahre wieder ein spiritueller Ort mit einem sehr kleinen Nonnenkonvent.
Dorje Phagmo galt als eine Wiedergeburt der Dakini. »Dakini« stammt aus dem Sanskrit und steht für die weibliche Inkarnation einer Erleuchteten. Das Wirken der berühmten Äbtissin des Klosters Samding beflügelte Kunst und Architektur, aber auch das technische Wissen im Tibet von vor fünfhundert Jahren. Besonders die Frauen lagen ihr am Herzen und so förderte sie deren Hingabe zum Buddhismus, insbesondere deren Ausbildung, und gründete Nonnenklöster. Sie galt als eine der heiligsten Frauen Tibets und wurde als ein weibliches Pendant zum Dalai Lama betrachtet, das sich immer wieder reinkarniert.
Ihr oblag der Schutz des Dharmas, der eigentlichen Lehre des Buddhismus, und es geht die Sage, dass sie sich und die Mönche und Nonnen ihres Klosters einst zum Schutz vor den Angriffen von Invasoren in Schweine verwandelten, bis die Invasoren verwirrt davonzogen. Der Mythos der Dorje wurde mit dieser Geschichte noch größer; ihre zwölfte Inkarnation wurde vor der Okkupation Tibets sogar zu Mao Tse-tung eingeladen, der sie als »lebenden weiblichen Buddha« bezeichnet haben soll, was für einen nicht spirituellen kommunistischen Führer wahrscheinlich Ausdruck der höchstmöglichen Bewunderung gewesen sein mag. Dorje Phagmo repräsentiert die weibliche Tulku-Linie und damit im Tibetischen jene spirituellen Meisterinnen und Meister, die das Wissen unter dem Titel eines Rinpoches, eines hohen Ehrenträgers im Buddhismus, weitergaben. Manche sind reinkarnierte Wesen, einige von ihnen wurden Äbte und Äbtissinnen von Klöstern. Die Tulku-Linie von Dorje Phagmo tauchte bis zu ihrer Wiederentdeckung vor wenigen Jahren kaum in der Literatur auf.
Unter den Reinkarnationen gibt es interessante Formen, die manche Vertreter der westlichen Welt zu irritieren vermögen, denn es scheint, als seien heilige Männer als Frauen wiedergeboren worden und umgekehrt. Eine dieser Wiedergeburten, die aus westlicher Sicht eine ungewöhnliche Verwandlung darstellt, war die des Lama Yeshe, der die Reinkarnation einer bekannten Äbtissin und großen spirituellen Lehrerin aus der Nähe von Lhasa gewesen sein soll. Lama Yeshe hat nicht nur das traditionelle Geshe-Studium in der buddhistischen Philosophie und dem Debattieren abgeschlossen, er war es auch, der nach der Vertreibung der Tibeter ins Exil die Bedeutung der Frauen im modernen tibetischen Buddhismus wesentlich stärkte.
Auch Kelsang Wangmo gehört zu den Frauen, die durch die Lehren des Lama Yeshe inspiriert wurden.
Die erste Schülerin des Lama Yeshe, dessen Buch Wisdom Energy für viele zum Weckruf wurde, war Zina Rachevsky, eine russischstämmige Amerikanerin, deren Mutter eine aus Deutschland stammende Jüdin war. Zina kam aus einer sehr reichen Familie von Finanzmagnaten und war in zweiter Ehe mit dem Regisseur des Films Siddhartha verheiratet. Sie selbst war Schauspielerin und hatte alles: Ruhm, Geld und Gefährten, aber als sie sich dazu entschloss, von Hollywood nach Indien zu gehen, befand sie sich offensichtlich gerade in einer schweren Krise.
Zina hatte eine kleine Tochter und war gerade in Kathmandu unterwegs, als sie 1963 zum ersten Mal Lama Yeshe begegnete. Es gibt beeindruckende Fotos von ihr aus dieser Zeit. Sie zeigen eine hochgewachsene, blonde Frau, die auf Gruppenbildern die sie umgebenden Nonnen und Mönche um eine ganze Kopfeslänge überragt.
Nach dem ersten Treffen soll sie nicht lockergelassen haben mit ihrem Wunsch, unterrichtet zu werden, und auch Lama Yeshe soll in ihr gleich seine Schülerin erkannt haben. Zina war wesentlich am Aufbau des Klosters von Lama Yeshe beteiligt und unterstützte die exiltibetische Gemeinde beziehungsweise deren Klöster. Ebenso schnell verbreitete sie die Lehre des tibetischen Buddhismus in Kalifornien, denn sie war dort sehr bekannt, und die anfängliche Irritation Hollywoods über ihren neuen Lebensweg war rasch in Neugier übergegangen.
Zina wurde eine glückliche und erfüllte Nonne. Allerdings starb sie schon drei Jahre nach ihrer Ordination in Dharamsala und zehn Jahre nach ihrer ersten Begegnung mit Lama Yeshe an Cholera.
Zina hatte, wie später auch andere Frauen aus dem Westen, die eine bedeutende Rolle im tibetischen Buddhismus spielen sollten, ihre Familie verlassen, um ein neues Leben zu beginnen. Ihre Tochter Rhea soll bei ihr gewesen sein, als sie starb; Zinas Mutter hatte sich zusammen mit ihrer Enkelin in der Nähe niedergelassen.
Als Zina 1973 im Kloster Thubten Chöling im Osten Nepals starb, soll es an jenem Tag ein überwältigendes Abendrot gegeben haben, ein Rot, das sich zunächst in Türkis verwandelte und sich dann über den schneebedeckten Bergen Nepals mit dem Horizont verband. Tagelang hatte es geregnet, nun war der Regen von einer Minute zur nächsten versiegt, und ein doppelter Regenbogen erhob sich am türkisfarbenen Abendhimmel über den schneeumkränzten Bergen.
Der Lehrer der westlichen Nonne aus Hollywood, Lama Yeshe, der sich tausendfünfhundert Kilometer entfernt in Tushita in der Nähe Dharamsalas befand, soll gespürt haben, dass sie in dieser Stunde starb. »Zina stirbt gerade«, sagte er seinem italienischen Übersetzer, der mit ihm im Retreat saß. Kurz darauf versenkte er sich in eine lange Meditation, um Zinas sterbendes Bewusstsein zu begleiten.
Für Buddhisten bedeutet der Tod vor allem Transformation, etwas, vor dem man sich nicht fürchten muss, denn es geht ja mit der nächsten Wiedergeburt weiter. Lama Yeshe sprach üblicherweise vom »Hinübergehen« des Bewusstseins, vom Übergang. Die Zeichen für Zinas Übergang seien gut, soll er gesagt haben, und wie dankbar er ihr sei. Ihrer guten Reinkarnation schien nichts im Wege zu stehen.
Zina war vor allem als Schauspielerin, Society Girl und reiche Erbin bekannt gewesen, und ihre Herkunft lieferte der amerikanischen Yellow Press zusätzliches Material, denn ihr Stiefonkel war ein russischer Großherzog.
Es ist nur wenig von dieser hochgewachsenen Frau überliefert, aber Bilder aus den frühen Sechzigerjahren, als sie zur Schülerin des Lama Yeshe wurde, zeigen ihre Transformation von der leicht arrogant wirkenden Amerikanerin mit vorgeschobenem Kinn und langen blonden Locken hin zur Nonne mit rasiertem Haupt. Sie trägt schon die Kleidung der Tibeter. Ihre markanten Gesichtszüge und ihr klarer Blick zeugen vom jahrelangen Retreat, in das sie sich zurückgezogen hat. Man erkennt in ihr kaum noch die Frau, als die sie in den Himalaya gekommen war, denn im schönsten Sinne ernst und erleuchtet schaut sie in die Kamera.
In den USA nahmen Frauen schon früh eine prominente Rolle im Buddhismus ein. Vielleicht spielte der Einfluss Zinas eine besondere Rolle dabei, vielleicht lag es aber auch am aufgeschlossenen Klima für kulturelle Unterschiede und für unterschiedliche Religionen. Es gibt dort wohl kaum eine Buchhandlung, die nicht in der Lebenshilfe- oder »Spiritual and more«-Abteilung« Bücher von Pema Chödrön führt, einer buddhistischen Nonne, die heute fast achtzig Jahre alt ist und mit dem wohlklingenden Namen Deirdre Blomfield-Brown in eine katholische Familie hineingeboren wurde. Auffallend ist das didaktische Geschick, mit dem diese frühere Grundschullehrerin westlichen Lesern den Buddhismus näherbringt. Ihre Weisheiten sind in zahlreichen Büchern enthalten, die mit verheißungsvollen Titeln locken wie Awakening – Loving – Kindness (Erwachen, Lieben, Freundlichkeit) oder The Wisdom of No Escape (die Weisheit des Nicht-entkommen-Könnens). Sie widerspricht in ihren Büchern sämtlichen Lebenshilfe-Weisheiten, die vor allem eines liefern wollen: Patentrezepte zum Glücklichsein. »Nichts im Leben hat Bestand«, schreibt sie unter anderem, und sie bereitet die geneigte Leserin darauf vor, dass sie bildlich gesprochen keinen festen Boden unter den Füßen erwarten könne, schon gar nicht im Buddhismus.
Pema Chödrön wurde zu Beginn des neuen Jahrtausends sehr erfolgreich. Die USA erlebten zu der Zeit ein Revival des Spirituellen. Das war der 2007 einsetzenden Finanzkrise zuzuschreiben, bei der viele Menschen ihre Arbeitsplätze und ihre Altersversorgung verloren. Meditationskurse boomten, Yoga erlebte den größten denkbaren Erfolg außerhalb Indiens, zudem war nach dem 11. September 2001 und den darauf folgenden politischen Wirren eine Verunsicherung entstanden, die viele Menschen still werden und nach neuen spirituellen Pfaden suchen ließ.
Pema Chödrön erhielt ihre volle Ordination erst nach zwei Ehen und der Geburt mehrerer Kinder. Da im tibetischen Buddhismus die Übertragungslinie der vollen Ordination für Frauen zu dieser Zeit noch nicht existierte, reiste sie nach Hongkong, um sich innerhalb einer chinesischen Linie ordinieren zu lassen. Dann zog sie sich in ein Kloster an der kanadischen Ostküste zurück. Sie beschreibt in ihren Büchern diesen Ort der Stille, Cape Breton in Nova Scotia, am Sankt-Lorenz-Strom gelegen, der ihr einen weiten Raum zum Denken und Beten gab. In der Nachfolge ihres Lehrers Trungpa Rinpoche erbaute sie das Kloster Gampo Abbey zum Teil mit eigenen Händen auf einer Fläche so groß wie achtzig Fußballfelder.
Pema Chödrön ist durch ihre Bücher, deren Einnahmen der Finanzierung des Klosters dienen, die wahrscheinlich bekannteste unter den modernen buddhistischen Nonnen des Westens geworden. Ihre Bücher sind auch auf Deutsch erhältlich, und ihre Lehren bergen eine gewisse Spröde, die westliche Interessierte auf der Suche nach einer neuen spirituellen Identität auch leicht verstören kann. So macht sie die Illusionen sinnsuchender Menschen mit leicht verklärtem Blick auf den Buddhismus zunichte, wenn sie schreibt, dass alle, die Buddhisten werden wollen, alles außer einer neuen Familie erwarten dürfen.