Robert Ludlum
Die Scorpio-Illusion
Roman
Aus dem Englischen von
Hans Heinrich Wellmann
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
Robert Ludlum
Die Scorpio-Illusion
Roman
Aus dem Englischen von
Hans Heinrich Wellmann
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
Das Buch
Amaya Bajaratt ist schön, geheimnisvoll – und tödlich. Seit sie mitansehen musste, wie spanische Soldaten ihre baskische Familie auslöschten, hegt sie einen tiefen Hass gegen jedwede staatliche Autorität. Sie wird eine der besten Attentäterinnen der Welt. Ihre Ziele: Der Präsident der Vereinigten Staaten und führende Staatsoberhäupter der westlichen Welt. Dabei erhält sie Unterstützung durch eine mächtige Geheimgesellschaft namens Scorpio, die von einer unkartierten Karibikinsel aus ihre Fäden zieht und selbst höchste Kreise der US-Regierung unterwandert hat.
Im verzweifelten Versuch, die Terroristin aufzuspüren, wendet sich der US-Geheimdienst an Tyrell Hawthorne. Der ehemalige Navy-Agent kennt die gefährlichen Gewässer wie kein zweiter. Es kommt zu einem tödlichen Wettlauf.
Der Autor
Robert Ludlum (1927 – 2001) zählt zu den erfolgreichsten Autoren der Welt, seine Thriller faszinieren seit vierzig Jahren ein Millionenpublikum. Seine beispiellose Schriftstellerkarriere nahm im Jahre 1971 seinen Anfang, als sein Debütroman sozusagen aus dem Stand Platz Eins der Bestsellerliste erreichte. Dieser Erfolg erlaubte es Ludlum, sich fortan nur noch dem Schreiben zu widmen. Inzwischen wurden viele seiner Romane, allen voran die Bestseller um den Agenten Jason Bourne, erfolgreich verfilmt. Allein im deutschsprachigen Raum wurden über 7 Millionen seiner Bücher verkauft.
Am Ende des Buches finden Sie ein ausführliches Werkverzeichnis aller im Wilhelm Heyne Verlag erschienenen Ludlum-Romane.
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Die Originalausgabe THE SCORPIO ILLUSION
erschien 1993 bei Doubleday, New York
Vollständige deutsche Taschenbuchausgabe 06/2012
Copyright © 1993 by Robert Ludlum
Copyright © 2012 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,
unter Verwendung eines Motivs von © Shutterstock
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN: 978-3-641-08027-3
V002
www.heyne.de
Für Jeffrey, Shannon und James
PROLOG
Askalon, Israel, 2 Uhr 47
Dichter Regen durchschnitt die Nacht wie mit silbernen Messern. Der dunkle Himmel bezog sich mit noch dunkleren Massen wirbelnder schwarzer Wolken, als sich die beiden miteinander vertäuten Schlauchboote, schutzlos der Dünung des Meeres und dem peitschenden Wind ausgesetzt, der Küste näherten.
Die Mitglieder des Stoßtrupps waren völlig durchnässt. Schweiß und Regen hatten Streifen in ihre geschwärzten Gesichter gezogen; mit zusammengekniffenen Augen versuchten sie angestrengt, den Strand in der Dunkelheit auszumachen. Die Einheit bestand aus acht Palästinensern aus dem Beka´a-Tal und einer Frau, die selber keine Palästinenserin war, sich aber ihrer Sache angeschlossen hatte, da diese untrennbar mit dem verbunden war, wozu sie sich vor Jahren bekannt hatte: Muerte a toda autoridad! Sie war die Frau des Führers der Einheit.
»Nur noch wenige Minuten!«, rief der große Mann, als er sich neben der Frau niederkniete. Seine Waffen waren wie die der anderen mit Riemen am dunklen Tarnanzug festgebunden; auf dem Rücken trug er einen schwarzen wasserdichten Rucksack mit Sprengstoff. »Denk daran, den Anker zwischen den Booten auszuwerfen, wenn wir an Land gehen. Das ist wichtig.«
»Ich verstehe, mein Gemahl. Aber es wäre mir lieber, wenn ich mitkommen könnte …«
»Damit wir hier nicht mehr wegkommen, um weiterzukämpfen?«, fragte er. »Die Hochspannungsleitungen sind keine drei Kilometer von der Küste entfernt; sie versorgen Tel Aviv mit Strom, und wenn wir sie erst in die Luft gejagt haben, wird die Hölle los sein. Wir besorgen uns ein Fahrzeug und sind in einer Stunde wieder zurück. Aber unsere Ausrüstung muss hierbleiben.«
»Ich verstehe.«
»Wirklich? Kannst du dir vorstellen, was das bedeutet? Der größte Teil, wenn nicht ganz Tel Aviv ohne Licht! – Und natürlich Askalon. Perfekt … Und du, mein Augenstern, warst es, die den wunden Punkt ausfindig gemacht hat, das ideale Ziel.«
»Ich habe nur einen Vorschlag gemacht.« Ihre Hand streichelte seine Wange. »Komm bald zurück, Geliebter.«
»Zweifle nicht daran, meine Amaya der Feuer … Wir sind nahe genug dran … Jetzt!« Der Führer der Einheit gab den Männern auf beiden Booten ein Zeichen. Alle ließen sich in die schwere Brandung gleiten und hielten die Waffen hoch über dem Kopf, während sie sich gegen die Wellen stemmten und durch den weichen Sand zum Strand vorrückten. Sobald sie ihn erreicht hatten, ließ der Führer seine Taschenlampe einmal kurz aufleuchten, um anzuzeigen, dass die gesamte Einheit sich auf feindlichem Boden befand – bereit, die Aktion zu beginnen. Die Frau warf den schweren Anker zwischen den beiden Booten aus, die einträchtig den Bewegungen der Wellen folgten. Sie hielt das Funkgerät einsatzbereit an Ohr und Mund; sie würde es nur im Notfall benutzen, da die Juden den Funkverkehr an der Küste überwachten.
Dann, plötzlich, mit einer schrecklichen Endgültigkeit, zerbarsten alle Träume des Ruhms in den Salven eines Maschinengewehrfeuers, das von beiden Seiten auf die Einheit niederging. Es war ein Massaker. Soldaten rannten über den Strand, feuerten ihre Waffen in die zuckenden Körper der Askalon-Brigade ab, zerfetzten Schädel, verschonten keinen der Palästinenser. Keine Gefangenen! Nur Tote!
Die Frau im Schlauchboot handelte rasch trotz ihres Schmerzes, trotz des Schocks, der sie lähmte. Nur von dem Impuls bestimmt zu überleben, stieß sie ihr langes Messer an mehreren Stellen in die PVC-Haut der Boote, ergriff eine wasserdichte Tasche, die Waffen und gefälschte Papiere enthielt, und sprang in die Wellen. Gegen die Brandung und die Unterströmung ankämpfend, hielt sie, nach Süden vordringend, einen Abstand von fünfzig Metern zur Küste ein, ehe sie quer zu den Wellen an den Strand schwamm. Sie sah fast nichts in dem dichten Regen, als sie das seichte Wasser erreicht hatte und zurück zum Kampfplatz kroch. Dann hörte sie die israelischen Soldaten, die auf Hebräisch Rufe austauschten. Jede Faser ihres Körpers erstarrte in kalter Wut.
»Wir hätten Gefangene machen sollen.«
»Wozu? Damit sie später unsere Kinder töten, wie meine beiden Söhne, die sie im Schulbus abgeschlachtet haben?«
»Man wird uns einen Vorwurf daraus machen – sie sind alle tot.«
»Genau wie meine Mutter und mein Vater. Die Schweine haben sie in einem Weinberg niedergeschossen, zwei alte Leute, mitten unter den Reben.«
»Mögen sie in der Hölle schmoren! Die Hisb Allah hat meinen Bruder zu Tode gefoltert!«
»Nehmt ihre Waffen und schießt ein bisschen in die Gegend … ein paar Streifschüsse an Armen und Beinen werden uns nicht umbringen!«
»Jacob hat recht. Sie haben zurückgeschossen. Wir hätten alle getötet werden können.«
»Einer von uns sollte in die Siedlung laufen und Verstärkung anfordern!«
»Wo sind ihre Boote?«
»Die sind doch längst weg, auf Nimmerwiedersehen. Wahrscheinlich waren es Dutzende! Grund genug, die zu töten, die wir gesehen haben!«
»Beeil dich, Jacob! Wir dürfen der verdammten liberalen Presse keinen Stoff liefern!«
»Warte! Dieser hier lebt noch!«
»Lass ihn sterben. Nehmt ihnen die Waffen ab und schießt die Magazine leer.«
Das Stakkato der Schüsse drang durch die Nacht und den Regen. Dann warfen die Soldaten die Gewehre des Stoßtrupps neben die Leichen und eilten zurück in die seegrasüberspülten Dünen. Streichhölzer und Feuerzeuge flammten hinter vorgehaltenen Händen auf. Das Massaker war vorbei; das Vertuschungsmanöver hatte begonnen.
Die Frau kroch in dem seichten Wasser vorsichtig weiter. Das Gewehrfeuer klang noch in ihren Ohren nach, gab dem Hass, der sie erfüllte, neue Nahrung – dem Hass und dem Gefühl des Verlustes. Sie hatten den Mann getötet, den sie liebte, den einzigen Mann auf Erden, den sie als gleichwertig anerkennen konnte; denn kein anderer besaß ihre Kraft, ihre Entschlossenheit. Er war tot, und es würde nie wieder jemanden wie ihn geben, wie diesen göttlichen Anführer mit seinen brennenden Augen, dessen Stimme die Menschen zum Weinen und Lachen bewegen konnte. Und sie war stets neben ihm gewesen, hatte ihn geleitet, hatte ihn bewundert. Die Welt der Gewalt würde nie wieder ein solches Paar sehen.
Sie hörte ein Stöhnen, einen leisen Aufschrei, der durch das Geräusch des Regens und der Brandung drang. Ein Körper rollte den Strandhang hinunter und blieb wenige Meter vor ihr liegen. Schnell kroch sie auf den regungslosen Körper zu und griff nach ihm; er lag mit dem Gesicht nach unten im Sand. Sie drehte ihn um, und der Regen rann über die von Blut verkrusteten Züge. Es war ihr Mann, mit durchschnittener Kehle und zertrümmertem Schädel. Sie hielt ihn fest umschlungen. Er öffnete noch einmal die Augen, dann schloss er sie für immer.
Die Frau blickte nach oben in die Dünen zu den in der Dunkelheit glühenden Zigaretten. Mit dem Geld in ihrer Tasche und den falschen Papieren würde sie sich durch das verhasste Israel schlagen, eine Spur von Tod und Vernichtung hinter sich lassend. Sie würde zum Beka’a-Tal zurückkehren, um vor den Hohen Rat zu treten. Sie wusste genau, was sie zu tun hatte: Muerte a toda autoridad!
Beka’a-Tal, Libanon, 12 Uhr 17
Das Flüchtlingscamp lag unter der glühenden Mittagssonne, eine Enklave von Vertriebenen, von denen viele durch Ereignisse, die sie weder zu verantworten hatten noch beeinflussen konnten, zutiefst erniedrigt worden waren. Ihr Schritt war langsam und schleppend, ihre Gesichter starr, und in ihren dunklen, niedergeschlagenen Augen lag eine Verzweiflung, die von dem Schmerz verblassender Erinnerungen kündete, von Bildern, die nie wieder Wirklichkeit gewinnen würden. Andere hingegen waren aufsässig; sie trotzten der Erniedrigung, dachten nicht daran, den Status quo zu akzeptieren. Es waren die Mudschahidin, die Kämpfer Allahs, die Rächer Gottes. Sie bewegten sich, ihre Waffen stets griffbereit über die Schulter geschnallt, mit schnellen Schritten, voller Entschlossenheit. Aufmerksam spähten sie um sich, ständig auf der Hut; ihre Augen waren von Hass erfüllt.
Vier Tage waren seit dem Massaker von Askalon vergangen. Die in eine grüne Khaki-Uniform gekleidete Frau verließ ihre aus drei Zimmern bestehende Hütte; »Haus« wäre dafür eine falsche Bezeichnung gewesen. Die Tür war mit schwarzem Tuch verhängt, der Farbe des Todes. Die Passanten blieben stehen, um sie anzuschauen, hoben die Augen zum Himmel und murmelten Gebete für den Verstorbenen. Von Zeit zu Zeit stieg ein klagender Schrei auf, die Bitte an Allah, den Toten zu rächen. Denn dies war die Wohnung des Führers der Askalon-Brigade; und die Frau, die jetzt über die staubige Straße schritt, war seine Frau gewesen. Auch sie gehörte zu den großen Mudschahidin in diesem Tal der Erniedrigung und der Rebellion. Sie und ihr Mann waren Symbole der Hoffnung für eine fast verlorene Sache.
Als sie die in der prallen Sonne liegende Straße hinunterging, machte die Menge ihr Platz. Viele berührten sie sacht, fast andächtig, murmelten Gebete, bis einer »Baj, Baj, Baj …Baj« zu rufen begann – ein Ruf, der wie eine Beschwörung klang und in den bald alle anderen einfielen.
Die Frau beachtete keinen von ihnen. Sie ging geradewegs auf ein aus Holz errichtetes, barackenähnliches Gemeindehaus am Ende der Straße zu, in dem die Mitglieder des Hohen Rats des Beka’a-Tals sie erwarteten. Sie trat ein; ein Wächter schloss die Tür hinter ihr, und sie stand neun an einem langen Tisch sitzenden Männern gegenüber. Eine kurze Begrüßung, knappe Beileidsbekundungen. Der Vorsitzende des Komitees, ein älterer Araber, der den Stuhl in der Mitte eingenommen hatte, sagte:
»Deine Nachricht hat uns erreicht. Sie hat uns nicht überrascht.«
»Dein Vorhaben«, sagte ein Mann in mittleren Jahren, der eine der vielen Uniformen der Mudschahidin trug, »kann für dich den Tod bedeuten. Ich hoffe, du weißt das.«
»Und wenn. Umso schneller werde ich wieder mit meinem Mann vereint sein.«
»Ich wusste nicht, dass du dich zu unserem Glauben bekennst«, sagte ein anderer.
»Das ist unerheblich. Ich bitte euch nur, mich finanziell zu unterstützen. Ich glaube, dass ich mir im Laufe der Jahre diese Unterstützung verdient habe.«
»Zweifellos«, stimmte ein anderer zu. »Du bist uns mit deinem Mann, möge er mit Allah in seinen Gärten ruhen, eine große Hilfe gewesen. Doch ich sehe eine Schwierigkeit …«
»Ich werde allein vorgehen – nur von denen unterstützt, die mich begleiten –, um Rache für Askalon zu nehmen. Eine außerplanmäßige Einsatztruppe, die allein sich selbst verantwortlich sein wird. Ist deine ›Schwierigkeit‹ damit ausgeräumt?«
»Wenn du das kannst«, erwiderte ein anderer Führer.
»Ich habe bereits bewiesen, dass ich es kann. Muss ich euch an das erinnern, was ich geleistet habe?«
»Nein, das ist nicht nötig«, sagte der Vorsitzende. »Du hast unsere Feinde immer wieder so rettungslos in die Irre geführt, dass befreundete Regierungen für Taten bestraft wurden, von denen sie überhaupt nichts wussten.«
»Wenn nötig, werde ich diese Praxis fortsetzen. Überall gibt es Feinde und Verräter, selbst unter euren ›befreundeten‹ Regierungen. Alle Regierungen sind korrupt.«
»Du traust niemandem, was?«, fragte der Araber in mittleren Jahren.
»Das weise ich entschieden zurück. Ich habe einen von euch geheiratet. Ich habe euch sein Leben gegeben.«
»Ich bitte um Entschuldigung.«
»Das solltest du auch. Eure Antwort, bitte.«
»Du bekommst, was du brauchst«, sagte der Vorsitzende des Komitees. »Stimme dich mit Bahrein ab, wie du es früher getan hast.«
»Danke.«
»Wenn du in den Vereinigten Staaten bist, wirst du mit einer anderen Organisation zusammenarbeiten. Sie werden dich beobachten, dich prüfen, und wenn sie überzeugt sind, dass du keine Bedrohung für sie darstellst, werden sie mit dir Kontakt aufnehmen. Dann wirst du eine von ihnen sein.«
»Wer sind sie?«
»Sie sind nur wenigen bekannt. Sie selber nennen sich Scorpios, die Skorpione.«