Polynesische Wellen
Eine Geschichte über die Liebe und den Tod
Alle Rechte bei Holger Sauer. Copyright © 2011.
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Herstellung und Verlag:
Books on Demand GmbH, Norderstedt
Umschlagmotiv: Olaf Bruchertseifer
Umschlaggestaltung: Florian Severin
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN-13: 9783844825312
Buch
Für das junge Paar scheint alles bestens zu laufen. Doch, was wie eine Bilderbuchliebesgeschichte beginnt, ändert sich plötzlich in eine ergreifende Tragödie. Die Frau ist unheilbar krank, ihr bleiben nur noch wenige Wochen zu leben. Der gemeinsame Traum der beiden, einmal auf Maui, Hawaii, alt zu werden, scheint zerbrochen. Doch nach dem Tod mehren sich unglaubliche Zufälle. Auf einmal könnte sogar aus dem Traum doch noch Realität werden.
In schonungsloser Offenheit erzählt der Autor über die Zeit während und nach der Krankheit und lässt die Leser an seiner Gefühlswelt teilhaben.
Mit geradezu sachlicher Präzision beschreibt er die scheinbaren Zufällen, die für ihn mehr als Zufälle sein müssen. Die Maxime seiner Frau, die Liebe bliebe immer, hilft ihm nicht nur, sein Leben alleine zu bewältigen, sondern zeigt sich auch in zahlreichen Ereignissen nach ihrem Tod immer wieder.
Autor
Holger Sauer, geboren 1964, studierte Sportwissenschaften und arbeitet seitdem als Sportjournalist. Durch seine Ausbildung und Erziehung ist er ein sehr rationaler Mensch, der für alles eine Erklärung sucht und meist findet. Privat und beruflich ist er viel um die Welt gereist und hat dort die unterschiedlichsten Kulturen kennen gelernt und zahlreiche Eindrücke gewonnen.
Die scheinbar zufälligen Geschehnisse, die er nach dem frühen Tod seiner Frau erlebt hat, haben ihn an den Rand des Erklärbaren gebracht. Die Schlussfolgerungen, die er für sich gezogen hat, waren für ihn der Grund, seine Erlebnisse aufzuschreiben und so anderen Menschen mitzuteilen.
»Polynesische Wellen« ist das erste Buch von Holger Sauer.
Für Dich, Susanne, wen sonst!
»all the promises we make
from the cradle to the grave
when all i want is you«
U2
»Ua Ola Ae Nei Loko I Ko Aloba!« –
»Das Leben ist noch lebendiger in mir
durch die Liebe zu Dir!«
Hawaiianisches Sprichwort
Vorwort
1. Allein im »Stinger Rays«
2. Der erste Film: Hang Loose on Hawaii 1992
3. Der zweite Film: Hang Loose on Hawaii 1994
4. Die Jahre mit einem Ring
5. Der dritte Film Hang Loose, »the return«
6. Kein Warum!
7. Nicht allein
8. Maui: Unser Traum ist Realität
9. Subjektive Betrachtungsweisen
Danksagung
Eines möchte ich sofort klarstellen: Ich bin kein Esoteriker. Also, bitte nicht gleich in diese Schublade. Danke!
Ich bin ein ganz normaler Typ. Ich mag Actionfilme und Bier. Ich treibe Sport, liebe die Natur und Chips. Kann mich über Blödsinn abrollen und wenn etwas nicht klappt, brüll ich laut rum. Koche gerne und verachte auch nicht McDonald's. Habe schon mal einen Joint geraucht und 25 Jahre im Verein Basketball gespielt. Ich habe früher auch begeistert mein Zündapp Moped frisiert und bin einmal sitzen geblieben wegen Mathe und Französisch. Während meines Sportstudiums sechs Jahre in einer lustigen Männer-WG gewohnt. Meine Traumfrau geheiratet und mich um die Altersvorsorge gekümmert. Aus der Kirche ausgetreten, da ich diesen Laden zu dogmatisch fand. Viel gereist und auch viel gearbeitet.
Alles so ganz normal, und doch bin ich heute nicht mehr derselbe. Ich habe meine Frau Susanne durch Krebs verloren. Sie war 48 Jahre alt, ich zu dem Zeitpunkt 44. Es ging so schnell, nur sechs Wochen hatten wir, da war sie gegangen.
Doch was dann so alles geschehen ist, möchte ich mitteilen. Es ist so passiert! Einfach so. Wunderliches! Für mich nicht Erklärbares!
Alles Zufälle?
Keine Ahnung. Oder wie Clint Eastwood am Schluss des Films »Perfect World« sagt: »Ich weiß gar nichts!«
Doch ich habe verstanden, dass da offensichtlich etwas ist. Etwas Anderes. Heute bin ich mir zunehmend sicher: Es ist positive Hoffnung, Glaube an etwas Größeres. Das ist neu in meinem Leben und für mich eine völlig ungewohnte Sichtweise!
Holger Sauer, Köln 2011
»somewhere over the rainbow
bluebirds fly
and the dreams that you dreamed of
dreams really do come true«
E. Y. Harburg
Der letzte Mai Tai vor der Rückreise nach Deutschland hatte bei uns Tradition. Meist war auch die Uhrzeit für diesen tropischen Cocktail angemessen. In der Hinsicht war ich schon immer eher konservativ, denn tagsüber trank ich nie Alkohol.
Susanne und ich verließen Maui, eine der Hawaii-Inseln, regelmäßig gegen Abend, nahmen den Nachtflug nach Los Angeles, von da dann weiter nach Frankfurt. Der Mai Tai bei »Stinger Rays«, der Flughafen Bar im Kahului Airport, war wirklich gut. Fanden wir jedenfalls. Und nach 18 Uhr Alkohol zu konsumieren, war dann auch für mich okay.
Das »Stinger Rays« hat sich in all den Jahren, in denen wir nach Maui kamen, nicht verändert. Wie so vieles auf dieser Insel. Unserer Insel. Noch immer hängt der riesengroße »Ahi«, ein Gelbflossenthunfisch, aus Plastik über der Sitzecke links vom Eingang. Und zwischen den beiden TV-Bildschirmen über der Bar, die Tag und Nacht laufen und permanent die neuesten Sportnews aus den USA verkünden, hängt dieses wunderschöne Surfbrett: Ein Longboard, um die drei Meter lang. Dieses Board ist ein echtes Schmuckstück. Es ist aus Holz: Beide Längsseiten sind aus dunklem Koa-Wood gefertigt, diese Holzart gibt es nur auf den Hawaii-Inseln. Der Mittelsteg des Surfbretts ist aus einer helleren Holzart, wahrscheinlich Bambus, gefertigt.
Da prangt dieser Traum eines jeden Surfers über der Theke der letzten Kneipe bevor man Maui verlässt, und ich frage mich, ob es je das Wasser gesehen hat. Sieht aber eigentlich nicht so aus, keine Wachsspuren sind zu erkennen, die dem Surfer im Wasser Halt auf dem sonst rutschigen Brett ermöglichen. Das ganze Board ist hochglanzpoliert. Es hängt einfach nur da, seit Jahren. Ein kleines Kunstwerk.
Susanne und ich haben dieses Brett immer wieder bestaunt, während wir unseren letzten Mai Tai tranken, und ich erzählte ihr, dass ich, wenn meine Surfkünste mal besser werden sollten, solch ein Brett aus Holz irgendwann einmal haben möchte. Sie fand diese Idee prima.
Heute habe ich solch ein Surfboard aus Holz! Nicht weil ich ein guter Surfer geworden wäre. Ich hatte es Susanne versprochen, damals im August 2008, als sie im Krankenhaus lag, wenige Tage vor ihrem Tod. Es ist ein besonderes Surfbrett: Mitten drauf prangt das Symbol unserer Beziehung: Ein Bumerang, verziert mit polynesischen Wellen!
Jetzt, zwölf Monate später, sitze ich im »Stinger Ray« und trinke einen Mai Tai. Um 13 Uhr nachmittags! Zum ersten Mal alleine. Ein paar Wochen war ich gerade auf Maui, meiner zweiten Heimat, war an Susannes Grab, hier auf unserer Insel, als sich ihr Tod jährte. Ich lebe jetzt unseren gemeinsamen Traum, den von einem Haus an dem für uns schönsten Platz der Welt.
Ohne sie.
Ein Jahr bereits. Manchmal schaffe ich es, das Geschehene halbwegs zu begreifen.
Heute geht es zurück nach Hause, muss wieder arbeiten gehen. Deutscher Alltag.
Doch eigentlich bin ich auf der Suche nach meinem Zuhause. Ich hab es mit Susannes Tod verloren. Sie war mein Zuhause, wir waren unser Zuhause, ich war ihr Zuhause. Und völlig ohne pathetischen Schmalz: Ich habe die Liebe meines Lebens verloren. Das ist so!
Und andererseits habe ich sie auch nicht verloren!
Sie ist auf eine gewisse Art bei mir, in mir! Ich glaube oft, Susanne bekommt alles mit. Ihr Einfluss, nicht nur auf mich, ist immer noch wahnsinnig stark.
Klingt ziemlich abgedreht, ich weiß. Aber darum geht es in diesem Buch:
Es ist unsere Geschichte, die unserer Liebe. Und, was Liebe bewirken kann. Über den Tod hinaus. Zahlreiche Freunde ermunterten mich immer wieder, das, was geschehen ist, das, was ich erlebt habe, und manchmal immer noch erlebe, insbesondere nach Susannes Tod, aufzuschreiben. Jetzt, ein Jahr nach ihrem Tod, habe ich die Kraft dazu, damit zu beginnen.
All das passt nicht zu mir, so habe ich nie getickt. Ich war doch immer so rational, meinte zu wissen, wie die Welt funktioniert, die Wissenschaft erklärt mir das doch jeden Tag. Ich bin ein Mann der Fakten, mein Beruf ist schließlich Sportjournalist, da kommt am Ende immer etwas Messbares und klar Überprüfbares, eben ein Ergebnis, heraus.
Und dann geschehen Dinge mit mir, die nur von Susanne kommen können. Doch da war sie bereits tot. Und erklären kann mir das kein Mensch, auch kein Wissenschaftler.
Es ist für mich der Schritt in eine neue Welt, eine neue, andere Wahrnehmung für das, was wir Leben nennen. Zweifellos hat sich meines verändert und tut es noch. Mein Blickwinkel hat sich deutlich verschoben.
Seit Susanne gestorben ist, sind so zahlreiche »Zufälle« geschehen, die alle mit uns und unserer Vorstellung von einem Leben miteinander zu tun haben, dass ich an einem bestimmten Punkt einfach aufhören musste, an »Zufälle« zu glauben.
Das Bemerkenswerte daran ist, dass diese »Zufälle« mir helfen, überwiegend positiv durch mein Leben ohne Susanne zu gehen. Ich denke, das ist nicht selbstverständlich.
So etwas wie ein »schwarzes Loch« oder eine Depression kam nicht vor. Natürlich habe ich auch diese unglaublich traurigen Momente. Jeden Tag. Wo nichts mehr geht, außer zu weinen. Einfach nur weinen!
Denn nun sitze ich immer allein im »Stinger Rays«.
Ohne Susanne.
»chase me through the dark
ready on your mark
first to reach the stars
wins a broken heart
one that broke apart
shattered from the start«
Foo Fighters
Der Ball fühlte sich gut an in meinen Händen, ich stand auf meiner bevorzugten Position, dem rechten Flügel, Höhe Dreierlinie, 45 Grad zum Korb. Ich wusste, dass mein direkt vor mir stehender Verteidiger heute ausnahmsweise nicht gut gegen mich aussehen würde. Es war einer jenen raren Tage in meiner 25-jährigen Basketball-Karriere, an dem fast alles klappte.
Es war im Januar 1992, eines von insgesamt zweiundzwanzig Saisonspielen in der Kölner Landesliga. Ich war damals 27 Jahre alt, spielte seit vier Jahren beim TC Weiden. An diesem Tag bekam ich mehr Spielzeit als gewöhnlich. Klar, wenn man punktet und für seine Verhältnisse akzeptabel verteidigt, lässt der Coach einen auch spielen.
Ich beugte mich leicht nach vorne, den Basketball immer noch fest in beiden Händen. Ich täuschte ein Dribbling nach links an, der Verteidiger zeigte sich unbeeindruckt. Ich täuschte direkt an diese Finte noch einen »Pump-Fake«, eine Wurftäuschung, an. Ja, er hatte angebissen und sprang hoch: Ich dribbelte rechts an ihm vorbei Richtung Grundlinie. Ich stoppte am Zonenrand, Null Grad zum Korb. Wo war der gegnerische Center, um mir mit ausgestreckten Armen die Sicht zum Korb zu versperren? Hauni (unser Spielertrainer, zwei Meter groß) stand in der Zone vor ihm und blockte ihn von mir weg: Freie Sicht, kein Verteidiger: Wurf!
Es war mein zwölfter Punkt in diesem Spiel, natürlich persönlicher Saisonrekord. Normalerweise war ich der neunte oder zehnte Mann im Team, bekam meist um die fünf Minuten Spielzeit, ansonsten durfte ich die Jungs anfeuern und anschließend mitduschen. Dabei war ich im Training immer total engagiert und auch gut, halt ein »Trainingsweltmeister«. Bekam ich in den Ligaspielen mal ein paar Minuten Spielzeit, so wollte ich immer allen zeigen, was wirklich in mir steckt: Doch meistens landeten meine Dribblings, die hinterm Rücken am Gegner vorbei gehen sollten, direkt vor der eigenen Bank erst auf meinem Fuß und dann im Aus. Turnover, Ballverlust! Danke! Auswechslung! Duschen!
Doch dieser Tag war anders: Ich spielte richtig gut, nur ein oder zwei Ballverluste, ein paar anständige Pässe zum Mitspieler, Verteidigung war auch in Ordnung, plus meine zwölf Punkte. Bingo! Und das Wichtigste: Wir hatten das Spiel gewonnen.
Beim gemeinsamen Bier vor der Halle (wir hatten immer eine Kiste dabei) wusste ich, warum ich so locker-flockig aufgespielt hatte:
Ich war total verliebt!
Seit knapp zwei Wochen war ich mit Susanne zusammen. Dabei kannten wir uns noch gar nicht lange. Einen Monat vorher, in der Zeit vor Weihnachten, war ich mit einer Gruppe von Freunden von der Sporthochschule Köln im Skiurlaub in Hintertux, Österreich. Und da war diese Frau dabei:
Lange blonde Haare, total gelockt, Natur. Sehr sportliche Figur, hohe Wangen, ausgeprägte Nase. Eine unglaublich attraktive Frau. Eben so eine Frau, die ich mich eigentlich nicht traute anzusprechen. In diesen Dingen war ich eh noch nie gut, immer eher schüchtern. Aber der Zufall in diesem Skiurlaub wollte es, dass ich beim damals sehr beliebten Kartenspiel »Uno« (Mau-Mau für Fortgeschrittene) am Abend auf unserer Hütte neben ihr saß: Bei diesem Spiel muss man schon gut aufpassen, denn die Richtung kann wechseln, man wird übersprungen, muss zwei, vier oder noch mehr Strafkarten ziehen, kann seine mit einem Mitspieler tauschen und unglaublich viele chaotische Regeln mehr…
Jedenfalls fiel mir auf, dass diese wahnsinnig hübsche Frau neben mir nie wusste, wer an der Reihe war, geschweige denn, in welche Richtung es denn nun ginge. Dieses offensichtlich verträumte Wesen war Susanne. Ich wollte ihr helfen, stupste sie unterm Tisch an, um ihr zu signalisieren, dass sie jetzt dran wäre. Doch Susanne sah mich verblüfft an und fragte: »Was ist?«
Es war zum Brüllen. Zur Belohnung musste ich zwei Strafkarten ziehen, da die anderen meine illegalen Hilfeversuche aufgrund ihrer Reaktion natürlich mitbekamen. Da fragte ich sie: »Sag mal, lebst du eigentlich hinterm Mond?« Diese Frage hat Susanne ihr ganzes Leben lang nicht vergessen.
Skifahren konnte sie jedenfalls erheblich besser als »Uno«. Und selbstredend Lichtjahre besser als ich. Skifahren war nicht so mein Ding, Susanne hingegen war überhaupt sehr sportlich: Ehemalige Leichtathletin beim TUS Leverkusen, Sprinterin. Mehrmals mit der Schulmannschaft in Berlin bei »Jugend trainiert für Olympia«, eigentlich konnte sie so ziemlich alles. Außer schwimmen, aber das ist ein anderes Thema.
Am Ende des Skiurlaubs war ich dann doch soweit in unserer Annäherung gekommen, dass Susanne sich mit mir in Köln gerne mal auf ein Bier treffen würde. Es waren für mich überaus erfolgreiche Skiferien gewesen!
Ich überlegte mir eine aus heutiger Sicht eher abstruse Geschichte, die ich auf ihren Anrufbeantworter sprach: Mit überbetonter Stimme; ich war damals bereits neun Monate bei einem Kölner Sender in der Fernsehsportredaktion und durfte meine Beiträge selbst sprechen; gab ich mich als Mitarbeiter der Post (damals gab es nur die) aus und bemängelte, dass ihr Anrufbeantworter nicht angemeldet und damit illegal wäre. Zur Klärung dieses immensen »Verbrechens« solle sie sich mit Holger Sauer in Verbindung setzen. Was sie dann glücklicherweise auch tat.
So trafen wir uns. Und bei unserem zweiten Treffen geschah bei mir etwas bisher Unbekanntes: Unsere Gespräche fingen an, vertrauter zu werden, ich begann von der Zeit zu erzählen, als meine Eltern sich scheiden ließen, damals war ich dreizehn Jahre alt. Erzählte ihr vom neuen Partner meiner Mutter und dass ich ihn nach all den Jahren immer noch siezen würde, eigentlich alles sehr persönliche Dinge für ein zweites Date. Was Susanne dazu sagte, berührte mich sehr. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, verstanden zu werden. Sie sprach das aus, was ich empfand. Sie wusste, wie ich fühlte. Und was ich am tollsten fand: Sie war so natürlich. Die attraktiven Frauen, die ich vorher getroffen hatte (waren, wie gesagt, nicht viele), waren für mich nahezu unerreichbar gewesen, Susanne war anders. Ihr Lachen, ihre Ausstrahlung, ihre Worte: So echt, ohne Fassade. Offen. Reflektiert.
Ich habe immer auf ältere Frauen gestanden, schon seit der Pubertät; jetzt war ich mir sicher, dass sie die Richtige war.
Ich hatte mich verliebt!
Susanne war vier Jahre älter als ich.
Zwei Wochen später musste ich alles wagen: Nach einem Kinobesuch, den Filmtitel habe ich natürlich vergessen, habe ich ihr bei mir, beziehungsweise in meinem Zwölf-Quadratmeter-Zimmer in meiner WG, meine Verliebtheit gestanden.
Volltreffer!
Sie blieb in dieser Nacht. Wir berührten uns nur ganz zaghaft, schmusten und küssten uns ein bisschen. Das war alles. Doch für unsere nun beginnende Beziehung begann etwas ganz Wichtiges: Ich sagte Susanne in dieser Nacht, dass ich mir mit ihr immer Offenheit, Klarheit und Ehrlichkeit wünsche.
Susanne haben diese Worte sehr beeindruckt, es sollte das Fundament für unsere Zeit miteinander werden!
Doch erstmal flog ich mit Lutz fünf Wochen nach Hawaii!
Natürlich ist das ein eher suboptimaler Start in eine Beziehung: Wir waren vierzehn Tage zusammen, und dann ging ich erstmal fünf Wochen ans andere Ende der Welt. Doch Susanne gönnte mir diese Reise, bis dahin meine weiteste, von Herzen. Sie wollte ja auch noch mit einer Freundin zwei Wochen nach Ägypten. Und ihre Reise sollte ausgerechnet losgehen, wenn ich aus Hawaii zurückkäme. Das waren die Aussichten: Frisch verliebt und sich dann erstmal sieben Wochen nicht sehen.
Eine echte Bewährungsprobe für uns.
Aber ehrlich gesagt hatte ich auch nicht vor, diese einmalige Reise zu verpassen. Lutz, der Aufbau- und Flügelspieler meines Basketballteams, war der Ausgangspunkt:
Er war bereits ein Jahr länger im Verein, als ich 1988, angeregt durch zwei Studienkollegen, dazu stieß. Was mir von vornherein an dieser Mannschaft so gut gefiel, war die Umgehensweise miteinander: Klar sagte man sich auf dem Feld auch mal die Meinung, aber wir unternahmen auch außerhalb des Sports viel miteinander (mindestens die Kiste Bier nach einem Spiel). Ich sollte über zwanzig Jahre in diesem Verein bleiben, heute sind viele meiner ehemaligen Mitspieler Freunde von mir. Lutz ist einer davon. Er war kein Sportstudent wie die meisten von uns, sondern studierte Betriebswirtschaft. Ein heute noch unglaublich verspielter »Zocker«. Seine Verspieltheit konnte mitunter Mitspieler und Trainer auf die Palme bringen: Sein berühmtester Basketball-Move war der »Schnürsenkel-Trick«: Nachdem wir einen Korb erzielt hatten und der Gegner sein Angriffspiel begann, kniete sich Lutz gerne an der Mittellinie hin und tat so, als würde er seine Schuhe binden, die sich »unglücklicherweise« gerade geöffnet hatten. Sobald der gegnerische Aufbauspieler an Lutz vorbei gedribbelt war, sprang er auf und klaute blitzschnell von hinten den Ball. Korbleger Lutz!
Klappte allerdings nicht immer! Im Rückspiel war der »Schnürsenkel-Trick« dann meistens Geschichte. Die Gegner wussten nun Bescheid. So spielte Lutz.
Eines Tages erzählte er mir von seiner Verwandtschaft auf Hawaii. Der jüngste Bruder seines Vaters lebe auf Maui. Lutz hatte den Onkel, bevor er auswanderte, zuletzt gesehen, als er dreizehn Jahre alt war. Also konnte sich Lutz quasi gar nicht mehr an ihn erinnern. Wenn das kein Grund war, dem Onkel mal einen Besuch abzustatten. Natürlich bekundete ich reges Interesse an solch einer Unternehmung, und so fragte mich Lutz, ob ich denn nicht mit nach Maui kommen wolle.
So flogen wir, kurz nachdem ich Susanne kennengelernt hatte, für fünf Wochen nach Hawaii.
Es sollte eine Reise werden, die mein Leben für immer veränderte.
»carry on
love is coming
love is coming
to our souls«
Crosby, Stills & Nash
Der Abschied von Susanne war voller Hoffnung. Hoffnung, dass unsere Verliebtheit Bestand haben würde, dass unser verzögerter Start in unsere Beziehung diese Trennungszeit unbeschadet überstehen könnte.
Da war aber auch die Aussicht, eine für mich damals fantastische Reise machen zu können.
Lutz´ jetzige Frau Hilla und Susanne begleiteten uns zum Flughafen nach Düsseldorf.
Der Abschied war freudig, nicht traurig. Wir wollten uns schreiben und auch miteinander telefonieren.
Der lange Flug war für Lutz und mich bereits Abenteuer. Über Chicago ging es nach Los Angeles. Wir hatten niemals zuvor solch große Flughäfen gesehen. Der Flug über Grönland mit dem Blick auf die weiße, endlose Fläche unter uns verdeutlichte mir die Dimension dieser Reise: Es ging auf die andere Seite unseres Planeten.
Spät abends landeten wir in Honolulu auf Ohahu. Unterkunft fanden wir in einem Hostel, Unterbringung in einem Achterzimmer, alles Rucksacktouristen wie wir. Lutz und ich gingen noch vor die Tür, wollten ein Bier trinken gehen.
Doch Honolulu wirkte so gar nicht tropisch-exotisch auf uns. Eine Großstadt mit Wolkenkratzern und vom Pazifik keine Spur. Dafür kamen uns auf unserer Suche nach einer Kneipe zwei leicht bekleidete Frauen im mitternächtliche Honolulu entgegen. Eine von den beiden Damen fragte mich mit breitem amerikanischem Akzent, ob ich nicht noch etwas Spaß haben wollte, und griff mir dabei herzhaft zwischen meine Beine. Meine Reaktion war eindeutig Panik. Ich stammelte ein relativ höfliches »No, thanks« und beschleunigte meine Schritte, um dieser ersten Begegnung mit den Einheimischen zu entkommen. Schließlich fanden wir doch noch eine Bar für einen Absacker und amüsierten uns natürlich prächtig über unser erstes Erlebnis im Paradies.
Am nächsten Morgen kümmerten wir uns um die Weiterreise nach Maui. Gegen Mittag bekamen wir schließlich einen Flug mit Aloha Airlines rüber zur Nachbarinsel.
Dort angekommen riefen wir Lutz´ Onkel Christoph an und baten ihn, uns abzuholen. Wir warteten gut zweieinhalb Stunden am Kahului Airport und fragten uns, ob Lutz seinen Onkel nach fast fünfzehn Jahren überhaupt wieder erkennen würde.
Er tat es. Irgendwann fuhr ein großer, rostig-blauer Ford Pick-Up vor. Christoph, Jutta und die zweijährige Tochter Lena holten uns ab.
Ich dokumentierte alles mit meiner Videokamera, denn aus der Reise sollte ein Film entstehen. Dafür hatte ich extra diese kleine Kamera organisiert. Und wenn ich mir heute nach über siebzehn Jahren noch diesen eine Stunde und fünfzehn Minuten langen Film anschaue, begreife ich, wie fantastisch das damals alles war.
Wir waren mitten in einem tollen Abenteuer gelandet.
Lutz und ich saßen auf der Ladefläche von Christophs Pickup. Wir fanden uns total cool! Angelehnt an unsere Rucksäcke pfiff uns der nach Blumen riechende Fahrtwind um die Ohren. Vorbei an Zuckerrohrfeldern fuhren wir durch Paia, dem letzten Ort vor dem berühmten Hana-Highway. Paia ist das Zentrum für alle Surfer auf Maui. Wir sahen überall diese athletischen Typen mit blonden, langen Haaren und ihren Surfbrettern unterm Arm durch den Ort laufen. Auch die Bikini Schönheiten entsprachen genau dem Klischee. Auf der anderen Straßenseite ein bärtiger Hippie, der Gitarre spielte, um sich ein paar Dollar zu verdienen, dazwischen typische Touristen in Hawaiihemden mit Sandalen und weißen Socken. Holzhäuser mit zahlreichen Boutiquen, Restaurants und Surfshops am Straßenrand. Paia hat nur eine Ampel, danach kommt die lange Küstenstraße.
Wir hielten am Hookipa Beach Park, einem der bekanntesten Surfspots auf Maui. Hier sahen wir zum ersten Mal in unserem Leben Wellenreiter in Aktion. Ich war fasziniert. Mit unglaublicher Leichtigkeit fuhren diese wagemutigen Typen auf für mich riesigen Wellen entlang, immer genau da, wo das Wasser sich brach, immer rauf und runter, manchmal über hundert Meter. Anschließend paddelten sie unverdrossen wieder hinaus aufs offene Meer, tauchten durch die riesigen Brecher hindurch, als wäre dies ganz einfach.