IMPRESSUM
Mit dir in der Stadt der Liebe erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: kundenservice@cora.de |
Geschäftsführung: | Katja Berger, Jürgen Welte |
Leitung: | Miran Bilic (v. i. S. d. P.) |
Produktion: | Jennifer Galka |
Grafik: | Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto) |
© 2011 by Robyn Grady
Originaltitel: „The Billionaire’s Bedside Manner“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1739 - 2012 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Peter Müller
Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A., filadendron / iStockphoto
Veröffentlicht im ePub Format in 05/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733726546
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
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„Falls ich ungelegen komme, können Sie es ruhig sagen.“
Bailey Ross musterte den Mann, der Dr. Mateo Celeca sein musste, kritisch. Ihre Knie begannen zu zittern, als er sich zu ihr umdrehte. Mama Celeca hatte zwar gesagt, dass ihr Enkel, der bekannte Frauenarzt mit dem Fachgebiet Geburtshilfe, ein attraktiver Mann war. Aber so attraktiv – davon war keine Rede gewesen.
Er war gerade dabei gewesen, seine Hightech-Alarmanlage zu überprüfen, als sie mit ihrem Rucksack vor seinem luxuriösen Haus in Sydney aufgetaucht war. Normalerweise war Bailey nicht der Typ, der unangemeldet irgendwo hereinschneite, aber heute war eine Ausnahme.
Mateo besann sich auf seine Höflichkeit und setzte ein freundliches, wenn auch etwas skeptisches, Lächeln auf.
„Entschuldigung“, sagte er mit seiner tiefen, männlichen Stimme. „Kennen wir uns?“
„Äh, bisher noch nicht, nein. Aber eigentlich müsste Ihre Großmutter Sie angerufen haben. Ich bin Bailey Ross.“ Schüchtern streckte sie ihm die Hand entgegen, doch Dr. Celeca ergriff sie nicht und sah Bailey misstrauisch an. Ihr Lächeln erstarb. „Mama Celeca hat doch wohl angerufen?“, fragte sie verunsichert. „Oder etwa nicht?“
„Ich habe keinen Anruf erhalten.“ Stirnrunzelnd fragte er: „Geht es Mama Celeca gut?“
„Ja, prächtig.“
„Ist sie immer noch so dünn?“
„Ach, dünn würde ich nicht sagen. Schlank, das ja. Aber nachdem ich Unmengen von ihrem Pandoro gegessen hatte, habe ich selbst ganz schön zugelegt.“
Sie lächelte unsicher, und seine Miene hellte sich auf. Natürlich war er misstrauisch gewesen, als diese Fremde mit dem Rucksack vor seiner Haustür aufgetaucht war. Aber nur jemand, der Mama Celeca wirklich kannte, konnte von ihrem leckeren italienischen Hefekuchen wissen.
Trotzdem kam ihm die ganze Angelegenheit immer noch verdächtig vor. Mateo verschränkte die Arme vor der Brust. Bailey räusperte sich und begann zu erklären.
„Ich bin das letzte Jahr als Rucksacktouristin durch Europa gereist. Die vergangenen paar Wochen war ich in Italien, in dem Dorf, wo Mama Celeca wohnt. Wir haben uns angefreundet.“
„Sie ist eine wunderbare Frau.“
„Ja, und so gutherzig und großzügig“, murmelte Bailey und musste an Mamas letzte gute Tat denken. Sie hatte Bailey gewissermaßen gerettet. Das würde sie nie wiedergutmachen können, obwohl sie fest entschlossen war, es zu versuchen.
Wieder flackerte das Misstrauen im Blick des Arztes auf. Habe ich etwa schon zu viel gesagt? fragte sich Bailey und erzählte schnell weiter.
„Sie hat mir das Versprechen abgenommen, dass ich Sie sofort aufsuche und von ihr grüße, wenn ich zurück in Australien bin.“ Verunsichert warf sie einen Blick auf die Koffer, die neben der Eingangstür standen. „Aber wie ich sehe, sind Sie im Begriff zu verreisen. Da habe ich wohl einen schlechten Zeitpunkt erwischt.“
Deshalb verabschiede ich mich jetzt wohl lieber, dachte sie. Jetzt, wo ich wieder daheim in Australien bin, muss ich mir überlegen, wie mein Leben weitergehen soll.
Gerade vor einer Stunde hatte sie schon eine kleine Enttäuschung erlebt. Vicky Jackson, ihre Freundin, bei der sie eigentlich ein paar Tage hatte wohnen wollen, hatte unerwartet verreisen müssen. Jetzt wusste Bailey nicht wohin. Sie musste eine Übernachtungsmöglichkeit finden – und hatte keine Ahnung, wie sie die bezahlen sollte.
Mateo Celeca taxierte sie immer noch. Dann warf er einen Blick auf sein Gepäck.
Es ist wirklich Zeit zu gehen, dachte Bailey.
Gerade als sie zur Verabschiedung ansetzen wollte, sagte der Arzt: „Ich bin selbst gerade auf dem Weg nach Übersee.“
„Nach Italien?“
„Auch. Aber nicht nur.“
Bailey runzelte die Stirn. „Davon hat Mama Celeca gar nichts erwähnt.“
„Kein Wunder. Ich will sie überraschen.“
Als er auf seine Armbanduhr sah, nahm Bailey das als Zeichen zum Aufbruch. „Dann grüßen Sie sie ganz lieb von mir. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise.“
Als sie sich zum Gehen wandte, hielt er sie am Arm fest. Sein Griff war nicht unangenehm fest, trotzdem spürte sie seine große Stärke. Und er löste noch mehr in ihr aus: ein heißes Gefühl, eine Spannung, eine … ja, eine Erregung. Wenn sie schon auf einen Griff von ihm so reagierte – was würde sie dann erst empfinden, wenn er sie küsste?
„Ich glaube, ich war ein bisschen unhöflich“, sagte er und ließ sie wieder los. „Kommen Sie doch noch einen Augenblick herein. Das Taxi wird noch eine Zeit lang auf sich warten lassen.“
„Oh, ich sollte wirklich nicht …“
„Doch sollten Sie.“
Mit einem Kopfnicken wies er zur Haustür, und sie konnte sein Aftershave riechen. Männlich herb – genau wie er. Aber dass er ihr so gut gefiel, war ein Grund mehr, seine Einladung auszuschlagen. Nach allem, was sie durchgemacht hatte – wie knapp sie dem Unheil entronnen war –, hatte sie sich geschworen, sich von gut aussehenden Männern, die sie zu etwas überreden wollten, fernzuhalten.
Bedauernd schüttelte sie den Kopf. „Es geht wirklich nicht.“
„Ach, kommen Sie schon. Wenn Mama Celeca erfährt, dass ich eine Freundin von ihr weggeschickt habe, ist sie garantiert sauer auf mich. Und das wollen Sie doch nicht, oder?“
Sie sah zu Boden und musste an die alte Dame denken. „Nein, natürlich nicht.“
„Gut, dann kommen Sie rein“, forderte er sie auf – und bekam plötzlich wieder Zweifel.
„Sie sind gerade erst in Australien angekommen?“, fragte er, und sie nickte. Er warf einen misstrauischen Blick auf ihren Rucksack. „Und das ist Ihr gesamtes Gepäck?“
Sie lächelte müde und trat ein. „Ja, ich reise immer mit leichtem Gepäck.“
Er runzelte die Stirn. Mit sehr, sehr leichtem, dachte er.
Misstrauisch beäugte Mateo seinen unerwarteten Gast. Die junge Frau mit den langen blonden Haaren sah sehr hübsch aus, sie gab sich bescheiden und war schlicht gekleidet.
Stirnrunzelnd schloss er die Tür.
Irgendwie traute er ihr nicht so recht.
Die junge Dame schien nicht gerade mit Reichtum gesegnet zu sein. Wie hatte sie seine Großmutter beschrieben? Gutherzig und großzügig. Das stimmte, die alte Dame war schon fast zu gutherzig und zu großzügig. Und leichtgläubig obendrein. Das war mit zunehmendem Alter sogar noch schlimmer geworden. Er wurde den Verdacht nicht los, dass diese Miss Ross, die so harmlos und unschuldig wirkte, seine Großmutter um den Finger gewickelt und finanziell ausgenommen hatte. So etwas hatte er früher schon einmal erlebt.
Andererseits war Mama Celeca das reinste private Eheanbahnungsinstitut. Es war ebenso gut möglich, dass sie ihm die junge Dame geschickt hatte, weil sie der Meinung war, dass sie gut zu ihm passen würde. Jedes Mal, wenn er sie besuchte, versuchte sie ihn mit einem „netten italienischen Mädchen“ zu verkuppeln. Vielleicht war es auch in diesem Fall so?
Natürlich hätte er die junge Frau einfach wegschicken können, aber er war neugierig und hatte ja noch ein wenig Zeit übrig. Das Taxi würde mindestens noch zehn Minuten auf sich warten lassen.
Bewundernd schaute Bailey sich in dem geräumigen, mit edlen Antiquitäten eingerichteten Haus um. „Das ist ja wirklich prachtvoll hier, Dr. Celeca“, murmelte sie beeindruckt. „Fast wie ein Märchenschloss. Als ob jeden Moment eine Prinzessin die Treppe herunterkäme.“
Er lächelte. „Wohl kaum. Ich wohne allein hier.“
Das schien sie nicht zu überraschen. „Ja, Mama hat erwähnt, dass Sie Single sind.“
„Hat sie es nur beiläufig erwähnt oder in jedem zweiten Satz wiederholt?“
„Wenn Sie so fragen … sie hat durchblicken lassen, dass ein kleiner Urenkel – oder am besten gleich mehrere – sie sehr glücklich machen würde.“
Da wird sie sich noch gedulden müssen, dachte er. Schließlich habe ich keine Heiratspläne. Und was Kinder angeht – da habe ich schon beruflich so vielen auf die Welt geholfen. Das reicht mir fürs Erste. Mein Beruf füllt mich voll aus.
Er führte seine Besucherin ins luxuriös eingerichtete Wohnzimmer. Mit ihrem Rucksack, in Jeans und T-Shirt, wirkte sie hier merkwürdig fehl am Platz. Andererseits brachte sie ein wenig frischen Wind herein.
Konnte man ihr trauen? Hatte sie seine Großmutter übers Ohr gehauen – oder war er nur krankhaft misstrauisch? Die von ihr erwähnte Großzügigkeit musste sich ja nicht zwangsläufig auf materielle Dinge beziehen.
„Wo führt Ihre Reise Sie denn zuerst hin?“, fragte Bailey, während sie sich in einen Polstersessel sinken ließ.
„An die Westküste von Kanada“, antwortete Mateo und nahm ebenfalls Platz. „Ich treffe mich dort, wie jedes Jahr um diese Zeit, mit ein paar Freunden zum Skifahren.“ Im Laufe der Jahre war der Freundeskreis allerdings merklich zusammengeschrumpft. Die meisten waren inzwischen verheiratet, einige sogar schon wieder geschieden. Die jährlichen Treffen waren nicht mehr so ausgelassen und unbeschwert wie früher, und er musste sich eingestehen, dass er sich nicht einmal mehr wirklich darauf freute. „Anschließend geht’s nach New York, wo ich mich mit ein paar Berufskollegen treffe. Und dann weiter nach Frankreich.“
„Haben Sie auch Freunde in Paris? Meine Eltern haben dort ihre Flitterwochen verbracht. Muss eine tolle Stadt sein.“
„Ich unterstütze dort eine wohltätige Einrichtung.“
„Um welchen guten Zweck geht es denn?“
„Um Waisenkinder.“ Beim Thema Wohltätigkeit sah er seine Chance, sie auf die Probe zu stellen. Lauernd fügte er hinzu: „Ich gebe nämlich gerne.“ Als er bemerkte, dass sie sich nur mit Mühe ein befriedigtes Lächeln verkniff, erwachte sein Misstrauen erneut. „Habe ich irgendwas Komisches gesagt?“
„Nein, nein, es passt nur genau ins Bild. Mama hat nämlich ständig betont, was für ein guter Mensch Sie seien.“ Sie sah ihm tief in die Augen. „Nicht, dass ich daran gezweifelt hätte.“
Ihr Lächeln war entwaffnend. Diese junge Frau war entweder eine besonders ausgekochte Schwindlerin – oder wirklich so nett, wie seine Großmutter ganz offensichtlich glaubte. Aber was stimmte denn nun? Das war die große Frage.
„Ja, Mama hält sehr viel von mir“, gab er zurück. „Und ich von ihr. Immer will sie den Menschen etwas Gutes tun. Sie hilft wirklich, wo sie nur kann.“
„Und sie spielt verflixt gut Briscola.“
Innerlich zuckte er zusammen. Briscola, das traditionsreiche italienische Kartenspiel. Aha! „Haben Sie um Geld gespielt?“, fragte er betont beiläufig. „Sie hat Sie bestimmt gewinnen lassen.“
Bailey runzelte die Stirn. „Um Geld? Um Himmels willen, nein. Einfach nur so. Weil sie eben gerne Karten spielt.“
Wieder musterte er sie prüfend. Sicher, sie war schlicht gekleidet – aber das goldene Armband mit zahlreichen Anhängern, das sie trug, war bestimmt sehr teuer gewesen. War es von Mama Celecas Geld bezahlt worden? Wenn er Bailey direkt danach fragte – was würde sie wohl antworten?
Plötzlich erhob sie sich, als ob ihr die Situation allmählich unangenehm würde. „Ich glaube, ich habe Sie jetzt lange genug aufgehalten. Sie wollen ja schließlich nicht Ihren Flug verpassen.“
Auch er stand auf. Es stimmte ja – auf diese Weise würde er bestimmt kein Geständnis aus ihr herauskitzeln können, und sein Taxi würde jede Minute eintreffen. Also würde er wohl nicht mehr herausbekommen, ob diese Miss Ross eine Betrügerin war oder nicht.
„Haben Sie Verwandte hier in Sydney?“, fragte er, während sie auf den Flur gingen.
„Ich bin hier aufgewachsen.“
„Ach so. Dann besuchen Sie jetzt bestimmt Ihre Eltern.“
„Meine Mutter ist vor ein paar Jahren gestorben.“
„Oh, das tut mir leid.“ Er selbst hatte seine Mutter nie kennengelernt, und der Mann, den er seinen Vater genannt hatte, war vor Kurzem verstorben. „Ihr Vater hat Sie bestimmt vermisst.“
Schweigend wandte sie den Blick ab.
Keine Mutter, dachte er, und offenbar ein mehr als schlechtes Verhältnis zu ihrem Dad. Obendrein kein Geld, wie es aussieht. Um Himmels willen, jetzt hat sie sogar mich schon fast so weit, dass ich ihr einen Scheck ausstellen möchte.
Abrupt wechselte er das Thema. „Was haben Sie denn jetzt so vor, Miss Ross? Wartet eine Arbeitsstelle auf Sie, auf die Sie nach Ihrer Auszeit zurückkehren?“
„Nein, ich habe noch keine konkreten Pläne.“
„Möchten Sie vielleicht noch mehr herumreisen?“
„Es gibt noch vieles auf der Welt, das ich mir gerne ansehen würde, aber ich schätze, ich bleibe jetzt erst mal hier.“
Er öffnete ihr die Haustür und verlor sich in ihrem offenen, freundlichen Lächeln. „Auf jeden Fall wünsche ich Ihnen alles Gute.“
„Ich Ihnen auch. Grüßen Sie Paris von mir.“
Als sie sich zum Gehen wandte, konnte er plötzlich nicht anders. Eigentlich hätte er den Mund halten sollen, aber er musste sie einfach fragen.
„Miss Ross“, rief er. Überrascht drehte sie sich um, und er ging auf sie zu. Er hatte lange genug um den heißen Brei herumgeredet, deswegen fragte er nun ganz direkt: „Hat meine Großmutter Ihnen Geld geschenkt?“
Verärgert sah die junge Frau ihn an. „Nein, sie hat mir kein Geld geschenkt.“
Er fühlte sich unsagbar erleichtert. Seine Großmutter war eine sehr wohlhabende Frau, die für sich selbst nicht viel Geld brauchte und daher liebend gern anderen half. Doch oft genug wurde die leichtgläubige alte Dame dabei ausgenutzt. Immerhin konnte er seine Reise jetzt in der Gewissheit antreten, dass diese Bailey Ross nicht zu den üblen Abzockern gehörte.
Aber Bailey war noch nicht fertig.
„Mama Celeca hat mir nur Geld geliehen.“
Mateo starrte sie entgeistert an. Hatte er mit seinem Misstrauen also doch recht gehabt! Sie hatte Mamas Gutgläubigkeit ausgenutzt wie schon so viele vor ihr. Dabei sah die junge Frau so nett und unschuldig aus! Fast wünschte er sich, das Thema nie angesprochen zu haben.
„Ach, geliehen“, wiederholte er sarkastisch. „Ein Darlehen gewissermaßen, ja?“
Ihre Wangen röteten sich. „Warum schauen Sie mich so an?“
„Nur so.“ Er zuckte mit den Schultern. „Normalerweise zahlt man ein Darlehen irgendwann zurück.“
„Ja, natürlich. Ich werde ihr alles zurückzahlen. Jeden Cent.“
„Ach ja?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Und wovon, wenn ich fragen darf? Wenn Sie doch keinen Job haben, keine Pläne?“ So, wie sie auf die Frage nach ihrem Vater reagiert hatte, war von dieser Seite offenbar auch keine finanzielle Hilfe zu erwarten.
Sie kniff die Augen zusammen. „Es werden nun mal nicht alle Menschen reich geboren, Herr Doktor.“
„Tun Sie nicht so, als wüssten Sie alles über mein Leben.“
„Ich weiß nur, dass ich keine Wahl hatte.“
„Man hat immer eine Wahl.“
„Na schön, und ich habe meine Wahl getroffen. Ich bin geflüchtet.“
Er lachte auf. Das wurde ja immer besser! „Jetzt erzählen Sie mir nicht, meine Großmutter habe Sie gefangen gehalten.“
„Nein, Ihre Großmutter nicht.“
Mateo bekam das Gefühl, er hätte genug gehört. Sie hatte von Mama Geld angenommen, das wusste er jetzt. Rechtfertigungen oder Entschuldigungen interessierten ihn nicht.
„Auf Wiedersehen, Miss Ross.“ Er wandte sich ab, um zurück ins Haus zu gehen.
„Schönen Dank, Herr Doktor“, rief sie. „Wenn ich noch einen Rest Vertrauen in die Männer hatte, haben Sie ihn soeben zerstört.“ Er drehte sich um und sah Wut und Trauer in ihrem Blick. Schließlich stieß sie hervor: „Ich hatte wirklich geglaubt, Sie wären ein Gentleman.“
„Nur in Anwesenheit einer Dame.“
Er zuckte zusammen. Das war zu hart gewesen!
„Tut mir leid“, murmelte er. „Das hätte ich nicht sagen sollen. Ist mir so rausgerutscht.“
„Interessiert es Sie denn gar nicht, warum ich flüchten musste?“, fragte sie. „Warum ich das Geld gebraucht habe?“
Er atmete tief durch. Na schön, nach seiner unbedachten Beleidigung hatte sie etwas bei ihm gut. „Also, warum haben Sie das Geld gebraucht?“
„Wegen eines Mannes, der nicht bereit war, mir zuzuhören“, erwiderte sie spitz. Ihre Augen schimmerten feucht. „Er hat einfach bestimmt, dass wir heiraten würden, und in dieser Situation hatte ich keine Wahl.“
„Sie sind verlobt?“, fragte Mateo.
„Nein. Nicht wirklich. Nicht so richtig.“
„Was soll das heißen? Ich dachte immer, verlobt zu sein ist wie schwanger zu sein. Man ist es, oder man ist es nicht.“
„Ich … ich war verlobt.“
Schweigend sah Mateo sie an. Er wurde einfach nicht schlau aus dieser Frau. Und warum hatte Mama sie zu ihm geschickt? Vielleicht weil er … Gynäkologe war?
Jetzt redete er mit ihr wie mit einer verunsicherten Patientin. „Bailey, sind Sie etwa … schwanger?“
Empört sah sie ihn an. „Nein.“
„Sind Sie sicher? Ich könnte Sie untersuchen und …“
„Natürlich bin ich sicher.“
Abwehrend hielt er die Hände in die Höhe. „Schon gut, schon gut. Aber nach Ihrer Geschichte dachte ich … Es hätte ja sein können.“
„Nein, hätte es nicht.“ Sie senkte die Stimme. „Ich habe nicht mit ihm geschlafen. Kein einziges Mal.“
Sie wandte sich zum Gehen, aber plötzlich stolperte sie. Sofort war Mateo zur Stelle und fing sie auf. Er half ihr, sich auf der Treppe vor dem Hauseingang niederzusetzen. Dabei bemerkte er, dass sie ein wenig zitterte.
Prüfend musterte er sie. Vielleicht wurde er aus ihr nicht richtig schlau, aber in einem war er sich sicher: Sie war völlig übermüdet.
„Sie brauchen dringend Schlaf“, sagte er leise.
„An Schlafmangel stirbt man nicht.“
„So schnell nicht, nein.“
Trotzdem konnte er sie nicht einfach so gehen lassen. Irgendwann würde sicher Mama Celeca anrufen und ihn fragen, ob er sich gut um ihre junge Freundin gekümmert hatte, der es in Casa Buona offenbar so schlecht ergangen war. Und das Mindeste, was seine Großmutter von ihm erwarten würde, war, dass er ihr die Gelegenheit zum Ausruhen gab, übermüdet und offenbar vom Jetlag geplagt, wie sie war. Ja, er war es Mama schuldig, sich ein wenig um die junge Frau zu kümmern.
„Wie war denn das mit diesem Verlobten nun?“
Sie schloss die Augen und atmete tief durch. „Also, ich bin mit meinem Rucksack durch Europa gereist“, begann sie. „Als ich in Casa Buona ankam, war mein Geld alle. Da habe ich Emilio kennengelernt. Ich habe einen Job in dem Gasthaus angenommen, das seinen Eltern gehört.“
Er zuckte zusammen. „Was? Emilio Conti ist Ihr Verlobter?“
„War mein Verlobter“, korrigierte sie. „Kennen Sie ihn?“
„Ja. Casa Buona ist ja nicht besonders groß.“ Und ohne Emilio würde dem Städtchen auch nichts fehlen, dachte er. „Erzählen Sie weiter.“
Sie stützte sich mit den Ellbogen auf den Knien ab. „Im Laufe der Zeit sind Emilio und ich uns nähergekommen. Wir haben viel Zeit im Kreise seiner Familie verbracht – und auch allein. Als er mir dann plötzlich gesagt hat, dass er mich lieben würde, war ich völlig platt. Ich mochte ihn, genauso wie ich seine Familie sehr mochte, weil sie alle so nett zu mir waren – als ob ich dazugehörte. Aber geliebt – nein, geliebt habe ich ihn nicht.“
Sie hielt einen Moment inne, bevor sie weitersprach. „Dann, an einem Samstag, hat er mir mitten im überfüllten Gasthaus einen Heiratsantrag gemacht. Das halbe Dorf war da. Alle lächelten, hielten den Atem an, warteten gespannt auf meine Antwort. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Ich habe kein vernünftiges Wort herausgebracht, habe herumgestottert – und plötzlich rief jemand: ‚Sie hat ja gesagt!‘ Alle jubelten wie verrückt. Bevor ich wusste, wie mir geschah, hatte Emilio mir schon den Verlobungsring an den Finger gesteckt. Tja … so war das.“
Während sie verstohlen ein Gähnen unterdrückte, fuhr das bestellte Taxi vor.
„Warten Sie mal kurz“, bat er sie, und als sie widersprechen wollte, sagte er: „Nur eine Minute. Bitte.“ Schnell lief er zum Taxi hinüber, redete kurz mit dem Fahrer und gesellte sich dann wieder zu Bailey auf die Treppe.
„Was haben Sie denn jetzt vor?“, fragte er. „Wissen Sie, wo Sie bleiben können?“
„Eigentlich wollte ich für ein paar Tage bei einer Freundin wohnen, aber sie musste unerwartet verreisen. Deshalb werde ich mir irgendwo ein Zimmer nehmen.“
„Wollen Sie wirklich Mamas Geld für ein Hotel verschwenden?“
„Ist ja nur für ein paar Tage.“
Er blickte zum Taxi hinüber, dachte an die immer kleiner werdende Anzahl von Junggesellen-Freunden in dem kanadischen Skiort – und entschied sich kurz entschlossen um. „Kommen Sie wieder mit rein“, sagte er zu Bailey.
Überrascht sah sie ihn an. „Aber … Sie wollen doch abreisen. Das Taxi wartet schon auf Sie.“
Schnell erhob er sich, lief zum Taxi hinüber, verhandelte mit dem Fahrer und steckte dem Mann ein paar Geldscheine zu. Das Taxi fuhr ohne ihn ab, und er setzte sich wieder zu Bailey auf die Treppenstufen.
„Was haben Sie denn jetzt gemacht?“
„Ach, ich hatte sowieso schon daran gedacht, den ersten Teil meiner Reise zu streichen.“ Mit einem Kopfnicken wies er zur Haustür. „Jetzt rein mit Ihnen.“
„Rein mit mir? Das nenne ich mal eine freundliche Einladung.“ Sie lächelte dünn. „Was ist Ihr nächstes Kommando? Hol’s Stöckchen?“
So, sie war der Meinung, er kommandiere sie herum? Na ja, vielleicht hatte er das ein bisschen an sich. Von seinem Beruf her war er es gewöhnt, dass die Leute ihm zuhörten und seinen Rat befolgten. Aber bei allem, was er sagte, dachte er sich auch etwas. „Sie sagten, das Geld von Mama sei ein Darlehen. Aber Sie haben kein Einkommen und wissen nicht mal, wo Sie wohnen sollen.“
„Ich finde schon was. Ich bin mir für keine ehrliche Arbeit zu schade.“
Herzhaft gähnte sie.
„Erst mal müssen Sie sich ausschlafen“, befand er. „Ich gebe Ihnen eins der Gästezimmer.“
„Was? Sie glauben doch nicht etwa, dass ich hierbleibe …?“
„Ich will Ihnen doch kein Zimmer vermieten, Bailey. Sie sollen sich nur ein bisschen ausruhen, um frische Kräfte für morgen zu sammeln.“
„Nein.“ Ihr Widerspruch klang nicht sehr überzeugend.
„Mama würde es so wollen.“ Als sie zögerte, beharrte er: „Nur ein paar Stunden Schlaf. Ich werde auch nicht gegen die Tür hämmern und Sie nerven.“
Prüfend musterte sie ihn. „Versprochen?“
„Pfadfinderehrenwort.“
Erschöpft ließ sie die Schultern sinken und stimmte zu. Eigentlich hatte er gehofft, sie würde ihm noch ihr bezauberndes Lächeln schenken, aber sie murmelte nur etwas vor sich hin und ließ sich von ihm ins Haus führen.
Sie nahmen die Treppe in den ersten Stock, und Mateo zeigte ihr das prächtige Gästezimmer.
„Nebenan ist ein Bad“, erklärte er. „Machen Sie es sich gemütlich, entspannen Sie sich. Ich bin unten, falls Sie etwas brauchen.“
Als er gegangen war, schloss sie die schwere Tür – und fühlte sich irgendwie fehl am Platz, obwohl sie selbst aus wohlhabendem Hause kam. Ihr Vater war Anwalt und besaß eine riesige Villa samt Tennisplatz und fünf Schlafzimmern. Ihre Eltern hatten immer teure Autos gefahren und jedes Jahr Luxusurlaub gemacht.
Aber eine Üppigkeit, ein Reichtum, wie dieses Zimmer ihn ausstrahlte, war selbst ihr fremd. Andererseits, dachte sie, wer braucht das schon? Geld und Luxus waren ihr nicht wichtig. Viel wichtiger fand sie, dass man wusste, wo man hingehörte. Und trotz der Sache mit Emilio, trotz ihres Vaters, hoffte sie, das eines Tages auch zu wissen.
Sie gönnte sich noch eine schöne warme Dusche, bevor sie sich ins Bett legte und sofort einschlief.
Mitten in der Nacht schreckte sie hoch. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. In ihren Träumen war sie wieder in Casa Buona gewesen; sie hatte ein Hochzeitskleid getragen, und Emilio hatte sie in einen langen finsteren Gang locken wollen. Als sie sich nun im halbdunklen Zimmer umsah, atmete sie erleichtert auf. Sie war in Sidney. Pleite, aber im Begriff, neu anzufangen.
Und im Moment befand sie sich im Gästezimmer eines starrsinnigen Mannes, den sie kaum kannte.
Mateo Celeca.
Dieser Mann, der eher wie ein Filmstar als wie ein Gynäkologe aussah, brachte sie ganz schön durcheinander! Im einen Moment glaubte sie Mama Celeca, für die ihr Enkel so etwas wie ein Märchenprinz war. Doch im nächsten Moment führte er sich wie ein ungehobelter Klotz auf und bezichtigte sie des Diebstahls. Gleich anschließend war er wieder der barmherzige Samariter, der ihr ein Nachtlager anbot. So ein Hin und Her! Nein, hätte sie gewusst wohin, hätte sie sein Angebot nicht angenommen. Allein sein bissiger Kommentar, dass sie keine Dame wäre! Ich bin zwar nicht nachtragend, dachte sie, aber ich vergesse auch nichts.
Plötzlich knurrte ihr der Magen. Jetzt gab es Wichtigeres als diesen voreingenommenen Frauenarzt. Den Gedanken an etwas Essbares.