Autor

Die Autorin
Sarah Glicker, geboren 1988, lebt zusammen mit ihrer Familie im schönen Münsterland. Für die gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte gehörten Bücher von Kindesbeinen an zum Leben. Bereits in der Grundschule hat sie Geschichten geschrieben. Als Frau eines Kampfsportlers liebt sie es, Geschichten über attraktive Bad Boys zu schreiben.

Das Buch

Ein heißer Bad Boy mit einem dunklen Geheimnis

Haley ist die älteste von drei Schwestern und musste in ihrer Kindheit schon früh Verantwortung übernehmen. Umso mehr genießt sie nun ihre Freiheiten als Erwachsene und ihren Job als Imagecoach. Auf einer Party lernt sie den gutaussehenden Travis kennen, und zwischen den beiden fliegen die Funken. Obwohl sie ahnt, dass er ein Playboy ist, lässt sie sich auf einen One-Night-Stand ein. Als sie am nächsten Tag ihren neuen Klienten trifft, fällt sie aus allen Wolken. Der heiße Motorradrennfahrer, der ein paarmal zu oft mit dem Gesetzt in Konflikt geraten ist, ist niemand anderer als Travis. Haley nimmt sich vor, auf keinen Fall etwas mit dem Bad Boy anzufangen. Doch da hat sie die Rechnung ohne Travis gemacht …

Sarah Glicker

Haley & Travis - L.A. Love Story

Roman

Forever

Forever by Ullstein
forever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever
Forever ist ein Digitalverlag
der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
November 2017 (1)
 
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017
Umschlaggestaltung:
zero-media.net, München
Titelabbildung: © FinePic®
Autorenfoto: © privat
 
ISBN 978-3-95818-202-8
 
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1

»Ich brauche unbedingt ein Glas Wein«, stöhne ich, als ich mich zu meinen Schwestern, Melody und Brooke, und Scott, dem Freund meiner jüngsten Schwester, geselle.

Ich lächle ein paar der Freunde meiner Großmutter freundlich an. Gerade brauche ich dringend eine Pause, da ich mich seit meiner Ankunft vor zwei Stunden von Grüppchen zu Grüppchen vorgearbeitet und mit allen gesprochen habe.

Das Haus meiner Großmutter ist so klein, dass die Gäste einander beinahe auf die Füße treten und man sich nicht so leicht aus dem Weg gehen kann, wie ich es mir gerade wünsche. Aber in diesem Haus lebt sie schon, seit ich denken kann, was allerdings nicht sonderlich dazu beigetragen hat, dass ich mich an die Größe gewöhnt hätte.

An Tagen wie diesem frage ich mich, was meine Großmutter und ihr verstorbener Mann gemacht haben, wenn Kindergeburtstage anstanden. Ich für meinen Teil hätte nach einer Stunde kurz davor gestanden, die Nerven zu verlieren. Das liegt nicht daran, dass ich Kinder nicht mag, sondern eher daran, dass man sie hier nicht vernünftig beschäftigen kann.

»Du weißt doch, dass du ihr Liebling bist. Das war schon immer so, und wahrscheinlich wird es sich auch nicht mehr ändern«, erklärt Brooke und grinst mich frech an. »Das kommt davon, dass du es dir damals zur Aufgabe gemacht hast, die Meute zu unterhalten.«

Sobald sie ausgesprochen hat, hebt sie ihr Glas, um einen Schluck von ihrem Wein zu nehmen. Doch noch bevor der edle Tropfen ihre Lippen berühren kann, strecke ich meinen Arm aus und nehme ihr das Glas aus der Hand, um selbst einen Schluck daraus zu trinken.

Doch auch die kühle Flüssigkeit sorgt nicht dafür, dass ich nach den ganzen Unterhaltungen, die ich geführt habe, wieder klarer denken kann.

»Euch mögen alle genauso sehr«, erinnere ich sie, nachdem ich ihr das Glas zurückgegeben habe. Schnell trete ich einen Schritt zur Seite, um den Bruder meines Großvaters vorbeizulassen.

»Du bist nun mal die Älteste«, fügt daraufhin Melody hinzu und zuckt entschuldigend mit den Schultern.

Leise seufze ich und muss ihr im Stillen recht geben. Als älteste Pink Sister habe ich meinen Schwestern schon immer gewisse Dinge abgenommen. Irgendwie haben es sich die meisten Gäste deswegen in den letzten Jahren angewöhnt, die beiden in Ruhe zu lassen und stattdessen mit mir zu sprechen. Und in diesem Punkt teile ich Brookes Ansicht, es wird sich mit Sicherheit nicht mehr ändern.

»Ich gebe zu, dass ich die Hoffnung hatte, dass sie sich auf dich und Scott stürzen. Schließlich seid ihr das neue Paar«, erkläre ich und schaue Melody an, die in diesem Moment ihren Blick von ihrem Freund löst.

»Sorry, Haley. Wir waren für ungefähr eine halbe Stunde interessant«, klärt Scott mich auf. »Nachdem alle wussten, dass Melody nun in festen Händen ist, und wir unsere Runde gedreht hatten – in der wir übrigens hundertmal die gleiche Frage beantwortet haben – fiel mehrmals der Name Travis.« Während er spricht, greift er nach der Hand seiner Freundin und drückt sie fest, ehe er sie zu seinem Mund führt und einen zarten Kuss auf ihre Haut drückt.

Melody schenkt ihm ein schüchternes Lächeln. Normalerweise ist sie nicht so zurückhaltend, allerdings ist es das erste Mal, dass sie Zärtlichkeiten mit einem Mann austauscht und dabei von allen Freunden und Verwandten umzingelt ist.

Ein wenig neidisch betrachte ich die beiden kurz. Seit zwei Wochen machen sie nun kein Geheimnis mehr daraus, dass sie sich lieben, und das freut mich. Jedes Mal, wenn ich sie zusammen sehe, überhäuft er sie mit Aufmerksamkeit. Scott hat immer ein beschützendes Auge auf meine Schwester, fast so, als hätte er Angst, dass jemand sie ihm klauen könnte. Aber ich finde es süß. Und wenn ich das Gesicht meiner Schwester richtig deute, dann hat sie damit auch kein Problem.

Die beiden passen perfekt zusammen und ergänzen sich super. Obwohl sie einige Hindernisse überwinden mussten, haben sie es geschafft, ihre Leben zu verändern.

Es dauert ein paar Sekunden, aber schließlich dringt der Name in meinen Kopf, den mein Schwager in spe gerade erwähnt hat. »Travis?«, frage ich nach, da ich keine Ahnung habe, wer das sein soll. Ich kenne niemanden mit diesem Namen und habe weder meine Oma noch meine Eltern über ihn reden hören.

»Keine Ahnung, wer das sein soll.« Melody zuckt mit den Schultern. »Bis jetzt habe ich auch noch niemanden gefunden, den ich nicht kenne«, erklärt sie mir. Ihre Augen wandern über die Menschenmenge, die gekommen ist, um gemeinsam mit unserer Oma deren Geburtstag zu feiern.

Ich folge ihrem Blick, kann aber keinen Unbekannten entdecken. Allerdings ist es auch so voll, dass ich froh bin, meine Schwestern gefunden zu haben.

»Vielleicht irgendjemand, der mit Opa verwandt war«, überlege ich nun laut.

»Könnte sein«, stimmt Brooke mir zu, scheint aber nicht recht davon überzeugt zu sein.

Ich selber glaube auch nicht an diese Theorie. Mein Opa hatte eine enge Bindung zu seiner Familie. Hätte er einen Verwandten mit Namen Travis gehabt, hätte er ihn sicherlich ein paarmal erwähnt.

»Ich kenne jemanden mit diesem Namen«, erklärt nun Scott. Gespannt schaue ich in seine Richtung. »Oder besser gesagt, kannte. Schon seit Jahren habe ich ihn nicht mehr gesehen.«

»Wie kommt’s?«, hakt Melody nach und hebt ein wenig ihren Kopf, damit sie ihren Freund besser betrachten kann.

»Er war immer viel mit seiner Arbeit beschäftigt, und ich war den ganzen Tag in der Kanzlei, so dass wir irgendwann den Kontakt zueinander verloren haben. Obwohl wir auf dem College jedes Wochenende zusammen unterwegs waren.«

»Wäre es nicht cool, wenn du ihn nach all der Zeit auf der Feier meiner Oma triffst?«

»Cool ja, aber ich halte es für unwahrscheinlich. In den letzten Jahren habe ich zwar gehört, dass er noch immer gerne feiert, aber die Location wäre doch eher eine andere. Und meistens hatte er mindestens fünf Frauen um sich herum, so dass man ihn gar nicht übersehen konnte. Man braucht nur nach einer Gruppe von Frauen Ausschau zu halten, die sich um einen Mann schart.«

Ich kann sehen, wie sich der Körper meiner Schwester bei den Worten ihres Freundes anspannt. Wahrscheinlich erinnert sie sich gerade daran, dass auch Scott vor ihr kein Kind von Traurigkeit gewesen war, er hatte sogar einen eigenen Fanclub im Büro. Für Melody hat er sich aber geändert, und das von der ersten Sekunde an und in jedem Bereich, den man sich nur vorstellen kann. Scott wurde umgänglicher und freundlicher, zwar nur zu ihr, aber das ist ja schließlich ein guter erster Schritt.

»Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass so einer hier auftaucht«, sage ich deswegen und hoffe, dass er das Thema fallen lässt. »Und da ich keine Gruppe von Frauen sehe, die sich um einen Mann schart, gehe ich mal davon aus, dass wir hier von einem anderen Travis reden.«

»Halt dir einfach vor Augen, dass diese Feier nicht ewig dauern wird. Irgendwann gehen wir nach Hause, und du hast deine Ruhe«, wirft Brooke in den Raum und kommt somit auf unser eigentliches Thema zurück.

Ich drehe meinen Kopf in ihre Richtung und werfe ihr ein dankbares Lächeln zu.

Das ist der Vorteil daran, dass wir nicht nur Schwestern, sondern auch beste Freundinnen sind. Wir wissen immer, was in den Köpfen der anderen vor sich geht.

Um mich auf andere Gedanken zu bringen, lasse ich meinen Blick wieder über die Menge gleiten. Ich entdecke meine Oma, die sich ein wenig außerhalb des Geschehens befindet. Mit ein paar ihrer Freundinnen steht sie in der offenen Küche und unterhält sich, während sie ein Stück Kuchen auf die Gabel spießt und es sich in den Mund schiebt.

Man sieht ihr die siebzig Jahre, die sie mittlerweile zählt, nicht an. Aus diesem Grund habe ich mir auch schon vor Jahren geschworen, dass ich sie mir als Vorbild nehme und in ihrem Alter noch genauso gut gelaunt sein will, wie sie es ist.

Sie achtet auf ihre Gesundheit und nimmt das Leben nicht ganz so ernst, was in der einen oder anderen Situation von Vorteil ist.

Gerade, als ich mich wieder meinen Schwestern zuwenden will, die sich angeregt unterhalten, sehe ich, wie ein Mann in meinem Alter an meine Großmutter herantritt und ihr einen Blumenstrauß überreicht. Auf dem Gesicht meiner Oma breitet sich ein Lächeln aus, bevor sie ihn in ihre Arme schließt und fest an sich drückt. Er erwidert die Umarmung, während ihn die Frauen, die sich um ihn herum befinden, mustern.

Neugierig betrachte ich die Szene. Ich kann meine Augen nicht von dem Typen abwenden.

Er ist groß und muskulös. Seine weite Jeans, in der sich ein paar Löcher befinden, sitzt locker auf den Hüften, und an den Füßen trägt er Boots. Der Reißverschluss seiner schwarzen Motorradjacke steht offen, so dass man das ebenfalls schwarze Shirt darunter sehen kann, das sich um die Muskeln seines Oberkörpers schmiegt.

Mein Mund wird trocken und meine Haut beginnt zu kribbeln.

Von einer Sekunde auf die nächste macht sich in mir das Bedürfnis breit, meine Finger in seinen Haaren zu vergraben. Doch bevor er mich komplett in Besitz nehmen kann, schiebe ich den Gedanken wieder beiseite und rufe mir in Erinnerung, wo ich mich gerade befinde.

Die Feier ist sicherlich nicht der geeignete Zeitpunkt, um mir über so etwas Gedanken zu machen, ermahne ich mich selber. Schon gar nicht, weil es sich bei dem Mann um jemand völlig Fremden handelt. Obwohl ich zugeben muss, dass er wirklich heiß aussieht.

Ich bin so in seinen Anblick vertieft, dass ich gar nicht merke, wie sich Brooke und Melody neben mich stellen.

»Das ist bestimmt dieser Travis«, höre ich nun Melody sagen und zucke erschrocken zusammen.

Unsere Oma ist bekannt dafür, dass sie mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg hält. Scott hatte von ihr kurzerhand den Spitznamen Knackarsch bekommen. Und irgendwie bin ich mir sicher, dass sie auch für Travis schon einen Spitznamen hat. »Ich muss zugeben, dass ich ein wenig neugierig bin, wie sie ihn getauft hat«, erwidere ich und drehe meinen Kopf zu den beiden herum.

»Vielleicht Hellrider«, schlägt Brooke vor und grinst von einem Ohr zum anderen.

Ihre Worte sorgen dafür, dass ich mich wieder in die Richtung drehe, in der er gerade noch stand. Doch nun kann ich ihn nicht mehr entdecken.

Kurz schaue ich nach rechts und links, aber auch dort werde ich nicht fündig.

Schließlich erkenne ich ihn in einer Ecke des Wohnzimmers. Fast erscheint es mir so, als suchte er jemanden. Doch ich habe nicht das Gefühl, als würde er hier jemanden kennen, mal abgesehen von meiner Oma.

Im nächsten Moment scheint die Welt stillzustehen. Als ich mich gerade von ihm abwenden will, trifft sein Blick meinen und zieht mich in seinen Bann. Ich sehe nur noch ihn und nehme nichts anderes mehr wahr. Mein Herz hört auf zu schlagen, und eine innere Stimme sagt mir, dass ich zu ihm gehen soll.

Ich höre zwar, dass meine Schwestern sich weiterhin unterhalten, aber ich kann nicht mehr verstehen, worum es geht. Alles um mich herum verschwimmt zu einem unscharfen Bild.

Als mein Herz endlich wieder anfängt zu schlagen, rast es, so dass ich meinen Mund ein Stück öffne, um besser Luft zu bekommen. Aber auch das hilft nicht, um wieder klar denken zu können.

Seine Augen fixieren mich, und nach wenigen Sekunden breitet sich ein unwiderstehliches schiefes Grinsen auf seinem Gesicht aus, dem ich mich nicht entziehen kann. Sein Look, sein Auftreten und seine Aura verraten mir, dass er ein Player ist. Ich bin mir sicher, dass er genau weiß, welche Wirkung er auf Frauen hat, und das auch ausnutzt. Genauso sicher bin ich mir, dass die meisten Frauen sich gerne auf ihn einlassen.

»Haley! Haley!«, dringt die energische Stimme von Brooke an mein Ohr.

So unauffällig wie möglich schüttle ich den Kopf und reiße mich von ihm los. Aber das ändert nichts daran, dass ich seine Augen auf mir spüre, selbst dann noch, als ich ihm den Rücken zugedreht habe.

»Entschuldigt mich, ich bin gleich wieder da«, murmle ich, ohne zu fragen, weshalb sie mich gerufen hat.

»Ist alles in Ordnung?«, fragt mich nun Melody irritiert, wobei ich in ihrer Stimme einen besorgten Unterton höre.

»Ja, alles bestens«, antworte ich ihr nur und gehe dann davon.

Geschickt weiche ich den Menschen um mich herum aus, als ich mit schnellen Schritten in Richtung Badezimmer laufe. Ich muss Abstand zwischen ihn und mich bringen, wenn ich mich wieder unter Kontrolle bekommen will.

»Haley, Kindchen. Wie geht es dir?«, ertönt es dicht hinter mir, als ich mein Ziel schon vor Augen habe. Doch ich bin gerade nicht in der Lage dazu, mich zu unterhalten. Deswegen lächle ich meine Großtante nur freundlich an, bleibe aber nicht stehen.

Ohne auf meine Umgebung zu achten gehe ich weiter und halte erst an, als ich das Bad erreicht habe. Meine Oma hat es in einem hellen Blau eingerichtet, was den Raum etwas freundlicher und weniger beengt erscheinen lässt. Trotzdem bleibt er, wie der Rest des Hauses, klein.

Erst als ich sicher bin, dass sich keiner hier drinnen aufhält oder versteckt, betrete ich das Bad und schließe die Tür hinter mir. Kaum ist sie zu, drehe ich den Schlüssel herum und atme tief durch.

Was war das?, frage ich mich, lehne mich dabei gegen die Tür und schließe für einen Moment die Augen.

Ich versuche den Schwindel zu vertreiben, der mich fest im Griff hat, aber so ganz will es mir nicht gelingen. Erst nachdem ich mehrmals tief durchgeatmet habe, bin ich wieder in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen.

Ich öffne meine Augen, überwinde die wenigen Schritte, die mich vom Waschbecken trennen, und drehe das kalte Wasser auf. Erfrischend kühl läuft es mir über die erhitzte Haut. Die gewünschte Wirkung bleibt jedoch aus, da ich immerzu den intensiven Blick vor Augen habe, mit dem der Typ mich betrachtet hat.

Er hat nicht einmal geblinzelt, sondern war voll und ganz auf mich konzentriert.

Obwohl ich kein einziges Wort mit ihm gesprochen habe, hat er eine Wirkung auf mich, mit der ich nicht umgehen kann. Ich bekomme sein Gesicht nicht aus meinem Kopf.

Doch nicht nur sein Gesicht verfolgt mich, sondern alles an ihm: sein Körper, sein Grinsen, das Leuchten seiner Augen und seine Präsenz.

Er ist bestimmt ein Playboy, der nur auf der Suche nach seinem nächsten Opfer ist. Und das ist das Letzte, was ich gerade gebrauchen kann, ermahne ich mich selbst, aber ohne Erfolg.

Der Gedanke fühlt sich zwar an wie eine kalte Dusche, hält jedoch nur kurz an.

»Verdammt«, stoße ich zwischen den Zähnen hervor und strecke meine Hand nach dem Handtuch aus, das sich neben dem Waschbecken befindet. Nachdem ich es wieder an seinen Platz gehängt habe, schaue ich in den gut beleuchteten Spiegel.

Ein paar Strähnen haben sich aus dem Zopf gelöst, mit dem ich mir die Haare aus dem Nacken halte. Ich entferne das Band und fasse mein Haar erneut mit routinierten Handgriffen zusammen, um das Haargummi wieder darum zu binden. Mit dem Zeigefinger streiche ich unter meinen Augen entlang, um den Mascara, der etwas verschmiert ist, zu korrigieren.

Geh ihm einfach aus dem Weg. Hier sind genug Leute, es sollte nicht schwer sein, weise ich mich in Gedanken zurecht, während ich weiterhin in den Spiegel schaue.

Ich unternehme einen letzten Versuch, meine Nerven zu beruhigen, wenigstens ein wenig, und atme tief durch. Mit einer fließenden Bewegung streiche ich mein Top glatt und richte mich zu meiner vollen Größe auf.

Aber all das ist nichts gegen das Gefühl, meine Knie würden gleich unter mir nachgeben. Trotzdem beschließe ich, dass es nicht dadurch besser wird, indem ich weiter hier stehe und mit meinen Gedanken alleine bin. Ich brauche Abwechslung und etwas zu tun.

Also drehe ich mich mit einer schwungvollen Bewegung um und schließe die Tür wieder auf, um das Bad zu verlassen.

Ich habe noch nicht einmal den Türgriff losgelassen, als ich ihn sehe. Er steht an die gegenüberliegende Wand gelehnt und hat die Arme vor der Brust verschränkt. Diese Haltung sorgt dafür, dass sich Shirt und Jacke um seine Arme und seine Brust spannen. Mit größter Selbstbeherrschung gelingt es mir, ihm ins Gesicht zu blicken.

Keine gute Idee. Ich begegne demselben Grinsen, mit dem er mich vor wenigen Minuten bereits bedacht hatte. Er betrachtet mich und lässt seine Augen über meinen Körper wandern. Mir wird heiß.

Am liebsten würde ich ihm entgegenschleudern, dass ich kein Stück Fleisch bin, sondern ein lebendiges Wesen, aber aus irgendeinem Grund bekomme ich die Worte nicht über die Lippen.

»Hi«, sagt er schließlich und stößt sich von der Wand ab, um auf mich zuzugehen. Seine Bewegungen sind so geschmeidig, als wäre er ein Raubtier.

Während ich ihn dabei beobachte, wie er sich nähert, formen sich in meinem Kopf die Worte zu Sätzen, mit denen ich ihm klarmachen will, dass er bei mir nichts erreichen kann.

Doch als er so nah vor mir steht, dass uns nur noch wenige Zentimeter trennen, kann ich nicht mehr klar denken. Sein Geruch, eine Mischung aus Duschgel und Parfüm, steigt mir in die Nase und sorgt dafür, dass ich kein Wort mehr herausbekomme. Ich komme mir vor, als wäre ich ein kleines Kind. Dabei habe ich doch sonst so eine große Klappe und verstecke sie auch nicht. Wenn mir etwas nicht passt oder nicht gefällt, dann sage ich das auch.

»Hi«, erwidere ich trotzdem wenig einfallsreich und könnte mir deswegen noch im selben Moment in den Hintern treten.

Ich lasse mich eigentlich nicht so schnell aus der Ruhe bringen. Normalerweise würde ich einem Typen wie ihm die Meinung sagen, aber obwohl ich die Wörter in meinem Kopf höre, bringe ich sie nicht heraus.

Fast kommt es mir vor, als würde sich eine Schranke zwischen meinem Gehirn und meinem Mund befinden.

»Ich bin Travis«, stellt er sich vor und streckt mir seine Hand entgegen.

Also ist er es doch, fährt es mir durch den Kopf, während ich seine Hand betrachte. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie ergreifen soll oder nicht.

Alles in mir schreit danach, einfach zu verschwinden und ihn stehen zu lassen. Doch bevor ich es verhindern kann, hebt mein Arm sich von alleine und meine Finger berühren seine. Ein elektrischer Schlag durchfährt mich, der mich atemlos zurücklässt.

Wie gebannt schaue ich auf die Stelle, an der wir uns berühren, und bin mir sogar sicher, dass ich die Funken zwischen uns hin- und herfliegen sehen kann.

Als ich meinen Kopf hebe, erkenne ich, dass er noch darauf wartet, dass ich etwas sage. Leise räuspere ich mich, damit ich überhaupt einen Ton herausbekomme.

»Haley«, gebe ich zurück und lächle ihn freundlich, aber zurückhaltend, an. Er ist schließlich ein Gast meiner Oma.

»Hübscher Name«, erwidert er mit einem verführerischen Ton in der Stimme.

»Kann ich dir irgendwie helfen?«, frage ich ihn, ohne auf das Kompliment einzugehen. Aber das ändert nichts daran, dass die Art und Weise, wie er es sagt, dafür sorgt, dass ich an Stellen von ihm berührt werden will, an denen er überhaupt nichts zu suchen hat.

Um nicht noch irgendeine Dummheit zu begehen, weiche ich einen Schritt nach hinten und bringe so ein wenig Abstand zwischen uns.

»Ich nehme mal an, dass du eine der drei Enkelinnen von Betty bist. Deine Oma hat mir viel von euch erzählt in den letzten Tagen.« Während er spricht, erscheint ein freches Grinsen auf seinem Gesicht.

In diesem Moment würde ich ihn am liebsten stehen lassen und meine Oma zur Seite nehmen, um sie zu fragen, wieso sie das gemacht hat, und vor allem, was genau sie ihm gesagt hat.

Bei dem Gedanken daran, dass sie ihm irgendwelche peinlichen Geschichten aus unserer Kindheit erzählt haben könnte, spüre ich, wie mir das Blut ins Gesicht schießt. Ich weiß genau, wie gerne sie die erzählt.

Auch wenn ich die Antwort auf meine zweite Frage nicht kenne, so kann ich mir doch denken, wie die auf meine erste Frage lautet. Jetzt, da Melody einen Freund hat, wünscht sie sich, dass auch Brooke und ich in festen Händen sind. Schon immer hatte sie betont, wie gerne sie es sehen würde, dass wir heiraten und Kinder bekommen, die sie dann verwöhnen kann.

Unsere Oma ist ein Familienmensch, und je mehr Leute sie um sich herum hat, desto wohler fühlt sie sich, was wohl der Hauptgrund dafür ist, dass ihr Haus beinahe aus allen Nähten platzt.

Auch wenn ich bei der Männersuche sicherlich keine Hilfe brauche, finde ich den Gedanken, dass sie uns verkuppeln will, doch irgendwie süß. Auf jeden Fall ist das der Grund dafür, dass ich beschließe, ihr keine Standpauke zu halten, obwohl ich der Meinung bin, dass sie wenigstens etwas hätte sagen können.

Ich konzentriere mich wieder auf den Mann, der vor mir steht und mich noch immer nervös werden lässt. »In den letzten Tagen?«, entgegne ich und ziehe meine Augenbrauen ein Stück nach oben. »Seit wann kennst du sie denn?«

»Ich wohne seit einer Woche in dem Haus nebenan. Bin also noch neu in der Nachbarschaft.« Ein frecher Ausdruck stiehlt sich auf seine Gesichtszüge. Vor meinem inneren Auge erscheint das Bild eines kleinen Jungen, der gerade Mist gebaut hat. Doch als ich ihn wieder ansehe, verschwindet das Bild. Schnell konzentriere ich mich wieder auf das Gespräch, das ich gerade mit ihm führe.

Nun weiß ich auf jeden Fall, wieso ich noch nie etwas von ihm gehört habe. In den letzten Tagen war ich beruflich sehr eingespannt gewesen, weswegen ich nicht mit meiner Oma telefoniert hatte. Allerdings habe ich auch so meine Bedenken, ob sie überhaupt ein Wort über Travis verloren hätte.

Ich will gerade etwas erwidern, als ich sehe, wie er seinen Kopf senkt. Er kommt mir so nah, dass ich seinen Atem auf meinem Gesicht spüren kann. Eine Gänsehaut bildet sich auf meinem Körper. Ich kann nur hoffen, dass er nicht so genau hinsieht.

Am liebsten würde ich ihn von mir stoßen, aber ich bringe es nicht fertig, mich zu bewegen. Ich kann nicht einmal mehr zurückweichen, da ich bereits die Wand in meinem Rücken spüre.

Er schafft es, mir das Gefühl zu geben, mit ihm alleine zu sein, obwohl wir von einer Menschenmenge umringt sind. Ich bin mir sicher, dass ein paar uns auch beobachten.

Langsam, fast schon in Zeitlupe, wandert sein Blick zu meinen Lippen und dann wieder zurück zu meinen Augen. Noch im gleichen Moment kommt in mir der verrückte Wunsch auf, ihm meine Arme um den Hals zu schlingen und ihn zu küssen.

Verschwinde, bevor du deine guten Vorsätze vergisst, ermahne ich mich in Gedanken, damit ich nicht etwas mache, was ich früher oder später bereuen würde.

Doch das ist gar nicht so einfach. Eine unsichtbare Kraft zieht mich magisch an, hält mich gefangen.

Dennoch reiße ich mich zusammen und schaue an ihm vorbei. Um nicht doch noch weich zu werden, fixiere ich einen Punkt im Wohnzimmer und versuche auszublenden, dass Travis so dicht vor mir steht. Noch immer reagiert jeder einzelne Nerv in meinem Körper auf ihn.

»Entschuldigung«, murmle ich kaum hörbar, drehe ihm meinen Rücken zu und entferne mich.

Mit jedem Schritt fällt mir das Laufen schwerer. Ich spüre seinen Blick auf mir, er brennt sich auf meiner Haut fest. Mir ist aber klar, dass es nichts als Ärger bringt, wenn ich mich auf einen Mann einlasse, der eine solche Wirkung auf mich hat.

Erleichterung macht sich in mir breit, als ich endlich um die Kurve biege und wieder im Wohnzimmer stehe, in dem ich meine Schwestern entdecke. Außerdem finde ich zu meiner inneren Ruhe zurück, die von Travis mächtig aufgemischt worden war.

Dieses Gefühl verschwindet allerdings schlagartig wieder, als ich sehe, mit wem Brooke und Melody sich gerade unterhalten. Kurz kneife ich die Augen zusammen und öffne sie dann wieder, um sicherzugehen, dass ich nicht träume. Doch als ich erneut hinschaue, hat sich an dem Bild nichts geändert.

Unsicher, ob ich mich wieder umdrehen und so tun sollte, als hätte ich sie nicht gesehen, bleibe ich wie erstarrt an Ort und Stelle stehen und beobachte das Schauspiel. Endlich beschließe ich, dass dies allzu kindisch wäre. Schließlich sind wir alle erwachsen. Obwohl ich das bei ihr nicht mit Gewissheit sagen kann.

Trotzdem gehe ich auf die kleine Gruppe zu, wobei ich mir absichtlich Zeit lasse.

»Haley, wie schön dich zu sehen«, ruft unsere Cousine Chrystal mit ihrer hellen Stimme und setzt ihr strahlendes Lächeln auf, als sie mich entdeckt.

»Chrystal«, begrüße ich sie und umarme sie kurz. Sie drückt mir auf beide Wangen einen Kuss, so wie sie es immer macht, wenn wir uns sehen. Gleichzeitig werfe ich meinen Schwestern einen Blick zu, der ihnen klar zu verstehen geben soll, dass ich nicht begeistert davon bin, ihr hier über den Weg zu laufen. Als ich zu ihnen schaue, erkenne ich, dass es ihnen ebenfalls so geht. Die beiden haben genauso wenig mit ihr gerechnet wie ich. Und den anderen Familienmitgliedern geht es wahrscheinlich ähnlich.

Die meisten in meiner Familie gehen Chrystal so gut es geht aus dem Weg, da es immer Ärger gibt, wenn sie in der Nähe ist. Schon zu oft hat sie bewiesen, dass sie eine falsche Schlange ist, der andere scheißegal sind. Um an ihre Ziele zu kommen geht sie über Leichen.

Dabei sieht sie so aus wie meine Schwestern und ich. Wie das sprichwörtliche Mädchen von nebenan, das immer nett und hilfsbereit ist.

Aber das ist sie nicht! Chrystal ist weder nett noch kann man sich auf ihre Hilfe verlassen, selbst dann nicht, wenn sie sie selbst angeboten hat.

»Es freut mich so, euch mal wieder zu sehen«, flötet sie nun.

»Das glaube ich sofort«, presst Melody zwischen den Zähnen hervor.

Kurz habe ich die Befürchtung, dass Chrystal die Ironie in ihrer Stimme bemerkt hat und nun einen Aufstand machen wird. Nachdem ich aber kurz zu ihr geschaut habe, weiß ich, dass ich mir darum keine Gedanken machen muss. Sie strahlt uns noch immer mit ihrem falschen Lächeln an und tut so, als wäre nie etwas passiert.

»Wir sehen uns viel zu selten«, erklärt sie nun und zieht eine Schmolllippe.

Ich beiße mir auf die Unterlippe, damit mir nicht herausrutscht, dass ich es nicht bedauere, sie in den letzten zwölf Monaten nur zweimal gesehen zu haben.

Ich erkenne aus dem Augenwinkel, wie Brooke die Augen verdreht und ihr die Zunge herausstreckt. Ich muss mich beherrschen, um nicht zu lachen.

Als ich zu Melody sehe, fällt mir auf, dass Scott nicht neben ihr steht, worüber sie ausnahmsweise glücklich zu sein scheint. Ich kann das nachvollziehen, an ihrer Stelle ginge es mir genauso. Chrystal ist es egal, ob ein Mann vergeben ist oder nicht. Sie interessiert sich nicht einmal dafür, ob er Kinder hat. Wenn ihr jemand gefällt, macht sie sich an ihn heran. Und Scott passt leider genau in ihr Beuteschema.

Wie kleine Kinder, die nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen, stehen wir nebeneinander. Verzweifelt durchsuche ich meinen Kopf nach irgendeinem Gesprächsthema. Da ich aber eigentlich keine Lust habe, mich mit ihr zu unterhalten, fällt mir nichts Gescheites ein.

Unangenehme Stille macht sich zwischen uns breit, während Chrystal von der Einen zur Anderen schaut.

Gerade, als ich den Mund öffnen will, um ihr zu sagen, dass wir alle beruflich sehr viel zu tun hatten, spüre ich, wie sich meine Nackenhaare aufstellen.

Um meine Hormone, die heute total verrücktspielen, wieder in den Griff zu bekommen, atme ich tief durch und konzentriere mich wieder auf meine Schwestern und meine Cousine. Das funktioniert allerdings nur bedingt.

Schmetterlinge machen sich in meinem Bauch breit und ich werde unruhig. Mein Blick streift den von Melody, die mich mit einem vielsagenden Gesichtsausdruck ansieht und mir dann stumm zu verstehen gibt, dass ich mich umdrehen soll. Für den Bruchteil einer Sekunde überlege ich, ob ich ihrer Aufforderung folgen soll. Doch schließlich siegt meine Neugier und ich drehe meinen Kopf in die Richtung, in die meine Schwester gezeigt hat.

Sofort entdecke ich Travis. Er steht neben meinem Vater und meinem Onkel, scheint aber nicht zuzuhören, was die beiden zu berichten haben, da er immer wieder suchend über die Menge schaut. Bis er mich entdeckt.

Wie auf Kommando findet mein Blick seine stechend blauen Augen. Es wirkt fast auf mich, als könne er in mich hineinsehen und meine Gedanken lesen, was mir aber merkwürdigerweise keine Angst macht. Es fühlt sich irgendwie richtig an.

Ohne mich aus den Augen zu lassen, setzt er die Bierflasche an seinen Mund und nimmt einen Schluck. Augenblicklich muss ich ebenfalls schwer schlucken. In meinem Kopf erscheinen Bilder, die definitiv nicht jugendfrei sind.

Seine Augen durchdringen mich, als wolle er jede meiner Handlungen analysieren, um zu erfahren, was gerade in mir vor sich geht.

Herausfordernd hebe ich meine Augenbrauen, doch er verzieht keine Miene.

Normalerweise würde ich jetzt zu ihm gehen und ihm sagen, dass er sich eine andere Blöde suchen soll, die nicht sofort kapiert, worum es ihm geht. Aber ich kann es nicht. Und das hat nichts damit zu tun, dass mein Vater neben ihm steht.

Aus irgendeinem Grund bin ich mir sicher, dass ich die Worte nicht mehr herausbekomme, sobald er vor mir steht. Und das macht mir Angst.

Es macht mir deswegen Angst, weil es mir noch nie bei einem Mann so erging. Bis zu diesem Moment hat es noch keiner geschafft, dass meine Schlagfertigkeit mich verlässt und ich auf meine Selbstständigkeit pfeife.

Aber das ist nicht alles. Ich kann nicht leugnen, dass ich ein wenig eifersüchtig werde bei dem Gedanken daran, dass er mit einer anderen flirtet, egal ob es sich bei ihr um meine Schwester handeln würde oder nicht. Und dieser Gedanke gefällt mir überhaupt nicht.

»Wie läuft es denn beruflich bei euch?«, fragt Chrystal in dem Moment in die Runde, als ich mich ihr wieder zuwende.

»Besser könnte es gar nicht sein«, antworte ich ihr, noch bevor Melody oder Brooke etwas sagen können.

Ich sehe, dass meine Schwestern mich beobachten. Darauf gehe ich aber nicht ein. Stattdessen betrachte ich Chrystal, die nun mich mit großen Augen ansieht.

»Ehrlich?«, ruft sie mit verwunderter Stimme aus. Ich muss mich zusammenreißen, um ihr nicht die Meinung zu sagen. Nur zu gut kann ich mir vorstellen, was nun kommen wird.

»Ja, ehrlich«, antworte ich bloß und versuche so ruhig wie möglich zu klingen.

»Also ich habe gehört, dass Melody gerade erst ihren neuen Job gekündigt hat, weil sie es mit dem Sohn des Chefs treibt. Und Brooke arbeitet immer noch in dem gleichen Restaurant. Das ist ja wohl nichts, was man als super bezeichnen kann«, zählt sie die Ereignisse der letzten Wochen in einem selbstgefälligen Ton auf, für den ich ihr am liebsten eine klatschen würde.

Wären wir nicht auf dem Geburtstag unserer Oma, hätte ich auch schon lange ausgeholt. Stattdessen lächle ich sie freundlich an und mache gute Miene zu ihrem bösen Spiel.

Obwohl es mir eigentlich auf der Zunge liegt, ihr zu sagen, dass meine Schwestern nicht dazu verpflichtet sind, sich durch die ganze Chefetage zu schlafen, nur damit sie auf der Karriereleiter ein Stück nach oben steigen. Aber ich halte mich zurück. Ich will mich nicht mit ihr streiten, da es nur vergeudete Mühe wäre. Aber vor allem will ich mich nicht hier mit ihr in die Haare bekommen.

»Dann bist du ja bestens informiert. Aber das ändert nichts daran, dass es bei uns allen dreien super läuft, und wir keinen Grund haben, uns zu beschweren«, kontere ich stattdessen. Ich versuche erst gar nicht, den genervten Ton in meiner Stimme zu verbergen. Chrystal kann ruhig wissen, dass ich keine Lust habe, mich mit ihr zu unterhalten, und sie diese Dinge auch überhaupt nichts angehen.

Sie bedenkt mich mit einem überraschten Ausdruck in den Augen und wendet sich wieder meinen Schwestern zu. Ich gebe zu, dass mir schon immer die nötige Ruhe gefehlt hat, um mich mit ihr zu unterhalten. Und schon in der nächsten Sekunde weiß ich wieder, wieso.

»Wie ich sehe, seid ihr noch immer unzertrennlich«, zischt sie zwischen den Zähnen hervor. Schwungvoll dreht sie sich herum und verschwindet in der Menge.

Perplex über ihren Abgang schaue ich ihr nach. Dass du das nicht kennst, ist mir klar. Aber es ist nicht unsere Schuld, dass deine Geschwister nichts mit dir zu tun haben wollen, denke ich. Dabei bin ich auf mich selbst stolz, weil ich mich dieses eine Mal zurückgehalten habe.

Sonst war das leider oft nicht der Fall gewesen, so dass wir uns einmal sogar lautstark vor der ganzen Familie gezofft hatten.

»Wenn sie weg ist, habe ich jedes Mal das Gefühl, als würde jemand eine riesige Last von meinen Schultern nehmen. Sie nimmt einem die Luft zum Atmen. Aber kommt es mir nur so vor, oder wird sie wirklich von Mal zu Mal schlimmer?«, fragt Brooke in die Runde und verdreht die Augen.

»Sie ist noch schlimmer geworden, wobei ich zugeben muss, dass ich nicht gedacht hätte, dass das geht«, stimmt Melody ihr zu und nickt eifrig.

»Das haben wir wohl alle nicht. Wahrscheinlich nicht mal ihre Eltern«, murmle ich mehr zu mir selber, als zu den beiden.

Ich will gerade den Mund öffnen, um noch etwas dazu zu sagen, als Scott zu uns tritt. Er schlingt seine Arme um Melody, die sich mit einem zufriedenen Seufzer an ihn sinken lässt. Kaum hat ihre Wange seine Brust berührt, beugt er sich nach unten und gibt ihr einen zärtlichen Kuss auf den Scheitel.

»Sorry, in der Küche hat sich eine lange Schlange gebildet. Es schien fast so, als hätten alle gleichzeitig beschlossen, sich gerade jetzt etwas zu trinken zu holen«, erklärt er uns, woraufhin Melody nur zufrieden brummt.

»Du hast nichts verpasst«, meint nun Brooke grinsend, woraufhin sich ein leichtes Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitet. Nein, in diesem Fall hat er wirklich nichts verpasst, denn Chrystal ist jemand, dem man nicht unbedingt über den Weg laufen muss.

Wie immer, wenn die beiden sich so innig in meiner Gegenwart zeigen, betrachte ich sie. Melody ist glücklich mit ihm, und das ist alles, was zählt. Für sie war es die richtige Entscheidung, ihren Job zu kündigen. Ich bin mir sicher, hätte sie es nicht getan, würde das ihre Beziehung belasten, falls sie überhaupt auf Dauer eine Chance hätten, weil es immer zwischen ihnen stehen würde.

2

»Ladys, Scott«, dringt nun die tiefe Stimme an mein Ohr, die ich in den letzten Minuten nicht ganz vergessen konnte, obwohl ich versucht habe, sie aus meinem Gedächtnis zu verbannen. Meine Cousine hatte mich so in Beschlag genommen, dass ich überhaupt nicht gemerkt habe, wie Travis sich zu uns gesellt hat. Erst jetzt erkenne ich, wieso ich seit wenigen Minuten so ein komisches Gefühl in meinem Bauch habe.

Nachdem ich mich von meinem ersten Schreck erholt habe, schaue ich in die Richtung, aus der die Stimme kam, und sehe, dass er direkt neben mir steht. Er ist mir so nah, dass sich unsere Arme berühren. Ich vergesse für den Bruchteil einer Sekunde zu atmen und alles um mich herum.

»Travis«, ruft Scott nun begeistert aus und reißt mich damit aus meinem tranceartigen Zustand, »Ich hatte ja keine Ahnung, dass du gemeint bist, als ein paarmal dein Name gefallen ist. Erst vorhin habe ich den dreien noch von dir erzählt.«

Überrascht über seine Worte drehe ich mich zu meinem Schwager und schaue ihn mit großen Augen an.

Er ist der Travis?

Ich merke Scott an, dass er sich darüber freut, seinen alten Freund zu sehen. Allerdings habe ich keine Ahnung, was ich davon halten soll, dass die beiden sich kennen. Für einen kurzen Moment macht sich die Befürchtung in mir breit, dass es wahrscheinlich doch nicht so einfach sein wird, ihm aus dem Weg zu gehen. Aber andererseits freue ich mich darüber. Die Tatsache, dass er der Travis ist, über den Scott vorhin noch berichtet hat, zeigt mir allerdings auch, dass ich recht hatte.

Er ist ein Playboy und nutzt das von vorne bis hinten aus.

So unauffällig wie möglich atme ich tief durch und versuche mir nicht anmerken zu lassen, was für ein Chaos in mir tobt.

»Du weißt doch, mein Ruf eilt mir voraus.« Während Travis spricht, wackelt er mit den Augenbrauen, so dass meine Schwestern leise kichern. Ich gebe keinen Ton von mir. Ich betrachte ihn nur eingehend, denn ich habe noch keine Ahnung, was ich von dieser Situation halten soll.

Nur am Rande nehme ich wahr, dass Travis und Scott sich noch eine Weile unterhalten. Ich suche nach einem Ausweg aus dieser Situation. Aber so sehr ich mich auch bemühe, ich finde einfach keinen.

»Der ist doch ganz süß«, flüstert Brooke mir zu, nachdem sie sich ein wenig zu mir gelehnt hat. Ihre Stimme ist so leise, dass nur ich sie verstehen kann, aber in diesem Moment kommt es mir so vor, als hätte sie mir in die Ohren geschrien.

»Kein Interesse«, erkläre ich ihr mit fester Stimme.

»Na gut, dann werde ich ihn mir angeln, wenn du nicht willst.«

Noch ehe sie ausgesprochen hat, drehe ich meinen Kopf in ihre Richtung und schaue sie finster an. Bis zu diesem Zeitpunkt hat es mich nie interessiert, mit wem meine Schwestern sich getroffen haben, solange die Typen gut zu ihnen waren. Aber bei Travis ist das anders.

»Mehr brauche ich gar nicht zu wissen«, gibt sie mit einem vielsagenden Ton von sich, während ein leichtes Grinsen ihre Lippen umspielt.

Ihr Blick sorgt dafür, dass ich mich wirklich frage, ob ich so leicht zu durchschauen bin. Andererseits kennt sie mich gut genug, um zu wissen, was gerade in meinem Kopf vor sich geht.

»Ich hoffe, ihr seid mir nicht böse, wenn ich euch kurz eure Schwester entführe«, fragt Travis nun in die Runde.

In der nächsten Sekunde greift er schon nach meiner Hand, ohne eine Antwort der beiden abzuwarten. Bei der Berührung durchfährt mich ein Stromschlag, der mein Herz schneller pochen lässt. Noch bevor ich die Gelegenheit habe, meine Reaktion auf unseren Hautkontakt zu verarbeiten, dreht er sich herum und führt mich hinaus in den Flur. Dort steuert er geradewegs auf den kleinen Abstellraum zu, der sich neben der Eingangstür befindet und in dem ich mich als Kind öfter versteckt habe.

Ohne auf die Gäste zu achten, die sich hier aufhalten, bugsiert er mich in den Raum und schließt die Tür hinter uns. Sofort werden wir von vollkommener Dunkelheit umgeben, da es hier kein Fenster gibt. In diesem kurzen Moment nehme ich ihn noch intensiver wahr als vorher. Ich höre seinen schweren Atem und bin mir sicher, dass er meinen Herzschlag spürt.

Das nächste, was ich höre, ist, wie er sich bewegt. Dann springt die kleine Lampe über unseren Köpfen an und erhellt die Kammer. Sie sorgt aber nicht nur dafür, dass ich nun etwas sehe, sondern auch, dass ich merke, wie nah er mir ist. Der Raum ist nicht so groß, dass ich ihm großartig ausweichen kann.

»Gibt es irgendetwas?«, frage ich ihn und lasse meine Stimme so gleichgültig wie möglich klingen.

Ich will nicht, dass er erfährt, welche Wirkung er auf mich hat. Allerdings gelingt mir das nicht so gut, wie ich es erwartet habe. Meine Stimme ist eindeutig zu hoch und mein Puls rast.

»Dich«, antwortet er mir knapp, während er immer wieder zu meinen Lippen sieht.

»Mich?«, hake ich vorsichtig nach, da ich mir nicht sicher bin, ob ich die Antwort überhaupt wissen will. Meine Augen werden immer größer.

Travis sagt nichts. Stattdessen nähert er sich mir langsam, mit einem unwiderstehlichen Lächeln auf den Lippen, auf mich zu und überbrückt so die wenigen Zentimeter, die uns noch voneinander trennen. Dabei lässt er mich keine Sekunde aus den Augen. Sie sind dunkel und lassen keinen Zweifel daran, dass er mich will. Ein Teil von mir ist aufgeregt deswegen und würde sich am liebsten an ihn schmiegen.

Der Wunsch, seinen Körper an meinem zu spüren, macht sich in mir breit. Ich will wissen, wie sich sein Oberkörper anfühlt und wie seine Lippen schmecken. In diesem Moment will ich von ihm berührt werden, und ich kann nichts dagegen tun.

Aber mein Verstand sagt mir, dass dieser Mann nichts als Ärger in mein Leben bringen wird, und es deswegen gefährlich ist, mich auf ihn einzulassen. Und auf diesen Teil höre ich weitaus öfter.

Um meine Gefühle wieder in den Griff zu bekommen, schließe ich meine Augen und versuche auszublenden, was er in mir wachruft.

Als ich sie wieder öffne, steht er so dicht vor mir, dass ich meinen Kopf ein wenig in den Nacken legen muss, um ihm ins Gesicht schauen zu können.

Doch wie sich herausstellt, ist das ein Fehler.

Ich spüre seinen Atem und Gänsehaut überzieht meinen Körper. Mir wird sogar ein wenig schwindelig.

Mein Gehirn überlässt meinem Körper die Arbeit. Ich sehe Travis zu, wie sein Mund sich dem meinen nähert, und will zurückweichen. Automatisch mache ich einen Schritt nach hinten, um ein wenig Abstand zwischen uns zu bringen, aber ich kann es nicht. Ich habe keine Kontrolle mehr über diese Situation, falls ich sie überhaupt jemals gehabt habe. Beinahe kommt es mir so vor, als würde ich danebenstehen und die Szene von außen beobachten.

Ich sehe, wie er seine Hand hebt, um mir im nächsten Augenblick sanft mit den Fingern über das Gesicht zu streichen. Ein Zittern überfällt mich.

Als nächstes spüre ich, wie er seine Lippen auf meine drückt und seine Hände auf meine Hüften legt. Mit sanfter Gewalt gibt er mir zu verstehen, dass ich ihm nicht entkommen kann. Mein Verstand schreit mich an, dass ich mich losreißen soll, aber mein Körper will etwas anderes.

Wie von alleine krallen sich meine Finger an seiner Jacke fest, jedoch nicht, um ihn von mir zu stoßen, sondern um ihn näher an mich heranzuziehen.

Als mir klar wird, was ich hier eigentlich mache, verfluche ich mich selber. Jeden anderen Mann hätte ich zwischen die Beine getreten und ihm eine Standpauke gehalten. Die Art und Weise, wie er mich festhält und wie sich sein Mund auf meinem anfühlt, hindert mich jedoch daran.

Wortlos macht er mir klar, dass ich ihm gehöre, und ich muss zugeben, dass mich das antörnt.

Der Kuss dauert eine Ewigkeit. Jedenfalls kommt es mir so vor, denn ich habe mein Zeitgefühl verloren. Immer wieder erobert er mich aufs Neue, während ich ihm hilflos ausgeliefert bin.

Schließlich entfernt er sich ein kleines Stück von mir. Verzweifelt ringe ich nach Luft und versuche meinen schnellen Puls wieder in den Griff zu bekommen. Es dauert eine Weile, bis ich es schaffe, mich wieder zu fangen und die Gedanken, die in meinem Kopf herumwirbeln, zu sortieren. Doch dann hebe ich meinen Kopf, damit ich ihn anschauen kann.

Was ich in seinen Augen erkenne, verschlägt mir die Sprache. Sein Blick hat sich gefährlich verdunkelt und gleitet gierig über meinen Körper.

Er entfacht ein Feuer in mir, das ich so extrem noch nie vorher verspürt habe. Ich weiß zwar nicht, wie ich es eindämmen soll, aber mir ist klar, dass ich es unter Kontrolle bringen muss.

»Was willst du?«, frage ich ihn ein weiteres Mal. Ich will die Worte aus seinem Mund hören, obwohl seine Taten keinen Zweifel an seinen Absichten lassen.

»Dich«, raunt er mir mit heiserer Stimme in mein Ohr.

Seine knappe und direkte Antwort überrascht mich, obwohl man von einem Mann wie Travis eigentlich nichts anderes erwarten darf. Vor allem dann nicht, wenn man ihm so eine Frage stellt.

Trotzdem hatte ich bis vor wenigen Sekunden noch die Hoffnung, dass er etwas anderes sagt, und es mir dadurch leichter macht.

»Ich bin kein Schoßhündchen«, erkläre ich ihm dennoch, nachdem ich mich kurz gesammelt habe. Ich überlege, ob ich noch hinzufügen soll, dass er sich in diesem Fall besser an eines seiner Anhängsel wenden soll, entschließe mich jedoch, diesen Teil für mich zu behalten.

Während ich spreche, trete ich einen Schritt zurück, um etwas Abstand zwischen uns herzustellen. Ich komme nicht weit, da ich schon nach wenigen Zentimetern die breiten Regale in meinem Rücken spüre. Meine Oma hat sie direkt gegenüber der Tür von rechts nach links einbauen lassen, und in ihnen bewahrt sie alles auf, was sie für den Haushalt braucht: Putzmittel, Konserven und Handtücher. Aber nicht nur das. Auch den Staubsauger, Wischeimer und Getränkekisten hat sie hier stehen.

Doch mich auf diese Dinge zu konzentrieren bringt nichts. Travis hat mich in seinen Bann gezogen, so dass ich ihm nicht ausweichen kann, und das in jeder Hinsicht.

»Das habe ich auch schon gemerkt, und ob du es mir glaubst oder nicht, aber das gefällt mir so an dir.«

Verwirrt hebe ich meine Augenbrauen ein Stück und betrachte ihn. Ich gebe ihm klar zu verstehen, dass ich keine Ahnung habe, wovon er spricht.

»Du sagst, was du denkst und lässt dir nicht auf der Nase herumtanzen. Aber vor allem liebst du deine Familie.«

Ich bin verblüfft über seine Feststellung. Wir kennen uns erst seit wenigen Minuten, aber trotzdem hat er die wichtigsten Punkte treffend zusammengefasst, als wären wir alte Freunde.

»Woher willst du das wissen?«, frage ich ihn in herausforderndem Ton. Es fällt mir schwer, ihm einfach zuzustimmen.

»Ich habe dich ein wenig beobachtet«, flüstert er und grinst mich dann an.

»Ach«, entfährt es mir mit schriller Stimme, obwohl ich das gar nicht will. Erschrocken über den scharfen Ton schlage ich mir meine Hand vor den Mund.