Der Winter sandte schon einen Vorboten in Form eines schneidend kalten Ostwindes über dass Land, als sich der Ölschläger Cord Borgentrick, aus dem vor der Stadtmauer liegenden Ziegelhof wieder auf den Heimweg nach Hannover machte. Man schrieb Mittwoch, den 24. November des Jahres 1490 und Cord Borgentrick beeilte sich sehr, denn es dämmerte schon und er wusste, dasss die Tore der Stadt bereits mit Einbruch der Dunkelheit geschlossen wurden. Und wirklich, als er dass südöstliche Stadttor, dass Aegidientor erreichte, fand er dieses fest verschlossen. „Verflixt und zugenäht“, Cord hieb mit der Faust gegen dass Holztor, „was mache ich nun?“ Er blickte um sich, doch nichts als tiefe Dunkelheit umgab ihn, selbst der Mond hatte sich hinter eine dichte Wolkendecke verzogen. Und so kauerte Cord sich resigniert in eine Nische unter dem Torbogen, um wenigstens etwas vor dem schneidenden Wind geschützt zu sein. Er wickelte seinen Umhang, den er bis über den Kopf hochgezogen hatte, fest um sich und hoffte, dasss es wenigstens nicht auch noch zu schneien beginnen würde.
So verbrachte er etliche, ungemütliche Stunden, zitternd und frierend, denn die Kälte kroch unbarmherzig unter seine Kleidung. An Schlaf war nicht zu denken.
Als Cord irgendwann glaubte es nicht mehr aushalten zu können, begann es aber im Osten langsam heller zu werden. „Gott lob“, Cord erhob sich, wobei er sich am der Mauer abstützen musste, da ihm seine steif gewordenen Glieder nicht mehr gehorchen wollten. Während er versuchte, auf und ab zu gehen, um wieder etwas Wärme in seinen Körper zu bringen, glaubte er in einem der umliegenden Gärten ein Wispern und Raunen zu hören.
Sein erster Gedanke war: „O, da ist jemand, da kann ich mich vielleicht aufwärmen bis dass Tor geöffnet wird“, doch irgendetwas mahnte ihn zur Vorsichtig. Leise, den Kopf lauschend vorgereckt, näherte er sich dem Geräusch und tatsächlich da sah er hinter dichtem Gebüsch einen Planwagen stehen, aus dem aufgeregtes Flüstern drang. Vorsichtig, bemüht kein Geräusch zu machen, trat er näher. Und was er da hörte, ließ sein Herz vor Schreck schneller schlagen. Drinnen, in dem Planwagen saß niemand Geringeres als der mit Hannover verfeindete Herzog Heinrich der Ältere zu Braunschweig und Lüneburg und einige seiner Getreuen. Und dessen listiger Plan war, dass nach Öffnen des Ägidientores, der Planwagen, getarnt als Kaufmannswagen, bis unter dass Fallgitter der Stadt fahren sollte.
Dort sollte der Wagen stehen bleiben und durch einen Schuss dem wartenden Heer verkünden, dasss der Zugang zur Stadt frei wäre. „Meiner Seel´“, schnell hielt Cord Borgentrick sich die Hand vor den Mund um den Laut zu ersticken der seinen Lippen entweichen wollte, „ich muss die Stadt warnen!“ So schnell er konnte, aber mit äußerster Vorsicht schlich er sich zurück zur Stadtmauer. Denn plötzlich sah er im fahlen Licht des aufkommenden Morgens überall hinter den Büschen schlafende Landsknechte liegen, ihre Hellebarden, Piken, Arkebusen und sonstige Kriegswaffen dicht neben sich.
Und Gott sei Dank, auf einem nahen Turm erblickte er einen Wächter, den er mit fuchtelnden und winkenden Armbewegungen auf sich aufmerksam machte. Eilig verließ der seinen Posten, denn ihm war klar, dass der Mann versuchte, ihm etwas Wichtiges mitzuteilen.
Und als er dann erfahren hatte, was sich vor der Stadtmauer zusammenbraute, hastete er wieder seinen Turm hinauf und alarmierte mit einem Schuss aus seiner Büchse die Bürger der Stadt.
Ein jeder der erwachsenen Bürger, die so abrupt aus dem Schlaf gerissen wurden, wusste was dies bedeutete: „Höchste Gefahr! Ein Feind steht vor den Toren Hannovers!“ und von überall her rannten die Menschen, mehr oder weniger bewaffnet auf die Straßen und Gassen.
Doch der Schuss hatte ebenso die feindlichen Landser aus ihren Verstecken gelockt, die vermeintlich dachten, dies wäre dass Zeichen zum Sturm auf die Stadt gewesen.
Wie sehr sie sich getäuscht hatten, erkannten sie aber schnell, als von der Stadtmauer peitschende Gewehrsalven auf sie abgefeuert wurden. So schnell sie konnten, zogen sich die Feinde zurück - Hannover war gerettet und Cord Borgentrick war ein Held. Seit 2008 wird nun am 24. November alljährlich in Erinnerung an Cord Borgentrick an Personen, die sich durch ihr persönliches Engagement für Hannover verdient gemacht haben, der „Cord-Borgentrick-Stein“ verliehen. Im darauffolgenden Frühjahr wird der Stein dann in die Rasenfläche beim Dörener Turm gesetzt
In Hildesheim, ungefähr 34 Kilometer entfernt von Hannover, erzählt man sich die folgende alte Sage: An einem strahlenden Junimorgen, bat die Witwe Elsa Schlichter, die krank in einem kleinen Häuschen in der Hildesheimer Altstadt darniederlag, ihre beiden Kinder, Franz und Paula, für sie in den Hildesheimer Wald zu gehen, um dort ein Körbchen Erdbeeren zu sammeln, da ihr so der Sinn danach stand.
Gehorsam zogen die beiden los, denn sie liebten ihre Mutter sehr und wollten, dass sie bald wieder gesund werde. Sie hatten doch erst vor noch nicht einmal einem Jahr durch eine heimtückische Krankheit den Vater verloren und sie sorgten sich nun sehr, dass ihre Mutter ihm folgen könnte. Der Morgen neigte sich dem Mittag zu, die Sonne stand bereits hoch am Himmel und zeichnete wechselnde leuchtende Figuren auf den moosigen Waldboden. Die Kinder hatten ihr Körbchen gefüllt, und obwohl ihnen vor Durst fast die Zunge am Gaumen klebte, aßen sie nicht eine einzige der süß duftenden Beeren selbst. Als sie sich gerade auf den Heimweg machen wollten, kam ihnen ein sehr altes, gekrümmtes Mütterchen entgegen, das in ein grünes Gewand gehüllt war.
„Ach, Kinder,“ sprach das Mütterchen, während es sich mühselig unter lauter Ächzen und Seufzen auf einen Baumstumpf setzte, „ich bin hungrig, schrecklich müde und mein Rücken schmerzt mich sehr, so dass ich mich nicht mehr bücken kann, um selbst noch Erdbeeren zu sammeln. Ich bitte Euch darum, mir welche von den euren zu schenken.“
„Aber natürlich, Mütterchen“, antworteten die beiden braven Kinder und schütten den ganzen Inhalt ihres Körbchens dem alten Weiblein in den Schoß. Darauf wollten sie so schnell wie möglich wieder auf den Weg machen, um das Körbchen für ihre kranke Mutter erneut zu füllen. Doch das alte Mütterchen fasste nach ihren Händen und sprach: „Wartet, wartet, meine guten Kinder. Hier nehmt eure Beeren nur wieder und bringt sie eurer kranken Mutter. Ich finde schon noch welche. Aber da ihr ein so gutes Herz habt, möchte ich euch dies hier schenken.“
Mit diesen Worten reichte sie Franz eine blaue und Paula eine weiße Blume und bat die Kinder: „Achtet gut auf sie und gebt ihnen jeden Morgen frisches, reines Quellwasser.“ „Und“, dabei hob das alte Weiblein mahnend den Finger, „seid stets gut miteinander und zankt und streitet euch nicht. Denn die zarten Blüten können nur in einem Haus des Friedens und der Eintracht überleben.“
Die Kinder dankten dem alten Mütterchen mit artigen Worten und eilten schnell nach Hause. Dort erzählten sie ihrer Mutter, die krank und schwach in ihrem Bette lag, sich gegenseitig vor lauter Aufregung ins Wort fallend, von der Begegnung, die sie im Walde hatten.