Einführung
(‚Introdução‘)

Brasilien ist nicht nur Karneval, Samba und Fußball, es ist vor allem auch Kaffee! In Brasilien ist der „cafezinho“, der kleine, süße, starke Kaffee allgegenwärtig – ob zu Hause, im Büro oder im Café. Er ist nicht nur ein Genussmittel, sondern er ist auch ein Willkommensgruß, eine Einladung zum Gespräch, ein eindeutiges Zeichen der Gastfreundschaft. Kein anderer Rohstoff hat dieses Land so geprägt wie der Kaffee: Seit der relativ späten, dafür aber legendär-amourösen illegalen Einfuhr des Kaffees nach Brasilien im Jahr 1727 hat er zunächst die Sklaverei, später dann die Einwanderung in das Land befeuert, er hat Brasilien unermesslichen Reichtum beschert, aber auch mehrere schwere Wirtschaftskrisen. Er hat die Landwirtschaft dominiert und Städte förmlich explodieren lassen, er hat das Transportwesen modernisiert und er sorgt bis heute für viele Arbeitsplätze.

Brasilien ist weltweit das größte Anbauland für Kaffee, es produziert ca. 30% der gesamten Welternte; danach folgen Vietnam, Indonesien, Kolumbien, Mexiko, Indien und Äthiopien u.a. Hauptabnehmerländer sind die USA, Deutschland, Frankreich, Japan und Italien – in so gut wie keinem Espresso, der in diesen Ländern getrunken wird, fehlt Kaffee aus Brasilien. Auch wenn die Finnen den weltweiten Kaffeekonsum mit 12 Kilogramm Kaffee pro Kopf pro Jahr einsam anführen – die nächsten sind die Österreicher mit 9 Kilogramm – ist Deutschland nach wie vor Weltmeister im Export von veredeltem Kaffee, und der Hamburger Hafen ist der größte Umschlagplatz der Welt für Rohkaffee. Darüber wundern sich vor allem die Brasilianer, wo doch in Deutschland kein einziger Kaffeebaum wächst! Und dennoch ist der Kaffee noch vor dem Wasser (!) das Lieblingsgetränk Nr. 1 der Deutschen: Sie trinken 150 Liter pro Person und Jahr, in Röstkaffee ausgedrückt sind dies über 400.000 Tonnen.

Café do Brasil

All das war mir noch nicht klar, als wir, meine Frau und ich, im Jahr 2009 nach São Paulo zogen. Doch sehr früh, schon während der ersten Tage oder Wochen im Land, begann ich das Buch „Brasilien – Ein Land der Zukunft“ des österreichischen Schriftstellers Stefan Zweig zu lesen. In diesem Buch widmet er dem Thema Kaffee ein ganzes, wunderbar geschriebenes Kapitel, es hat den Titel „Besuch beim Kaffee“. Nach der Lektüre dieses Kapitels, das zum Namensgeber meiner späteren Kaffeereportage und dann auch dieses Buches wurde, war mir klar, dass ich mich intensiver mit diesem für das Land so wichtigen Thema auseinandersetzen musste! Mit Genehmigung des Insel Verlages in Frankfurt gebe ich in hier diesen schönen Text von Stefan Zweig über den brasilianischen Kaffee komplett im nächsten Kapitel wieder, als eine besondere Einführung in das Thema. Natürlich muss man bei der Lektüre des Textes immer berücksichtigen, dass die Originalausgabe des Buches bereits im Jahr 1941 (in Stockholm) erschien. Aus all diesen Gründen habe ich mir also die Kaffeeproduktion in Brasilien einmal genauer angesehen. Dies konnte ich dank sehr guter Kontakte unserer Freundin Débora Bendocchi Alves auf der „Fazenda Boa Vista“ tun, im kleinen Städtchen Tambaú im Hinterland von São Paulo, beim Kaffeepflanzer Paulo Marcio Villela, wo ich von Anfang an wie ein neues Familienmitglied aufgenommen wurde.

Fazenda Boa Vista, Tambaú

Aber ich konnte auch andere Kaffeefarmen besuchen sowie auch die Kaffee-Kooperative Cooparaíso in der kleinen Stadt São Sebastião do Paraíso, einer der großen Kaffee-Kooperativen Brasiliens mitten im Herzen der „Kaffeeberge“ (‚montanhas cafeeiras‘) im Bundesstaat Minas Gerais.

„Kaffeeberge“ (‚montanhas cafeeiras‘) in Minas Gerais

Dort ist Daniel Pereira Leiter der Abteilung „Kaffee-Klassifikation“ (‚classificação de café‘). Zu seiner Arbeit gehört unter anderem auch die Kaffee-Degustation, oder auch Verkostung. Diese ist sehr beeindruckend, aber lange nicht so gemütlich, wie es auf den Fotos erscheint – wir werden im entsprechenden Kapitel noch sehen, warum. Die Vorbereitungen dazu sind aber umso verlockender: Ein warmes Aroma immer frisch gemahlenen und aufgebrühten Kaffees wabert ständig und unwiderstehlich durch die Büroräume der Firma.

Daniel Pereira bei der Kaffee-Degustation

Bei der Firma Cooparaíso arbeiten sie mit neuen Probenröstern der deutschen Firma Hotfilter aus Nordhorn; es „gibt weltweit keine besseren“, so Daniel Pereira, selbst stolz, seinem Gast gleich etwas Positives über dessen Land berichten zu können. Doch bis Daniel Kaffeeproben zur Klassifikation und Degustation auf seinen Schreibtisch geliefert bekommt, ist es ein langer, arbeitsreicher Weg, wie wir noch sehen werden.

Auch wenn es sicher in Brasilien Vorgehensweisen und Bezeichnungen in der Kaffeeproduktion gibt, die sich von denen anderer Länder unterscheiden, kann der Leser sicher viel Allgemeinwissen über den Kaffee an sich aus diesem Buch ziehen. Denn das vorliegende Buch liefert am Beispiel Brasilien detailliertes Hintergrundwissen, das so oder zumindest ähnlich überall gilt. Nach der Lektüre versteht der Leser die Zusammenhänge der Kaffeeproduktion mit all ihren Facetten und worauf es bei der Kaffeequalität wirklich ankommt, um dies später, beim Einkauf und der Zubereitung, oder sei es auch nur beim Small-Talk, richtig einschätzen oder sogar mitreden zu können.

Denn Kaffee ist – wie der Wein – ein Naturprodukt und Genussmittel, bei dem es auf die Pflanze, die Lage, das Klima, den Anbau und vor allem auf die Veredelung ankommt.

Auch bei der Zubereitung des Kaffees lauern noch viele Stolpersteine, doch ist sie, bis auf eine Übersicht der wichtigsten Kaffeegetränke in Brasilien, nicht mehr Bestandteil dieses Buches, dazu gibt es bereits genügend Ratgeber.

Das vorliegende Buch beschreibt, erklärt und zeigt also die Produktion von Arabica-Kaffee in Brasilien mit all seinen einzelnen Schritten vom Keimling über die Kaffee-Degustation und -Klassifikation bis hin zur Veredelung. Ein Rückblick in die Geschichte des Kaffees, ein Ausflug in die Etymologie des Wortes Kaffee sowie ein Exkurs, wie der Kaffee nach Deutschland kam, runden das Thema ab. Im Anhang finden Sie dann noch Tipps für Ihren eigenen Besuch des Kaffees in Brasilien („Auf den Spuren des Kaffees – Besuchen Sie den Kaffee selbst“) sowie Namen und Internet-Adressen von wichtigen Organisationen zum Thema Kaffee.

Unterschiede zum Robusta-Kaffee werden erläutert. Wo mir Vergleiche sinnvoll erschienen, erwähne ich auch Vorgehensweisen oder Besonderheiten in anderen Ländern.

Der Aufbau des Buches orientiert sich also an den chronologischen Schritten der Kaffeeproduktion und liefert ergänzendes Kaffee-Wissen für die neue Bewegung der Kaffeeszene, die sog. „Third Wave Coffee“ oder „Dritte Kaffee-Welle“ (s. Kapitel „Kaffeegeschichte“). Viele dokumentarische Fotografien ergänzen dabei nicht nur den Text, sondern zeigen die besondere Ästhetik des Kaffeeanbaus und transportieren die Stimmung einer brasilianischen Kaffeefarm. Fast zwei Jahre lang bin ich von São Paulo aus immer wieder in die Kaffeegegenden gefahren, um zu fotografieren und zu recherchieren.

Zudem besuchte ich viele weitere relevante Institutionen wie z.B. das Instituto Agronômico de Campinas (IAC), das intensive Kaffeeforschung betreibt, um dort zu fotografieren und die Wissenschaftler zu interviewen. Auch besuchte ich einen Kurs Classificação e Degustacão de Café am Centro de Preparação de Café in São Paulo, um mehr über den Kaffee zu lernen (s. Abbildung).

Und nun wünsche ich Ihnen viel Vergnügen bei unserem Ausflug zum brasilianischen Kaffee!

Zertifikat

In der Sonne trocknender Kaffee

Die Verarbeitung
(‚O processamento’)

Bei den Nachernteverfahren des Kaffees gibt es drei unterschiedliche Methoden, die Trockenaufbereitung, die Nassaufbereitung und die Halbtrockene Aufbereitung:

  • Die Trockenaufbereitung
    Die Trockenaufbereitung ist die einfachere Methode der Aufbereitung von Kaffee. Hierbei werden die Kaffeebohnen auf einem sauberen und trockenen Boden unter der Sonne ausgebreitet und getrocknet. Bei Regen müssen sie gut abgedeckt werden. Die Hülle und das Fruchtfleisch trocknen auf diese Weise fast vollständig aus.
  • Die Nassaufbereitung
    Die Kaffeekirschen werden zuerst gewaschen, von Verunreinigungen befreit und vorsortiert. Das Fruchtfleisch wird aufgeweicht, fermentiert und danach von der Bohne gelöst. Erst dann werden die Bohnen für 8 bis 10 Tage in der Pergamenthaut zum Trocknen ausgelegt. Der auf diese Weise produzierte Kaffee wird „washed coffee“ oder „gewaschener Kaffee“ genannt. Eine relativ neue Methode ist das sogenannte „Aquapulping“ (s. Kapitel „Die Nassaufbereitung“), bei der die Früchte nicht mehr fermentiert werden. Die Fruchtfleischreste werden hier durch mechanischen Abrieb entfernt.
  • Halbtrockene Aufbereitung
    Um eine Mischform der beiden bisherigen Techniken handelt es sich bei der sogenannten halbtrockenen Aufbereitung. Diese verbraucht deutlich weniger Wasser als die Nassaufbereitung. Nach dem Waschen wird das Fruchtfleisch weitestgehend abgelöst, dann aber ohne Fermentierung sofort getrocknet.

Die Trockenaufbereitung

(‚O processamento via seca‘)

Säubern und Trennen

(‚A limpeza e a separação‘)

Bei dieser Art der Aufbereitung, die auch „natürliche Aufbereitung“ genannt wird, werden die geernteten Kaffeekirschen komplett, d.h. mit Schale und Fruchtfleisch, in der Sonne oder in Trockenöfen getrocknet. Der Kaffee heißt in diesem Zustand auch „Kaffee in der Schale“ (‚café em coco‘), gerne spricht man hierbei auch von „natürlichen Kaffees“. Eine wichtige Voraussetzung für die trockene Aufbereitung ist eine verlässliche und intensive Sonneneinstrahlung. Deshalb wird sie vor allem in Brasilien, aber auch in Indonesien, Äthiopien und im Jemen angewandt. In einem Wasserkanal werden zunächst einmal die Kirschen nach den unterschiedlichen Reifegraden getrennt. Zur Trennung der Kirschen nutzt man die unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften der Kirschen, je nachdem, wie trocken oder feucht sie noch sind: die dunkelroten, überreifen und schwarzen, bereits am Baum getrockneten Kirschen schwimmen oben, die gelben, hellroten und grünen, noch unreiferen Kirschen sinken ab. Die unten schwimmenden werden durch ein Brett im Abfluss zurückgehalten, die oben schwimmenden fließen mit dem Wasser darüber ab. Die Arbeiter legen nun die beiden Kirschengruppen nach diesem Vorgang getrennt zum Trocknen aus. Paulo erklärt dazu: „Sie benötigen durch ihren ungleichen Reifegrad unterschiedliche Zeiten zum Trocknen. Blieben sie zusammen, würden die ‚passas‘ und ‚bóias‘, also die überreifen Kirschen, später unter der Sonne verdörren.“

Verladung der Kirschen in den Wasserkanal

Trennung der Kirschen nach Reifegrad

Am Wasserkanal

Die Trockenflächen in der Abendsonne

Über den Wasserkanal werden die Kirschen gleichzeitig zu den Trockenflächen transportiert und dort sofort unter der Sonne ausgebreitet. Die Steuerung der Wasserzufuhr und der Abflussgeschwindigkeit der Kaffeekirschen ist ebenfalls Chefsache:

Da kann eine Menge schiefgehen, vor allem bei der Wassermenge. Kommt zu viel Wasser, schießt der ganze Kaffee hinten aufs Feld. Ist auch schon passiert, deshalb mache ich auch das lieber selbst“, so Paulo.

Das Wasser transportiert die Kirschen zu den Trockenflächen

Trocknen und Wenden

(‚Secagem e revolvimento‘)

Die von Verunreinigungen gereinigten und nach Reifegrad getrennten Kaffeekirschen werden dann auf den großen Trockenflächen ausgebreitet und in ihrer Schale unter der Sonne getrocknet. Am Kanalende befinden sich mehrere Schleusen, mit deren Hilfe die Arbeiter die Kaffeekirschen gezielt aus dem Kanal holen und auf den dafür vorgesehenen Flächen verteilen können. Mit Holzschiebern schieben sie die Kirschen aus dem Kanal und schaufeln sie in die Schubkarren, mit denen sie die Kirschen auf den Flächen ausbreiten. Da sehr viele Kaffeekirschen auf einmal durch den Kanal geschleust werden, muss der ganze Vorgang zügig vonstattengehen. Ist die Schubkarre voll, geht’s los zum Verteilen der bunten Ladung, denn die nächste ist schon unterwegs.

Miguel und einer oder zwei seiner Kollegen, je nachdem, wer Zeit hat, müssen die zum Trocknen ausliegenden Kaffeekirschen ständig wenden – den ganzen Tag lang, sodass sie von allen Seiten gut trocknen und sie nicht beginnen zu faulen. Eine Faustregel besagt, dass jede Kirsche mindestens zwanzig Mal am Tag gewendet werden sollte. Dies erledigen die Arbeiter seit Jahr und Tag mit einem Kaffeeschieber.

Verteilerstation an den Trockenflächen

Verladung der Kaffeekirschen

Verteilung der Kaffeekirschen

Wenden des trocknenden Kaffees

Kaffee auf der Trockenfläche, im Hintergrund der Kaffeespeicher

Die Trockenphase dauert zwischen drei und fünf Wochen. In dieser Zeit muss der Kaffee immer gewendet werden.

Die „Wellen“ kommen dadurch zustande, dass immer mit dem Lauf der Sonne gewendet wird: So werden die Sonnenstrahlen optimal ausgenutzt. Die Trockenphase dauert zwischen drei und fünf Wochen, aber auf jeden Fall so lange, bis das Fruchtfleisch völlig trocken ist; die Bohnen klappern dann beim Schütteln in ihren Schalen. Für Paulo ist dies natürlich nicht das Kriterium, die Trockenphase einer Auslage zu beenden. Er misst den Wassergehalt mit einem elektrischen Feuchtigkeitsmesser, gegen Ende der Trockenphase geschieht das täglich.

Haben die getrockneten Kirschen einen Wassergehalt von 11,5% erreicht, lässt Paulo die schwarzen, trockenen Früchte erst einmal im Lagerhaus, der sogenannten Tulha, einlagern. Erst später, kurz vor dem Verkauf, enthülst Paulo die Kaffeekirschen mit einer Schälmaschine, d.h., es werden Schale, Pergament- und Silberhäutchen automatisch entfernt.

Diese als natürlich bezeichnete Verarbeitung ist die ursprüngliche Methode für die Kaffeetrocknung, nach der der Kaffee nur noch enthülst werden muss. Diese Methode bedeutet zwar mehr Handarbeit beim Wenden, dafür beinhaltet sie weniger Zwischenschritte insgesamt und weniger Maschineneinsatz als die anderen Methoden.

Die Nassaufbereitung

(‚O processamento via úmida‘, ‚washed coffee‘)

Mit Fermentation

(‚Com fermentação‘, ‚CD‘)

Die qualitativ hochwertigere Kaffeeverarbeitungsmethode ist die nasse Aufbereitung, und der so verarbeitete Kaffee heißt gewaschen, auf Portugiesisch auch „cereja descascado“ – „geschälte Kirsche“, woher die geläufige Abkürzung „CD“ abstammt.

Fermentationstanks

Diese Methode wird vor allem dort verwendet, wo ausreichend Wasser vorhanden ist und wo eher unsichere Sonnenverhältnisse vorherrschen, denn wechselhafte und zu feuchte Witterung kann schnell zum Verderben von trocken aufbereiteten Früchten führen. Die neuen Generationen der Maschinen, die das Fruchtfleisch entfernen, die Entpulper, arbeiten inzwischen auch viel wassersparender als früher, sodass bei dieser Methode die Umwelt nicht mehr so stark belastet wird. Auch wird bei den neuesten Maschinen darauf geachtet, dass das entstehende Abwasser gereinigt und das Fruchtfleisch kompostiert wird, sodass es als Düngemittel verwendet werden kann.

Depulper

Bei diesem Prozess werden die Kaffeekirschen möglichst innerhalb von 5 Stunden nach der Ernte in speziell angefertigte Waschkanäle transportiert. Dort werden sie zum einen von grobem Schmutz befreit, also von Blättern, Ästchen und kleinen Steinen. Zum anderen werden auch hier die Kirschen im Wasserkanal nach Reifegrad getrennt (‚separator para cafés cerejas‘): Die reifen Kirschen sinken ab, während die überreifen oben schwimmen, deshalb nennt man sie auch ‚bóias‘. Dies ist notwendig, da die Entpulper nur rote, reife Kaffeekirschen verarbeiten können. Das alles zusammen sind schon enorme Fortschritte im Bereich des Umweltschutzes und des nachhaltigen Kaffeeanbaus.

Zylinderpulper

Danach wird die Haut der reifen Kirschen samt einem Großteil des Fruchtfleischs (‚pulpa‘) von den Bohnen abgetrennt, indem die Kirschen durch eine rotierenden Scheibe (‚Scheibenpulper‘) oder durch eine rotierende Trommel (‚Zylinderpulper‘) durch ein scharfkantiges Sieb gepresst werden, durch dessen Löcher gerade so die größte Bohnengröße durchpasst. Der Druck auf die Früchte ist jedoch nicht groß genug, um auch das Fruchtfleisch der grünen, noch unreifen und recht festen Früchte zu lösen; diese kommen also auf der anderen Seite der Maschine wieder heraus und werden so aussortiert. Diese Tatsache garantiert dem gewaschenen Kaffee immer eine gute, homogene Ausgangsbasis ausschließlich reifer Kaffeekirschen.

Dennoch bleibt bei diesem Vorgang bei den Früchten immer noch ein erheblicher Rest des Fruchtfleischs (Mesokarp = mittlere Schicht) an der Pergamenthaut der Bohnen haften. Die traditionelle Methode der Fermentierung sieht nun vor, dass diese letzten Reste des an den Bohnen verbliebenen Fruchtfleisches durch Gärung abgelöst werden. Die Fermentation kann im Wasser stattfinden, in Wasserkanälen oder in Fermentationstanks, oder auch mit Hilfe der Trockenfermentation (die nicht wirklich trocken ist, da die Früchte in ihrem eigenen Fruchtsaft gären). Egal, welche der Fermentationsmethoden angewandt wird, der Prozess, der ca. 1,5 Tage andauert, muss gut überwacht werden, um eine Übergärung zu vermeiden, die dazu führen würde, dass der Kaffee unerwünschte, zu saure Aromen ausbildet. Nach dieser Fermentierung kann das Fruchtfleisch dann leicht durch einen erneuten Waschvorgang komplett entfernt werden.

Wasserkanal

Ohne Fermentation

(‚Sem fermentação‘, ‚aquapulping‘)

Zu dem traditionellen Nassverfahren mit Fermentation hat sich eine neuere Methode dazugesellt, bei der der letzte Rest des Fruchtfleisches eben nicht durch Gärung entfernt wird, sondern durch rein mechanischen Abrieb. In einem „Fruchtfleischentferner“ wird die schleimige Schicht, die sogenannte Pektinschicht, die die Pergamenthaut umgibt, durch mechanische Reibung entfernt. Diese neuen Maschinen haben mehrere Vorteile: Sie ermöglichen eine umweltschonendere Verarbeitung des Kaffees, da sie sehr wassersparend arbeiten, sie sparen Zeit, da nicht mehr fermentiert werden muss und das Endergebnis ist eindeutig vorhersehbar, denn es gibt keinen Gärungspunkt mehr, der überschritten werden kann!

Allerdings sind die spätere Tassenqualität und das Aroma dieses Kaffees noch unklar und bei Experten umstritten, gerade weil weder eine Fermentation noch eine Trocknung im Fruchtfleisch stattfindet. Mehr dazu im nächsten Kapitel „Qualitätsdiskussion“. Für diese Methode gibt es verschiedene Namen, auf Portugiesisch heißt das „remoção mecânica da mucilagem“, auf Englisch werden Ihnen die Begriffe „aquapulping“ oder „mechanical demucilaging“ begegnen.

Trocknen und Wenden

(‚A secagem e o revolvimento’)

Im Anschluss werden bei beiden Methoden die Bohnen in ihrer Pergamenthaut ein paar Tage lang in der Sonne getrocknet, was bei der ersten Methode den Fermentationsprozess der Kaffeebohnen stoppt. In diesem Zustand heißt der Kaffee „Pergamentkaffee“ (‚café pergaminho‘) oder auch „Hornschalenkaffee“. Dazu wird er auf Trockenflächen für 8–10 Tage unter der Sonne ausgebreitet und muss nun auch hier, wie bei der Trockenaufbereitung, kontinuierlich gewendet werden. Normalerweise ist das noch Handarbeit mit Schiebern o.Ä., hier in diesem Fall hat sich der Farmbesitzer etwas Besonderes einfallen lassen: Er hat ein Motorrad so modifiziert, dass ein Mitarbeiter damit über den Pergamentkaffee fahren kann und den Kaffee dabei wendet. In den Reifen ist etwas weniger Luft, sodass der Kaffee keinen Schaden nimmt.

Nachts und tagsüber bei Regen wird der Kaffee mit Planen abgedeckt. Alternativ kann der Pergamentkaffee auch in großen Trockentrommeln trocknen, denen heiße Luft zugeführt wird, das spart ein paar Tage Zeit ein, ist aber sehr energieaufwändig. Auch hier werden die Bohnen mit einer idealen Restfeuchtigkeit von 11,5% eingelagert. Erst kurz vor dem Rösten werden dann Pergament- und Silberhaut mit einem gesonderten Schälprozess in Schälmaschinen entfernt.

Wenden des Kaffees mit dem Motorrad

Trockentrommel: In die Trommel wird heiße Luft geblasen

Die halbtrockene Aufbereitung

(‚Processamento semi-lavado‘, ‚semi-washed‘ oder auch ‚pulped natural‘)

Die dritte, weniger verbreitete Variante ist die „halbgewaschene“ („semi-washed“) Verarbeitung. Hierbei handelt es sich um eine Unterart der zuvor behandelten Nassaufbereitung, wobei sie weniger Arbeitsschritte beinhaltet. Auch hier wird die Ernte von Blättern, Ästchen und kleinen Steinen befreit und danach nach Reifegrad getrennt, d.h., die unreifen grünen Kirschen werden wieder aussortiert. Danach werden auch hier die Außenhaut sowie ein Teil des Fruchtfleisches im Depulper entfernt.

Der Unterschied zum Nassverfahren beginnt an diesem Punkt, wo die Bohnen mit dem Rest des Fruchtfleisches nicht fermentiert oder wie beim Aquapulping mechanisch abgelöst werden, sondern wie beim Trockenverfahren samt den Fruchtfleischresten zum Trocknen in der Sonne ausgelegt oder in Trockentrommeln getrocknet werden. Manchmal werden die Bohnen mit dem Restfruchtfleisch vor dem Trocknen auch nochmals gewaschen. Die Rückstände des Fruchtfleischs enthalten viel Zucker, deshalb benötigen die frisch entpulpten Kaffeebohnen – wie bei der Trockenaufbereitung – eine gesicherte und ausreichende Sonneneinstrahlung, damit sie nicht verderben. Die weitere Verarbeitung verläuft dann aber wieder analog zur gewaschenen Methode: Der getrocknete Kaffee wird bis kurz vor dem Verkauf in der Tulha eingelagert und das trockene Fruchtfleisch sowie Pergament- und Silberhaut werden erst später entfernt.

Die Qualitätsdiskussion
(‚A discussão da qualidade‘)

Die verschiedenen Nachernteprozesse des Kaffees, die Trocken- und Nassaufbereitung und ihre Abwandlungen, entfachen, zumindest in Fachkreisen, immer wieder Diskussionen um die Unterschiede in der Tassenqualität der resultierenden Kaffees. Die Tatsache, dass bei der Nassaufbereitung ausschließlich reife Kaffeekirschen verarbeitet werden und dabei normalerweise sorgfältiger gearbeitet wird als bei der Trockenaufbereitung, ist bekannt und kann zu einem Qualitätsvorteil in der Tassenqualität der gewaschenen Kaffees führen. Aber sorgfältig trocken oder natürlich aufbereitete Kaffees können ebenso absolute Spitzenkaffees sein!

Kaffeefremde Bestandteile wie Ästchen, Steinchen oder zerbrochene Bohnen (‚Defekte‘) kommen aufgrund der Stripping-Methode bei natürlichen Kaffees vielleicht häufiger vor, diese können aber bei einer sorgfältigen Veredelung nahezu komplett aussortiert werden. Und natürlich muss man bei einem Qualitätsvergleich nicht nur die Herkunftsregion, sondern auch alle anderen beeinflussenden Faktoren berücksichtigen, wie z.B. die Sorte, den Röstgrad, den Mahlgrad, die Kaffeepulvermenge etc.

Die Einflussfaktoren, und somit auch Fehlerquellen, sind zahlreich und müssen im Verlauf einer Diskussion bedacht werden. Durch Blends können bestimmte Faktoren wie Säure, Bitterkeit, Körper oder diverse Aromen reguliert werden, sie machen die Sache der Vergleichbarkeit aber noch komplizierter bis hin zu unmöglich.

Die Art der Ernte alleine ist also nicht für die offensichtlich vorhandenen geschmacklichen Unterschiede verantwortlich, die durch die beiden Aufbereitungsprozesse entstehen. Denn auch ein sorgsam trocken aufbereiteter und veredelter Rohkaffee mit ausschließlich reifen Kirschen bringt nachweislich unterschiedliche Geschmacksnoten im Vergleich zum nass aufbereiteten Kaffee derselben Sorte desselben Feldes hervor. Die nachfolgenden, vereinfachten, Aussagen bezüglich der unterschiedlich ablaufenden Stoffwechselprozesse in den Kaffeebohnen beruhen auf den wissenschaftlichen Arbeiten9 des Instituts für Pflanzenbiologie der TU Braunschweig unter Prof. Dr. Dirk Selmar. Bei diesen Überlegungen zur Rohkaffeequalität wird besonders berücksichtigt, dass Kaffeebohnen lebendige Organismen sind, in denen, ganz besonders auch noch während der Verarbeitung nach der Ernte, bestimmte Stoffwechselprozesse ablaufen.

Diese Prozesse beeinflussen die stoffliche Zusammensetzung der Samen und verändern dadurch das spätere Aroma der Bohnen. Es wurde dabei untersucht, welche Stoffwechselprozesse während der verschiedenen Aufbereitungsmethoden ablaufen, und wie diese Prozesse von der jeweiligen Methode beeinflusst werden. Das Hauptergebnis der Untersuchungen war, dass die Kaffeebohnen im Zuge der Aufbereitungen unterschiedlich stark zu keimen beginnen und durch den Wasserverlust des Trockenvorgangs unterschiedlich stark Stress erleiden.

Keimungsprozesse

Kaffeesamen sind bereits in der reifen Frucht voll keimfähig. Nur bestimmte Stoffe im Fruchtfleisch unterdrücken eine Keimung. Bei der Nassaufbereitung werden diese aktiven Stoffe der Keimungsunterdrückung direkt nach der Ernte mit dem Fruchtfleisch entfernt. Dadurch werden sofort Keimungsprozesse in den Kaffeesamen in Gang gesetzt, das Maximum des Keimungsprozesses ist schon nach zwei Tagen erreicht.

Auch während der Trockenaufbereitung laufen Keimungsprozesse ab, obwohl das gesamte Fruchtfleisch samt den keimungshemmenden Stoffen um die Samen verbleibt. Offensichtlich verlieren diese unterdrückenden Stoffe im Laufe der Zeit aber ihre Wirkung, denn die Keimungsprozesse beginnen hierbei deutlich verzögert: die höchsten Keimungsaktivitäten treten erst etwa eine Woche nach Beginn der Trocknung ein.

Stressbedingte Stoffwechselprozesse

Bei beiden Aufbereitungsarten müssen die Bohnen am Ende getrocknet werden. Aus biologischer Sicht bedeutet dies, dass der Wasserverlust Konsequenzen für den Stoffwechsel der Kaffeesamen haben muss. Also laufen neben den Keimungsprozessen noch weitere, mit dem Trockenvorgang zusammenhängende Stoffwechselvorgänge in den Kaffeesamen ab. Eine der häufigsten pflanzlichen Reaktionen auf Stress bei Wasserverlust ist die Anhäufung spezieller Substanzen, die die Zellen stabilisieren wie z.B. die Aminobuttersäure.

Zum Beispiel wurde in nass behandeltem Kaffee ein größerer Anteil freier Aminosäuren, wie er in Proteinen vorkommt, nachgewiesen, aber lediglich geringe Mengen an Aminobuttersäure. Der Grund dafür ist, dass durch die schnellere Trocknung alle Stoffwechselreaktionen in den trocknenden Bohnen bereits nach ca. zwei Tagen zum Erliegen kommen. Auch ist hier der Sauerstoffmangel, der im Zuge der Fermentation auftritt, als auslösender Mechanismus von Bedeutung. Im Gegensatz dazu wurden im trocken behandelten Kaffee größere Anteile an Glukose, Fruktose und Aminobuttersäure nachgewiesen, denn die relevanten Stressreaktionen können hier ja mehrere Wochen lang ablaufen. Diese Ergebnisse machen deutlich, dass in den trocknenden Rohkaffees sowohl Keimungsprozesse als auch eine Reihe weiterer, stressbedingter Stoffwechselreaktionen ablaufen, deren Umfang und Geschwindigkeit sehr von den unterschiedlichen Arten der Aufbereitung abhängig sind.

Solche Stoffwechselunterschiede rufen auch immer Unterschiede in der stofflichen Zusammensetzung der jeweiligen Gewebe oder Organe hervor. Deshalb entwickeln nass und trocken aufbereitete Rohkaffees sehr unterschiedliche Aromapotenziale!

Trocknen der Kaffeekirschen mit Schale

Trocken aufbereiteter Kaffee

Im Allgemeinen zeichnen sich die trocken oder natürlich aufbereiteten Kaffees vor allem durch süße Aromen und eine ausgeprägte Vollmundigkeit aus, die wohl durch die Trocknung im süßen Fruchtfleisch zustande kommt. Es ziehen dabei Stoffe der zuckrigen Pektinschicht (Glukose, Fruktose) in die Bohne ein und dieses süße Aroma wirkt sich auf das Geschmacksbild des Kaffees aus. Die trocken aufbereiteten Kaffees neigen generell zu einem niedrigeren Säuregehalt, aber zu mehr Körper als die gewaschenen Kaffees.

Nass aufbereiteter Kaffee

Wie bereits in der Einleitung dieses Kapitel erwähnt, entsteht i.d.R. bereits durch die Trennung und der damit verbundenen hohen Konzentration der reifen Kirschen ein prozessbedingter Qualitätsvorteil im Unterschied zum trocken aufbereiteten Kaffee.

  • Klassische nasse Aufbereitung (mit Fermentation)
    Charakteristisch für nass aufbereitete Kaffees sind eine ausgeprägte Säure und ein feines Aroma. Das Geschmacksbild ist hier für gewöhnlich klarer als bei trocken aufbereitetem Kaffee, es ist fruchtig und sehr fein nuanciert. Allerdings drückt sich dies auch im Preis aus: Gewaschener Kaffee ist im Durchschnitt teurer als trocken verarbeiteter Kaffee.

Anlage für die Nassaufbereitung von Kaffee

  • Progressive nasse Aufbereitung (ohne Fermentation)
    Das relativ neue Verfahren wird auch „Aquapulping“ genannt. Immer öfter werden Rohkaffees mit diesem sogenannten „progressiven“ Verfahren produziert, das man auch als mechanische Entschleimung bezeichnen könnte. Zunächst werden dabei die reifen Kaffeekirschen entpulpt, wie bei der Nassaufbereitung.