Inhalt

  1. Cover
  2. Über diese Serie
  3. Über dieses Buch
  4. Über den Autor
  5. Titel
  6. Impressum
  7. 1
  8. 2
  9. 3
  10. 4
  11. 5
  12. 6
  13. 7
  14. 8
  15. 9
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  17. 11
  18. 12
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  21. 15
  22. 16
  23. 17

Sternkreuzer Proxima – Die Serie

Die Terranische Republik zerbricht. Ehemalige Kolonien erklären ihre Unabhängigkeit und stürzen die Galaxis ins Chaos. In einer katastrophalen Schlacht kann sich der terranische Sternkreuzer Proxima gerade noch aus der Kampfzone retten. Auf dem Rückzug kämpft die Proxima ums bloße Überleben und wird zum Spielball in einem unübersichtlichen Krieg. Doch Captain Zadiya Ark und ihre Crew ahnen nicht, dass das Schicksal noch weitaus härtere Schläge für sie bereithält …

Über diese Folge

Vom Flottendepot im Doros-System erhofft sich die Crew der Proxima dringend benötigte Ersatzteile und Vorräte. Doch der Stützpunkt wird von Kolonialen angegriffen! Captain Zadiya Ark bleibt nur ein raffiniertes, aber riskantes Manöver, um sich und ihre Crew zu retten – doch vorher muss sie sich um den Verräter in ihren Reihen kümmern.

Über den Autor

Dirk van den Boom (geboren 1966) hat bereits über 100 Romane im Bereich der Science-Fiction und Fantasy veröffentlicht. 2017 erhielt er den Deutschen Science Fiction Preis für seinen Roman »Prinzipat«. Zu seinen wichtigen Werken gehören der »Kaiserkrieger-Zyklus« (Alternative History) und die Reihe »Tentakelkrieg« (Military SF). Dirk van den Boom ist darüber hinaus Berater für Entwicklungszusammenarbeit, Migrationspolitik und Sozialpolitik sowie Professor für Politikwissenschaft. Er lebt mit seiner Familie in Saarbrücken.

DIRK VAN DEN BOOM

VERRÄTERISCHE SIGNALE

Folge 2

1

Es herrschte Ruhe. Himmlische Ruhe. Marcus Hamilton war gerade aufgewacht und stellte fest, dass seine innere Uhr immer noch funktionierte. Er drehte sich um, deaktivierte die Weckautomatik und war dankbar dafür, von ihrem Ton verschont zu bleiben. Das Geräusch hätte auch seine Kameraden geweckt, und nicht alle teilten seine Vorliebe für frühes Erwachen. Schimpfworte wären das Mindeste gewesen, vielleicht hätte er sogar den ein oder anderen Tritt einstecken müssen. Bei manchen hätte es schon gereicht, wenn sie ihn nur angeatmet hätten. In letzter Zeit waren sie alle etwas nachlässig mit den Hygienevorschriften umgegangen.

Er hatte richtig gut geschlafen, und seine Instinkte hatten einmal mehr dafür gesorgt, dass er fünf Minuten vor der Weckzeit aufgewacht war. Sein Körper mochte das durchdringende, unerbittliche Summen der Weckautomatik auch nicht. Marcus vergewisserte sich noch einmal, dass das Summen niemals erklingen würde, und schaute auf die Uhr. Er seufzte, schloss die Augen und öffnete sie dann mit einer bewussten Kraftanstrengung wieder. Hätte er das nicht getan, wäre er sofort wieder eingenickt, das wusste er.

Er lag in seiner Koje, nicht fixiert in irgendeinem Gang, und obwohl die Decke nach dem Kameraden gerochen hatte, mit dem er sich die Liegestatt derzeit in Schichten teilte, war es eine willkommene Abwechslung gewesen. Für einen Moment genoss er die Wärme des Kissens unter seinem Nacken und die Stille, denn die sieben erschöpften Mitschläfer gaben keine anderen Laute von sich als tiefe und friedliche Atemzüge.

Das würde sich gleich ändern. Der Weckalarm war unausweichlich und gleichzeitig notwendig. Die Zeit der Ruhe war langsam vorbei. Die Proxima näherte sich dem Ende der Hyperetappe und würde ins Doros-System eintreten, ein Ziel, mit der allerlei Erwartungen verbunden waren, vor allem in Gestalt eines Flottendepots, das ihnen im Idealfall dabei helfen würde, das Schiff wieder in einen guten Zustand zu versetzen und die Magazine aufzufüllen. Mit etwas Glück würden sie dort zumindest einige der Schiffbrüchigen absetzen können, die den alten Zerstörer zu einer völlig überfüllten Sardinenbüchse machten. Alle würden sehr erleichtert sein, alle hatten die größten Hoffnungen.

Nun, vielleicht nicht alle.

Mit einem gewissen Bedauern erinnerte sich Marcus daran, dass auch Margie zu jenen gehören könnte, die dann von Bord gehen würden. Sicher, ihre Beziehung hatte sich nicht so entwickelt, wie er es sich vorgestellt hatte. Andererseits hatte er, was das anging, noch gewisse Absichten. Verbunden mit Chancen, die sich in Wohlgefallen auflösen würden, wenn sie erst fort war. Es herrschte Krieg. Menschen starben. Und man verlor sich schnell aus den Augen. Marcus machte sich da absolut keine Illusionen.

Er schob die Beine aus seiner Koje und bereute es sofort. In dem Moment, in dem er sich in Bewegung gesetzt hatte, erinnerte sich sein Körper an all den Stress der vergangenen Wochen. Er protestierte an Stellen, von denen Marcus nicht einmal gewusst hatte, dass er über sie verfügte. Sein Körper wollte nicht. Er musste, aber er beklagte diesen Zwang mit allem, was ihm zur Verfügung stand. Marcus nahm den Protest zur Kenntnis. Er erinnerte ihn daran, dass er am Leben war und sich bewegen konnte, eine Tatsache, für die er beschlossen hatte, dankbar zu sein.

Als der Weckalarm bei seinen schlafenden Kameraden losging, hatte er sich bereits angezogen und war auf dem Weg zum Gemeinschaftsbad, in dem sich der Schichtbetrieb und die allgemeine Überlastung der Schiffssysteme besonders eklatant bemerkbar machten. Dort stank es immer irgendwie, und das Wasser wirkte klebrig. Das war Einbildung, die Aufbereiter funktionierten einwandfrei, und die Recycler machten aus jeder Flüssigkeit Trinkwasser. Aber der psychologische Effekt zählte, und die Wahrnehmung würde sich erst wieder ändern, wenn die Proxima Frischwasser am Depot aufnahm oder sich einen Eisasteroiden griff, um ihn zu schmelzen. Bis dahin beschränkte sich hier in Bezug auf Körperhygiene jeder nur auf das Allernötigste. Spaß machte sie jedenfalls keinem.

Aber wer hatte hier schon Spaß?

Am vereinbarten Punkt traf er Margie, die ihm verschlafen zunickte. Offensichtlich war sie nicht auf ein Gespräch aus. Das war ihm nur recht. Nach Varas letzter Standpauke, die ihm noch lebhaft in Erinnerung war, hatte sich Margie als sehr bockig erwiesen. Sie reagierte wohl nicht so gut auf Autorität, selbst dann, wenn diese so offensichtlich recht hatte wie Vara. Aber selbst das schien sie nicht einsehen zu wollen.

Marcus wollte sich deswegen nicht mit ihr streiten.

Der neue Dienstplan befand sich schon auf ihren Computerpads, und sie stellten fest, dass sie erst einmal vorsorglich auf die Gefechtsstation beordert wurden. Es dauerte noch eine gute Stunde, dann würde die Proxima am Zielort eintreffen. Obwohl sie sich alle etwas anderes erhofften, konnte es auf der anderen Seite ein böses Erwachen geben.

Dann würden sie ihre Flucht fortsetzen müssen. Das alte Schiff war dazu immer weniger in der Lage. Die brüchige letzte noch funktionierende Hyperspule stellte den größten Unsicherheitsfaktor dar. Chefingenieur Thomson hatte sicher die ganze Zeit neben ihr geschlafen, um ihr gut zureden zu können. Er war mit der Art und Weise, wie Captain Ark das Schiff beanspruchte, ganz und gar nicht einverstanden. Aber sie hatte das Sagen.

Und bisher waren sie damit ja auch ganz gut gefahren, dachte Marcus. Trotz der katastrophalen Niederlage lebten sie noch und hatten es bis hierher geschafft. So schlecht standen ihre Chancen also gar nicht. Natürlich war es auch gut möglich, dass er sich da nur etwas einredete.

Es tat gut, sich selbst Zuversicht zu vermitteln.

Margie war offenbar nicht in der Stimmung, ihm dabei zu helfen. Tatsächlich sah sie eher so aus, als könnte sie ein wenig Zuspruch vertragen. Marcus war sich nicht ganz sicher, ob er in diesem Moment die richtige Person dafür war, daher blieb er schweigsam.

Sie erreichten die Generatorengruppe, an der sie kämpfen und sterben würden, falls alles schiefging. Die mächtigen Maschinen summten schläfrig vor sich hin, als hätten sie die Ruhepause der Hyperetappe ebenfalls für ein wenig elektrische Besinnlichkeit genutzt. Alles war in bester Ordnung.

Schweigend und in routinierter Eintracht nahmen sie ihre Positionen ein. Margie biss in einen Konzentratriegel. Es war ein deprimierendes Frühstück.

Ein Signal erklang, und dann die Stimme von Captain Ark.

»Hier spricht der Captain. Die Proxima und die Achat werden in Kürze in das Doros-System eintreten. Wir werden unmittelbar vor dem Eintritt Gefechtsalarm auslösen. Ich rechne nicht damit, dass wir sofort angegriffen werden. Als wir Doros das letzte Mal kontaktierten, war dort alles friedlich – das war allerdings vor der Schlacht. Daher müssen wir auf alles vorbereitet sein. Ich werde Sie alle regelmäßig informieren, aber halten Sie sich bereit. Ich vertraue Ihnen.«

Damit endete die kurze Ansprache. Marcus lauschte in sich hinein. Er fühlte sich definitiv nicht inspiriert. Wenn überhaupt, hatte Ark seine Ängste, dass die erhoffte Ruhe und Erholung für sie alle noch auf sich warten lassen würde, verstärkt.

»Sie ist nicht gut drauf«, murmelte Margie kauend.

»Wer ist das schon?«

»Sie kann nicht einerseits sagen, dass sie keine Probleme erwartet, und uns andererseits warnen, dass wir auf alles vorbereitet sein müssen.« Margie schluckte und verzog das Gesicht. »Ich dachte, Offiziere bekommen so Kurse in Kommunikation und Psychologie.«

»Das würde bei dir doch sowieso nicht wirken. Dafür bist du viel zu schlau.«

Margie sah ihn an und schüttelte den Kopf. »Ich will genauso gerne betrogen werden wie jeder andere.«

Er hockte sich auf einen Notsitz, den er aus der Wand geklappt hatte, und befestigte mit automatischen Bewegungen die Sicherungsklammern an seinem Druckanzug. Das alles, der ganze Krieg, war ihm in Fleisch und Blut übergegangen, und er war sich recht sicher, dass das nicht gut war. Er überlebte.

Marcus Hamilton starrte vor sich hin und wartete.

Er würde stattdessen gerne mal wieder leben.