Kevin Brooks
Black Rabbit Summer
Roman
Aus dem Englischen von
Uwe-Michael Gutzschhahn
Deutscher Taschenbuch Verlag
Ungekürzte Ausgabe
© 2009, 2012 für die deutschsprachige Ausgabe:
Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
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eBook ISBN 978 - 3 - 423 - 41476 - 0 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978 - 3 - 423 - 71498 - 3
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Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Acht
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Zehn
Elf
Zwölf
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Fünfzehn
Sechzehn
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Achtzehn
Neunzehn
Zwanzig
Einundzwanzig
Zweiundzwanzig
Dreiundzwanzig
Vierundzwanzig
Fünfundzwanzig
Sechsundzwanzig
Siebenundzwanzig
Achtundzwanzig
Neunundzwanzig
Dreißig
Einunddreißig
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Für die ganz wunderbare Sarah Hughes
Der Sommer dieser Geschichte begann für mich an einem heißen Donnerstagabend Ende Juli, während die Sonne allmählich unterging. Ich war mit Nichtstun beschäftigt – lag bloß auf dem Bett und starrte die Decke an –, weshalb ich in Wirklichkeit gar nicht sah, wie die Sonne unterging, trotzdem bin ich mir ziemlich sicher, dass sie da draußen irgendwo war. Alles war irgendwo da draußen – der von Sonnenstrahlen erleuchtete Horizont, das abnehmende Rot des Himmels, der Mond, der Rest der Welt –, ich wollte nur mit nichts davon etwas zu tun haben.
Ich wollte damals mit gar nichts etwas zu tun haben.
Das Einzige, was ich wollte, war auf meinem Bett liegen und die Decke anstarren.
Ich hatte keine Ahnung, woher meine Lethargie kam – und ich glaube, es interessierte mich auch nicht besonders –, doch in den ungefähr drei Wochen seit Schulende hatte ich offensichtlich die Gewohnheit angenommen, gar nichts zu tun, und es fiel mir schwer, von dieser Gewohnheit wieder loszukommen. Spätmorgens aufstehen, stundenlang zu Hause rumhängen, ein Weilchen in der Sonne sitzen … vielleicht ein Buch lesen, vielleicht auch nicht. Was spielte es für eine Rolle? So wie ich es sah, würden die Tage und Nächte vergehen, egal ob ich irgendwas tat oder nicht. Und genauso war es. Die Vormittage vergingen, die Nachmittage vergingen, die Abende wurden nach Sonnenuntergang zu Nächten … und ehe ich mich versah, lag ich wieder auf meinem Bett, starrte die Decke an und wunderte mich, wo der Tag geblieben war, warum ich nichts gemacht hatte und wieso ich mich nicht aufraffen konnte, irgendwas zu tun.
Es gab jede Menge Dinge, die ich an jenem Abend hätte tun können. Es war erst halb zehn. Ich hätte fernsehen, eine DVD gucken oder mich anziehen und irgendwo hingehen können. Ich hätte fernsehen, eine DVD gucken und mich danach anziehen und irgendwo hingehen können.
Aber ich wusste, ich würde es nicht tun.
Ich war zufrieden, nichts zu tun.
Zufrieden?
Keine Ahnung.
Ich nehme an, dass ich zufrieden war.
Das jedenfalls tat ich, als das Telefon klingelte und der Sommer dieser Geschichte begann – ich lag auf dem Bett, starrte die Decke an und war in gedankenlose Gedanken versunken. Das Klingeln des Telefons drang nicht richtig zu mir durch. Es war bloß ein Geräusch, das vertraute eintönige Trillern des Telefons unten im Flur, und ich wusste, der Anruf galt sicher nicht mir. Wahrscheinlich war es nur Dad, der vom Büro aus anrief, oder eine von Mums Freundinnen, die ein bisschen quatschen wollte.
Kein Grund, sich aufzuregen.
Kein Grund für irgendwas.
Höchstens was zum Hören.
Jetzt hörte ich Mum unten – wie sie aus dem Wohnzimmer kam, durch den Flur ging, sich leise räusperte, den Hörer abnahm …
»Hallo?«, hörte ich sie sagen.
Kurze Pause.
Danach: »Oh, hallo, Nicole. Wie geht’s?«
Nicole?, dachte ich und mein Herz schlug ein bisschen schneller. Nicole?
»Pete!«, rief Mum. »Telefon!«
Einen Moment rührte ich mich nicht. Ich lag bloß auf meinem Bett, starrte die Zimmertür an und überlegte, warum mich Nicole Leigh an einem Donnerstagabend um halb zehn anrufen sollte. Wieso rief sie mich überhaupt an? Sie hatte mich seit einer Ewigkeit nicht angerufen.
»Pete!«, rief Mum wieder, diesmal lauter. »Telefon!«
Mir war eigentlich nicht danach, mit jemandem zu reden, und ich wollte Mum schon fast bitten, sie solle Nicole sagen, ich sei nicht da und würde später zurückrufen. Doch dann begriff ich, dass ich, um das zu tun, ebenfalls aufstehen und nach unten gehen musste, außerdem würde Mum fragen, wieso ich nicht mit Nicole sprechen wollte, und ich müsste mir irgendwas ausdenken, was ich ihr sagen könnte …
Und darauf hatte ich keinen Bock.
Und selbst wenn …
Also, es war ja schließlich nicht irgendwer am Apparat, oder? Es war Nicole Leigh.
Ich rappelte mich hoch, reckte die Steifheit aus meinem Nacken und machte mich auf den Weg nach unten. Als ich ankam, stand Mum am Ende des Flurs und hielt die Hand über den Hörer.
»Nicole ist dran«, sagte sie übertrieben flüsternd und formte die Worte mit den Lippen, als ob es um irgendetwas Geheimes ginge.
»Danke«, antwortete ich und nahm ihr das Telefon aus der Hand. Ich wartete, bis sie wieder im Wohnzimmer verschwunden war, dann hob ich den Hörer ans Ohr. »Hallo?«
»Guten Abend«, sagte eine vornehm tuende Stimme. »Spreche ich mit Mr Peter Boland?«
»Hi, Nic.«
»Mist«, sagte sie und lachte. »Woher wusstest du, dass ich es bin?«
»Telepathie«, antwortete ich. »Ich hatte gerade an dich gedacht, als plötzlich das Telefon klingelte –«
»Lügner. Deine Mum hat dir gesagt, dass ich dran bin, stimmt’s?«
»Ja.«
Nic lachte wieder. Es war ein sympathisches Lachen, irgendwie heiser und süß, es erinnerte mich an vergangene Zeiten … Zeiten, die ich vergessen zu haben glaubte.
»Stör ich dich?«, fragte sie.
»Wie meinst du das?«
»Einfach so … du hast ganz schön lange gebraucht, um ans Telefon zu kommen, das ist alles. Und ich hab gehört, wie deine Mum ihre Hand über den Hörer gelegt und geflüstert hat.«
»Das macht sie immer«, sagte ich. »Hat nichts zu bedeuten. Ich war bloß oben in meinem Zimmer …«
»Allein?«
Ich hörte das Schmunzeln in ihrer Stimme.
»Ja«, sagte ich. »Allein.«
»Brav.«
Ich starrte die Wand an, horchte auf die gedämpfte Stille am anderen Ende der Leitung und stellte mir den Ausdruck in Nics Gesicht vor – amüsiert, aufmerksam, auf nette Art verschwörerisch.
»Und, Pete«, fuhr sie fort. »Wie geht’s?«
»Ganz gut, glaub ich.«
»Was hast du so allein getrieben?«
»Nicht viel. Und du?«
»O Gott«, seufzte sie, »das Einzige, was ich in den letzten drei Wochen gemacht hab, ist packen.«
»Packen?«
»Ja, du weißt doch … für den Umzug nach Paris.«
»Ich dachte, der ist erst Ende September.«
»Schon, aber Mum und Dad sind die nächsten drei Wochen unterwegs und sie wollen den größten Teil der Packerei hinter sich haben, bevor sie losfahren. Im Moment stehen hier überall Kartons und anderer Mist rum. Als würden wir in einem Lagerhaus wohnen.«
»Klingt lustig.«
»Ja …«
Ich schwieg eine Weile und wartete darauf zu erfahren, was sie wirklich wollte. Nicole war nicht der Typ für Small Talk und ich wusste, sie rief mich nach all der Zeit sicher nicht an, nur um mit mir über Umzugskisten zu quatschen. Deshalb starrte ich die Wand an und wartete.
Schließlich sagte sie: »Hör zu, Pete … Bist du noch dran?«
»Ja.«
»Was machst du am Samstag?«
»Samstag? Keine Ahnung … nichts Besonderes. Wieso?«
»Du weißt aber schon, dass es auf dem Parkgelände eine Kirmes gibt, oder?«
»Ja.«
»Samstag ist der letzte Tag und ich dachte, wir könnten uns treffen, mal wieder einen netten Abend haben. Bloß wir vier – du, ich, Eric und Pauly. Du verstehst schon, wegen der alten Zeiten.«
»Wegen der alten Zeiten?«
»Ja, du weißt doch, woran ich denke – unsere Clique … wir vier. Ich meine, so lange ist das ja noch nicht her, oder? Ich hab einfach gedacht, na ja, du verstehst schon …«
»Was?«
»Ich dachte bloß, wir sollten uns mal wieder treffen, bevor es zu spät ist.«
»Zu spät für was?«
»Na ja, du gehst aufs Oberstufen-College, Eric und ich hauen ab nach Paris, Pauly kriegt wahrscheinlich einen Job … vielleicht ist es ja die letzte Gelegenheit, uns zu treffen.«
»Ja, kann sein …«
»Komm schon, Pete … Eric und Pauly sind auch dafür. Wir treffen uns in der alten Hütte am Drecksweg –«
»In der Hütte?«
Sie lachte. »Ja, ich weiß … ich hab erst vor einer Weile wieder dran denken müssen, du weißt schon, ich hab mich dran erinnert, wie wir sie gebaut haben und so, und da fand ich, das wär doch ein guter Ort für ein letztes Treffen. Wär bestimmt lustig – so wie die Hüttenfeten, die wir früher gefeiert haben. Jeder bringt ein paar Flaschen mit, wir lassen uns ein bisschen volllaufen … und danach gehen wir alle zusammen auf die Kirmes und kotzen in die Achterbahn.« Sie lachte wieder. »Du musst einfach kommen, Pete. Ohne dich wär es nicht das Gleiche.«
»Was ist mit Raymond?«
Nicole zögerte. »Raymond Daggett?«
»Ja, ich meine, es waren doch nicht nur wir vier in der alten Clique, oder? Raymond war meistens auch dabei.«
»Hm, ja, schon. Aber Raymond … ich mein, das ist doch nicht so sein Ding, oder?«
»Was willst du damit sagen?«
»Du weißt schon … Fete machen, auf die Kirmes gehen, sich mit Eric und Pauly treffen. Ich glaub einfach nicht, dass ihm das Spaß machen würde, das ist alles.«
»Wieso nicht?«
»Schau mal, Pete«, seufzte sie. »Ich sag ja nicht, dass ich ihn nicht dabeihaben will …«
»Was dann?«
»Nichts. Nur …«
»Was?«
»Gar nichts. Schon gut.« Sie seufzte wieder. »Wenn du willst, dass Raymond mitkommt –«
»Ich weiß noch nicht mal, ob ich komme.«
»Natürlich weißt du das«, sagte sie und ihre Stimmung hellte sich wieder auf. »Du wirst doch zu mir nicht Nein sagen, oder?«
»Nein.«
Sie lachte wieder, doch diesmal klang es eher gequält. Ich hatte das Gefühl, dass sie sich zwingen musste, lustig zu sein, obwohl sie in Wirklichkeit ernst sein wollte … und ich wusste nicht recht, wie ich das fand. Es lag etwas fast Intimes in der Art, wie sie mit mir sprach, und fast hätte ich mir eingebildet, sie würde mit mir flirten. Doch ich wusste es besser. Nicole Leigh würde nicht mit mir flirten. Das hatten wir alles hinter uns. Wir kannten uns inzwischen kaum mehr. Wir bewegten uns in anderen Kreisen. Wir taten andere Dinge. Wir hatten andere Freunde. Das Einzige, was uns noch verband, war die gemeinsame Erinnerung an die Zeit, als wir zusammen mit Raymond, Pauly und Eric herumgezogen waren. Erinnerungen an Gangs und Hütten, an lange Tage unten am Fluss oder im Wald … Erinnerungen an atemlose unerfahrene Küsse und ungeschicktes Gefummel in der verlassenen Fabrik am Ende des Wegs …
Erinnerungen … mehr nicht.
Kinderkram.
»Pete?«, hörte ich Nic fragen. »Hast du gehört, was ich gesagt hab?«
»Was?«
»Ich hab gesagt, vergiss nicht, was zu trinken mitzubringen.«
»Wie bitte?«
»Was zu trinken … ’ne Flasche. Am Samstag.«
»Ach so, ja … klar.«
»Wir treffen uns um halb zehn in der Hütte, okay?«
»In der Hütte am Drecksweg?«
»Ja, in der oben an der Böschung bei der alten Fabrik. Gegenüber von den Gastürmen.«
»Ist klar.«
Sie zögerte einen Moment. »Überlegst du immer noch, Raymond mitzubringen?«
»Wieso nicht?«
»In Ordnung. Aber du kannst nicht die ganze Nacht auf ihn aufpassen.«
»Raymond braucht keinen Aufpasser.«
»So mein ich das nicht. Ich wollte nur sagen …« Ihre Stimme verlor sich und ich hörte, wie sie sich eine Zigarette anzündete. »Egal, hör zu«, fuhr sie fort. »Nach der Kirmes gehen wir alle noch zu mir nach Hause. Mum und Dad sind bis dahin wohl weg, also … du weißt schon … du kannst gern hier übernachten.« Sie machte eine Pause, dann fügte sie leise hinzu: »Ohne Hintergedanken.«
»Verstehe …«
»Okay. Dann bis Samstag.«
»Ja.«
»Halb zehn.«
»Halb zehn.«
»Also, dann tschüss.«
»Ja, tschüss.«
Kannst du dir vorstellen, wie das ist? Du redest mit jemandem und bist dir die ganze Zeit nicht im Klaren, was er eigentlich sagen will. Und wenn er dann weg ist und du noch mal nachdenkst, kapierst du, dass du wirklich nicht die leiseste Ahnung hast. So ging es mir, nachdem ich mich von Nicole verabschiedet hatte. Ich stand im Flur, starrte dämlich zu Boden und dachte mir …
Alte Zeiten?
Hüttenfeten?
Kirmes und Achterbahnen?
Was sollte das alles, verdammt noch mal?
Fünf Minuten später, als die Wohnzimmertür aufging und meine Mum herauskam, stand ich immer noch da.
»Alles in Ordnung, Schatz?«, fragte sie.
Ich sah sie an. »Ja … ja, mir geht’s gut.«
Sie schaute das Telefon an, dann wieder mich. »Wie geht’s Nicole?«
»Gut … sie zieht bald um. Ihr Dad hat einen neuen Job in Paris. Gründet da ein Theater oder so. Im September ist der Umzug.« Ich wusste nicht, warum ich das alles erzählte. Ich glaube, ich war noch immer ein bisschen verblüfft, irgendwie durcheinander. Ich öffnete nur einfach den Mund und bildete Laute. »Nicole hat mich gefragt, ob wir mit Eric und Pauly zusammen am Samstag auf die Kirmes gehen.«
»Klingt gut«, sagte Mum.
Ich zuckte die Schultern. Sie fragte: »Hast du keine Lust?«
»Weiß nicht …«
»Würde dir aber guttun.«
Ich sah sie an.
Sie lächelte traurig zurück. »Du musst mal ein bisschen mehr raus, Pete. Frische Luft tanken. Du kannst doch nicht den ganzen Tag bloß im Haus rumhängen.«
»Ich hänge doch gar nicht den ganzen Tag im Haus rum … ab und zu setz ich mich auch in den Garten.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich meine es ernst, Pete. Manchmal mach ich mir Sorgen um dich.«
»Brauchst du nicht.«
»Aber irgendwie machst du doch überhaupt nichts mehr. Du gehst nicht weg, du interessierst dich für nichts, du liegst nur den ganzen Tag da und siehst fern oder schläfst.« Sie musterte mich besorgt. »Ich meine, was ist mit all den Dingen, die du sonst immer gemacht hast?«
»Was denn?«
»Fußball … sonst hast du jeden Samstag Fußball gespielt. Und du bist in diese Lesegruppe gegangen, in der Bücherei. Das hat dir doch richtig Spaß gemacht.«
Ich zuckte wieder die Schultern. »Ich les auch jetzt viel … ich les dauernd Bücher. Ich hab nur keine Lust, rumzusitzen und drüber zu reden.«
»Na gut«, sagte Mum. »Und was ist mit deiner Gitarre? Du hast sie seit Monaten nicht mehr angefasst … sie steht bloß in deinem Zimmer in der Ecke und staubt ein. Früher hast du jeden Abend geübt. Du warst schon richtig gut.«
»War ich nicht. Ich war scheiße.«
Mum sah mich wieder lange an. »Du sagst mir doch, wenn irgendwas mit dir ist, ja?«
»Mit mir ist nichts, Mum. Alles in Ordnung – ehrlich.«
»Du hast wirklich nichts auf dem Herzen?«
»Nein.«
»Die Abschlussnoten vielleicht?«
»Nein.«
»Oder das College?«
»Mum«, entgegnete ich energisch. »Ich hab dir doch schon gesagt – es ist nichts. Okay? Alles in Ordnung mit mir. Ich bin nur … keine Ahnung. Ich bin einfach ein bisschen müde …«
»Müde? Wieso müde?«
»Keine Ahnung …«
Sie sah mir in die Augen, betrachtete meine Pupillen.
»Nein«, seufzte ich. »Ich nehm keine Drogen.«
Sie trat einen Schritt zurück und sah mich wieder an. »Ich will dir doch nur helfen, Pete.«
»Ich brauch keine Hilfe.«
»Du solltest aber nicht die ganze Zeit müde und bedrückt sein«, sagte sie kopfschüttelnd. »Nicht in deinem Alter. Das ist nicht in Ordnung.«
Ich lächelte sie an. »Wahrscheinlich ist es nur so eine Phase. Die Hormone oder was.«
Sie versuchte zurückzulächeln, doch es gelang ihr nicht richtig. Und das machte mich traurig. Ich wollte ihr keinen Kummer machen.
»Es ist alles in Ordnung, Mum«, sagte ich ruhig. »Wirklich, alles okay. Ich fühl mich im Augenblick eben ein bisschen komisch. Irgendwie zwischen allen Stühlen, verstehst du … ich weiß nicht so richtig, wohin ich will. Keine große Sache. Ich fühl mich bloß ein bisschen …«
»Komisch?«, ergänzte Mum.
»Ja.«
Sie nickte. »Na gut. Aber wenn es schlimmer wird –«
»Sag ich dir Bescheid. Ehrlich.«
Sie hob die Augenbrauen. »Ganz ehrlich?«
»Ja«, sagte ich lächelnd. »Ich schwöre bei meinem Leben.«
In der Nacht konnte ich lange nicht einschlafen. Als ich im Bett lag und in die vom Mond erhellte Dunkelheit starrte, war mein Kopf derart voll mit Gedanken, dass ich sie geradezu aus meinem Schädel sickern spürte. Verschwitzte Gedanken, klebrig und salzig, sie quollen mir aus Ohren, Mund und Haut.
Gedanken, Bilder, Erinnerungen.
Nics Stimme: Du kannst gern hier übernachten. Ohne Hintergedanken.
Die Bilder in meinem Kopf: Nic und ich auf einer Party, als wir dreizehn, vielleicht vierzehn waren, zusammen hinter der verschlossenen Badezimmertür … Wir waren zu jung, um zu wissen, was wir taten, und trotzdem versuchten wir es.
Du wirst doch zu mir nicht Nein sagen, oder?
Schweißgebadet stand ich auf und stellte mich an das offene Fenster. Die Luft war schwül und stickig, die Nacht warm und still. Ich trug keinen Schlafanzug oder sonst was – dafür war es zu heiß –, und obwohl keine Brise ins Zimmer wehte, spürte ich, wie der Schweiß auf meiner Haut langsam abkühlte.
Ich zitterte.
Heiß und kalt.
Inzwischen war es früher Morgen. Zwei Uhr, drei Uhr, irgendwas um den Dreh. Unten vor dem Haus war es still und leer, doch ich hörte die Geräusche der nahen Hauptstraße leise herüberwehen – ab und zu ein Auto, das vorüberfuhr, Discobesucher, die zu später Stunde nach Hause gingen, einen fernen Schrei, betrunkene Stimmen …
Die Geräusche der Nacht.
Ich blickte die Straße hinab zu Raymond Daggetts Haus. Alles war dunkel, die Vorhänge waren zugezogen, sämtliche Lichter aus. Im blassen Schein einer Straßenlaterne sah ich den schmalen Weg, der ums Haus herum nach hinten führt, und ich erkannte den ganzen Krempel, der auf dem Platz vor dem Haus herumlag – Fahrradrahmen, Kisten, Paletten, Tüten mit Müll. Ich schaute zu Raymonds Fenster hinüber und überlegte, ob er wohl in seinem Zimmer war oder nicht.
Raymond verbrachte die Nächte nicht immer in seinem Zimmer. Manchmal wartete er, bis seine Eltern schliefen, schlich sich dann nach unten, ging hinaus und blieb über Nacht im Garten bei seinem Kaninchen. Er hielt das Kaninchen in einem Stall an der Schuppenwand am Ende des Gartens. Wenn es kalt war, nahm er das Tier mit in den Schuppen, wo sie sich unter einem Fetzen Stoff oder so aneinanderschmiegten. Doch wenn es warm war wie heute, ließ er das Kaninchen einfach aus dem Stall und beide saßen bloß da, still und zufrieden unter dem Sommerhimmel mit seinen Sternen.
Ich fragte mich, ob sie jetzt wohl da draußen waren.
Raymond und sein schwarzes Kaninchen.
Das Ganze fing an, als Raymond elf war und seine Eltern ihm zum Geburtstag ein Kaninchen schenkten. Es war ein dürres kleines Ding, total schwarz mit leicht glasigen Augen, einem verfilzten Bürzel und räudigem Fell. Ich glaube, Raymonds Dad hatte es im Pub oder sonst wo jemandem abgekauft. Vielleicht hatte er es auch irgendwo gefunden … keine Ahnung. Raymond war jedenfalls ziemlich überrascht gewesen, als er zum Geburtstag ein Kaninchen bekam. Einerseits, weil er sich gar keins gewünscht hatte – und es war das erste Mal in seinem Leben, dass er von seinen Eltern etwas bekam, ohne es sich gewünscht zu haben. Andererseits, weil seine Eltern seinen Geburtstag normalerweise vergaßen. Außerdem mochte er damals gar keine Kaninchen, wie er mir später gestand.
Doch das sagte er seinen Eltern nicht. Es hätte sie nur geärgert. Und Raymond hatte vor langer Zeit gelernt, dass es nicht gut war, seine Eltern zu verärgern. Deswegen hatte er sich herzlich bedankt und merkwürdig gelächelt, während er das Tier in den Armen hielt und streichelte.
»Wie willst du’s nennen?«, hatte seine Mutter gefragt.
»Raymond«, antwortete Raymond. »Ich werde es Raymond nennen.«
Aber das war gelogen. Er hatte nicht vor, das Kaninchen Raymond zu nennen. Er hatte nicht vor, ihm überhaupt einen Namen zu geben. Warum sollte er? Es war ein Kaninchen. Kaninchen haben keinen Namen. Sie brauchen keinen Namen. Sie sind bloß kleine stumme Tiere.
Es war wohl ein Jahr später, als Raymond mir erzählte, dass das Kaninchen angefangen habe, zu ihm zu sprechen. Anfangs dachte ich, er wolle mich auf den Arm nehmen und hätte sich wieder nur eine seiner komischen kleinen Geschichten ausgedacht – Raymond dachte sich ständig komische kleine Geschichten aus –, aber nach einer Weile begriff ich, dass er es ernst meinte. Damals waren wir oft unten am Fluss – nur wir beide, wir hingen rum, suchten nach Mäusen und ließen Kieselsteine über den Fluss springen, taten das, was man eben so tut –, und als Raymond mir von seinem Kaninchen erzählte, zeigte mir sein Blick, dass er fest überzeugt war von allem, was er sagte.
»Ich weiß, das klingt total bescheuert«, sagte er zu mir, »und ich weiß auch, dass er nicht wirklich zu mir spricht, aber irgendwie höre ich was in meinem Kopf oder so ähnlich.«
»Was denn?«, fragte ich ihn.
»Keine Ahnung … Wörter, denk ich. Aber es sind keine richtigen Wörter. Mehr so was wie … ich weiß nicht … wie ein Geflüster im Wind.«
»Gut, aber woher weißt du, dass es von deinem Kaninchen kommt?«, fragte ich. »Ich meine, es könnte doch auch irgendwas sein, das dir im Kopf rumspukt.«
»Er erzählt mir was.«
Ich starrte ihn an. »Und was?«
Raymond zuckte die Schultern und ließ einen Kiesel über den Fluss hüpfen. »Einfach irgendwas … manchmal sagt er Hallo. Oder Danke. So was in der Art.«
»Das ist alles? Bloß Hallo und Danke?«
Raymond blickte nachdenklich über den Fluss, mit leerem Blick, weit weg. Als er sprach, klang seine Stimme seltsam. »Schöner Himmel heute Abend …«
»Was ist los?«, fragte ich.
»Das hat Black Rabbit gestern Abend gesagt. Er hat mir erzählt, dass er den Himmel schön findet.«
»Schöner Himmel heute Abend?«
»Ja … und Grün ist frisch wie Wasser. Das hat er auch gesagt. Grün ist frisch wie Wasser. Am Tag davor hat er gesagt: Dieses gute hölzerne Haus und Stroh riecht blauen Himmel. Er sagt alles Mögliche.«
Raymond verstummte wieder und ich wusste auch nichts weiter zu sagen, deshalb saßen wir bloß eine Weile rum und machten nichts, sondern starrten nur schweigend auf das trübe braune Wasser des Flusses.
Nach ein, zwei Minuten wandte sich Raymond um und sah mich an. »Ich weiß, das ergibt keinen Sinn, Pete, und ich weiß auch, dass es verrückt klingt … aber es gefällt mir. Es gibt mir das gleiche Gefühl, wie ich’s jeden Tag beim Heimkommen habe – wenn ich durch den Garten zum Stall geh und Black Rabbit füttere, ihm frisches Wasser hinstelle und ihn ein bisschen rauslasse, während ich den Stall sauber mache … Es ist, als hätte ich diesen Freund, der mir Sachen erzählt, die okay sind. Er sagt mir was, das mir nicht wehtut. Dann fühl ich mich gut.«
Zwei Jahre später, als Black Rabbit an einer Pilzinfektion im Maul starb, weinte Raymond, wie er es noch nie zuvor getan hatte. Er weinte drei volle Tage lang. Als ich ihm half, Black Rabbit im Garten in einer alten Schachtel zu beerdigen, weinte er immer noch.
»Er hat mir gesagt, ich soll nicht weinen«, schluchzte Raymond, während er das Loch füllte, »aber ich kann es nicht ändern.«
»Wer?«, fragte ich und dachte, er spräche von seinem Dad. »Wer hat gesagt, du sollst nicht weinen?«
»Black Rabbit …«, antwortete Raymond heftig schniefend und wischte sich den Rotz von der Nase. »Ich weiß, was ich tun muss … ich meine, ich weiß, dass er nicht tot ist.«
»Was soll das heißen?«
»Er hat mir gesagt, ich soll ihn nach Hause bringen.«
Damals hatte ich keine Ahnung, was Raymond meinte, doch als ich am nächsten Tag bei ihm vorbeikam und sah, dass er in der Tierhandlung ein neues schwarzes Kaninchen gekauft hatte … na ja, natürlich verstand ich noch immer nicht, wovon er sprach, doch irgendwie begriff ich zumindest, was er meinte. Denn in Raymonds Augen war das Kaninchen, das er sich aus der Tierhandlung geholt hatte, nicht einfach ein neues schwarzes Kaninchen, sondern es war genau derselbe Black Rabbit. Mit denselben Augen, denselben Ohren, demselben pechschwarzen Fell … derselben flüsternden Stimme.
Raymond hatte getan, was ihm aufgetragen worden war – er hatte Black Rabbit nach Hause gebracht.
Ich zitterte wieder. Der Schweiß auf der Haut war inzwischen getrocknet, mir war nicht mehr ganz so heiß und ich hätte wieder ins Bett gehen können. Trotzdem blieb ich noch eine Weile am Fenster stehen, dachte an Raymond und fragte mich, ob er da draußen war … in der Dunkelheit saß und dem Geflüster in seinem Kopf lauschte.
Schöner Himmel heute Abend.
Dieses gute hölzerne Haus.
Stroh riecht blauen Himmel.
Ich dachte an das, was Nic gesagt hatte – dass Raymond bestimmt nicht mit auf die Kirmes wolle am Samstag. Wahrscheinlich hatte sie recht. Ich war mir ziemlich sicher, dass er Lust hätte, wenn nur wir beide, er und ich, hingingen, aber ich hatte meine Zweifel, was er davon halten würde, sich mit den andern zu treffen. Ich wusste ja selber nicht, was ich davon halten sollte. Nicole und Eric? Pauly Gilpin? Es kam mir vor wie … keine Ahnung. Wie eine Reise in die Vergangenheit: zurück in die Grundschulzeit, als wir alle hinten in der letzten Reihe der Klasse zusammensaßen; zurück in die Mittelstufenzeit, als wir auf dem Schulhof die andern immer im Auge hatten, nach der Schule gemeinsam rumhingen und die Wochenenden und Ferien zusammen verbrachten …
Damals waren wir Freunde.
Es gab Verbindungen. Nicole und Eric waren Zwillinge, Nic und ich taten so, als wären wir verliebt, Pauly bewunderte Eric, Eric passte auf Nic auf …
Verbindungen eben.
Aber das war damals und damals war alles anders. Wir waren anders. Wir waren Kinder. Und jetzt waren wir keine mehr. Wir waren in die Sekundarstufe gekommen, wir waren dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn geworden … und die Dinge hatten sich nach und nach verändert. Wie das eben so geht – die Welt wird größer, man driftet auseinander, die Freunde aus der Kindheit werden zu Leuten, die man mal gekannt hat. Ich meine, man kennt sie natürlich weiter, sieht sich noch Tag für Tag in der Schule und sagt wie üblich Hallo … aber sie sind nicht mehr das, was sie mal waren.
Die Welt wird größer.
Natürlich verändert sich nicht alles.
Raymond und ich hatten uns nie verändert. Unsere Welt war nie größer geworden. Wir waren Freunde seit jeher. Wir waren schon Freunde gewesen, ehe die andern dazukamen, wir waren Freunde gewesen, wenn wir mit den andern zusammen waren, aber auch unabhängig von ihnen, und in vieler Hinsicht waren wir trotz der anderen Freunde gewesen.
Wir waren Freunde.
Damals wie heute.
Deshalb war die Vorstellung, dass wir uns alle am Samstag treffen sollten … also irgendwie war es ein merkwürdiges Gefühl. Ein bisschen unheimlich, glaube ich. Geradezu sinnlos. Aber zugleich auch irgendwie aufregend. Aufregend auf eine merkwürdig-unheimlich-sinnlose Art.
Ich hatte mich vom Fenster abgewandt und starrte hinüber zu dem schwarzen Kaninchen aus Porzellan, das auf meiner Kommode stand. Es war Raymonds Geschenk zu meinem sechzehnten Geburtstag. Ein schwarzes Kaninchen aus Porzellan, fast lebensgroß, das auf allen vieren sitzt. Es war richtig schön – ganz glatt und glänzend, mit leuchtenden schwarzen Augen, einer Blumengirlande um den Hals und einem Gesichtsausdruck wie in Gedanken versunken. Es sah aus, als würde das Kaninchen an etwas denken, das vor langer Zeit geschehen ist, irgendetwas Trauriges, etwas, das es nie mehr vergessen kann.
Normalerweise berühren mich solche Dinge nicht sehr, aber als Raymond mir das Kaninchen schenkte, war ich ziemlich ergriffen. Alle andern hatten mir Geschenke gemacht, wie man sie eben so kriegt zum sechzehnten Geburtstag – Mum und Dad hatten mir Geld geschenkt, ein Mädchen, mit dem ich ein paarmal aus war, hatte mir eine unvergessliche Nacht geschenkt, und von Freunden aus der Schule hatte ich Karten und kleine lustige Sachen bekommen – aber Raymonds Kaninchen … das war ein richtiges Geschenk. Ein ernsthaftes Geschenk, das mit Bedacht ausgewählt worden war.
»Du musst es nicht behalten, wenn du es nicht magst«, hatte Raymond verlegen vor sich hin gemurmelt, während er mir beim Auspacken zusah. »Ich meine … ich weiß, es ist ein bisschen … na ja, du verstehst schon … ich meine, wenn es dir nicht gefällt …«
»Danke, Raymond«, sagte ich zu ihm, als ich das Porzellankaninchen in Händen hielt. »Es gefällt mir. Ich finde es wunderbar. Vielen Dank.«
Er hatte den Blick gesenkt und dann gelächelt und das Gefühl, das ich in diesem Moment spürte, war schöner als sämtliche Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke zusammen.
Jetzt schaute ich das Kaninchen an – sein Porzellankörper schimmerte im Mondlicht, die schwarzen Augen leuchteten und schauten traurig.
»Was meinst du, Raymond?«, fragte ich leise. »Willst du auf die Kirmes und eine Reise in die Vergangenheit machen? Oder sollen wir beide lieber bleiben, wo wir sind, verborgen in unserer eigenen kleinen Welt?«
Ich weiß nicht, was ich erwartete, aber das Porzellankaninchen gab keine Antwort. Es saß bloß da, schwarzäugig, traurig, und starrte ins Leere. Nach einer Weile kam ich mir ziemlich albern vor – wie ich da mitten in der Nacht nackt und allein am Fenster stand und mit einem Kaninchen aus Porzellan redete …
Mum hatte recht – ich musste wirklich mal wieder mehr unter Leute.
Ich schüttelte den Kopf und ging zurück ins Bett.
Die Häuser in unserer Straße, der Hythe Street, sehen alle ziemlich gleich aus – schlichte Reihenhäuser mit einem Vorplatz und einem ummauerten Garten hinten. Die Gärten auf unserer Seite enden an einem mit Sträuchern bewachsenen kleinen Abhang, der runter zum Fluss führt, während die Gärten auf Raymonds Seite über einen gemeinsamen Fußweg und an einer verfallenen Kirche vorbei auf die Hauptstraße blicken, die parallel zur Hythe Street verläuft. Die Hauptstraße, St Leonard’s Road, führt in südlicher Richtung aus dem Stadtzentrum den ganzen Weg hinab zum Hafen am Fuß des Hügels, der ungefähr achthundert Meter von der Hythe Street entfernt liegt.
Der Weg, der hinten an Raymonds Haus vorbeiführt, ist nicht gerade der schönste Ort der Welt. Erstens ist er bedrückend schmal, dazu kommt, dass auf beiden Seiten hohe Ziegelsteinmauern jedes Licht abhalten, sodass es dort selbst im Sommer düster und klamm ist. Die bröselnden alten Mauern sind oben mit Stacheldraht und Glasscherben bewehrt und aus irgendeinem Grund seit jeher schwarz vor Ruß. Außerdem entsorgen die Leute hier ihren Abfall, deshalb ist der Weg ständig mit irgendwelchem Mist zugestellt – prallen schwarzen Müllsäcken, überquellenden Mülltonnen, leeren Flaschen, Bierdosen, Hundescheiße … mit jeder Menge widerlichem Zeug. Deshalb ist der Weg wie gesagt nicht gerade der schönste Ort der Welt, trotzdem bin ich dort immer entlanggegangen, wenn ich zu Raymond wollte, und auch er ist dort entlanggegangen, wenn er zu mir wollte.
Es war unser Weg vom einen zum andern.
Es muss am Freitag irgendwann um die Mittagszeit gewesen sein, als ich das Haus verließ und mich auf den Weg zu Raymond machte. Die Sonne knallte vom Himmel und erfüllte die Luft mit einem milchig weißen Schleier. Als ich die Straße überquerte und in den Fußweg einbog, spürte ich, wie der aufgeweichte Teer an den Sohlen meiner Turnschuhe kleben blieb. So ein Tag war das – einer, an dem die Hitze derart stark ist, dass alles langsamer zu werden und zu schmelzen scheint, auch dein Gehirn. Dabei war mein Hirn ohnehin schon halb geschmolzen, weil ich so wenig geschlafen hatte. Doch davon abgesehen fühlte ich mich überraschend frisch. Ich hatte die schmutzigen Sachen ausgezogen, die ich die letzten drei Tage getragen hatte, ich hatte geduscht und es sogar fertiggebracht, ein paar Knoten aus meinen Haaren herauszubekommen. Weiß der Himmel, warum mir das wichtig war. Ich wollte doch bloß zu Raymond, und der hatte nie Wert drauf gelegt, wie ich aussah. Wahrscheinlich hatte er noch nie Wert drauf gelegt, wie irgendwer aussah.
Aber ich fühlte mich ganz okay, und selbst als ich den Fußweg zu Raymonds Gartentor entlangging und das Sonnenlicht den kalten Schatten der schwarz gefleckten Ziegelsteinmauern Platz machte, ging es mir so gut wie schon lange nicht mehr.
Als ich ankam, war das Tor zu. Es ist ein großes altes Holztor, zu hoch, um drüber wegzuschauen, deshalb konnte ich nicht sehen, ob Raymond im Garten war, und hören konnte ich auch nichts. Trotzdem wusste ich, dass er da war. Ich wusste es immer. Ich hatte im Lauf der Jahre so oft vor dem Tor gestanden, dass ich irgendwie fühlte, ob Raymond im Garten war oder nicht. Ich hab nie kapiert, wie das sein kann, aber es hat jedes Mal funktioniert. Genau genommen vertraute ich dem Gefühl so sehr, dass ich das Tor gar nicht öffnen musste, wenn ich spürte, er war nicht da. Ich konnte einfach umkehren und wieder nach Hause gehen.
Heute jedoch war er da. Ich wusste es.
Durch das Tor gelangte ich zum unteren Ende des Gartens, und als ich mich nach rechts umschaute, sah ich Raymond auf einem klapprigen Holzstuhl neben dem Schuppen sitzen. Doch er schien mich nicht bemerkt zu haben. Er saß nur da, starrte in den Garten, wobei sein Blick ins Leere ging, der Kopf rührte sich nicht. Die einzige Bewegung, die ich an ihm wahrnahm, war ein leichtes Zucken der Lippen, als würde er sich selbst Geheimnisse zuflüstern. Doch abgesehen davon wirkte er wie eine Statue.
Der Kaninchenstall neben ihm war leer, die Tür aus Maschendraht stand weit offen. Ich sah mich im Garten um – ein armseliges, vertrocknetes Rasenstück mit überwucherten Rändern – und entdeckte Black Rabbit, der im Schatten eines Fliederstrauchs hockte. Er tat nicht viel – saß einfach nur da, schaute sich um und ließ die Nase nachlässig zucken.
»Hallo, Pete.«
Als ich Raymonds Stimme hörte, schaute ich zu ihm hinüber und sah, wie er mich anlächelte.
»Hallo, Raymond«, sagte ich. »Wie geht’s?«
Er nickte, noch immer lächelnd. »Ja, alles okay … du weißt schon … schön heiß.« Er schaute nach oben und dann, fast im selben Moment, wieder mich an. »Blauer Himmel«, sagte er.
»Ja …«
Als ich zu ihm hinüberging, musste ich selbst lächeln. Raymond brachte mich immer zum Lächeln. Sein Gesicht, sein Lächeln, alles an ihm ließ mich lächeln. Es war wirklich seltsam, denn die meisten Menschen fanden, dass Raymond ziemlich merkwürdig aussah … und irgendwie stimmte das auch. Sein Kopf war zu groß für seinen Körper, die Augen wirkten ein bisschen durchgeknallt und durch seine Kleidung kam er einem klein vor, fast wie ein Kind. Er zog sich nicht wirklich wie ein Kind an und wirkte auch nicht so, aber seine Kleidung schien ihn irgendwie schrumpfen zu lassen. Ursprünglich hatte ich gedacht, es läge vielleicht daran, dass seine Eltern die Sachen in Wohltätigkeitsläden erstanden, außerdem kauften sie alles eine Nummer zu groß, damit er »reinwachsen« konnte. Doch im Lauf der Jahre hatte ich Raymond in allen möglichen Sachen gesehen – nagelneuen Hemden, hautengen Jeans (die ihm seine Mutter irgendwann mal aufgezwungen hatte) – und am Ende war mir klar, dass es egal war, was er anhatte – alte Klamotten, neue Klamotten, zu groß, zu klein –, alles ließ ihn klein erscheinen.
Doch ich mochte, wie er aussah – das Merkwürdige, das Andersartige, das Seltsame. Es stand ihm. Es machte ihn zu dem, der er war.
Es machte ihm aber auch manchmal das Leben schwer.
Doch jetzt gerade – als er von seinem Stuhl aufstand, in den Schuppen ging und mit einem zweiten klapprigen Stuhl, der für mich war, wieder herauskam –, jetzt gerade ging es ihm gut. Ich beobachtete ihn, wie er den Stuhl neben seinen stellte, den Staub abwischte und mir linkisch ein Zeichen gab, mich zu setzen.
Ich setzte mich.
Raymond setzte sich.
Wir grinsten uns an.
»Und?«, sagte ich. »Dann geht es dir also gut?«
Er nickte, lächelte, danach warf er einen Blick zu Black Rabbit hinüber. Das Kaninchen saß immer noch einfach nur da und machte nichts.
Ich sagte: »Wird langsam groß.«
»Ja …«
Ich betrachtete das große schwarze Kaninchen. Tatsächlich handelte es sich um Black Rabbit den Dritten. Black Rabbit der Zweite war im letzten Jahr an einem Rattenbiss gestorben, der sich entzündet hatte. Raymond war eine Weile traurig gewesen, doch diesmal hatte er nicht geweint, sondern ihn einfach im Garten beerdigt, direkt neben dem ursprünglichen Black Rabbit, dann war er losgegangen und hatte einen neuen gekauft. Das heißt, für Raymond war es kein neuer, denn inzwischen war er – oder zumindest ein Teil von ihm – überzeugt, dass Black Rabbit ewig lebte.
Ich sah zu Raymond hinüber. Er beobachtete das Kaninchen, saß einfach nur da und beobachtete es, völlig zufrieden. Und ein Teil von mir beneidete ihn dafür. Ich wusste, dass das falsch war, denn Raymonds Seelenfrieden war nicht normal – was immer das heißt – und mir war klar, dass irgendetwas in seinem Kopf nicht ganz stimmte. Doch ab und zu kam mir eben der Gedanke, wie schön es sein müsste, in den einfachsten Dingen solch eine Zufriedenheit zu finden.
Ein Stück weiter weg begann ein Rasenmäher zu dröhnen und der Geruch von frisch gemähtem Gras lag in der Luft. Ich ertappte mich dabei, wie ich dachte: Grün ist frisch wie Wasser. Und: Schöner Himmel heute Abend … Ich wischte mir einen Tropfen Schweiß von der Augenbraue.
»Nicole hat mich gestern Abend angerufen«, sagte ich zu Raymond.
Er sah mich an. »Nicole?«
»Ja … sie hat gefragt, ob wir Lust hätten, morgen Abend mit auf die Kirmes zu gehen. Du weißt, die Kirmes auf dem Parkgelände.«
Raymond sagte nichts, sondern sah mich nur verwundert an.
»Ja, ich weiß«, sagte ich. »Ich war selbst ein bisschen überrascht, von ihr zu hören. Sie hat diese Idee, dass wir uns alle mal wieder treffen, du weißt schon, die alte Clique … so eine Art Abschiedsfete, bevor sie verschwinden.«
»Wer verschwindet?«
»Nicole und Eric … sie gehen im September nach Paris.«
»Ja, ich weiß.«
»Und Pauly geht nicht weiter zur Schule –«
»Pauly?«
»Ja.«
»Pauly kommt zur Kirmes?«
Raymond schaute auf einmal beunruhigt.
»Schon gut«, sagte ich. »Wir müssen nicht hin, wenn du nicht willst. Ich meine, ich weiß nicht mal selbst, ob ich will.«
»Sie mag dich«, sagte Raymond.
»Was?«
»Nicole – sie mag dich.«
»Kann schon sein«, sagte ich. »Dich aber auch. Schon immer.«
»Nicht so.«
»Nicht wie?«
»Nicht so wie dich«, sagte er und lächelte mir zu.
Ich sah ihn schräg an. »Was soll das heißen?«
Einen Moment lang sagte er nichts, sondern lächelte mir nur weiter zu, doch dann blinzelte er steif, senkte den Kopf und das Lächeln verschwand. »Kommt Pauly zusammen mit Wes Campbell?«, fragte er.
Das war eine gute Frage, eine Frage, die ich mir seit Nicoles Anruf selbst gestellt hatte: Wenn Pauly käme, hieß das dann, Wes Campbell und seine Jungs würden auch da sein?
Wes Campbell war zwei Jahre älter als wir andern und in unseren Kindertagen hatten wir uns aus Angst vor ihm in die Hosen gemacht. Andauernd waren wir weggelaufen vor ihm und seiner Bande, einem Haufen harter Jungs aus der Greenwell-Siedlung.
Ich erinnere mich, wie Raymond und ich mal auf unseren Fahrrädern aus der Stadt kamen … wir waren damals zehn oder elf, vielleicht auch ein bisschen älter. Jedenfalls fuhren wir zur Abkürzung den kleinen Pfad am Fluss entlang, da hörte ich plötzlich dieses zischende Geräusch – so als würde etwas durch die Luft schießen, dann gab es einen kurzen dumpfen Knall und auf einmal – ping! – schwirrte etwas von Raymonds Fahrradrahmen zurück. Auch Raymond hörte es, wir hielten an und schauten uns um.
Und genau da sahen wir einen von Campbells Jungs. Er stand in einem kleinen Gehölz am Wegrand und zielte mit einem Luftgewehr auf uns. Als er grinste und wieder abdrückte, traten wir in die Pedale und rasten davon, doch plötzlich sahen wir Campbell und ein paar andere Jugendliche ein Stück weiter vorn auf dem Weg stehen und auch von denen hatten einige Luftgewehre dabei. Und sie brüllten und lachten und jagten uns eine Höllenangst ein, sie versetzten uns in totale Panik …
Verdammt, so viel Schiss hatte ich noch nie gehabt. Und Raymond … also, Raymond war so fertig, dass er sich am Ende tatsächlich in die Hose machte. Ich habe das nie vergessen. Ich strampelte wie ein Irrer hinter ihm her, meine Waden pochten, meine Lunge platzte und zuerst wusste ich gar nicht, was los war. Erst als Raymonds Rad vor mir langsamer wurde und ich aufschaute, um festzustellen, wieso … sah ich, wie er sich seltsam steif in den Pedalen aufrichtete, sich wand und vorne an seiner Hose herumfummelte … doch selbst da brauchte ich noch einen Moment, bis ich begriff, dass die Hose klatschnass war und er ein Rinnsal hinter sich herzog.
Es gab auch noch andere schlimme Erlebnisse mit Campbell. Und Raymond und ich waren nicht die Einzigen, die unter ihm zu leiden hatten. Campbell hatte es auf uns alle abgesehen – Eric, Nicole, Pauly … im Prinzip auf jeden, der kleiner war als er. Kleiner oder anders. Schwächer oder jünger … was auch immer. Kann man sich ja vorstellen, wie so was läuft. Mit elf hat doch jeder seinen Wes Campbell, oder?
Diese Dinge gehörten inzwischen weitgehend der Vergangenheit an. Keiner von uns hatte in letzter Zeit Ärger mit Campbell gehabt, aber damals hatten wir alle eine Scheißangst vor ihm. Deshalb war es ja so merkwürdig, dass Pauly auf einmal mit Campbell und den andern rumhing. Ich hatte sie in der Stadt zusammen gesehen, wo sie auf der Hauptstraße Leute anpöbelten, und gerüchteweise hatte ich auch gehört, dass er mit ihnen auf Sauftour ging.
Deshalb wusste ich natürlich, was Raymond meinte, und in gewisser Weise teilte ich seine Bedenken. Doch andererseits war mir klar, dass sich die Dinge ändern – Leute werden erwachsen, ihre Ängste verschieben sich, die Albträume der Kindheit verfolgen sie nicht mehr so stark. Das galt zwar nicht für mich oder Raymond, aber wenn Pauly unbedingt seine Zeit mit den Albtraumgestalten unserer Kindheit verbringen wollte … dann war das seine Sache. Ändern konnte ich sowieso nichts dran.
Ich sah Raymond an. »Es sind nur wir fünf«, erklärte ich. »Du und ich, Nicole, Eric und Pauly. Nicole will, dass wir uns alle in der alten Hütte am Drecksweg treffen, erinnerst du dich? Das Ding oben an der Böschung bei der Fabrik. Nur wir fünf … sonst hat keiner Zutritt. So eine Art Hüttenfete.«
Raymond lächelte skeptisch. »Hüttenfete?«
»Ja, wie in alten Zeiten – jeder bringt eine Flasche mit, wir trinken ein bisschen was …«
»Sonst darf keiner kommen?«
»Keiner.«
Raymond entspannte sich jetzt ein bisschen. Der besorgte Blick verschwand aus seinen Augen und er schien verhalten interessiert. Er war immer gern in unseren Hütten gewesen – ich glaube, er fühlte sich dort sicher und geborgen. Für uns andere waren sie einfach Orte, wo wir uns trafen, Orte, wo wir uns aufhielten, Orte, wo wir Dinge taten, die wir nicht sollten. Doch für Raymond waren sie wohl eine Art Zuflucht, ein Schutzraum vor der großen bösen Welt. Manchmal ging er sogar allein in eine von unseren Hütten, was ich immer toll fand – einfach allein dort sitzen, verborgen an einem geheimen Ort, und keiner weiß, wo man steckt …
Ich wünschte, ich hätte den Mut dazu gehabt.
»Und«, sagte ich zu Raymond. »Was meinst du? Hast du Lust, mitzugehen?«
Er zuckte die Schultern. »Weiß nicht …«
»Wir können auch bloß zur Hütte gehen, wenn du willst … nur für ’ne Stunde oder so. Wir müssen danach ja nicht mit auf die Kirmes.«
»Was ist mit Pauly?«
»Der ist okay … mach dir keine Sorgen. Ich meine, du weißt, wie er tickt – solange wir unter uns sind, wird er weiter der alte Pauly sein.«
»Der alte Pauly«, murmelte Raymond.
»Ja, ich weiß …«
»Früher ist er hier manchmal vorbeigekommen.«
»Ich weiß.«
»Er hat mir das Gefühl gegeben, er wäre okay.«
Langsam wirkte er wieder bedrückt.
»Schon gut«, sagte ich. »Macht ja nichts, wenn du nicht hinwillst. Ich meine, ist kein Problem.«
Er sah mich an. »Aber du willst doch, oder?«
Ich zuckte die Schultern. »Ist mir egal.«
Er lächelte. »Ich seh’s doch.«
»Was siehst du?«
»Dass du Nic treffen willst.«
»Nein, ist mir egal, wirklich.«
»Ich seh’s dir an.«
»Tja, dann irrst du dich eben …«
Er zuckte die Schultern und lächelte mich weiter an.
Ich schüttelte den Kopf. »Warum sollte ich Nic treffen wollen?«
»Weil …«
»Weil was?«
»Keine Ahnung … einfach weil.«
Ich schüttelte wieder den Kopf. »Du weißt nicht, wovon du redest, Raymond.«
Er grinste mich an. »Und ob.«
»Ich meine, ich hätte nichts dagegen, sie zu sehen … mich von ihr zu verabschieden und so … aber wenn nicht, ist es auch egal.« Ich sah ihn an. »Da ist nichts mehr zwischen uns, wenn du das meinst.«
»Aha.«
Ich starrte ihn an und versuchte sauer zu wirken, doch es gelang mir nicht. So wie er dasaß, mich mit aufgerissenen Augen anstarrte und sich einen abgrinste … es half nichts, ich musste einfach zurücklächeln.
»Ich weiß gar nicht, wieso ich dir überhaupt zuhöre«, antwortete ich.
»Wie bitte?«
Ich grinste zurück. »Findest du dich lustig?«
Er lachte. »Ich weiß, dass ich lustig bin.«
Wir blieben noch eine Weile in der Sonne sitzen und redeten über dies und das – Zeugnisnoten, College … nichts Wichtiges –, dann gegen zwei Uhr hörten wir, wie die Haustür zuschlug, und Raymond meinte, er ginge jetzt besser rein.
»Das ist mein Dad«, sagte er plötzlich sehr ernst. »Bestimmt will er was zu essen.«
Raymond redete nur ungern von seinen Eltern, deshalb fragte ich nicht, wo sein Dad gewesen war oder warum er sich nicht selbst was zu essen machen konnte, sondern nickte nur und stand auf.
»Was ist jetzt mit morgen?«, fragte ich. »Bist du dabei?«
»Ja, glaub schon …«
»Sicher?«
Er nickte vage, aber er war nicht mehr richtig bei der Sache – angespannt schaute er auf die Hintertür des Hauses und wartete, dass sein Dad erschien.
»Ich komm dann gegen neun hier vorbei«, erklärte ich. »In Ordnung?«
Er antwortete nicht.
»Raymond?«, fragte ich.
Er sah mich kurz an. »Was ist?«
»Morgen Abend – ich komm dann so gegen neun.«
»Okay …«
Sein Kopf schoss wieder herum, als er seinen Vater rufen hörte: »Raymond!«
»Ich geh jetzt besser«, sagte er eilig und hetzte davon Richtung Haus. »Bis morgen.«
»Ja, bis morgen, Raymond«, rief ich ihm hinterher. »Und mach dir keine Sorgen …«
Aber er war schon halb durch den Garten und ich wusste, er hörte mir nicht mehr zu. Ich beobachtete, wie er die Hintertür öffnete und ins Haus huschte, und fragte mich wieder einmal, wie sein Leben dort drinnen wohl aussah.
Es war schwer vorstellbar.
Mit seinen Eltern war nichts anzufangen. Sie waren kalt, böswillig, gefühllos … Eltern, durch die man seine eigenen zu schätzen lernt.
Einen Moment lang starrte ich auf das Haus und versuchte mir vorzustellen, was sich hinter den dicken Mauern abspielte, doch das Einzige, was ich sah, war ein formloser Schleier aus dumpfem Grau. Kalte, hässliche Stimmen, Feindseligkeit, unterdrückte Gefühle.
Dann nahm ich etwas wahr – eine lautlose Bewegung –, und als ich nach unten auf meine Füße schaute, sah ich Black Rabbit an mir vorbei in seinen Stall hoppeln.
Er sah mich nicht an.
Er schnupperte nicht mit der Nase in meine Richtung.
Seine Stimme flüsterte nicht in meinem Kopf …
Pass auf.
Geh nicht.
… und selbst wenn, hätte ich es nicht gehört.
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich es noch nicht, aber als ich Raymonds Garten verließ und mich auf den Weg nach Hause machte, hatte ich gerade den größten Fehler meines Lebens begangen.