Was leistet dieses Buch?
Thesen und Ziele auf einen Blick

Vorwort – nicht nur für Führungskräfte, sondern für alle, die im Betrieblichen Gesundheitsmanagement aktiv sind

1     Wie sich die Arbeitswelt verändert
„Immer mehr Weicheier und Heulsusen!“

•  Psychische Erkrankungen auf dem Vormarsch

•  Was Zielvereinbarungen mit Burnout zu tun haben

•  Die Blaumacher-Problematik mal anders

2     Zwischenmenschlicher Arbeitsschutz und Führung
„Ohne den wär’s hier schön!“

•  Psychosoziale Einflussfaktoren auf Anwesenheit und Wohlbefinden

•  Der Beitrag der Führungskraft zu Wohlbefinden und Gesundheit

•  Frustschutz für Sie: Umgang mit Kränker-Chefs

3     Die psychische Gesundheit stärken
„Jetzt reißen Sie sich mal zusammen!“

•  Menschen stärken – (wie) geht das?

•  Gesunder Umgang mit überlasteten Beschäftigten

•  Psychisch beeinträchtigte Menschen anders behandeln: ja oder nein?

4     Gesund führen – auch unter schwierigen Bedingungen
„Jetzt geht’s ums nackte Überleben – keine Zeit für Gesundheit!“

•  Was Bedingungen „schwierig“ macht

•  Gesund führen in Zeiten der Krise und anderer Veränderungen

•  Basis-Programm „Gesund führen“

5     Das Thema einschmuggeln und Widerstände einplanen
„Gesundheit ist Sache des einzelnen!“

•  Warum Widerstände gegen das Thema an der Tagesordnung sind

•  Türöffner und wie Sie sie richtig nutzen

•  Was Sie brauchen, um den Widerständen gewachsen zu sein

6     Den Vorstand überzeugen
„Zum Betriebsrat rennen doch immer nur die Minderleister!“

•  Die Sorgen des Vorstands

•  Don’ts im Umgang mit der Geschäftsführung

•  Wie Sie die Geschäftsleitung sachte zum Glück zwingen

7     Führungskräfte für das Thema gewinnen
„Als hätte ich nicht genug zu tun – seiber ges jetzt auch noch gesund führen!“

•  Weil Anprangern nichts bringt: Locken und Verführen

•  Pflichtseminare – ja oder nein?

•  Ein Herz für Chefs!

8     Selber gesund bleiben bei ungesunden Rahmenbedingungen
„Diesen Job bis 67 machen?! Da werd’ich bekloppt!“

•  Wie Sie Ihre eigene Psyche stärken

•  Basiskompetenz: Abschalten

•  Jetzt die Grundlage für gesundes Alter(n) legen

9     Maßnahmen mit Langzeitwirkung
„Die Fehlzeitenquote muss runter – sofort!“

•  Sofortwirkungen – und wieso die Fehlzeitenquote nicht alles ist

•  Kick-Off, Vorträge, Workshops – was darin behandelt werden sollte

•  Wie Sie Ihre Maßnahmen vermarkten und Nachhaltigkeit sichern

10     Die Kultur verändern
„Ab heute führen Sie gefälligst mit Wertschätzung!“

•  Basis-Programm: Selbstwertschätzung

•  Für Fortgeschrittene: Kultivierung einer wertschätzenden Haltung

•  Der Plan für Profis: Bausteine zur Kulturveränderung

Ausblick – nicht nur für Führungskräfte, sondern für alle, die im Betrieblichen Gesundheitsmanagement aktiv sind

Anhang

•  Die do care!®-Charta für Gesunde Führung

•  Checkliste: Überlastungssignale bei Beschäftigten

•  Gesprächsleitfaden zum Umgang mit überlasteten Beschäftigten

•  Leitfaden zur Förderung der psychosozialen Gesundheit (Schema)

•  Literaturverzeichnis

•  Stichwortverzeichnis

•  Kostenfreie Hilfsmittel (und Infos über die Autorin etc.)

Vorwort

nicht nur für Führungskräfte, sondern für alle, die im Betrieblichen Gesundheitsmanagement aktiv sind

Herzlichen Glückwunsch! Sie engagieren sich im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM)? Dann gehören Sie wohl zu den unbeirrbaren Optimisten. Das ist prima. Optimismus hält gesund. Er ist aber auch nötig. Denn egal ob Sie zum Unternehmen gehören oder einen Betrieb extern beraten: Sie werden viele Niederlagen wegstecken müssen – oder bereits hinter sich haben. Sie haben sicher schon Ihre eigenen Erfahrungen gemacht und wissen, wovon ich rede.

Es gibt so viele Fronten, an denen Sie kämpfen müssen. Die Geschäftsführung will überzeugt werden, die Führungskräfte, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenso, außerdem der Betriebsarzt, die Sicherheitsfachkraft, der Betriebsrat und die Menschen aus dem Personalbereich – vor allem aber diejenigen, die die Hand auf dem Geld haben. Ob das der Vorstand ist oder eine andere Instanz: Es wird nicht leicht!

BGM-Praxis: Einzelaktivitäten für den Körper

Einige Betriebe haben den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Produktivität erkannt und Maßnahmen zur Gesunderhaltung gestartet. Früher sprach man von Betrieblicher Gesundheitsförderung. Heute steht die Einbettung in betriebliche Prozesse im Vordergrund, man will ein Gesamtkonzept, daher ist inzwischen von Betrieblichem Gesundheitsmanagement die Rede – nicht zuletzt weil der Ausdruck Management die Akzeptanz bei den führenden Köpfen erhöhen soll. Falls es in Ihrem Betrieb genauso gehandhabt wird: Bleiben Sie dabei!

In der betrieblichen Wirklichkeit finden sich trotzdem nach wie vor eher Einzelaktivitäten als ein durchgängiges Konzept: Betriebssport, Jodsalz in der Kantine, Apfelecken im Sozialraum, der Firmenlauf, bei dem auch der Vorstand mitläuft, und etliche Aktionen zum Kampf gegen die Volkskrankheit Nummer 1, die die Kunstfigur Horst Schlämmer zusammenfasst unter „Ich hab Rücken“. Mineralwasser, Business-Yoga und Aktionspläne für eine starke Wirbelsäule gehören zum guten Ton eines Unternehmens, in dessen Leitbild auf Hochglanzpapier zu lesen ist: „Die Mitarbeiter sind unser wichtigstes Kapital“.

Gewünscht: Rückendeckung statt Rückenschule

Die genannten Aktionen sind löblich, keine Frage. Behalten Sie sie bei! Aber diese Maßnahmen zielen zu 99% auf körperliche Aspekte der Gesundheit. Dass der Mensch daneben eine Psyche hat, wird geflissentlich übersehen (und findet sich im Unternehmensleitbild selten wieder). Und auch, dass die Psyche krank werden und das Miteinander in Betrieben krank machen kann, ist nur selten Thema. Ich finde es prima und unverzichtbar, was alles in Unternehmen unternommen wird, um den Rücken zu stärken. Aber das darf nicht alles sein.

Viele Beschäftigte wünschen sich statt einer Rückenschule einfach Rückendeckung durch ihren Chef, zum Beispiel indem er sie vor dem Kunden oder auch vor der obersten Heeresleitung verteidigt. Dadurch würden viele Rückenschmerzen, die durch Anspannung und Verspannung entstehen, von allein verschwinden. Und das Schönste: Das wäre viel günstiger als die Kooperationsvereinbarung mit dem örtlichen Fitness-Studio – ein Argument, das Sie im Hinterkopf behalten sollten. Schließlich wollen Sie auch den Vorstand für die gute Sache gewinnen. Und Geld ist meistens ein Argument für ihn ...

Wichtig ist das Signal „wir kümmern uns und schätzen euch“

Wenn die klassischen Gesundheitsaktionen auch aufs psychische Wohlbefinden wirken, dann weil die Beschäftigten dadurch das Signal erhalten: „Wir kümmern uns“. Und das ist Gold wert. Aber damit Mitarbeiter sich ganzheitlich als Mensch gesehen fühlen, braucht es mehr als einen Sportstudio-Gutschein. Ich behaupte: Erforderlich ist ein gesundes Miteinander, das von Wertschätzung und Anerkennung geprägt ist, getragen von ganz oben und aktiv gelebt von den Führungskräften und anderen Kulturträgern, über alle Hierarchiestufen hinweg – jede/r einzelne kann und soll dazu seinen Beitrag leisten.

Und wenn Sie zu diesem Buch gegriffen haben, stimmen Sie darin mit mir überein. So wie Gesundheit weit mehr ist als ein fehlerfreies Funktionieren des Körpers, so ist auch Betriebliches Gesundheitsmanagement weit mehr als das Angebot einer Rückenschule oder die Organisation des Pausenapfels. Zwischenmenschliche und psychische Aspekte gehören dazu, wenn Beschäftigte sagen sollen: „Wir arbeiten für ein gutes Unternehmen, und wir tun es gern.“ Jetzt müssen Sie nur noch wissen, wie Sie die anderen in Ihrem Betrieb von dieser Idee überzeugen – oben angefangen. Das erfahren Sie hier.

Rückenstärkung für Aktive im Betrieblichen Gesundheitsmanagement

Dieses Buch soll Ihnen den Rücken stärken bei Ihrem Einsatz für ein Betriebliches Gesundheitsmanagement in diesem ganzheitlichen Sinn. Und Ihr Einsatz ist nötiger denn je. Es rollt eine Welle auf unsere Arbeitswelt zu: eine Welle der psychischen Erkrankungen. Darüber kann niemand hinweg sehen, denn die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Die Berichte der Krankenkassen gleichen sich. Und die Arbeitswelt wird sich (nicht nur) dadurch verändern.

Falls Ihre Fehlzeitenquote dennoch niedrig ist, ist dies kein Grund zur Entwarnung: Präsentismus, also das Phänomen, dass körperlich oder psychisch kranke Menschen sich an den Arbeitsplatz schleppen und dort nur Minderleistungen abliefern (können), ist verbreiteter denn je. Und Führungskräfte -ihrerseits selbst unter Druck oder sogar burnout-gefährdet – fühlen sich im Umgang mit belasteten Beschäftigten überfordert und allein gelassen. Aber Sie können sie unterstützen. Dafür müssen Sie auch selber gesund bleiben.

Rezepte für psychosoziale Gesundheit – individuell abgeschmeckt

Das Buch will Ihnen dabei eine Hilfe sein. Es basiert auf meinen Erfahrungen der letzten zehn Jahre, die ich in Betrieben unterschiedlichster Branchen und mit Menschen unterschiedlichster Hierarchiestufen gesammelt habe. Überall durfte ich meine Ideen vom gesunden Miteinander verbreiten, mit Vorträgen, Seminaren und Beratungen, und insbesondere Führungskräfte und Vorstände für das Thema „Führung und Gesundheit“ gewinnen. Und ich konnte in Veranstaltungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfahren, wo diese der Schuh drückt, welche Facetten des Betrieblichen Gesundheitsmanagements sie begrüßen und was sie sich von ihren Vorgesetzten in puncto Umgang wünschen.

Damit ist das Buch notwendigerweise subjektiv. Meine Erfahrungen sind nicht Ihre Erfahrungen. Ich durfte in verschiedene Töpfe gucken und erzähle Ihnen nun, was andere Betriebe für Süppchen kochen. Dieser Blick über den Tellerrand funktioniert wie ein Rezeptbuch: Kochen müssen Sie selber. Und Sie müssen selbst entscheiden, welche Gerichte Ihren Leuten in welcher Portionsgröße gut tun und in welchem Ambiente Sie sie präsentieren. Auch wenn Ihr Süppchen zu Beginn vielleicht nicht allen schmeckt: Bleiben Sie dran. Es lohnt sich – für Sie und die anderen!

Noch eine weitere Anleitung?

Warum überhaupt noch dieses Buch? Praxisgerechte Hilfestellungen zur Etablierung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements gibt es schließlich schon genug. Es gibt kostenlose Broschüren über die Einführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements, über die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen und Mitarbeiterbefragungen, über Gesprächsführung im Arbeitsschutz und auch über den erfreulichen Return on Invest, den BGM-Maßnahmen erbringen (je nach Studie zwischen 1:1 und 7:1 – der Betrieb bekommt also mindestens den Einsatz wieder zurück).

Dennoch fehlen in der betrieblichen Realität Strategien, mit denen sich das BGM um psychosoziale Aspekte erweiten lässt. Und es werden vielerorts Umsetzungsmängel auch beim „klassischen BGM“ beklagt. Wieso? Ich behaupte, dass mit Argumenten allein noch kein Blumentopf gewonnen ist. Argumente erreichen den Kopf, nicht aber Herz und Hand. Wenn Sie Ernst machen wollen mit einem ganzheitlichen BGM in Ihrem Betrieb, reicht es nicht, dass Sie selbst hinter der Sache stehen. Sie müssen auch die anderen ins Boot bekommen. Statt einer Auflistung von Studien, die zeigen „Gesundheit ist Wettbewerbsvorteil“, liefert Ihnen dieses Buch daher Motivationshilfen, und es fördert das Verständnis für die Widerstände der anderen. Damit Sie alle für das Thema gewinnen!

Noch kurz einige Anmerkungen zur Terminologie. Der leichteren Lesbarkeit halber wurde ab und zu auf die Erwähnung der weiblichen Form (Mitarbeiterinnen, Kolleginnen, Chefinnen etc.) verzichtet. Hierfür bitte ich um Verständnis. Gemeint sind jeweils Frauen und Männer. Und noch in einem weiteren Punkt habe ich der Verständlichkeit Tribut gezollt: Ich definiere „psychische Belastung“ nicht im Sinne der Arbeitswissenschaft neutral, sondern umgangssprachlich als Synonym für psychische Überlastung bzw. einfach (Dis-)Stress. Der Hintergrund ist der, dass nach meiner Erfahrung die meisten Menschen in Betrieben diese Terminologie verwenden. Sie finden folgende Symbole im Buch:

Viel Erfolg bei Ihrem Einsatz für ein gesundes Miteinander wünscht Ihnen von Herzen

Ihre Anne Katrin Matyssek

1   Wie sich die Arbeitswelt verändert

„Immer mehr Weicheier und Heulsusen!“

Psychische Erkrankungen auf dem Vormarsch

Die Zunahme psychischer Erkrankungen wird von allen Krankenkassen bestätigt. Laut Bundesarbeitsministerium stieg die Zahl der hierdurch bedingten Fehltage von 33,6 Millionen in 2001 auf 53,5 Millionen in 2010. Die Ursachen sind vielfältiger Natur.

Psychische Erkrankungen nehmen rasant zu. Und keiner kann sagen: „Ich hab es nicht gewusst.“

Diskutiert wird vor allem der gestiegene Druck im Berufsleben in Kombination mit nachlassender Orientierung in sonstigen Lebensbezügen. Früher wusste man genau, was gut und was schlecht war. Heute sind viele Lebensstile möglich, und der einzelne muss sich „nur“ entscheiden. Das überfordert viele.

Raus aus der Tabuzone

Zum gesellschaftlichen Wandel gehört auch, dass heutzutage weite Gesellschaftsgruppen Psychotherapie wie eine selbstverständliche Dienstleistung in Anspruch nehmen. Lange Zeit waren ambulante Psychotherapie-Praxen bevölkert von Frauen. Im Jahr 2003 meldeten sich plötzlich verstärkt junge Männer an. Wie kam es zu dieser Entwicklung? In dieser Zeit litt der Fußballspieler Sebastian Deisler erstmals unter einer Depression. Das Thema beherrschte alle Boulevard-Medien. Dadurch war es gesellschaftsfähig geworden. Die Männer brauchten keine Stigmatisierung mehr zu fürchten und konnten sich diesbezüglich „outen“.

Damit war die Psyche insgesamt nicht mehr so tabuisiert wie früher. Das Aufkommen von immer mehr Burnout-Fällen bei Prominenten wie Sven Hannawald, Tim Mälzer oder Mathias Platzek leistete weitere Beiträge zur Aufklärungsarbeit. Auch in Unternehmen sind durchaus Fortschritte festzustellen. Wo es in früheren Jahren hieß „Der macht ‘ne Psychotherapie?! Der ist wohl reif für die Klappse!“, ist die heute typische Reaktion ein hilfloses Verstummen, sobald innerbetrieblich ein Wort mit „Psych-“ fällt. Das ist immerhin ein Fortschritt gegenüber der früher üblichen Stigmatisierung als „bekloppt“.

Millionen Woody-Allen-Opfer?

Auch das Diagnoseverhalten der Ärzte hat sich verändert. Wenn man früher zum Arzt ging und über Antriebslosigkeit, Schlaf- und Konzentrationsstörungen berichtete, erhielt man eine Frischzellenkur. Heute schauen Ärzte – auch aufgrund einer verbesserten Ausbildung in diesem Bereich – genau hin und prüfen, ob nicht vielleicht eine Depression vorliegt. Rein statistisch betrachtet ist die Wahrscheinlichkeit groß: Jede fünfte Frau und jeder zehnte Mann erkrankt laut WHO (Weltgesundheitsorganisation) einmal im Leben an dieser Erkrankung.

Die Depression scheint sich zur Volkskrankheit zu entwickeln. Das gemeinnützige „Deutsche Bündnis gegen Depression e.V.“ ist mittlerweile in zahlreichen Städten aktiv. Sind das alles Hypochonder oder Weicheier? Ich persönlich denke, wir sind nicht kollektiv neurotisch geworden, nur weil Woody-Allen-Filme uns begeistern. Ganz nüchtern betrachtet ist es für Menschen in Unternehmen aber egal, ob sich immer mehr Menschen eine Erkrankung einbilden oder ob sie sie tatsächlich „haben“ – die Frage ist doch, wie sich dieses Phänomen auf ihre Leistungsfähigkeit auswirkt.

Auswirkungen psychischer Erkrankungen

Man mag darüber streiten, ob nun psychische Erkrankungen tatsächlich zugenommen haben oder ob die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dazu beigetragen haben, dass man sich einfach eher traut, psychische Beeinträchtigungen als solche zuzugeben. Fest steht aber: Die Menschen z.B. in meinen Seminaren nehmen eine Zunahme psychischer Erkrankungen wahr. Und diese Wahrnehmung wird die Arbeitswelt nachhaltig verändern.

Wer an einer psychischen Erkrankung leidet (oder – extra für die Skeptiker formuliert: wer glaubt, an einer zu leiden), wird nicht so leistungsfähig sein wie ein Mensch, der sich als gesund erlebt. Die Anwesenheit wird deswegen nicht unbedingt leiden, zumindest in schwächer ausgeprägten Krankheitsphasen ist physische Präsenz am Arbeitsplatz durchaus möglich. Aber die Konzentration ist häufig reduziert, die Fehlerhäufigkeit erhöht, die Leistung stimmt nicht mehr. Die gewünschten 100% sind unerreichbar.

Realistisch betrachtet bringt kein Mensch an 100% seiner Arbeitstage wirklich 100% seiner Leistung. Auch ältere Beschäftigte sind nicht jeden Tag in Topform, darauf gilt es Rücksicht zu nehmen. Wir alle haben unsere Höhen und Tiefen, aber der demographische Wandel wird uns (zum Glück?) zwingen, uns mit dieser Tatsache bewusst auseinander zu setzen und uns – hoffentlich – altersmilde und verständnisvoll stimmen (29).

Dass ein psychisch erkrankter Mensch – zum Beispiel in einer depressiven Episode – nicht in der Lage ist, täglich sein gesamtes Potenzial optimal abzurufen, liegt auf der Hand. Und jetzt verrate ich Ihnen mal etwas: Auch der, der „nur“ psychisch überlastet ist (liebe Arbeitswissenschaftler, ich definiere das ganz umgangssprachlich als „gestresst“, siehe Anmerkung im Vorwort), kann nicht auf Dauer Höchstleistungen bringen. Das sehen immer mehr Leute ein.

DIN 10075 hat nichts mit „verrückt“ zu tun

Natürlich gibt es immer noch Hardliner, die zum Beispiel bei der DIN 10075 (offiziell DIN EN ISO 10075: eine Norm zu psychischer Belastung und Beanspruchung) eher ans Landeskrankenhaus denken als an ungesunde Arbeitsbedingungen, aber sie sind auf dem Rückzug, und sie sind leiser geworden. Offen gesprochen wird über psychische Belastungen deshalb aber noch lange nicht. Das gilt erst recht für psychische Erkrankungen.

Noch immer heißt es eher: „Der ist zu schwach für diesen Job“ als „Der Arbeitsstress ist zu stark“. Der Vergleich mit einem Kamel zeigt, dass diese Denkweise zu einfach ist. Wenn das Kamel unter seiner Last zusammenbricht: War dann das Kamel zu schwach oder die Last zu schwer? Müßig, darüber zu diskutieren. Zumindest stimmte die Passung von Kamel und Last nicht. Man kann an beiden Seiten ansetzen, damit es dem Kamel wieder besser geht und die Last an ihren Bestimmungsort kommt.

Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) ist mehr ...

Genauso verhält es sich mit dem BGM. Es kann den einzelnen stärken, etwa indem dessen Gesundheitsverhalten verbessert wird. Und es kann und sollte die Arbeitsbedingungen verändern, damit die Passung zwischen Individuum und Arbeit wieder stimmt. Das eine ohne das andere hat nicht viel Aussicht auf Erfolg. Gefragt ist eine Kombination von beidem, und zwar nicht nur auf der körperlichen Ebene, sondern auch auf der zwischenmenschlichen.

Gesundheit ist mehr als das fehlerfreie Funktionieren des Körpers. Gesundheitsmanagement ist mehr als die Finanzierung einer Rückenschule.

In diesem Buch geht es primär um die Arbeitsbedingungen, und zwar um die psychosozialen Verhältnisse, die insbesondere durch die Führungskräfte geprägt werden. Wenn die stimmen, wachsen Menschen auch schon mal über sich hinaus. Denn der Mensch besteht eben nicht nur aus Muskelmasse. Er ist ein soziales Wesen, das auch durch zwischenmenschliches Verhalten gesund oder krank werden kann.

Ein modernes Betriebliches Gesundheitsmanagement berücksichtigt diese Faktoren. Zumindest wenn es mehr sein möchte als Pausen-Apfel-Management. Dazu gehört als Tipp für Sie: Holen Sie das Thema „Psyche“ aus der Tabuzone! Sprechen Sie darüber, wenn Sie selber im Stress sind. Sorgen Sie dafür, dass Überlastungssymptome eines Beschäftigten nicht als dessen eigene Verantwortung abgetan werden nach dem Motto „der packt’s nicht“, sondern dass man sie als Hinweis versteht, die aktuellen Arbeitsbedingungen dieses Menschen gemeinsam mit ihm zu überprüfen.

Und setzen Sie sich dafür ein, dass belastete Kollegen und Kolleginnen einen Ansprechpartner finden – vielleicht sogar außerhalb des Unternehmens in Form eines EAP (Employees Assistance Program, deutsch: „Mitarbeiterberatung“): Hier können Beschäftigte innerhalb kürzester Zeit einen Termin bei einem externen Berater bekommen, der ihnen lösungsorientierte Unterstützung anbietet und einen Weg zu professionellen Helfern bahnt. Das Unternehmen zahlt dafür eine Pauschale in Abhängigkeit von der Mitarbeiterzahl. Die Kontaktaufnahme erfolgt anonym, was die Akzeptanz bei den Beschäftigten deutlich erhöht. Es handelt sich quasi um eine Form externer Sozialberatung, von der alle Beteiligten profitieren.

TIPPS FÜR SIE:

Was Zielvereinbarungen mit Burnout zu tun haben

Wenn es in einem Seminar von Seiten der Teilnehmenden heißt, die Belastungen haben zugenommen, dauert es nicht mehr lang, bis ein Wort fällt: „Zielvereinbarung“. Das bedeutet in der Praxis oft eine „Zielvorgabe“, zu deren Einhaltung sich der Mitarbeiter schriftlich verpflichtet. Viele Beschäftigte sagen inzwischen „Ich verzichte lieber direkt auf die Prämie, dann habe ich weniger Stress.“ Dies offenbart nicht, dass Menschen sich vor Arbeit drücken wollen, sondern es zeigt, dass Geld für die Beschäftigten nicht alles ist. Und es ist ein Warnsignal: Da sieht sich jemand bereits an seiner Belastungsgrenze angekommen.

Aus psychologischer Sicht sind Zielvereinbarungen mit Prämien-in-Aussicht-Stellung ohnehin fragwürdig: Unterstellen sie doch, die Beschäftigten würden nicht von allein 100% ihres Leistungsvermögens ausschöpfen. Zudem suggerieren sie, Beschäftigte aller Couleur ließen sich – über einen Kamm geschert – durch Geld motivieren, mehr zu leisten. Dabei wissen die meisten Führungskräfte und Geschäftsleitungen, dass Geld lediglich ein Hygienefaktor ist: Wenn es weniger wird, schmerzt es. Der Effekt einer Erhöhung hingegen nutzt sich schnell ab. Diese Effekte hat Reinhard Sprenger in seinem Buch „Mythos Motivation“ anschaulich beleuchtet.

Zielvereinbarungen reanimieren das Einzelkämpfertum. Da mühte man sich jahrelang, aus heterogenen Menschen Teams zu formen. Und nun werden diese Bemühungen hintertrieben, weil man vermutet, dass der Ehrgeiz die Leute zu mehr Wettbewerb und damit zu mehr Leistung antreibt. Gefördert wird in der Praxis eine Ellbogenmentalität, nicht die Produktivität. Teams, die sich unter Schwierigkeiten gebildet haben, werden auseinander gerissen, weil jeder nur noch an seine Prämie denkt. Es erfolgt eine Umorientierung weg vom ganzheitlichen „wir sind ein Team“ hin zum separatistischen „ich bin besser als ihr“.

Menschen mögen Ziele

Auch wenn manchen Menschen nach eigenem Bekunden inzwischen schier übel wird, sobald sie das Wort „Ziel“ hören – so viele verschiedene Ziele stehen auf ihrer beruflichen und privaten Agenda –, grundsätzlich gilt: Die meisten mögen Ziele. Das Erreichen von selbst(!)-gesteckten Zielen macht glücklich. Endorphine werden ausgeschüttet. Man ist stolz auf sich und seinen Ehrgeiz. Man fühlt sich stark und ist bereit, neue Herausforderungen anzugehen und noch höhere Gipfel im Laufschritt zu erstürmen. Der Erfolg verleiht Flügel.

Trotzdem findet man auch Menschen mit einer regelrechten Zielphobie. Sie bemühen sich nach Kräften, Verantwortung aus dem Weg zu gehen. Manchmal ist man überrascht, wenn man sie in ihrer Freizeit ganze Häuser bauen oder Pfarrfeste organisieren sieht. Sie können also – aber im Betrieb wollen sie nicht. Meistens weil die Ziele nicht ihre eigenen sind. Wer sich nicht mit den Zielen identifiziert, dem wird es immer an Ehrgeiz fehlen.

Auch Menschen in einer depressiven Episode haben wenig Elan. Ihr Herz schlägt für niemanden, sie sind insgesamt kraftlos, in allen Lebenskontexten, nicht nur im Beruf. Sie sind nicht in der Lage, eigene Ziele zu formulieren, weil ihnen der Antrieb fehlt. In diesem Fall ist es – im Gegensatz zu sonstigen Führungsempfehlungen – sinnvoll, in Absprache mit dem Betroffenen konkrete und überschaubare Aufträge vorzugeben, die dieser in schlechten Zeiten abarbeiten kann, ohne Entscheidungen treffen zu müssen.

Vorsicht LOB: Jede Jeck is anders

In Köln gibt es die nette Redensart: „Jede Jeck is anders“, auf hochdeutsch etwa: Wir sind alle verschieden. Ein typisch kölsches Plädoyer für Toleranz. Menschen sind unterschiedlich leistungsfähig. Das gilt es bei Zielvereinbarungen zu berücksichtigen. Was für den einen eine Höchstleistung darstellt, ist für den anderen eine Minderleistung. Diese individuellen Voraussetzungen sollten einfließen in die Vereinbarungen, die Vorgesetzte und Mitarbeiter einmal jährlich in gegenseitigem Einvernehmen abschließen. Eigentlich. Die Praxis sieht anders aus. Da wird wenig Rücksicht genommen auf individuelle Unterschiede.

Nach meiner Einschätzung als externe Beraterin (der sagt man auch nicht alles, aber vielleicht anderes als dem eigenen Chef) hat kaum eine Veränderung der letzten Jahre in der öffentlichen Verwaltung so sehr zu Missgunst, schlechtem Klima und Einzelkämpfertum beigetragen wie die sog. „Leistungsorientierte Bezahlung“. Gemeinerweise wird diese Neuerung mit den drei Buchstaben LOB abgekürzt. Mit Lob hat sie in der Praxis höchst selten zu tun. Die Bezeichnung klingt in meinen Ohren beinahe zynisch.

Theorie und Praxis bei Zielvereinbarungen

Natürlich haben sich kluge Menschen etwas dabei gedacht, als sie beschlossen, Zielvereinbarungen als Führungsinstrument einzuführen. Und ursprünglich war sicher von echten Vereinbarungen statt von Vorgaben die Rede. Aber in der Praxis erlebe ich nur nachteilige Effekte. Die meisten Menschen wollen aus sich heraus einen guten Job machen. Bislang habe ich noch nie gehört, dass sich jemand motivierter fühlen würde, weil es Zielvereinbarungen oder LOB gibt.

Stattdessen höre ich von Streitereien im Team oder von internen Regelungen, die die offizielle Marschroute hintertreiben. Etwa in dem Sinne, dass man sich abwechselnd die höchste Punktzahl zuschanzt, künstliche Puffer zur Druckreduktion bildet oder den Prämientopf, der für ein Individuum gedacht ist, untereinander im Team aufteilt. Alles nicht im Sinne des Erfinders. Die Auswahl der Menschen, die sich in Seminaren zum Thema „Führung und Gesundheit“ öffnen und aus dem Nähkästchen plaudern, ist vielleicht nicht repräsentativ. Aber sie ist unleugbarer Bestandteil betrieblicher Wirklichkeit und sollte daher nicht ignoriert werden.

Tür und Tor fürs Burnout geöffnet

Insbesondere ehrgeizige oder anerkennungshungrige Menschen, die Zielen hinterher hecheln, verlieren jedes Maß. Dann werden Pausen durchgearbeitet und Feierabend-Veranstaltungen gestrichen ohne Rücksicht auf Verluste. Und es gibt sie, die Verluste: Die Partnerschaft verkümmert, Hobbies schlafen ein, Freundeskreise werden vernachlässigt. Das Resultat? Die Erholungsfähigkeit leidet. Es ist ja nichts mehr da, wo der Mensch auftanken könnte. Irgendwann ist der Akku ganz hinüber. Dann hilft kein Anschließen an frühere Ladestationen mehr – der Burnout ist da.

Gefährlich daran ist, dass man anfangs nicht merkt, wie die Erholungsfähigkeit verloren geht. Es ist regelrecht euphorisierend, wenn ein Erfolgserlebnis das nächste abwechselt und vielleicht sogar noch lobende Worte über die Zielerreichung als Belohnung eingefahren werden. Das gibt vielen Menschen Kraft. Sie sind mit Freude dabei. Die Gefahr kommt schleichend: Ein Treffen mit Freunden wird abgesagt, das Nordsee-Wochenende mit dem Partner verschoben: „Schatz, nur noch bis dieser Auftrag erledigt ist, danach fahren wir ganz bestimmt!“ Achten Sie einmal darauf, wie das bei Ihnen aussieht!

Anfangs spielt die private Umgebung das Spiel noch mit. Man will ja dem Partner nicht die Karriere verderben. Erste Erschöpfungsanzeichen werden kaschiert, man unterstützt den Partner nach Kräften, immer in der Illusion, dass die stressige Zeit ja bald vorüber ist und dann das Leben endlich wieder schön wird. Man verhält sich ähnlich wie ein Co-Alkoholiker. Erst wenn dem arbeitsbesessenen Partner nichts anderes mehr Freude macht, wenn er seine Lebenslust verloren hat und irgendwann auch über seine Arbeit nur noch zynisch redet, erfolgt ein gemeinsames Aufwachen. Oft ist es dann schon zu spät: Der Burnout ist zur Depression „gekippt“ – alle Lebensbereiche sind von der Erschöpfung betroffen, nicht nur der Arbeitsbereich.

Ein Burnout-Seminar als kleine Wiedergutmachung seitens der Firma

Wenn sich Beschwerden häufen (meist nicht von den Betroffenen selbst, sondern von gutmeinenden Kollegen oder Betriebsräten vorgebracht), werden nette Menschen in Unternehmen aktiv: Dann kaufen die Betriebe Veranstaltungen zum Thema Burnout – ändern aber nichts an den Verhältnissen. Das wühlt mich regelrecht auf ... (keine Sorge, ich beruhige mich schon wieder). Die Unternehmen tun so, als läge die Entstehung von Burnout allein in der Verantwortung des Beschäftigten. Und als müsste man nur den einzelnen Menschen stärken, und schon ist die Burnout-Gefahr gebannt. Da sind wir wieder beim oben genannten Kamel und seinen Lasten. Dieses Bild zeigt: Verantwortung abschieben gilt nicht, das wäre zu einfach!

Matthias Burisch (2) beschreibt in seinem Buch „Das Burnout-Syndrom“ etliche Einflussfaktoren, die – je nach Forscher – eine Rolle spielen bei der Entstehung von Burnout. Natürlich gibt es Aspekte, die in der Person des einzelnen begründet sind (etwa ein hohes Maß an Perfektionismus, große Abhängigkeit von Anerkennung durch andere, keine anderen Interessen neben der Arbeit), aber daneben ist von etlichen Faktoren die Rede, für die der Betrieb die Verantwortung trägt. Soziale Unterstützung, inhaltliche Abwechslung der Arbeit, Entscheidungs- und Gestaltungsfreiräume sind nur einige davon.

Und ich behaupte: Zielvorgaben sind für manche Menschen ein Gefährdungsfaktor für die Entwicklung von Burnout. Das gilt insbesondere für Arbeitsverhältnisse, bei denen die so genannte Vertrauensarbeitszeit herrscht. Für Menschen mit ausgeprägtem Ehrgeiz oder Anerkennungsbedürftigkeit ist Vertrauensarbeitszeit fatal. Sie wollen schließlich niemanden enttäuschen, also hängen sie sich doppelt und dreifach rein, arbeiten gern 60 Stunden. Meine Empfehlung an Sie: Fragen Sie sich ab und zu, ob Sie überhaupt noch Lust haben, dieses Spiel mitzuspielen. Manchmal kann es gesünder sein, gar nicht erst mithalten zu wollen.

Die Erhaltung der Erholungsfähigkeit als Basis der psychischen Gesundheit ist nicht nur Aufgabe des einzelnen: Das Unternehmen muss Erholung ermöglichen und darf sie nicht durch Zielvorgaben (statt -Vereinbarungen) verunmöglichen.

Man kann es den Betroffenen als Schwäche auslegen, aber nach meiner Erfahrung sind längst nicht alle Menschen in der Lage, sich ihre Arbeitszeit eigenverantwortlich so einzuteilen, dass sie selber dabei langfristig gesund bleiben. Für viele ist ein Arbeitstag mit festem Anfangs- und Endpunkt ein gesunderhaltender Faktor, weil dadurch ihre Erholungsfähigkeit geschützt wird.

Als Tipp für Sie lässt sich daraus ableiten: Überprüfen Sie in Interviews, ob bei Ihnen tatsächlich Zielvereinbarungen getroffen werden. Oder ob es sich nicht doch um Zielvorgaben handelt, die irgendwo fernab von der Konzernleitung vorgegeben und dann über die Zielvorgaben für die einzelnen Führungskräfte auf den einzelnen Beschäftigten herunter gebrochen werden. Und nehmen Sie es Ernst, wenn jemand schreit: „Wie soll ich das noch zusätzlich schaffen?“ Der will sich nicht vor Arbeit drücken, sondern er würde gern einen guten Job machen und sieht dessen Qualität durch die angedrohte Mehrarbeit gefährdet. Würdigen Sie seine Wertehierarchie, und klären Sie, an welcher Stelle Sie bzw. die Führungskraft mit Qualitätseinbußen einverstanden wären.

TIPPS FÜR SIE:

Die Blaumacher-Problematik mal anders

Gibt es bei Ihnen Krankenrückkehrgespräche? So richtig mit Betriebsvereinbarung? Zu führen von jeder Führungskraft mit Menschen, die nach einer Zeit der Erkrankung wieder am Arbeitsplatz erscheinen? Dann können Sie sicher sein: Mindestens 30% aller Gespräche, die offiziell geführt werden sollten, werden ersatzlos gestrichen. Weitere 30% werden geführt, aber mit einem Augenzwinkern und einem kurzen Wortwechsel in der Art „Wir wissen ja beide, dass ich jetzt mit Ihnen sprechen muss, darauf haben sich ja irgendwelche Schlauköpfe in einer Betriebsvereinbarung geeinigt.“

Und dann gibt es noch ein paar Prozent, die tatsächlich geführt werden – „Aber nur mit meinen Pappenheimern!“ – und dabei vom Tonfall her alles andere als fürsorglich sind. Beispiel gefällig? Hier ist eines: „So mein Lieber, das ist nun schon das sechste Mal, dass du freitags gefehlt hast. Das stinkt doch zum Himmel, so was lasse ich nicht länger mit mir machen!“ Genau so. Mit einem persönlich beleidigten Vorgesetzten, der fünf Gesprächsanlässe ungenutzt verstreichen ließ, bevor er zu einer Anklagerede ausholt und den Ex-Kranken mit Vorwürfen konfrontiert.

Resultat? Ein verstockter Mitarbeiter und ein vor Wut kochender Chef, der schnaubend zur Personalabteilung rennt: „Knöpfen Sie sich den mal vor!“ Der Weg zur ersten Abmahnung ist geebnet. Aus Unsicherheit und Feigheit ist die Geschichte eskaliert bis zu einem Punkt, an dem kein vernünftiges Gespräch mehr möglich ist. Dabei wäre es auch anders gegangen.

Warum Rückkehrgespräche gemieden werden

Wie so oft im Betrieblichen Gesundheitsmanagement gilt auch bei vielen Vereinbarungen zu Kranken-Rückkehrgesprächen (eigentlich ja „Ex-Kranken-„): Im Grunde gut gemeint. Aber leider das Gegenteil von gut. Wenn man Menschen per Betriebsvereinbarung zwingen muss, mit einander zu sprechen, liegt eh vieles im Argen. Unter „normalen“ Bedingungen wechseln Führungskraft und Mitarbeiter immer ein paar Worte, und zwar nicht nur nach der Rückkehr aus einer Krankheit, sondern erstens überhaupt und zweitens erst recht nach jeder Abwesenheit des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin.

Es ist im Sinne eines ganzheitlichen Betrieblichen Gesundheitsmanagements, wenn Menschen nicht erst krank werden müssen, damit man mit ihnen spricht.

Das möchte ich Ihnen und Ihrem Betrieb wärmstens empfehlen: Führen Sie Willkommensgespräche! Solange Menschen den Eindruck haben, in den Gesprächen solle Jagd auf Kranke gemacht werden, werden diese Gespräche nicht geführt, und wenn Sie noch so viele Protokollbögen einführen. Die Gespräche bleiben in der Tabuzone. Sie bleiben mit dem Makel behaftet, „defizitorientiert“ zu sein. Da soll jemand angeklagt werden (fürchten Mitarbeiter und Betriebsräte, allen Vereinbarungen zum Trotz) oder jemand könnte sich angeklagt fühlen (fürchten einfühlsame Führungskräfte).

Das Fazit: Die Gespräche werden als unangenehm empfunden und daher gemieden, bis sich das Gespräch nicht mehr vermeiden lässt. Doch dann sind die Emotionen in der Regel schon hoch gekocht und beide Seiten gekränkt.

Lieber Willkommens- als Rückkehrgespräche

Willkommensgespräche dagegen werden auch nach Fortbildungen oder Urlaub geführt, also nach positiv bedingten Abwesenheiten. Damit sind sie raus aus der Tabuzone. Den anderen nach der Rückkehr aus dem Urlaub kurz nach seinen Erlebnissen zu fragen, das traut sich auch die schüchternste Führungskraft („Und, alles klar? Schönen Urlaub gehabt? Übrigens: Das und das ist passiert!“). Dann fällt es leichter, bei krankheitsbedingter Abwesenheit zu fragen: „Hatte es etwas mit der Arbeit zu tun? Ist noch Schonung nötig?“

Die Führungskräfte in Ihrem Unternehmen wissen es vermutlich alle: Sie haben kein Anrecht auf Nennung der Diagnose. Sie sollten auch nicht nachbohren sein, wenn ihnen keine Diagnose genannt wird. Die meisten Beschäftigten wollen ja von sich aus ihre Diagnose nennen. Die meisten Menschen haben das Bedürfnis, sich gleichsam reinzuwaschen vom möglichen Blaumacher-Vorwurf und sind deshalb offen.

Kein Anrecht auf Nennung der Diagnose

Aber: Wichtig ist, nicht beleidigt zu sein, wenn der Betroffene die Diagnose einmal nicht äußert. Wir alle können uns Situationen vorstellen, in denen wir für uns behalten wollen, weswegen wir krank waren. Zum Beispiel von Problemen mit der Schließmuskulatur berichtet man niemandem, oder auch eine Hodenkrebs-Erkrankung verschweigt man lieber, selbst wenn das Verhältnis zum Vorgesetzten noch so gut ist. Aber Menschen haben nun einmal unterschiedliche Schamgrenzen. Daher besteht meines Erachtens kein Grund zur Panik („Hilfe, unser Verhältnis ist schlecht, sonst hätte sie mir doch gesagt, was sie hatte“), wenn die Diagnose nicht genannt wird.