Für Lucky, deren Name leider sieben Jahre lang nicht Programm war.
Das Wissen, dass Tiere fühlen – und unsere Fähigkeit sie zu verstehen, wenn sie Freude, Trauer, Eifersucht und Ärger ausdrücken –, erlaubt es uns, mit ihnen in Verbindung zu treten und außerdem ihre Sichtweise der Dinge zu bedenken, wenn wir mit ihnen interagieren. Das Wissen um die Leidenschaften der Tiere sollte einen Unterschied machen in dem, wie wir unsere Mitlebewesen sehen, vertreten und behandeln.
Prof. Marc Bekoff in „Das Gefühlsleben der Tiere“
Dank
Marlitt Wendt und Christina Nissen haben mir zahlreiche kleine, aber feine Verbesserungs-, Ergänzungs- und Korrekturvorschläge gegeben. Ich danke euch sehr für eure Gedanken, eure Ideen und eure Zeit.
Christina, deine ausdrückliche Kritik an Teilen des ersten Entwurfs war absolut berechtigt und du hast so einen wesentlichen Beitrag zur jetzigen Form von „Katzenhaltung mit Köpfchen“ geleistet.
Die tollen Illustrationen in diesem Buch sind von Iwon Blum. Liebe Frau Blum, Ihnen gilt mein herzlichster Dank für Ihre kreativen Ideen, die wunderbare Umsetzung und Ihr anhaltendes und unglaubliches Engagement. Ohne Ihre Zeichnungen wäre dieses Buch nicht dieses Buch.
Christine Hauschild im Januar 2012
Vorwort
Einführung
Das Leben aus Sicht der Katze
Lebensraum Wohnung
Natürlich haben Katzen Gefühle
Typisch Katze! Wirklich?
Happy Miez?
Feline Bedürfnisse: Das braucht Ihre Katze zum Glück
Minirevier Wohnung
My home is my castle: Privatsphäre, Ruhe und Sicherheit
Beschäftigung
Sozialpartner Mensch
Kontrolle – die Wirksamkeit des eigenen Handelns
Musterschüler auf vier Pfoten: Lerntheorie
Klassische Konditionierung
Operante Konditionierung
Was geschieht noch beim Lernen
Katzengefühle und –verhalten gezielt verändern: Gegenkonditionierung
Alltag mit der Katze: Anwendung der Lerntheorie
Handlungen mit negativen Folgen für Mensch und Katze
Handlungen mit negativen Folgen für den Menschen
Handlungen mit negativen Folgen für die Katze
Alltagsgestaltung ohne unerwünschte Nebenwirkungen
Gemeinsam mit der Katze, ein Katzenleben lang
Literaturverzeichnis
Über die Autorin
Christine Hauschild ist es mit diesem Buch gelungen, mit Vorurteilen aufzuräumen und wissenschaftlich fundierte Hinweise zur artgerechten Haltung von Katzen zu geben. Besonders wird auf das Gefühlsleben einer Katze in Bezug auf die jeweilige Mensch-Katze-Situation eingegangen. Die Einführung in die Lerntheorie, mit all ihren Möglichkeiten der Beeinflussung des Verhaltens einer Katze im Alltag, gibt dem Leser ein spannendes Instrument an die Hand. Nicht nur das Katzenverhalten, sondern auch das eigene Verhalten wird in einem anderen Licht gesehen.
„Katzenhaltung mit Köpfchen“ – aus Verantwortung unseren Katzen gegenüber, den Tieren mit Köpfchen, unbedingt empfehlenswert!
Susan Gonscherowski
Verband der Tierpsychologen und Tiertrainer e.V.
1. Vorsitzende
Katzen sorgen für sich selbst. Katzen sind Einzelgänger. Katzen sind nicht erziehbar. Katzen sind genügsam. Katzen sind falsch und unberechenbar. Katzen können gut alleine bleiben. Katzen sind eigenwillig. Katzen passen sich an alles an. Katzen sind Individualisten. Katzen sind unbestechlich. Katzen sind ausgezeichnete Gefährten für Menschen jeden Alters. Mit Katzen kann man so schön kuscheln. Katzen erspüren die Bedürfnisse der Menschen. Katzen sind arrogant, launisch und nachtragend.
Dies ist eine Auswahl typischer Aussagen über Katzen. Und dieses Buch ist ein Buch für mutige und neugierige Menschen.
Wenn wir uns an die genannten Annahmen über Katzen halten, ist unser Leben mit Katzen recht bequem. Aber wie geht es eigentlich den Katzen damit? Werden wir unseren kleinen Tigern mit diesen Klischees gerecht?
Dies ist kein weiterer Katzenratgeber, der Ihnen sagt, dass Katzen Kratzmöglichkeiten an zentralen Stellen benötigen (auch wenn das ein wichtiger Punkt ist). Stattdessen möchte ich Sie dazu einladen, sich intensiver mit Ihrer Katze und dem Umgang mit ihr auseinanderzusetzen, als Sie das vermutlich bisher getan haben. Denn: Katzen sind intelligente Individuen mit Gefühlen und Bedürfnissen. Viele von ihnen sind sozial und genießen und brauchen die Nähe zu anderen Katzen und zu ihren Menschen. Sie verdienen es als lebendige Wesen, dass wir ihre persönlichen Grenzen respektieren. Wenn man sich näher damit beschäftigt, durch welche körpersprachlichen Signale Katzen ihre Stimmungen und Wünsche kommunizieren, lösen sich die unterstellte Launenhaftigkeit und Unberechenbarkeit ganz schnell in Luft auf. Und vor allem: Katzen sind unglaublich lernfähig! Kommt Ihre Katze, wenn Sie an den Futterschrank gehen? Öffnen Sie ihr die Balkontür, wenn sie lange genug miaut hat? Gehört Ihre Katze zu denen, die beim Ertönen der Türklingel erst einmal im anderen Zimmer verschwinden? Hat Ihre früher ängstliche Katze Vertrauen zu Ihnen gefasst? Macht Ihre Katze sich davon, wenn Sie den Transportkorb für den Tierarztbesuch hervorholen? Kratzt Ihre Katze provokant am Sofa? Springt sie immer wieder auf die Küchenzeile, wenn Sie daran arbeiten? All dies sind Beispiele für Lernprozesse. Der entscheidende Schritt ist nun, es nicht länger dem Zufall bzw. unserer Unüberlegtheit oder Unwissenheit zu überlassen, was unsere Katzen lernen und was nicht, sondern das Leben unserer Katzen bewusst zu gestalten und so gezielt bestimmte Lernerfahrungen herbeizuführen und andere zu vermeiden.
„Katzenhaltung mit Köpfchen“ ist also ein Buch über das Lernen: Wie lernen Katzen? Wie können wir Lernprozesse beeinflussen? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Lernen stattfinden kann? Gibt es vielleicht bessere und schlechtere Wege, einer Katze etwas beizubringen? Bevor wir uns im hinteren Teil des Buches diesen Fragen stellen, müssen wir die Ausgangssituation für das Lernen betrachten. In den ersten Kapiteln beschäftigen wir uns deshalb zunächst mit typischen Lebensbedingungen unserer Katzen, kätzischen Grundbedürfnissen und der Frage, ob und was Katzen eigentlich fühlen. Nach einer kurzen Einführung in die Lerntheorie widmen wir uns dann intensiv der praktischen Anwendung der lerntheoretischen Erkenntnisse auf unser Zusammenleben mit den Katzen. Dabei wird es darum gehen, möglichst viel Wohlgefühl auf beiden Seiten, also für Mensch und Katze, zu erzeugen.
Vielleicht wird das Lesen einzelner Kapitel kurzzeitig etwas unbequem für Sie werden, da Sie möglicherweise beginnen, das Leben Ihrer Katze mit anderen Augen zu sehen als vorher – nämlich mehr mit den Augen einer Katze. Als Entschädigung dafür werden Sie wertvolle Erkenntnisse gewinnen, die Ihnen helfen können, Ihre Katze besser kennen und verstehen zu lernen. Sie können ihr (und sich) unangenehme Erlebnisse ersparen und stattdessen gezielt positive Erfahrungen herbeiführen. Sie werden erfahren, wie Sie Ihre Katze bei der Überwindung von Ängsten und Abneigungen unterstützen können, ohne sie zu überfordern. Es werden sich neue Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Ihnen und Ihrer Katze auftun, die mit aktiver und liebevoller Kooperation auf beiden Seiten einhergehen. Dies ist die beste Vorbeugung gegen die Entstehung von Verhaltensproblemen und der Grundstein für eine wirklich innige und respektvolle Beziehung zwischen Katze und Mensch. Deshalb: Nur Mut – und viel Spaß!
Stellen Sie sich bitte einmal kurz, aber bildhaft Ihre Traumwohnung vor: Sie ist groß und ganz nach Ihrem Geschmack eingerichtet. Sie hat eine extrem gemütliche Sofaecke mit Kamin, einen schön platzierten Tisch zum Essen und Spielen, eine tolle Küche, um leckere Speisen zu zaubern. Überall haben Sie flauschige Teppiche, die sich ganz toll unter den Füßen anfühlen, oder von mir aus auch Stäbchenparkett, falls Ihnen das lieber ist. Vielleicht haben Sie nicht nur eine Badewanne, sondern auch noch ein kleines Trimm-Dich-Gerät. Sie haben neben einem Bücherregal und einer Spielesammlung bestimmt einen Fernseher, vielleicht auch einen DVDPlayer und eventuell sogar eine Spielekonsole.
Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie leben in dieser Wohnung – und Sie dürfen Sie bis an Ihr Lebensende nicht mehr verlassen. Diese Wohnung ist Ihr Lebensraum. Leider haben Sie kein Internet und können sich keine neuen Bücher, DVDs oder Spiele für die Konsole bestellen. Sie können nur die bereits vorhandenen lesen oder ansehen. Und im Fernsehen läuft auch nur ein merkwürdiger Kanal, in dem immer wieder die gleichen Sendungen gezeigt werden. Um Geld brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, arbeiten war gestern. Wenn etwas kaputt geht, taucht dieser Gegenstand einfach in nagelneu wieder auf. Die Vorratsschränke sind immer voll – mit jeder Menge Fertiggerichten. Sie brauchen also noch nicht einmal zu kochen, und über den Einkauf müssen Sie auch nicht nachdenken. Wie lange könnten Sie dieses faule Leben genießen?
Verändern wir dieses Szenario leicht: Es lebt noch jemand mit Ihnen in dieser Wohnung. Diesen „Jemand“ mögen Sie gern, er spricht allerdings Ihre Sprache nicht. Dafür hat Jemand die Kontrolle über die Fertiggerichte und über die An-Knöpfe für sämtliche Unterhaltungsmedien. Es gibt Tage, an denen Jemand sehr liebevoll zu Ihnen ist, mit Ihnen spielt und Ihnen den Rücken massiert. An anderen Tagen kommt er gar nicht nach Hause oder beachtet Sie kaum, während er in seine eigenen, sehr merkwürdigen Tätigkeiten vertieft ist. Manchmal bringt Jemand Ihnen einen neuen Film mit, manchmal überrascht er Sie mit einem neuen Buch. Aber manchmal macht er für drei Wochen am Stück den Fernseher noch nicht einmal für einen alten Schinken an. Wie fühlen Sie sich?
Die Haltung von Katzen in reiner Wohnungshaltung ist noch ein vergleichsweise neues Phänomen, nachdem sie als Hofkatzen längere Zeit eher in der Nähe der Menschen gelebt haben. Als typische Hofkatze hatte die Katze nur begrenzten Zugang zum Wohnraum der Menschen und lebte stattdessen mit ihrer Katzengruppe in erster Linie auf dem gesamten Hof mit Zugang zu Scheunen und Ställen. Für die Erledigung ihrer Aufgabe als Mäusejägerin erhielt sie zusätzlich von den Menschen etwas Futter.
Heutzutage lebt der Großteil der Katzen in Deutschland in Häusern und Wohnungen ohne Freigang. Das Leben einer Wohnungskatze ist grundverschieden von dem einer Hofkatze. Betrachten wir die Hauptunterschiede zwischen dem Alltag der traditionellen Hofkatze und dem der „modernen“ Wohnungskatze.
Freilebende Katzen verbringen einen großen Teil ihrer wachen Zeit mit Jagd und Erkundung. Sie besuchen verschiedene Stellen ihres Reviers und schauen nach dem Rechten. Hat sich etwas verändert? Was ist das für ein Geruch? Zu wem gehört diese Markierung hier? Und sie halten Ausschau nach potentieller Beute. Wird diese erspäht oder gehört, beginnt die manchmal rasante, aber häufiger viel Zeit in Anspruch nehmende Jagd. Eine Katze kann stundenlang gespannt lauernd vor einem Mauseloch ausharren, wenn sie daraus ein verdächtiges Geräusch wahrgenommen hat. Sie kann lange damit zubringen, Vögel zu beobachten und auf den richtigen Moment zum Sprung zu warten. Und in der Regel braucht sie auch noch sehr viele Versuche, bis der Sprung dann zum Erfolg führt. Auf dem Heimweg gibt es wieder viel zu sehen, viel zu riechen, viel zu hören.
Im Leben einer normalen Wohnungskatze gibt es keine echten Beutetiere zu belauern und zu erjagen. Eine Ausnahme bilden vielleicht die eine oder andere verirrte Motte oder Fliege, wenn die Menschen so nett waren, die Fenster offen zu lassen.
Der Job, den unsere Katzen also perfekt beherrschen und für den sie ein absolutes Naturtalent haben, ist auf dem Arbeitsmarkt für Wohnungskatzen nicht verfügbar.1 Auch für die zweite typische Beschäftigung, die Erkundung, gibt es in der Wohnung keine Verwendung. Wenn man tagein tagaus in den gleichen vier Wänden lebt, kennt man sie sehr schnell auswendig. Es passieren im Alltag meist wenig spannende Dinge und es tauchen nur wenige neue Reize auf, die wirklich eine ernsthafte Erkundung wert sind. Stattdessen gibt es einfach NICHTS zu tun und Frau Katz und Herr Kater leiden unter Langeweile.
Freilebende Katzen spezialisieren sich nicht selten auf bestimmte Beutetiere. Mäuse bilden natürlich normalerweise, wenn vorhanden, die Hauptnahrungsquelle. Aber die Geschmäcker sind durchaus verschieden: Einige Katzen fressen gerne Schnecken, andere Eidechsen und wieder andere schwören auf Insekten. Unterschiedliche Beutetiere erfordern auch unterschiedliche Jagdtechniken und sind mit mehr oder weniger Risiko verbunden. Manche Katzen lieben den Nervenkitzel und versuchen ihr Glück auch bei Ratten, großen Vögeln oder Kaninchen. Andere lassen die Pfoten von allem, was größer ist als eine Maus oder sich auch nur ansatzweise wehrhaft zeigt. Das jeweilige Vorkommen verschiedener Beutetiere bestimmt natürlich, was der freilebenden Katze grundsätzlich in ihrem Lebensraum als mögliches Beuteobjekt zur Verfügung steht. Was genau die Katze dann aber erjagt und verspeist, ist ihre freie Entscheidung. Das gleiche gilt natürlich für den Zeitpunkt der Jagd.
In der Wohnung lebt die Katze in einem vermeintlichen Schlaraffenland. Sie braucht sich nicht zu plagen, sondern bekommt das Futter serviert. In welcher Form dies geschieht, wie oft und zu welchen Zeiten, darüber hat die Katze allerdings keinerlei Kontrolle. Dies gilt auch für viele andere Annehmlichkeiten.
Das Revier von Katzen lässt sich in zwei Zonen unterteilen: In der Kernzone befinden sich die verschiedenen Schlafplätze und Futterstellen sowie im Fall von unkastrierten Kätzinnen das Nest. Jenseits der Grenzen dieser Kernzone beginnt das Streifgebiet der Katze, das den zweiten Bereich ihres Reviers bildet. Hier unternimmt die Katze Erkundungsausflüge und geht auf die Jagd. Kernzone und Streifgebiet bilden zusammen das Revier. Die Streifgebiete verschiedener Katzenreviere können sich überlappen und werden häufig zeitlich aufgeteilt.
Verschiedene Studien haben sich mit der Größe von Kernzonen und Streifgebieten beschäftigt und mit der Frage, ob und mit wem diese geteilt werden. Eine Studie mit freilebenden europäischen Bauernhofkatzen2 hat als kleinste Kernzone einen Bereich von 0,1 ha, also etwa 1.000 qm ausgemacht. Dies entspricht zum Beispiel einer Fläche von 30 x 35 Metern, auf der sich die Katze absolut heimisch fühlt und sichere Schlaf- und Fressplätze nutzt. Die größte gemessene Kernzone erstreckte sich über 4.500 qm – dies gleicht einer Fläche von etwa 65 x 70 Metern. Und bei diesen Flächenangaben sind die Streifgebiete, die ja ebenfalls zum Revier gehören, noch gar nicht eingerechnet. In der Studie wurde gezeigt, dass die Tiere außerhalb der Kernzone regelmäßig Distanzen von 100 bis 1.000 m zurücklegten. Potente Kater nehmen noch viel weitere Wege auf sich, um fortpflanzungsbereite Kätzinnen aufzusuchen.
Nach Angaben des statistischen Bundesamts beträgt die durchschnittliche Fläche je Wohneinheit (Eigentum und Miete) in den neuen Bundesländern 77 Quadratmeter und in den alten Bundesländern 90 Quadratmeter (Stand Januar 2011)3. Diese Wohnungen sind dann in der Ausdehnung zum Beispiel etwa 8 x 10 oder 9 x 10 Meter groß. Im Vergleich zur kleinsten gefundenen Kernzone europäischer Bauernhofkatzen mit ca. 1000 Quadratmetern sind unsere Wohnungen also winzig. Und für unsere Wohnungskatzen muss die Wohnung Kernzone und Streifgebiet abdecken, also wirklich ihren ganzen Lebensraum.
Es wurde in verschiedenen Studien4 auch untersucht, ob Kernzonen von mehreren Katzen geteilt werden: Dies ist in der Regel der Fall, und zwar sind es meist miteinander verwandte Kätzinnen, die sich diesen wichtigen Lebensraum teilen. Kater gehören manchmal auch dazu, bewegen sich aber eher am Rand der Gruppe – zum Ausgleich gehören manche Kater dafür offenbar gleich mehreren Katzengruppen an, zwischen deren Revieren sie hin und her wechseln. Ob die Kernzone geteilt wird und wie groß die Gruppe sein darf, ist maßgeblich abhängig von der Menge der zur Verfügung stehenden Ressourcen. Ganz zentral ist dabei natürlich die Versorgung mit Futter. Werden die Ressourcen knapp, muss jemand gehen. Die höchste Katzendichte, also die höchste Zahl von Katzen auf einer bestimmten Grundfläche, wurde in einer Großstadt gemessen, und zwar in Jerusalem. Hier teilten sich 28 Katzen einen Hektar Fläche (100 x 100 m = 10.000 qm).
An dieser Stelle möchte ich jetzt ein bisschen mit Ihnen rechnen: Wenn wir uns diese vergleichsweise sehr eng miteinander lebenden 28 Katzen auf 10.000 qm anschauen, wie viele von ihnen leben dann umgerechnet auf einer Fläche, die unseren durchschnittlichen Wohnungsgrößen entspricht? In unserer westdeutschen 90 qm großen Wohnung würden demnach 0,25 Katzen, in der ostdeutschen, 77 qm großen Wohnung 0,22 Katzen leben5.
Eine Viertelkatze pro Wohnung? Gehen wir noch mal einen anderen Weg. Nehmen wir an, dass in jedem Katzenhaushalt durchschnittlich zwei Katzen zusammen leben. Wie viele Katzen hätten wir dann bei einer Hochrechnung von den durchschnittlichen Wohnungsgrößen auf einen Hektar Wohnfläche? 222 Katzen auf 10.000 qm in den alten und 263 Katzen in den neuen Bundesländern.6 Weil ein Hektar für die meisten von uns eine sehr abstrakte Größe ist, habe ich von zwei Katzen auf 90 qm noch einmal hochgerechnet auf verschiedene Flächen in Deutschland. Aus Hamburg kommend beginne ich mit dem Hamburger Stadtpark: Dieser umfasst ca. 150 Hektar und bei zwei Katzen je 90 qm würden ca. 39.500 Katzen in ihm leben. Unvorstellbar! Ich mag Katzen wirklich gerne, aber in diesen Park würde ich keinen Fuß mehr setzen. Hier einige weitere Beispiele quer durch die Republik:
Hannover Tiergarten |
29.500 Katzen |
Berliner Tiergarten |
44.500 Katzen |
Englischer Garten in München |
82.900 Katzen |
Helgoland plus Düne |
37.800 Katzen |
Insel Rügen |
21.688.900 Katzen |
Und im Kölner Dom schließlich würden wir 178 Katzen vorfinden. Man kann mit einiger Sicherheit behaupten, dass freilebende Katzen niemals so eine relative Enge und Nähe zueinander wählen würden. Und ich möchte daran erinnern, dass ich den großzügigsten Durchschnittswert herangezogen habe, nämlich die westdeutsche 90 qm-Eigentumswohnung (und nicht die 64 qm-Mietwohnung in den neuen Bundesländern).
Das Lesen dieser letzten Seiten war wahrscheinlich nicht sehr angenehm, denn diese Art der Betrachtung der Wohnung als Lebensraum einer Katze bietet eine neue Perspektive auf die Lebensbedingungen, die wir unseren Katzen anbieten. Ich möchte Sie damit aber nicht zu Kurzschlussreaktionen und unüberlegten Handlungen veranlassen. Stattdessen geht es mir darum, dass wir würdigen, welche unglaublichen Anpassungsleistungen unsere Katzen vollbringen, wenn sie sich in diese beengten Verhältnisse einpassen. Und ich möchte die absolute Notwendigkeit dafür aufzeigen, die Wohnungen so katzengerecht wie nur möglich zu gestalten und den Katzen artgerechte Beschäftigungsmöglichkeiten anzubieten (mehr dazu im Abschnitt Beschäftigung). Dies ist die Voraussetzung für eine gewisse Lebensqualität für unsere Katzen, dient der Vermeidung von Verhaltensproblemen und ist die Bedingung dafür, dass Lernprozesse stattfinden bzw. gestaltet werden können.
Wenn wir eine Katze sehen, die in Panik flieht oder von anderen Katzen in eine Ecke gedrängt wurde und dort kauert, haben wir keine Zweifel daran, dass diese Katze Angst empfindet – und nicht nur bestimmte körperliche Anzeichen zeigt. Düst eine Katze im Hoppelgalopp durch die Wohnung oder macht sie einer Staubfluse den Garaus, sind wir sicher, dass sie gerade ziemlich viel Spaß hat. Wenn sie ihre Mitkatze attackiert, nachdem diese eine halbe Stunde gestreichelt wurde, denken wir an Eifersucht. Wir glauben, dass sich unsere Katzen freuen, wenn wir nach Hause kommen und uns deshalb an der Tür begrüßen und dass das Anschmiegen und Ankuscheln Zeichen ihrer Zuneigung sind. Wir gehen davon aus, dass Katzen sich in weichen Bettchen und auf warmen Fensterbänken wohlfühlen und die Gemütlichkeit genießen, dass sie verschiedene Futtersorten als unterschiedlich schmackhaft empfinden und sich entsprechend mehr oder weniger darüber freuen. Wir kommen nicht auf die Idee zu denken, dass die Katze nur reflexartige Handlungen ausführt und von keinerlei Emotionen geleitet wird.
Manchmal werden Katzen vielleicht auch vorschnell Gefühle bzw. Motive unterstellt, die bei genauerer Betrachtung nicht immer haltbar sind: Eine Katze, die ihren Menschen nicht mehr anguckt und Distanz hält, schmollt vielleicht. Vielleicht bemüht sie sich aber auch gerade um absolute Höflichkeit, weil sie die Anspannung und Wut des Menschen spürt, ohne sich über den Anlass dafür im Klaren zu sein. In diesem Fall würde die Katze nicht schmollen, sondern sich unsicher fühlen.
Es gibt aber Situationen, in denen wir uns als Katzenhalter lieber nicht mit den Gefühlen unserer Stubentiger auseinandersetzen wollen: Wenn wir (häufiger) über das Wochenende wegfahren, wenn wir regelmäßig Nächte außer Haus verbringen möchten, wenn keine Zeit zum Spielen und Kuscheln bleibt, wenn Rituale und Zeiten nicht eingehalten werden können. Die Liste könnte leicht viel länger werden. In Situationen, in denen unsere eigenen Bedürfnisse mit denen der Katze kollidieren, ist die Katze schnell einfach nur noch eine Katze. Das Abendessen kann nicht pünktlich gegeben werden? „Draußen fängt die Katze ja auch nicht immer sofort eine Maus, wenn sie hungrig ist.“ Stimmt. Aber zum einen sind Katzen klug und gehen in der Regel schon auf die Jagd, bevor sie allzu hungrig sind. Zum anderen haben die Katzen draußen durch die Möglichkeit zur Jagd eine gewisse Kontrolle über die eigene Versorgung. Sie können sich darum kümmern, auch wenn sie dann vielleicht wirklich mal Jagdpech haben. Das fühlt sich mit Sicherheit ganz anders an, als wenn einem nichts anderes übrig bleibt als darauf zu warten, dass der Mensch irgendwann doch noch nach Hause kommt.
Vielleicht sind wir also manchmal aufgrund eigener Bequemlichkeit oder auch äußerer Sachzwänge nicht ganz objektiv in der Beurteilung der Gefühlswelt unserer Katzen. Deshalb lohnt es sich zu schauen, was neuere Forschungen herausgefunden haben. Zu welchen Emotionen sind Katzen fähig?
Das Thema Tiere und Emotionen ist ein heikles Thema, mit dem sich Biologen und insbesondere Psychologen recht schwer tun. Die neueren Forschungsergebnisse aus der Wissenschaft, die Tieren das Erleben verschiedener Gefühlszustände zugestehen, erscheinen Katzenhaltern häufig nicht besonders spektakulär – aber sie sind es! Die Gefühle anderer Lebewesen sind nur schwer messbar und nachweisbar. Studien an verschiedenen Tierarten zu deren Gehirnstrukturen sowie den körperlichen biochemischen Prozessen, die die Basis für Emotionen bilden, zeigen, dass diese denen des Menschen sehr ähnlich und in Teilen sogar identisch sind.7 Dies legt den Schluss nahe, dass Tiere auch ganz ähnliche Emotionen erleben wie wir Menschen und wirklich nicht nur triebgesteuerte Reiz- Reaktionsautomaten sind. Tiere verhalten sich also nicht einfach als ob sie Angst haben, als ob sie wütend sind oder als ob sie trauern. Sie tun es.
Kaum jemand scheint noch zu bezweifeln, dass Tiere zu den sogenannten Primäremotionen fähig sind8, die kein bewusstes Nachdenken erfordern, sondern als Reaktion auf die Umwelt erfolgen: Angst und Ärger, Ekel, Traurigkeit, Überraschung und Glück. Darüber hinaus gibt es laut dem Ethologen Marc Bekoff zahlreiche Hinweise dafür, dass Säugetiere auch die sekundären Emotionen erleben, zu denen etwa Reue, Eifersucht, Verlegenheit, Mitgefühl, Liebe und Humor gehören9. Franklin McMillan10 benennt in einem Aufsatz über emotionale Misshandlung von Tieren die folgenden unangenehmen Emotionen als unstrittig: Furcht (und Phobien), Angst, Trennungsangst (oder Trennungsstress), Einsamkeit (und isolationsbezogene Gefühle), Langeweile, Frustration, Wut, Trauer, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Depression. Für Eifersucht, Verlegenheit, Scham und Schuld gibt es für Tiere nach McMillan hingegen noch keine stichhaltigen Beweise.