Herstellung und Verlag:
Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 9783844820539
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Covergestaltung: Petra Gutkin
Kontakt: Kinderschmoeker@genial.ms
www.kinderschmoeker.de
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung, sowie Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Buches darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung der Autorin reproduziert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Mein Vater lässt seine Familie und andere interessierte Menschen an einem Lebensabschnitt teilhaben, der einer der gefahrvollsten war, den er erlebt hat. Berührt schrieb ich seine Erinnerungen auf, die uns ein besseres Verständnis für seine diversen Entscheidungen geben. Zum Beispiel verstehen wir jetzt, warum mein Vater im Winter in einer kurzen Hose Schnee schippt.
DANKE – wir lieben Dich
Margarete
Petra und Ulrike
Liron, gilon und Dennis
Shay
sowie Sebastian und Henry
Überfall auf Polen
Volksempfänger
Mein Onkel Peter, der Kommunist
Erste Fliegerangriffe
Schulessen
Ich wurde ein Pimpf
Hummeln im Hintern
Flakessen gemopst
Kinderlandverschickung nach Kitzingen
Umzug in die Innenstadt
Die schwärzesten Zähne
Mein Bruder auf der Eisscholle
Schwimmen im Main
Pfefferminzblätter-Ernte
Zurück nach Düsseldorf
Wir wurden ausgebombt
UT-Ware
Für Brot gebettelt und gearbeitet
Mein Flaksplitter-Brieföffner
Bombe trifft Krankenhaus
Fliegeralarm in der Luisenschule
Kinderlandverschickungs-Lager im Erzgebirge
Übermut tut selten gut
Streich gegen den Lagermannschaftsführer
Pateneltern
Spielen auf der Freilichtbühne
Führernachwuchslager
Sportschule Dresden Tolkewitz
Besuch in Thüringen – mein Vater erzählte nur die Wahrheit
Sportfeste
Quark an die Decke schießen
Flucht aus dem Erzgebirge
Angriff auf Kassel
Versteck im Keller
Militärfahrzeug Richtung Venlo
Pferdefleisch
Schuss mit der Panzerfaust
Trümmerberg – Monte Klamotte
Wegen Winterporree unter Beschuss
Amerikaner kommen in die Stadt
Ich hole meinen Bruder nach Hause
Öl im Hafen
Plündern nicht getraut
Zum Stoppeln auf die andere Rheinseite
Schwarzmarkt
Trümmerverwertung nach Kinderart
Phosphorbombe – nicht nur gefunden
Hamstern bei Oldenburg
Zum Kohlenklauen nach Derendorf
Hinrichtung auf der Bismarckstraße
Malerlehre
Der Chefkoch I
Es geht wieder bergauf
Der Chefkoch II
Nachwort
Auszug aus dem Stadtarchiv Düsseldorf
Zu diesem Zeitpunkt war ich ein unbeschwertes achtjähriges Kind, das zweite von später insgesamt sechs Geschwistern.
Zum Ende des Schuljahres wurde mir ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt, das ich stolz meinen Eltern präsentierte.
Die Versetzung in die höhere Klasse brachte einen Schulwechsel mit sich. Wurde ich im April 1938 in die Schule an der Sonnenstraße eingeschult, so besuchte ich von nun an die Schule an der Helmholtzstraße.
Als ich an einem heißen Spätsommertag nach Hause kam, traf ich meine Onkel Lambert und Willi zu Hause an.
Mein Zuhause, war in Düsseldorf, im Stadtteil Oberbilk. Einem Arbeiterviertel, in dem die stahlverarbeitende Industrie, und somit auch die Rüstungsindustrie, angesiedelt waren. Mit meinen Eltern, und meinen Geschwistern, bewohnte ich eine Dreizimmer-Parterrewohnung eines Mietshauses, auf der Dreieckstraße elf, nicht weit vom Hauptbahnhof entfernt.
Meine Mutter war ebenfalls in einer kinderreichen Familie aufgewachsen. Sie hatte sechs Brüder und eine Schwester. Die beiden Brüder meiner Mutter, die ich nun zu Hause antraf, waren die jüngsten. Sie wollten sich verabschieden. Sie waren dem Reichsarbeitsdienst verpflichtet und mussten von nun an in einer weit entfernten Kaserne Hilfsarbeiten leisten, in der sie auch wohnen und verpflegt würden.
Seit 1935 musste jeder junge Mann zwischen achtzehn und vierundzwanzig Jahren eine sechsmonatige Arbeitspflicht im Rahmen des sogenannten Reichsarbeitsdienstes leisten.
Während des Krieges mussten Jugendliche sogar ab dem sechzehnten Lebensjahr, und länger als sechs Monate, den Reichsarbeitsdienst leisten. Die jungen Männer wurden gegen Ende des Krieges auch als Flaksoldaten eingesetzt. Also als Soldaten, die eine Fliegerabwehrkanone gegen angreifende Flugzeuge abfeuern mussten.
Ins Leben gerufen wurde der Reichsarbeitsdienst von der NSDAP, der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, deren Parteivorsitzender von 1921 bis 1945 Adolf Hitler war. Eine politische Bewegung, die unter anderem gegen die jüdische Religion, gegen die Demokratie und gegen den Kommunismus war. Die Nationalsozialisten wurden kurz „Nazis“ genannt.
Einige Tage später verabschiedeten sich meine Onkel Franz, August, Theo und Karl, alles Brüder meiner Mutter, ebenfalls von uns. Auf meine Frage, wo sie denn hingingen antworteten sie mir, dass sie als Soldaten in den Krieg ziehen müssten. Ich sollte meinen Onkel Theo und Karl nie mehr wiedersehen, ebenso noch zwei weitere Brüder meiner Mutter.
Ich hatte im sogenannten Volksempfänger, einem Radiogerät, manchmal die Sondernachrichten gehört, auf die zuvor mit einer bestimmten Melodie aufmerksam gemacht wurde.
Einen Volksempfänger hatte fast jeder zu Hause. Damit wurden Unterhaltungsmusik und politische Reden übertragen.
Er wurde Anfang der dreißiger Jahre zu Werbezwecken für die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, also der NSDAP, in großer Stückzahl serienmäßig hergestellt und billig verkauft. Somit sollte jede Familie von den Zielen der Partei überzeugt werden. Wir besaßen ein batteriebetriebenes Gerät.
© Bundesarchiv - Plakat 003-022-025 - Grafiker Leonid
Später gab es eine Verordnung, die bei Androhung von härtesten Strafen, bis hin zur Todesstrafe, das Hören von anderen Sendern, also von Feindsendern, verbot.
Berichte über Erfolge, die die deutschen Soldaten errungen haben, waren glaubwürdig. Bis Mai 1940 war keine einzige Bombe auf Düsseldorf gefallen.
Ab 1940 wurde auch im Kino in der Deutschen Wochenschau, die vor jedem Hauptfilm gezeigt wurde, über die Eroberungen der deutschen Soldaten berichtet. Als Kinder fanden wir es toll, dass die Soldaten so mächtig dargestellt wurden und dass sie so siegreich für uns alle kämpften.
Genau das beabsichtigte die NSDAP.
Mein Vater wurde nicht eingezogen, weil er bei Kämpfen im ersten Weltkrieg schwer verwundet wurde und noch immer unter den Folgen litt.
Mein Onkel Peter musste ebenfalls weg. Doch nicht als Soldat an die Front, sondern wegen seiner kommunistischen Einstellung als Politischer Gegner in ein KZ. KZ ist die Abkürzung für Konzentrationslager, einer Art Gefangenenlager, in dem nicht erwünschte Volksgruppen, sowie auch politische Gegner, gefangen gehalten und misshandelt wurden.
Mein Onkel Peter gehörte zu den wenigen Leuten, die der Partei nicht blind gehorchten und sich mit seiner Meinung nicht zurückgehalten hat.
So hat er zu Beginn des Krieges mit Kollegen und Bekannten in einer Kneipe namens Völsch am Worringer Platz öffentlich über die Politik diskutiert.
Der Worringer Platz war zu dieser Zeit ein gern besuchter Ort. In der Mitte des Platzes befand sich ein großer Pavillon. Sein Dach mündete in einen hohen Turm, auf dem der so genannte Kiepenkerl stand, eine männliche Statue, die eine Kiepe, also eine Art Rucksack, auf dem Rücken trug.
© Stadtarchiv der Landeshauptstadt Düsseldorf - Sign.: 034-920-003
Fotograf: Julius Söhn
Um den großen Platz herum reihten sich Kneipen und Lokale aneinander. Vom Oberbilker Stahlwerk oder von der Rüstungsfirma Schiess, die an der Erkrather Straße produzierte, kamen die Arbeiter nach Feierabend scharenweise über den Platz, um in den umliegenden Kneipen einzukehren und zu diskutieren. Auch zwei meiner Onkel haben bei der Rüstungsfirma Schiss gearbeitet.
Am nächsten Tag wurde mein Onkel Peter am Worringerplatz in einer Kneipe verhaftet. Mein Opa, also sein Vater, erfuhr von Arbeitskollegen, dass er in ein KZ gebracht wurde.
Viel später, kurz vor Kriegsende, hat meine Mutter die Nachricht erhalten, dass ihr Bruder, mein Onkel Peter, auf dem Hof des KZs Buchenwald mit Gewehrkolben erschlagen wurde. Er war wegen Unterernährung körperlich sehr geschwächt und konnte die ihm aufgetragenen Arbeiten nicht mehr so schnell erledigen. Als er unter einer schweren Last auf dem Hof des KZs zusammenbrach, haben die Aufseher so lange auf meinen im schlammigen Boden liegenden Onkel Peter eingeprügelt, bis er tot war.
Auch mein Vater und meine anderen Onkel waren Kommunisten. Doch haben sie es, um die Familie zu schützen, nicht lauthals kundgetan.
Die ersten Fliegerangriffe mit fünfunddreißig Bombern flog die englische Royal Air Force in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai 1940. Die Bomben fielen auf Mönchengladbach. Doch das wurde in den offiziellen Nachrichten verschwiegen.
In der Schule lernten wir Lieder, die mit dem Krieg und den Soldaten zu tun hatten.
In der Schule erlebte ich auch meinen ersten Bombenangriff am 15. Mai 1940.
Wir hatten Unterricht, als der Fliegeralarm mit seinem grauenvollen an- und abschwellenden Heulton losging, weil feindliche Flieger aus westlicher Richtung gemeldet wurden. Der schaurige Fliegeralarm dauerte eine Minute.
Wie oft ich vorher schon wegen Fliegeralarm in den Keller oder einen Luftschutzbunker geflüchtet bin, kann ich gar nicht mehr sagen.
Wenn Fliegeralarm ertönte, musste das nicht gleich einen Bombenangriff auf unsere Stadt bedeuten. Fliegeralarm war eine Warnung auf einen eventuell bevorstehenden Angriff, da die feindlichen Flugzeuge entweder noch abdrehen konnten, oder Düsseldorf ohne eine Bombe abzuwerfen, überflogen.
Wir waren also an Fliegeralam gewöhnt. Trotzdem haben wir schnellstens unsere Tornister gepackt und sind in den Keller der Schule geflüchtet.
Die Tornister nahmen wir mit, damit wir vom Keller aus gleich nach Hause gehen konnten, falls der Fliegeralarm über den Schulschluss hinaus andauerte.
Die einzelnen Kellerräume waren als Luftschutzräume hergerichtet und groß genug, dass alle Schüler und Lehrer darin Platz hatten. Die Lehrer waren dafür verantwortlich, dass alle Kinder in den Keller gingen und die Türen verschlossen waren. Es handelte sich um sogenannte Luftschutztüren. Diese ungefähr sieben Zentimeter dicken Eisentüren mit speziellen Verriegelungshebeln hielten den Druckwellen der Bomben stand und konnten einen Brand aufhalten. So hockten wir also, wie schon so oft, im Schulkeller und warteten darauf, dass die Sirenen den langgezogenen Ton der Entwarnung von sich gaben.
Endlich war es soweit und die Lehrer schickten uns nach Hause. Dort angekommen erzählte meine Mutter mir, dass in der Nachbarschaft, auf der Apollinarisstraße, eine Bombe in ein Haus eingeschlagen war und den Dachstuhl beschädigt hat.
Den kaputten Dachstuhl haben wir uns natürlich von der gegenüberliegenden Straßenseite aus angeschaut.
Diese ersten über Düsseldorf abgeworfenen Sprengbomben trafen den Stadtteil Oberbilk, wo ich zur Schule ging und wo mein Elternhaus stand. Ferner wurde auch der Stadtteil Flingern von den ersten Bomben getroffen
Zu Beginn des Krieges ist mal hier oder da eine Bombe gefallen. Das hat irgendwie niemand so richtig ernst genommen. Einige Menschen aus der näheren Umgebung kamen sogar extra in die Stadt, um die Bombenschäden zu bestaunen, oder um einmal bei einem Fliegeralarm dabei zu sein. Im Volksempfänger wurde ja immer nur berichtet, dass Deutschland so mächtig ist. Man kann das nicht vergleichen mit 1942 bis 1945. Da wurden die deutschen Städte systematisch komplett vernichtet, und die Menschen hatten kaum mehr Möglichkeiten, Schutz zu finden. Die meisten Gebäude waren zerstört und oft folgte der Angriff auf einen Fliegeralarm so knapp, dass es kaum möglich war, einen schützenden Bunker zu erreichen.
Die Versorgung mit Lebensmitteln wurde immer spärlicher.
In der Schule wurde sogenanntes Klassenessen verteilt. Oft bin ich mit einem Mitschüler los gegangen, um den schweren Kübel mit der Knäckebrotsuppe zu holen. Diese Suppe bestand aus warmer Milch mit darin aufgeweichtem Knäckebrot. Einer rechts, einer links, trugen wir den Bottich in unser Klassenzimmer und stellten ihn auf einen kleinen Tisch neben dem Lehrerpult. In der Pause bekam jeder eine Kelle Suppe in seinen mitgebrachten Behälter. Milch oder Kakao gab es jeden Tag dazu.
Manchmal gab es noch Vitamintabletten. Ein beliebiger Schüler ging dann mit einem kleinen Teller voll Tabletten durch die Reihen der Schulbänke, um sie zu verteilen.
Es kam öfter vor, dass dem Schüler ein Beinchen gestellt wurde. Wenn er Glück hatte, landeten nur die Tabletten auf dem Boden, nachdem sie in hohem Bogen durch die Klasse flogen.
Augenblicklich fielen wir anderen Schüler von den Schulbänken und grabschten so viel Tabletten wie nur möglich vom Boden auf.
Sogleich stopften wir sie in den Mund, um damit das ständige Hungerfühl zu unterdrücken.
Der Lehrer wollte zwar immer wissen, wer das war, doch meistens bekam er es nicht heraus. Ich denke, dass er eine Art Verständnis dafür aufbrachte. Es gab auf jeden Fall keine Strafe dafür.
Mittlerweile besuchte ich die Knaben-Mittelschule auf der Luisenstraße. Die Mittelschule war eine Vorbereitung für das Gymnasium, heute vielleicht vergleichbar mit einer Realschule. Das Schulgeld, welches für diese Schulform verlangt wurde, ist mir wegen guter Leistungen erlassen worden. Ich bekam sozusagen ein Stipendium.
Meine Eltern bekamen einen schriftlichen Bescheid der Partei, dass ich mich zu einem bestimmten Termin auf dem Höherweg vorstellen sollte. Bei der angegebenen Adresse, gleich an der Ecke zur Kettwiger Straße, handelte es sich um eine Art Einkleidungskammer, in der ich einige Bekleidungsstücke erhalten sollte.
Am besagten Datum erhielt ich dort, zwischen abgestellten Fahrrädern und Mopeds der Reichspost, meine Uniform, deren Empfang ich ordnungsgemäß quittieren musste. Außerdem erfuhr ich, dass ich zur Einheit Fähnlein 48 und Bann 39 gehörte.
Meine erste eigene Uniform:
Da ich mein Interesse zum Spielen einer Fanfarentrompete bekundete, bekam ich auch eine. An dieser hing eine schwarze Fahne, auf der ein Zeichen, ähnlich wie ein weißer Blitz, gestickt war. Das Probeblasen machte ich so gut, dass ich die Fanfare beim zukünftigen Marschieren spielen durfte.
Einige Male vor dem ersten Antreten und später zwei Mal in der Woche, haben wir Pimpfe uns mit dem Fähnleinführer in einer Schule zum Üben getroffen.
Das heißt, die Pimpfe, die kein Instrument spielten, wurden auf dem Schulhof im Verlauf aufgestellt. Die großen Kinder standen vorne und die kleinsten hinten.
Die Pimpfe, die entweder eine Fanfare oder eine Trommel spielten, übten in der Turnhalle. Für die Musiker war das Üben sehr wichtig.
Wir übten nicht nur das Spielen der Musikinstrumente, sondern auch den richtigen Einsatz. Beim Marschieren trugen wir die Fanfaren waagerecht wie eine Tasche in der rechten Hand in Höhe des Oberschenkels. Hat jemand aus der Gruppe ein verabredetes Zeichen gegeben, stellten wir die Fanfare auf den rechten Oberschenkel auf und kurz danach wurde das Mundstück angesetzt und gespielt.
Von nun an musste ich und andere Jungen jeden Samstag pünktlich um zwei Uhr mittags zum Appell am Schlegelplätzchen antreten.
Endlich war der Tag des ersten Antretens da. Der Fähnleinführer hat uns zunächst begrüßt.
Vierundsechzig aufgeregte Kinder, alle in Uniform, davon acht mit Fanfaren und acht mit Trommeln.