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Autorin

Regena Thomashauer, auch bekannt als »Mama Gena«, glaubt, dass Frauen die größte unerschlossene natürliche Ressource auf dem Planeten sind. Sie ist Gründerin der »Schule der weiblichen Künste« in New York und eine Ikone auf dem Gebiet der weiblichen Lust und der persönlichen Weiterentwicklung von Frauen.

Regena Thomashauer

Pussy

Hol dir deine
weibliche Kraft zurück

Aus dem Englischen von
Connie Reiber

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Die amerikanische Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel
»Pussy« bei Hay House Inc., Großbritannien.


1. Auflage

Deutsche Erstausgabe

© 2018 der deutschsprachigen Ausgabe Arkana, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Copyright © 2016 Regena Thomashauer
Published in 2016 by Hay House Inc.

Lektorat: Anne Nordmann

Umschlaggestaltung: ki36 Editorial Design, München, Daniela Hofner

Umschlagfoto: © Stephan Sahm

Autorinnenporträt: © Liz Linder

Bildnachweis: (1) © Ranier Wood; (2) © Susan Lee;
Vignetten © colourbox

Quellennachweis: Zitat 1: Naomi Wolf, Vagina. Eine Geschichte der Weiblichkeit. Deutsche Übersetzung von Barbara Imgrund, Gabriele Gockel, Karola Bartsch

Copyright © 2012 Naomi Wolf; 2013 Rowohlt Verlag GmbH,
Reinbek bei Hamburg;

Zitat 2: © Orlanda Buchverlag

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-22137-9
V001

www.arkana-verlag.de

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Kapitel 1: Der Ruf der Göttin

Kapitel 2: Die Pussy zurückerobern

Kapitel 3: Die große Verwandlerin

Kapitel 4: Kliteralität

Kapitel 5: Der Weg der Kurtisane

Kapitel 6: Der Bruch

Kapitel 7: Strahlkraft

Kapitel 8: Strahlende Beziehungen

Kapitel 9: Die Lustrevolution

Nachwort

Anhang

Weiteres Material

Danksagung

Ich widme dieses Buch allen Frauen, die nie von ihm hören werden, ja, die sich seine Existenz nicht einmal vorstellen können; Frauen, die gerade an den dunkelsten Orten der Welt leben (sei es innere oder äußere Dunkelheit) und kaum davon träumen können, sich mit Themen zu beschäftigen, wie sie in diesem Buch behandelt werden. Mögen diese Frauen, wie beim Schmetterlingseffekt, irgendwie einen Windstoß unserer Liebe und Hingabe an alles Weibliche spüren. Möge unser strahlendes Licht auch das ihre aus der Ferne entzünden.

Vorwort

Was für eine Tour de Force! Ich bin beeindruckt von der Tiefe, dem Humor und der bahnbrechenden Weisheit dieses Buches. Und ich empfinde es als eine Ehre, dem Buch dabei helfen zu dürfen, sich über die ganze Welt zu verbreiten. Ich höre die Melodie von Regenas ganzem Leben und ihrer seelischen Reise auf jeder Seite und spüre ihre wunderbare Kraft, das Leben auf dieser Welt und aller ihrer Geschöpfe zu bereichern.

Regena ist eine der tiefgründigsten und provokativsten Vordenkerinnen der Gegenwart. Meine Hoffnung ist, dass dieses Buch in die Hände jeder Frau auf der Welt gelangt, auf dass ihr Leben durch das Wissen und die Übungen so verändert werden möge wie meines.

Ich habe die Magie und das Geheimnis der Schule der weiblichen Künste als Mutter zweier Absolventinnen kennengelernt. Ich sah meine Töchter aufblühen und die Veränderung ihrer Beziehungen zu sich selbst, zu ihren Freunden und Männern. Und ich habe selbst an der Schule schon häufig unterrichtet. Am Anfang sprach ich einmal über einen bestimmten Aspekt der Weisheit der Frauen und wie sie mit ihren Körpern zusammenhängt. Da ich vorher schon an Kursen teilgenommen und die Übungen mitgemacht hatte, interessierte ich mich für die Erfahrung der Lust und ihr Verhältnis zur körperlichen Gesundheit. Also bat ich während dieses Vortrags die Schülerinnen, ans Mikrofon zu kommen und darüber zu berichten, falls sie irgendwelche gesundheitlichen Veränderungen erlebt hätten, seit sie an der Schule der weiblichen Künste waren. Zu meiner Überraschung reichte die Schlange der Frauen, die sprechen wollten, bis zum Ende des Raums. Und noch überraschender war, was sie zu berichten hatten, wie gesundheitliche Probleme besser wurden oder ganz weggingen, seit sie mit den weiblichen Künsten zu tun hatten. Es war alles dabei, von auffälligen Pap-Abstrichen über Unfruchtbarkeit, Eierstockzysten bis zu Lungen- und Brustkrebs. In dem Moment wurde mir klar, dass die bewusste und gezielte Förderung der eigenen Lust das Leben einer Frau nicht nur verbessern, sondern retten kann.

Es gibt viele wissenschaftliche Untersuchungen, die den Zusammenhang von Lust und Gesundheit belegen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Produktion großer Mengen von Stickstoffmonoxid, das vom Endothel, der innersten Wandschicht der Blutgefäße, während Zuständen der Freude, Lust und Ekstase produziert wird. Stickstoffmonoxid ist der Ober-Neurotransmitter, der alle anderen, wie Dopamin, Serotonin und Beta-Endorphin, anregt und reguliert, genau die Neurotransmitter also, die viele Frauen durch Psychopharmaka wie Prozac und Paxil zu regulieren versuchen. Ich bin fest davon überzeugt, dass nur sehr wenige Frauen diese Medikamente benötigen würden, wenn sie die Kraft des Eros und der Lust im täglichen Leben verstehen und fördern würden.

Als Mutter, Ärztin und Wissenschaftlerin beobachtete ich die Leben spendende Kraft der Lust im Leben meiner Töchter und anderer Frauen. Aber dann verstand ich, dass man die Kraft der Pussy nicht mit dem Intellekt zurückerobert. Es ist eine Sache des Körpers. Und als Frau musste auch ich in die SWA als Teilnehmerin, nicht als irgendeine wissenschaftliche Expertin, die das Ganze von außen mit einem Notizbuch in der Hand beobachtet. Also tauchte ich ein. Ich belegte den Kurs. Ich wurde eine Göttliche Schwester mit Haut und Haar. Ich lernte zu prahlen, ich lernte andere Frauen zu loben. Ich lernte, wie wichtig es ist, Göttliche Schwestern in meinem Leben zu haben – Frauen, die sich von der »Fiese-Mädchen-Haltung« des sich gegenseitig Verletzens, das wir noch aus der Schule kennen, losgesagt hatten, einem Produkt des Patriarchats, von dem sich die meisten erwachsenen Frauen nicht mehr erholen, es sei denn, sie öffnen sich einem grundlegenden Umdenken.

Meine Töchter und ich arbeiteten auch diverse Mütter-Töchter-Dynamiken des Schmerzes durch, die wir von vorherigen Generationen geerbt hatten. Sie mussten lernen, mich als eine sinnliche Frau zu sehen, die ein volles, leidenschaftliches Leben wollte – nicht nur eine Mutter, die ihre besten Jahre hinter sich hatte und deren Zukunft sich nur noch um die Sorge für ihre Enkel und andere Familienmitglieder drehte. Ich schickte auch viele weitere Frauen zur SWA, da ich wusste, dass der Kern der Gesundheit einer Frau – und der der Männer und der unseres Planeten – in der Wiederverbindung mit dieser Kraftquelle in uns liegt.

Aber da ist noch etwas. Ich habe nämlich auch Regenas fast unheimliche Fähigkeit kennengelernt, die Wünsche einer Frau lange vor ihr selbst zu erahnen. Mit anderen Worten: Regena ist eine Frauenflüsterin. Und sie wird eine Frau zu Boden ringen, wenn es sein muss, um sie zur Aufgabe des Widerstands gegen ihre eigenen Wünsche und ihre Lust zu bewegen. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Es ist die beste Show in der ganzen Stadt. Sie ist eine wirklich furchtlose Kriegerin für die Verbundenheit von Schwestern und für die Lust. Auch ich war nicht immun dagegen.

Durch meine Arbeit an der Schule der weiblichen Künste hat sich mein ganzes Leben verändert. Auf Regenas Vorschlag hin nahm ich Tangokurse. Ich hatte zugleich Lust darauf und Angst davor, insbesondere als sie mich bat, als Auftakt des Männer-Kursabends im Mastery-Programm einen Tango vor Hunderten von Männern und Frauen zu tanzen. Die gleiche Lust und Furcht, die du vielleicht empfunden hast, als du dieses Buch im Regal erblickt oder in die Hand genommen hast. Regena hatte mich herausgefordert. Wer war ich, dass ich ihr diese Bitte abschlagen konnte? Ich habe nicht einen Kurs mit meinem Tanz eröffnet, nicht zwei, sondern drei, jedes Jahr kraftvoller und besser tanzend. Jedes Jahr furchtloser in meinem Willen, mich in meinen Körper und meine Lust fallen zu lassen. Und jedes Jahr zog ich einen besseren Partner an, bis ich schließlich vollständig angekommen war, als mein Tangolehrer Paul sich für diese Vorführung mit mir bereit erklärte. Ich vertraute ihm völlig. Direkt bevor wir auf die Bühne gingen, sagte Paul: »Wir schaffen das.« Ich schmolz in seinen Armen und tanzte mich fast um den Verstand. Seitdem tanze ich dort immer wieder. Mit jedem Teil von mir, auch mit meiner Pussy.

Regenas Arbeit hat auch zur Vertiefung meiner eigenen Arbeit geführt. Sie war eine elementare Quelle der Inspiration für mein letztes Buch Göttinnen altern nicht, das zu einem New York Times-Bestseller wurde.

Die Wiederaneignung der Pussy bedeutet nicht, wie Regena erklärt, mit vielen Leuten Sex zu haben. Es geht nicht einmal um Sex. Es kann um ihn gehen. Bei der Wiederaneignung der Pussy geht es um die Rückeroberung der erotischen Kraft, die die Quelle einer Frau ist. Es geht darum, den Himmel auf die Erde zu bringen – in den heiligsten Teil deines Körpers und deines Lebens. Ich habe immer wieder gesagt, dass du, wenn du wissen willst, wo du deine Stärke finden kannst, dorthin gehen musst, wo du die stärkste Angst spürst. Dein Orgasmus, deine Tage, Wehen und Geburt, die Menopause – all das sind Vorgänge, die mit deiner Pussy zu tun haben. Hier liegt deine wirkliche Kraft. Im heiligen Tempel deines Beckens. Direkt vor dem Knochen, der Sacrum genannt wird, der heilige Knochen. Der Ort, wo die Seele in den Körper gelangt.

Und so lautet mein Auftrag an dich, den ich dir als Ärztin gebe, die ihr Leben damit zugebracht hat, Frauen bei der Heilung ihres Körpers zu helfen: Habe den Mut und lies Pussy. Aber lies das Buch nicht nur. Lass seine Wahrheit in deinem Körper wirken, bis tief ins Knochenmark. Lass dieses Buch dein Leben verändern, so wie es meines verändert hat. Lebe seine Botschaft. Hol dir dein Strahlen zurück und die Leben spendende Kraft der Lust und des Eros in deinem eigenen Körper. Und werde dir so wieder bewusst, wer du wirklich bist. Eine Göttin.

Christiane Northrup

März 2016

Einleitung

Pussy.

Es gibt wohl kein abschätzigeres Wort in der englischen Sprache. Es ist der heftigste anzügliche Angriff auf die Würde einer Frau, wenn es darum geht, sie zu verletzen, zu demütigen, ja sie in ihrem Menschsein infrage zu stellen. Zugleich ist Pussy auch die schlimmste Erniedrigung für einen Mann; es gibt keinen direkteren Weg, einen Mann zu kastrieren, als ihn eine Pussy zu nennen, keinen deutlicheren Hinweis darauf, dass sein Ruf als Mann in Gefahr ist.

Niemand nennt mich eine »Pussy«, wenn er zum Ausdruck bringen will, wie strahlend und schön ich gerade aussehe. Keiner verwendet das Wort, um mir mitzuteilen, wie virtuos und toll ich eine gewaltige Aufgabe gelöst habe. Dabei ist Pussy all das. Und noch viel mehr.

Ich bin eine Frau der Worte, das habe ich von meinem Vater. Er konnte ein paar Zeilen aufs Papier werfen und mit ihnen genau das ausdrücken, worum es ihm ging. Jeden Freitagabend las er aus der Bibel vor.

Ich wurde zu Achtung und Bewunderung für die Macht der Sprache erzogen; dafür, dass ein einzelnes, bewusst eingesetztes Wort eine ganze soziale Bewegung auslösen oder am Anfang einer Philosophie stehen kann. Dafür, dass ein einzelnes Wort den Gang der Geschichte ändern kann.

Mein Lieblingsbuch war das Wörterbuch, das ich zu Beginn meiner Gymnasialzeit bekam. Besonders gern schlug ich die Etymologie meiner Lieblingswörter nach, mit jedem Umblättern tat sich mir eine neue historische Welt auf. Das einzige Problem: Unter den Millionen von Wörtern, die zwischen den zwei Deckeln dieses geliebten Buches standen, war keines dabei, das mich beschrieb. Kein einziges Wort, das die Intensität meiner Gefühle ausdrückte, mein ungreifbares und sich immer wandelndes zyklisches Wesen, meine ungebändigte Weiblichkeit, meine Zartheit, meine Schüchternheit, meine Stärke, meine Sehnsucht danach, gesehen und erkannt, geliebt und verstanden zu werden. Kein Wort. Nicht ein einziges.

Was in einer Kultur abwesend ist, erzählt uns genauso viel über sie wie das, was in ihr etwas bedeutet. Eine der elementarsten unbewussten Konditionierungen unserer westlichen Kultur ist die, dass wir unseren Töchtern keinen Namen für die Quelle unserer weiblichen Kraft beibringen. Fragt mal die Schülerinnen an meiner Schule der weiblichen Künste, welche Bezeichnungen für ihre Genitalien man sie als Kind gelehrt hat, und ihr werdet eine Menge umgangssprachlicher Ausdrücke zu hören bekommen: Scheide, Untenrum, Lulu, Mumu, die Liste ließe sich fortsetzen. Diejenigen, denen man ein direkteres Wort beigebracht hat, lernten meist »Vagina«, ein klinischer Begriff, der obendrein physiologisch nicht einmal stimmt.

Was jedoch noch schlimmer ist: Der Mehrheit der Frauen wurde beigebracht, gar kein Wort für sie zu haben.

Wenn wir aber keine Sprache haben für die Beschreibung dessen, was unsere Weiblichkeit am stärksten definiert, dann haben wir auch keine Möglichkeit, unsere Kraft als Frau überhaupt zu finden und zu besitzen. Wie mein Vater freitagabends vorlas: »Am Anfang war das Wort.« Wenn es kein Wort gibt, dann gibt es auch keinen Anfang. Wie würdet ihr über ein dezentrales Netzwerk von Computern reden, die über Leitungen miteinander verbunden und aufgrund eines einheitlichen Übertragungsstandards in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren, wenn ihr dafür nicht das Wort Internet hättet? Und doch ermöglicht unsere Kultur es uns nicht, über den Ort zu sprechen, von dem unsere Kraft – und genau genommen: das Leben – ausgeht.

Es ist genau diese weibliche Kraft, die in allen Erfolgsgeschichten, von denen wir hören, abwesend ist. Hier liegt der Grund, warum Sheryl Sandberg, eine der erfolgreichsten Frauen Amerikas, in einem Porträt im New Yorker erklärt, dass sie sich ihr ganzes Leben schon wie eine Hochstaplerin fühle. Oder warum die Modedesignerin Diane von Fürstenberg in der Sendung CBS This Morning sagt, dass sie jeden Tag mit dem Gefühl aufwache, eine Versagerin zu sein. Warum Gayle King, die von Fürstenberg interviewte, dann antwortet, sie wiederum wache jeden Morgen mit dem Gefühl auf, dick zu sein.

Oder warum Shonda Rhimes in ihrem Buch Year of Yes feststellt, dass sie und alle Frauen, die sie kennt, Probleme mit Komplimenten haben und unfähig sind, Anerkennung und Beifall wirklich anzunehmen.

Es ist der Grund dafür, warum so viele junge Wissenschaftlerinnen nur begleitende Tutorien unterrichten, während ihre männlichen Kollegen bereits eigene Seminare geben. (Linda Babcock, Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Carnegie-Mellon-Universität und Co-Autorin des Buches Women Don’t Ask, berichtet, dass ihr Dekan ihr dieses Ungleichgewicht lapidar so erklärte: »Männer fragen halt. Frauen fragen nicht.«) Es ist der Grund dafür, warum Männer viermal so oft wie Frauen um Gehaltsverhandlungen bitten. Es ist der Grund dafür, warum Frauen, wenn sie dann verhandeln, 30 Prozent weniger fordern als Männer.

Die Frage, warum Frauen solche Schwierigkeiten haben, Zugang zu ihrer Kraft und zu ihrer Stimme zu bekommen, und nichts, was sie erreichen, das Problem zu lösen scheint, lässt mich nicht in Ruhe. Wenn ich mich umsehe in der Welt der Frauen, dann wirkt es auf mich so, als seien unsere Lichter aus. Wir sind auf off gestellt, wie ein Lichtschalter. Die Glühbirne sitzt in der Fassung, aber sie leuchtet nicht. Und wen wundert’s? Uns allen wurde beigebracht, dass wir uns ausschalten; uns abwenden.

Uns abwenden von den Obdachlosen, die um Kleingeld bitten.

Uns abwenden von den Folgen des Klimawandels, den wir alle mit unserem täglichen Handeln und Nichthandeln verstärken. Uns abwenden von unseren Gefühlen.

Man musste sie uns gar nicht antrainieren, diese Abwendung. Unsere Kultur sorgt dafür mit Mitteln, die weit stärker sind als Worte. Vielen von uns wurde beigebracht, starke Gefühle nicht zuzulassen, sie als peinlich oder sogar lächerlich zu empfinden. Viele von uns hat man gelehrt, alles Verwegene, Ungeheure zu unterdrücken. Es abzuschalten. Wir schalten unsere Lebensenergie ab, schalten unsere Gefühle ab, schalten unsere Sinnlichkeit ab, und so schalten wir letztlich unsere Kraft ab.

Wenn wir also in einer Welt leben, die sich ihrer eigenen Bigotterie im Verhältnis zu Frauen nicht einmal bewusst ist – und daher auch nicht den Schritt machen kann, den Frauen, die durch sie verletzt oder zerstört wurden, Respekt und Unterstützung entgegenzubringen –, wo finden wir dann Zuflucht? Wie wehren wir uns gegen einen unsichtbaren Angriff, der auch nicht sichtbar sein will? Wie übersteht eine Frau eine so fundamentale Leugnung ihrer Empfindungen?

Wie findet sie einen Weg, sich selbst zu heilen, zu stärken und sich neu zu erleben in einer Welt, die nicht anerkennt, dass sie zutiefst verletzt ist? Wie erweckt sie sich selbst zum Leben, wenn sie systematisch übergangen und unterworfen wird?

Wo gibt es in dieser Geschichte die Möglichkeit für das Opfer, zur Heldin zu werden?

Wie können wir als Frauen unsere Heiligkeit wieder neu erlangen, nachdem wir unser ganzes Leben entweiht waren, off waren und ignoriert worden sind?

Die Lösung für diese allgegenwärtige Ohnmacht unter den Frauen, der offenbar weder mit großen individuellen Erfolgen noch mit höherer Bildung beizukommen ist, ist einfach: Die Frauen müssen wieder eine Verbindung zu ihrer Pussy entwickeln. So wie die Pussy der Ursprung alles menschlichen Lebens ist, entspringt ihr auch der Kontakt der Frauen zu ihrer Lebensenergie, ihrer Stimme und ihrem Gefühl einer inneren Kraft. Wenn eine Frau ihre Pussy zum Leben erweckt, wird sie auch ihre Lebensenergie neu erwecken und mit ihrer eigenen Göttlichkeit in Verbindung treten.

Meine Arbeit hatte immer dieses eine Ziel: einen Weg zu bahnen, heraus aus der Opferrolle und hinein in das uns eigene Leuchten. Einen Weg, der von nichts und niemandem sonst abhängt, sondern die Macht ganz in die Hände der Frau legt. Wenn sie ihr Schicksal selbst gestaltet und es dann lebt, rückt eine Frau auf ganz natürliche Art alles gerade, was in unserer Welt schiefläuft. Aber der erste Schritt ist der wichtigste – sie muss mit ihrer eigenen Pussy ins Reine kommen. Und mehr als das. Sie muss den am stärksten verunglimpften, verleumdeten und zugleich unbekanntesten Teil von sich selbst zum Leben erwecken.

Als Gründerin und Betreiberin der Schule der weiblichen Künste, einer extrem erfolgreichen Bildungseinrichtung in New York City, habe ich es mir zur Aufgabe und zum Ziel gemacht, dass wir unsere Kraft und unsere Macht zurückerobern – dass wir unsere Pussy zurückerobern, angefangen mit dem Wort selbst. Praktisch heißt das, dass ich Seminare gebe, in denen ich Hunderten von Frauen den Weg zu persönlichem Wachstum und der eigenen Weiterentwicklung aufzeige. Ich begleite sie auf einer Reise, die sie zu einer Rückbesinnung auf ihre Geschichte, zu sinnlichem Erwachen, einem psychologischen Neuanfang und der Erfahrung ihrer spirituellen und körperlichen Stärke führt. Ich helfe meinen Schülerinnen beim Eintauchen in die Welt der weiblichen Techniken und Künste, lade sie ein in eine Gemeinschaft Tausender Schwestern, von denen sie lernen und auf die sie sich verlassen können, und ich begleite sie auch in ihrem weiteren Leben bei ihrem Wachstum und ihrer Wandlung. Die Schule der weiblichen Künste (die ich im Folgenden SWA abkürze, für School of Womanly Arts) ist für Frauen und wird von Frauen geleitet. Ihr Ziel ist es, jede Teilnehmerin angesichts der zahlreichen Herausforderungen, vor die uns das Leben stellt, ihren eigenen unveräußerlichen, unermüdlichen, unzerstörbaren weiblichen Geist spüren zu lassen. Frauen, die in unsere Seminare kommen, nehmen ein Gefühl der Verbundenheit mit ihrer ureigenen Kraft mit, eine Tiefe des Selbstvertrauens, die vorher unvorstellbar schien, und ein echtes Verständnis ihres eigenen Werts im Hier und Jetzt.

Stellt euch folgendes Bild vor: Ein Raum voller knisternder, pulsierender Energie Hunderter Frauen, die als Schwestern zusammenstehen, manche sind zum ersten Mal da, manche langjährige Mitglieder der Gemeinschaft, und alle eint ein Gefühl tiefer gegenseitiger Verbundenheit. Alle Saiten dürfen zum Schwingen gebracht werden, die emotionalen, die körperlichen, die spirituellen. Wir toben zusammen, weinen zusammen und bringen den Boden zum Beben. Wir feiern das Leben – zusammen. Und jede Frau spürt sich selbst stärker, weil sie die anderen um sich hat.

Genau das will auch dieses Buch bei euch bewirken. Ihr werdet eure Intuition stärker spüren, als ihr es euch vorstellen könnt, eure heilige weibliche Kraft. Und ihr werdet eure Stimmen hören, eure Stimmen, die das Recht haben, gehört zu werden. Ich werde euch einige Aufgaben stellen, die ich auch im Mastery-Kurs der SWA verwende, damit ihr nicht nur lest, was alles möglich ist, sondern die tiefen innerlichen Veränderungen tatsächlich auch erlebt.

Zur Klärung

Die Unterscheidung von »Mann« und »Frau« dient mir in diesem Buch als eine Struktur, um über die männlichen und die weiblichen Kräfte in der Welt zu sprechen.

Ich kenne und liebe meine Leserinnen – lesbisch, hetero, bi, Transgender –, und es ist ein Buch für Frauen egal welcher Orientierung. Männliche und weibliche Energien gibt es in allen Menschen, in allen Beziehungen und in der Welt ganz allgemein. Den meisten von uns wurde viel über unsere männlichen Energien beigebracht und sehr, sehr wenig über die weiblichen, was sowohl individuell als auch kollektiv zu einer schwierigen Unausgewogenheit geführt hat. Dieses Buch soll euch dabei helfen, eure innere Balance wiederzufinden.

Unabhängig von der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität haben wir alle Männliches und Weibliches in uns. Die weibliche Kraft ist vor allem für das Begehren verantwortlich, die männliche Kraft für die Produktion dieses Begehrens. Die männliche ist der Fels; die weibliche ist die Welle, die gegen den Fels schlägt. In gleichgeschlechtlichen Beziehungen werden diese Rollen häufig gewechselt, aber auch in heterosexuellen Beziehungen gibt es diesen Rollentausch. Mal genießt eine Hetero-Frau es, ihre männliche Seite zu erleben, mal ein Hetero-Mann, seine weibliche zu spüren.

Ich werde mein Bestes tun, um beim Schreiben auf die verschiedenen Orientierungen und Identitäten einzugehen. Und ich werde, um der Klarheit willen, Männer und Frauen als Bezugspunkte nehmen. Das soll euch dabei helfen, die Unterschiede zwischen den männlichen und weiblichen Energien wirklich klar zu sehen, egal in welchem Körper sie sich zeigen. Denn so erst werden wir anfangen können, die Polarität – und die Vereinigung – dieser beiden Kräfte in unserer Welt voll zu genießen.

Dieses Buch enthält alles, was ich gelernt habe, alles, was ich gern mit mehr Menschen teilen möchte als nur den Schülerinnen, denen ich jedes Jahr begegne. Ich werde euch mit auf die Reise nehmen, die die Frauen innerhalb unseres Mastery-Kurses unternehmen, eine Reise, die letztlich jene spiegelt, die jede Frau in ihrem Leben macht. Der Kern dieses Experiments? Wir Frauen wollen uns den Ursprung unserer weiblichen Kraft zurückerobern.

Wir fangen dabei mit einer Versöhnung an, deren Notwendigkeit allein schon tragisch ist. Ich will jede Schülerin mit dem Teil ihrer selbst wieder vertraut machen, der der Schlüssel für alles ist, was sie immer gesucht hat, der aber in den Schatten verbannt und mit Scham belegt wurde. Ein Teil, der in den Untergrund abgetaucht ist. Unaussprechlich, unbesprechbar. Ein Teil, dem wir es überlassen, für sich selbst zu sorgen, oder schlimmer noch: zu verkümmern und zu sterben. Und wie anders sollte ich diese Versöhnung beginnen als so, wie unsere Welt selbst anfing – mit einem Wort?

Am Anfang war das Wort.

Das Wort, meine Lieben, lautet Pussy.

Mit diesem Buch möchte ich diesem Wort seinen rechtmäßigen Ort zurückgeben – als das größte aller denkbaren Komplimente, als ein heiliges lebendiges Gebet.