Jürgen Müller
Sämtliche Creative Writing Ratgeber
5 x Kreatives Schreiben
Copyright
Jürgen Müller
Straße des Friedens 11
09509 Pockau-Lengefeld
Deutschland
„Sämtliche Creative Writing Ratgeber“ – das sind in einem Band alle bis zum Mai 2015 erschienenen Ratgeber des Autors zum Thema kreatives Schreiben:
„So schreiben Sie mühelos ein tolles dickes Buch“
„So schreiben Sie einen sagenhaften Stil“
„500 Zitate und Sprüche über das Schreiben“
„800 Synonyme für sagte“
„Positive Affirmationen für Schriftsteller“
George Simenon schrieb rund 400 Romane und 51 Erzählungen in nur vier Jahrzehnten Schriftstellerdasein, die meisten seiner Bücher vollendete er in weniger als zwei Wochen; Sie aber sitzen oft Stunde um Stunde vor dem leeren Bildschirm, starren auf die Tastatur, die klappern sollte, es aber nicht tut, und wenn Sie doch ein paar Zeilen oder Seiten zustande bringen, sind sie meist so schlecht, dass Sie sie am nächsten Tag wieder löschen müssen.
Warum empfinden die anderen Schreiblust und Sie nur Frust?
Warum fällt Ihnen nichts ein, andere aber produzieren ausgereifte Texte en masse?
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Sie wollen ein Buch schreiben? Und es soll dick und toll werden? Und Sie wollen sich dabei nicht unnötig quälen müssen, sondern locker und zügig vorankommen und sogar Freude beim Schreiben empfinden?
Gut. Dann ist dieser Ratgeber genau das, was Sie brauchen, um Ihr Ziel zu erreichen.
Georges Simeon wusste haargenau, was er schreiben wollte, wenn er mit dem Tippen eines seiner unzähligen Manuskripte begann. Denn die zwei Wochen pro Roman beinhalten nur die reine Schreibzeit, nicht aber die Vorarbeiten wie das Ersinnen der Handlung und die Charakterisierung der Figuren.
Ja, er hatte sogar vor dem Schreiben immer genaue Pläne der Handlungsorte und Zimmerausstattungen angefertigt, um zu wissen, wo sich was befindet! Ohne diese Pläne konnte er nicht arbeiten und hätte genauso verzweifelt vor seiner Schreibmaschine gesessen wie Sie vor Ihrer Tastatur.
Das eingerechnet wird er zirka einen Monat pro Manuskript gebraucht haben – eine immer noch schier unglaubliche Leistung, gewiss.
Aber zum Glück muss niemand 400 Romane schreiben, um als Autor anerkannt zu werden. Die meisten Schriftsteller schreiben ein bis drei Titel pro Jahr und gelten trotzdem als produktiv. Dies zu Ihrer Beruhigung.
Was wir von Georges Simenon aber lernen können, ist, dass man erst seine Hausaufgaben machen muss, bevor man mit dem Schreiben beginnt. In einen Schreibrausch kann sich nur hineintippen, wer vorher weiß, was er schreiben will.
Wissen, was man schreiben will, ergibt Schreiblust; keine Ahnung, worüber man schreiben soll, Schreibfrust.
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Regel Nummer 1: Setzen Sie sich nie vor die Tastatur, solange Sie nicht wissen, worüber Sie schreiben wollen oder wie der begonnene Text weitergeht. Ideen hat man vor dem Schreiben, nicht währenddessen! Es können höchstens noch welche hinzukommen.
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Sie haben keine Ideen? Macht nichts! Nach der Lektüre des Kapitels Ideen am laufenden Band werden Sie nicht wissen, welche Sie zuerst umsetzen sollen.
Doch dazu später. Nehmen wir jetzt einmal an, Sie hätten eine Idee. Sagen wir, der Text soll von einem Aussteiger handeln, der hinauszieht in die Wildnis und sich dort allein behauptet.
Sie sind voller Tatendrang, haben jeden Tag zwei Stunden Zeit zum Schreiben und möchten nichts anderes als loslegen, doch bevor Sie es dürfen, müssen Sie erst einmal dies und das recherchieren, das ist Ihnen klar. Denn Sie sind Stadtmensch und wissen so gut wie nichts über das Leben in der Natur. Sie brauchen erst einmal genaue Informationen über Wald und Flur, Moor und Sumpf, Fuchs und Iltis. lm Zeitalter von Wikipedia und Co. ein Klacks in Form einiger Klicks, doch es kostet Zeit. Wollen Sie es richtig machen, sehr viel Zeit.
Elizabeth Georges zum Beispiel, die in Kalifornien lebende „Meisterin des englischen Spannungsromans“, reist vor jedem ihrer Romane erst einmal für Wochen oder Monate nach England, beschaut und fotografiert die im Voraus ausgewählten Handlungsplätze und macht sich mit der Arbeitsweise von Scotland Yard, der dortigen Sensationspresse und dem Treiben in Großbritanniens Unterhaus und vielen anderen Dingen, die sie für das jeweilige Buch wissen muss, vertraut.
Das alles empfindet sie als nötiges Übel, erst dann kehrt sie in die Vereinigten Staaten zurück und macht sich an die Erfindung der Romanfiguren.
Und erst danach, nach Monaten Arbeit, kommt sie zum vergnüglichen Teil der Sache: zur Rohfassung. Jetzt endlich darf sie schreiben. Spaß hat ihr das Ganze bisher nicht gemacht.
Andere Autoren ziehen erst einmal in die Stadt, über die sie schreiben wollen, leben mehrere Jahre in ihr, machen sich mit Milieu und Leuten vertraut, bis sie den kleinsten Winkel kennen, und wagen es erst dann, über diese Stadt zu schreiben. Aber dann ist das Buch voll von Atmosphäre und wird zumeist ein Welterfolg. Die Hausarbeiten haben sich gelohnt.
Wollen Sie sich nicht bei den Lesern durch ungenaue, fehlerhafte Beschreibungen blamieren, wollen Sie überhaupt erst einmal Leser gewinnen, dann müssen Sie ebenfalls erst einmal Ihre Hausarbeiten machen, sprich sich über alles, was Sie nicht wissen, gründlich informieren.
Anders geht es nicht, wenn Sie ernst genommen werden wollen. Die Zeiten, in denen die meisten Menschen ihr ganzes Leben auf der heimatlichen Scholle verbrachten und nicht wussten, wie es zwanzig Kilometer weiter aussah, sind leider längst vorbei. Mit Schwindeleien und Ausschmückungen kommen Sie nicht mehr durch.
Selbst wenn Sie Science Fiction oder Fantasy schreiben, müssen Sie eine stimmige Welt entwickeln. Dann erst recht! In diesem Falle müssten Sie entweder über die Wissenschaft oder über das Leben im Mittelalter Bescheid wissen.
Das bedeutet jetzt für Sie mit Ihrem geplanten Aussteiger-Roman, alles Mögliche über Wildschweine, Mischwälder, Hochgebirge, Wölfe und Rebhühner aus dem Internet herunterzuladen, Bildbände und Sachbücher zu kaufen und alles genau studieren, sich Notizen machen und und und ... Vielleicht wäre es auch angebracht, in eigener Person mal in den Wald zu gehen und dort Augen und Ohren offen zu halten.
Losschreiben wollen und nicht dürfen aber erzeugt Frust. In den nächsten Wochen können Sie noch nicht schreiben – erst die Arbeit, dann das Vergnügen, wie es so schön heißt.
Muss das so sein?
Ich sage Nein!
Um loslegen zu können, müssen Sie wissen, wie Ihr Buch beginnt, was Ihrer Hauptfigur im Verlauf der Handlung in etwa alles geschieht und – nicht zu vergessen! – wie es endet. Allein aus einer Ausgangssituation heraus einen ganzen Roman aufzubauen, ist unerhört schwierig. Das gelingt nur Stephen King und sonst kaum jemand. Ein in sich schlüssiges Ganzes wäre Zufall für Sie. Sie sollten also immer schon wissen, wie das Buch endet, bevor Sie sich ans erste Kapitel setzen.
Sich wochenlang mit einem Stufendiagramm, den Charakterstudien und Lebensläufen Ihrer Helden zu befassen, ist allerdings unnötig und erzeugt im Übrigen ebenfalls Frust. Ein grober Handlungsablauf und ein, zwei Charakterzüge der Hauptfiguren genügen vorerst allemal. Wenn Ihnen in der Mitte des Textes einfällt, dass Ihr Held doch lieber blaue statt braune Augen hat, können Sie das in Minutenschnelle durch „Suchen und Ersetzen“ ändern. Schließlich leben wir nicht mehr im Schreibmaschinenzeitalter, wo Sie in diesem Falle den ganzen Text noch einmal abtippen müssten.
Was Sie jetzt machen, ist der goldene Mittelweg. Statt einfach drauflos zu schreiben oder aber vor dem Schreiben alles bis ins Klitzekleinste auszuarbeiten, arbeiten Sie mit groben Orientierungspunkten. Auch das führt zum Ziel. Der goldene Mittelweg muss nicht immer der schlechteste sein. Außerdem sparen Sie viel Zeit.
Wenn Sie also wissen, dass Ihr Held im ersten Kapitel in ein Moor gerät, im zweiten auf Wildschweine trifft und im dritten einen Fuchs beobachtet, so lassen Sie vorerst die Wildschweine Wildschweine und den Fuchs Fuchs sein. Heute beginnen Sie das erste Kapitel, und dieses handelt in einem Moor!
Gehen Sie ins Internet, geben Sie den Begriff „Moor“ in einer Suchmaschine ein und laden Sie sich aus dem gigantischen Angebot das Wichtigste herunter. Das dauert vielleicht zehn Minuten. Drucken Sie das Ganze aus, überfliegen Sie es und unterstreichen Sie die wichtigsten Begriffe. Zeit: zwanzig Minuten.
Geschafft?
Gut. Sie wissen jetzt von Hochmooren und Niedermooren, von Torfmoosen und Weißtorf und Schwarztorf, von der Moosbeere, der Glockenheide und der Besenheide, vom Scheidigen Wollgras und dem Rundblättrigem Sonnentau mit seinem von Juli bis August sichtbaren Blütenstand. Sie wissen, wie die Moore entstanden und wie man sie trockenlegt. Sie wissen auch, wie eine Moorleiche entsteht und wie sie aussieht. Sie können ab sofort mit den Begriffen Sediment, Schilf, Rohrkolben und Moorhuhn brillieren und kennen den Unterschied zwischen einem Sumpf und einem Moor.
Und das reicht! Über Wildschweine können Sie sich informieren, wenn Sie das zweite Kapitel beginnen. Für heute aber haben Sie genug recherchiert. Nach nur einer halben Stunde Vorbereitungszeit können Sie loslegen und Ihren Aussteiger in ein Moor tapsen lassen. Aber lassen Sie ihn nicht vollständig versinken –Sie brauchen ihn später noch.
Nach einer weiteren halben Stunde dürften Sie die ersten 200 Wörter Ihres neuen Romans als Rohfassung getippt haben. Das schafft jeder. 200 Wörter Rohfassung schaffen manche in zehn Minuten. Schreiben Sie alles so auf, wie es Ihnen in den Sinn kommt, mit den einfachsten Worten und ohne nachzudenken. Kümmern Sie sich nicht um Grammatik und Rechtschreibung, Stil und Klang. Das kommt später. Das ist der nächste Schritt. Arbeiten Sie schön der Reihe nach.
Hören Sie jetzt auf mit dem Schreiben. Weitere Einfälle zum Verlauf der Handlung, die Ihnen vielleicht gerade jetzt in den Sinn kommen, notieren Sie vorerst nur stichpunktartig weiter hinten im gleichen Dokument.
Sie haben in etwa eine sogenannte Normseite von sechzig Zeichen à dreißig Zeilen vor sich liegen. Ihr fehlt nur noch der Feinschliff, sprich eine Überarbeitung, die sich gewaschen hat. Verwenden Sie dazu die letzten sechzig Minuten Ihrer zwei Stunden, die Sie fürs Schreiben Zeit haben.
Worauf Sie im Einzelnen bei der Überarbeitung zu achten haben, um ein wirklich „tolles dickes Buch“ zu schreiben, erläutere ich ausführlich im Kapitel Eine einzige Überarbeitung macht's auch.
Sie haben eine halbe Stunde recherchiert, eine halbe Stunde geschrieben und eine Stunde am Text gefeilt. Und das hat Spaß gemacht. Abwechslung versüßt das Leben.
Klopfen Sie sich jetzt auf die Schulter, freuen Sie sich. Sie haben etwas geschafft. Sie haben eine ganze Seite fertig!
Das klingt nach nicht viel. Aber schon nach einem Monat werden es 30 fertige Seiten zu insgesamt 6000 Wörtern sein.
Gewiss: Stephen King, der seit Jahrzehnten jeden Tag einschließlich Geburtstag, Weihnachten und Silvester seine 2000 Wörter schreibt, bringt im gleichen Zeitraum 60000 Wörter zu Papier, also das Zehnfache.
Aber er hat im Gegensatz zu Ihnen noch nicht eine einzige Seite fertig! Sie sind ihm weit voraus. Bei ihm handelt es sich lediglich um eine Erstschrift, die er noch einmal vollständig überarbeiten, verbessern und kürzen muss, in der er ganze Kapitel neu schreiben und andere löschen wird. Und dann wird er noch ein drittes Mal damit beginnen, wie er es konsequenterweise bei jedem seiner Bücher tut: Stephen King schreibt drei Monate lang eine Erstschrift von 180000 Wörtern und dann überarbeitet er sie mindestens zwei Mal, bis sie ihm druckreif erscheint, was ebenfalls einige Monate dauert.
Glauben Sie, es macht Spaß, einen Text von 180000 Wörtern zu überarbeiten und während dieser Zeit nicht schreiben zu können, und das gleich zwei Mal hintereinander? Gott bewahre! Das ist Schwerstarbeit und Frust pur. Schließlich sind Sie Schriftsteller und kein Deutschlehrer, der gern Aufsätze korrigiert.
Diesen Frust ersparen Sie sich, wenn Sie jede geschriebene Seite sogleich ins Reine bringen. Eine einzige Seite zu überarbeiten überlebt man. Und morgen ist ein neuer Tag mit neuer Kraft und guter Laune. Und diesen Tag widmen Sie dem Schreiben und Korrigieren der Seite 2.
Gewiss, Ihr Buch hat nach einem halben Jahr Arbeit gerade einmal 180 Seiten (36000 Wörter), aber das reicht allemal. Denken Sie Alice im Wunderland oder Der kleine Prinz seien länger? Aber nicht doch.
Glauben Sie mir: Wenn Sie meine Anregungen umsetzen, schreiben Sie, gutgelaunt und hintereinander weg, pro Jahr zwei Bücher im Umfang von Alice im Wunderland oder aber ein tolles, dickes Buch von 72000 Wörtern (rund 300 Taschenbuchseiten). Ganz wie Sie wollen. Den Lesern gefällt beides. Laut Statistik wünschen sich 50 Prozent der Befragten dicke Wälzer, die am besten nie enden. 40 Prozent aber würden viel lieber mehr dünnere Sachen von 100 Seiten oder Kurzgeschichtenbände und Dergleichen veröffentlicht sehen.
Ob Ihr Buch nun kurz oder lang ist, ist nicht entscheidend; Sie finden für alles Leser – gut muss es sein.
Vielleicht sind Sie auch schneller und bringen in einer halben Stunde 300 Wörter zu Papier? Oder Sie schreiben schon derart stilsicher und fast fehlerlos, dass Ihnen eine halbe Stunde Überarbeiten pro Normseite reicht und Sie dadurch eine ganze Stunde am Tag an der Erstschrift schreiben können. In diesen Fällen schaffen Sie pro Jahr locker 100000 Wörter und mehr. Die 200 Wörter pro halbe Stunde sind nur das Mindestmaß, das jeder schaffen kann. Eine kleine Orientierungshilfe, nicht mehr. Schreiben Sie Ihr eigenes Tempo, aber schreiben Sie Seite für Seite.
Und sollten Sie einmal in einen Schreibrausch geraten, die Worte nur so Ihrem Geist entströmen, und Sie haben drei oder vier Stunden Zeit, dann nutzen Sie die Gelegenheit und schreiben Sie alles auf, was Ihnen einfällt – 200 Wörter pro Tag hin und sofortige Überarbeitung her. Ausnahmen bestätigen die Regel. Es wäre schön dumm von Ihnen, sich solch einen Glücksfall entgehen zu lassen. Er kommt eh viel zu selten vor. Und ob Sie sich am nächsten Tag noch an all Ihre Einfälle, die Ihnen jetzt durch den Kopf schießen, erinnern können, ist fraglich. Meist verblassen sie ebenso rasch und unwiederbringlich wie ein Traum.
Ansonsten aber gehen Sie nach dem gewohnten Schema vor: eine halbe Stunde recherchieren, eine halbe Stunde schreiben, eine Stunde überarbeiten.
Ob Ihre Bücher allerdings so gut wie die von Lewis Carroll werden, das liegt bei Ihnen. Dafür übernehme ich keine Verantwortung.
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Regel Nummer 2: Wenn Sie bisher mit anderen Schreibtechniken nicht klargekommen sind, dann schreiben Sie Ihr Buch fortan lieber Seite für Seite und nicht am Stück!
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Es mag verrückt erscheinen, wenn jemand wie Stephen King selbst an seinem Geburtstag, zu Weihnachten und Silvester schreibt. Aber es gibt keine bessere Lösung.
Die Sache ist die: Schreiben ist eine der befriedigendsten Tätigkeiten, die man sich nur vorstellen kann – sobald man sich dazu durchgerungen hat, damit anzufangen.
Beim Schreiben nämlich muss man sein Köpfchen anstrengen. Zu viele andere Sachen (wie Musik hören, fernsehen et cetera) aber machen (richtiges Programm eingestellt) ebenso viel Spaß und locken ungemein, die Zeit lieber mit ihnen zu verbringen. Denn bei ihnen braucht man sich nur berieseln lassen und hat trotzdem sein Vergnügen.
Schreibt man nun nur gelegentlich, so muss man jedes Mal aufs Neue gegen diese Verlockungen ankämpfen und seinen inneren Schweinehund besiegen. Schreibt man dagegen jeden Tag, am besten noch immer zur gleichen Stunde, wird das Ganze zu einer mühelosen Angewohnheit, über die man nicht nachdenkt und die man ebenso selbstverständlich tut wie das allmorgendliche Aufstehen und Waschen.
Setzt man aber nur einen einzigen Tag mit dem Schreiben aus, wird es gefährlich. Denn der „Wiedereinstieg“ ist schwer. Dauert die Schreibpause an, verliert man dabei auch noch allzu oft das Interesse am gegenwärtigen Stoff. Und doch ist die Verlockung des Aufschiebens auf den nächsten Tag groß.
Ich kenne das.
Man hat ein Werk fertig. Es ist Donnerstag, und Sie sagen sich: Morgen zum Freitag mache ich nichts und fange erst am Montag wieder an. Einen Tag Auszeit habe ich mir verdient.
Montag kommt. Es ist der 26. Juni. Sie verspüren keine Lust zum Schreiben und denken: Für dieses Halbjahr habe ich genug geschrieben; ich lege am 1. Juli los, und zwar richtig!
Am 1. Juli haben Sie noch viel weniger Lust, am 2. und 3. ebenso, und irgendwann verschieben Sie den Neustart auf den 1. August.
Es folgt der 1. September und dann der 1. Oktober.
Mitte Oktober kommt es Ihnen in den Sinn, dass der Wunsch, wieder mit dem Schreiben zu beginnen, doch ein guter Vorsatz für das neue Jahr sei.
Der 1. Januar ist Feiertag und Sie sind erst gegen 4 Uhr morgens verkatert ins Bett gekommen.
Am 2. Januar verschieben Sie den Termin auf den 3. Januar.
Am 3. Januar auf den 1. Februar.
Am 1. Februar auf den 1. März ...
Wenn Sie absolutes Pech haben (oder einen allzu schwachen Willen), werden Sie nie wieder etwas schreiben, nie wieder Schreibrausch und den Stolz auf ein fertiges Werk verspüren, für immer auf die Anerkennung Ihrer Umgebung verzichten müssen!
Und warum? Weil Sie einmal für einen Tag ausgesetzt haben!
Um dieser Gefahr zu entgehen, kennt Stephen King keine Ausnahme. Es ist nicht verrückt, es ist nur praktisch und gewitzt.
Beim Schreiben ist der Anfang das Schlimmste. Schwer ist also nur, sich dazu aufzuraffen, mit dem Schreiben zu beginnen. Hat man dies aber erst einmal durch diesen oder jenen Trick oder durch Gewöhnung erreicht, ist Schreiben ganz leicht und macht Spaß.
Machen Sie es sich einfach – schreiben Sie jeden Tag. Vermeiden Sie den unnötigen Kampf mit Ihrem inneren Schweinehund, den Sie, wenn es hart auf hart kommt, eh meist verlieren. Machen Sie sich stets bewusst: Je länger Sie nicht geschrieben haben, desto mehr Kraft und Überwindung müssen Sie aufbringen, um später wieder damit anfangen zu können.
Eine halbe Stunde recherchieren. Eine halbe Stunde schreiben. Eine Stunde überarbeiten. Das machen Sie von jetzt an Tag für Tag.
Einen Roman schreibt man nicht, indem man anfangs wie ein Wilder zwölf Stunden am Tag lostippt und dann die Lust verliert.
Einen Roman schreibt man, indem man beständig jeden Tag ein gewisses Quantum an Text fertigt, bis man am Ende ist. Punkt.
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Regel Nummer 3: Schreiben Sie regelmäßig!
Ideen sind wichtig. Ein nichtssagendes, undurchdachtes Chaos ohne Anfang und Ende will niemand lesen.
Andreas Eschbach, der Autor von Das Jesus Video, hatte nach eigener Aussage bereits vor Jahren mehr Ideen notiert, als er in seinem Leben je umsetzen kann; anderen fällt trotz aller Grübelei kaum etwas Brauchbares ein.
Falls Sie zu den Letzteren gehören, sind Sie hier richtig.
Haben Sie genügend Ideen, lesen Sie jetzt bitte ab dem Kapitel „Aller Anfang ist leicht“ weiter.
Ideen erhält man auf vielerlei Wegen. Auf den folgenden Seiten sind die zehn wichtigsten aufgeführt.
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1. Ideenfindung durch Träume
So vieles auf der Welt entstand aus einem Traum: Paul McCartney träumte die Melodie zu Yesterday, der Chemiker F. A. Kekule sah im Traum die Ringstruktur des Benzolmoleküls in Form einer Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt, der Komponist Strawinsky träumte ein Oktett, unzählige Maler wie Dali und Picasso verwendeten in ihren Bildern Traumsymbole, und auch im Bereich der Literatur gibt es für letzteren Fall Hunderte Beispiele: Ezra Pound, T. S. Eliot, Gabriel Garzia Marquez.
Auch der Romanschriftsteller Graham Greene nutzte zu seiner Zeit Trauminhalte für Aufbau und Niederschrift seiner Bücher.
Heutzutage ist das erfolgreichste Beispiel das der amerikanischen Autorin Stephenie Meyer, die im Jahre 2003 in einem Traum sah, wie sich ein junges Mädchen und ein Vampir auf einer Lichtung trafen und unsterblich ineinander verliebten. Heraus kamen der Weltbestseller Bis(s) zum Morgengrauen nebst drei Fortsetzungen, seither in 37 Sprachen übersetzt und 50 Millionen Mal verkauft, sowie der Kinofilm Twilight.
Man sieht, dass es sich lohnt, wenn man seine Träume ernst nimmt.
Albträume zum Beispiel eignen sich wunderbar zu Horrorgeschichten.
Ein Großteil der weiteren Träume handelt von Sex – gut für erotische Literatur. Sie müssen das Geträumte nur noch ausschmücken und poetisch aufpeppen.
Sobald Sie einen dieser Träume hatten und sich daran erinnern, ist alles Weitere nur noch Handwerk, Ausharren am Schreibgerät und eine Prise Talent.
Falls Sie zu den Menschen gehören, die angeblich nie träumen – das glauben Sie nur. Sie träumen. Jeder Mensch träumt. Nur kommen viele mit dem Inhalt ihrer Träume nicht klar (bei Männern zumeist Sex und Gewalt) und unterdrücken sie deshalb unbewusst. Das heißt, Sie träumen genauso viel wie andere Menschen, erinnern sich nur nicht daran. Diese Traumunterdrückung können Sie leicht aufheben.
Sagen Sie sich einfach vor dem Einschlafen: „Heute Nacht werde ich einen Traum haben, und ich werde mich beim Aufwachen daran erinnern“, und genau das wird geschehen.
Dies ist kein esoterischer Unfug, es klappt wirklich. Ihr Unterbewusstsein arbeitet stets, es schläft nie, es steuert alle ihre Körperfunktionen, egal ob Sie schlafen oder wachen. Und es macht, was Sie wollen. Sie sind der Boss! Wenn Sie ihm kurz vor dem Einschlafen sagen, dass Sie mitten in der Nacht um 3 Uhr 50 aufwachen möchten, werden Sie mitten in der Nacht um 3 Uhr 50 aufwachen! Es kennt die Zeit, es ist ja identisch mit Ihrer biologischen Uhr, lässt ihren Magen zu jener Zeit im Akkord arbeiten und Ihre Milz zu dieser; es weiß, wann 3 Uhr 50 ist. Kein Problem, Sie müssen nur daran glauben, dass es Ihr Diener ist und Ihnen gehorcht, dürfen nicht zweifeln. Sobald Sie denken: „Das klappt ja doch nicht“, wird es nicht klappen. Ihr Unterbewusstsein tut das, was Sie möchten, und ansonsten das, von dem Sie überzeugt sind, dass es passieren wird, und sei es noch so schlecht und ungünstig für Sie. So einfach ist das. Und gerne weckt es Sie nach jedem Traum, Sie müssen es ihm nur anordnen.
Und wenn Sie fortan Ihre Fülle an Träumen nutzen, können bald auch Sie sagen:
„Träume sind es, an denen wir uns weiden in der Poesie.“ (Friedrich Hebbel)
Und vor allem haben Sie fortan jede Menge Stoff.
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„Mein Freund, das grad ist Dichters Werk,
dass er sein Träumen deut' und merk.
Glaub mir, des Menschen wahrster Wahn
wird ihm im Traume aufgetan.
All Dichtkunst und Poeterei
ist nichts als Wahrtraum-Deuterei.“ (Richard Wagner)
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2. Ideenfindung durch Tagträume
Lassen Sie das, was Sie gerne machen möchten, aber nicht können, oder für das Sie sich schämen würden, wofür Sie zu feige, zu ernst, zu erwachsen sind, Ihre Figuren tun!
Viele Werke Karl Mays sind auf diese Weise entstanden – der kleine, unscheinbare Lehrer träumte mit wachen Augen davon, ein großer Held zu sein, und schrieb diese Träume dann auf. Heraus kamen Old Shatterhand und Kara ben Nemsi.