Kein kleines Mädchen, das in seinem Kleid die Sterne des Himmels auffängt, die sich in einen Geldsegen verwandeln, sondern eine Frau mit starkem Arm. Wer ist sie? Dieses und andere Geheimnisse des Bildmotivs Geld werden Sie staunen lassen.
Die brisantesten Geheimnisse können Sie alle im Original betrachten, denn Sie haben sie in Ihrem Geldbeutel, die Euro-Scheine. Wenn Sie die Unterschiede zwischen den alten, den ersten Euro-Scheinen und den jetzigen kennen, dann wundern Sie sich nicht mehr, warum Europa seit einigen Jahren so um seine Würde ringt – denn Gestaltung wirkt.
Sibylla Vee ist das Pseudonym einer Autorin, die sich zunächst in Praxis und Theorie ganz der Bildenden Kunst widmete.
2016 wechselt sie vom Pinsel zur Feder und beginnt zwei Serien:
KLEINE KULTURGESCHICHTEN erzählen Kurzbiographien, – von Entdeckern, Kulturschaffenden und Künstlern, Männern wie Frauen, die es wert sind, aus dem Schatten der »sehr Berühmten« herauszutreten.
KLEINE BILDERGESCHICHTEN erzählen von Lieblingsmotiven in Grafik und Malerei, von sehr berühmten wie auch kaum bekannten Künstlern und Werken.
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2019 Sibylla Vee
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Diana Balonger
Korrektorat: Diana Balonger
Satz und Layout: Sibylla Vee
Coverdesign: Sibylla Vee
unter Verwendung eines Bildausschnitts
aus Paolo Veronese »Juno überhäuft
Venezia mit Geschenken«, 1555
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7504-5355-5
Spannend und geheimnisvoll ist die Identität zweier Männer. Dies ist umso erstaunlicher, weil beide dem Betrachter ihrer Porträts ein Geldstück zeigen, sich somit als dessen Besitzer ausweisen. Doch gerade die Geldstücke machen es besonders schwierig, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, wer die beiden Männer sind.
Betrachten wir zunächst das kleinere Porträt (B 1), gemalt in Öl auf Eichenholz, 31 x 23 cm groß, also nur wenig größer als ein Din A 4-Blatt. Das kleine Format war praktisch, um es auf Reisen mitzunehmen.
Der Maler des Porträts ist bekannt, Hans Memling. Der Künstler wurde um das Jahr 1435 in Seligenstadt bei Frankfurt am Main geboren. Über seine ersten 30 Jahre weiß man kaum etwas. Aufgrund verschiedener Stilmerkmale vermutet man, dass Memling in der Werkstatt des niederländischen Meisters Rogier van der Weyden gelernt und gearbeitet hat. Nach dessen Tod tauchte Hans Memling 1465 in Brügge auf, das ist amtlich belegt, da er dort das Bürgerrecht erhielt.
Brügge war in dieser Zeit eine lebendige und reiche Stadt, an der Kreuzung wichtiger Handelswege gelegen, in der zahlreiche Kaufleute und Vertreter der großen ausländischen Handelshäuser und Banken ihre Geschäfte machten. Sie waren neben Patriziern und Diplomaten Memlings Auftragsgeber und bestellten bei dem Maler große Altarbilder, die sie für ihr Seelenheil einem Kloster stifteten, und Porträts in kleineren Formaten für sich selbst. Besonders bei den Kaufleuten war Hans Memling beliebt, da seine Porträts naturgetreu waren. Auch hat man als Betrachter das Gefühl, den Porträtierten sehr nahe zu sein, da Memling immer am unteren Bildrand eine Hand des Porträtierten malte, während er im Hintergrund eine Landschaft darstellte und so eine große Raumtiefe schuf. Bei allen Porträtierten wirkt ihr Blick zurückgenommen, selbst dann, wenn man zunächst den Eindruck gewinnt, der Abgebildete schaue einen an. So vermitteln Memlings Porträts Bescheidenheit, die als Charaktereigenschaft auch dem Porträtierten zugesprochen wird.
Memlings Gemälde zeigt einen Mann jüngeren bis mittleren Alters in der Dreiviertelansicht. Seine scharfe Nase, die dunklen Augen, sein lockiges Haar unter dem schwarzen Barett und seine Kleidung, der schwarze Umhang mit dem lockeren weißen Kragen, lassen in ihm einen Italiener vermuten. Unter strahlend blauem Himmel zeigt die Landschaft in der Ferne leichte Hügel mit kleinen Ortschaften auf den Kuppen und im Vordergrund einen Fluss mit zwei Schwänen, einem Reiter am Ufer und verschiedene Bäume, darunter auch eine Palme. In seiner linken Hand hält der Mann ein bronzefarbenes Geldstück, auf dem ein Kopf im Profil zu erkennen ist.
Da Hans Memling sein Gemälde ohne Titel nicht datierte, wissen wir weder, wann er es malte, noch wen er porträtierte.
Memlings Gemälde hängt im Koninklijk Museum voor Schone Kunsten in Antwerpen und trug noch 1962 den Titel »Portait du Médailleur Jean de Candida ou d’un collectionneur de médailles italien«. (Porträt des Medailleurs Jean de Candida oder eines italienischen Medaillensammlers)
Medailleure sind Künstler, die Münzen und Medaillen entwerfen und prägen. Eine Münze ist ein gültiges Zahlungsmittel, während eine Medaille eine Gedenkmünze ist, die für die Ehrung einer Persönlichkeit oder für ein historisches Ereignis geprägt wird und je nach ihrem Materialwert auch einen Anlagewert haben kann.
Nach Angabe des Museums sollte das Porträt also den Medailleur Jean de Candida darstellen. Der gebürtige Italiener Giovanni de Candida war ein berühmter Hofmedailleur und politischer Sekretär Karls des Kühnen von Burgund. Auch einen anderen Medailleur glaubte man in diesem Porträt zu erkennen, den 1430 in Florenz geborenen Niccolò Spinelli.
Beide Annahmen wurden bereits 1928 von dem Kunsthistoriker Max Jacob Friedländer verworfen. Seine Erkenntnis setzte sich aber erst in den 90igern durch, dabei wäre sie schon vom gesunden Menschenverstand her sehr plausibel. Friedländer befasste sich nämlich eingehend mit dem Geldstück und fand heraus, dass es sich nicht um eine Medaille, sondern um eine antike Münze handelt. Mit einer solchen würde sich ein Medailleur nicht porträtieren lassen, er würde ein von von ihm selbst geschaffenes Werk wählen.
Höchstwahrscheinlich stand Memling das Original zur Verfügung, denn er malte die antike Münze so präzise (B 2), dass man jeden Buchstaben lesen kann. Es handelt sich um eine römische Münze, um einen Sesterz. Das Profil zeigt das seit der Antike bekannte Profil des Kaiser Nero. Die Umschrift lautet:
NERO CLAVD CAESAR AVG GERM TR PIMPP Ausgeschrieben: Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus Tribunicia Potestate Imperator Patriae.
(Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus, Herrscher über das Vaterland mit Amtsbefugnis eines Volkstribuns)
War der Porträtierte also ein Sammler antiker Münzen? Oder hatte er einen persönlichen Bezug zu Rom oder zu Kaiser Nero?
Die Suche nach italienischen berühmten Sammlern mit dem Namen ›Nero‹ blieb erfolglos, auch zu den Namen ›Palma‹ oder ›Palmieri‹. Doch als die Palme im Hintergrund des Bildes auch als mögliches Motiv in einem Wappen in Betracht gezogen wurde, wurde man fündig: Bernardo Bembo, Botschafter von Venedig am burgundischen Hof von Karl dem Kühnen, in den Jahren von 1471 bis 1474.
Sein ihm zugeordnetes Wappen zeigt rechts einen Palmen- und links einen Lorbeerzweig. (B 3) Betrachten wir nochmals das Porträt (B 1), so sehen wir am unteren Bildrand, etwa in der Mitte, zwei grünliche Halbkreise. Diese wurden als halbe Lorbeerblätter identifiziert. Die fehlenden Hälften und weitere Lorbeerblätter sollen auf dem heute nicht mehr vorhandenen Originalrahmen gemalt gewesen sein. Auch das Alter des Porträtierten würde zu Bernardo Bembo passen, geboren 1433. In seiner Zeit am burgundischen Hof, zu dem auch Brügge gehörte, wäre er 38 bis 41 Jahre alt gewesen.
Vorerst ist »man« mit dieser Zuordnung zufrieden, bleibt aber dennoch vorsichtig. Auf der Wikipedia-Seite zu Bernardo Bembo ist Memlings Porträt zu finden, aber mit dem Hinweis »möglicherweise Bernardo Bembo«. Und auch das Antwerpener Museum verfährt ähnlich. Die heutige Inschrift lautet: »Man met een Romeinse munt, ook wel bekand onder de naam Bernardo Bembo, staatman en ambassadeur van Venetië«. (Mann mit einer römischen Münze, auch bekannt als Bernardo Bembo, Staatsmann und Botschafter von Venedig)
Die Zuweisung ist unter Vorbehalt, auch wenn die beiden Wappenelemente – die Palme im Hintergrund und der Lorbeerzweig auf dem ursprünglichen Rahmen – eine Zuordnung zu Bernardo Bembo so nahelegen. In der Tat gibt es einige Aspekte, die deutlich gegen diese Zuordnung sprechen.
Bernardo Bembo studierte Philosophie und Rechtswissenschaft, weltliches wie kirchliches Recht, und promovierte in diesen Fächern an der Universität Padua. Würde ein solcher Gelehrter, der als Botschafter tätig war, sich ausgerechnet mit einer Münze des Kaiser Neros porträtieren lassen? Unter den römischen Kaisern hatte sich Nero jedenfalls nicht durch Diplomatie und Gerechtigkeit ausgezeichnet. Und weshalb sollte sich ein Diplomat überhaupt mit einer Münze porträtieren lassen, ein Schriftstück oder eine Schriftrolle mit einem Siegel wären da viel naheliegender. Zudem war der Venezianer nicht Botschafter in Rom, sondern in Burgund und ab 1475 in Florenz.
Nun könnte das Porträt nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen sein, sondern in seinem kleinen Format ein privates Gemälde, das Bernardo Bembos Sammelleidenschaft für Münzen zeigt.
Cecil H. Clough, Dozent für Geschichte des Mittelalters an der Universität Liverpool, erforschte über 25 Jahre die private Bibliothek von Bernardo Bembo, die sein Sohn Pietro erbte und vergrößerte. Beide waren in der Tat leidenschaftliche Sammler, aber nicht von Münzen, sondern von literarischen Texten. Zu Bernardos Zeit verbreitete sich in Europa der Buchdruck, sodass der Zugang zu Texten für immer mehr Menschen leichter und erschwinglicher wurde. Nach Clough bevorzugte Bernardo Bembo aber Handschriften, erwarb sie und fertigte selbst Abschriften an. Bedeutende Manuskripte enthielt seine Bibliothek, von Plato, Ovid, Horaz, Boccaccio, Petrarca bis zu Dante. Nicht sehr überzeugend, dass Bernardo Bembo als Attribut für sein Porträt nicht eines dieser Werke sondern eine Nero-Münze ausgewählt hätte.
Sollte die antike Münze im Besitz von Hans Memling gewesen sein, ist es dennoch nicht wahrscheinlich, dass der Künstler das Attribut für einen Botschafter ausgewählt hätte, das hätte der Botschafter schon selbst entschieden.
In den Handschriften von Bernardo Bembo finden sich das Emblem mit Palmen- und Lorbeerzweig und mehrere Gedichte an eine Ginevra de Benci. Die Florentinerin war Bernardos große Liebe. Sie wurde ebenso von anderen Dichtern verewigt wie auch in einem Gemälde des jungen Leonardo da Vinci, der mit Ginevras Bruder befreundet war. (B 4) Auf die Rückseite des Gemäldes malte Leonardo ein geschwungenes Spruchband, eingerahmt von einem Lorbeer- und einem Palmenzweig. Die Inschrift VIRTVTEM FORMA DECORAT (Die Gestalt schmückt die Tugend, – oder freier übersetzt, Die Tugend wird durch die Schönheit erhöht) sollte die Verbindung von Ginevras Tugend und ihrer Schönheit vermitteln. Eine Infrarotuntersuchung fand unter diesem Spruchband nochmals das Emblem von Bernardo Bembo, diesmal mit seinem Motto VIRTUS ET HONOR (Tugend und Ehre). (B 3) Diese Lebensmaxime passt ebenso wenig mit Nero zusammen. Die Palme und die Lorbeerblätter reichen also keineswegs als Beweis aus, um den Porträtierten als Bernardo Bembo zu identifizieren.