Gestorben
wird täglich
Die besten Geschichten des Pathologen Hans Bankl
maudrich
In Shakespeares Drama sind die letzten Worte des sterbenden Hamlet: “The rest is silence.”
Solches ist grundfalsch, denn über jeden Verstorbenen wird gesprochen, und vor allem Lebenswerk und Lebensende historisch bedeutender Menschen haben uns Nachfahren immer etwas zu sagen. Zwar sieht ein Arzt den Ablauf eines Lebens anders als ein Historiker, denn es werden jeweils andere Aspekte als wichtig erachtet und in den Vordergrund gerückt – die Darstellung wird also subjektiv. Genau das ist aber bei den hier vorgelegten medizinhistorischen Biografien beabsichtigt.
Das Wissen um Leiden und Sterben herausragender Persönlichkeiten des Kulturlebens ist für das Verständnis ihres Lebenswerkes von einer Bedeutung, die weit über das biografische Interesse am Schicksal des einzelnen hinausreicht. Es handelt sich ja um Personen, die uns allen etwas gebracht haben, von denen wir lernen durften und auf deren verloschenem Dasein wir weiter aufbauen können.
Die berufliche und wissenschaftliche Aufgabe eines Pathologen ist die Erfassung von Krankheits- und Todesursachen. Wenn dazu ein privates Interesse für Geschichte und historische Persönlichkeiten kommt, so ist der Weg eigentlich klar, der zu diesem Buch führte.
Wie einige andere Menschen auch, denen es vergönnt ist, ihren Neigungen nachzugehen, bin ich Sammler, jedoch auf einem besonderen Gebiet – ich sammle Todesursachen und Obduktionsprotokolle.
Es gibt nur eine Möglichkeit, mit Sicherheit zu klären, was den Tod eines Menschen verursacht hat: die wissenschaftlich durchgeführte Leichenöffnung, die Obduktion. Das ist deshalb so wichtig, weil die ärztlichen Fehldiagnosen zu Lebzeiten der Patienten bis zu 40% betragen. Im Laufe meiner 25jährigen Tätigkeit als Pathologe habe ich im Seziersaal etwa 30.000 Leichenöffnungen gesehen, einen Großteil davon selbst durchgeführt. Die genaue Zahl kann ich nicht angeben, bei 800 habe ich zu zählen aufgehört. Eine solch große Zahl an untersuchten Toten und gleichzeitig die streng morphologische Erziehung in der Wiener Medizinischen Schule berechtigen einen Pathologen zur kritischen Bewertung von Krankengeschichten und Todesursachen.
In diesem Buch habe ich versucht, an exemplarischen Beispielen von elf historischen Persönlichkeiten deren Krankheiten zu analysieren und die Todesursachen klarzulegen. In allen Fällen, wo ein Obduktionsbefund vorlag, konnte ich mich vor allem auf diesen stützen und die Krankengeschichte rekonstruieren: Dass dies nicht immer einfach war, zeigen etwa die Fälle Semmelweis, wo zwei verschiedene Obduktionsbefunde existieren, ganz zu schweigen von der Affäre um Kronprinz Rudolf und Baronesse Mary Vetsera in Mayerling, da in dieser Sache von Regierung und Kaiserhaus Österreich eine kategorische Vertuschungsstrategie durchgeführt wurde.
Im Falle Sigmund Freud stand nur eine ausführlich dokumentierte Krankengeschichte zur Verfügung, der Psychoanalytiker wurde nicht seziert, da dies keine weiteren Erkenntnisse gebracht hätte, seine Krankheit und sein Sterben waren ärztlich klar.
Hans Bankl †
Unsere Sonderedition mit neu zusammengestellten Geschichten von Hans Bankl ist viel mehr als nur eine Ansammlung von Dokumenten aus der Vergangenheit. Jedes einzelne erinnert an eine „True Crime-Geschichte“ und zeigt, dass die spektakulären Todesfälle nicht erst niedergeschrieben werden müssen, sondern schon längst passiert sind!
Wien, im Juli 2014
Das Maudrich-Team