Charlotte von Ahlefeld: Erna
Neuausgabe mit einer Biographie der Autorin.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
ISBN 978-3-8430-8632-5
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-7923-5 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-7924-2 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Erstdruck: Erstdruck: Altona (Johann Friedrich Hammerich) 1820
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Kein Roman, Altona: Johann Friedrich Hammerich, 1820.
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Seiner Königlichen Hoheit
dem Herrn
Erbgroßherzog zu Sachsen-Weimar
und Eisenach, etc.
ehrerbietig gewidmet.
Ein liebes Mädchen sollst Du heute kennen lernen, Alexander, sagte die verwitwete Generalin von Zwenkau zu ihrem Neffen, einem zwanzigjährigen Husarenoffizier, der aus der Residenz gekommen war, sie in der Landstadt zu besuchen, in der sie wohnte. Das wäre eine Parthie für Dich. Gut, hübsch, sehr verständig, wohlerzogen und reich – liebes Kind, was könntest Du mehr verlangen? Das sind fürwahr Eigenschaften, die eine glückliche Ehe gründen.
Ehe? antwortete Alexander lachend. Dafür, hoffe ich, soll mich der Himmel mein Leben lang bewahren. Nein, Tante, die Liebe ist eine Frühlingssonne, die das Daseyn wärmt, und duftende Blumen hervorlockt – die Ehe aber ein Maienfrost, unter dessen feindseeligem Einfluß sie wieder erstarren. Ungebunden, nur mir selbst angehörend, will ich des Lebens süßen Reiz genießen, und nie[3] mein Haupt jenem Joche darbieten, dessen Schwere nicht allein die Freiheit, sondern auch das Glück erdrückt.
So hat die Verdorbenheit großer Städte auch Deine Grundsätze schon vergiftet, versetzte die Generalin. O Alexander, laß Dich doch nicht irre leiten von der sittenlosen, versunkenen Menge, die der ehrwürdigsten Gefühle spottet, weil in ihrer kraftlosen Brust kein Raum mehr dafür ist. Eine frühe Verbindung mit einem achtungswerthen weiblichen Geschöpf wäre ganz gewiß ein sicheres Mittel, Dich in diesem Schwarm rein Dir selbst zu erhalten – soll ich nicht wünschen, daß Du es ergreifen möchtest? Ernestine, oder Erna, wie wir gewohnt sind, sie zu nennen, die ich längst für Dich im Sinne hatte, ist die einzige Tochter einer meiner Freundinnen, der Frau von Willfried, die das hier unmittelbar an die Stadt gränzende Landguth Seedorf bewohnt. Wiewohl noch nicht vierzehn Jahr alt, verspricht dies hoffnungsvolle Kind doch ein Muster weiblicher Liebenswürdigkeit zu werden. Es fehlt ihr nichts bei den vollkommensten, zum Theil schon entwickelten Anlagen, als ein gewisses Selbstvertrauen, das ihre Schüchternheit nicht aufkeimen läßt. Sie ist so bescheiden, so wahrhaft demüthig, daß sie keine Ahnung davon hat, wie viel sie seyn könnte, wollte sie ihren Werth geltend machen. Nur wer sie so genau[4] kennt wie ich, wird sie ganz verstehen, aber sie verdient das Studium ihres Charakters, und wahrlich, es belohnt sich, denn nie wohnte ein reineres, heiligeres Gemüth in einer lieblicheren Hülle.
Sie machen mich ganz neugierig, liebe Tante, unterbrach sie Alexander scherzend. Ich bin ein Freund der jungen Rosenknospen, deren erstes zartes Roth zwischen frischem Frühlingsgrün hervordämmert, und oft in dem Versprechen eines herrlichen Entfaltens schon eben so schön ist, als in der Blüthe selbst. Gern werd' ich mich an dem reizenden Anblick weiden, und – will das holde Röschen für mich blühen, mich an seinem süßen Duft ergötzen. Aber es auf ewig in meinen Lebenskranz winden, nein Tante, das vermag ich nicht, und wäre es auch völlig dornenlos, und geradeswegs aus Eden entsprossen.
Leichtsinniger! sprach die Generalin sehr ernst, wenn Du auch – scheinbar oder wirklich – doch hoff ich, nur das erstere, den Sinn für Lauterkeit und reine Sitten verloren hast, so wirst Du doch nicht vergessen, welch' hohe Achtung der Unschuld gebührt. Ich erwarte daher wenigstens, daß Du die Tochter meiner Freundin nicht zum Spielwerk männlicher Koketterie und frivoler Eroberungssucht wählst, und der Ruhe ihres Herzens schonst, wenn Du auch, ihrer Reinheit wegen, sie vielleicht mit Recht zu hoch über Dir[5] erblickst, um an eine Verbindung mit ihr denken zu mögen.
Alexander sah, daß seine Tante aufgebracht war. Er küßte schmeichelnd ihre Hände, und versicherte ihr mit all der einnehmenden Anmuth, die ihm eigen war, daß seine Aeußerungen bei weitem nicht so ernstlich gemeint seien, als sie ihr schienen, und daß – wenn er sich auch noch für viel zu jung zum Heirathen halte, er doch gewiß ihrer mütterlichen Absicht, so wie den Verdiensten ihres unbekannten Lieblings volle Gerechtigkeit widerfahren lasse.[6]
Es gelang ihm, die Erzürnte wieder zu versöhnen, denn es war schwer, seiner hinreißenden Freundlichkeit, und seinen liebkosenden Bitten zu widerstehen.
Selten hatte die Natur einen Jüngling so verschwenderisch ausgestattet, als ihn, den bei hellem Geist und warmen, raschem Gefühl die Vorzüge einer bezaubernden Gestalt schmückten.
Sorgsame Leitung über die Untiefen und Klippen der großen Welt hätte gewiß aus ihm einen der trefflichsten Männer gebildet – aber schon in der frühsten Jugend sich selbst überlassen, und mit[6] offnen Sinnen und ungebundner Freiheit den geräuschvollen Zerstreuungen einer der üppigsten Residenzen Deutschlands hingegeben, war – durch die Macht des Beispiels hingerissen – die Reinheit seines Gemüths unter den Lockungen der Verführung und der eigenen Sinnlichkeit längst schon verloren gegangen. Nicht die Aegide der Tugend, sondern nur die Feinheit seines Geschmacks schützte ihn mitten in der Fülle des Leichtsinns und des Uebermuths vor dem Versinken in zügellose Ausschweifungen, die das Bessere im Menschen unwiederbringlich vernichten.
Aus diesem immer verderblicher werdenden Rausch der Sinne, dem er sich mit der ganzen Heftigkeit seines leidenschaftlichen Charakters hingab, würde, wie seine Tante sehr richtig meinte, eine edle Liebe ihn wohlthätig geweckt haben. Aber dies Gefühl war ihm bisher noch fremd im Leben geblieben, deshalb konnte er den heiligen Einfluß desselben nicht anerkennen, ja nicht einmal ahnen. Sich dem gauklenden Schmetterlingsschwarm zuzugesellen, der die blendendsten Koketten der Residenz umflatterte und ihm durch die Ueberlegenheit seiner glänzenden und einschmeichlenden Eigenschaften den Rang abzulaufen, um nach erlangtem Siege sich schnell nach einem neuen Gegenstand seines Verlangens umzusehen, war bisher der Cyklus seiner Beschäftigungen und das stete Ziel seiner Bemühungen[7] gewesen, in dessen Erreichung seine Eitelkeit Befriedigung fand, wenn auch das Herz leer blieb. Ihn erwärmte bei so unwürdigen Unternehmungen nicht jene reine Flamme wahrer Empfindung, die selbst Verirrungen adelt, welche sich auf ihre Innigkeit gründen, sondern es war ein eingeheiztes Feuer, mit dem er sich und andern in thörichter Verblendung weis machte, daß er glühe, während er eigentlich sehr oft nur kalte Geringschätzung fühlte.
So war es sehr natürlich, daß neben der Unschuld seines Herzens auch die gute Meinung unterging, die der Mann durchaus von den Frauen haben muß, wenn er ihnen seine höhere Ausbildung und sein Glück verdanken soll, und er glaubte, gleich den Gefährten seiner Lüste an keine weibliche Tugend mehr, da es ihm immer noch gelungen war, eine jede, die sich ihm dafür ausgab, zu zerstören. Er hatte den Schein in seiner ganzen Nichtigkeit erforscht, und darüber den Glauben an die Wahrheit verloren. So sehr er daher auch der Schönheit huldigte, wo er sie fand, so dünkte ihm doch die Glorie der sittlichen Reinheit mit der er sie sehr oft umgeben fand, nur ein gemeines Irrlicht, auf Sümpfen erzeugt, um zu täuschen und zu locken, und er betrachtete es als eine unumgänglich nothwendige List, sie scheinbar zu ehren, um mit Hülfe dieser Verstellung und einer[8] erheuchelten Achtung sich seine Eroberungen leichter zu machen, und Maske mit Maske zu vergelten.[9]
Die Gesellschaft, welche die Generalin ihrem Neffen zu Ehren eingeladen hatte, und unter der er die ihm von ihrer mütterlichen Fürsorge bestimmte Braut finden sollte, fing an sich zu versammeln. Aber so manche Mutter auch mit ihrer blühenden oder verblühten Tochter hereintrat – durch keine wurden die ausgezeichneten Lobsprüche gerechtfertigt, mit welcher seine Tante wenigstens seine Neugier in Hinsicht Erna's Bekanntschaft gereitzt hatte.
Endlich erschien eine bleiche, abgezehrte Matrone, geführt von einem jungen Mädchen, das durch die zarteste Sorgfalt im Benehmen, und eine völlig auf ihre kindlichen Pflichten beschränkte Aufmerksamkeit auch ohne Worte aussprach, daß sie die Würde des Berufes fühle, ihrer dem Grabe entgegen kränkelnden Mutter alles zu seyn.
Dies entsprach allerdings, die Güte und Dankbarkeit ihres Herzens verbürgend, der Schilderung, die die Generalin von ihren moralischen Eigenschaften gemacht hatte. Aber schön war sie nicht – und doch hatte sie auch ihr Aeußeres als[9] sehr vortheilhaft gerühmt. Er erwartete daher – sein Ideal jugendlicher Schönheit üppig in der Seele tragend – eine volle, feurig in der Fülle der Gesundheit sich dem Leben öffnende Blüthe zu sehen, die, wie mit Liebesarmen an jede irrdische Freude sich fest schlingend, nur Fröhlichkeit und Muthwillen athmete. Statt dessen erblickte er ein Wesen, zart und ätherisch – er nannte es mager – in dem der leise Uebergang vom Kinde zur Jungfrau noch nicht harmonisch verschmolzen war, und sie demnach weder als das eine noch als die andere erscheinen ließ. Dabei einen Ernst, der ihren Jahren so wenig in seinen Augen kleidete, wie der Doctorhut einem Knaben und in dem ganz eigenen Ausdruck ihres Gesichts, auf welchem nicht die Rosen der ersten Jugend, sondern der blasse Mondschein einer fast überirdischen Verklärung ruhte, stilles Nachdenken, Ruhe und Resignation statt des Aufblitzens üppiger Lebenskraft und kindlicher Heiterkeit, denen er zu begegnen hoffte.
Sie hatte ihre Mutter sanft zu einem Sopha geleitet, und nachdem sie Sorge getragen, sie mit alle den kleinen Bequemlichkeiten zu versehen, die ihre Schwäche ihr zum Bedürfniß machten, zog sie sich zu den übrigen jungen Mädchen zurück, in deren Kreis sie sich so anspruchslos verlor, wie das Veilchen sich im Wiesengrund verbirgt.
Alexanders Augen folgten ihr. Noch immer[10] konnte er die Reize nicht wahrnehmen, die seine Tante als ausgezeichnet erwähnt hatte. Erna war groß für ihr Alter, aber schneller Wachsthum, schien es, hatte ihrer Gestalt noch nicht gestattet, jene wohlgefällige Rundung zu gewinnen, die zu einem richtigen Ebenmaas gehört. Ihr reiches, castanienbraunes Haar war in Flechten zusammengedrängt, kunstlos um das Haupt gewunden. Dunkler noch contrastirten die hoch gewölbten, schmal geformten Augenbraunen und die langen, einem Trauerschleier gleich den gesenkten Blick verhüllenden Wimpern mit der seltenen Weisse ihres Teints, aber es fehlte das warme, frische Roth der belebenden Jugendglut, das nur auf den zarten, fest verschlossenen Lippen anzutreffen war. Ihre Züge waren fein und edel gebildet, und insbesondere trug die Stirn den Stempel hoher Unschuld und Reinheit – doch das Ganze sprach seinen an schimmernden Farbenschmelz und an Flittergold der Kunst gewöhnten Sinn so wenig an, wie im bunten Blumenbeet des Frühlings die farblose Lilie.
Um zu untersuchen, ob seine Tante auch in Hinsicht ihres Geistes das von ihr gefällte Urtheil übertrieben habe, trat er ihr näher, und mit jener Gewandheit und Leichtigkeit, die das immerwährende Leben in der großen Welt giebt, wollte er eine Veranlassung suchen, sie anzureden.[11]
Als er nun aber vor ihr stand, und sie das bisher gesenkte Auge erhob, dem seinen begegnend, da begrüßten ihn, gleich dämmernden Schatten der Vorzeit die längst nicht mehr empfundenen Regungen schüchterner Blödigkeit und süßen Bangens, und er fühlte sich von ihrem großen, ruhigen und klaren Blick tief und wunderbar ergriffen.
Solche Augen – das konnte er sich nicht abläugnen, hatte er niemals noch gesehen. Sie trugen den Himmel in ihrer herrlichen Tiefe, und sprachen in lichtheller Klarheit eine Treue, einen Seelenadel, eine Reinheit aus, vor denen selbst sein frivoler Sinn sich beugte.
Doch lange blieb es ihm nicht vergönnt, sich in ihrem Anschauen zu verlieren, denn Verlegenheit, die ihre bleichen Wangen plötzlich mit dem sanften Anhauch einer zarten Rothe färbte, verhüllte schnell mit der süßen Nacht der langen Wimpern den Himmelsglanz, der ihm so leuchtend in die Seele drang. Wahrscheinlich hatte Erna von ihrer Mutter die Weisung empfangen, ihn mit besonderer Auszeichnung zu begegnen, und die schwache Frau, die kein Geheimnis vor der geliebten Tochter verbergen konnte, hatte den mit der Generalin früher besprochenen Plan einer Verbindung zwischen ihr und Alexander, ihr als Perspective ihrer Zukunft gezeigt.[12]
In ihrer Verwirrung fand er sehr bald seinen Muth und seine Gegenwart des Geistes wieder. Es fing seine Eitelkeit an zu intereßiren, sich die Entscheidung der Frage zu verschaffen, ob Erna etwas wisse von dem Plan der beiden alten Frauen, oder ob seine Persönlichkeit allein sie so sichtbar imponirt habe.
Denn es war nicht zu verkennen, daß sie von seiner Anrede gleichsam electrisirt, alle Fassung verlor, und in ihrer linken, blöden und verlegenen Antwort weniger ihre geistige Beschränktheit als eine tiefe Betroffenheit des Herzens verrieth. Er gönnte ihr Zeit, sich ein wenig zu sammeln, und erneuerte dann wieder seine Versuche, ihr Rede abzugewinnen, aber neues glühendes Erröthen, von leisem Beben und einzelnen abgebrochenen, kaum hörbaren Worten begleitet, scheuchten ihn abermals zurück, und erst als er sich nicht mehr um sie zu bekümmern schien, erlangte sie ihre Ruhe und Unbefangenheit wieder.
Ob sie nun gleich, trotz der wunderschönen Augen, denen er volle Gerechtigkeit widerfahren ließ, weit unter seinen Erwartungen und Wünschen blieb, so schmeichelte es ihm doch, den tiefen Eindruck zu bemerken, den seine Erscheinung auf ein[13] so völlig neues unerfahrenes Herz gemacht hatte, und er beschloß, sich damit zu belustigen.
Um der schüchternen Taube einigermaßen Zutrauen einzuflößen, verbarg er die Habichtsklauen seines Leichtsinns, und stellte sich ernst, fromm und sinnig an. Ohne durch seine Nähe ihr leicht bewegtes Gemüth ängstlich aufzuregen, wußte er doch die Ueberzeugung wach in ihr zu erhalten, daß seine Aufmerksamkeit theilnehmend mit ihr allein beschäftigt sei, und sie vor allen ihren Gespielinnen auszeichne. Die Verehrung, mit der er ihre Mutter behandelte, und die bescheidne liebliche Art, mit welcher er sie zu unterhalten und zu erheitern strebte, erwarb ihm nicht nur den Beifall der Matrone, sondern flößte auch Erna die vortheilhafteste Meinung von seinem Charakter ein, die den günstigen Eindruck seiner einnehmenden Gestalt verstärkte. Seine Tante selbst war entzückt über sein Betragen, und konnte es kaum erwarten, ihn allein zu sprechen, um ihm ihre Zufriedenheit zu bezeugen, und sein Urtheil über Erna zu vernehmen.
Alexander hatte durch seine frühere, übel aufgenommene Freimüthigkeit erfahren, daß es bedenklich sei, ihr ganz offen seine innersten Gedanken und Gefühle darzulegen, und da es seine Absicht war, sie nicht abermals zu erzürnen, so unterdrückte er seine satyrischen Bemerkungen, und verbarg ihr,[14] wie lächerlich er das gute Kind in seiner ländlichen Unbeholfenheit und Schüchternheit fand.
Er begnügte sich daher, nur im Allgemeinen sich zu äußern, und sehr gemildert und oberflächlich seine wahre Meinung auszudrücken. Gern glaub ich, beste Tante, sagte er, daß in dem Fräulein die Keime aller möglichen Tugenden verborgen liegen, aber es wird schwer halten, sie an's Licht zu befördern, da ihre Blödigkeit doch wirklich alle Gränzen übersteigt. Bei dem sorgsamsten, und gewiß nicht zudringlichen und unzarten Bestreben, mit ihr in irgend eine Art von Beziehung zu kommen, hat mir der heutige mühevolle Abend doch kein anderes Resultat gebracht, als daß ich weiß – wie sie erröthet. Sie ist für jetzt, sich und andern, wie mir scheint, noch ein bloßes Fragzeichen im Leben, eine mimosa pudica, die bei der leisesten Berührung krampfhaft zusammenfährt, und man sollte glauben, daß eine Mönchszelle in Georgien sie erzeugt habe, so gesenkten Hauptes, gleichsam gebeugt, wandelt sie einher. Dort, wo die Mönche in nicht völlig vier Fuß hohen Zellen wohnen, um eine demüthige Stellung sich anzugewöhnen, mag ein solcher Anstand auch ganz an seinem Platze seyn. Hier aber unter uns in froher Geselligkeit, und fern von aller klösterlichen Disciplin war es vortheilhafter und vernünftiger, wenn sie das pikante Gesichtchen ein[15] wenig erheben wollte – besonders, da ein paar Augen es schmücken, wohl werth, daß man in ihren Strahlen sich sonnet.
Die Generalin war vorläufig mit seiner Charakteristik zufrieden, denn sie mußte im Geiste zugeben, daß er Recht hatte. Auch sie fand heute ihre sonst so ruhige Erna so ungewöhnlich verschüchtert und verlegen, daß sie sie kaum selbst erkannte. Sie wollte jedoch der Eigenliebe des ohnehin eitlen Jünglings nicht durch die Entdeckung schmeicheln, daß sein Anblick die Ursach einer so auffallenden Verwandelung sei, und überließ es der Zeit, und Erna's Reizen des Körpers und der Seele, den Flatterhaften zu fesseln, und mit der Unbehaglichkeit des ersten Empfangs zu versöhnen.[16]
Die Stadt, in welcher die Generalin lebte, gehörte zwar eben nicht zu den größten, und war keineswegs frei von den kleinlichen Fehlern eines Tons, der sich oft durch Neugierde und Geschwäzzigkeit von dem Pfade edlerer Unterhaltung entfernte, aber an munterer Geselligkeit gab sie der Residenz nichts nach, denn mehrere Beamte, und wohlhabende Honoratioren bildeten mit dem zahlreichen Adel der umliegenden Gegend einen weiten Kreis,[16] der sich sehr oft versammelte, sich vereint des Lebens zu freuen.
Die Generalin war mit allen in gutem Vernehmen, doch ihr liebster Umgang beschränkte sich auf Frau von Willfried, deren ohnehin sanfter Charakter durch die fromme Geduld, mit der sie eine beständige Kränklichkeit trug, noch weicher und anziehender wurde.
Sie hatten gemeinschaftlich ihre Jugend in der großen Welt zugebracht, und so manche Erinnerung der Vergangenheit, die jetzt ihre Einsamkeit würzte, gab ihnen reichen Stoff der Mittheilung im traulichen Beisammenseyn, indem sich durch sie das Andenken jener Zeit ihnen erneuerte.
Ein noch innigeres Band webte aber Erna zwischen ihnen, die – gleichsam von zwei Müttern gepflegt und geliebt, und beide mit Liebe und Gehorsam umfassend, schon in der frühsten Kindheit ein herrliches Gemüth neben ausgezeichneten Geistesgaben ahnen ließ.
Die Generalin hatte keine Kinder, und Alexander, der einzige hinterlassene Sohn ihres früh verstorbenen Bruders sollte einmal in Zukunft ihr Erbe werden. Doch war diese Verfügung mehr ein Werk der Pflicht als der Neigung, denn sie hatte ihn seit seinem zehnten Jahr aus den Augen verloren, und wenn sie auch von allen Seiten hörte, er sei zu einem schönen, frohen, geistreichen[17] Jüngling heran geblüht, der allenthalben warmen Antheil erwecke, und – wie man zu sagen pflegt – Glück mache, so mischte sich doch auch manche Kunde von seinem Leichtsinn, dem aufbrausenden Ungestüm seines Charakters und seinem an Libertinage gränzenden Hang zum üppigsten Lebensgenuß als dunkler Schatten in das schimmernde Bild seiner Liebenswürdigkeit, und die Briefe, die sie von Zeit zu Zeit von ihm empfing, bestätigten ihr durch manchen charakteristischen Zug, daß Lob und Tadel über ihn gegründet sei.
Einsam, und unbekannt mit Freuden und Gespielen ihres Alters, war Erna neben ihr aufgewachsen, und hatte oft durch ihre stille, sich selbst nicht einmal bewußte Güte, durch ihre Innigkeit und kindliche Hingebung, die nie auf sich, immer nur auf das Wohl an derer, Rücksicht nahm, den Wunsch erregt, daß die Natur sie ihr zur Tochter verliehen haben möge.
Der immer leidende Zustand der Frau von Willfried, hatte ihre Reizbarkeit so unendlich erhöht, ihr Empfindungsvermögen so krankhaft geschärft, daß sie die Entfernung ihres einzigen geliebten Kindes, auch nur auf Stunden, nicht ertragen konnte. Daher, und weil eine tiefe Stille in ihrer Umgebung ihr bei ihren schwachen Nerven Bedürfnis war, wurde Erna ausgeschlossen von den munteren Kreisen anderer Kinder, und ihr Gemüth, das die[18] Sonne des Frohsinns nur selten durchscheinen durfte, neigte sich zu einem unnatürlichen Ernst, an dem es früher reifte als die eigentliche Bestimmung des Menschen es haben will.
Es war ihr nicht entgangen, daß man das stete Kränkeln ihrer Mutter von den Folgen der schweren Niederkunft ableitete, durch welche ihr das Daseyn gegeben worden war. Diese traurige Entdeckung legte ihrem tief fühlenden Herzen, das schon durch die unbegränzte Fülle der Mutterliebe, die sie erfuhr, zu der innigsten Dankbarkeit verpflichtet war, das drückende Gewicht eines inneren Vorwurfs auf, dessen Schwere ihr nur eine völlige Aufopferung eigener Freuden und Wünsche, und das Bestreben, ganz ihren kindlichen Pflichten zu leben, erleichtern konnte.
Diese Tendenz, die ihr als der heiligste Beruf vorschwebte, theilte ihr, indem sie die angebohrene Lebhaftigkeit ihres Innern dämpfte und gewissermaßen mit einem Flor umhüllte, auch in der äußeren Form jene leise Stille mit, die in allen ihren Bewegungen Geräusch zu vermeiden gewöhnt, immer nur zu lindern, zu helfen und zu tragen bemüht ist. Wie der Engel der Geduld und der stillen klaglosen Resignation war sie stets um ihre Mutter, und leistete mit zarter liebevoller Hand ihr alle Pflege, die sie bedurfte. Sie wurde in ihrem Beisein unterrichtet, sie las ihr vor – sie genoß[19] die frische Luft und die bunten Abwechselungen der Jahreszeiten nur an der Seite der Leidenden, wenn sie – statt mit den Lämmern der Wiese um die Wette umher zu springen – gehaltenen Schrittes sie hinaus führte, um mitten in der blühenden Natur sie von der Vergänglichkeit alles Irrdischen, von ihren Schmerzen und Todesahnungen sprechen zu hören.
So wurde ihr jugendlich knospendes Leben früh von einer Schwermuth verschattet, die nur durch den stillen Frieden gemildert ward, den das Bewußtseyn erfüllter Pflichten gewährt. Ihre nie ermüdende, treue Sorgfalt für ihre Mutter war ihr der mit inniger Liebe klar erschaute Mittelpunkt, von welchem all' ihr Wollen und Wirken ausging, und zu dem es wieder zurückkehrte. Wohl dämmerten zuweilen in ihrer Seele Ahnungen einer freudigeren Welt auf, als sie rings um sich erblickte, aber ihre Sehnsucht strebte nicht über die scharf gezogene Gränzlinie hin, die sie davon schied und ein stilles Genügen, das sie im Busen trug, versöhnte sie fromm und ergeben mit ihrer einförmigen und ernsten Existenz.[20]
Ein Ball, der Alexandern zu Ehren gegeben werden sollte, eröffnete seiner Eitelkeit die willkommene Aussicht, zu glänzen, da der Tanz zu den Künsten gehörte, die er in der höchsten Vollkommenheit sich angeeignet hatte. Seine schöne Gestalt, sein edler Anstand, seine jugendliche Leichtigkeit und der ihm gleichsam angeborene Tact bildeten ein Gemisch von Anmuth und männlicher Grazie in seinem Wesen, das sich in jeder Bewegung so wie in seiner ganzen Haltung aussprach.
Alles war versammelt – auch Erna fehlte nicht. Doch vergebens suchte sie sein Blick in der munteren Reihe, als er, der Convenienz folgend, den Ball mit der Tochter des Hauses begann. Sie saß neben ihrer Mutter unter den Zuschauerinnen, und folgte mit denkenden, ruhigen Augen dem bunten Gewühl ohne sich in seine Kreise zu mischen. Auch ihre Kleidung war ihm auffallend. Verhüllt von den Sohlen bis zum Kinn in ein dichtes weißes Gewand, hätte es nur noch eines Schleiers über das dunkle Haar und das ernste Gesicht bedurft, um sie in eine Bildsäule der Ists umzuwandeln, zu deren Ehrfurcht gebietender Würde Scherz und Muthwillen sich nicht zu erheben wagten.
Als der erste Tanz geendigt war, nahte er sich ihr, sie zum zweiten aufzufordern. Mit einem[21] ihm freudig scheinenden Erröthen nahm Erna seine Bitte auf, jedoch ohne sie zu gewähren. Sie sagte ihm nämlich, daß sie nie getanzt, und auch nie Unterricht in dieser Kunst gehabt habe, weil die auf dem Lande so seltene Gelegenheit, sie zu erlernen, sich gerade zu einer Epoche getroffen, als ihre Mutter besonders leidend gewesen sei, daher es ihr sowohl an Zeit als an Lust gemangelt habe.
Da nach dieser Erklärung seine Blicke, so wie seine Unterhaltung sie wieder in jene Verlegenheit versetzten, die ihm in ihrer Seele so peinlich war, so brach er ab, und kehrte zum Tanz zurück, dessen Freuden er sich mit der ganzen Lebendigkeit seines Charakters überließ. Von Zeit zu Zeit sagte ihm aber ein Blick, den er auf Erna warf, und dem jedesmal ihr Auge begegnete, das sie dann von dem seinen ergriffen, voll Verwirrung senkte, daß sie, ohne mit ihm zu tanzen, doch nur mit ihm beschäftigt sei.
Er suchte ihr diesen schweigenden Antheil durch manche zarte Aufmerksamkeit zu vergelten, theils, um sich das Wohlwollen seiner Tante zu erhalten, das auf einer freundlichen Hinneigung zu Erna hauptsächlich zu beruhen schien, theils weil es wirklich seiner Eigenliebe schmeichelte, das keimende Interesse zu bemerken, das er, immer zunehmend in dem jungen unerfahrenen Busen erweckte. Die[22] Gesellschaft, welche vielleicht schon vorher von einer vorhabenden Verbindung gehört hatte, die man beabsichtigte, behandelte die Auszeichnung, mit der er ihr begegnete, als den Tribut einer privilegirten Bewerbung, und war bemüht, beiden jene schonenden Rücksichten zu beweisen, durch die man gewöhnlich einem angehenden Brautpaar Gelegenheit giebt, sich einander ungestört zu nähern. Kein Wunder, wenn Erna's argloses, zum erstenmal von der Liebe wie von einem süßen Rausch befangenes Herz anfing, dem Traume des Glücks Realisirung zuzutrauen, in den die offenen Mittheilungen ihrer Mutter, die Anspielungen ihrer ganzen Umgebung, und vor allem Alexanders ehrerbietig inniges Betragen sie wiegte.[23]
Auch Frau von Willfried ordnete ein ländliches Fest in Seedorf an, Alexandern zu erfreuen, und hier, im gewohnten Kreise, thätig an der Mutter Statt die Pflichten der Hausfrau ausübend, erschien Erna vortheilhafter, als in den Circeln, wo sie als Gast auftrat. Denn hier, in Geschäftigkeit und freundlicher Fürsorge sich selbst vergessend, schwand die Verlegenheit welche dort so leicht ihr ihre Unbefangenheit raubte. Haus und Garten waren[23] nicht eben groß, aber der stille Geist der Ordnung, der allenthalben waltete, schien jeden Raum zu erweitern und zu erhellen, und heiter das Gemüth ansprechend, begegneten überall in sinniger Anordnung dem Auge Spuren des nützlichen Wirkens und der verschönernden weiblichen Umsicht, die mit Bescheidenheit verbunden dem häuslichen Leben einen so liebenswürdigen Charakter ertheilen. Auch daß Wohlwollen und menschenfreundliche Güte hier ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatten, verrieth unwillkührlich der Ton des Ganzen, obgleich Erna sichtbar strebte, die unendliche Innigkeit mit der alle Hausgenossen ihr begegneten, den Blicken der Fremden zu entziehen, da sie ihrer Demuth nicht als ein Zoll, der ihrem inneren Werth gebührte, sondern als eine unverdiente Gunst erschien. Menschen und Thiere huldigten hier nur ihr, und zwar nicht als stolze Herrin, von deren gebietender Willkühr sie abhingen, sondern Milde und Güte umwebten sie gleichsam mit einer Glorie, in deren Strahlen sich Lieb und Zutrauen gerne sonnete.
Es sah fast lächerlich aus, als man zu einem Spaziergang sich anschickte, und das Fräulein auf Befehl ihrer Mutter an Alexanders Arm als Wegweiserin den Zug eröffnete, daß der ganze Hühnerhof in Bewegung gerieth, und mit ausgespreiztem Gefieder, schnatternd, krähend, gluchzend und pipend, wie die Verschiedenheit der Naturen nun[24] eben wollte, – theils empfangener Wohlthaten eingedenk, theils neue Spenden von Erna's freigebiger Hand erwartend – hinter ihr drein lief, bis sie, schnell zurückeilend, und ein Körbchen mit Waizen holend, die zudringlichen Begleiter seitwärts lockte, um während des augenblicklichen, sinnlichen Genusses, den sie ihnen streute, ungehindert ihren freundlichen Verfolgungen zu entkommen.
Weniger leicht abzuweisen waren die Tauben, die von ihrem Schlage leise in malerischen Schwingungen herabschwebten, ihre Gönnerin umkreiseten, sich ihr auf die Schultern setzten, oder dreist zu ihren Füßen niederließen, und als sie sanft seitwärts geschoben wurden, sich wieder erhoben, um einige Schritte weiter dasselbe Schauspiel zu erneuern.
Als aber auf dem Gang durchs Dorf die Kinder mit dem gegenseitigen Zuruf: »Fräulein Ernchen kommt« einander gewissermaßen das Signal gaben, ihr entgegen zu laufen – als jedes ihr eine Patschhand reichen, jedes ihr folgen wollte – als Männer und Weiber die Arbeit ruhen ließen, mit herzlichem Gruße ihr entgegen und nachzuschauen – als auch die abgelebten Alten aus ihren Häusern traten, sich an der Frühlingssonne ihres milden Blickes zu erwärmen, ihr freundlich zunickend, ihr Segen nachwünschend – da gestand[25] sich Alexander selbst im Stillen ein, daß es ein ungewöhnlicher Grad von Güte seyn müßte, den eine so allgemeine und innige Anhänglichkeit belohne.[26]
Demohngeachtet erregte weder diese Güte, noch so manche schöne geistige Anlage, die nur der Entwickelung bedurfte, noch auch ihr edles Aeußeres, das weit mehr sich in sich selbst zu verhüllen als sich geltend zu machen strebte, den Wunsch in seinem leichtsinnigen Herzen, sie in einer ernsten, ewigen Verbindung sich anzueignen. Methodisch steigerte er durch alle Kunstgriffe der Erfahrung und der männlichen Coketterie die Neigung, die in ihrer reinen Seele für ihn erwacht war, und belustigte sich an den naiven, ihm den vollen Reiz der Neuheit gewährenden Wirkungen seines grausamen Unternehmens, ihre Ruhe zu untergraben und zu einem Opfer seiner Eitelkeit zu machen.
Frau von Willfried eben sowohl als die Generalin getäuscht durch die Beflissenheit, mit der er sich um Erna bemühte, leisteten ihm allen möglichen Vorschub, sich ihr zu nähern. Denn geblendet von ihren Hoffnungen erblickten beide Frauen in allen seinen Aeußerungen so viel Verstand, Charakter, und selbst Gefühl, daß sie überzeugt waren,[26] er werde das Glück ihres Lieblings machen. Die unwillkührlichen Ausbrüche des Muthwillens, der Frivolität, und der Satyre, die zuweilen selbst das Heilige nicht verschonte, erschienen ihren bestochenem Urtheil als Auswüchse, die nur das Leben in der verdorbenen großen Welt ihm angebildet habe, und die eine reinere Umgebung, das Läuterungsbad wahrer Liebe, und dereinst die Würde ehelicher Verhältnisse bald genug wieder abschleifen werde. In dieser Voraussetzung erwarteten sie ruhig und freudig seine nähere Erklärung, die seinem Benehmen nach, mit jedem Tage wahrscheinlicher wurde.
Auch Erna, selig gehoben von den Schwingen eines so mächtigen, ihr selbst im Traume der Ahnung noch nimmer erschienenen Gefühls, sah mit klopfendem Herzen, von ihrer Mutter auf diesen feierlichen Moment vorbereitet, dem Geständnis des Jünglings entgegen, dem sie ihr Ja nicht versagen wollte, da sie ihm bereits ihre innige Neigung geschenkt hatte. Sie gewann allmählig Vertrauen zu ihm und zu sich selbst. Anfangs, von dem Glanz seiner geschliffenen Aussenseite verblendet, wußte sie nur schüchterne Unterwürfigkeit, blödes Zagen, seinem muntern und sicheren Ton entgegen zu setzen. Sie erschrak, wenn sie den Klang ihrer eigenen Stimme vernahm – sie erröthete, wenn sein Blick ihr begegnete – sie zitterte, wenn er sie anredete. Jetzt wich nach und[27] nach die Verlegenheit, durch die sie sich selbst so gestört und unbequem in ihrem Innern vorkam, einer bescheidenen Zuversicht, die auf die stolze Ueberzeugung sich stützte, ein so hoch an Geist und Bildung über ihr stehendes Wesen, wie ihr Alexander erschien, begreifen und fassen zu können. Er wußte so unmerklich und leise den kalten Reif der Verschlossenheit von ihrem Gemüth abzustreifen, wußte, indem er sie so oft glücklich errieth, ihren undeutlichen Gedanken Klarheit, ihren dunklen Gefühlen Licht zu geben, und durch einen im rechten Augenblick gleichsam unwillkührlichen Ausbruch einer erkünstelten Begeisterung für das Gute und Schöne, eine hingeworfene, wie dem Innern entschlüpfte Floskel der Sentimentalität, ihre vortheilhafte Meinung von ihm immer fester zu begründen, daß es sehr natürlich war, wenn ihre Achtung für ihn mit jedem Tage des Beisammenseyns wuchs, und die zarte Liebe ihres Herzens vertiefte.[28]
Obgleich die Fortschritte, die Alexander so sichtbar in Erna's Neigung machte, ihm manchen Stoff zur ergötzlichen Selbstunterhaltung gab, so drückte ihn, den an schimmernde Zerstreuungen Gewohnten, doch die Einförmigkeit des halb ländlichen[28] Lebens in dieser kleinen Stadt viel zu sehr, als daß er nicht hätte streben sollen, es so viel er vermochte, mit Abwechselungen zu durchweben.
Es war ihm längst langweilig gewesen, in einer bequemen Kutsche – die einzige Bewegung, die Frau von Willfried vertragen konnte – ihr und seiner Tante gegenüber, und an Erna's Seite im abgemessenen Tact, den der Arzt vorgeschrieben, durch die schöne Gegend zu rollen, und diese schläfrige Parthie durch die Benennung einer Spazierfahrt zu ehren.
Er schlug daher Erna vor, ihr Unterricht im Reiten zu geben, und obgleich ihre Furchtsamkeit vor der ungeheuern Idee zurückbebte, mit zarter Hand ein so muthiges Thier bändigen und regieren zu sollen, und Mutter sowohl als Tante meinte, sie werde ihre oft geäußerte Bangigkeit vor Pferden nicht überwinden können, so willigte sie doch sogleich freundlich ein, als sie vernommen hatte, daß es ihm viel Vergnügen machen werde, ihr Lehrmeister in dieser fröhlichen Kunst zu seyn.
Schnell wurde nach seiner Angabe ein Reitkleid verfertigt, und während der Tage, die darüber hingingen, war er bemüht, ein kleines, lammfrommes Roß noch gemächlicher für sie zuzureiten.
Als Erna nun zum erstenmal in dem geschmackvollen Amazonenkleide erschien, das er nach seinen Erinnerungen aus der Residenz angeordnet hatte,[29] wurde er durch die Anmuth mit der sie sich darstellte, überrascht. Er konnte sich nicht abläugnen, daß der größte Theil der Unscheinbarkeit, mit der sie gewöhnlich auftrat, eine Folge ihres matronenhaften, vernachläßigten Anzugs war. Der weibliche Körper muß ein schönes Oval bilden, wenn er wohlgefällig ins Auge fallen soll, und an diesem Oval dürfen ein paar zierliche Füßchen als der Schluß desselben eben so wenig fehlen, wie der Kopf selbst am andern Pole dieser Sphäroide.
Nun war aber Erna gewöhnlich so verhüllt, daß es zu den seltenen Erscheinungen gehörte, wenn hie und da die schnell wieder vom dichten Faltenwurf verdeckte Spitze ihres Schuhs sichtbar wurde, und er hatte schon öfters im Stillen die boshafte Vermuthung gehegt, daß die Natur sie in diesem Punkt stiefmütterlich behandelt haben müsse, weil er nicht begreifen konnte, daß Sittsamkeit in einem weiblichen Gemüth die Oberhand über Eitelkeit und Sucht zu glänzen behaupten könne.
Wie verwundert wurde er daher, als er bei'm ersten Blick der erröthenden Erna den Verdacht in Gedanken abbitten mußte, daß sie, wie so viele ihres Geschlechts, ohne die mindesten Kosten auf – großem Fuß lebe.
Niemals hatte er so zart geformte, so gleichsam in leiser Anmuth schwebend auftretende Füßchen gesehen, wie die ihrigen. Sie schien in den[30] zierlich geschnürten Stiefeln kaum den Boden zu berühren. Das sammtne Barret, von hohen Federn umschwankt, gab dem allzubescheidenen, zu sehr an Verschüchterung gränzenden Ausdruck ihrer Züge etwas Kühnes, das ihr wohl stand, und das eng sich anschmiegende Kleid, dessen lebhafte Farbe günstig auf das bleiche Gesicht wirkte, verrieth eine Körperform, der nur noch etwas mehr Fülle fehlte, um vollkommen zu sein.[31]
Mit wohlgefälligem Lächeln verweilten Mutter und Tante auf der so vortheilhaft veränderten Gestalt, und nachdem Frau von Willfried Alexandern aufs dringendste empfohlen hatte, doch ja ihr geliebtes Kind sorgsam vor allen Schaden zu hüten, und es als ein heiliges, seiner Vorsicht anvertrautes Pfand zu betrachten, begann der praktische Unterricht.
Doch schon im allerersten Anfang zeigte sich eine Schwierigkeit. An die Galanterie der großen Welt gewöhnt, die er sich gleichsam wie seine andere Natur angeeignet hatte, hielt Alexander, wie er bei den Schönen der Residenz gewohnt war, seine Hand hin, damit Erna sie als Schemel betrachten, und von ihr sich in den Sattel schwingen möchte.[31]