Lucius Annaeus Seneca

Hippolyt

(Phaedra)

 

 

 

Lucius Annaeus Seneca: Hippolyt. (Phaedra)

 

Übersetzt von Wenzel Alois Swoboda

 

Neuausgabe.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Lawrence Alma-Tadema, Der Tod des Hippolytus, 1860

 

ISBN 978-3-8430-8072-9

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-7877-1 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-7878-8 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden um 55 n. Chr. Der Text folgt der Übersetzung von Wenzel Alois Swoboda.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Personen

 

Theseus

 

Phädra

 

Hippolyt

 

Phädra's Amme

 

Sclave, als Bothe

 

Chor

 

Die Scene ist vor dem Pallaste des Theseus.

 

Erster Akt

Erste Szene

Hippolyt mit seinem Jagdgefolge.

 

HIPPOLYT zum Gefolge.

Geht, umzingelt die

Schattigen Forste

Und die höchsten Kuppen

Des Cecropier-Bergs.

Geht, durchluget

Hurtigen Schrittes

Den felsigen Abhang

Des ragenden Parnes

Und die Gehäge

Im Thale von Tria,

Das des Stromes

Reißende Welle

Rauschend durchtos't.

Ihr erklimmet

Die Höhen, die schimmern

In ewigem Schnee,

Gleich den Riphäen.

Ihr andern dorthin,

Wo schlanke Aeschen,

Dicht verschlungen,

Dunkeln den Forst.

Ihr nach den Wiesen,

Die mit thauigem Säuseln

Zephyr befächelt,

Wo er Lenzesblumen

Schmeichelnd hervor lockt.

Ihr ziehet dahin,

Wo über Kies

Sanft hinrieselt

Der Ilissus-Strom

Ihr, wo der Meander

Durch flaches Gefild

Sich langsam windet,

Und allmählich

Das sandige Ufer

Unvermerkt fortspült.

Ihr wandelt linkwärts,

Wo bey Marathon

Sich lichtet der Forst;

Wo bey nächtlicher Weile

Die Hindinnen,

Mit Rudeln von

Jungen umgeben,

Zur Weide geh'n.

Ihr, wo Akarnans

Rauhes Gebirge,

Das laulicher Südwind

Linde durchsäuselt,

Von Attika's Flur

Abwehret den Schauerwind.

Ihr besteiget die

Honigträufenden

Höh'n des Hymettus.

Ihr durchstreifet

Wieder die Au'n

Um das kleine Aphidna.

Dort, wo der Sunion

Am Strande der Bucht

Trotzet der Fluth,

Erscholl schon lange nicht

Unser Jagdruf.

Doch wen des Waidwerks

Herrlichster Preis lockt,

Den ladet der Phibalis

In sein Gehäge;

Denn dort schweifet,

Ein Schrecken des Landmanns,

Der schon manchen gefället,

Ein furchtbarer Eber.

Ihr führt an der schlaffen

Leine die Spürer,

Und schreitet sachte

Schweigsam vorwärts.

Ihr haltet fest

Am Koppelriem

Die hurt'gen Molosser.

Kampflustige Kreter,

Wie sie sich bäumen,

Und mit sträubendem Nacken

Zerren das Seil,

Haltet fest an:

Auch die Spartaner –

– Es ist das gar trotzige,

Gewildbegierige Art –

Haltet mir ja

Achtsam und straff an. –

Doch gewahrt ihr den Zeitpunct,

Wenn das hohle Gebirg'

Wiederhallt vom Gebell,

Dann lasset sie los.

Laßt mit witternder Schnautze

Den Wind sie fah'n,

Und mit schnoppernden Nüstern

Nachstöbern der Spur,

Wenn erst dämmert das Licht,

Und der Boden

Am thauigen Rasen

Die Fährte verräth.

Hurtig bring' Einer

Das maschige Garn,

Ein And'rer das Schlingseil,

Ein And'rer das Fanggarn,

Das röthlich erblinkt,

Und das Wild bethört,

Daß es uns in den Schuß läuft.

Du schnelle flink

Den leichteren Wurfspeer.

In beyde Hände

Fasse den wuchtigen

Eichenen Schaft

Mit der breiten Schneide

Zu gewaltigem Wurf.

Du wirst dem Wilde

Leis' auflauern,

Dann mit lautem Ruf

Jagst du es auf.

Du wirst als Sieger

Mit dem Waidemesser

Ihm geben den Fang.

O stehe mir bey,

Jungfräuliche Göttinn,

Die du herrschest

Im heimlichen Forst,

Fern vom Geräusche der Welt!

Du, mit sich'rem Geschoß,

Triffst das Gewild

Allüberall;

Ob es den kalten

Araxes trinke,

Oder am Eis des

Starrenden Isters

Hüpfet und spült.

Deine Rechte erreicht

Getulische Leuen

Und Kreta's Hirschinnen.

Jetzo triffst du

Mit flinkem Schwunge

Die flüchtige Gemse.

Du triffst die Brust

Des gefleckten Tiegers;

Du den Nacken

Des zotigen Büffels

Und den breitgehörnten

Trotzigen Ur.

Was immer weidet

Auf einsamer Waldtrift,

Sey's bey dem dürftigen

Garamer-Volke,

Oder im reichen

Busche des Arabers,

Und auf dem rauhen

Pyrenäen-Gebirg;

Was sich verkriecht

In Hyrkania's Forsten,

Oder das Blachfeld

Des Sarmaten durchstreift,

Zittert, Diana,

Vor deinem

Gewaltigen Bogen.

Wenn deine Huld,

O Göttinn, geleitet

Deinen Verehrer

Zum fröhlichen Waidwerk,

Da füllen die Netze sich

Mit gefangenem Wild;

Da zerreißet kein Tritt

Die gestelleten Schlingen,

Und es seufzet der Wagen

Unter der Beute Last.

Roth vom Wildesschweiß

Sind die Schnautzen

Der rührigen Hunde,

Und es kehret die Schaar

Der sieghaften Jäger

In langem Zuge

Jubelnd daheim.

Sey, o Göttinn, mir hold!

Horch'! es schallet der Hief,

Es schlagen an

Die rührigen Doggen,

Es ruft mich zum Wald;

Hierwärst geh' ich,

Hier biethet ein Steig

Mir kürzeren Weg.

 

Zweite Szene

Phädra und ihre Amme treten aus dem Pallaste.

 

PHÄDRA.

O Kreta, du erhab'ne Herrscherinn

Des weiten Meers, o theu'res Vaterland,

Um dessen Küsten rings ein zahllos Heer

Von Schiffen lagert, rastend in der Bucht,

Die fernher von Assyrien das Reich

Des Nereus durchschneiden mit den Schnäbeln,

Warum verstießest du mich in dieß Haus,

Das mir verhaßt, das mir ein Kerker ist?

Vermählet an den Feind, warum ach lässest

Du mich in Trübsal hier und Thränen schmachten?

Sieh'! ferne schweifet mein Gemahl. Wie Andern,

Den er in Lieb' und Treue sich verlobt,

Bewahrt auch mir jetzt Theseus Lieb' und Treue.

Er schreitet durch des Orcus Finsterniß,

Der Keinem sich zur Wiederkehr erschließt,

Des frechen Frauenräubers rüst'ger Kämpe.

Hin rennt er, frevler Liebeswuth Gesell,

Dem Könige der Schatten sein Gemahl

Aus seiner Burg gewaltsam zu entführen.

Nicht Furcht, nicht Scham hält ihn zurück. Er zieht,

Der Vater Hippolyt's, auf Buhlerey,

Auf Frauenraub zum Acheron hinab.

Ach, ein viel schwerer Leid drückt mich zu Boden.

Nicht in der stillen Nacht, nicht in des Schlummers Ruh'

Werd' ich des Grames los, stets wächset er,

Brennt immer heißer in des Herzens Tiefen,

Wie in des Aetna Schlund die Lohe glüht.

Der Pallas edle Kunst liegt unberührt

Von mir, der Webstuhl feyert; was ich immer

Ergreife, alles fällt mir aus der Hand.

Ich mag mit Opfern und Gelübden nicht

Die Tempel zieren; mag nicht am Altar,

In der Athenerinnen Chor gereiht,

Die Fackel schwingen, die mitkundige,

Im heil'gen, schweigsam ernsten Götterdienst;

Mag nicht mit treuen, keuschen Wünschen und

Gebethen mich der hohen Göttinn nah'n,

Die diesem Land zur Schirmerinn erkohren.

Viel lieber möchte ich in raschem Lauf

Das aufgescheuchte Wild verfolgen, schwingen

Den rauhen Jagdspeer in der zarten Hand.

Wohin? wohin verirret sich mein Herz?

Wie, zieht es dich, du Rasende, zum Wald? –

Der Mutter Unstern werd' ich hier gewahr.

Zu Missethaten stachelt uns seit je

Der Liebe Macht, und immer war's im Forst.

Wie dauerst du, o arme Mutter, mich!

Unsel'ge Liebesgluth entzündeten

In deinem Herzen böse Unheilsmächte.

Du wagtest es, zum trotzigen Gebiether

Der Rinderherd' in Liebe zu entbrennen.

Unbändig, störrig war der Stier, für den

In ehebrecherischer Lust du glühtest.

Doch hatte Sinn er für den Trieb der Liebe,

Er liebte doch. Wer von den Himmlischen

Vermag zu stillen meine Liebesgluth?

Vermag es Dädalus, den heißen Brand

Hülfreich zu löschen, welcher mich verzehrt?

Ach nein! Und wenn der Kunstgewaltige

Herkäme von Mopsopia, er, der

Den mißgestalten Bruder in dem künstlichen,

Verschlung'nen Bau des Labyrinths verschloß,

Die Wunde meines Herzens heilt' er nicht.

Es hasset Venus feindlich Sol's Geschlecht,

Und rächt an uns die Schmach, die Mars erlitt

Und sie, als sie im süßen Liebesrausch

Von Ketten plötzlich sich umstricket sah'n.

Schmach häufet sie auf Phöbus ganzen Stamm.

Schuldlos hat keine Minoide noch geliebt.

Zur Liebesgluth gesellt sich Frevel stets.

AMME.

Du Gattinn Theseus, Jovis Enkelinn,

Du Herrliche, verbann' die Raserey

Sündhafter Liebe aus der keuschen Brust;

Ermanne dich, ersticke diese Gluth,