AROMA GEMÜSE

DER WEG ZUM PERFEKTEN GESCHMACK

GEMÜSE – GENUSS FÜR ALLE SINNE

Gemüse ist unglaublich vielfältig. Es schmeckt und duftet von süß bis sauer, von bitter bis herzhaft, blumig, schwefelig, nach Schokolade oder cremig wie alter Whiskey. Es kann knackig oder samtweich sein, die Zähne stumpf machen, kühlen oder schmeicheln. Dieses Kapitel erklärt, wie wir diese Vielfalt überhaupt wahrnehmen (können).

FUNKTIONELLE GRUPPEN

CHARAKTERISIERUNG VON GERUCHSBESTIMMENDEN STOFFEN

GESCHMACK UND VIEL MEHR

DAS ZUSAMMENSPIEL ALLER SINNE

KLEINE NATURWUNDER

Warum riecht Kohl nach Kohl und Zwiebel nach Zwiebel? Wie bilden sich Gerüche in der Erde beim Wurzelgemüse und in der Luft beim Blattgemüse? Was sind „Generalisten“ und „Individualisten“? Die Antwort findet man in der molekularen Struktur der Gemüse – und das führt zu ganz neuen Ideen in der Küche.

GENERALISTEN

ÜBER ISOPREN GEBILDETE GERUCHSSTOFFE

AMINOSÄUREN IN GEMÜSE

GLUTAMINSÄURE

GEMÜSEKÜCHE

Gemüse kann man sehr vielfältig zubereiten und verzehren: roh, „pseudoroh“, fermentiert, eingelegt, blanchiert, gekocht, gebraten, gebacken, frittiert, gegrillt oder geräuchert. Das Spannende: Jedes Mal ändern sich Aroma, Geschmack und Textur. Das macht Gemüse zu den eigentlichen Stars in der Küche. Vor allem wenn man die molekularen Zusammenhänge versteht.

VERÄNDERUNG DER MIKRONÄHRSTOFFE

FODMAPS

MODERNE TECHNIKEN IN DER GEMÜSEKÜCHE

MAILLARDPRODUKTE

EINE KLEINE GESCHICHTE DES GEMÜSEANBAUS

Ohne die Erfindung des Ackerbaus gäbe es heute kein Gemüse. Und unsere Landschaften sähen völlig anders aus, wir hätten keine Städte, keine Schrift, keine Industrie. Denn Ackerbau und Gartenbau benötigen Planung, Organisation, Zusammenarbeit, Züchtung, Düngung, technische Hilfsmittel und vieles mehr. Das hat auch das Gemüse verändert. Und verändert es noch.

ENTWICKLUNG DES ACKERBAUS

DER WEG DES GEMÜSES

SO WIRD DAS GEMÜSE GENUTZT

GEMÜSE A BIS Z

Alle Arten und Sorten, die man bei uns kaufen und meistens auch anbauen kann, worin sie sich unterscheiden, wie sie sich in der Küche einsetzen lassen. Von Exoten bis zu wiederentdeckten alten Sorten, von Klassikern zu ganz neuen Kombinationen mit unserem einzigartigen Farbleitsystem und Rezepten zum Ausprobieren.

DAS FARBSCHEMA: SO FUNKTIONIERT’S

AUBERGINEN RICHTIG LAGERN

WENN HÜLSENFRÜCHTE KEIMEN

ARTISCHOCKE UND CARDY – ENGE VERWANDTE

AROMAVERÄNDERUNG BEI DER REIFUNG

BITTERSTOFFE IN GURKEN

WO SITZT WAS IN DER KARTOFFEL?

DER KARTOFFELKLOSS

KÜRBIS IST NICHT GLEICH KÜRBIS

PEKTIN IN OKRA

NACHTSCHATTENGEWÄCHSE

RETTICH ROT WEISS SCHWARZ

FARBEN BEI KOHL

SCHNITTRICHTUNG VON SALATEN

DER ALLROUNDER IN DER KÜCHE

SPARGEL – MEHR GESCHMACK

STÄRKE IN SÜSSKARTOFFELN

TOMATEN HALTBAR MACHEN

BITTERGESCHMACK DURCH GLUCOSINOLATE

NIXTAMALISATION

ANHANG

WAS PASST WOZU?

MIKRONÄHRSTOFFE IM VERGLEICH

SAISONKALENDER

REGISTER

REZEPTE-REGISTER

LITERATUR

IMPRESSUM

GEMÜSE – GENUSS FÜR ALLE SINNE

Gemüse ist unglaublich vielfältig: Es gibt Samengemüse (Hülsenfrüchte) wie Erbsen und Bohnen, Fruchtgemüse wie Gurken, Paprika, Tomaten und Kürbis, Blattgemüse wie Spinat, Mangold, diverse Salate und Grünkohl, aber auch Blütengemüse, nämlich Brokkoli, Blumenkohl oder Artischocke, Stängelgemüse wie Spargel und Chicorée, Blattstiele von Mangold und nicht zuletzt Stielgemüse wie Rhabarber, Bleichsellerie oder Stielmus. All diese Arten schmecken und duften unterschiedlich, von süß über sauer bis bitter und herzhaft, blumig, schwefelig, nach Schokolade oder cremig wie ein schwerer Whisky, sie sind knackig oder weich, wässrig oder cremig, machen die Zähne stumpf oder die Zunge rau, brennen, kühlen oder schmeicheln.

Ziel dieses Buchs ist es, Gemüse aus kulinarischer Sicht durch und durch kennen zu lernen. Wie riechen Auberginen, wie schmecken Zwiebeln, wie nehmen wir Aroma, Geschmack und Textur wahr, was ändert sich bei der Zubereitung und wie lassen sich Gemüse zu raffinierten Tellern und genussreichen Menüs zusammenstellen? Enthält das Gemüse besonders viele bestimmte Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente, werden diese am Rande erwähnt. Das Hauptinteresse gilt jedoch Geschmack und Aroma und dem daraus resultierenden großen Küchenpotenzial. Und nicht zu vergessen: Wenn das Gemüse mit Verstand behandelt wird, gut riecht und schmeckt, ist es garantiert nicht ungesund.

MIT SINN(EN) UND VERSTAND

Der Genuss von Nahrung ist vielschichtig. Viele Prozesse laufen gleichzeitig oder in kürzester Zeit ab und müssen vom Gehirn rasch zu einem Gesamteindruck zusammengefügt werden. Verfolgt man den Weg eines Stückchens Gemüse vom Anblick auf dem Teller über den ersten Mundkontakt, das Beißen und Kauen bis hin zum Schlucken, zeigt sich eine Kaskade unterschiedlicher sensorischer Ereignisse, die wir – oft unbewusst – mit all unseren Sinnen wahrnehmen. Nach dem Schlucken des Nahrungsbreis verbleiben Reste im Mund, ein Film kleidet den Mundraum aus und sorgt für den „Nachgeschmack“, bis auch dieser früher oder später verschwindet. Es macht daher durchaus einen Unterschied, ob auf einem Gemüseteller erst die Avocado und dann die Gurke gegessen wird oder umgekehrt oder sogar gleichzeitig. All diese Sinneseindrücke und -erfahrungen werden im Gehirn abgespeichert. War das Mahl exzellent, erinnern wir uns – oftmals sehr lange – an den in Gedanken abrufbaren Geruch und den Geschmack auf der Zunge.

Um zu verstehen, wie wir essen und die Nahrung wahrnehmen, ist es nötig, sich dieses Zusammenspiels unserer Sinneswahrnehmungen beim Essen bewusst zu werden. Als erste Instanz „isst“ bereits das Auge mit und prüft: Gefallen die Farben und Formen des Gemüses? Gleichzeitig werden die Ohren gespitzt, wenn es in der Pfanne brutzelt, wenn zischend flambiert wird oder es beim ersten Biss in ein frisches rohes Radieschen oder in knusprige Maischips (ganz unterschiedlich) kracht. Und manchmal weiß man sogar die haptischen Eigenschaften eines Gerichts zu schätzen – Gemüse wird oft als Rohkost zum Naschen gereicht, und selbst in der gehobenen Küche gibt es Fingerfood. Die zentrale Rolle beim Essen spielen aber Geruch, Geschmack und auch die Textur des Gemüses, die hier genauer unter die Lupe genommen werden sollen.

GERUCHSSINN UND AROMA

Was wäre ein Essen ohne Duft? Nur eine halbe Sache. Vor dem ersten Bissen prüft die Nase bereits: Riecht das Gemüse angenehm? Ungewöhnlich? Welche Erinnerungen, Assoziationen und Emotionen weckt der Duft? Wird die Speise anschließend gekaut, ermöglicht das retronasale Riechen im Rachenraum ( Seite 9) die Verbindung von Aromen mit dem auf der Zunge wahrgenommenen Grundgeschmack ( Seite 22). Doch was genau verbirgt sich hinter dem Begriff Aroma, wie funktionieren der Geruch und die olfaktorische Wahrnehmung?

RIECHEN MIT DER NASE

Die biologische Funktion des menschlichen Geruchssinns ähnelt der des Schmeckens: Gerüche warnen uns einerseits vor Gefahren. So kann der Mensch faulige Gerüche schon bei äußerst geringer Konzentration wahrnehmen, denn diese deuten auf Gifte hin. Andererseits weisen uns angenehme Gerüche auf wertvolle Stoffe hin, etwa wenn der Duft eines Gerichts uns nicht nur sprichwörtlich das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt.

Gerüche werden durch eine Vielzahl von Molekülen ausgelöst, wobei der Begriff „Vielzahl“ ernstzunehmen ist. Tatsächlich gibt es Zigtausend verschiedener Duftmoleküle, von denen wir als Menschen gar nicht alle wahrnehmen können. Für das Riechen sind spezielle Geruchsrezeptoren verantwortlich. Diese haben die Aufgabe, geruchsaktive Moleküle – Aromaverbindungen – zu erfassen. Eine als Duftmolekül erkannte chemische Verbindung kann nur an einem einzelnen, speziell für ihre Wahrnehmung bestimmten Detektor andocken, woraufhin ein Signal an das Gehirn gesandt wird, in dem die Sinneswahrnehmung als Duft interpretiert wird.

Hat der Duftstoff angedockt, wird auf der „Unterseite“ der Membran ein Ionenfluss von Natrium und Calcium ausgelöst. Dem Gehirn wird ein Duft signalisiert. (R = Rezeptor, G = G-Protein, AC = Adenylatcyclase)

Das ist natürlich eine vereinfachte Darstellung. Im Detail ist es ein wenig komplizierter, allein aufgrund der ungeheuren Vielzahl an Düften. Man nimmt an, dass die Duftstoffe, nachdem sie mit der Luft in die Nase gesogen wurden, zunächst auf der mit einem Wasserfilm (Mucus) überzogenen Riechschleimhaut von wasserlöslichen, globulären Proteinen eingefangen werden. Diese Proteine transportieren die Duftstoffe dann zu den Riechzellen. An deren Spitze sitzen die Zilien: Sie haben eine entscheidende Funktion, denn an ihnen befinden sich die entsprechenden Rezeptoren. Die Gestalt und die Funktion von Riechrezeptorproteinen wurde erst 1991 von Linda B. Buch und Richard Axel in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung aufgeklärt. 2004 erhielten die beiden dafür den Nobelpreis für Medizin/Physiologie. Sie stellten fest, dass das Auslösen eines Geruchs durch Andocken eines Duftstoffes an eine bestimmte Stelle des Rezeptorproteins erfolgt. Dabei werden kleinste atomare bzw. molekulare Kräfte verändert, was die Riechkanäle aktiviert. Diese Signale sind sehr schwach, daher müssen molekularbiologische, physiologische Verstärkungsmechanismen in Gang gebracht werden. Dennoch ist bisher nicht endgültig geklärt, wie Riechen auf molekularer Ebene wirklich vonstattengeht. Der Ansatz beruht auf dem Schlüssel-Schloss-Prinzip, wenn die Rezeptorproteine die Form der Geruchsstoffe abfragen. Darüber hinaus spielt die Dynamik eine große Rolle. Die Rezeptorproteine bewegen sich und schwingen in einer ganz bestimmten, durch ihre Struktur und Wechselwirkungen festgelegten Weise. Binden sich die Geruchsstoffe an die für sie bestimmten Aminosäuren des Rezeptorproteins, verändert sich das Bewegungsmuster der Proteine. Der Auslöser eines Geruchs ist somit auch durch mikroskopische quantenmechanische Prozesse bestimmt. Der Duft eines Mittagessens ist also eine wirklich hochkomplexe Angelegenheit, die tief in den Grenzbereich zwischen Physiologie, molekularen Wechselwirkungen und Quantenmechanik hineinreicht.

Ein Geruch wird dadurch ausgelöst, dass ein Duftstoff an eine bestimmte Stelle des Rezeptorproteins andockt, wobei kleinste molekulare Kräfte verändert werden. Als Folge verändert das Membranprotein seine Gestalt, was innerhalb der Membran wiederum „Verstärkungsprozesse“ auslöst und die Riechkanäle aktiviert.

Wichtig für die Zwecke dieses Buches ist festzuhalten: Dockt ein Duftstoff an dem für ihn bestimmten Rezeptorprotein an, werden entsprechende Nervenreize ausgelöst. Liegt keine passende Form vor, ist ein Andocken nicht möglich. Die chemische und molekulare Struktur der Duftstoffe steht also in engem Zusammenhang mit ihrem Geruch. Das ist grundlegend für die Einteilung der Düfte in acht charakteristische Duftgruppen, wie sie auf den folgenden Seiten vorgestellt wird.

ORTHONASAL – RETRONASAL: GROSSE DUFTUNTERSCHIEDE

Riechen erfolgt auf zwei verschiedene Weisen: Wird durch die Nasenöffnung an einem Lebensmittel, etwa einem Gemüse oder Gewürz, gerochen, nutzt man das „orthonasale Riechen“. Beim Kauen im Mund aktiviert man eine andere Form des Riechens: das „retronasale Riechen“. Ohne dieses wirkt das Essen fad, wie sich leicht überprüfen lässt, wenn man sich beim Kauen die Nase zuhält (oder wenn man Schnupfen hat). Das Essen „schmeckt“ zwar noch, denn die wasserlöslichen, geschmacksaktiven Substanzen lösen immer noch die Wahrnehmungen auf der Zunge aus ( Geschmackssinn und Grundgeschmack, Seite 22), aber die flüchtigen Geruchsstoffe erreichen nicht mehr den Riechkolben. Es fehlt der retronasale Geruch, der Genuss bleibt aus. Man kann das ganz einfach selbst ausprobieren: Man verbindet sich die Augen, hält sich die Nase zu und lässt sich rohen Blumenkohl und Brokkoli geben. Beim Kauen sind die beiden Gemüse nicht voneinander zu unterscheiden, da die jeweils typischen Duftcharakteristiken nicht mehr gerochen werden können. Auf der Zunge schmecken beide lediglich „bitter“.

Interessant ist dabei, dass die Duftstoffe häufig verschieden wahrgenommen werden, je nachdem, ob sie orthonasal durch die Nase oder retronasal im Nasenrachenraum erfasst werden. Identische Moleküle werden nicht nur unterschiedlich intensiv wahrgenommen, sondern lösen auch andere Duftbeschreibungen aus. Diese Erfahrungen lassen sich an einem Beispiel leicht nachvollziehen. Das Molekül (E,Z) 2,6-NONADIENAL erinnert sehr stark an Gurke und Wassermelone. Püriert man eine Gurke ohne weitere Gewürze oder Salz, riecht das Püree auf dem Teller stärker und eindeutiger nach „Gurke“, als es im Mund wirkt. Orthonasal riecht man „Gurke“ und leicht fettige, wachsige Noten, wie sie auch vom Borretsch bekannt sind. Retronasal hingegen entdeckt man bei der Gartengurke außerdem fruchtige und melonenartige Noten.

Diese Unterschiede werden im Lexikonteil dieses Buches ( ab Seite 117) kenntlich gemacht. Die Attribute der Duftmoleküle sind dort jeweils der orthonasalen () und retronasalen () Wahrnehmung zugeordnet, d. h. an erster Stelle stehen die orthonasalen, dann die retronasalen und zuletzt die oralen und die trigeminalen Eindrücke (), die der jeweilige Duftstoff hervorruft, also z.B.: (E,Z)-2,6-NONADIENAL ( grün, gurkenartig, melonenartig, fettig).

Zwei unterschiedliche Wege zur Geruchswahrnehmung: orthonasal und retronasal. Orthonasal: Duftstoffe strömen über die Luft in die Nase und treffen auf den Riechkolben, den Bulbus, und das Riechepithel. Dieses Gebilde besteht aus vielen Riechzellen, die in Zilien enden. Letztere sind von Schleim (einer protein-reichen Flüssigkeit) umgeben, der in der Lage ist, Duftstoffe zu lösen. Retronasal: Die aromatischen Verbindungen gelangen über die Mundhöhle und den Rachenraum zu den Rezeptoren.

RIECHEN IM GEHIRN

Riechen spielt sich natürlich nicht allein im Detektor Nase ab, die Signale müssen im Gehirn auch umgesetzt werden. Dazu werden die Signale verstärkt und über Nervenleitungen von den Riechzellen in das Gehirn gesendet. Dort wird der Duft zunächst mit den anderen Sinneseindrücken verbunden. Dieser Eindruck wir dann weiterverknüpft mit dem Bereich für Emotionen und demjenigen für Hormone. Dabei wird wichtig, dass jede Riechzelle mit nur einem Typus ausgestattet ist, sodass die Verschaltung zum Gehirn „einfach“ erfolgen kann.

Ähnlich wie beim Geschmack hat der Mensch ein „Geruchsgedächtnis“, d. h., er kann bekannte Gerüche einordnen und assoziiert sie sogar mit einer schönen Erinnerung – oder mit Gefahr. Allerdings existieren, wie bereits gesagt, Tausende verschiedener Düfte. Daher spielt bei der Dufterkennung auch das Sprachzentrum eine wichtige Rolle. Kann ein Duft nicht benannt werden, wird er zwar genauso wahrgenommen, aber viel ungenauer „abgespeichert“ und wahrscheinlich nicht wiedererkannt oder mit einem ähnlichen Duft verwechselt. Ein Problem stellt dabei das begrenzte Vokabular der gegenwärtigen westlichen Sprachen dar, das kaum ausreicht, um all die Duftnuancen treffend zu umschreiben. In den Sprachen mancher Naturvölker wie der Jahai gibt es ungleich mehr Geruchsadjektive, die Bewohner können Düfte ebenso leicht wie Farben benennen. In der englischen (wie auch in der deutschen) Sprache gibt es im Vergleich dazu viele Adjektive für Farben, jedoch kaum für Gerüche. Daher neigen wir bei der Duftbeschreibung zu Vergleichen und Umschreibungen wie „fuselartig“, „zimtig“ oder „frisch gemähtes Gras“.

Bisweilen fehlen auch schlicht Analogien, auf die zurückgegriffen werden kann: Der Geruch einer Gurke lässt sich tatsächlich am genauesten mit „gurkenartig“ beschreiben – ein Geruch, der auch in Melone, Borretsch und Avocados zu finden ist. Und mögen die poetischen Anflüge in Weinführern und Parfümbeschreibungen auch oft belächelt werden, einige Gerüche lassen sich einfach am besten als „grün“, „warm“ oder „schwer“ charakterisieren.

FUNKTIONELLE GRUPPEN

In der Chemie werden Moleküle gewöhnlich nicht nach Ähnlichkeiten bei ihrer Flüchtigkeit und nach ähnlichen Duftcharakteristika unterteilt, sondern gemäß ihrer funktionellen Gruppe. Für die Küchenanwendung ist das unpraktikabel, das System soll aber einmal vorgestellt werden. Die jeweilige Gruppe lässt sich oft an der Endung erkennen: Moleküle, die auf -ol enden, sind Alkohole, Ketone enden auf -on, Schwefelverbindungen auf -thiol. Diese Einteilung ist aber zu verschieden, als dass sie parallel zum Aromagruppen-System bestehen könnte.

ACHT CHARAKTERISTISCHE MOLEKÜLGRUPPEN PLUS EINS

Die große Zahl der Duftmoleküle, die in jedem einzelnen Gemüse und dazu noch in mannigfaltigen Kombinationen vorliegen, erscheint auf den ersten Blick vollkommen unübersichtlich. Sie lässt sich aber aus der Sicht der Chemie – mit kulinarischem Bezug – in acht Gruppen plus eine Gruppe, Geruchs- und Strukturfamilien, einordnen. Jede dieser Gruppen von Duftstoffen zeichnet sich einerseits durch ähnlich chemische Strukturen und andererseits durch einigermaßen abgrenzbare olfaktorische Eigenschaften aus, d. h., man kann aufgrund der Gruppenzugehörigkeit schon erahnen, wie ein Aromastoff oder ein Gemüse, das diesen enthält, wohl duften wird.

Eine genauere Kenntnis der Duftstoffe erweist sich in vielen Fällen als nützlich. So eröffnen sich über die Prinzipien des Food-Pairings und des Food-Completings ( Seite 99) ganz neue und außergewöhnliche Kombinationen, wie sie bisher, je nach Kulturkreis, kaum eingesetzt werden. Tatsächlich erlaubt das Zusammenwirken kleiner Moleküle große Effekte auf den Tellern.

Acht Gruppen beinhalten Duftstoffe – sie werden hier thematisiert. Die neunte Gruppe beinhaltet Stoffe, die für einen Schärfereiz oder einen anderen trigeminalen Effekt verantwortlich sind. Als Eselsbrücke dient die Nummer der Gruppe: Je höher sie ist, desto weniger flüchtig ist ein Duft, desto „schwerer“, „tiefer würzig“ riecht er und desto hitzebeständiger ist er. Ein Überblick über alle Aromagruppen findet sich auf Seite 16, hier im Folgenden werden sie im Detail vorgestellt.

GRUPPE 1: ALIPHATISCHE KOHLENWASSERSTOFFE, FRUCHTESTER – WACHSIG, GRÜN, PILZIG, FRUCHTIG

HEXANAL grün, blattartig, grasig, fettig, gemüseartig, apfelartig, leicht holzig

1-OCTEN-3-ON pilzig, erdig, roher Champignon, moderig, herbal, hähnchenhautartig

ETHYLBUTANOAT fruchtig, fruchtsaftartig, ananasartig, süßlich, apfelartig, eingemachtes Obst

Aliphatische (kettenförmige) Kohlenwasserstoffe bestimmen eine ganze Reihe von Grundaromen bei Lebensmitteln, Gemüse und Gewürzen. Sie sind meist von linearer Struktur und es sind häufig Fettabkömmlinge, etwa kurzkettige Fettsäuren und deren Aldehyde, Ester oder Alkohole.

Die Komplexität der Aromachemie ist bereits an den „grünen Blattduftstoffen“ zu erkennen. Der „Generalist“ HEXANAL ist ein wesentlicher Bestandteil des Duftspektrums ( Generalisten, Seite 37), das „grüne“ Gerüche wie die von Gras ausmacht. Er dominiert den Duft von Tomaten, ist aber auch Gurken, Melonen oder Kartoffeln zu eigen und findet sich außerdem in grünen Äpfeln, Orangen, Olivenöl, Bananen, Trauben, Ananas oder in (grünen) Tees sowie in den Blütenblättern vieler Blumen. Kein Wunder also, dass sich daraus naheliegende Ansätze zum „Food-Pairing“ (Seite 99) ergeben. Ein weiterer „Generalist“ ist das nach Champignons duftende 1-OCTEN-3-ON, das zahlreichen Gemüsen einen Hauch „Pilz“ verleiht. Auch Geruchsstoffe wie das Gurkenaldehyd (E,Z)-2,6-NONADIENAL sind typische Vertreter dieser leicht flüchtigen Aromen. Aufgenommen in die Gruppe 1 wurden außerdem Fruchtester, die für viele fruchtige Düfte, etwa bei Melonen, Äpfeln, Süßkartoffeln, Tomaten, Papaya oder Brotfrucht, eine wichtige Rolle spielen. Ihr Molekulargewicht ist ähnlich, die Flüchtigkeit ebenso. Typische Beispiele sind ETHYLBUTANOAT, das fruchtig riecht und in Richtung Ananas deutet, sowie AMYLACETAT, ein Ester der Essigsäure, der stark nach Banane duftet und sich in Melone und Pepito findet.

GRUPPE 2: LINEARE SCHWEFEL- UND STICKSTOFFVERBINDUNGEN – SCHWEFELIGE, STECHENDE DÜFTE NACH KOHL, ZWIEBELN UND MEERRETTICH

METHANTHIOL schwefelig, gekochter Kohl, lauchartig, ölig, gekochte Eier, schweißig

DIMETHYLSULFID schwefelig, zwiebelartig, radieschenblätterartig, kohlartig, fischartig, maisartig, spargelartig, ein Hauch gekochte Milch/Sahne

4-(METHYLTHIO)BUTYLISOTHIOCYANAT schwefelig, stechend, brokkoliartig, rettichartig, kohlartig

Eine weitere Gruppe (die in den ersten Auflagen von „Aroma — Die Kunst des Würzens“ noch in die erste Gruppe integriert war) umfasst die einfachen schwefeligen Duftstoffe, die eine ähnliche Molekularstruktur aufweisen wie die Aromen in Gruppe 1. Sie spielen in Lauch, Zwiebel, Schnittlauch, Rucola, Kressen und in allen Kohlsorten die Hauptrolle und finden sich auch in vielen Rüben. „Senföle“ gehören zu dieser Kategorie. Ein typisches Molekül ist das extrem duftaktive, stark flüchtige METHANTHIOL, dessen Geruch sich nur durch ein vielschichtiges Duftattribut wie „schwefelig, knoblauchartig, gekochter Kohl, lauchartig, ölig, gekochte Eier, herzhaft-fleischartig, reifer Käse“ beschreiben lässt – kein Wunder, denn es findet sich in Gemüsen wie Blumenkohl, Brokkoli, Speiserübe, Spinat, Wurzelpetersilie und Zwiebel. Ein ebenso allgegenwärtiger und sehr duftaktiver Geruchsstoff ist DIMETHYLSULFID, das mit seinen Duftattributen „schwefelig, zwiebelartig, radieschenblätterartig, kohlartig, fischartig, maisartig, spargelartig, ein Hauch gekochte Milch/Sahne“ einen Großteil der Gemüse und Lebensmittel aufzählt, deren Duft es mehr oder weniger stark mitbestimmt. Es kommt in zahlreichen Gemüsen bereits roh vor (u. a. Blumenkohl, Chinakohl, Grünkohl, Haferwurzel, Kartoffel, Tomate, Zwiebel), in anderen – etwa in Aubergine, Fenchel oder Hülsenfrüchten – und in tierischen Lebensmitteln wie Eiern und Milch entsteht es erst beim Erhitzen. In vielen Gemüsen tritt es zusammen mit dem „Generalisten“ ( Seite 37) METHIONAL auf und zeigt typische „gekochte“ Gerüche. Ein weiterer Vertreter ist DIALLYLDISULFID mit seinem schwefeligen Duft, der an Lauch und Zwiebeln, in höheren Konzentrationen auch an Meerrettich erinnert.

In dieser Gruppe werden Isothiocyanate mit eingeschlossen. Moleküle mit diesen S=C=N-Gruppen sind in Kohl- und Zwiebelgewächsen häufig zu finden. Sie weisen neben den typischen Schwefeldüften stechende Komponenten auf, wie sie in Rettichen und Radieschen, aber auch in Senfblättern, Mizuna und Rucola vorkommen, beispielsweise das 4-(METHYLTHIO)BUTYLISOTHIOCYANAT. Viele Moleküle dieser Gruppe weisen neben ihrer Geruchsaktivität eine stark trigeminale Wirkung auf, die sich in schmerzenden Kältereizen äußert.

GRUPPE 3: ACYCLISCHE TERPENE – ZITRUSARTIG, FRUCHTIG, BLUMIG

LINALOOL floral, zitrusartig, rosenholzartig, grün, orangenartig, zitronenartig, leicht wachsig, holzig

MYRCEN würzig, floral, balsamisch, kräuterartig, holzig, möhrenartig, fruchtig, mangoartig

Die Gruppe der acyclischen Terpene (ohne Ringstruktur) bestimmt den Großteil der leicht flüchtigen blumigen Aromastoffe. Moleküle dieser Familie duften nach Blumen, Rosen und Zitrusfrüchten. Ein typischer Vertreter ist etwa das florale und nach Zitrusfrüchten duftende LINALOOL. Diese Duftstoffe kommen in erster Linie in den verschiedensten Kräutern und Gewürzen vor, finden sich aber auch in Gemüse, etwa in Tomaten, in Taro und im Hintergrund mancher Kartoffelsorten. In süßlich anmutendem Wurzelgemüse, etwa der Kerbelrübe, sind diese Blütenduftstoffe ebenfalls zu finden. MYRCEN, das holzig und nach Blüten duftet, findet sich in Avocado, Chinakohl, Erbsen, Rhabarber, Speiserübe, Wurzelpetersilie, in der Fenchelknolle oder in Kaktusfeigen, in der Kichererbse und in Karotten. Das nach Zitrusfrüchten und gleichzeitig nach Kiefernharz riechende OCIMEN spielt nicht nur in blumig wirkenden Kräutern, etwa Basilikum oder Lavendel, eine wesentliche Rolle, es findet sich auch im Duft von Pastinaken und Zucchini. Auch bei den acyclischen Monoterpenen verändern kleine Modifikationen der chemischen Strukturen den Geruch. Der Monoterpenalkohol GERANIOL riecht blumig, das Aldehyd Geranial zitronenartig – nur, weil sich eine funktionelle Endgruppe ändert.

GRUPPE 4: CYCLISCHE TERPENE – BALSAMISCH, KAMPFERARTIG, HOLZIG

α-PINEN herbal, kampferig, pinienartig, stark holzig, erdig, terpentinartig, holzig-würzig

1,8-CINEOL herbal, eukalyptusartig, kampferig, minzig, trigeminal kühlend

Die Gruppe der cyclischen Terpene lässt sich unterteilen in einfache monocyclische Terpene (eine Ringstruktur) und in höhercyclische Terpene (mehrere Ringstrukturen). Diese Unterteilung ist in der organischen und Naturstoffchemie nicht zwingend erforderlich, mit Blick auf kulinarische Anwendungen allerdings durchaus sinnvoll. Monocyclische Terpene sind in den meisten Kräutern und vielen Gewürzen enthalten. Sie sind, ähnlich wie die acyclischen Terpene, relativ leicht flüchtig und daher für den ersten nasalen Dufteindruck bestimmend. Sie duften „terpentinartig“, nach Minze und mitunter „würzig“ und sind in ihrem Duft daher schon etwas „schwerer“ als die acyclischen Monoterpene. Ein typischer Vertreter ist der Monoterpenalkohol MENTHOL, der neben seinem minzigen Duft noch trigeminal kühlende Wirkung aufweist. TERPINOLEN und beide Isomere des PHELLANDREN sind in vielen Gemüsen duftbestimmend, vor allem in Wurzelgemüse wie Karotte, Pastinake, Topinambur, Wurzelpetersilie, aber auch in Blattsalaten. Des Weiteren sind α-PINEN und β-PINEN wichtige Vertreter, sie kommen in Bohne, Fenchel, Grünkohl, Karotte, Kartoffel, Kerbelrübe, Kichererbse, Kürbis, Papaya, Pastinake, Sellerie, Speiserübe, Topinambur und Zucchini vor. Diese mono- und bicyclischen Terpene sind häufig auch für kampferartige, leicht holzige und harzige Aromen verantwortlich. Die Moleküle sind komplexer aufgebaut und in ihrer Struktur reichhaltiger. Manche dieser Terpene lösen angenehme trigeminale Reize im Temperaturbereich zwischen 30 °C und 38 °C aus, also in dem üblichen „Wohlfühlbereich“, aber auch in dem für den Mund angenehm kühlen Bereich zwischen 18 und 27 °C, wie das MENTHOL der Minze. Derartig trigeminale Reize sind, wenn sie gezielt eingesetzt werden, ein willkommener Mehrwert. Ein weiterer wichtiger Vertreter ist 1,8-CINEOL, das im Geruchsspektrum von Erbse, Fenchel, Gartenbohne, Kerbelrübe, Linse, Okra, Rotkohl und Zucchini vorkommt. Bicyclische Terpene definieren im Gemüse harzige, kräuterige Duftnoten. Sie sind aromaführend in Blattsalaten, deutlich zu riechen im Löwenzahn, Mangold und Spinat, aber auch in vielen Wurzelgemüsen, wie Karotten, Pastinaken, Sellerie, Topinambur oder Wurzelpetersilie.

GRUPPE 5: SESQUITERPENE – DUNKEL, SCHWER-FLORAL

α-CARYOPHYLLEN holzig, süßlich-herbal, kampferig, leicht pfefferig, mit Zitrushintergrund

α-BISABOLEN holzig, fruchtig, zitrusartig

Sesquiterpene sind von ihrer Struktur her noch komplexer und damit noch weniger flüchtig. Bei den Gerüchen herrschen dunkle, warme Töne vor, wie sie in der Küche etwa mit Gewürznelken und Pfeffer oder auch Rosmarin assoziiert werden können. Zu dieser Gruppe gehören monocyclische Biterpene wie BISABOLEN oder die Sesquiterpene CARDINEN und CARYOPHYLLEN, die durch harzige bis erdige Töne bestechen. Sesquiterpene spielen in vielen Wurzelgemüsen eine wesentliche Rolle, etwa in Karotten, Pastinaken, Sellerie, Speiserüben und Schwarzwurzel. Auch die Haferwurzel verströmt im gegarten Zustand einen hohen Anteil an diesem von Sesquiterpenen verursachten holzigen, würzigen Duft, der im Geschmack die Erwartung an einen deutlichen Bitterton auslöst. In Salaten, wie Kopfsalat, Frisée und Löwenzahn, ist der Sesquiterpenanteil im Geruch ebenfalls sehr stark. Lineare Sesquiterpene, wie NEROLIDOL, FARNESOL oder DAMESCENON liefern floral-holzige und würzig-beerenartige Düfte, wie sie von Rosen, Rosenholz oder Waldblüten bekannt sind. Diese findet man in der Roten Bete, der Kerbelrübe oder den Kaktusblättern, in Rhabarber, Papaya, Süßkartoffeln und Tomatillos.

GRUPPE 6: AROMATEN – TIEF UND AROMATISCH

PHENYLACETALDEHYD aromatisch, grün, honigartig, floral, hyazinthenartig, kakaoartig, schokoladig, leicht erdig

BENZYLISOTHIOCYANAT aromatisch, brunnenkresseartig, medizinal, ölig, meerrettichartig

Der Begriff der „Aromaten“ hat zunächst wenig mit dem alltäglichen Begriff „aromatisch“ zu tun. In diesem Buch wird der Begriff „aromatisch“ stets im Zusammenhang mit Molekülen einer bestimmten chemischen Struktur, dem Benzolring, verwendet. Die Intensität der Gerüche aus dieser Gruppe ist noch stärker, sie werden als „schwer“, „tief“, „rauchig“, „nussig“, „phenolisch“ oder „bitter“ beschrieben – wobei besonders „bitter“ im übertragenen Sinne zu verstehen ist, denn „bitter“ ist eine Geschmacksrichtung, die mit Aromen zunächst einmal nichts zu tun hat – oder eben kurz: als „aromatisch“.

Paradebeispiel für eine duftintensive aromatische Verbindung ist das BENZALDEHYD, das den typischen Geruch von Bittermandeln erzeugt. Das VANILLIN der Vanille gehört zu den Aromaten, ebenso wie ANISALDEHYD, das in Anis, aber auch in Fenchel, Bambussprossen, Kochbananen und sogar Gartenbohnen vorkommt. Diese Auflistung zeigt, wie breit das Spektrum der Aromaten ist.

Weitere Vertreter sind das aromatisch-grün und nach Honig, Kakao und Schokolade duftende PHENYLACETALDEHYD, das sich in zahlreichen und so unterschiedlichen Gemüsearten wie Artischocke, Chinakohl, Kartoffel, Papaya und Gurke findet, und das BENZYLACETAT, das das „chemisch“ aromatische Grundmuster vieler (süßer) Melonensorten definiert. Das terpentinartige P-CYMOL lässt sich in Kartoffeln und Kichererbsen erahnen, das kampferartig und balsamisch duftende METHYLSALICYLAT ist vor allem in der Kerbelwurzel, Speiserüben und Tomatillos sehr präsent.

Typische Raucharomaten, wie GUAIACOL, Kresole, 4-VINYLGUAIACOL oder NAPHTALIN finden sich in Linsen, Lotuswurzeln, in Feldsalat, Gemüsepaprika oder Tomatillos. In vielen Fällen bilden sich Aromaten erst nach dem Erhitzen, beim Kochen und Braten aus. In geräucherten Lebensmitteln und Gemüsen, auch in jenen, die bei Tisch mit der Räucherpfeife geräuchert werden, gehören die Aromaten zu einer Hauptkomponente des „Gewürzes“ Rauch. Beim Erhitzen bilden sich außerdem häufig aromatische Schwefelstoffe. Sie verbinden eine lineare Kette mit einem Benzolring (und werden deswegen nicht zur Gruppe 2 gezählt). Ein typischer Vertreter ist BENZYLISOTHIOCYANAT, das mit seinen Attributen „aromatisch, brunnenkresseartig, medizinal, ölig, meerrettichartig“ auf eine eindrucksvoll riechbare Weise die „Aromatik des Benzolrings“ mit typischen Gerüchen der Schwefel-Stickstoffverbindungen aus der Gruppe 2 verbindet. Des Weiteren fügt es leichte trigeminale Reize bei.

CHARAKTERISIERUNG VON GERUCHSBESTIMMENDEN STOFFEN

1. ALIPHATISCHE KOHLENWASSERSTOFFE

(z. B. (Z)-3-Hexenal, Decanal, (E,Z)-2,6-Nonadienal)

GERUCHSTYP grün, wachsig, fettig, fruchtig

GEWÜRZE Weizengras, Olivenöl

GEMÜSE Okra, Avocado, Aubergine, Gurke, Artischocke, Papaya, Tomate, Zichorie

2. SCHWEFEL- UND STICKSTOFFVERBINDUNGEN

(z. B. Dipropylsulfid, Alliciin, Methional, Nitrile)

GERUCHSTYP schweflig stechend, kohlartig, zwiebelartig

GEWÜRZE Kala Namak, Schnittlauch, Knoblauch, Kresse

GEMÜSE Lauch, Spargel, Zwiebel, Rettich, Salate, Kohl

3. ACYCLISCHE TERPENE

(z. B. Citronellol, Geranial, Geraniol, Linalool, Nerol, Myrcen)

GERUCHSTYP floral, zitronenartigleicht blumig, rosenartig, lavendelartig

GEWÜRZE Zitronengras, Lorbeer, Rose, Bohnenkraut, Basilikum, Oregano, Minze, Salbei

GEMÜSE Kaktusfeige, Karotte, Fenchel, Erbse, Tomate, Tomatillo, Melone

4. CYCLISCHE MONOTERPENE

(z. B. Borneol, 3-Caren, Carvon, 1,8-Cineol, Fenchon, Limonen, Pinen, Safranal)

GERUCHSTYP kampferartig, minzig, würzig, bitter, erdig, thymianartig

GEWÜRZE Wacholder, Rosmarin, Minze, Tannennadeln, Dill, Thymian

GEMÜSE Okra, Topinambur, Brokkoli, Schwarzwurzel, Sellerie, Rote Bete

5. SESQUITERPENE

(z. B. Bergamoten, Bisabolol, Bisabolen, Camphen, α-Caryophyllen, β-Caryophyllen, α-Selinen )

GERUCHSTYP kampferartig, holzig, balsamisch, terpentinartig, erdig-gemüsig

GEWÜRZE Bergamotte, Kamille, Bockshornklee, Oregano

GEMÜSE Aubergine, Möhre, Salat, Kaktusblätter, Cardy, Speiserübe, Sellerie, Pastinake, Okra

6. AROMATEN

(z. B. Carvacrol, Cuminaldehyd, Benzaldehyd, Elemicin, Phenylpropan, Thymol, Vanillin, 4-Vinylguaiacol)

GERUCHSTYP aromatisch mandelartig, anisartig, pizzaartig, thymianartig, vanillig, rauchig

GEWÜRZE Bergamotte, Eukalyptus, Majoran, Myrrhe, Harze, Mastix, Tamarinde, Vanille

GEMÜSE Avocado, Blumenkohl, Bohne, Haferwurzel, Kartoffel, Kürbis, Mangold, Rote Bete, Schwarzwurzel, Sellerie, Sojabohne, Spinat, Topinambur

7. PHENOLE, PHENOLDERVIVATE, PHENOLPROPANOIDE

(z. B. Estragol, Eugenol, Myristicin, Safrol, Zimtaldehyd)

GERUCHSTYP muskatartig, würzig, zimtig

GEWÜRZE Anis, Basilikum, Liebstöckel, Lorbeer, Oregano, Pfeffer, Muskatnuss, Zimt

GEMÜSE Blumenkohl, Haferwurzel, Karotte, Kerbelrübe, Kohlrabi, Pastinake, Schwarzwurzel, Spargel, Taro, Wurzelpetersilie

8. HETEROCYCLISCHE VERBINDUNGEN

(z.B. Butylphtalid, Coriandrin, Cumarin Furfural, Penthylfuran, Perillen, Pyrazin, Sesamol, Sotolon)

GERUCHSTYP brotrindenartig, heuartig, karamellig, holzig, nussig, röstig

GEWÜRZE Ahornsirup, Heu, Nüsse, Mohn, Sesam, Waldmeister

GEMÜSE Bohne, Kichererbse, Schwarzwurzel, Sellerie, Zichorie, Grüner Paprika, Gartenbohne, Spargel, Zuckermais Pastinake

9. TRIGEMINALREIZE

(z. B. Capsaicin, Gallussäure, Oxalsäure)

GERUCHSTYP geruchlos, trigeminal reizend, wärmend, kühlend, beißend, demineralisierend

GEWÜRZE Chili, Pfeffer, Stevia

GEMÜSE Zwiebelgewächse, Spinat

GRUPPE 7: PHENOLE, PHENOLDERIVATE, PHENYLPROPANOIDE – TYPISCHE („SCHWERE“) DÜFTE NACH ZIMT, MUSKAT & CO.

MYRISTICIN würzig, warm, balsamisch, holzig, wärmend

EUGENOL würzig, süßlich, gewürznelkenartig, aromatisch, holzig, pimentartig, warm-würzig

Phenylderivate riechen noch intensiver, meist „öliger“ und würziger als die Aromaten. Das in Muskatnuss und Petersilie dominante MYRISTICIN ist in Wurzelgemüsen wie Haferwurzel, Karotte, Kerbelrübe, Pastinake, Schwarzwurzel, Spargel, Taro und natürlich Wurzelpetersilie duftbestimmend. EUGENOL, das den Duft von Gewürznelken prägt und ebenfalls in Piment und Zimt, Lorbeerblättern, Basilikum, Muskatnuss und deren Blüte Macis vorhanden ist, sorgt für die würzige, eher schwer empfundenen Düfte. Man findet es in vielen Gemüsen, angefangen von der Artischocke über Blumenkohl, Gemüsepaprika und Kerbelrübe bis hin zur eher matt wirkenden Zucchini. ESTRAGOL gibt vor allem den Kräutern Estragon, Kerbel und Basilikum die Grundaromen, aber auch der Fenchelknolle und Tomaten.

GRUPPE 8: HETEROCYCLISCHE VERBINDUNGEN, KOHLENWASSERSTOFFE, AMIDE UND MAKROZYKLEN – RÖSTAROMEN, NICHT NUR AUS DER PFANNE

FURFURAL süßlich-röstig, brotartig, nussig, karamellig

2-METHOXY-3-ISOBUTYLPYRAZIN würzig grün, erbsenartig, bohnenartig, grüner Paprika

Die letzte Gruppe der Duftstoffe besteht vor allem aus Röstaromen. Cyclische Moleküle weisen immer eine ringförmige Struktur auf. Im Unterschied zum Benzolring bei Aromaten und Phenylpropanoiden sind bei Heterozyklen nicht nur Kohlenstoffatome, sondern auch Sauerstoff, Schwefel- oder Stickstoffe eingebaut.

Diese tiefen, röstigen Aromen können schon von vornherein in einem Gemüse vorkommen oder bei praktisch jedem Erhitzungsprozess über Karamellisierungsvorgänge und Maillardreaktion ( Seite 94) entstehen. Einer der bekanntesten Vertreter ist das MALTOL, das beim Karamellisieren von Zucker entsteht und eine süßliche, malzige Karamellnote aufweist. Ein weiteres Beispiel ist das SOTOLON, das in Bockshornklee und Liebstöckel vorkommt und charakteristisch für Knollensellerie ist. Besonders im gekochten Zustand verhilft es der Wurzel zu ihrer typischen Karamellnote. Ein Grund mehr, Sellerie zum Schmoren und als „vegetales“ Röstgemüse zuzugeben. Viele von den Aromen, die beim Rösten entstehen, sind bereits im Rohzustand vorhanden. FURFURAL trägt zum Beispiel bei Gewürznelken zu den dunklen Noten bei, CUMARIN erzeugt den Duft von Heu und gibt getrocknetem Waldmeister seinen charakteristischen Geruch. In Gemüse spielen sie vor allem in zuckerreichen Sorten wie Avocado, Kichererbse, Okra, Rote Bete, Süßkartoffel, Taro, Tomate und Tomatillo eine große Rolle. Sie entstehen auch direkt aus den verschiedenen freien Pflanzenzuckern. CUMARIN ist nicht nur vorherrschend in Tonkabohnen und Waldmeister, sondern auch eine wesentliche Komponente im Rettich- und Radieschenkraut. In höheren Konzentrationen sind übrigens alle der hier dargestellten Verbindungen gesundheitsschädlich. Allerdings sind die Konzentrationen in der Küche meist derart niedrig, dass diese Diskussionen hier nicht ernsthaft geführt werden müssen. Zu den Heterozyklen gehören außerdem die Pyrazine; beispielhaft sei hier das 2-METHOXY-3-ISOBUTYLPYRAZIN genannt, das grünem Gemüsepaprika seinen erdigen Duft gibt und auch im Wein, etwa Sauvignon Blanc, typisch ist. Die Gruppe 8 ist damit für Röststoffe, aber auch für erdig-würzige Aromen verantwortlich.

GRUPPE 9: TRIGEMINUSREIZ

CAPSAICIN trigeminal scharf

GALLUSSÄURE stark adstringierend

Für die trigeminale Wahrnehmung sind nichtflüchtige Moleküle auch abseits der Geschmackseigenschaften von zentraler Bedeutung. Die bekanntesten Vertreter sind das Alkaloid CAPSAICIN, das in manchen „scharfen“, roten Paprikasorten auftritt (und im Chili vorherrschend ist) sowie PIPERIN. Von beiden Stoffen gibt es mehrere Isomere und Derivate. Sie sorgen für einen trigeminalen Wärmereiz im Mund. Die Wahrnehmung dieser Moleküle erfolgt nicht über Geschmacksknospen, sondern über den zentralen Hirnnerv, den Nervus trigeminus, der für Wärme, Kälte und Schmerzreize empfindlich ist. Wie die trigeminalen Reize entstehen und welche Bandbreite an sensorischen Empfindungen sie umfassen, wird weiter unten ausführlicher dargestellt ( Trigeminus, ein unterschätzter Reiz, Seite 28).

Einige der Geruchsstoffe der Gruppen 1 bis 8 sind nicht nur geruchsaktiv, sondern auch stark trigeminal reizend. Sie lösen orthonasal, retronasal und sogar oral Wärme (z. B. EUGENOL) oder Kühlereize (z. B. MENTHOL) aus, wirken adstringierend (BISABOLEN) oder stechend (ESSIGSÄURE). Einige Schwefelstoffe aus Gruppe 2 verursachen einen starken Schmerz und wirken extrem kalt. Diese Moleküle werden im Gemüse-A-bis-Z in der Liste der Aromen eigens mit einem hochgestellten „T“ markiert, das auf den Trigeminalreiz hinweist, damit man diesen jeweils „würztechnisch“ und kochtechnisch nutzen kann.

Der neunte Kreis in unserem Farbschema, der „Trigeminalkreis“, kann also von zwei verschiedenen Molekülgruppen aktiviert werden: zum einen von diesen mit „T“ gekennzeichneten, trigeminal wirkenden Aromen und zum anderen von speziellen nicht flüchtigen Verbindungen (die keine Aromen sind und jeweils nur im Fließtext, nicht in der Aromenliste auftauchen) wie Capsaicin, Gallussäure oder anderen gemüsetypischen phenolischen Verbindungen, die für eine starke Adstringenz verantwortlich sind.

FLÜCHTIGKEIT UND LÖSLICHKEIT

Alle Gerüche sind mehr oder weniger flüchtig. Nur weil sie aus den Pflanzen austreten und in die Luft schweben, können sie überhaupt in die Nase gelangen und dort gerochen werden. Wie schnell das geht, hängt von drei Faktoren ab: von der Molekülgröße, der Temperatur und dem Lösungsmittel. Kompliziert aufgebaute Moleküle sind weniger flüchtig als „einfache“, deren Anzahl an Kohlenstoffatomen unter 16 bis 20 liegt. Schwefelige und blumige Aromen sind beispielsweise leicht flüchtig: Eine angeschnittene Knoblauchzehe duftet sofort und sehr intensiv, ist aber schon nach kurzer Zeit „ausgeraucht“. Tiefe, erdige, warme Noten – etwa Gewürznelken – duften weniger stark, dafür länger anhaltend. Hinzu kommt, dass bei höheren Temperaturen die Molekülgeschwindigkeit und damit die kinetische Energie steigt. Der Zusammenhang zwischen Hitze, Geschwindigkeit und Energie wird „thermische Energie“ genannt. Übersteigt diese Energie eine bestimmte Schwelle, dampfen Aromen ab. Bis zu einer bestimmten Temperatur kann man das verzögern: Damit Düfte beim Kochen, Braten oder Backen im Gericht verbleiben und nicht in die Umgebung verdampfen, muss man den Molekülen ein gutes Lösungsmittel anbieten – wobei „gut“ in diesem Fall nicht nur die Löslichkeit meint, sondern auch, dass das Mittel außerdem wohlschmeckend und verträglich ist. Für den Gebrauch in der Küche qualifizieren sich daher nur Wasser, Fett und Ethanol (Alkohol).

Der Fachbegriff „Lösungsmittel“ umschreibt die Fähigkeit des Festhaltens: Die Moleküle der Flüssigkeiten bilden eine Schale um jedes einzelne Duftmolekül und trennen sie dadurch voneinander – daher der Begriff „lösen“. Auch an der Oberfläche trennt sie ein dünner Film von der Luft, sodass sie nicht so leicht davonschweben können. Im Mund werden sie dann retronasal wahrgenommen.

Die Molekularstruktur der Aromen bestimmt die Löslichkeit der Stoffe in verschiedenen Lösungsmitteln. Der Satz klingt wie aus einem Lehrbuch der physikalischen Chemie, ist aber von großer Bedeutung für jede Küchenanwendung. Als Faustregel lässt sich festhalten: Die meisten Aromen lösen sich in Fett, einige in Alkohol, Geschmacksstoffe lösen sich in Wasser. Wie gegensätzlich diese Lösungsmittel sind, lässt sich schon allein daran erkennen, dass sich Fett und Wasser selbst nicht mischen. Der Grund liegt in den molekularen Eigenschaften: Wassermoleküle sind polar, Fettmoleküle (Triacylglyceride) vollkommen unpolar.

DUFT AN DER RICHTIGEN STELLE

Dünstet man Rosenkohl in Wasser, erfüllen schnell typische Kohlaromen die Küche. Der Grund: Aromastoffe lösen sich nur bedingt im Wasser, bei höheren Temperaturen immer schlechter, und flüchten in die Luft. Wird Rosenkohl hingegen mit Öl bedeckt „gedünstet“, sprich konfiert, lösen sich die Aromaverbindungen im Öl. Die Küche „duftet“ weit weniger nach schwefeligem Kohl und die im Öl gelösten Aromastoffe wandern genau dorthin, wo sie hingehören: in den Mund. Mit jedem Tropfen Öl werden beim „oralen Prozessieren“, also beim Kauen, die Aromastoffe wieder freigegeben und retronasal wahrgenommen. Öl, Fett und Gemüse gehören unbedingt zusammen, allein wegen der sensorischen Bedeutung und zum „Aufsammeln“ und „Speichern“ der flüchtigen, wasserunlöslichen Aromen.

Die Gegensätze in der Küche: Wasser (blau) und Fett. Wassermoleküle sind polar, d. h. auf der Sauerstoffseite leicht negativ, auf der Wasserstoffseite leicht positiv geladen. Dadurch können nur polare oder elektrisch geladene Stoffe in Wasser gelöst werden. Fett ist apolar.

AROMA IM KOCHWASSER: GEMÜSEBRÜHEN Natürlich duften Gemüsebrühen nach Gemüse oder das Spargelkochwasser intensiv nach Spargel. Der Grund ist einfach: Sie riechen stark, weil die Aromen das Wasser nicht mögen und so rasch wie möglich flüchten. Dennoch können sie sich unter bestimmten Verhältnissen auch in Wasser „lösen“. Dabei hilft die – den unpolaren Aromastoffen eigentlich ja hinderliche – Polarität des Wassers. Da die Wassermoleküle polar sind, orientieren sie sich so zueinander, dass sich ihre positiv geladene Wasserstoffseite dem nächsten negativ geladenen Sauerstoffteil zuwendet: Gegensätze ziehen sich an. Daher können unpolare Aromenverbindungen von einem Wasserkäfig umschlossen und so im Wasser gehalten werden. Diese Einbindung ist allerdings instabil. Moleküle, die sich in der Nähe der Wasseroberfläche befinden, verflüchtigen sich, denn die gasförmige Luft ist für diese unpolaren Stoffe ein weit besseres Lösungsmittel als das polare Wasser. Sie treten aus und „duften“.

Wassermoleküle bilden um unpolare Aromaverbindungen „Käfige“ und halten sie so fest. Solange die Duftmoleküle nicht zu Tropfen kondensieren, bleiben sie „gelöst“.

Die Flüchtigkeit einer hydrophoben Aromaverbindung in Wasser. Zwar hält der Käfig die Verbindung im Wasser fest (links), an der Oberfläche jedoch wird der Käfig aufgebrochen (Mitte). Das Molekül ist jetzt dem „besseren“ Lösungsmittel Luft ausgesetzt und wird so flüchtig. Es steht jetzt dem orthonasalen Riechen zur Verfügung.

Die Flüchtigkeit der Aromen ist ein großes Problem, da in den meisten Fällen die Gartemperaturen hoch sind. Daher ist es von Vorteil, eine ausreichende Menge an Lösungsmittel während des Garens zur Verfügung zu stellen, im besten Fall Fett, denn dessen Moleküle (Triacylglyceride) sind sehr groß und schwer. Sie können während des Kochens nicht verdampfen und haben daher einen hohen Siedepunkt. Fette lösen viele Aromen, deshalb ist Fett ein „Aromaträger“ und kein „Geschmacksträger“ ( Gemüseküche, Seite 60).

WAHRNEHMUNGSSCHWELLE, GERUCHSADAPTION UND AROMAWERT

Wie intensiv die verschiedenen Duftkomponenten gerochen werden können, hängt von vielen Ursachen ab. So sind zum einen die Wahrnehmungsschwellen der Aromastoffe ganz unterschiedlich. Jeder Stoff weist eine bestimmte Konzentrationsschwelle auf, eine Anzahl von Molekülen in einem bestimmten Luftvolumen, ab der er wahrgenommen werden kann. Ist diese sehr niedrig, genügen bereits wenige Moleküle, um den charakteristischen Duft zu riechen. Die Schwelle ist nicht einfach vorherzusagen, es gibt allerdings ein paar grundsätzliche Gemeinsamkeiten. Auch hier gilt: Je größer die Moleküle sind, also je höher ihr Molekulargewicht, desto tiefer liegt die Geruchsschwelle. Dies ist physiologisch sinnvoll: Da diese Moleküle weniger flüchtig sind, müssen sie auch in geringen Konzentrationen wahrnehmbar sein. Gerüche können schließlich vor Gefahren „warnen“. Allerdings gibt es viele Ausnahmen von diesem vermeintlich klaren Sachverhalt.

Neben der Wahrnehmungsschwelle existiert als weiteres Phänomen die Geruchsadaption. Die Funktion der Riechkanäle ist so ausgelegt, dass immer nur die zeitliche Veränderung eines Geruchsstroms als „Duft“ wahrgenommen wird. Bleibt der Strom über längere Zeit konstant, wird er nicht mehr wahrgenommen. Wir „gewöhnen“ uns daran, adaptieren ihn – sehr gefährlich etwa beim Nachlegen eines Parfüms. Nach erneutem Einsprühen nehmen andere, die den Duft nicht adaptiert haben, den Geruch noch deutlicher wahr. Auch kulinarisch spielt die Geruchsadaption eine große Rolle: Kein Weinkenner und Sommelier hält die Nase zu lange tief ins Glas. Die Adaption verhindert schnell die Wahrnehmung feiner, flüchtiger Noten, die den Wein so reizvoll gestalten. Diese Adaption hängt übrigens von der Molekülstruktur und der Flüchtigkeit ab.

Ein dritter und entscheidender Parameter für die Duftwirkung ist der „Odor Activity Value“ (OAV). Er misst das Verhältnis zwischen der Konzentration eines Aromastoffs in einem Lebensmittel und dessen Geruchsschwelle in diesem.

Kommt etwa ein Aroma in nur geringer Konzentration vor, besitzt aber eine sehr niedrige Wahrnehmungsschwelle, wird es dennoch gerochen. Bei hohen Wahrnehmungsschwellen hingegen ist eine höhere Konzentration vonnöten, damit das Aroma überhaupt wahrgenommen werden kann – so reichhaltig es im Gemüse auch enthalten sein mag.

So ist zum Beispiel der hochaktive, grün und grasig duftende Blätteralkohol (Z)-3-HEXENOL mit seinem sehr hohen OAV in einer Vielzahl von Gemüsen vorhanden: in Aubergine, Blumenkohl, Brokkoli, Cardy, Chayote, Chinakohl, Haferwurzel, Kürbis, Pak-Choi, Papaya, Portulak, Rhabarber, Rosenkohl, Rucola, Salat, Senfkohl, Sojabohne, Speiserübe, Spinat, Taro, Tomate, Tomatillo, Zichorie und Zucchini. Während sein grasiger Duft in rohen Auberginen, Chayote und Rhabarber stark dominiert, wird er in den Kohlarten weit in den Hintergrund gedrängt. Dort bestimmen die weit duftaktiveren linearen Schwefelaromen das Aromaspektrum. Würde (Z)-3-HEXENOL