„Freiheit bedeutet, dass man nicht unbedingt

alles so machen muss wie andere Menschen.“

Astrid Lindgren

Titelbildgrafik Yurii Perepadia

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen

Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© Ulrike Claßen-Büttner, Wiehl 2021

Band 2 der Reihe „Ein Monat ...“

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-75578-710-5

Ein Monat kreativ

Was ist Kreativität?

Der Begriff Kreativität leitet sich vom Lateinischen creare ab, was soviel wie verursachen, erschaffen oder wählen bedeutet. Als kreativ werden häufig beeindruckende Künstler oder geniale Wissenschaftler bezeichnet. Aber Kreativität ist keine mystische Gabe. Sie wird nicht von den Göttern verliehen und sie ist nicht nur einigen Auserwählten vorbehalten. Wir alle sind kreativ – von Natur aus!

Informationen neu zu kombinieren ist eine der grundlegendsten Fähigkeiten des menschlichen Gehirns. Allein durch den Gebrauch von Sprache beweisen wir tagtäglich, wie kreativ jeder einzelne von uns ist. Unser Gehirn hat die Bedeutungen tausender Wörter abgespeichert. Aus diesen bilden wir in jedem Gespräch völlig neue und einzigartige Wortreihen. Diese Sätze ergeben nicht nur für uns selbst einen Sinn, sondern können auch von unseren Gesprächspartnern entschlüsselt und verstanden werden. Das gelingt nur dank unseres kreativ arbeitenden Verstandes. Aber unsere Gehirne können noch viel mehr – wenn wir sie lassen!

Steckt in uns allen ein kleiner Leonardo da Vinci, ein künstlerisch begabtes Universalgenie, ein tollkühner Erfinder und Um-die-Ecke-Denker? Wahrscheinlich nicht, denn zum Glück gibt es noch viel mehr Ausdrucksmöglichkeiten von Kreativität. In der Fachliteratur wird gelegentlich zwischen „kleiner“ und „großer“ oder „alltäglicher“ und „außergewöhnlicher“ Kreativität unterschieden. Aber die Grenzen dazwischen sind fließend und die Bewertung liegt – wie so häufig – im Auge des Betrachters. In diesem Buch soll es nicht darum gehen, aus dir einen kleinen Einstein oder Picasso zu machen. Ziel von Ein Monat kreativ ist es, deine ganz persönliche Kreativität (wieder) zu erwecken. Es geht um das Erleben kreativer Prozesse, um clevere Problemlösungen und das Aufspüren von Glück und Inspiration jenseits unserer Routinen und Gewohnheiten.

In vielen Bereichen des Lebens passiert kreatives Denken ganz automatisch. Nicht nur, wenn wir unsere Sprache benutzen, sondern auch jedes Mal, wenn wir in die Zukunft denken und etwas planen. Sei es das morgendliche Zusammenstellen unserer Garderobe, das Aussuchen eines Geburtstagsgeschenks, die Vorbereitung einer Feier oder das Umgestalten unseres Gartens. All diese Denkprozesse sind kreativ. Unser Gehirn erschafft dabei verschiedene mögliche Zukunftsszenarien und vergleicht sie so lange miteinander, bis wir uns für eines entscheiden können. In Gedanken simulieren wir also ständig die Zukunft. Dabei greifen wir vor allem auf unsere Erfahrungen zurück. Je mehr Eindrücke wir in unserem Leben gesammelt haben und je besser wir diese durch kreatives Denken verknüpfen, desto interessanter werden unsere Ideen und desto größer unsere Auswahlmöglichkeit bei Entscheidungen. Die täglichen Inspirationen in diesem Buch helfen dir, in allen Lebensbereichen mehr Möglichkeiten zu entdecken und zu erschaffen.

Mut zum kreativen Denken

Kreativ zu handeln und zu denken ist mit dem Entdecken und Erleben von Neuem und dadurch auch mit gewissen „Risiken“ verbunden. Es besteht nämlich die Gefahr, dass dieses Neue uns vielleicht nicht gefällt oder sich sogar negativ auf unser Leben auswirkt. Aus diesem Grund fehlt uns manchmal der Mut, unser kreatives Potential auszunutzen.

Tritt etwas Neues in unser Leben, ist das zudem oft mit einer Abschwächung der Bedeutung des Alten verbunden. Eher konservative, sicherheitsliebende oder ängstliche Menschen neigen daher dazu, Neues abzulehnen und das Bekannte, Althergebrachte zu bevorzugen. Da jedoch das einzig Konstante in unserer Welt der Wandel ist, ist es aus psychologischer Sicht gesehen vorteilhaft, eine eher offene und neugierige Einstellung zum Leben zu haben. Wer das Buch Ein Monat Glück aus dieser Reihe gelesen hat, weiß, dass kreatives Denken und Handeln die Lebensfreude immens steigern kann – trotz des Risikos, dass das Ergebnis manchmal anders ausfällt als geplant.

„Kreativität ist nichts anderes, als die Fähigkeit, Dinge, die nichts miteinander zu tun haben, zu kombinieren.“

Ida Fleiß

Die Schwierigkeit beim Um-die-Ecke-denken

Edward de Bono führte den Begriff laterales Denken in die Kreativitätsforschung ein. Er bedeutet so viel wie Quer- oder Um-die-Ecke-Denken. Der Begriff kreatives Denken war de Bono zu stark mit einer Bewertung des Ergebnisses verbunden. Seiner Meinung nach sind viele sogenannte kreative Menschen zwar in einem bestimmten Feld schöpferisch, aber sie müssen in ihrem Denken trotzdem nicht sonderlich flexibel sein. Um aus gewohnten Bahnen und Mustern ausbrechen zu können oder sie gar als falsch zu erkennen, muss man jedoch flexibel denken und bereit sein, die Welt gelegentlich aus neuen Blickwinkeln zu betrachten. Warum fällt uns das oft so schwer?

Eine der wichtigsten Aufgaben unseres Gehirns besteht darin, wiederkehrende Muster zu identifizieren oder selbst welche zu bilden. Diese Denkmuster vereinfachen unser Leben. Über Dinge, die wir aus Erfahrung kennen, brauchen wir nicht jedes Mal neu nachzudenken. Fahrradfahren, mit Messer und Gabel essen oder einen Grill anzünden stellt beim ersten Mal eine echte Herausforderung dar. Sobald wir den Dreh jedoch raushaben, brauchen wir unser Gehirn dafür nicht mehr anzustrengen. Der Hauptzweck unseres Denkens ist also das Finden und Abspeichern von Mustern, um mit deren Hilfe weiteres Denken vermeiden zu können. Gibt es aber Veränderungen in unserem Leben (oder die Sehnsucht danach), funktionieren alte Muster oft nicht. Dann braucht man die Fähigkeit aus seinen eingefahrenen Denkmustern auszubrechen. Man muss kreativ denken!

Warum Kreativität nicht für Genies und Künstler reserviert ist

Kreativität ist eine Fähigkeit, die jeder hat, und die er ausbauen und entwickeln kann. Angeborenes Talent mag zwar in speziellen Bereichen ein Faktor sein, aber Studien zeigen, dass es sich beim Talent eher um einen Mythos handelt. Mozart wurde nicht als Komponist geboren und Einstein nicht als Physiker. Künstler oder Wissenschaftler, die in irgendeinem Bereich wirklich exzellent sind oder waren, haben sich das immer erarbeitet. Es ist ihnen nicht einfach zugeflogen. Sie haben einen bestimmten Weg eingeschlagen und es dann schlicht und ergreifend richtig gut hingekriegt. Aus welcher Motivation heraus sie den Weg wählten (eigenes Interesse oder Druck von außen) und wer an ihrer Seite stand (fördernde Eltern, Lehrer, Wegbegleiter), ist dabei genauso wichtig wie harte Arbeit, Lernen und Üben, wie der Mut, Gelegenheiten am Schopfe zu packen und wie das Glück, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein.

Kreativität ist die Grundlage jeder Entwicklung. Man braucht sie nicht nur als Künstler, in der Wissenschaft oder im Berufsleben, sondern auch im Alltag. Das Leben wird leichter und bunter, wenn man fähig ist in jeder Situation flexibel zu reagieren. Durch kreatives Denken verbessern sich also keineswegs nur künstlerische Fähigkeiten. Es macht uns fit darin, unser Leben in all seinen Facetten erfolgreicher zu meistern.

Kreativität auf Knopfdruck?

Der Bildungsforscher Ken Robinson definiert Kreativität als einen Prozess, in dem eigenständige, innovative Ideen entstehen, die für jemanden einen Wert oder Nutzen haben. Wer auf der Suche nach solchen Ideen ist, kann sich neue Erkenntnisse aus der Psychologie zunutze machen. Kreative Prozesse sind schon seit längerem im Fokus des Interesses, vor allem, weil auch die Wirtschaft immer stärker auf Innovation fokussiert ist. Die Zeitabstände zwischen neuen Modekollektionen, Smartphonemodellen oder Autotypen werden immer kürzer. Dementsprechend müssen sich Designer und Ingenieure immer schneller den nächsten Trend ausdenken oder die nächste technische Spielerei entwickeln. Inzwischen gibt es einige „Kreativ-Methoden“, die bei dieser kommerziellen Produktion von Ideen helfen sollen. Sie basieren zum Teil auf wissenschaftlichen Studien und können tatsächlich recht effektiv sein. Einige dieser Techniken sind auch im Alltag anwendbar und du wirst sie im Laufe dieses Buches kennenlernen.

Es gibt jedoch auch ausbaubare Fähigkeiten, Persönlichkeitsmerkmale und Eigenschaften, die das kreative Denken unterstützen. Hilfreich ist es beispielsweise sich selbst gut zu kennen, offen für Neues zu sein, eine lebhafte Fantasie zu haben, flexibel zu sein, Regeln und Informationen zu hinterfragen, gerne zu experimentieren, Neues und Ungewöhnliches auszuprobieren, gut zu beobachten, eine gewisse Sensibilität und Gefühlstiefe zu haben, kommunikativ zu sein und sich gerne mit anderen Menschen auszutauschen, auch - oder vor allem - wenn sie anderer Meinung sind.

Wie funktioniert Denken?

Wie genau unser Gehirn funktioniert, wie es Informationen speichert, wieder abruft und neu kombiniert, kann die Wissenschaft in vielen Bereichen noch nicht erklären. Die Arbeitsweise unseres Denkorgans ist einfach zu komplex und zudem ist die praktische Forschung problematisch, da lebende Gehirne üblicherweise von ihren Besitzern noch gebraucht werden.

Nachweislich ins Reich der Mythen gehört die Behauptung, dass wir nur zehn Prozent unseres Gehirns tatsächlich nutzen und der Rest brach liegt. Die Forschung hat bisher noch keinen Bereich des Gehirns gefunden, der nicht für irgendetwas gebraucht wird.

Auch wenn viele Details der Gehirnfunktionen noch im Dunkeln liegen, heißt das nicht, dass man gar nichts weiß. Bevor du dich in den nächsten vier Wochen praktisch mit dem kreativen Denken befassen wirst, zuvor ein paar theoretische Basisinformationen zur Arbeitsweise unseres Gehirns: Das menschliche Gehirn besteht aus über 80 Milliarden Nervenzellen. Sie sind die Grundbausteine unseres gesamten Nervensystems. Würde man alle Nervenbahnen unseres Gehirns zu einer Kette aneinanderreihen, hätte diese eine Länge von etwa 5.800.000 Kilometern. Zum Vergleich: Der Erdumfang beträgt etwa 40.000 Kilometer. Unglaublich, oder?

Die Nervenzellen sind jedoch nicht direkt miteinander verbunden. Sie tauschen Signale über sogenannte Synapsen aus. Im Spalt zwischen den Synapsen zweier Zellen wird die Information manchmal durch elektrische, meist aber durch chemische Aktivität weitergegeben. Dabei kann die Information im synaptischen Spalt beeinflusst oder verändert werden: durch chemische Botenstoffe des Körpers, aber auch durch Nervengifte wie Alkohol.

Was ist ein Gedanke?

Ein Gedanke ist ein elektrischer Impuls, der einen ganz bestimmten Weg im Netzwerk der Nervenzellen unseres Gehirns nimmt. Wenn wir einen neuen Gedanken haben, etwas lernen oder etwas tun, was wir noch nie vorher getan haben, verändert sich dadurch unser Gehirn. Zuerst sind es nur biochemische Veränderungen bei der Informationsübermittlung im Synapsenspalt. Nach einigen Wiederholungen entstehen jedoch neue Verknüpfungen zwischen bestimmten Nervenzellen. Je mehr davon sich bilden, desto besser wird die Information im Gedächtnis verankert. Der evolutionäre Sinn dabei ist, dass wir nach jeder Lernerfahrung zukünftig besser angepasste Gehirnstrukturen einsetzen können. Wir lernen beispielsweise durch eine Erfahrung, den Kopf einzuziehen, wenn wir durch eine niedrige Tür gehen. Es bildet sich ein neuer Pfad in unserem Gehirn, der später auch in anderen Situationen hilfreich sein kann. Je öfter wir einen Denkweg benutzen, desto breiter und besser ausgebaut wird er.

Der kanadische Psychologieprofessor Donald Hebb hat diese Funktionsweise des Gehirns schon im Jahr 1949 postuliert. Er prägte das Schlagwort: „Neurons that fire together, wire together“. Also Neuronen, die zusammen feuern, verknüpfen sich miteinander. Auf diese Weise organisiert sich unser Gehirn ständig neu. Wir wachen an keinem Morgen mit dem gleichen Gehirn wie am Tag zuvor auf.