Edition
Bamberger
Wortkunstverlag
2021
Andreas Ulich arbeitet als Schauspieler, Rezitator und Autor in Oberfranken. In Bamberg war er viele Jahre Ensemblemitglied am E.T.A. Hoffmann-Theater, er wurde 2015 für sein künstlerisches Schaffen mit dem Berganza-Preis des Bamberger Kunstvereins ausgezeichnet. Im selben Jahr erschien sein erster Roman unter dem Titel Zwei Raben. Mit der Erzählung Kranewitt gewann er 2016 den 1. Preis beim Schweizer Parc-Ela-Geschichten-Wettbewerb. Seine Kinder-Theaterstücke Huck und Jim – bis ans Ende des Flusses, Der Karottenkönig, Heidi und Der Nussknacker wurden in Bamberg uraufgeführt. Im September 2021 wurde sein Hörspiel Porchabella – der Vogel Freiheit veröffentlicht.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2021, Andreas Ulich, Schafgasse 15, 96237 Ebersdorf b. Coburg, Andreas.Ulich@web.de
Alle Rechte vorbehalten. Reproduktionen jeglicher Art bedürfen in jedem Fall der schriftlichen Zustimmung des Autors.
Lektorat/Korrektorat: Marion Voigt · folio-lektorat.deUmschlaggestaltung: H. G. Ludwig · hg-ludwig@t-online.de
Die Veröffentlichung dieses Romans wurde im Rahmen des Stipendienprogramms des Freistaats Bayern „Junge Kunst und neue Wege“ unterstützt.
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7557-6237-9
Für Doris und Jonathan
Ich saß beim Morgenkaffee, als das kleine Paket eintraf. Der Absender war nicht zu entziffern, aber mein Name und meine Adresse standen gut lesbar darauf. Mein erstes Päckchen! Vor Aufregung hätte ich mir beim Durchtrennen der Schnur fast mit dem Federmesser in den Finger geschnitten. Ein Buch kam zum Vorschein und ein versiegelter Brief.
Benfatto, stand darauf in schön geschwungener Schrift. Seit wie vielen Jahren hatte ich diesen Namen nicht mehr gehört? Meine Hände zitterten, als ich das Siegel erbrach und den Brief öffnete.
Berlin, am 15. Juli 1822
Mein lieber Chrysostomos,
ich wünschte sehr, ich hätte einen erfreulicheren Anlass gewählt, um Dir endlich zu schreiben, aber nun soll es eben so sein – Chrys, ich muss Dir leider mitteilen, dass mein geliebter Ehemann Ernst, dass Dein Freund, der Musikdirektor und Kammergerichtsrat Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, am 25. Juni dieses Jahres von uns gegangen ist – Gott sei seiner Seele gnädig. Es mag für ihn eine Erlösung nach langer schwerer Krankheit gewesen sein – für mich und auch für seine treuen Freunde in Berlin ist es nach wie vor schwer zu begreifen.
Ernst hatte gerade in seinen letzten Tagen viel von Dir gesprochen, und er bat mich, Dir dieses Buch zu schicken. Du findest darin ein Lesezeichen, und auf Ernsts Wunsch hin habe ich eine bestimmte Stelle markiert. Er sagte, Du wüsstest, warum.
Lieber Chrys, Du warst uns in der kurzen Zeit, in der Du bei uns lebtest, ein Sohn, Du warst das Kind, das großzuziehen uns nicht vergönnt war, und wir haben Dich nie vergessen.
Ich schicke Dir Ernsts und meinen Segen, Gott sei mit Dir, und möge das Leben gut zu Dir sein.
In liebevoller Zuneigung
Michalina Hoffmann
Meine Finger glitten über das Papier, als wenn sie eine weitere, eine verborgene Botschaft ertasten könnten, ein paar Zeilen, die mir sagten: Es stimmt nicht, er ist nicht tot. Noch einmal überflog ich den Brief, doch schon während ich las, streunten meine Gedanken in der Zeit zurück, hin zu all den Erlebnissen, die mich mit dem Musikdirektor Hoffmann und seiner Frau verbanden. Ich nahm das Buch und schlug es auf. Zwischen zwei Seiten steckte das getrocknete Blatt eines Apfelbaums. Ein Bleistiftstrich markierte die Zeilen:
Ein durchdringendes Läuten, der gellende Ruf »Das Theater fängt an!« weckte mich aus dem sanften Schlaf, in den ich versunken war …
Ich erkannte die Stelle sofort, und auch jetzt, nach so vielen Jahren, erlag ich dem Zauber der Worte. Ich las und las, bis zum Ende der Erzählung. Dann schloss ich das Buch und legte es vor mir auf den Tisch. Fantasie-Stücke in Callot’s Manier von E.T.A. Hoffmann, so lautete der Titel. Ich musste lächeln. Fantasie-Stücke! Das passte zu diesem wunderlichsten Menschen, dem ich je begegnet war.
Rasch holte ich einen Stapel Papier, Feder und Tintenfass. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass man mich im Laden erwartete, schnitt ich mir die Gänsefeder zurecht, tauchte sie in die Tinte und begann zu schreiben.
Der Mann auf dem Dach
Bamberg, im Frühling des Jahres 1812
Das Huhn hatte braun-grau-weiß getupftes Gefieder, einen gebogenen Schnabel, die Füße waren rotbraun, es sah aus wie alle anderen Hühner in diesem ummauerten Hof mitten in der Stadt. Doch es befand sich in höchster Gefahr. Ich war die Gefahr, der furchtlose hungrige Jäger Chrys. Bis auf zwei Meter hatte ich mich herangeschlichen, da hob das Huhn den Kopf und erstarrte. Sein linker Fuß zitterte. Der Kopf zuckte in verschiedene Richtungen – zu spät. Mit einem gewaltigen Satz warf ich mich nach vorn, schlang beide Arme um das überraschte Tier und drückte es an meine Brust.
Sofort wurde es laut auf dem Hof. Sämtliche Hühner begannen gleichzeitig zu gackern und zu zetern, als würden sie auf einen riesigen Bratspieß gesteckt; der Nachbarhund bellte; das Hausmädchen, das sich weit aus dem Fenster des angrenzenden Palais gebeugt hatte, um das Glas von außen zu polieren, ließ vor Schreck ihren blechernen Putzeimer fallen; scheppernd fiel er auf das Pflaster und ergoss sein Dreckwasser über die Witwe Nüsslein, die schreiend das Weite suchte. Ich lachte über den Lärm und sprang auf die Füße. Meinem Huhn verschloss ich mit einer Hand den spitzen Schnabel, mit der anderen hielt ich es an mich gepresst. So rannte ich auf das offene Hoftor zu, um in den Gassen Bambergs zu verschwinden. Aber die Vorfreude auf die erste richtige Mahlzeit seit Tagen ließ mich übermütig und unachtsam werden. Im Zwielicht der Tordurchfahrt erhob sich eine Gestalt, die mir wie ein Felsen den Weg versperrte. Ich erkannte das breite Gesicht, die verquollenen Augen, die rotfleckigen Wangen. Es war der Zunftmeister Erlauer, Mitglied des Magistrats und Besitzer des Hühnerhofs, der darauf wartete, mir eine gehörige Tracht Prügel zu verabreichen.
»Dreckiger kleiner Dieb! Was hast du hier zu schaffen? Was machst du bei meinem Hühnerstall?«, brüllte er. »Lass den Vogel los, damit ich dir die Haxen brechen und dich zu Gelbwurst verarbeiten kann, du stinkendes Ungeziefer!«
Mein Herz raste, während ich überlegte, wie ich hier lebend herauskommen könnte.
»Du bist doch der Abschaum vom Heinrich, dem Abdecker? Wo steckt der eigentlich, der alte Pferdedieb?«, fragte Erlauer mit seiner hohen Stimme und stieß ein fettiges Lachen hervor.
Sprich nicht so über meinen Vater, dachte ich und kniff die Augen zusammen. Alle meine Muskeln waren gespannt, als ich zwei Schritte auf den Fleischer zuging und mich breitbeinig vor ihm aufbaute. Nicht einmal bis zum Kinn reichte ich ihm, aber das war mir egal. Giftig starrte ich ihn an.
Der Erlauer lachte nur noch mehr und machte sich in der Durchfahrt so breit wie möglich. »Gib das Huhn her«, rief er, »und ich verspreche dir, dass ich dich zumindest am Leben lasse!«
»Du willst das Huhn? Aber gern!«, sagte ich und warf dem Mann das Geflügel mitten ins Gesicht.
Erlauer wollte sich unter dem gefiederten Wurfgeschoss wegducken, doch das Tier schlug wild mit den Flügeln und zog dabei immer wieder die scharfen Krallen über den Schädel des Fleischermeisters. Der fuchtelte mit den Händen, was das Huhn nur noch panischer flattern ließ. Ich nutzte den Tumult und zwängte mich blitzschnell am Erlauer vorbei, gerade als das Huhn ihm vor lauter Angst mitten auf den Schädel schiss. Bloß weg!
Der Hof lag bereits ein gutes Stück hinter mir, da hörte ich den Erlauer schreien: »Haltet den Dieb! Man wollte mich berauben. Da ist er, der Lumpenhund, haltet ihn, haltet ihn fest!«
Ich drehte mich um und rief: »Mich kriegst du nie, du Fettwanst, da kannst du noch so schwitzen und brüllen, ich bin schneller als du, du …«
Weiter kam ich nicht, denn eine Hand packte meinen Kragen und riss mich von den Füßen. Noch ehe ich begriff, was geschah, nahm mich jemand in den Schwitzkasten und zog mich am Ohr. Ich jaulte laut auf vor Schmerz. Mein Peiniger wechselte den Griff, langte mir mit der Hand ans Kinn und bog meinen Kopf nach oben. Ich blickte in eine hagere, von Pockennarben entstellte Fratze, aus der zwei kleine dunkle Augen hervorfunkelten. Die Stirn war hoch und an den Seiten hingen dünne weißblonde Haare herab wie Flachs von einem Spinnrocken. Es war Georg, der Seifensieder, und seine raue Fistelstimme zischte: »Langsam, Junge, langsam!« Dann ließ er mein Kinn los, holte aus und schlug mir mit der flachen Hand mitten ins Gesicht.
Das allerdings hätte er nicht tun sollen. Unwillkürlich schnappte ich zu wie ein wilder Köter, und zwar mit aller Kraft, sodass ich sein Blut auf meinen Lippen schmeckte. Georg schrie auf und riss die Hand zurück.
In dem Moment langte der Fleischermeister bei uns an. Erlauer hatte schon seine Pranke nach mir ausgestreckt, doch ich drehte mich um und rannte davon.
»Bleib stehen, du blutrünstiger Holzbock. Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du ein Jahr lang in der Kirche stehen müssen!«, brüllte der Seifensieder mir nach.
»Jawohl, den prügeln wir windelweich, den Satansbraten!«, schrie der Erlauer. »Vergreift sich an meinen Hühnern! Bleib stehen, du Laus, damit ich dich zerquetschen kann!«
Ich aber schoss um die nächste Ecke, vorbei am Kramladen der alten Schmittin. Im Vorüberlaufen griff ich mir einen der blassen Äpfel aus dem Korb vor der Tür und stopfte ihn mir in die Jackentasche. Ich bog links ab, dann noch einmal nach links in die Gasse, die auf den großen Platz vor der Martinskirche führte, und dann rannte ich mitten hinein in die Menschenmenge auf dem Wochenmarkt.
Alles war voller Buden und Stände, aus jeder Ecke lärmte und schrie es. Menschen und Tiere brüllten um die Wette. An Pfosten waren Rinder, Schafe und Ziegen festgebunden. Ein magerer Hammel stand direkt vor mir und sah mich traurig an, und von überall schnaubte und meckerte es, Vögel kreischten in Käfigen und pfiffen durcheinander. Was aber noch viel lauter war als all der Lärm, war das Knurren meines Magens. Ich hatte solchen Hunger, und dummerweise fiel mein Blick ausgerechnet jetzt auf ein Dutzend riesiger Gurken. Sie lagen ordentlich aufgereiht neben einem Scheffel Bohnen auf einem Holzbrett. Doch sofort musste ich wieder an die Mordlust im Blick des Fleischers denken, und so lief ich lieber weiter.
Rechts von dem Gemüsestand klaffte eine Lücke zwischen den Verschlägen. Auf dem Boden hatte ein junges Mädchen ein Tuch ausgebreitet, auf dem sie Wäsche zum Verkauf anbot. Ich nahm Anlauf, sprang über das Tuch hinweg und rannte weiter, mitten durch die Waren des Kerzenziehers Dorn hindurch. Als ich einen Blick zurückwarf, sah ich den Seifensieder. Auch er setzte über den Verkaufsplatz des Mädchens hinweg. Prompt stolperte ich über einen Schubkarren und schlug der Länge nach hin. Das war allerdings mein Glück, denn der Seifensieder verlor mich aus den Augen und stürmte nun ebenfalls durch die kunstvoll drapierten Wachs- und Talglichter des Kerzenziehers. Die Kerzen schwankten hin und her, blieben aber stehen.
Ich sah mich nach dem Erlauer um, dem zweiten Bluthund auf meiner Spur. Er näherte sich mit hochrotem Kopf, kam zum Stand der Wäscheverkäuferin, nahm prustend Anlauf, überschätzte sich und seine Sprungkraft und landete geradewegs in der Auslage des Mädchens. Sein Stiefel verfing sich in einer der Schürzen, er strauchelte, verhedderte sich noch stärker in den Bändern des Kittels und stürzte mit dem Kopf voran in die Kerzenausstellung des Meisters Dorn. Erlauer, dessen Schädel vom Kampf mit dem Huhn sowieso schon ramponiert war, tauchte tief ein in die Stumpen und die Kandelaber-Kerzen, sodass splitterndes Wachs auf ihn und alle Umstehenden herabprasselte.
Ich hatte mich hinter eine Bretterwand geflüchtet, an der mehrere Reitstiefel aufgehängt waren. Von dort beobachtete ich, wie Meister Dorn, der Kerzenzieher, nach einer gewaltigen Altarkerze griff, die das Bildnis der Jungfrau Maria trug, und sie mit Wucht mehrmals auf das Haupt und auf die Schultern des Fleischers niedersausen ließ, bis er endlich merkte, wen er da verdrosch. Sofort ließ er die Kerze sinken und entschuldigte sich ausgiebig beim Erlauer. Der grunzte nur, erhob sich, klopfte sich die Wachsreste vom grauen Rock und hielt dann dem Meister Dorn die Faust unter die Nase. Der Fleischhauer riss dem Kerzenzieher die schwere Altarkerze aus den Fingern, packte sie mit beiden Händen und brach sie mit einem Ruck mitten entzwei. Die beiden Enden ließ er umstandslos fallen, und der Teil mit dem Kopf der Heiligen Jungfrau rollte der jammernden Wäscheverkäuferin direkt vor die Füße. Erlauer war außer sich vor Zorn. »Wo steckt die kleine Schmeißfliege? Seifensieder! Hast du ihn erwischt?«
Ich duckte mich noch tiefer hinter meine Bretterwand und ließ den Fleischhauer an mir vorbeistampfen. Als er außer Sicht war, traute ich mich aus der Deckung und machte mich in die andere Richtung davon. Hinter dem Tisch eines Bürstenbinders stolperte ich über einen Trog mit Besen und Schrubbern. Der ging zu Bruch, und der Inhalt geriet den drängenden und schiebenden Passanten zwischen die Beine, sodass noch mehr Leute stolperten und fluchend zu Boden gingen. Wütende Anschuldigungen wurden zwischen den Passanten und dem Bürstenbinder hin und her gebrüllt.
In dem Gewühl erblickte ich wieder den Seifensieder. Der Lärm hatte ihn angezogen, und er arbeitete sich nun erneut in meine Richtung vor.
Ich rannte los, an den Gemüseständen vorbei und stieß dabei aus Versehen ein Mädchen an, das sich gerade über die Obstkörbe einer alten Frau beugte. Sie verlor das Gleichgewicht und fiel kopfüber in die Auslage aus frischen Erdbeeren. Als sie wieder auftauchte, hatte ihr Gesicht einen appetitlichen Rotton angenommen. Ihre weiße Bluse allerdings auch. Ich kicherte, doch dann erkannte ich sie. Fräulein Julia!
Schon oft hatte ich sie in der Stadt gesehen, das hübscheste Mädchen auf der ganzen Welt. Ich wusste nicht viel über Julia, nur dass sie etwas älter war als ich und ganz in der Nähe vom Metzgermeister Erlauer wohnte. Ihre Augen waren dunkelblau und riesengroß, und ihre braunen Haare trug sie zu Löckchen aufgedreht, die aussahen wie der Haselnussstrauch im Garten des Michaelsklosters. Julia! Außerdem hatte sie ein paar Sommersprossen auf der Nase. Die waren jedoch im Moment nicht zu sehen, denn aus Ärger über den Erdbeersturz zog sie den Nasenrücken kraus. Fräulein Julia sah sich um und erblickte – nicht mich, denn ich war wieder verschwunden, diesmal hinter dem großen Weidenkorb eines Flechters, nein, sie erblickte den Seifensieder Georg, der sich aufs Neue durch die Menschenmenge pflügte. Möglicherweise glaubte Fräulein Julia, Georg habe ihr den unschönen Stoß verpasst, denn sie streckte – nur von mir bemerkt – das Bein aus und angelte mit dem Fuß nach dem Schnallenschuh des Dränglers. Sie erwischte ihn auch tatsächlich, sodass der große Georg der Länge nach zwischen den kreischenden Marktbesuchern auf den staubigen Boden knallte. Oh, ich hätte am liebsten vor Freude in die Hände geklatscht, doch ich durfte mich natürlich nicht rühren, denn noch war die Gefahr nicht gebannt. Also beobachtete ich, was weiter geschah. Die Obstfrau lamentierte und beschuldigte den Kerl am Boden, er habe ihr die Erdbeeren verdorben. Fräulein Julia wollte sich schon entfernen, da bemerkte sie die Flecken auf ihrer ehemals schneeweißen Bluse. Prompt fing sie an zu weinen. Die Tränen rollten ihr die Wangen hinab und vermischten sich mit den Erdbeerresten auf ihrem Gesicht. All das tropfte nun auf die Bluse, die dadurch nur noch röter wurde. Julia lief zu ihrer Schwester Wilhelmine, die ein Stück vorausgegangen war, doch die schob Julia mit beiden Händen von sich weg und schimpfte: »Was fällt dir ein? Willst du meine Wäsche auch noch verderben? Geh, pack dich, rotes Ferkel. Wirst wohl deinen Tag damit verbringen müssen, die Flecken mit Kleesalz oder irgendeinem anderen Mittelchen herauszuwaschen. Viel Freude dabei. Mama wird es dir übel vergelten, dass du so wenig auf dich achtgeben kannst!«
Julia verbarg das Gesicht in ihren Händen und schien sich furchtbar wegen des Missgeschicks zu schämen. Als sie wieder aufblickte, waren Wilhelmine und die dicke Küchenfrau an ihrer Seite bereits weitergegangen. Vielleicht dachte Julia ja an das dumme Gesicht von Georg im Straßenstaub, denn ihre Tränen wichen einem frechen Lachen, an dem ich mich gar nicht sattsehen konnte. Mein Herz schlug jedenfalls wie eine Sturmglocke, als ich zusah, wie sie kichernd ihrer Schwester und der Küchenfrau hinterherlief.
Ich hatte Fräulein Julia schon öfter beobachtet, aber so nah wie eben war ich ihr nie zuvor gewesen. Das ist ein Mädchen!, dachte ich und stieß einen leisen Pfiff aus. Dabei fiel mein Blick auf etwas Glitzerndes, das in unmittelbarer Nähe meines Verstecks am Boden lag. Das hat bestimmt Julia verloren, vermutete ich, reckte mich hinter dem Korb hervor und streckte die Hand aus. Eben schloss sich meine Faust um den Gegenstand, als ich am Kragen gepackt und nach oben gezogen wurde. Es war der Korbflechter.
»Was treibst du hier, du Nichtsnutz?«, fragte er. »Den Mädchen unter die Röcke schielen? Dir werd ich was erzählen, du Schlingel!« Er schüttelte mich, sodass mein altes Hemd verdächtig in den Nähten krachte.
Meine Hand schloss sich noch fester um den geheimnisvollen Gegenstand, ich seufzte und dachte: Herrje, ist man denn hier nirgends sicher vor diesen dämlichen Erwachsenen? Zu allem Unglück tauchten jetzt auch noch von rechts der Seifensieder und von links der Fleischer auf. Ich bekam es mit der Angst zu tun und bettelte: »Bitte, Herr, lassen Sie mich laufen, die beiden Teufel da wollen meinen Tod, ganz sicher! Ich verspreche Ihnen, dass ich von nun an immer auf Ihren Stand aufpasse, wenn Markttag ist, auf dass ja kein Halunke etwas bei Ihnen klaut oder sonst in Unordnung bringt! Nur bitte, Herr, retten Sie mein Leben und lassen Sie mich verschwinden!«
Der Korbflechter schmunzelte. »Los, lauf zu, du Halunke«, flüsterte er. »Ich habe selber drei Jungen, die mindestens genauso viel Unfug im Kopf haben wie du. Jetzt verschwinde schon!«
Er schob mich hinter seinem Stand durch eine Lücke in die nächste Marktgasse hinein. Schon hörte ich den Erlauer brüllen, und ich wusste, dass der sich von keinem Körber aufhalten lassen würde. Die Leute fluchten, wenn ich sie unsanft zur Seite stieß, aber das war mir egal, denn für mich ging es ums nackte Überleben, so wütend, wie der Fleischer war. Ich konnte mir wirklich nicht erklären, warum er sich so aufführte und was außerdem der Seifensieder mit der ganzen Sache zu schaffen haben könnte. Aber mir fehlte die Zeit, darüber nachzudenken, also schoss ich nach rechts zwischen zwei Herrgottschnitzern hindurch in einen Gang. Vorbei ging es an einem duftenden Fass mit Pflaumenmus, in das ich zu gern meinen Finger getaucht hätte, aber ich musste weiter. In der nächsten Gasse standen die Regnitzfischer und priesen ihre geräucherten und angeblich frisch gefangenen Fische an. Ich malte mir gerade aus, was passieren würde, wenn mich der Erlauer erwischen würde, als unmittelbar vor mir ein Kopf aus dem verhängten Unterbau eines Fischerstands auftauchte. Eine Hand folgte, ergriff die meine und zog mich unter die Plane, die über den Verkaufstisch gebreitet war und bis auf den Boden hinabhing.
Hier war ich erst einmal in Sicherheit. Wie in einer Höhle kam ich mir vor, so dunkel war es, und die Geräusche des Markts drangen nur noch gedämpft an meine Ohren. Langsam gewöhnten sich meine Augen an das Dämmerlicht unter dem gewachsten Tuch, und ich sah die Silhouette meines Retters, der mir gegenübersaß. Ich verschnaufte und ließ den Gegenstand, den ich vorhin vom Boden aufgelesen und während der ganzen Jagd in meiner Faust fest verschlossen hatte, so unauffällig wie möglich in eine meiner vielen Taschen gleiten. Noch hatte ich keine Gelegenheit gefunden, ihn genauer zu betrachten.
Da hörte ich plötzlich direkt vor dem Stand den Erlauer schreien: »Die Schmeißfliege zerquetsche ich!«
Ich hielt den Atem an. Lediglich ein dünnes Wachstuch trennte mich von meinem Verfolger. Schließlich brüllte der Fleischhauer: »Da ist er lang! Da vorn!«, und seine schweren Schritte entfernten sich.
Mit einem leisen Pfiff stieß ich die Luft aus und wollte schon aus dem Versteck hinauskriechen, da zischte mein Retter: »Warte!«
Und tatsächlich, kaum hatte ich mich von dem Wachstuch zurückgezogen, da erklang die Stimme des Seifensieders: »Sag mal, Heiner, hast du nen Jungen hier vorbeilaufen sehen, so groß ungefähr, in einem grauen zerrissenen Hemd und braunen Hosen?«
»Klar, hab ich, aber es war nicht nur einer. Mindestens zehn von der Sorte sind hier in der letzten Stunde vorbeigekommen. Welchen davon meinst du also?«, fragte der Fischer zurück.
»Blödmann! Ich meine den Sohn vom Abdecker Heinrich, den verlausten Bankert von der Wäscherin, du weißt schon, von wem ich rede.« Georgs Ton war scharf geworden.
»Nein, weiß ich nicht und außerdem hab ich ihn nicht gesehen«, erwiderte der Fischer.
»Wie kannst du sagen, dass du ihn nicht gesehen hast, wenn du gar nicht weißt, wen ich meine, du Hornochse?«
»Weil du es mir eben gesagt hast – den Sohn vom Abdecker, den Bankert von der Wäscherin. Den hab ich nicht gesehen!«
»Ja, weißt du denn, wie er aussieht?«
»Nein, aber du hast mich Blödmann und Hornochse genannt, darum habe ich schon zehnmal nichts gesehen, klar? Und jetzt verzieh dich, du vertreibst mir die Kunden.«
»Blödes Rindvieh! Bei dir werd ich noch mal einkaufen!«
»Hast du sowieso noch nie gemacht. Du weißt doch gar nicht, wie das geht!«
»Weißt du was? Verreck doch an deinem stinkenden Fisch!«
Der Fischer lachte laut auf.
Ich wagte nicht, mich zu rühren, obwohl vom Seifensieder nichts mehr zu hören war. Stocksteif hockte ich unter dem Stand und überlegte, was ich tun sollte.
Da wurde die Plane an der Rückseite des Stands hochgeschlagen, und der Fischer sagte: »So, jetzt aber raus, ihr beiden, bevor ich euch Beine mache. Ich habe keine Ahnung, was du ausgefressen hast, Junge, aber du hast es geschafft, dich mit den beiden größten Halunken der Stadt anzulegen. Ausgerechnet der Erlauer und der schmierige Seifensieder! Komm mal her!« Der Fischer ergriff mich beim Stoff meines Kittels und zog mich zu sich heran. »Der saubere Zunftmeister macht Hackfleisch aus dir, das kannst du mir glauben, und das Dumme ist, der Kerl vergisst nichts. Sonst hat er nichts im Schädel, aber Leute, die ihm Ärger machen, die merkt er sich, also nimm dich in Acht!«
Der Junge, der mich gerettet hatte, kam nun ebenfalls aus dem Versteck geklettert. Gut möglich, dass ich sein schmales Gesicht mit den leicht schräg stehenden Augen schon einmal gesehen hatte, hier auf dem Markt oder bei den Abfällen vom Schlachthof oder sonst irgendwo, aber ich war mir nicht sicher. Seine kurzen braunen Haare waren wild durcheinandergeraten und standen an der Seite ab. Er war ein wenig kleiner als ich und hatte beide Hände in die Taschen seiner dunkelblauen Jacke gestopft, die viel zu groß für ihn war und ihm weit bis über die Knie schlotterte. Die ganze Zeit kaute er auf etwas herum, das er beständig von einer Backe in die andere schob.
»Danke, dass du mich gerettet hast!«, sagte ich und hielt ihm die Hand hin, die der fremde Junge jedoch ignorierte. Stattdessen starrte er mich an und bewegte weiter das Ding in seinem Mund hin und her.
Ich ließ nicht locker. »Ich heiße Chrys.«
»Na und?«
»Weißt du was? Du hast mich gerettet, und nur deshalb verprügel ich dich jetzt nicht!«, knurrte ich.
Er spuckte aus und sagte: »Ist mir egal!«
Was sollte ich dazu sagen? Ich zuckte mit den Schultern und wollte mich schon abwenden, da hörte ich, wie er »Just!« sagte.
»Was?«, fragte ich.
»Ich bin Just! Kriege ich den Apfel?«
»Woher weißt du, dass ich …«
»Krieg ich ihn, oder krieg ich ihn nicht?«
»Der Apfel ist mein Abendbrot!«, sagte ich. Natürlich wollte ich ihm den Apfel nicht geben.
»Ich hab dich gerettet. Also krieg ich ihn?«, fragte Just noch einmal.
»Gut, aber dann sind wir quitt!«, sagte ich mürrisch.
Der Junge nickte und ich griff in meine Tasche. Der Apfel lag runzlig und schwer in meiner Hand, und schon bereute ich, dass ich ihn hergeben sollte. Aber gesagt ist nun mal gesagt! So hatte es mir mein Vater beigebracht. Also streckte ich die Hand aus und hielt Just den gelben faltigen Winterapfel unter die Nase. Er griff sofort zu und biss hinein.
»Woher hast du ihn?«, fragte er mit vollem Mund.
»Von der alten Schmittin.«
»Hast du ihn etwa gestohlen?« Er spuckte aus, was er im Mund hatte, als wenn es giftig wäre.
»Bist du verrückt?«, schrie ich und versuchte, ihm den Apfel wieder abzunehmen. »Wenn du ihn nicht magst, dann gib ihn mir zurück, hörst du?«
»Pfui, du hast ihn gestohlen!« Just machte ein saures Gesicht und hielt den Apfel weit von sich, als wenn dieser nach ihm schnappen könnte. Ich griff zu, aber der Junge zog ihn blitzschnell weg und versteckte die angebissene Frucht hinter seinem Rücken.
»Ich habe ihn nicht gestohlen! Oder sehe ich etwa aus wie ein Dieb?«
Just runzelte skeptisch die Stirn, sagte aber nichts.
»Ich habe ihn mir geborgt!«
»Blödsinn!«
»Überhaupt nicht. Wenn ich damit fertig bin, dann bringe ich ihn zurück!«
Der Junge versuchte, weiterhin ernst und ärgerlich auszusehen, doch ich sah, dass seine Mundwinkel verdächtig zitterten.
»Ehrlich! Ich bringe ihn der Schmittin zurück – zumindest das, was dann noch übrig ist!«
Nun musste mein Gegenüber doch grinsen. »Du willst der Schmittin das abgefressene Gehäuse wieder in den Korb legen? Das traust du dich nicht!«
»Wollen wir wetten?«
»Ich wette nicht, denn das ist Gotteslästerung!«
»Bist du ein gottverdammter Pfaffe?«
Als Antwort bekam ich eine schallende Ohrfeige.
»Au! Was soll das?«, rief ich und schlug zurück, doch der fremde Junge duckte sich so schnell, dass meine Hand ins Leere ging und ich fast das Gleichgewicht verloren hätte.
Just richtete sich wieder auf und biss ein weiteres Mal in den Apfel, diesmal allerdings spuckte er nichts aus. Ich hob die Faust und wollte auf ihn losgehen.
»Schluss, ihr zwei!« Der Fischer packte uns und schüttelte uns gehörig durch. »Hört auf zu streiten! Just, es wird Zeit! Die Leute gehen heim. Hilf mir, die Waren einzusammeln.«
»Ja, Onkel!« Just warf mir einen grimmigen Blick zu und machte sich dann daran, die Körbe mit den übrig gebliebenen Fischen zusammenzuräumen.
»Ich kann auch helfen, wenn … wenn ich dafür einen der Fische bekomme!«, sagte ich.
Der Fischer musterte mich von oben bis unten, dann zuckte er die Schultern und sagte: »Meinethalben. Du hast Glück, mein Gehilfe ist heute krank, sodass ich dich tatsächlich brauchen kann. Aber nur heute, ist das klar? Wenn du dich nützlich machst, dann will ich dir schon einen meiner Fische überlassen.«
»Aber einen großen!«
Der Fischer lachte. »Du bist ein harter Verhandlungspartner! Schau, diese Barbe hier, die will ich dir geben, wenn du fleißig genug bist.«
Er deutete auf eine fette Flussbarbe, die mehr als eine halbe Elle maß. Da bekam ich aber große Augen, denn das war mehr, als ich zu hoffen gewagt hatte.
Just bemerkte meine Überraschung und sagte prompt: »Nein, Onkel, das ist viel zu viel! Den großen Fisch verdient der Lümmel nicht. Und außerdem, denk dran, dass ich ihm das Leben gerettet habe!«, sagte er.
»Das Leben?«, erwiderte ich. »Bilde dir mal bloß nicht zu viel ein. Ich habe dich nicht darum gebeten, mir zu helfen. Den Erlauer hätte ich schon noch abgeschüttelt, das kannst du mir glauben.«
»Ach ja?«
»Ach ja!«
»Fangt ihr schon wieder an?«, fragte der Fischer. »Also, Junge, was ist? Willst du mir helfen, oder nicht? Wenn ja, dann fang an! Und wenn du es gut machst, bekommst du diese Barbe zum Abendessen. Und du …«, er lachte und sah Just an, »… du misch dich nicht ein, wenn Männer reden.«
Just schnaubt laut durch die Nase, und der Fischer sagte: »Ja ja, schon gut, beruhige dich! Hilf mit, dann sollst du deiner Mutter auch einen schönen Fisch mit nach Hause bringen.«
Also machten wir uns an die Arbeit, ich mit einem gepfiffenen Lied auf den Lippen und Just mit kraus gezogener Stirn.
»Und ich habe dir doch das Leben gerettet!«, zischte er, als wir Seite an Seite zwei schwere Behälter mit brackigem Wasser schleppten, in denen Blaunasen und Flussaale schwammen.
»Und wenn schon!«, sagte ich lachend und überquerte die Kapuzinergasse, hinter der der Fischerhof von Justs Onkel lag. »Was viel besser ist, ich habe für heute ein Abendessen. Die fette große Barbe wird mir herrlich schmecken.«
Der Stand war bald abgebaut, und endlich händigte uns der Fischer unseren Lohn aus, jeweils ausgenommen und gut verpackt in alte Zeitungsblätter. Mir steckte er obendrein ein Stück geräucherten Flussaal zu, den ich gierig auf der Stelle verschlang. Vielleicht hatte er ja das laute Knurren meines Magens gehört und Mitleid bekommen.
Der Markt leerte sich immer mehr und lag bald ganz verlassen da, während zwischen den Häusern an der Westseite hindurch letzte Sonnenstrahlen auf die staubige Fläche des Platzes fielen.
Irgendwann war nur noch Nick der Straßenkehrer unterwegs. Beharrlich drehte er seine Runden und schob all das mit seinem Reisigbesen zu kleinen Haufen zusammen, was am Tag die Händler und ihre Kunden verloren oder liegen gelassen hatten. Die Wachssplitter bei Meister Dorns Kerzenstand kehrte er ebenso zusammen wie die zerbrochenen Einmachgläser der Witwe Nüsslein, die ebenfalls bei der wilden Jagd zu Boden gegangen waren. Man erzählte sich, dass Nick inzwischen eine ansehnliche Sammlung an Kuriositäten besaß, die er in einem großen Leinenbeutel über seine Schulter geschnallt immer mit sich herumtrug. Außerdem sagte man, er habe auch schon die eine oder andere Münze im Dreck gefunden. Gesehen hatte ich jedoch noch keine davon.
Ich folgte dem Straßenkehrer mit den Augen, sah zu, wie er Stück für Stück, Meter für Meter den großen Platz mit seinem Besen abging, sich hin und wieder bückte und dabei ganz versunken war in seine Arbeit. Ich saß auf einer Stufe vor der Martinskirche mit dem eingepackten Fisch auf dem Schoß. Neben mir auf derselben Stufe hockte Just, den eigenen Fisch fest an die Brust gedrückt.
»Hast du jemals gesehen, dass Nick Geld ausgibt?«, fragte ich und beobachtete weiter die Kreise, die der Mann zog.
»Nein, wieso?« Justs Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. Weiß der Himmel, aus welchen Tagträumen ich ihn aufgeschreckt hatte.
»Na ja, ich frag mich nur, der lebt doch von den Essensresten, die er findet oder die ihm manchmal jemand zusteckt. Er kauft sich jedenfalls niemals etwas, oder?«
Just antwortete nicht und starrte den Straßenkehrer an.
»Was ich sagen will – Nick findet doch immer wieder Münzen im Dreck. Was macht der damit? Vielleicht ist der alte Mann ja längst steinreich? Was meinst du?«
Just sah mich skeptisch an und fragte: »Ja und? Was geht uns das an?«
Ich antwortete nicht und grinste nur.
Da sprang Just auf. »Du willst sie ihm stehlen, gib es zu! Du bist ein dreckiger Dieb!«, rief er.
»Was weißt du denn schon?«, erwiderte ich und schlang die Arme um meine Knie.
»Ich weiß so manches!«, sagte er. »Und dass Diebe in die Hölle kommen, das weiß ich bestimmt. Lass mich bloß in Ruhe, ich will nichts mehr mit dir zu tun haben!« Just spuckte mir vor die Füße, stemmte die Fäuste in die Taschen seiner Jacke und stapfte, den Fisch unter den Arm geklemmt, mit großen Schritten davon, ohne sich noch einmal umzublicken. Geblendet von der Abendsonne, die sich im Fenster des Apothekerhauses gegenüber spiegelte, blinzelte ich ihm nach. Komischer Vogel, dachte ich.
Just verschwand zwischen den Häusern, und mir wurde langweilig. Mein Blick strich über den Platz, glitt hierhin und dorthin und wanderte schließlich zu der Fassade des Hauses gegenüber. Stück für Stück schob sich ein Schatten an der Hauswand empor und näherte sich unaufhaltsam dem Giebel. Ein Stockwerk nach dem anderen tauchte ein ins abendliche Halbdunkel. Der Fisch in meinen Armen fühlte sich gut an, er roch frisch, und er würde mich satt machen. Aber obwohl es mich zu meiner kleinen Hütte vor der Stadt zog, zu meiner Feuerstelle, über der ich die Barbe rösten würde, so hielt mich doch irgendetwas hier auf dem leeren Marktplatz fest. Ich blieb auf der Stufe vor der Kirche sitzen und ignorierte meinen Hunger, der durch das Stückchen Räucheraal eher noch größer geworden war. Ich konnte mich einfach nicht trennen von dem staubigen Kopfsteinpflaster, von der Stille, die sich über dem Platz ausbreitete, von dem einsam seine Runden ziehenden Straßenkehrer. Vielleicht war es der ungewohnte Frieden dieses Ortes, der mich festhielt. Kein Erlauer und kein Seifensieder, die mir ans Leder wollten. Und vor allem musste ich mir keine Gedanken mehr darüber machen, was ich heute Abend essen würde. Ich konnte mich also einen Moment lang beruhigt zurücklehnen.
Seit gut einem Jahr lebte ich nun schon bei meiner Tante Martha. Dort erhielt ich morgens einen Kanten Brot, ein Stück harten Käse und einen Krug verdünnte Milch. Eigentlich war es nur Wasser, das vielleicht einmal ganz kurz neben einem Milchkrug gestanden hatte, so fad war der Geschmack. Mehr bekam ich nicht von ihr. Ich war auf mich selbst angewiesen, und ich fand, dass ich mich dafür ganz gut durch die Tage schlug. Alles Mögliche hatte ich versucht, um an ein wenig Geld zu kommen. Ich hatte Holz und Pferdeäpfel gesammelt, bei der Ernte geholfen, Wasser, Kohle oder altes Papier geschleppt, Latrinen leergeschaufelt – etwas, das ich hoffentlich niemals wieder tun muss – und bei Bauarbeiten Steine getragen, aber nie war wirklich genug dabei herausgesprungen. Denn kaum war es mir einmal gelungen, den einen oder anderen Heller oder Pfennig zu ergattern, musste ich ihn schleunigst wieder ausgeben, und zwar für etwas zu essen. Wäre ich nämlich mit Geld nach Hause gekommen, dann hätte die Tante es mir sofort abgenommen. Als Mietzins, wie sie es nannte. Ich wünschte mir so sehr, eine Stelle zu finden, vielleicht als Ladenjunge oder in einem Handwerksbetrieb. Ich hatte keine Lust mehr, mich wie ein Dieb durch dieses armselige Leben stehlen zu müssen. Just hatte ja recht, mir war es genauso zuwider, mich am Eigentum anderer zu vergreifen, aber was sollte ich tun? Mich auf die Großzügigkeit der Erwachsenen verlassen? Die Demütigungen einfach so ertragen, denen ein schmutziger Straßenjunge wie ich ständig ausgesetzt war?
»Warum behandelt mich die Welt so schlecht? Warum geht es gerade mir so jämmerlich?«, fragte ich den Straßenstaub und warf mit einem Stein nach einem Käfer, der über das Pflaster des Platzes krabbelte. Wieder sah ich nach dem immer größer werdenden Schatten auf dem Apothekerhaus gegenüber. Inzwischen hatte er den Dachfirst fast erreicht. Doch etwas war seltsam. Ich kniff die Augen zusammen und wollte gar nicht glauben, was ich da sah. Rittlings auf dem Spitzdach des Hauses hockte eine Gestalt. Ein spindeldürrer Mann saß da und in den letzten Sonnenstrahlen wirkte es, als stünde er in Flammen. Die langen Schöße seines Gehrocks flatterten im Wind, ebenso wie sein krauses Haar, das ihm in alle Richtungen vom Kopf abstand. Einen Hut trug er nicht, vielleicht hatte der Wind ihn schon davongeweht. Die Arme des Mannes waren schmal und lang, fast so, als gehörten sie einer Fliege, und sie schwangen unablässig auf und nieder. Dabei schien dieser Insektenmann irgendetwas zu rufen, Worte, die sofort vom Wind verweht wurden.
Wer war dieser unheimliche Mensch da oben auf dem Dach des Apothekers? Närrisch sah er aus und wild. Vielleicht war es ja der Teufel persönlich, der sich bereit machte, bei einem Sünder vorzusprechen? Die Haare stellten sich mir zu Berge. Womöglich wollte er sogar zu mir?
Die Glocke der Martinskirche schlug acht Uhr. Ich fuhr zusammen, ließ aber den Mann auf dem Dach nicht aus den Augen. Der lachte jetzt, und zwar so laut, dass man es bis herunter auf den Platz hören konnte. Immer wilder wurden seine Bewegungen, und ich befürchtete schon, dass er gleich vom Dach fallen würde. Irgendetwas hielt er in der Hand. Ein Buch? Tatsächlich, es war ein Buch, und offenbar las er daraus vor, freilich ohne dass ich irgendetwas verstehen konnte. Ich sprang auf. Die Sonne schien dem Mann direkt ins Gesicht. Ansonsten lag die ganze Stadt bereits im Schatten. Ich war gebannt von dem Schauspiel auf dem Dach. Gruselig war es und zugleich furchtbar aufregend. Ich verfolgte jede Bewegung des Mannes. Was tat der da? Er griff mitten hinein in das Buch, riss eine Handvoll Seiten heraus, warf sie in die Lüfte und schrie dabei wieder unverständliches Zeug. Der Wind ergriff die Blätter und wirbelte sie durcheinander, trug sie in alle Richtungen fort. Und schon fasste er erneut ins Buch, und weitere Papiere flogen, flatterten wie ein Schwarm aufgeschreckter weißer Vögel durch die Dämmerung. Inzwischen hatte der Schatten des gegenüberliegenden Hauses das Gesicht des Mannes auf dem Dach erreicht, und nur noch sein Umriss zeichnete sich vor dem abendblauen Himmel ab. Der Wind wurde stärker, hin und wieder segelte ein Stück Papier auf den Marktplatz, wo es der unermüdliche Nick sofort zusammenkehrte. Woher es kam, interessierte ihn anscheinend überhaupt nicht. Eines der Blätter jedoch landete direkt vor meiner Nase auf der Kirchenstufe vor mir. Ich zögerte, es aufzuheben, und blickte noch einmal zu dem Mann auf dem Giebel. Der hatte sich inzwischen erhoben und schüttelte seine geballte Faust.
Wieder glitt mein Blick hinab zu dem Zettel vor mir. Es war, als würde er mich magisch anziehen. Schließlich bückte ich mich und nahm ihn in die Hand. Kaum konnte ich die Zeichen darauf erkennen, so dunkel war es bereits geworden. Wenn ich das nur lesen könnte, dachte ich. Aber ich hatte es eben nie gelernt. Von wem auch? Von meinen Eltern? Die konnten es ja selber nicht. Außerdem waren sie schon tot, meine Mutter zumindest, und zwar seit vielen Jahren. Ob mein Vater noch lebte, wusste ich nicht. Er war nach dieser blöden Geschichte auf der Residenz vor über einem Jahr spurlos verschwunden, vielleicht hatte er sich als Soldat anwerben lassen. Er war der städtische Abdecker gewesen, also der Mann, der sich um die toten Tiere kümmert, der die Kadaver verbrennt und vergräbt und die Knochen und Felle den Seifensiedern und Gerbern bringt. Aber lesen und schreiben? So etwas brauchte man als Abdecker nun wirklich nicht. Also hatte ich es auch nicht gelernt. »Noch nicht!«, murmelte ich trotzig und versuchte, trotz des Dämmerlichts irgendeinen Sinn in dem Geschriebenen zu erkennen. Die schwarzen Krakel begannen allerdings, sich vor meinen Augen zu winden und zu krümmen. Sie schienen sich mit Leben zu füllen, mich zu bedrängen und an mir zu ziehen, bis ich das Blatt sinken ließ.
Dunkel war es jetzt in den Gassen und auf dem Markt von Bamberg. Zwar leuchtete der Himmel noch immer blau wie eine Hyazinthe, aber hier unten im Schatten der Häuser hatte sich der Tag bereits verabschiedet. Noch immer hielt ich den Zettel in der Hand. Es ärgerte mich maßlos, dass es mir nicht gelingen wollte, herauszufinden, was dort stand, und ich beschloss, doch noch lesen und schreiben zu lernen, egal über welche Umwege. Allein schon das Vorhaben ließ mich lächeln. Wieder wanderten meine Augen zum Dach des Apotheker-hauses, der Giebel jedoch war leer, und der Mann war verschwunden.
Nick der Straßenkehrer hatte aufgehört zu fegen. Er schulterte seinen Besen und schlurfte davon. Still und verlassen lag nun der Marktplatz da, in den Häusern ringsumher gingen die Lichter an. Der Laternenanzünder kam um die Ecke, und auch ich machte mich auf den Weg. Vorher jedoch versteckte ich das geheimnisvolle Blatt an einem sicheren Ort.
Ich ging zu meiner Hütte. Natürlich war es nicht meine Hütte, sondern lediglich ein verlassenes windschiefes Holzhäuschen am Rand des Klosterwalds, nicht weit vor den Toren der Stadt. Hingeduckt lag es hinter einem Wiesenbuckel, umrankt von Sträuchern und Gestrüpp.
Der Abend wurde kühl, und der Hunger trieb mich an. Ich lief über die Obstwiesen und hielt dabei Ausschau nach herumliegenden Ästen und Zweigen, sodass ich bald einen Arm voll Feuerholz beisammenhatte. Der Waldhüter des Klosters ließ mich in Frieden, solange er mich nicht beim Wildern erwischte. Zwar war auch Holzsammeln verboten, aber ich dachte mir, bevor am Ende noch jemand darüberfällt und sich ein Bein bricht, ist es doch eine gute Tat, das Reisig aufzuheben und mitzunehmen.
An der Hütte angelangt, bestückte ich gleich meine Feuerstelle mit den trockenen Zweigen, um die fette Barbe zu braten. Schon nach kurzer Zeit knisterte und knackte ein ordentliches Feuer. In meine alte Pferdedecke gewickelt saß ich davor und röstete den Fisch an mehreren langen Stecken, damit er mir nicht auseinanderbrach. Als die Haut knusprig braun gebraten war, löste ich das Fleisch vorsichtig mit einem weiteren Ast von den Gräten, ließ es auf ein Stück Baumrinde fallen, das mir als Teller diente, und machte mich gierig darüber her.
Während das Feuer herunterbrannte, knabberte ich noch an den letzten Gräten. Die abgenagten Überbleibsel warf ich in die zuckenden Flämmchen, um keine Füchse, Marder oder gar Wölfe anzulocken. Satt und zufrieden lehnte ich mich an die Wand des Häuschens. Tante Martha sicherte seit geraumer Zeit ihre Speisekammer mit einem dicken Vorhängeschloss. Den Schlüssel trug sie Tag und Nacht um den Hals und hütete ihn wie eine Henne ihr frisch gelegtes Ei. Die geizige Alte war froh, wenn sie mich nicht sah. Also beschloss ich, heute Nacht nicht zurück in die Stadt zu gehen, sondern hier oben in meiner Hütte zu bleiben. O wie fühlte sich so ein gefüllter Bauch gut an.
Träge wanderte mein Blick zum Nachthimmel empor. Über den Bäumen zu meiner Rechten erhob sich, in einen leichten Dunstschleier getaucht, blass und milchig der Mond. In ein paar Tagen würde er rund und voll sein. Ich zog die Decke fester um meine Schultern. Auch wenn es heute einen der ersten warmen Maitage gegeben hatte, waren die Nächte immer noch recht kalt. Womöglich gab es wieder Frost, und die Wiesen würden morgen früh weiß sein vom Raureif. Der Gedanke ließ mich frösteln, also rückte ich näher an die ersterbende Glut und blies hinein. Das Feuer knackte laut und loderte noch einmal empor. Es sah aus, als reckten sich rote Finger zwischen den Funken heraus, und ich musste wieder an den Mann auf dem Dach denken. Ich bekam eine Gänsehaut. Aber das beschriebene Blatt Papier war ganz bestimmt nicht aus der Welt der Geister gekommen, ich hatte es ja in Händen gehalten, bevor ich es in den Hohlraum unter der Bank in der Martinskirche geschoben hatte. Dort versteckte ich immer wieder kleine Fundstücke, die vor Tante Martha sicher sein sollten.
Ich starrte in die Reste des Feuers, das nun endgültig in sich zusammenfiel. Nur noch vereinzelt leckte eine Flamme empor und verschwand gleich wieder in der roten Glut. Mit dem Feuer verblasste auch das Bild der Erscheinung auf dem Dach, während der Fisch immer tiefer in meinen Magen hinunterrutschte. Wohlig war mir zumute, und in diesem Zustand konnte ich nur noch lachen über die Furcht, die mir die Erscheinung eingeflößt hatte. Schon tauchte ein anderes Gesicht auf in meinem Kopf. Rund und frisch, von dunklem Haar umflossen, die Augen dunkelblau und die Nase und die Wangen mit Sommersprossen betupft, so verlockend wie der geröstete Leinsamen auf einem frisch gebackenen Brötchen vom Bäcker Seel. Die Lippen schienen mir noch röter als sonst. »Fräulein Julia, das macht der Erdbeersaft«, flüsterte ich und grinste. So eine Frau will ich später heiraten, schön und reich, und die einzigen Sorgen, die sie kennt, sind Erdbeerflecken auf dem Kleid, dachte ich. Was das wohl für ein Leben sein mochte? Da fiel mir das glitzernde Ding vom Markt wieder ein. Ich schob meine Hand in die Jackentasche, fischte den Gegenstand heraus und legte ihn auf meine Handfläche. Es war ein Ohrgesteck mit einer Perle, die im schwachen Mondlicht zartrot schimmerte. Sie war von einer silbernen Blüte eingefasst, die glitzerte und glänzte, wenn ich das Schmuckstück drehte und wendete. Etwas so Feines hatte ich noch nie in Händen gehalten, so kunstvoll gearbeitet. Es war, als ginge ein eigenes Leuchten davon aus. Vorsichtig ließ ich den Schmuck zurück in die Tasche gleiten und träumte mit offenen Augen von Fräulein Julia. Die letzte Flamme zuckte, und in einem Baum, nicht weit von meinem Platz, rief ein Käuzchen laut nach der Liebsten, während mir immer wieder die Augen zufielen.
Ein Windstoß kam über die Felder herauf und griff in die verbliebene Glut, sodass Funken und Asche heftig durch die Luft gewirbelt wurden. Erschrocken fuhr ich hoch. War das ein Traum gewesen? Eine fremde Hand hatte auf Julias Wange gelegen, hatte ihr Gesicht von mir weggezogen! Ich wischte mir über die Stirn, um das Spukbild zu vertreiben, warf Sand auf die Glut, nahm meine Decke und ging in die Hütte. Das Mondlicht drang durch die Spalten in der Rückwand und zeichnete Muster auf den Lehmboden, dabei stöhnten und ächzten die Dachbalken im Wind. Ich warf mich auf mein Lager aus alten Strohsäcken und schloss die Augen, konnte aber lange nicht einschlafen. Zu sehr beschäftigte mich der Gedanke, wer wohl jener seltsame Mann gewesen war, der auf Dächern saß und Bücher zerriss, die ich nicht lesen konnte. Ich weiß noch, dass ich die Klosterglocke zur Mitternachtsmesse rufen hörte, es muss also früher Morgen gewesen sein, als ich endlich einschlief.
Am nächsten Morgen lagen die Felder und Wiesen unter dunkelgrauen Wolken, und der Wind blies dünnen Regen übers Land. Es hatte doch nicht gefroren, aber die Luft war kalt und klamm. Ich wusch mich an der nahe gelegenen Quelle im Wald, zog den blauen Gehrock mit den umsponnenen Knöpfen und dem schwarzsamtenen Stehkragen unter dem Stroh hervor, pflückte sorgfältig alle Halme ab und schlüpfte hinein. Den Rock hatte ich von meinem Vater, und er war mir immer noch um einiges zu groß. Auch musste ich ihn vorn zuknöpfen, da ich keine Weste besaß. Kein Mensch, der etwas auf sich hielt, knöpfte seinen Rock zu oder ging ohne Weste aus dem Haus, aber was sollte ich machen. In der Stadt hatte ich junge Männer beobachtet, die liefen sogar mit zwei Westen übereinander herum. Sie waren mir aufgefallen, als ich abends auf dem Theaterplatz stand, um mir den einen oder anderen Heller zu verdienen, indem ich den eleganten Herren und Damen die Stufen der Kutschen herausklappte oder dem Postillion die Pferde hielt. Ich konnte gut mit Pferden umgehen, sie fassten schnell Vertrauen zu mir und ließen sich leicht von mir führen. Früher, als mein Vater noch da war, bin ich sogar hin und wieder geritten, aber das ist lange her.
Ich sah an mir hinunter. Chrys, du siehst aus wie eine Vogelscheuche, dachte ich, aber es musste eben ohne Weste und mit geschlossenem Rock gehen. Immerhin sah man auf diese Weise nicht, dass mein Hemd eher graubraun war als weiß. Aber ich hatte nur dieses eine, also band ich mir wenigstens ein Tuch um den Hals, so wie es die feinen Bamberger trugen, spuckte in die Hände und versuchte, mein struppiges Haar zu bändigen. Bevor ich mich auf den Weg in die Stadt machte, holte ich ein letztes Mal den Ohrschmuck hervor und legte ihn auf meine Handfläche. Rosarot blitzte mir die Perle entgegen. Ihre Form war fast gleichmäßig, nur an der Spitze hatte sie eine kaum wahrnehmbare Wulst, und ich fand, dass sie dadurch nur noch schöner war. »Ach, Julia!«, seufzte ich, ließ den Schmuck in die Außentasche des Gehrocks gleiten und knöpfte sie zu. Sorgfältig schloss ich die Tür der Hütte hinter mir, atmete noch einmal tief durch und ging los.
Die Glocke der Martinskirche schlug die elfte Stunde, ich stand also schon seit vier Stunden vor dem Haus der Familie Mark. Ich hatte mir fest vorgenommen, den Ohrschmuck zurückzugeben, aber um ehrlich zu sein, war ich hauptsächlich gekommen, um vielleicht einen Blick auf Fräulein Julia werfen zu können. Doch weder sie noch ein anderes Mitglied ihrer Familie hatte sich bisher blicken lassen. Ich stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite hinter einem abgespannten Pferdewagen, und immer wenn mein Blick auf das Eckhaus fiel, hinter dem Erlauers Hühnerhof lag, wurde mir beim Gedanken an die gestrige Verfolgungsjagd ein wenig flau im Magen.